Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Feuerspiel und die sterbenden Flammen

Schon acht lange Tage lagen die Frankfurter vor dem Hattstein … und er war immer noch nicht gefallen!

Manche Scharte hatte die »brummende Katrine« in Türme und Mauern gebissen. Doch zürnte das gewaltige Stück mit seiner fürchterlichen Stimme wie ein wütender Bär, so antwortete ihm hell die kläffende Meute der vier Büchsen auf dem Daressenturm und schnappte Frankfurtische von der Donnermaschine oder aus den Reihen der sturmharrenden Söldner. Den einzigen Sturm auf die Südseite hatten die Verbündeten teuer bezahlt. Dort glänzte die felsenstarke Palaswand noch immer vom siedend herabgeflossenen Öl. Und auch brennendes Pech war feurigen Vögeln gleich durch die Luft geflattert, hatte sich mit gräßlich jammernden Krallen an die Gewänder der Mannen auf den Leitern geheftet. Da ließ sich mancheiner lieber jammernd und schreiend in die Tiefe fallen, als daß er auf den Sprossen ausgehalten hätte … wohl, da kam Wasser von oben und löschte die Pechbrände – aber nur, um siedend noch ärgere Schmerzen zu bereiten. Und viele wurden auf die Art erst gebraten, dann obendrein gekocht. Seitdem hatte die Burgwand am Sängelberg Frieden. Nur Wachen standen im gesicherten Gebüsch, damit keiner aus dem Hattstein entwiche. Dafür tobten die Frankfurter vor den beiden Mauern und vor der Doppelpforte des Hartenfelshauses um so toller.

In seinem finstern Verlies vernahm Flink das Grollen der belagernden Geschütze und hörte über seinem Haupte das belfernde Antworten der vier Daressenbüchsen. Hier und da dröhnte der aus Quadern aufgerichtete, gewaltig steinerne Rundturm und bebte bis in die Grundfesten, und es ging ein leises Rieseln durch die Verlieswände, wenn die »Katrine« ihre furchtbaren Felsenkugeln spie. Aber der Daressenturm hielt stand. Fels fiel gegen Fels … das riesenhafte Mauerwerk schüttelte nur ein paar Splitter von sich, nicht einmal die Steintreppen in seinem gewaltigen Bauch rückten aus den Fugen. – Auch manche stille Stunde hatte der einsame Mann im Turm unten. Dann stand er lauschend an die feuchte Wand seines Kerkers gelehnt, regte kein Glied, damit die Kelten nicht klirren und kein Geräusch verschlingen sollten, und wartete. Und oft klang dann durch des Verlieses Nacht und Schweigen eines Kindes Stimme, fein und golden und wie aus dem Himmel her, denn stets rief sie nieder, daß ein Engel über dem Gefangenen wache. Zischelte dann etwas durch die Finsternis und fiel auf den moderigen Boden, so legte sich Flink auf die Knie und tastete jedes Fußbreit ab. Seine Finger hatten längst das Sehen gelernt – nie verfehlten sie eine weiche Blüte. Auch im herabschwebenden Wasserkrug konnte er manchmal ein Zweiglein fühlen. Das alles war wohl von dem kargen Grün, das innerhalb der verschlossenen Burg zäh und lebenshungrig aus dem Gestein wuchs. Und lebenshungrig war auch der Mann – so bedeuteten ihm die Spenden Botschaft des Lebens und stärkten ihm den Mut. Nur heute schien man ihn vergessen zu haben … oder war vielleicht Nacht draußen? Denn auch das ihm fern sonst klingende Gemurr der Donnerbüchsen schwieg, der Turm erzitterte nicht und in den Wänden war kein Rieseln. Nur die fallenden Wassertropfen an den Mauern vernahm er, und sie schwangen den unheimlich gewohnten Laut ihres Aufpitschens in die gähnend schwarze, blind bleibende Nacht, die er längst nicht mehr so grausig empfand. Jeder Tropfen hatte seine Stimme und klang anders wie die andern. So konnte Flink mit den fallenden Silben reden und ihr Gesamt ward ihm zu Worten.

Es war aber Tag draußen – ein düster schwerer Tag. Nur war den Frankfurtern das Pulver und die Steinkugeln knapp geworden; sie mußten sparen, weil sie zu Beginn der Fehde den Hattstein trotz allen Widerspruchs Hanns Grysen Hornes wahrhaft überhagelt hatten. Da kam der Hauptmann Gerlach von Londorf auf einen seltsamen Einfall: er riet, den Hattstein in Brand zu schießen. Einige lachten über den unausführbaren Gedanken – wie sollten steinerne Mauern wohl ins Brennen kommen – ja, wenn man den Gebäuden in der Burg mit den durch die Hand zu werfenden Pechjungfern beikommen könnte …! Der Londorf aber sagte, man müsse nicht wider die Mauern, sondern auf das Dach des Palas und auf die Hausdächer hinter den Mauern zielen. Er befahl, daß von Frankfurt Pech geholt würde. Und indes der Bote mit einem Wagen in die Stadt eilte, ließ der Herr aus Tannenreisig Kränze flechten; die durften nicht weiter sein als die Geschützmünder, vor denen sie aufgehängt werden sollten.

So sahen die Hattsteiner an jenem gewitterschwangern Vormittag, wie die Belagerer ihrer Rohre Mündungen mit Tannenkränzen zierten, den Zierat abnahmen und ihn ersetzten, bis neben jedem der Stücke ein stattlich Häuflein von dem sonderlichen Schmucke lag. Die Hattsteiner lachten oder wurden ernst, je nach Gemüt … galt das wunderliche Treiben einem Feste oder einem Gelöbnis oder war's verfrühte Vorbereitung zum Triumph? Es hieß auf der Hut sein. –

Der Nachmittag war in unheimlich fahles Licht getaucht, durch das nirgends eine Sonne länger drang denn wie ein Liderheben und wieder schließen. Tief hängende Wolken schienen widereinander zu rennen, verschlangen einander, wurden gefräßig dicker und lösten sich wie im Gebären immer neuer Dämpfe zu verdoppelten, schauerlichen und zerrissenen Gebilden auf. Der Wald stand unter diesem gespenstischen Brauen am Himmel ganz still, als wäre er gestorben. Manchmal quoll ein schwüles Sausen aus der Luft darnieder, fiel schwer auf die Wipfel und brachte die Forsten zu qualvoll dumpfem Aufstöhnen. Ringsum ging das Wetterleuchten über den in allzufrüher Nacht geschwärzten Horizont, als schliche eine wütend knurrende Bestie um den Taunus und stieße von Zeit zu Zeit den bläulich aufglühenden Brodem aus lechzendem Rachen. Dann murrte es wohl auch einmal in den Bergen, wie wenn jenes greuliche Untier hungrig gähnte.

Da gewahrten die Hattsteiner seltsames: zündeten die Belagerer vor den Geschützmäulern Flammen an, um besser zu sehen in der bedrückend gewordenen Gewitterdunkelheit? Nun schoß der rote Blitz aus einem der Rohre – – aber er verblich nicht im braunweißen Geball des Pulverdampfs … er löste sich aus der Wolke, flog in hohem Bogen auf den Hattstein zu, kam wie ein vom Himmel herabschießender Stern daher und prallte auf das Palasdach, zerschmetterte die Ziegel … und setzte Latten und Gebälk in Flammen. Das Grausen hatte den Weg in die Burg gefunden … endlich …

Man lief mit Wasser und löschte. Aber immer wieder glitten die feurigen Teufel durch das Wetterstill daher und begannen irgendwo ihr satanisches Flammenspiel, so daß das Hinundherhasten der Burgmannen vergeblich wurde, denn auch das Heu und Stroh über den Ställen und unter dem Dach des Mannenhauses, das unter Treppen und in Winkeln von Henerig so sorglich aufgestapelte Brennholz geriet in Brand. Da standen die Hattsteiner voll Entsetzen auf den teilweise schon glimmenden Wehrgängen, deren in langen Jahren ausgedörrte Tannenbalken wie Werg zu flackern begannen. Sie standen auch auf der Bastei des Daressenturms und blieben fast hilflos vor Schrecken über dies grausige Flammenspiel, das einzig dem Rundturm nichts anhaben konnte. Drüben war nun endlich das Gekrach der »brummenden Katrine« verstummt, aber der Donner der kleinen Geschütze mischte sich jetzt mit dem Donner des Himmels, wie ihr Blitzen mit des Himmels Blitz. Und jede Kugel riß das feuerflammende Pechkränzlein vor den Stückmäulern mit, brachte es im Daherfliegen noch besser ins Brennen, schlug wie eine gewalttätige Faust auf die Dächer und schmetterte immer wieder neue Brände in das schon schwelende Sparrenwerk. Das Lodern züngelte bereits die holzenen Stiegen herab und sperrte den Weg hinauf. Die brennenden Wehrgänge brachen auf die unter ihnen liegenden Gebäude und wurden der Hölle neue Nahrung. Die Zisternen gaben längst kein Wasser mehr … der trübe Bodensatz mußte den Hattsteinern den sehrenden Durst löschen. Die Armen standen wie die Verdammten im Fegfeuer, aneinandergedrängt und mit rauchzerbissenen Augen, rußgeschwärzten Gesichtern, auf der Mitte des von Flammen umrasten Burghofes.

In all dem fürchterlichen Ernste hatte nur eines die Freude am Leben noch nicht verloren, die Freude seines Lebens nicht vergessen: des Johann Weißkirchen Kindlein. Das greinte dem ihm einst von Eberte geschenkten Federspiel nach und verlangte immer wieder ins brennende Haus, um den darinnen vergessenen Kinderkram zu holen.

So hell war der Brand der Burg, daß ihn die Blitze nicht zu überleuchten vermochten – so tobend war das Feuersausen, daß der Donner des losgebrochenen Unwetters nur wie aus weiter Ferne durch das Murren der Flammen drang. Das Mehl unterm Palasdach stob brennend in feurigen Garben in die Finsternis hinauf, half die Raserei dieses Flammenspiels nähren und warf sich wie Feuerwerk in die Helle der Himmelsblitze, rot und schwefelig in das blau und grünliche Kommen und Verschwinden der aufgrellenden Wolken. Und wenn ein Schmettern und Prasseln war, unterschied man nicht mehr: kam es aus dem Himmel hernieder oder krachte das stürzende Gebälk und die fallenden Mauern zum Himmel hinauf. Eine einzige blutrote Helle lag über dem Hattstein … schwarze Rauchmassen wehten darein – Trauerschleier um die sterbende Burg.

Da endlich barsten aller Wolken und des Gewitters Schleußen. Der Regen fiel wie ein die Erde fortspülender, herabstürzender Wasserwall. Sein Rauschen übertönte allen wüsten Lärm von Flammen, Donner und dem Zusammenbruch des wie ein grimmes Tier verendenden Hattsteins. Dieser Regen löschte den Frankfurtern ihre Pechkränzlein, die sie in wild rasender Freude immer noch dem Brande zugejagt, aber dieser Regen machte auch die Flammen der brennenden Burg sich ducken.

Die irrsinnig gewordenen Menschen bedrängten ihren Herrn, daß er nun die Burgtore öffnen solle … die scheuen Gäule rasten herum … die brüllenden Rinder bahnten sich mit den Hörnern Wege durch den Menschenknäuel … die blökenden Hämmel brachten mancheinen zum Fallen, über den die Füße der Tiere und Menschen hinwegschritten.

Herr Hatzicho stand stumm und starr, innerlich verzweifelt und äußerlich wie ein Mann von Erz, in den ihn Umdrängenden. Der Blick war ihm blutunterlaufen, die Augen halb erloschen, das Antlitz versteinert … gegen Menschenmacht hätte er den Hattstein gehalten wie weiland seine Ahnen von Herrn Hatto bis zu Herrn Kunrad – gegen die trostlose Tücke des Flammenspiels der Frankfurter aber wußte er nun keine Wehre mehr.

Da wendeten sich aller Augen dem Mannenhause zu. Den Wirrwarr hatte die kleine Eilberta benützt, sich unbeachtet nach dem Gebäude durchgedrängt und wollte das liebe Federspiel vor den Flammen retten. Nun scholl des Kindes jammernde Stimme aus dem Brand.

Eberte vernahm kaum die Mark und Bein durchdringenden Schreie, als sie auch schon den rasenden Wirbel auf dem Burghof beiseite schob; bevor jemand sie zu halten vermocht, schloß sie Augen und Mund und drang in den Qualm, der dick und stinkend aus der Tür des Mannenhauses quoll. Hinter ihr tobten die Menschen nun in kreischender Angst um der jungen Herrin geliebtes Leben. Das endlich löste den Hattsteiner aus seinem Bann. Seine gewaltige Stimme überhallte alles. Er eilte der Schwester nach. Kurz darauf schon trug er sie aus dem schwelenden Gebäude. Eberte übergab der Mutter den geretteten Engel, dessen Stimmchen dem Manne im Verlies so oft Kunde des Lebens und der Liebe zugerufen und dessen Händchen Blumen in die Nacht des Gefängnisses gestreut – in seiner Pate Namen. Dann brach Eberte zu Boden – sie stammelte etwas. Herr Hatzicho beugte sich über ihren Mund und suchte die Worte zu verstehen; da plötzlich richtete er sich auf und befahl, daß man den Menschen aus dem Verlies heraufseilen solle.

In den feuerverschonten Daressenturm trug man nun die Hattsteinerin, nach der einzigen Stelle, die Brand und Regen trutzte. Still, blutend und unter dem Bluten bleich, lag Eberte im Rundraum des Turms auf eilig hingebreiteten Kleidern, die ihr die Liebe des Gesindes zum Lager bereitet. Draußen rieselte nur noch ein gleichmäßiges Regnen, und der Donner war verstummt, die Blitze weiter fortgezogen. Es war, als hätte sich die Erde besonnen und noch einmal Tag gemacht: der Himmel klärte sich mählich. Eine letzte Abendsonne griff mit goldenen Strahlen durch die weißer gewordenen Wolken und den finster über dem Hattstein hängenden Brandrauch. Das Tageslicht wollte unbesiegt von dannen schlüpfen, es hatte die frühe Gewitternacht, das Feuerspiel und dessen wüsten Qualm bezwungen.

Eberte hatte noch einmal die Augen geöffnet, ihr Blick war ruhig und sanft und irrte nicht; er blieb am verstörten Antlitz Flinks haften, ein leises, müdes, ach so müdes Lächeln zitterte um den blassen Mund.

»Flink – mein getreuer Knecht …«, hauchte sie.

»Herrin – Herrin«, flüsterte er in tiefem Jammer zurück.

»Weißt du, mein getreuer Knecht, wo tausend und abertausend Rosen blühen? Da will ich dich wiedersehen …«

»Ich finde den Ort – ich finde ihn«, stammelte er und netzte ihre gütigen Hände mit bitteren Zähren.

»Ein Tor tut sich auf – o Flink – Flink – sieh doch den holden Rosengarten …«

Die Finger griffen ins Leere, der Blick verging … und auch diese Flamme starb …

Da richtete sich Flink von Hasselbach auf, mit verwirrten blonden Strähnen und schmutzstarrend in seinem von der Feuchte des Verlieses zermorschten Gewand. Verwelkte Blumen und dürre Reiser hielt er in der Hand. So trat er vor den düstern Hattsteiner hin. »Sie ist daheim!« sagte er eintönig und sah seltsam weiß aus gegen des Ritters berußtes Gesicht.

Da brauchten die Leute Herrn Hatzicho nicht mehr zu drängen und zu mahnen. Er ging aus dem Daressenturm und gebot von selbst, daß man die Burg öffne und den Frankfurtern den verwüsteten Hattstein übergebe.

Der erste Frankfurter, der den Hof betrat, war Herr Gilbrecht Weiße. Hinter ihm kamen die Mannen ehrfürchtig und still wie in stummer Achtung vor dem so schwer besiegten und so grauenhaft überwundenen Feinde. Der Hauptmann Gerlach von Londorf führte sie herein; der kriegsgewohnte Mann sah sich so zweifelnd um, als wäre ihm das Bild von Sieg und Zerstörung nimmer so erschütternd vor Augen gekommen.

Der dicke Amtmann von Sülzbach, die Ketten noch an den Händen, drängte sich voll Entsetzen vor dem Erlebten gegen die Hereinkommenden und strebte schreiend in die Freiheit.

Der Eschborner Vogt aber stellte sich aufrecht neben Herrn Hatzicho, ein allezeit stolzer, freier Mann. »Ich möchte nicht, daß mich der Ratsherr löst, Hattsteiner!« bat er. »Sagt Gilbrecht Weiße rasch, daß Ihr es seid, der mir die Freiheit gibt – rasch, bevor er reden kann!«

Der Ritter fand noch ein dankbar wehes Lächeln; er schritt auf Herrn Gilbrecht zu.

»Ich darf wohl in Euch den ersten Herrn der Frankfurter sehen?« Und nachdem der Ratsherr bejaht hatte, sprach Herr Hatzicho weiter. »Ich schenke meinen Gefangenen Freiheit und Leben, die ich in Eure Hände zurücklege. Keinen trifft ein Verschulden, daß er mir anheimfiel – merkt's wohl, Herr: keinen!« Sein Blick irrte in der Runde, bis er den scheppen Gürg ersehen. »Auch dieser geriet in meine Gefangenschaft. Und auch ihn gebe ich frei, obwohl er den Hattstein als Späher betrog.« So bewahrte er den Stückknecht vor der Gefahr, daß man ihn untreu schelten könnte. Und die Hattsteiner verstanden ihren Herrn und wußten nun, was zu verschweigen war.

Flink stand stumm dabei, zusammengesunken und leidgebeugt.

»Und Ihr, Hasselbach?« sprach ihn Herr Gilbrecht an.

Langsam hob Flink das Antlitz … sein Blick war, als kehrte seine Seele aus einer Ferne wieder, wo sie eine Selige zu den Seligen geleitet. Seine Stimme hatte seltsam weihevollen Klang. »Ihr holtet mich weiland von des Erzbischof in Mainz Hofe, Herr Gilbrecht? Dorthin muß ich zurück. – Seht, der Hattstein liegt in Trümmern.« Sein Arm wies in die schwelende, qualmende Runde. Hier und da brach noch eine Flamme matt hervor, versteckte ihres Züngelns Feuerspiel aber rasch wieder vor dem friedlicher lodernden Abendschein. »Trümmer …!« sagte Flink. »Sterbende Flammen und Trümmer – und diese Trümmer lasten auch auf meinem Leben. Ich begrub hier mein Glück … in Flammen und Rauch mußte es enden – und hat mir doch lange, einsame Tage hell in die Finsternis meines Verlieses gestrahlt. So will ich den Erzbischof fußfällig bitten, daß er mich wiederum meine Einsamkeit hinter Mauern begraben läßt – Mauern, dahinter des Lebens letzter Friede wohnt. Hier im Hattstein schlug eine heilige Flamme in mir auf – sie mußte sterben, und der Altar ist zerstört, auf dem sie dem schönsten Opfer entgegenbrannte. Sterbende Flamme – du machst mein Dasein zur Nacht!« Er schob die welken Blumen, die dürren Reiser in sein Gewand und ging schweigend davon, ohne noch einen Blick rückwärts zu tun … nichts blieb ihm mehr dahinten. Der Toten Seele war im Himmelreich, wo ewig Rosen blühen. …

Die Menschen wichen vor dem Manne zurück, denn auf seinem Antlitz thronte jener Friede, den nur der Heiland zu spenden vermag, und der Weg vor ihm war von der Scheidesonne wie verklärt.

»Begrabt Eure Toten, Herr Hatzicho«, sagte Gilbrecht Weiße in tiefem Bewegtsein vor dem Anblick alles Jammers rings. »Die Burg ist frankfurtisch nun, und Ihr seid ohne Heimstatt, denn auch der Falkenstein ward ohne Müh' genommen. Ich will's verantworten, daß Ihr und Euer Bruder frei von dannen dürft … und stritte ich wider den ganzen Rat der siegreichen Stadt.«

»Und mein Bruder Philipp in Falkenstein?«

»Verstandet Ihr denn nicht, was wir Euch über die Mauer riefen?« frug der Ratsherr erstaunt. Er zögerte einen Augenblick vor der betrüblichen Kunde … doch der Hattsteiner war wohl der Mann, nach all dem Schlimmsten noch Schlimmes zu ertragen. »Euer Bruder starb bereits vor acht Tagen. Der Mann, der Euch den Fehdebrief zutrug, schlug ihn im Kampf gegen drei todwund.«

»Echter Keseler?« Ein leises, bitteres Lachen. »Und er entkam den dreien heil?«

Herr Gilbrecht sah grimmig drein. »Er liegt noch immer in Cronberg … möglich, daß wir ihn dort begraben müssen. Euer Bruder griff ihn an, und er erwehrte sich der Tücke. Wenn Ihr noch die Macht zu haben wähnet, so rächt Eures Bruders Tod an uns.«

Der gütige Schimmer war zum letztenmal in des Hattsteiners Augen. »Wo Echter Keseler strafte, hat wohl die Allmacht gerichtet – ich habe nichts zu rächen. Mein Bruder hat seinen Lohn dahin. Und die Gerechtigkeit über den Sternen wollte wohl verhindern, daß Bruderblut wider Bruderblut hülfe … er war dem Hattstein untreu geworden.« Dann wendete er sich an den nunmehr ältesten Hattsteiner. »Komm, Dietrich – wir wollen unsrer Eberte den letzten Frieden verschaffen. – Heimstatt? … vielleicht finden wir sie in Friedberg – oder in Köln – – oder … im Walde.« Finster glitt sein Blick an dem Ratsherrn hin. »Frankfurtisch? – diese Burg? Nein, Herr Gilbrecht Weiße, das kann sie nimmer sein. Hier in der Nähe wird unsre Schwester ruhen: dieser Boden muß den Hattsteinern heilig und er muß Hattsteinisch bleiben. Die Fehde ist noch nicht vertragen – wenn auch mein guter Hatzichenstein sterben mußte – und sie wird auch nie vertragen werden … bis ich den Winkel fand, in dem ich sterben soll. Doch hoffe ich, er wird in diesen neu aufzurichtenden Mauern sein. Kann ich den Krieg nicht mit Mannen und Macht führen, so wird es mit Worten und Wünschen getan. Das will ich dem Rate Frankfurts schreiben – doch meine Schreibfeder wird wohl mein Schwert sein. Ich bin dem Rate unterlegen – der Tag wird kommen, wo der Rat in jener Saat unterliegt, deren Sämann ich gewesen.«

Sein rauchgeschwärztes Gesicht, daraus die stahlblauen Augen doppelt blau und doppelt stählern leuchteten, sah unheimlich aus. Er neigte sich stolz und ohne Dank für den freien Abzug gegen Herrn Gilbrecht und schritt dem Daressenturm zu, allwo man den Leichnam Ebertes auf eine aus Stämmchen und Tannenreisig schnell geflochtene Bahre gelegt hatte.

Das brandrünstige Gemäuer der Burg gleißte noch von der Regennässe. Hier und da stob eine Dampfwolke aus dem Schutt hervor, die von der Abendröte durchgoldet himmelan stieg. Die Frankfurter hatten den Hattstein verlassen, um die Burginsassen in der Ausübung der letzten schweren Pflicht nicht zu stören. Nun kam auch der traurige Zug mit der toten Eberte über die Brücke des Hartenfelshauses. So leerte sich der mit glosendem Gebälk, Steinhaufen, verendeten Tieren und erschlagenen Menschen bedeckte Burghof. Dann lastete über alledem die öde, unheimliche Einsamkeit, während Ebertes Geleite im Sängelbergforst verschwand … irgendwohin … nirgendwo daheim.

Der Tod ging im Hattstein um und übersah das Brachfeld dieser reichen Ernte. –


 << zurück weiter >>