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Der Mensch schreit


Die Nachtgefangenen

Geschrieben am 29. Juni 1914

Mag der leise Druck meiner Ballen
Spurlos verhallen,
Nicht will ich mehr
Gallbitterer Tinte Gefäß sein –
Die Andern leben!
Eh mir der mächtige Mond vergilbt am Himmel,
Mich aus dem Leib die starke Stimme ruft.
Mag nicht dauern, bis der Zeiten Schimmel:
Schmutziger Schnee
Sich niederschlägt auf mich und was mir
Im Horst die Jahre ausgebrütet.
Mag nicht dauern, bis der Zeiten Schimmel:
Weggeschoben durch frischeres Eis,
Nähere Früchte
Die wenigen Nahen vergessen.
Was soll mir Almosen von Bettlern?
Die schwarze Schnecke des Todes
Kroch mir über den Weg!
Auch ich roch einst weißduftenden Klee
Und liebte die lichtbehauchten Wolken.
Ich freute mich der Rädergesänge
Der langachsigen Wagen,
Ich freute mich der eintönig sich wiegenden
Pappeln die Wege entlang,
Ich freute mich der Sonne widerblitzenden,
Rastlos vergleitenden Schienen,
Ich freute mich der staubweißen Bäche
Meiner ländlichen Straßen.

Aber ich sah die Nachtgefangenen:
Dunkles sinnend die Späher des Bösen,
Aber ich sah hanakische Bauern,
Bunte Vogelscheuchen im Feld,
Den Schnellzug anstaunen, der ihre Grünäcker
Mit Ruß und Asche bestreut,
Aber ich sah auf Gibraltar
Die letzten Affen Europas frierend hinsterben,
Aber ich sah indische Tänzerinnen,
Gazellengangbegabte,
Vor dem Champagner und Abschaum
Eingläserner Jünglinge tanzen,
Aber ich sah Elefanten,
Dschungelrohrdurchbrechende,
Sich nach den Brosamen eines Kindes bücken,
Aber ich sah Dreadnoughts ertrinken,
Umschwärmt von den tötenden
Torpedohaifischen,
Aber ich sah –
Und Tränen entstürzten dem Tag –
Aber ich sah arme Soldaten
Am Sonntag der Freiheit
Starr auf Gerüsten hocken,
Hochsegelnden Fliegern zum Zeichen,
Aber ich sah einen Turmfalken,
Gewohnt im Äther zu weiden,
Sich einwühlen in den Sand
Eines Breslauer Käfigs –
Und ich muß dem Schweiß dieser nächtlichen
Tage entrinnen!
Nicht bin ich von den traumumspülten
Leichen, eingedickt in Schlaf.
Wenn vom verhängten Luftkreis Schwüle
Abwärts sintert,
Wenn Baumwipfel ineinanderstöhnen,
Sturmzerquält,
Wenn rollend kommt himmellang gefahren
Der Gottheit Drache,
Will ich nicht mehr der Wetter bitteres Naß,
Der Wolken Säure –
Ich will den Blitz in mich!

 

Der Mensch schreit

Uns Gefesselte umringen
Teufel, die uns tierisch zwingen.
Mich verfluch ich, der ich kam,
Ehe Licht die Erde nahm.

 

Walstatt

Weiß weint der Schnee auf den Äckern,
Bitterlich schwarz sind die Witwen,
Grün warst du, Wiese des Frühlings,
Gelb verkrümmt sich das Herbstlaub,
Grauer Soldat im Feld,
Rot sinkst du hinab zur hündischen Erde
Unter des Himmels unverfrorenem Blau.

Mit Glockengroll donnernden Schwingen
Senkt es sich nächtig ins Tal.
Flügelschlag wegbläst
Die feig glimmernden Sterne,
Über die Röchelnden
Reckt sich vampirisch der Roch,
Verwundete, Leichen sind seine Nahrung.

 

Frage

Verehrungswürdig schöner Mond,
Dies trag ich dir vor:
Unter den Tapfersten, unter den Stürmenden
Wirft sich die Mine zerschmetternd empor.
Kannst du nicht helfen?

Über zerfleischte Armeen der Ungestalt
Höher streckt sich der trauerlose Wald,
Mögen die Heere einander verheeren –
Wald schüttelt sich, möchte verbrennen.

Ohne Dämmerschein verschwärzt sich
Die Jahrhundertnacht.
O, ihr vertempelten Kirchen,
Ferne des Himmels ungeborenem Ostrot:
Der Menschwerdung des Menschen
Wann es blüht blau
Über Blutwolken hin?

 

Den Mächten

Immer Mord und ewig Rache?

Wenn, unfähig gigantischen Sternspiels,
Zwerge richten Geschütze des Riesen,
Jubelt nicht zu!

Nicht horcht dem Wort
Der feigen Zeitungsdichter,
Die euch das Bluthorn blasen.

Von Tieren umzingelt,
Ein Todwunder ruft mit dem Rolandshorn.
Von Zungen umzüngelt
Ihn hört ihr nicht –
Und fromm
Krümmt sich gespenstisch betend vor
Des unmächtigen Gottes Weihnachtskrippe
Das blutige Weihnachtsgerippe.
Wenn der starke Arm niedersinkt
Vor Abkraft des Staatshirns,
Wenn nach gräßlichem Erdkrieg
Der winzige Friede wird,
Ausspeit er nur das große Roß:
Den Broncefeldherrn.

Hockt ihr noch da
Mit zufelde geschlagenen Augen?
Euch laue Freunde des Friedens
Ersticke das Blutmeer
Der geschändeten Krieger!

 

Tod auf dem Schlachtfeld

Dichter

Mein Herz, du bist zu weltenwarm,
Zu zitternd jedem Wind,
Der irgendeinem Menschenarm
Erstarren, Lähmung sinnt.

Blutsäulen, Heersäulen
Unverdrossen vorwärts eilen,
Rasch zu verrinnen unterm Gewölbe der Nacht.
Blutumflossen geboren,
Als Leichen in Sümpfe gefroren,
Mit erhobenen Händen
Im Winde schwankend wie Schilf,
Wo kein »Hilf!« hilft,
Schallt keiner Frage Antwort.
Sinnlos Erstandene, sinnloser Zerriebene!
O Blut auf dem Kreuzholz der Wiege und Bahre,
Wem gehört die vorbeigetriebene,
Wozu die geschlachtete Herde der Jahre?

Denker

Kriegstat wird klein –
Heer schwindet zur Kohorte –
Und ungeheuern Gangs der große Bote
Kündet ihr Nichts: Aas – Tote.
Urglanz umdonnert nur Sternworte.
Wenn dennoch euch Blutbrei gefällt,
Ihn rührend der Schachheld,
Wenn euch Ameisen in den Wunden,
Fliegen im Munde munden,
Sprich du, Menschrest,
Blaß hingedehnt zum Blachfeld.

Krieger

Und ward hier Land gerötet,
Und würgt ich Blut aus Wangen,
Kein Feind springt lebend vor.
Die Heimat ist gerettet!
Ob mich auch Gott erkor?
Ich habe Menschen getötet!

 

Erde

Warum stürzt mich grad dies Staubkorn
In Mitleid, Zorn und Tränen?
Sollen uns weiter die Götzen verhöhnen?

Daß uns die Geier fraßen,
Abgrund nahm –
Das Herz des Herrn schläft lahm,
Er liebt die Welt nicht mehr:
Erfroren ist die Erde.

Wenn ich Gott, den reichen Bettler, treffe,
Werde ich für ihn erröten.
Ihn töten, töten, töten!

 

Ende

Ich stand am Kriegsstrand,
Blutige Wellen schäumten zu mir.
O wär ich in Samarkand
Und nicht hier.

Immer noch kämpfen
Auf dem Düngerhaufen zwei Hähne.
Es glauben die Tauben,
Daß unter ihren Sprüngen die Erde erdröhne.

Kann ihren zornigen Blutgeifer nichts dämpfen?
Rausche, o Wasser!
Ich höre das Meer.

Über Europa,
Aus Urzeiten kommend zu Zeiten,
Ergießt sich grollend das Meer.

In den Tagen der Zukunft,
Rein von Menschenameisen, stürzest du einst,
Oder es schluckt dich, Erde, die Sonne.

 

Auf!

Umtost vom vaterländischen Geheul
Der Wehrpflichtwilden auf ihrem Kriegspfad,
Zitternd, wie einer, den der Arzt
Tauglich zum Tod sprach,
Erbleicht der Mensch, ihn bedrängt
Im unauslöffelbaren Kessel die Blutsuppe.

Sonnenflecken überschatten die Erde.

Kalt gelagert umscharen die Lache,
Unterwelt, deinen See,
Die Türme der Leichen.
Der ohnmächtige Fährmann
Packt das kleinliche Ruder,
Zertrümmert die Barke –
Ihm fronen Flotten
Torpedierter Ozeandampfer als
Totenschiffe.

Schwingt endlich den Hammer
Auf die Schädel der Mörder!

 


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