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Helen sah den Rajah nur während der Stunde, die er nach dem Mittagessen im Salon seiner Mutter verbrachte. Sie wechselten sehr wenig Worte miteinander. Wie am ersten Tage ging er in beständiger Unruhe von einem Diwan zum anderen; wo er aber auch im Zimmer war, beständig fühlte sie seine Augen auf sich, fühlte, wie sein Gemüt ihr mit einer seltsamen Kraft entgegenwogte. – Es war ihr herzlich zuwider, dennoch vermißte sie es, als er eines Nachmittags ausblieb.

Wenn sie allein in ihrem Zimmer war, wurde sie bisweilen von einer seltsamen Empfindung befallen, als ob sein Wesen sich ihr aufdrängte; es war wie gewitterschwangere Lust, eine seltsam anziehende und wärmende Kraft, der sie sich nicht zu entziehen vermochte. Wenn sie in der mächtigen Marmorkumme des Badezimmers lag und die kühlende Fontäne aus der Lotosblume in der Mitte der Kumme auf sich herabplätschern ließ, wurde der Eindruck seiner Gegenwart bisweilen so stark, daß sie über ihre Nacktheit errötete und ängstlich auf die Marmorwände blickte.

Sie bekämpfte dieses Gefühl aus aller Kraft, der Kampf selbst aber wirkte erregend. Bisweilen gab sie nach und ließ sich willenlos von der Kraft tragen, die um sie zusammenschlug, – wie eine Blume, dem Augenblick lebend, in glücklicher Unwissenheit von Vergangenheit und Zukunft, – bis sie erwachte, sich zusammennahm und sich selbst zu erklären versuchte, was in ihr vorging.

Er war in der Luft um sie her, er war in ihren Träumen, dennoch, das fühlte sie mit Bestimmtheit, war sie nicht in ihn verliebt. Sie mußte über sich selbst lächeln, wenn ihr der Gedanke kam, daß er Ralph aus ihrem Herzen verdrängen könnte. Ein mächtiger Wille erzwang sich ihre Aufmerksamkeit, das war alles.

Morgen für Morgen aber wurde sie von dem Duft der goldenen Rosen neben ihrem Bett geweckt. Häufig, wenn sie in ihrem Zimmer war, hörte sie Musik, und dann wußte sie, daß er es war, der ihr irgendwo im Palast etwas vorspielte, obgleich sie nie danach gefragt hatte. Jeden Tag, wenn sie nach dem Frühstück auf ihr Zimmer kam, um ihre Augen zu baden und in den heißesten und hellsten Stunden des Tages zu ruhen, stand eine Lehmkruke mit Sorbet auf ihrem Tisch; und jeden Tag war der Trank mit einem neuen Aroma gewürzt.

 

Es war ein sehr warmer Tag.

Helen ruhte auf dem Diwan, während die Kinder schliefen. Obgleich sie ihr Kleid ausgezogen und ihre übrige Bekleidung gelöst hatte, wurde sie von der Wärme gequält. Sie trank ein Glas nach dem anderen von dem würzigen Sorbet. Aber sie fühlte, daß sie immer durstiger wurde, je mehr sie trank; sie meinte sogar, daß der Sorbet ihr zu Kopf stiege, aber sie konnte nicht davon lassen, weil er lieblicher schmeckte und die Hitze größer war als je zuvor. Plötzlich bekam sie Lust, das Turmzimmer und die Bilder zu sehen. Die Tür war ja immer offen, wie die Rani gesagt hatte, und vielleicht war es dort kühler als hier.

Sie zog ihr Kleid an und ging hinauf. Sie legte sich auf den Diwan und betrachtete das Bild, während sie an die Worte des Sannyasi dachte und ihre Züge mit denen der Krondame verglich, als ob wirklich eine mystische Verbindung zwischen ihnen bestehe.

Freilich lächelte sie darüber, aber die Wärme und der Sorbet betäubten das Bewußtsein, so daß sie nach und nach die Beute ihrer Träume wurde, und nicht mehr davon loskommen konnte.

Als ihre Augen auf den Bolero fielen, gab sie einer plötzlichen Eingebung nach; sie zog ihre Taille aus und kleidete sich in das Kostüm der Krondame. Es paßte ihr über der Brust und in der Länge der Aermel.

Helen legte sich wieder auf den Diwan und gab sich willenlos dem wohligen Behagen eines Halbschlummers hin.

Hinter dem Wandteppich meinte sie die gedämpfte Musik der Odalisken zu hören, ihr Blick ruhte auf Schah Jehans stolzem Profil. Sie träumte, daß jetzt die Abendstunde da sei, wo er kommen und ihr seine Liebe zu Füßen legen würde.

Und sieh, der Vorhang glitt zur Seite, und dort stand der Schah, ihr Herr und Geliebter, in dem perlengestickten Kaftan, den er auf dem Bilde trug, die schweren Perlenketten um den kräftigen Hals.

Ihr Herz klopfte, sie wollte sich gegen das auflehnen, was Bild oder Wirklichkeit war, aber es war ihr nicht möglich. Erst als er sich ihr zu Füßen legte und ihre Hände ergriff, erwachte sie ganz. Sie sah den Puls an seinem Hals klopfen, und die Dunkelheit in seinen Augen war so voll von Unterwürfigkeit, daß sie den Mut fand zu bleiben.

»Geliebte,« flüsterte er mit einer Stimme, die von Erregung bebte, während seine heißen Hände die ihren umfaßten.

Ihre Augen wurden von seinen glühenden Lippen gefesselt, die unter der Spannung seines Gemüts bebten.

Seine Hand glitt liebkosend über den weichen Stoff des Boleros.

»Warum hast du dich damit bekleidet?«

Sie konnte nichts sagen, ihr Blick war wie festgezaubert an den seinen, ihr Gemüt an seinen Willen.

»Sieh,« sagte er und hob ihre Hand, während Glück seinen Mund umlächelte, »das ist die Hand, die ich liebte! – Jeder Zug um deinen Mund ruft eine Erinnerung in meiner Seele wach.«

Sein Blick versuchte in die unbewußten Tiefen ihres Innern zu dringen, um das Schlummernde zu wecken.

»Antworte mir und leugne nicht die Wahrheit! – Kennst du mich, Schah Jehan, deinen Herrn und Geliebten?«

Sie befand sich unter einem Zwang, den sie nicht zu brechen vermochte. Sie meinte, daß sie den Kopf schüttelte, aber es wurde nicht zur Wirklichkeit. Wieder ruhte sein Blick auf ihrer Hand, die er noch immer in der seinen hielt, und er begann ihr von seinem Schicksal zu erzählen.

»Vor drei Jahren begegnete ich dem heiligsten Mann Indiens in einem Banyanenhain bei Patna. Er wußte nicht, wer es war, der zu ihm kam. Kaum aber war sein Auge auf mich gefallen, als er sich verneigte und mich willkommen hieß. Mein Geschlecht stammt von Schah Jehan ab, das wußte er nicht. Als er mich aber sah, sagte er: ›Heil dir, Schah Jehan, du Edelgeborener, der du zurückgekehrt bist im Blut aus deinem Blut, im Fleisch aus deinem Fleisch, sieh, einst wirst du der begegnen, die du über den Tod hinaus liebtest. An dem Grabe, ja, an der Schwelle des Schlosses, das du ihr zum Andenken errichtetest, wirst du ihr entgegentreten.‹ Und es ist geschehen, wie er sagte.«

Er hielt inne, als zögerte er vor etwas, was er nicht zu sagen wagte. Kurz darauf aber fuhr er mit flüsternder Stimme fort:

»Ich bin Mitglied des Khosti, des Ordens der verborgenen Bande, der alle Führenden in Brahmas Ländern verbindet. Während ich mich in Bombay aufhielt, wurde ich zum Rat der Höchsten berufen. Dort erfuhr ich, daß zwei amerikanische Männer nach Indien gekommen seien, deren Spur man verfolgen, deren Weg man kennen wollte. Der eine reiste mit einer europäischen Dame, die ihn aber plötzlich in Colombo verlassen hatte, und da das junge Mädchen, das sich in ihrer Gesellschaft befand, gestorben war, sei sie weiter nach Agra und Benares gereist. Diese Städte stehen unter meiner heimlichen Aufsicht und ich bekam den Auftrag, daß ich ihren Spuren folgen sollte. Ich befand mich mit meiner Mutter auf dem Wege nach Karachi und mußte meine Reise unterbrechen und umkehren, ohne daß ich ihr den Grund sagen durfte. Ich war sehr verdrießlich darüber, aber wenn der Rat der Höchsten befiehlt, muß man gehorchen. So reiste ich denn nach Agra, erfuhr, wo die fremde Dame wohnte, und hörte, daß sie nachmittags nach Taj Mahal hinaus wollte. Ich begab mich mit meiner Mutter ebenfalls dorthin, um sie zu sehen, und meinen Dienern Befehle zu geben. Gleich als ich dich sah, wurde meine Seele von deinem Blick gerührt. Und als der Sannyasi verkündete, wer du seist, – sieh, da begriff ich, wie wundersam sich das Rad zu meinem Glück gedreht hatte, wie der Rat der Höchsten, der mich von meinem Wege abrief, um seinen Plänen zu dienen, das Werkzeug eines noch höheren Rates gewesen war, der vervollkommnete, was der Heilige in Patna vorausgesagt hatte.«

Sie wollte nach Ralph und seinem Schicksal fragen, wollte wissen, warum sein Weg von dem heimlichen Rat verfolgt wurde. Sie war aber so ergriffen von dem, was der Rajah von seinem eigenen Schicksal erzählte, war so benommen von seiner Versunkenheit, daß Ralph und ihre eigene Reise in den Schatten traten.

»Sieh,« sagte er und streckte die Hand aus, »diesen Turm ließ ich gleich nach der Begegnung mit dem Heiligen in Patna bauen, damit er bereit stünde, die Erwartete zu empfangen und die schlummernde Erinnerung in der Tiefe ihrer Seele zu wecken. Sieh, ich liege dir zu Füßen wie in ehemaligen Tagen – deine Züge sind verändert, aber ich erkenne das Licht deiner sanften Augen, das mir wie damals entgegenstrahlt – und ich sehe deine weißen Hände, die ich liebte, – und des Nachts, wenn ich nicht schlafen kann, erinnere ich mich der Küsse von deinen Lippen und fühle deine Arme um meinen Hals.«

Sie schloß die Augen und ließ sich dorthin treiben, wohin seine Worte sie führten. Unter dem Einfluß seines starken Willens nahmen unklare Liebesträume die Form von dunklen Erinnerungen an. Die Zeit stand still, es war, als ob ihre Seele sich aus den Umhüllungen von Jahrhunderten löste und mit dem Leben einer längst vergangenen Welt füllte.

Da fühlte sie seinen Arm um ihre Taille, seinen heißen Atem auf ihrem Gesicht. Sie erwachte, stieß ihn von sich und sprang auf. Indem sie den Bolero von sich warf, eilte sie hinaus – als sie sich in der Tür umwandte, sah sie, wie er die Arme nach ihr ausstreckte und hörte seinen stöhnenden Seufzer.

Sie aß auf ihrem Zimmer. Abends, als sie sich entkleidete, flammte die Erinnerung an Schehanna, die seit dem Morgen, als sie in das Märchen eintrat, in ihrem Herzen geschlafen hatte, so heftig in ihrem Gemüt auf, daß sie weinen mußte. Sie durchlebte die letzte Nacht im Krankenhaus und suchte die Halskette hervor, die Schehanna ihr zur Erinnerung geschenkt hatte. Sie sah Dasturan Dastur vor sich und lauschte jedem Wort, das er gesagt hatte. Und als sie schließlich zu Bett gegangen war, schlief sie mit dem Vorsatz ein, daß sie am nächsten Tage abreisen wollte.

Das Tageslicht und die Rosen weckten sie. Die kleinen Mädchen saßen im Bett und zwitscherten wie Vögel. Das Mädchen begleitete sie wie gewöhnlich zum Bade; und als der Gong zum Frühstück erklang, hatten die Ereignisse des gestrigen Tages ihre Farbe gewechselt.

Was war denn geschehen? Sie hatte sich von ihren Träumen fortreißen lassen – ob nicht der Sorbet schuld daran gewesen war? Jetzt lachte sie über ihre Angst, daß der Rajah Ralph aus ihrem Herzen verdrängen könne. Sie hatte von seinem blonden Kopf geträumt und fühlte, daß sie nicht im geringsten in den Rajah verliebt sei, sondern nur neugieriges Mitleid mit der tiefen Verwirrung seines beweglichen Gemütes empfände.

Trotzdem sagte sie der Rani, daß sie abreisen wollte. Als sie aber sah, wie weh sie ihr damit tat – sie fragte Helen, was ihr Mißfallen geweckt habe, und bat sie, ihr nur zu sagen, was sie wünsche, und es solle erfüllt werden, – da hatte sie nicht das Herz, sie zu kränken. Sie sagte, daß sie nicht auf unbestimmte Zeit so große Gastfreundschaft annehmen könnte; die Rani aber schüttelte verständnislos den Kopf und erklärte, daß Helens Augen erst gesund werden müßten, bevor sie daran denken könnte, den Palast zu verlassen. So beschloß Helen denn zu bleiben, gelobte sich selbst aber, den Turm nicht wieder zu betreten.

 

Die Tage vergingen, der eine wie der andere. Die Kinder liebten die Rani; sie durften sich zwischen den Kissen in ihrem Salon tummeln, soviel sie wollten. Sie spielte mit ihnen, zeigte ihnen Bilder, die auf Seide gestickt waren, wundersame Figuren aus Elfenbein geschnitzt und kunstfertige Schachteln, die ineinander paßten und von denen die kleinste nicht größer als ein Stecknadelkopf war. Helen badete ihre Augen, die Rani behandelte sie täglich. Die Schmerzanfälle wurden seltener, aber auch die Wärme nahm täglich zu – und Helen schauderte beim Gedanken an die sonnendurchglühten Eisenbahnzüge und den Staub der weißen Ebene.

Der Rajah hatte sich mehrere Tage nicht im Salon seiner Mutter sehen lassen. Das einzige, was Helen von ihm gemerkt hatte, war der Morgengruß der Rosen, der Sorbet und das gedämpfte Zitherspiel, das sie in den toten Stunden des Tages in Schlaf wiegte.

Eines Nachmittags aber stand er wieder im Salon, verneigte sich schweigend vor ihr, antwortete einsilbig und ging von Diwan zu Diwan, wie sonst; obgleich sie ihm den Rücken zukehrte, konnte sie fühlen, wo er sich im Zimmer befand.

Die Rosen fuhren fort, ihre stumme Sprache zu reden. Wenn Helen in der Mittagsstunde auf dem Diwan ruhte, schlich die gedämpfte Musik sich durch Türen und Wände und drängte ihr sein Wesen auf. Die Wärme erschlaffte ihre Widerstandskraft. Sie sah das Bild der Krondame vor sich und glitt in ihr Reich, wie an jenem Tage im Turmzimmer. Sie sah den Rajah zu ihren Füßen, fühlte seine Hand auf der ihren, hörte seine leidenschaftlich flüsternde Stimme, merkte den heißen Atem seines Mundes auf ihrer Wange, das Zittern seiner Hände um ihre Taille – und richtete sich beschämt auf, um kurz darauf, von der Wärme erschlafft, von neuem in erregende Träume zu versinken. Sie hörte ihn von seinen schlaflosen Nächten flüstern und ertappte sich errötend darauf, daß sie die Geschichte dieser Nächte kennen zu lernen wünschte.

Die Sonne, die auf dem Palast brannte, brachte ihr Blut zum Glühen; und aus der Glut stiegen Bilder auf, vor denen sie errötete und von denen sie sich doch nicht freimachen konnte. Sie schossen wie Blumen in einem Treibhausbeet in ihrem Gemüt in die Höhe; sie war ihrer ebensowenig Herr, wie sie Herr war über Hunger und Durst, Einfall und Laune. Sie erinnerte sich der heißen Tage an Bord; sie erinnerte sich des Tanzes in jener Nacht, als Ralphs Arm um ihrer Taille lag, als sein Blick sie plötzlich an sich zog, und sie die Augen schloß, überwältigt von Glück und gleichzeitig von Schmerz und Angst, während es in ihrem Herzen flüsterte: »Nur diese eine Nacht.« Sie rief die Erinnerung an Schehanna zum Schutz in sich wach. Der reine Blick aber war nicht mehr in ihrem Herzen. – Sie suchte das Licht, das Dasturan Dasturs Worte in ihrer Seele entzündet hatten – aber es schien nicht mehr. Jetzt gleite ich der Dunkelheit in die Arme, dachte sie. Da aber flammte das Blut trotzig in ihr auf. Sie warf sich vor, daß sie damals, von Aberglauben geschreckt, Ralph aus ihrem Leben verstoßen hatte, träumte davon, daß sie ihn aufsuchen und zurückrufen wollte. »Ich bin dein – dein!« – Und er würde kommen, koste es was es wolle.

Ach, er war so fern. Die Leidenschaft des Rajahs aber war über ihr sowohl Tag wie Nacht; die heiße Luft, die Schweißperlen auf ihrer Schläfe hervortrieb, wenn sie auch ganz unbeweglich lag, wurde zu dem heißen Hauch seines Atems. Ist Liebesglück etwas Böses? dachte sie, und seltsam genug schob sich das Bild des Rajahs vor Ralphs. Die funkelnde Dunkelheit seiner Augen verdrängte die hellen Augen aus ihrem Gemüt, obgleich ihr Herz seufzte: begnüge dich nicht – verliere dich nicht um deiner Sinne willen!

War der Rajah verheiratet? – Sie ahnte es nicht. Sie hatte nie danach gefragt. Hier im Palast waren jedenfalls keine anderen Frauen als seine Mutter und deren Dienerschaft. Eines Tages, als die Rani von den Gärten erzählte, fragte Helen, wo sie lägen, und erfuhr, daß der Zenana des Rajahs außerhalb der Stadt in einem großen Garten läge. Helen wußte, daß Zenana Frauenwohnung bedeutete, – also sein Harem. Sie bat, ob sie die Gärten sehen dürfte, und die Rani fuhr am nächsten Tag mit ihr dorthin.

Hinter einer hohen Mauer lag ein alter Garten, dessen Bäume ein rotes Gebäude mit vielen vergitterten Fenstern umschlossen. Das Tor wurde von einem riesengroßen Eingeborenen mit flachen Lippen und breiter Nase geöffnet. Unter seiner niedrigen Stirn lagen die trüben Augen in tiefen Höhlen; er schleppte seine Glieder, als seien alle Knochen in seinem trägen Körper gebrochen.

Helen begriff, daß es der Eunuch sei, der das Frauenhaus bewachte. Er verneigte sich tief vor der Rani, maß Helen mit einem Lächeln, das sie schaudern machte, sie wußte selbst nicht warum, und ging ihnen voran durch einen schattigen Garten, wo große Pfauen auf den roten Kieswegen spazierten und kleine indische Tauben in den hohen Feigenbäumen girrten.

Sie kamen an einem Springbrunnen vorbei, wo künstlicher Regen aus einem Leitungsnetz in die Höhe geschleudert wurde und auf Lotosblumen aus Marmor in einem runden Bassin herabfiel.

Helen setzte sich einen Augenblick auf den Rand des Bassins und ließ ihre heißen Backen von der Kühle des Regens überstäuben.

Sie schritten unter einem Laubdach von Schlinggewächsen, die sich gegen eiserne Bögen stützten. Plötzlich fiel ein Staubregen von dem Laub herab, und Helen sah, daß die eisernen Bögen Leitungsrohre mit kleinen Löchern besaßen, woraus das Wasser in einer kühlenden Brause über die Spazierenden herabstäubte.

Vor dem Hause lag ein großer Rasen, der von allen Seiten mit dichtem Gebüsch umgeben war. Dort waren viele Frauen, die auf ihren Besuch warteten. Sie saßen auf weichen Teppichen im Schatten eines Banyanbaumes, die Beine unter sich gekreuzt, den Rücken gegen die weißgrauen Säulenwurzeln gestützt. Die meisten waren jung, die älteren unter ihnen waren zurückhaltend, als schämten sie sich ihres Alters. Sie waren mit seidengestickten, bunten Kaftanen bekleidet und hatten goldgestickte Saffianpantoffeln an den nackten Füßen. An den Armen hatten sie Schlangenreifen von Gold und Silber und schwere Armringe. Die Finger strotzten von edlen Steinen, und an den Fußgelenken trugen sie schwere, gedrehte Silberreifen. Das Haar fiel glatt und lang vom Scheitel über Schläfe und Ohren, während der Hinterkopf von einem herabhängenden, seidenen Schal bedeckt war.

Als die Rani und Helen kamen, erhoben sich die Frauen und grüßten. Die Rajahmutter ging durch die Reihen und sagte dieser und jener einige Worte – Helen sah, daß es die jüngsten und hübschesten waren – dann nahm sie Helen bei der Hand und stellte sie mit wenigen feierlich klingenden Worten vor, die Helen nicht verstand. Die Frauen verneigten sich jetzt auch vor ihr und Helen versuchte sie auf dieselbe Weise zu grüßen.

Eine trat aus der Reihe vor, sie war sehr schön, klein, aber vollkommen harmonisch gebaut. Mit einem Lächeln, das die schönste Perlenreihe von Zähnen entblößte, die Helen je gesehen hatte, breitete sie einen Teppich über den gepflegten Rasen, legte ein prachtvolles Seidenkissen darauf und lud Helen zum Sitzen ein, mit einer einschmeichelnden Bewegung ihrer kurzen, weichen Hände, die halb geschlossen waren, wie spielende Katzenpfötchen.

Helen setzte sich, und während die Rani eine höfliche Unterhaltung mit den Schönen führte, hatte sie Gelegenheit, sie näher zu betrachten.

Ueppig und träge waren alle, ihre Glieder waren nicht gewohnt, sich zu bewegen, alles was sie taten – und wenn sie auch nur an ihrem Kopftuch nestelten – geschah auf eine seltsam gleitende, fast schleichende Weise; Helen erschien es wie eine Mischung von Vornehmheit und Verhätschelung. Sie hatte den Eindruck, als ob sich hinter den stechenden Blicken, hinter dem unbeweglichen, seelenlosen Lächeln, das sie alle zur Schau trugen, ein heftiger Unwille gegen die Fremde ihres eigenen Geschlechts verbarg. Bei den Jüngsten war der Neid in den Augenwinkeln unverkennbar. Als Helen sah, wie sie sie heimlich musterten, weniger ihre Kleidung als ihre Brust, ihre Hüften, Lippen und Hände, da erkannte sie mit einer plötzlichen Klarheit, – die ihr mehr von den Gefühlen des Rajahs erzählte als alles andere, was sie bisher gesehen und gehört hatte, – daß diese Frauen in ihr eine Rivalin sahen, die sie aus der Gunst ihres Herrn verdrängt hatte, daß sie die Favoritin war, die ihnen die Nächte geraubt, die bisher zwischen ihnen geteilt gewesen waren. Wenn sie es gekonnt hätten, würden sie sie sicher getötet haben.

Eine von ihnen nahm eine dreisaitige Zither und spielte der Fremden etwas vor, eine andere sang mit einschmeichelnder Stimme und zärtlich zugedrückten Augen ein Liebeslied dazu. Eine der älteren Frauen reichte eine goldene Schale herum, worin klebrige indische Süßigkeiten waren, die nach aufreizenden Parfüms dufteten. Eine andere ging herum und schenkte kühlen Sorbet aus einer Lehmkruke, ähnlich wie den, den Helen jeden Tag in ihrem Zimmer fand.

Das Ganze dauerte eine Viertelstunde. Dann erhob sich die Rani, sagte wieder einige feierlich klingende Worte in singendem Ton, denen die Frauen mit niedergeschlagenen Augen lauschten. Die Rani lächelte jeder einzelnen zu und berührte die Stirn der Vornehmsten mit ihrer Hand, worauf diese die Hand von ihrer Stirn nahm und sie ehrerbietig gegen ihre Lippen drückte.

Helen tat wie die Rani und nickte und lächelte jeder einzelnen zu. Als sie schließlich auf europäische Weise der Vornehmsten die Hand reichte, verneigte diese sich zum Gruß, stolperte aber im selben Augenblick über das Kissen, so daß ihre Hand einen Augenblick auf Helens Brust ruhte.

Helen trat zurück, als ob sie einen elektrischen Schlag bekommen hätte; denn in dem tastenden Verweilen der Hand merkte sie die eifersüchtige Untersuchung einer Rivalin, sie begriff, daß das Stolpern absichtlich gewesen war, und auch ihre Augen glitten jetzt zum Vergleich über die andere Frau. Sie sah in der Oeffnung des Kaftans hinter der strammen Jacke, die indische Frauen auf dem Körper tragen, eine schön gerundete, feste Brust.

Als sie wieder im Wagen saßen, fragte Helen vorsichtig:

»Gibt es Kinder im Zenana?«

Die Rani zuckte die Achseln, als ob sie sagen wollte:

»Wie könnten solche Kinder empfangen?«

 

Helen lag lange wach und grübelte über das, was sie erlebt hatte.

Sie sah die leeren Augen, das tote Lächeln und dachte: das ist also das Glück des Begehrens, das ist die Frucht, wenn Liebe so unentbehrlich geworden ist, wie Essen und Trinken. Das war also der Geschmack des Rajahs, in all diesem hatte er bisher gelebt; sie dachte mit Schaudern daran, daß die Lust auf diese Weise Wesen ihres eigenen Geschlechts zu Sklaven der Launen eines Mannes machen konnte, so daß sie sich um die Liebkosungen, die er ihnen hinwarf, rissen.

Ein tiefer Widerwille ergriff sie. Sie schämte sich ihrer Träume. Nein, es war nicht Liebe, sich von den Flammen des Blutes in heißen Tagen locken zu lassen. Niemals, niemals konnte sie einem Mann angehören, wenn ihre Seele nicht einverstanden war, sie konnte sich nur hingeben, wenn sie eine andere Seele voll und ganz dafür erhielt.

* * *


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