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18. Kapitel.
Walpurgas erstes Auftreten


Gar zu schnell waren die letzten Rasttage daheim vergangen. Walpurga mußte nun nach München zurück, da die Proben ihre Anwesenheit nötig machten.

Frau Dr. Moritz war froh, als sie ihren Liebling wieder hatte.

Gar festlich und traulich sah es in der gemeinsamen Wohnung der beiden Damen aus. Ueberall hatte Frau Doktor Blumen aufgestellt.

Gleich am nächsten Morgen mußte Walpurga zur Probe.

Ihre neuen Kollegen und Kolleginnen kamen ihr nicht gerade sehr freundlich entgegen. Sie sahen die junge Anfängerin ein wenig über die Achseln an, trotzdem sie wußten, daß sie des Königs Schützling war.

Aber gerade deshalb trauten sie ihr nicht viel zu. Sie glaubten, ein ziemlich talentloses Mittelgut vor sich zu haben, der die Gnade des Königs den Weg bahnte.

Walpurga hatte es nicht anders erwartet. Sie war es ja gewohnt, sich überall erst mühsam das Plätzchen zu erobern, das man ihr streitig machen wollte.

Ruhig und bestimmt, wenn auch mit freundlicher Bescheidenheit, trat sie all diesen Menschen entgegen, mit denen sie nun leben und arbeiten mußte.

Und wie es immer ging, ging es auch hier. Der Zauber, den ihre liebreizende Erscheinung erweckte, wirkte auch in dieser neuen Umgebung. Den klaren, bittenden Augen, dem warmen, goldigen Lachen und der echten Herzensgüte Walpurgas konnte auf die Dauer niemand widerstehen.

Als sie, zur allgemeinen Verwunderung, sich mit großer Sicherheit in das Ensemble einfügte, so daß durchaus nicht mehr Proben als sonst nötig waren, da wurde man ihr gegenüber schon milder gestimmt.

Und als sie dann bei einer größeren Probe in einer Szene ihr ganzes Können entfaltete und ihre süße, quellfrische Stimme in voller Kraft und Schönheit ertönen ließ, da war es, als wenn Glockenklang an die Herzen ihrer Kollegen gerührt hätte. Sie lauschten auf und sahen sich erst erstaunt und dann ergriffen an.

Einige erfaßte der Neid, die anderen bewunderten ehrlich dieses junge, große Talent. Aber alle sahen ein, daß man einer solchen Persönlichkeit, wie die junge Künstlerin war, nicht mit mitleidiger Duldung begegnen konnte.

Der Kapellmeister und der Intendant waren enthusiasmiert von der jungen Künstlerin und nahmen reumütig ihre Ansicht zurück, daß der König ihnen da eine unbequeme Last aufgeladen habe.

Schritt für Schritt eroberte sich Walpurga also ihre Position schon vor ihrem ersten Auftreten. –

Der 8. Oktober rückte mit unheimlicher Schnelligkeit heran.

Zuweilen erfaßte es Walpurga doch wie ein Fieber, wenn sie an ihr erstes Auftreten vor dem König dachte.

»Wenn nur er mit mir zufrieden ist, nur er!« dachte sie immer wieder mit heimlicher Unruhe.

Und dann kam der bewußte Abend heran.

In weihevoller Stimmung stand Walpurga in ihrer Garderobe und machte sich fertig. Der König selbst hatte ihr nach seinen Angaben die Kostüme arbeiten lassen.

Wundervoll sah sie aus, als sie, aus den Händen der Garderobiere entlassen, vor dem hohen Spiegel stand.

Sie mußte plötzlich daran denken, wie sie vor Jahren in das Institut der Frau Dr. Moritz eingezogen war, im roten Röckchen und derben Nagelschuhen und mit dem Wäschebündel.

War das dasselbe Burgerl wie damals, diese königliche Erscheinung mit dem fließenden Seidengewand, das jetzt mit Stickereien und glänzenden Steinen geziert war?

Wirklich, Walpurga war eine idealschöne Elisabeth. Ihr eigenes, wundervolles Haar hing in seiner goldigen, lockigen Pracht über ihrem Rücken. Es glänzte wie Metall in dem schimmernden Licht.

Auf dieser goldenen Pracht saß ein Diadem. Ein mit Steinen besetzter Gürtel hielt das weiße Seidengewand um die Taille zusammen. Die Gürtelenden fielen dann bis auf den Saum herab.

Ein langer, schleppender Mantel von königsblauem Samt, der eine breite, gestickte Bordüre zeigte, hing über ihren Schultern, und leicht war es nicht, ihn hinter sich her zu ziehen.

Aber Walpurga hatte das schon genugsam geübt. Sie schritt elastisch und mit fürstlichem Anstand einher.

Nun stand sie wartend hinter der Kulisse, durch die sie hinaustreten sollte.

Die Hörselbergszene war längst vorüber, der Hirtenknabe hatte sein liebliches Lied gesungen. Wolfram von Eschenbach hatte den verloren geglaubten Freund Heinrich von Ofterdingen, den Tannhäuser, begrüßt, und der Vorhang war gefallen.

Nun wartete Walpurga auf ihr Zeichen. Der Vorhang hob sich von neuem. Vor fieberhafter Ungeduld brennend, stand sie da. Und endlich – endlich durfte sie hinaus auf die Bühne.

Wie damals im Walde, sang sie jubelnd:

»Dich, teure Halle, grüß ich wieder.«

Bei den ersten Tönen war ihr, als wenn sich eine kalte Hand um ihren Hals legte, als würde sie nun keinen einzigen warmen Ton mehr herausbringen.

Da sah sie wie durch Wolken vor sich das gütig lächelnde Gesicht des Königs. Und mit einem Male hatte sie alle Angst, alle Befangenheit abgeschüttelt. Voll und klar in hinreißender Gewalt und Schönheit reihte sich Ton an Ton. Sie spielte und sang mit wunderbarer Sicherheit. Es kam aus ihr selbst heraus, was sie bot.

Als lege sie ihr eigenes Herz vor den geliebten König hin, so innig und zauberhaft schön war ihr Gesang.

Szene reihte sich an Szene. Der einzige Zuschauer dieses wundervollen Spiels, König Ludwig, ließ sich einhüllen in den zauberhaften Wohlklang, der ihn mit einer Lebensfreudigkeit erfüllte, wie er sie lange nicht empfunden hatte.

Walpurga sang wirklich so, daß kranke Menschen gesund und alte wieder jung werden konnten. Der alte Herr in der Schule hatte recht prophezeit.

Der König ließ sich durch Walpurgas Spiel und ihren Gesang ganz gefangen nehmen. Er vergaß ganz, daß da auf der Bühne Walpurga Malwinger, sein Waldvöglein, stand.

Er sah nur die holdselige Gestalt der Landgrafennichte Elisabeth, die um ihre Liebe leidet und an ihrer Treue stirbt.

Noch nie hatte ihn die rührende Gestalt, die sein Freund Richard Wagner geschaffen hatte, so voll und ganz gefesselt, als jetzt.

Und Walpurga fühlte sich eins mit dieser Gestalt, sie spielte nicht nur die Elisabeth, sondern lebte sie auch.

Wie aus einem Traum erwachte sie, als sie, langsam bergauf steigend, die Bühne verließ. Hinter ihr her klang das Lied Wolframs von Eschenbach an den Abendstern.

Gleich darauf wurde sie zum König befohlen. Er empfing sie in sehr erregter Stimmung. In seinen Augen hatten Tränen ihren Schimmer zurückgelassen.

Walpurgas beide Hände erfassend, sah er sie eine Weile schweigend an.

Noch hing das Haar gelöst um ihre Schultern, noch trug sie das schlichte, weiße Gewand der Elisabeth aus dem letzten Akt.

Sie sah wunderbar schön aus mit dem belebten, erregten Gesicht, aus dem die Augen bang fragend zu dem König aufsahen.

Endlich atmete der König auf, und wie aus tiefem Sinnen erwachend, sagte er:

»Waldvöglein, Sonnenscheinchen, wie hast Du mir heut wieder wohlgetan!«

Da leuchteten Walpurgas Augen strahlend auf.

»Eure Majestät waren zufrieden?« fragte sie leise, zaghaft, auf das Urteil wartend.

Da führte er stumm ihre Hand an seine Lippen.

Walpurga hätte laut aufjubeln und zugleich herzbrechend schluchzen mögen. Diese Huldigung des Königs erschütterte sie.

Aber sie sah, daß sich der König selbst fassen mußte. Das machte sie stark. Sie wurde wieder ruhig, aber ihr war zumute, als sei sie in der Kirche.

Endlich hatte sich der König gefaßt. Von seinem kleinen Finger zog er einen kostbaren Brillantring. Den steckte er Walpurga selbst an den Ringfinger der rechten Hand. Dabei sagte er ernst und gütig:

»Dieser Ring soll Dir alle Türen öffnen, wenn Du einmal ein Anliegen, eine Bitte an mich hast. Mein königliches Wort darauf, wo und wie ich mich auch befinde, schickst Du mir diesen Ring, dann darfst Du vor mir erscheinen und Deine Bitte vorbringen!«

In Walpurgas Gesicht zuckte die gewaltsam unterdrückte Erregung.

»Eure Majestät beschämen mich. Soviel habe ich Eurer Majestät zu danken, und immer größer wird meine Dankesschuld!«

Des Königs Gesicht nahm einen abweisenden Ausdruck an.

»Schweig' mir von Dank und Dankesschuld, ich will es nicht hören. Ein König feilscht nicht um seinen Dank!«

Walpurga sah ihn bittend an.

»Ich hab' auch nichts zu geben, als meine Lieder. Aber jeder Ton, der aus meiner Kehle quillt, soll Eurer Majestät geweiht sein!«

Da lächelte der König wieder. Als er aber dann in ihren Augen die schrankenlose Liebe und Verehrung gewahrte, erschütterte und erschreckte ihn dieser Ausdruck.

»Kind!« sagte er leise und sah sie an, als traue er seinen Augen nicht. Aber ihr junges Herz lag offen vor ihm, er wußte nun, das es ihm gehörte.

In väterlicher Güte küßte er schnell ihre Stirn. Dann trat er hastig zurück und winkte ihr, sich zu entfernen.

Lange stand er regungslos und sah ihr nach. Er fühlte, daß dieses Mädchen in tiefster Verehrung zu ihm aufblickte, und ihre Augen konnte er gar nicht wieder vergessen.

Walpurga wußte später nicht zu sagen, wie sie an diesem Abend nach Hause gekommen war.

Frau Doktor holte sie vom Opernhaus ab und merkte sehr wohl, wie erregt sie war.

»Sag' mir nur eins, Kind, dann will ich Dich nicht weiter quälen, bis Du von selber sprichst. Ist es gut gegangen?«

Walpurga nickte nur stumm und drückte die Hand ihrer mütterlichen Freundin.

Erst als sie daheim in einem gemütlichen Lehnstuhl saß, in ein bequemes, weiches Hausgewand gehüllt, und eine Tasse Tee getrunken hatte, die Frau Doktor sorglich für sie bereitet, da taute sie endlich auf.

Und lachend und weinend durcheinander, erzählte sie alles ausführlich und zeigte Frau Doktor den kostbaren Ring, der ihr alle Türen, die zum König führten, öffnen sollte.

Die alte Dame betrachtete mit ehrfürchtigen Gefühlen den Ring.

»Hüte ihn gut, Walpurga. So ein Zauberring, so ein »Sesam, tu Dich auf« ist wundertätig. Wer weiß, wie Du ihn einmal brauchen wirst!«

»O, ich glaube nicht, daß ich ihn je anwende. Freiwillig vergrößere ich meine Dankesschuld an den König nicht mehr!« sagte Walpurga eifrig.

Frau Doktor lächelte:

»Man soll nichts verreden, Kind. Aber jetzt gehst Du nun zu Bett und schläfst Dich gut aus. Morgen früh hast Du keine Probe. Das trifft sich gut. Du mußt frisch und gesund bleiben, und nach solchen Aufregungen wie heute braucht der Körper die Ruhe doppelt!«

Walpurga ließ sich lächelnd und willig zu Bett schicken. Schlaf fand sie noch lange nicht.

Die Glückseligkeit, daß sie den König zufriedengestellt hatte, zitterte noch in ihr nach. Und seinen Ring ließ sie nicht vom Finger. –

Wenige Tage später, am 11. Oktober, sang Walpurga vor dem König das Evchen in den »Meistersingern«. Und am 19. Oktober trat sie vor ihm als Sieglinde in der »Walküre« auf.

Wieder zog sie den König in ihren Bann durch ihre zaubermächtige Kunst.

Sie fühlte es, sah es in seinen Augen und empfand eine reine, hohe Freude darüber.

Noch einmal, als sie die Sieglinde gesungen hatte, ließ sie der König zu sich rufen.

»Kind,« sagte er, gütig lächelnd, »es ist, als müßte man gesund werden, wenn man Dich singen hört. Es ist, als gäbe es keine Qual mehr auf der Welt, Deine Töne tragen über alles hinweg!«

Da drückte Walpurga die Hand aufs Herz und sagte flehend:

»So gestatten mir Eure Majestät doch gütigst, daß ich nur allein für Eure Majestät singe. Ach, wie wollte ich singen, daß Eure Majestät nur noch gesund und froh sein sollten!«

Der König schüttelte wehmütig lächelnd den Kopf.

»Nein, nein, Du gehörst der Welt, Walpurga. Etwas so Köstliches darf ein Mensch nicht allein für sich behalten. Aber oft, sehr oft sollst Du mir vorsingen!«

Damit entließ er Walpurga mit freundlichem Gruß.

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