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Elftes Kapitel

Es war Viertel nach zehn, als Barton Clark Sandersons Wohnung verließ, um sich um die Stelle zu bewerben. Anderthalb Stunden später entfernte er sich schon wieder von den Docks, wo er die schmucke Luxusjacht, die grade Proviant nahm, am Pier gefunden hatte. Er war keineswegs in gehobener Stimmung. Eine Vorahnung kommenden Unheils bedrückte ihn, und er wurde die Erinnerung an zwei böse stechende Augen in einem vierschrötigen brutalen Gesicht nicht los. Das war der Typ, der einem in bösen Träumen erscheinen konnte, und Adam Decker nicht der Mann, den man sich freiwillig zum Feind machte.

Die Sache gefällt mir nicht, dachte Clark bei sich. Es ist in jedem Fall eine verrückte Idee. Wie will denn Sanderson die Reise mitmachen. Es ist einfach ausgeschlossen!

Und doch sagte etwas in ihm, das stärker war als seine Skepsis, daß eine Sache, mit der Sanderson sich befaßte, aussichtsreich sei. Er war so in Gedanken versunken, daß er mehrere leere Taxis unbeachtet vorbeiließ.

Im Grund wußte Clark nur, daß Sanderson es auf den Schmuck der Ruth Vale abgesehen hatte, die als Deekers Ehrengast die Fahrt mitmachte. Wenige Minuten vorher hatte er die Filmdiva in ihrer ganzen Juwelenpracht gesehen. Gewiß, die Juwelen waren verlockend – aber er konnte sich trotzdem für die Sache nicht begeistern. Jedenfalls war er ziemlich verschnupft, daß Sanderson ihm nicht volles Vertrauen schenkte. Was konnte es für Gründe geben, die Dinge so geheim zu behandeln?

Clark winkte eine Taxi heran, gab dem Chauffeur die Adresse von Sandersons Wohnung und strengte auf der Fahrt seine Phantasie an, um den Plan zu durchschauen. Er überlegte, ob Sanderson vielleicht versuchen werde, sich auf der Jacht zu verstecken, verwarf den Gedanken aber sofort wieder aus zwei Gründen; zunächst erschien es ausgeschlossen, daß sich ein Mann wie Sanderson solcher Situation aussetzt, und dann bot ein kleines Schiff wie »Glückliche Tage« dazu auch keine Chance.

Clark hatte selbst einen Schlüssel zur Wohnung und brauchte nicht zu schellen. Als er die Bibliothek betrat, betrachtete ihn Sanderson einen Augenblick prüfend und machte eine Geste der Enttäuschung.

»Schief gegangen – natürlich. Hätt' mir's denken sollen. Ich hab' zuviel erwartet – aber ich hatte doch die Hoffnung, Sie würden's schaffen. Wie ich Sie an der Tür hörte, wußte ich schon Bescheid.« Er kniff die Lippen und legte die schmalen Finger mit den Spitzen aufeinander, wie er's zu tun pflegte, wenn er angestrengt nachdachte.

»Ich mach's doch«, rief er aus. »Es ist zu verlockend – ich kann's nicht auslassen. Wirklich, Barton – dann mach' ich die Sache eben allein.«

»Warum meinen Sie eigentlich, daß ich Pech hatte? Ich hab' doch nichts dergleichen gesagt.«

»Da braucht es gar nicht erst vieler Worte. Soviel Menschenkenntnis hab' ich. Und Sie sind noch zu jung, um sich so zu beherrschen. Wär' alles glatt gegangen, hätten Sie mich von der nächsten Telephonstelle aus angerufen. Und wie Sie ausschauen – einen halben Kilometer weit würden Sie strahlen, wenn Sie Erfolg gehabt hätten.«

»Aber es ist ja alles in Ordnung.« Barton Clark nahm Platz und zündete sich eine Zigarette an. »Ich fahre morgen mittag auf ›Glückliche Tage‹ mit. Aber mir gefällt die ganze Sache nicht, und darum schau' ich nicht vergnügt drein.«

»Und warum nicht?«

»Ich hab' Adam Decker gesehen.«

»Und was weiter?«

»Kurz gesagt, Decker wirkt auf mich wie ein rotes Tuch. Sie kennen ihn ja – so müssen Sie wissen, was ich meine.«

»Gewiß, weiß ich auch, Barton. Adam Decker wirkt, weiß Gott, abschreckend.«

»Der nimmt das nicht so ohne weiteres hin, wenn seine Gäste ausgeraubt werden. Und wenn sich's um Ruth Vale handelt, schon gar nicht. Ein Blinder kann sehen, daß der Mann völlig verrückt ist nach diesem Puppengesicht. Der gibt keine Ruh', bis er uns hinter Schloß und Riegel hat.«

»Mein Lieber«, sagte Sanderson mit leichtem Vorwurf, »meinen Sie vielleicht, der Mann soll auch nur einen Augenblick auf die Idee kommen, daß wir das geringste mit der Sache zu tun haben? Ich bin enttäuscht, daß Sie mir so was zutrauen.«

»Aber was haben Sie denn für Pläne?« fragte Clark ziemlich brüsk. »Warum diese Geheimniskrämerei? Natürlich, wenn Sie kein Vertrauen zu mir haben –«

»Unsinn! Das wissen Sie doch selbst am besten.« Anstatt Erklärungen zu geben, wich Sanderson aus. »Sie haben Ruth Vale gesehen? War sie wieder behängt wie gewöhnlich?«

»Allerdings. Sie scheint den Brillantenfimmel zu haben. Ich hab' mindestens sechs Armbänder an einem Handgelenk gezählt, von den Ringen zu schweigen. Das beste Stück war ein Brillantenkollier, das –«

»Weiß Bescheid«, sagte Sanderson ernst. »Sie hat's von Bertie Wingate. Der arme Teufel hat es mit Geld bezahlt, das seinem Bruder gehörte, und wie's zur Abrechnung kam, schoß er sich eine Kugel durch den Kopf. Eine habgierige Ratte, diese Ruth Vale. Aber erzählen Sie mir mal, wie die Sache verlief. Ich bin ja starr über Ihren Dusel.«

»Es war tatsächlich reiner Dusel. Ein Haufen Leute lief dem Kapitän Fisher die Bude ein. Eine Freifahrt nach dem sonnigen Süden wollten sie alle machen – aber ein gelernter Funker war nicht dabei. Ich bin's ja im Grund auch nicht, aber ich konnte dem Mann wenigstens was vormachen. Während ich grade vom Kapitän geprüft wurde, kam Decker mit Ruth Vale an Bord. Decker versteht ein bißchen was von Funktelegraphie und kann den Continental-Code entziffern. Er sah mir zu, schien befriedigt und wies Fisher an, mich zu engagieren. Meine Angelegenheit ist also in Ordnung – warum in Gottes Namen wollen Sie mir nun nicht erklären, wie Sie gedenken, bis morgen mittag auf ›Glückliche Tage‹ zu gelangen?«

Sanderson stand auf und legte Clark die Hand auf die Schulter.

»Ich bin nicht launisch, Barton. Wenn Sie mich erst besser kennen, werden Sie sehen, daß ich für alles meine guten Gründe hab', auch dafür, daß ich Sie bat, mich mit Fragen zu verschonen. Es ist reichlich spät, und ich wette, Sie haben noch nicht zu Mittag gegessen. Gehen Sie jetzt und kommen Sie in ein paar Stunden wieder. Seien Sie verständig.«

»Und Sie selbst?«

»Ich hab' genug zu tun mit meinen Vorbereitungen, um Sie auf ›Glückliche Tage‹ zu treffen«, erklärte Sanderson reichlich rätselhaft.

Clark fühlte sich schlecht behandelt und ging verärgert von dannen. Zerstreut suchte er ein Restaurant am Broadway auf und aß ohne Appetit. Dann besuchte er ein Kino, ohne auf das Programm zu achten. Erst als er drin war, bemerkte er, daß man »Witwen mit gebrochenem Herzen« gab, mit Ruth Vale in der Hauptrolle. Und dafür hatte er 35 Cent ausgegeben, um das Abenteuer von morgen einmal eine Stunde aus dem Kopf zu bekommen!

Um halb vier war er wieder in Sandersons Wohnung. Nogo, der neue Diener, erklärte, daß Sanderson weder nach Hause gekommen sei noch antelephoniert habe.

Es wurde vier – fünf. Die Zeit schleppte sich bis sechs Uhr hin. Kein Lebenszeichen von Sanderson. Die Kaminuhr zeigte fast sieben, als es an der Tür klingelte. Das konnte unmöglich der Hausherr sein, der öffnete mit seinem Schlüssel selbst. Nogo brachte ein Telegramm.

»Hier. Ein Telegramm für Mr. Clark.«

Hastig riß Clark die Depesche auf. Sie konnte nur von Sanderson sein. Er las:

Mr. Prather, Parkside Hotel, Zimmer 748 aufsuchen hat briefliche Anweisung für Sie. Genau befolgen. M. S.

Ärgerlich betrachtete Barton Clark das Telegramm. Was waren das wieder für neue Rätsel? Warum telegraphierte ihm Sanderson aus der Stadt, anstatt einfach anzurufen? Warum zog er einen Dritten zu? Wer zum Teufel war dieser Prather? Nie war bisher von dem Mann die Rede gewesen. »Ich hab' die ganze Geheimniskrämerei satt. Es ist einfach sinnlos. Ich hätte gute Lust, nicht hinzugehen.«

Aber selbstverständlich ging er doch. Er war ärgerlich und wütend, als er auf der Straße nicht sofort eine freie Taxi fand, tobte über das langsame Vorwärtskommen und erreichte nach einer halben Stunde, die ihm endlos schien, das Parkside Hotel, das übrigens nicht die geringste Aussicht auf irgend etwas Parkähnliches hatte.

In der Halle mußte er auf die telephonische Anmeldung warten. »Mr. Prather läßt bitten.«

Der Lift brachte ihn zum siebenten Stock. Er mußte zweimal klopfen, bis eine quäkende Stimme, die ihm mißfiel, »Herein« rief.

Er prallte gleich an der Tür zurück und schnappte nach Luft. Der Raum war von dem ordinärsten Tabaksqualm erfüllt, der ihm je in die Nase gestiegen. Ebensogut hätte man gemahlenen Gummi rauchen können, dachte Clark. Der Mann stand mitten im Zimmer und schaute ihn wie eine Eule durch dicke Brillengläser an.

»Machen Sie doch um Gottes willen ein Fenster auf«, jappte Clark. »Wie soll man denn hier atmen?«

»Mein Tabak gefällt Ihnen nicht?« grunzte der andere und zeigte ein Gebiß mit zahllosen Goldkronen. »Geschmacksache. – Also Sie sind Clark?« Er betrachtete ihn und schüttelte bedächtig den Kopf mit einem Ausdruck, als ob Clark seinen Erwartungen nicht entspräche.

Clark öffnete ein Fenster, sog die frische Luft ein und wandte sich Prather wieder zu. Er überlegte, ob er wohl einen Engländer vor sich habe. Sicher war der Anzug in London gearbeitet worden. Prather war groß und speckbäuchig, hatte eine unförmige Nase und brandrote Haare.

»Wir werden uns vertragen müssen, da uns nun einmal ein gemeinsamer Freund zusammen auf die Reise schickt. Allzuviel werden wir ja nicht miteinander zu tun haben an Bord, da ich zu den Gästen gehöre und Sie nur den Funkdienst besorgen.«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Clark zurück.

»Hoffentlich haben Sie nichts dagegen, Ihre Anweisungen von mir zu empfangen.« Prather zog einen Brief aus der Tasche. »Wie Sie sehen, ist das Sandersons ausdrücklicher Wunsch.«

In Clark empörte sich alles gegen diesen Mann, der ihm vom ersten Augenblick an ausgesprochen unsympathisch war. Er öffnete den Umschlag und bemerkte, daß die Gummierung noch feucht war. Das Schreiben zeigte Sandersons charakteristische Schriftzüge und lautete:

 

Lieber Bart!

Ich habe mich entschlossen, Mr. Prather mit Ihnen zusammen an Bord »Glückliche Tage« zu schicken. Sie werden in ihm einen Mann von Geistesgegenwart und Mut kennenlernen. Folgen Sie seinen Anweisungen wie meinen eigenen. Ich hoffe, Sie noch vor der Ausfahrt zu sehen. Beherrschen Sie inzwischen Ihre Neugier.

Eilig
Ihr Sanderson.

 

Das war alles andere als erfreulich. Clark betrachtete mißvergnügt das Blatt. Warum wurde dieser Prather von Sanderson restlos in alles eingeweiht und er selbst im dunkeln gelassen? Er konnte seine Empörung kaum meistern.

»Wer sind Sie eigentlich? Ich hatte bisher keine Ahnung von Ihrer Existenz.«

»Ist es nicht genug, wenn Mr. Sanderson für mich bürgt?«

»Ganz und gar nicht. Wo steckt Sanderson überhaupt? Warum schreibt er mir, anstatt mündlich mit mir zu sprechen?«

»Sanderson hat für alles seine guten Gründe.«

»Quatsch. Für diese Geheimniskrämerei gibt es keine Gründe. Sanderson ist noch vor wenigen Minuten hier bei Ihnen gewesen. Soviel ist sicher.«

»Und wieso wissen Sie das?« fragte Prather grinsend.

»Einmal, weil die Gummierung des Briefumschlags, den Sie mir eben gaben, noch feucht war. Außerdem rauchen Sie selbst Pfeife, hier im Aschenbecher aber sehe ich Zigarrenasche.«

»Ah – aha – ein scharfsichtiger junger Mann. Aber ich rate Ihnen, die Dinge zu nehmen, wie sie sind, ohne weitere Fragen zu stellen.«

»Fällt mir gar nicht ein«, schimpfte Clark. »Für was halten Sie mich eigentlich?«

Prather nahm gemütlich Platz und rauchte seine stinkende Pfeife weiter.

»Wollen Sie damit sagen, Clark, daß Sie sich weigern, Sandersons Weisungen zu folgen?«

»Sehr richtig. Ich werde nicht an Bord gehen, bevor ich Sanderson unter vier Augen gesprochen habe.«

»Trauen Sie mir vielleicht nicht? Es sollte Ihnen genügen, daß Sanderson mir restlos Vertrauen schenkt. Ich bin beispielsweise völlig orientiert über die – Rittenhouse-Affäre.«

Clark fuhr zusammen; es lief ihm eiskalt über den Rücken. War es denkbar, daß Sanderson einen Dritten in dieser Sache ins Vertrauen gezogen? Es schien völlig unglaubhaft. Vielleicht war dieser Prather ein Detektiv. Hatte wirklich Sanderson den Brief geschrieben, oder war es eine Fälschung? Wenn dies Rendez-vous im Hotel eine Falle war, die ihm die Polizei stellte! Die Zigarrenasche konnte auch von einem zweiten Detektiv herrühren, der sich jetzt als Zeuge des Gesprächs versteckt hielt.

Nein, das schien doch unmöglich. Wie hätte Prather, wenn er wirklich Detektiv war, von dem Plan mit Deckers Jacht wissen können! Aber schon schien ihm auch das klar. Diktograph! Wenn es – vielleicht durch Bestechung des japanischen Dieners – Detektiven gelungen war, einen Diktograph in die Wohnung zu praktizieren, dann konnte das Komplott wegen der Juwelen von Ruth Vale ohne weiteres abgehört worden sein.

Aber vorläufig war ja nichts Verbrecherisches geschehen. Vielleicht wurde Sanderson wegen des Einbruchs bei Rittenhouse gesucht – vielleicht war er schon verhaftet. Deswegen hatte er nicht in die Wohnung zurückkehren können – deswegen kein Telephonanruf, sondern schriftliche Nachricht. Die Handschrift läßt sich leichter nachahmen als die Stimme.

Von Sanderson kriegen sie kein Geständnis heraus, dachte Clark. Jetzt wollen sie's bei mir versuchen! Clark spannte innerlich alle Kräfte an, versuchte möglichst harmlos auszusehen und überlegte, wie er entfliehen könne. Prather war vermutlich bewaffnet, und sicherlich war noch jemand ganz in der Nähe, vielleicht im Badezimmer versteckt.

»Es ist mir völlig rätselhaft, wovon Sie eigentlich sprechen, Mr. Prather oder wie Sie sonst heißen.«

»O doch, Clark. Ich weiß ganz genau, daß Sie der Vogel sind, der mit der Rittenhouse-Beute davonflog.«

Die letzten Worte waren im Ton einer Anklage gesprochen worden, und Clark war nun seiner Sache völlig sicher. – Prather saß auf einem Stuhl gerade zwischen ihm und der Tür und grinste ihn mit seinen Goldzähnen an.

Wenn ich nur eine Waffe bei mir hätte, aber er hatte nichts als seine nackten Hände. Das sollte ihn nicht hindern. So viel war klar, daß der Detektiv Bescheid wußte. Das Spiel war aus. Entweder gelang ihm die Flucht, oder er würde auf der Polizei ins Kreuzverhör genommen werden.

Clark sprang auf und holte zum Schlag aus. So schnell er war – im nächsten Augenblick waren seine Handgelenke eisern umklammert und jede Bewegung ausgeschlossen.

»Genug der Komödie, Barton, ich wollte es eigentlich gar nicht so weit treiben. Aber geben Sie doch schon Ruhe, Sie Schafskopf – ich bin doch Sanderson.«


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