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Die Nacht wird


Venetianischer Traum

Im Morgennebel des Schlummers:
Auf dem Regenbogen des Traumes
Glitt ich segelschnell aus sieben grauen Welten,
Entflog der ewigen Burg des blauen Himmels
Und stürzt ehern ins Leere der Meere.

Ein stiller Gondolier trieb einsam
Auf den weiten Wassern umher,
Sanft mich aufzufischen,
Lautlosen Ruders – der schwere
Engel Tod im schwarzen Boot.

Da küßte mich der dunkle Schlaf
Mit dem Kusse des Abschieds.

 

Sommerufer

Für Pauline

Dieselbe gelbe Sonne leuchtete
Dem Glanz durchsegelnder Piraten –
Der Hunger suchte Brot und lechzte
Wie Hundes Zunge rot in euern Mittag,
Bis Friedens Regen fiel:
Aufrauschend Meer auf Meer.
Und wieder brüllt die Sonne neuen Durst –
Vorberge träumen kühlen Schnee
Auf ihre heißen Häupter;
Mild und blau und wolkenlos
Verschläft den schlaffen Tag Traumhimmel
Über der windstillen See.
Einsam ihren Laut zittert die Grille,
Ihr Ton steigt grün
In die atemlos dorrende Stille,
Steigt bis in die Sonne
Und stirbt hin
Am Schattenabend
Herbststill
In die frierende Stille.

 

Am Kapellensee

Für Arthur Lesser

Wacholder steht und friert,
Gelbes weht in den Wäldern.
Ein schwarz krächzender Rabe im Acker –
Der Tod: der alte Zeitnehmer
Fegt mit Nachtschwingen über die Kahlflur
Kälte.
Zur toten Sonne flieht über den Himmel
Das Meer hinsiechender Wolken.
Aber der Welt anderer
Windeswind kommt
Früh über Herbstbinsen,
Spitz ins Wasser geknickt,
Über Waldschatten im See,
Im gewittergrauen Wumm-See.
Des Nebels Weihrauch stiebt.
Wildentenschrei.
Im Wind
Zum Teufel fliegt das altersbraune Laub,
Im Wind
Biegt sich das erste, selig grüne Blatt.
Tau weint.
Und bald
Der winterfahle wird ein frischer Wald.
Grünes schau ich aus den Wiesen, Feldern,
Blaues saug ich aus den Wunderseen.

 

Uferwald

Für S. T.

Durch die Fächer der Palmen,
O grün aufwimmelnder Wald,
Schimmert der Himmel, das Meer:
Die sonnengeliebte Wogenversammlung.
Nicht blendet mehr
Die Lava der Wellen.
Es heben ihre Fingerspitzen viel Zweige.
Der Wind, der Raschler des Laubs,
Spielt mit den Rispen.
O Himmel ungeheuer hoch
Von Sonnenuntergangsgoldwölkchen
Sternverbrämt!
Unter wild blutenden Wolken
Dunkeln die Wälder.
Frieden rauscht das Meer sich –
Wellenbrust an Brust.

 

Flug

Für Hanni Baal

Ich flog mit Fokker-Flugzeug D 728 »Mulde«
Bescheiden von Stuttgart nach Frankfurt,
Ich flog mit dem Dornier-Merkur 585 »Puma«
Von Frankfurt nach Berlin.
»Guten Rutsch«
Wünschte der Flugleiter dem Piloten –
Ich merkte mir für andere Fälle
Diesen Aviatiker-Gruß.
Der drollige Luftkater
Begann laut zu schnurren,
Die Räder des Heuschreck-Vogels
Rollhopsten über Gras,
Bis er sich hob.

Der Motor orgelt monoton,
Vibrierende Fenster;
Allmächtig der Motor überbrummt Alles,
Auch das Gebrumm der Flugzeugfliegen,
Zeugend im Flugzeug.
Nächstens laß ich die Ohren zuhaus,
Man fliegt mit den Augen.
Klein seh ich die gelben, braunen, grünen
Stoffmuster der Äcker und Felder,
Ich schweb über den zart bewaldeten
Bäuchen der Berge.
Wer hat die winzige Pfütze
Gespuckt in diese Wiese?
Den Fischen ist sie ein Riesenweltteich,
Uns aber – weg!

Schon greint ein Friedhof mit seinen
Gespenster-Grabsteinen,
Den starren Etiketten der Toten.
Der Straßen Serpentinengeschlängel,
Schlafende Wege und Bäche;
Verzaubert schleichende Wagen,
Von gehemmten Krebs-Pferden gezogen.
Abgründe, Felsen, Steinbrüche, Gewässer,
Weinberge, weidende Lämmer,
Einsiedlerkapellen und Taubenschwärme.
Die Luftkrabbe steigt über die Schneefelder
Der weißen Wattewolkenwogen,
Die Luftkrabbe steigt
Über die Flaumwolkengletscher.
Tief unten Hügel, der Raben schwarzes
Gevögel, tiefer schwarzweiße:
Diplomatisch die preußischen Landesfarben
Flaggende Rinder.
Neu-rote Dorfdächer, Fenster der
Kartenhäuser aus Treff oder Pique.
Getreide, zu Mandeln gehäuft.
Rebhühnerketten.
Des Flugzeugs Schatten wolkt über den Wiesen;
Wolken im Bach, Schilfinseln, Weiden,
Sumpftümpelparzellen.
Schornsteinstumpen und Pappeln –
Bäume aus der Spielzeugschachtel:
Das stehen gebliebene Heer der Bäume,
Die grünen Schimmelpilze der heiligen Wälder.

Komisch,
Komisch sind die Lokomotiven von oben.
Alle Lokomotiven stammen aus der Provinz,
Sie nehmen sich wichtig:
Eingebildet,
Patzig ein Räuchlein von sich blasend,
Alte Bewegungsräte, Geräte der Urzeit.
Siehst Du,
Wie die Vergangenheit unter Dir kriecht?
Wie Nebelmeer hängt sie
Noch zwischen den Bäumen,
Wo die rußende Eisenbahnschnecke
Noch kriecht,
Wo es nach Automobil noch riecht.
Und fliegt der Flieger nicht ins Himmelreich,
Er schwingt sich
Hoch über das selige Tannenreich
In die Zukunft.

 

Inserat

Das Meer hat sein Gestade verändert,
Übel riecht sein Mund,
Wild bellt es durch die Regenwindnacht.
Gestirne hausen in undurchsichtigen Wolken,
Im Auto döst Protzent, der Bankier:
»Die Sterne sind eine Bomben-Reklame
Für die Allmacht!
Was bezahlt der Mond für sein Licht?
Was hat die Sonne davon?«

Ich aber möcht in allen Welten groß inserieren:
Komet gesucht,
Der Erde zertrümmert.

 

Großstadt

Wohin soll ich mich heben?
Die Stadt ist häuservoll.
Nur leben, um zu leben?
Wir wandern nicht, wir altern nur.

Großstadt zerschreit sich in viel Straßen,
Plakatgekeif tutet den Tauben nieder;
Seifenblasen-Lichtreklame bläht sich kurz
Zu Sternen.

Zu zärtlichen Abschied nimmt ein Greis
Von dem letzten
Dreck, den er geboren.
Aber der neue Säugling
Begrüßt die Welt anders,
Sie härter erkennend, faßt er sie in ein Wort:
»Scheiße!« und stirbt.

 

Wir hassen, wir lieben

Ich hasse die kalten,
Verpfuschten Jungfraun,
Die fürs Bargeld der Ehe:
Der lebenslänglichen Faulheit,
Ihre vordern Hintern verkaufen.
Kinderlos bleibt,
Die dem Liebenden
Den Schoß nicht hinhält
Und ihre armseligen Brüste nicht gönnt
Der flammenden Sehnsucht.

 

Geschenk des Lebens

Den Liebenden stäubt Mond
Ein sanftes Licht
Milchmild aufs Meer.
Blütenreich
Ist ihr Tag,
Der Abend still,
Es stillt sie gut
Sternübersternt die Nacht.

 

Der ewige Raum

Wer säuft die Zeit?
Wer speit den Raum?
Schichtet Ursinn die geraume Zeit
Zum Alptraum der Geschichte?
Nebel, Schlaf, Flaumdämmertraum
Verdichtet sich im Weltenraum,
Abschöpfend den Jahrtausendschaum
Verklärt ein Sinn sich zum Gedichte.

Hochzeit und höchste Zeit!
Du Wochenbett der Zeit!
Blutrot Geburt und Tod!
Feuer und Eis,
Kind und Greis,
O Gottes Nichts,
O Teufels All –

Wer warf den Unglückswürfel Erdenball?

Die Jugend altert.
Zu früher Abend!
Morgens sinkt die Nacht.

Dunkel
Dort und hie,
Immer und nie,
Dann und wann –
Weil es begann!

Sonne und Mond
Und wer von euch Sternen
Den Erdhimmel abwohnt –
Was ist die Stunde?
Sekunde.

Guten Tag! Gute Nacht!
Es regnet, hagelt und schneit
Der Hundstage ägyptische Plage.

Chthonisch, chronisch ergrimmt
Über des Chaos Eintagsfliegenzeit
Schon seit Äonen,
Jed Wesen – Gehirn und Gestirn
Sich regt und wegt:
Vor sich läuft fort
Ein jeder Ort
Und keiner sich entgeht.
Im Kreis die Weltuhr läuft –
Sie steht.

 

Der Kranz

Wer früh die Sprache Anderer verhunzt,
Sonette in den Sand gebrunzt –
Blattlaus ist rasch auf grünen Zweig gekommen.
Aber des Dichters Wandergang hallt falsch
Auf dem Schallwarenmarkt.
Und wenn er endlich
Doch sein Wort gesprochen
In der Spreewüste um den Stefansturm,
Tränkt sterbend seinen Durst
Ein Guß Fortunas aus dem Nachtgeschirr.

 

Melancholie

Meine Straßen sind verödet,
Meine Leiden lindert keine,
Meine Lieder dunkeln ungehört,
Mein Herz modert verlassen.

Ich sehne mich nicht mehr
Nach Dörfern und Städten,
Nach wilden Dschungeln nicht des Südens,
Noch nach Gebirgen unter dem Abendstern.
Ich wünsche mich nicht mehr ans Meer.

Ich starb vor vielen Jahren schon,
Meine Leiche lebt noch, schwer und leer.

 

Vorzeichen

Sorgen umwittern den lachenden Tag,
In den Gittern hat sich Herbstlaub verfangen,
Der heiße Wind: das dürre Füllen
Läuft dem Sturm voraus,
Regen tanzt auf dem Wasser,
Ernte flieht in Scheuer und Scheune,
Weidenbäume: die Geister der Alten
Erstarren unter dem Himmelsgeschmeiß des Hagels der Sterne.

 

Über dem roten Tollmond

Allein
Auf der Dunkel strahlenden Erde
Sehn ich mich nur noch: zu wandern.
Frei von Menschen,
Ohne Heim, unbehaust.
Denn allein ist der Schmerz
Und allein ist die Lust
Und allein ist der Tod
Und allein ist das Meer.
Und Frauen sind nur
Schlafwandelnde Schatten,
Geträumt zu Auen der Sonne.

Und bin ich ein einsamer Gast auf der Jacht,
In der Nacht,
Kein donnertrunkener Gott-Kapitän –
Nur Orkanmelodie!
Dein Wanderer wirbelwindwild,
Ein irrer Streichler der Riffe,
Albatros im Sturmparadies,
Tropikvogel über den Sturzseen –
Ich fliege welthöher als ihr,
Mich hält kein Seligen-Himmel, kein Blau mehr,
Ich bin der richtige Pfeil:
Ich blitze ins Nichts.

 

Abschied

Bei der Luft, die ich veratme,
Bei dem Feuer, das mich ausdörrt,
Bei dem Wasser, das ich trinke,
Bei der Erde, die mich trinkt,
Bei den Tieren, die mich liebten,
Bei den Menschen, die mich ließen,
Bei dem Lachen Eurer Turtelfrauen,
Bei dem Schrei der Schmerzgeburt,
Bei dem Blut, das in mir wartet,
Bei der Seel, die in mir weint,
Bei dem Sturme, der mich umweht,
Bei dem Abend, der mich schweiget,
Bei dem Geist,
Der aller Wesen Sprache schmecket,
Beim Verhallen aller Sprachen,
Bei der Sonne rotem Umgang,
Bei der Sterne weißer Nacht,
Bei des Grases grünem Leben:
Ihr gebt mir die Trän zu weinen –
Guten Weg wünsch ich Euch Allen,
Meine Straße hilft mir Keiner,
Kehre heim zu keiner Sippschaft,
Licht ist nicht ob erstem Ursprung,
Licht ist nicht ob letztem Dunkel,
Traum ist, der dazwischen schläft,
Schatten schwankt im wilden Wald,
Morgen haucht, das Heut zu morden;
Wahn entdämmert, Leben ist Verderben!
Stärkster Tod, ewig dem Sein zu sterben!

 


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