Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

8. Kapitel.
Wie Burgerl aufgenommen wurde


Als der Vater gegangen war, sah Burgerl einen Augenblick fassungslos nach der Tür.

Da nahm sie aber auch schon Frau Doktor an der Hand.

»Komm, Walpurga, nimm Deine Sachen, ich will Dich hinaufführen!« sagte sie gütig.

Walpurga faßte nach ihrem Bündelchen und schritt neben ihr die Treppe hinauf.

Auf dem breiten Korridor im zweiten Stock schwirrten eine Anzahl junger Mädchen, im Alter zwischen acht und fünfzehn Jahren, umher und schienen sich über irgend etwas zu belustigen.

Eine von ihnen hatte eben in spöttischer Weise Burgerls Ankunft glossiert.

Als nun die Vorsteherin mit Burgerl an der Hand erschien, blieben alle wie auf Kommando stehen. Neugierig und spöttisch sahen sie alle auf das kleine Bauernmädel mit dem Wäschebündelchen am Arm.

Burgerl faßte sich ein Herz, trotzdem ihr unter den spöttischen Blicken recht beklommen zumute war, und sagte höflich und freundlich:

»Grüß' Gott, Ihr lieben Kinderln!«

Die Zöglinge kicherten und stießen einander an, ohne den Gruß zu erwidern, und starrten Burgerl spöttisch an.

Frau Dr. Moritz ließ ihren Blick streng und mahnend über die Mädchenschar dahingleiten.

»Nun, habt Ihr nicht gehört, daß Ihr gegrüßt worden seid?« fragte sie ruhig.

Da machten einige beschämte Gesichter, andere sahen hochmütig und trotzig drein. Aber schließlich erwiderten sie doch alle zögernd Burgerls Gruß.

»Begebt Euch alle in das Arbeitszimmer, ich habe mit Euch zu reden!« sagte nun Frau Doktor kurz und bestimmt.

Da betraten sie alle einen großen, hellen Raum, in dem alle im Hause wohnenden Kinder ihre Schulaufgaben unter Aufsicht einer Lehrerin machen mußten.

Es standen einige lange Tafeln mit verschieden hohen Sitzen davor in diesem Raume, damit zugleich größere und kleinere Mädchen daran arbeiten konnten. Jede hatte hier ihren bestimmten Platz wie in einer Schulklasse.

In diesem Zimmer nun stellte Frau Dr. Moritz den neuen Zögling in aller Form vor.

»Ihr seht hier eine neue Mitschülerin und Mitpensionärin vor Euch. Sie heißt Walpurga Malwinger und ist die Tochter des Försters Malwinger!« sagte sie laut und deutlich.

Und zu Walpurga gewendet, fuhr sie gütig fort:

»Nun will ich Dir die Namen Deiner Mitschülerinnen nennen, Walpurga. Bei der Aeltesten werde ich anfangen und sie Dir dem Alter nach nennen. Ich sage Dir den vollen Namen einer jeden Pensionärin, Du brauchst Dir jedoch vorläufig nur die Vornamen zu merken!«

Und eines der Mädchen nacheinander bezeichnend, sagte sie:

»Dorothea von Hohenstein; Baroneß Franziska Hochberg; Johanna Kropphus; Ella von Schleiningen; Margarete von Hellborn; Baroneß Magda Fuchs; Lena Driebingen; Martha von Dollinger; Komtesse Fifi Hahnau!«

Burgerl schwirrte der Kopf, und sie suchte sich krampfhaft die Namen und die dazu gehörigen Gesichter einzuprägen.

Dorothea von Hohenstein und Baroneß Franziska Hochberg sahen schon fast erwachsen aus. Sie waren beide schon über fünfzehn Jahre alt, groß und schlankgewachsen und hatten beide dunkles Haar und dunkle, hochmütige Augen.

Johanna Kropphus und Ella von Schleiningen waren vierzehn Jahre alt. Johanna war ganz hellblond und hatte braune Augen, und Ella hatte rötliches Haar und graue Augen.

Dann kam Margarete von Hellborn, die dreizehn Jahre alt war, und die ein so liebes, sanftes Gesicht hatte und so freundliche blaue Augen, daß Burgerl immer wieder nach ihr hinschauen mußte. Margarete hatte schöne, braune Hängezöpfe und war groß und schlank gewachsen.

Baroneß Magda Fuchs und Lena Driebingen waren zwölf Jahre alt. Martha von Dollinger zehn Jahre und Komtesse Fifi Hahnau neun Jahre alt. Die letztere befand sich also in Walpurgas Alter, war aber viel kleiner und zierlicher als diese.

Mit dem besten Willen konnte sich Walpurga diese Namen nicht alle merken.

In ihrer kindlichen Unerfahrenheit machte es ihr auch gar keinen Eindruck, daß die meisten Mädchen aus adeliger Familie waren. Was wußte sie von Standesunterschieden.

Sie hätte sich gar nicht denken können, daß die meisten der Mädchen mit hochmütigem Stolz auf sie, die schlichte Försterstochter, herabblickten.

Hatte doch der König selbst lieb und gut mit ihr gesprochen und ohne Ueberhebung an ihres Vaters Tisch gesessen. Wie konnte sie da denken, daß sie diesen Mädchen zu gering erschien.

Daß man sie spöttisch und feindlich anblickte, fühlte sie wohl, aber sie wußte nicht, warum.

»'leicht mögen sie mich net, 'leicht g'fall i ihnen net!« dachte sie bekümmert und sah wieder wie hilfeflehend in Margarete von Hellborns freundliche Augen.

Bei jedem Namen, den ihr Frau Doktor genannt, hatte Walpurga der Trägerin desselben freundlich zugenickt, und als nun die Vorstellung zu Ende war, sagte sie treuherzig:

»Gelt, Ihr tut mir die Lieb' an und sagt mir im Anfang noch a wengerl, wie Ihr heißen tut, bis i mir Eure Namen all g'merkt hab'!«

Und lächelnd zur Vorsteherin aufblickend, fuhr sie fort:

»Weißt, liebe Frau, die da mit der weißen Haut und den braunen Zöpferln, die hat gar ein liebes G'schau, gelt, die is die beste von allen?«

Wieder kicherte es hell von allen Seiten, und Margarete, auf die Walpurga bei ihren letzten Worten gezeigt hatte, bekam vor Verlegenheit einen roten Kopf.

Burgerl wußte nicht, weshalb die Mädchen lachten. Sie hatte ja stets das Herz auf der Zunge und pflegte stets auszusprechen, was sie empfand.

Daß es damit nun ein Ende haben mußte, daß sie in Zukunft erst vorsichtig erwägen mußte, was sie sagen durfte oder nicht, das machte ihr nun Frau Dr. Moritz freundlich klar.

Sie sagte ihr auch, daß sie von ihr von nun an »Frau Doktor« genannt werden müsse, weil das die Höflichkeit erfordere.

Walpurga nickte seufzend.

»Is schon recht, Frau Doktor,« sagte sie gelehrig, »i will mir dös merken. Also i darf jetzt nimmer sagen, wenn mir etwas gut g'fallen tut, Du magst dös net leiden, Frau Doktor?«

Die Vorsteherin hätte wieder am liebsten das ganze liebreizende Persönchen in ihre Arme genommen und geküßt, obwohl sie sich sagte, daß es viel Mühe kosten würde, aus diesem naiven Naturkinde eine wohlerzogene, junge Dame zu machen.

Zart mußte man dabei zu Werke gehen, damit nicht die guten, wahrhaften Triebe in Walpurgas Seele dabei verkümmerten.

Keine leichte Arbeit würde es sein, dieses schlichte, naive Kind aus dem Volke zwischen all den oft schon recht altklugen, weltgewandten, aber oft auch nicht aufrichtigen Aristokratenkindern auf den richtigen Platz zu stellen, daß ihre Seele nicht Schaden nahm und daß sie auch nicht zu sehr unterdrückt wurde.

Im stillen mußte sich aber Frau Dr. Moritz darüber wundern, daß die kleine Walpurga sofort mit sicherem Blick diejenige unter den Pensionärinnen herausgefunden hatte, die am gutherzigsten und liebenswertesten war.

Frau Doktor wandte sich nun wieder mit einem ernsten Gesichtsausdruck an die Pensionärinnen und sagte:

»Liebe Kinder, Ihr wißt ja, daß es hier im Hause Sitte ist, daß Ihr immer zwei und zwei ein Zimmer bewohnt. Ich habe immer ein älteres und ein jüngeres Mädchen zusammengegeben, damit die älteren etwas auf die jüngeren achten. Wer von Euch großen Mädchen bewohnt jetzt ihr Zimmer allein? Ihr seid jetzt neun Pensionärinnen, fünf große und vier kleine, also wohnt eine große allein!«

Eine Weile war es still. Dann trat Franziska hervor und sagte, bereits mit einem abwehrenden Blick im Auge:

»Ich wohne allein, Frau Doktor!«

»So, also Du, Franziska? Nun, wie ist es, willst Du die kleine Walpurga als Zimmerkollegin aufnehmen?«

Die kleine Baronesse warf hochmütig den Kopf zurück.

»Es tut mir leid, Frau Doktor, aber – mit einer Försterstochter mag ich nicht zusammenwohnen. Meine Eltern sehen streng darauf, daß ich hier mit Standesgenossinnen zusammen bin. Sie würden es nicht erlauben, daß ich mit einem Bauernmädchen in einem Zimmer wohne!«

Frau Dr. Moritz preßte die Lippen zusammen. Sie kannte ihre Pensionärinnen ganz genau und hatte schon im voraus gewußt, daß es Schwierigkeiten machen würde, Walpurga unter ihre vornehmen Schülerinnen einzureihen. Aber des Königs Wille stand hinter ihr. Deshalb verlor sie den Mut nicht.

»Also Du weigerst Dich, Franziska? Nun, wie ist es dann mit Dir, Dorothea?« fragte sie.

»Ich wohne doch schon mit Fifi zusammen, Frau Doktor!« erwiderte diese hastig, froh, daß sie nicht in Frage kommen konnte.

»Und ich habe Magda in meinem Zimmer!« rief Johanna vorschnell.

»Und ich Lena!« bemerkte Ella ebenso hastig.

Frau Doktors Gesicht rötete sich vor Aerger.

Walpurga aber sah beklommen von einer zur anderen. Sie verstand das allerdings nicht, merkte nur, daß sie niemand haben mochte. Flehend blickte sie mit ihren sprechenden Augen in das Gesicht Margaretes. Diese bezwang ihre Verlegenheit und sagte freiwillig:

»Wenn Franziska mit Martha zusammenziehen wollte, könnte ich ja Walpurga in mein Zimmer nehmen, Frau Doktor!«

Frau Doktor atmete verstohlen auf. Sie war froh, kein Gewaltmittel anwenden zu müssen. Damit hätte sie Walpurgas Stellung noch mehr erschwert.

»Das ist brav von Dir, Margarete, es macht Deinem Herzen Ehre, ich freue mich über Dich!« sagte sie warm.

Margarete war ein sehr zartfühlendes Kind. Sie errötete unter diesem Lobe wieder jäh und schlug fast beschämt die Augen nieder. Frau Doktor war sehr zufrieden, daß sich diese Angelegenheit so geordnet hatte.

Margarete von Hellborn war eine Waise. Ihr Onkel und Vormund, der sie ihr übergeben hatte, war Junggeselle und kümmerte sich nicht mehr, als nötig war, um sein Mündel. Er würde ihr keine Schwierigkeiten machen, während die Eltern der übrigen Pensionärinnen doch vielleicht dagegen protestiert hätten, daß ihre Töchter mit dem schlichten Försterskind zusammen ein Zimmer bewohnten.

Daß Walpurga ein Schützling des Königs war und von ihm selbst gerade ihrem Institut überwiesen worden war, erwähnte die kluge Frau Doktor vorläufig mit Absicht noch nicht.

Das hob sie sich auf für eventuelle spätere Schwierigkeiten, denn sie wußte sehr wohl, was der Name des Königs auch bei den Hochmütigsten galt.

So wurde denn Walpurga zu ihrer großen Freude mit Margarete zusammengetan. Das Glück darüber strahlte aus ihren sprechenden Augen, aber sie sagte nichts, weil sie sich die mahnenden Worte der Frau Doktor wohl gemerkt hatte, daß man nicht alles sagen dürfe, was man empfinde.

Frau Doktor entließ nun vorläufig die anderen Kinder, nachdem sie ihnen noch einige gute Lehren über Verträglichkeit und Freundlichkeit gegeben hatte, und bat Margarete, ihr die beiden im Hause wohnenden Lehrerinnen, Miß Warrens und Mademoiselle Leportier, herbeizurufen.

Die beiden Damen folgten diesem Rufe schnell.

Miß Warrens, die englische, und Mademoiselle Leportier, die französische Lehrerin, versprachen ihrer Direktorin, Walpurga ihre besondere Fürsorge angedeihen zu lassen und darauf zu achten, daß die anderen Kinder sie nicht zu sehr unterdrückten.

Dann gab Frau Doktor dem Zimmermädchen noch Befehl, Margaretes Zimmer für Walpurga mit herzurichten und dafür Martha von Dollingers Sachen in Franziskas Zimmer zu schaffen.

So war Walpurga nun unter die Pensionärinnen eingereiht.

.


 << zurück weiter >>