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Anekdoten.


1.
Das Geisterschloß.

Hellmuth's, des Dorfrichters Wohnung, hatte sich mit Kirmesgästen gefüllt. Die Alten saßen am Tisch bei Kuchen und Bier, und sprachen von Welthändeln und nahrlosen Zeiten; das junge Völkchen schwärmte in der Stube herum, und vertrieb sich die Zeit mit muntern geselligen Spielen. Man hatte Fenster und Thüren fest vermacht, denn es war schon dunkler Abend, und der Hauswirth meinte, die ausgebliebenen Gäste scheuen sich vor dem Nachtfrost und dem herbstlichen Sturmwind, der draußen mit Schneegestöber und Graupelwetter sauste, und in den Strohdächern des Dorfes wühlte.

Da pocht' es noch spät an Thür und Laden.

Das wird Matthes seyn – sagte der Richter – ich dacht' es wol, daß der nicht ausbleibt.

Zugleich rief er Röschen, die eben den Kirmesbauer neckte, aus dem Spiel, und schickte sie fort, dem Klopfenden zu öffnen. Tummle dich! rief er drohend, als sie etwas verdrüßlich zögerte. Wer weiß denn, wer es ist, Vater! wendete sie halb weinerlich ein, aber der Vater führte sie mit Ernst zu der Thüre: der Bräutigam ist's, entgegnete er streng, und du wirst ihm sogleich aufmachen. Röschen schlich mit hängendem Köpfchen hinaus, aber sie kam bald munter zurück, und führte den alten Klaus, ihren Pathen, in das Zimmer.

Willkommen, Gevatter! willkommen! rief Hellmuth dem eintretenden Greise freundlich entgegen, ob er gleich seine Erwartung getäuscht sah. Ihr habt lange pochen müssen, die eigensinnige Dirn wollte nicht aufmachen. Schmält sie nur aus.

Hätt' ich nur gewußt, daß es der Pathe war – flüsterte Röschen.

Ja, denkt nur – setzte Vater Hellmuth erhitzt hinzu – ich glaubte doch es wär Matthes, ihr Bräutigam, und dem wollte sie nicht aufmachen. Aber ich will's ihr schon lernen!

Was? – fiel Klaus ein – ist denn der Matthes noch nicht hier? Hört, das ist mir ein kalter Bräutigam! Da müßt ihr die Tochter nicht schelten, wenn sie nicht gleich ihm entgegenläuft. Hab' ich alter Siebenziger mich doch auf den Weg gemacht, und habe mich weder vor dem Sturm gefürchtet, noch vor dem Spuk im alten Schlosse, wo ich nahe vorbei muß.

Es soll neulich wieder Leute dort bethört haben – sagte einer von den Gästen.

Ich habe mir auch davon erzählen lassen – setzte Hellmuth hinzu – Habt Ihr nichts gemerkt, Gevatter?

Ich muß euch sagen – erwiderte Klaus – ich halte eigentlich wenig von solchen Geschichten, gewöhnlich ist's Einbildung oder gar Betrug. Aber zu Nacht grauset michs doch. Man wird die Furcht nicht los, man mag sich darüber vorschwatzen was man will. Am Ende thut es auch nichts. Wenn Einer auf rechten Wegen geht, da kann ihm kein Bethörniß etwas anhaben. Vorhin, als ich bei jenem alten Schloß vorbeiging, da heult' und pfiff es drin; es war sicher der Wind, aber mich schauderte doch, und es überlief mich eiskalt. Ich sah mich vor Furcht überall um, und kam darüber vom Weg' ab, der Wind blies mir das Schneegestöber ins Gesicht, und ich fühlte in der Dunkelheit, daß ich in dichte Gebüsche gerathen war, da doch an der Straße nichts von Buschwerk steht. Endlich, wie der Mond einmal aus den Wolken trat, sah ich, daß ich mitten in dem alten Schloßgemäuer war. Ich hatte Noth, mich wieder auf den Weg zu finden, aber außer dem bischen Furcht und Schreck hat es mir nichts geschadet.

Ihr könnt von Glück sagen, Nachbar Klaus – sagte ein andrer Kirmesgast – In solchen alten verfallenen Gebäuden ist es mein Tage nicht geheuer. Es wär' manches davon zu erzählen. Wie ist es denn dem Edelmann in Birkenfeld gegangen! Ihr wart ja dabei, als es Matthes neulich erzählte.

Klaus konnte sich nicht besinnen, und die Andren, welche die Geschichte kannten, meinten, so Etwas höre sich schon zweimal an. Jener fuhr also fort:

Der Edelmann war einmal in die Stadt geritten, und hatte sich verspätigt, daß es finstrer Abend ward, eh' er nach Haus kam. Nun führt der Weg dort bei einer alten verfallenen Kapelle vorüber, wo vielleicht auch Todte begraben liegen mögen. Wie der Edelmann in die Gegend kommt, so wird er ein Licht in dem alten Mauerwerk gewahr. Das befremdet ihn, er steigt vom Pferde, und will nachsehn, was das zu bedeuten hat. Wie er aber näher kommt, sieht er, daß drei Gestalten wie Todte in Sterbekleidern aus der Erde steigen und auf ihn loskommen. Da mag ihn nun doch bei dem Anblick der Muth verlassen, er steigt geschwind wieder auf, gibt dem Pferde die Sporen, und jagt zu, was das Pferd laufen kann. Er hat sich aber von dem Schreck kaum etwas erholt gehabt, da sieht er die drei Gespenster nur wenig Schritte vor ihm hergehn, und nun mag er gerad aus, oder seitwärts reiten, so wird er dieses Geleitet nicht los, bis er in den Edelhof einreitet, und ihm die Leute mit Licht entgegen kommen. Er hat aber anfangs der Edelfrau nichts erzählen wollen, ob sie gleich ihn sehr gebeten, weil sie an seinem verstörten Ansehn gleich gemerkt hatte, daß ihn etwas auf der Reise bethört haben müsse. Endlich aber, wie er sich zeitig zur Ruhe gelegt, hören ihm die Leute auf einmal ganz ängstlich um Hülfe schreien, und wie sie nun alle zulaufen, da erzählt er, was ihm bei der Kapelle begegnet war, und daß eben jetzt die Gespenster wieder bei ihm gewesen wären. Diesesmal aber hätten sie sich die Erde von den Händen gekratzt und ihm in die Augen geworfen, daß er fast blind davon sei. Daraus merkten nun Alle, wie jene Erdgespenster ihrem Herrn nichts anders andeuten wollten, als daß er bald die Augen schließen und in der Erde liegen sollte. Und so hat es sich auch hernach begeben, denn in drei Tagen ist der Edelmann gestorben, und hat keine Arznei bei ihm angeschlagen. Die drei Tage nämlich hatten die drei Gespenster bedeutet.

Klaus hatte aufmerksam zugehört. Als der Erzähler geendigt hatte, sprach Jener: Eure Historie von dem Edelmann habe ich zwar nicht von Matthesen gehört, ich erinnre mich aber, daß ich sie schon in der Schule in einem alten kuriosen Buche gelesen habe. Da hatte sie sich aber mit einem spanischen Herrn zugetragen, und die Gespenster hatten auch nicht die Tage bedeutet, denn der Edelmann sollte am siebenten Tage erst gestorben seyn. So geht es mit solchen Historien immer. Jeder, der sie weiter erzählt, setzt etwas zu.

Da seht ihr's Vater – rief Röschen – daß der Matthes ein Lügner ist! Mir wollt ihr es niemals glauben, da hört ihr es doch vom Pathen selbst.

Nun – erwiderte Klaus freundlich – wenn du sonst nichts gegen Matthes hast, das kannst du ihm hingehen lassen. Ihr nennt ihn ja immer einen halben Gelehrten; die ganzen machen es noch schlimmer.

Nein, nein! – rief Röschen nun ärgerlich – redet mir nicht auch zu! Ich kann einmal den Matthes nicht nehmen, es mag mir gehn wie Gott will.

Vater Hellmuth ward aufgebracht, und bestand um so mehr auf seinem Willen. Die Gäste suchten ihn zu besänftigen, und viele, die dem Matthes nicht recht gewogen schienen, traten auf Röschens Seite. Klaus stellte dem Vater ernsthaft vor, daß Zwang in Heirathssachen niemals gut thue. Allein dieser blieb dabei, gegen Matthes lasse sich nichts einwenden, er habe ein hübsches Vermögen, das sich bei ihm zusehens, wie durch einen besondern Segen vermehre, dabei sei er weit und breit bekannt, und man könne nicht wissen, was noch aus ihm werde, besonders jetzt in Kriegszeiten. Eine Zigeunerin habe ihm schon prophezeiht, daß er auf einen hohen Posten werde gestellt werden. Alle Mädchen im Dorfe würden es für ein Glück achten, aber Röschen sei ihm nur entgegen, weil sie sich in den Jägerburschen Felix verliebt habe.

Man stritt sich noch einige Zeit herum. Röschen weinte und die Heiterkeit war gestört. Da vermißte Klaus ein zusammengebundenes Tuch, das er mitgebracht haben wollte. Alles ward durchsucht, aber man fand nichts. Der alte Mann ward unruhig. Es ist der ganze Martinszins von meinem Dorfe drinnen, sagt' er, ich wollt' euch bitten, Nachbar Hellmuth, ihn morgen dem Schösser zu geben. Es ist nicht anders möglich, wenn das Tuch nicht hier ist, so muß ich es vorhin bei dem alten Schlosse verloren haben.

Er wollte hinaus und das Verlorne suchen. Alle hielten ihn zurück und stellten ihm die Gefahr vor bei seinem Alter in der stürmischen Nacht. Haben muß ich's, sagt' er, ich könnte den Schaden nicht ersetzen, ich besinne mich auch, es muß nahe bei dem runden Thurme liegen, denn da braucht' ich beide Hände, mich durch das Gesträuch zu winden, und hab' es gewiß in der Angst und Furcht fallen lassen.

Nein, ihr dürft nicht gehn – rief Röschen, als der alte Klaus nach der Mütze griff. Es ist ja nicht weit, ich laufe geschwind und bring es euch.

Klaus wollt' es nicht zugeben. Die Gäste machten bedenkliche Mienen, und meinten, es sei Vorwitz, in der Nacht sich an einen so verrufenen Ort zu wagen. Aber Röschen lachte sie aus. Bin ich doch – sagte sie – schon oft bei Nachtzeit über den Kirchhof gelaufen. Wer auf rechten Wegen geht, meint Pathe Klaus, dem kann kein Bethörniß etwas anhaben, und ich gehe nicht auf unrechten Wegen. Damit nahm sie schnell die Laterne und eilte hinaus.

Die meisten Gäste rühmten nun den Muth des raschen Mädchens, einige aber tadelten ihren Frevel, wie sie den nächtlichen Ausflug nannten. Klaus war von der Gutmüthigkeit Röschens gerührt, und sprach ernst und kräftig mit ihrem Vater, daß er sie nicht gegen ihre Neigung zwingen möchte, Felix sei ein braver Bursch, der allgemein das beste Lob habe und gewiß sein Auskommen finden werde. Hellmuth stimmte ihm bei, meinte aber, er habe dem Matthes einmal sein Wort gegeben, und über dieses sei der Felix ganz arm, die Dienste aber im Lande schlecht, so daß ein Einzelner kaum als ehrlicher Mann leben könne, und noch weniger mit Frau und Kindern.

Ich hätt' es dem Felix gegönnt – sagte einer von den Gästen – wenn er den großen Diebstahl entdeckt hätte, wo Fünfhundert Thaler Belohnung drauf gesetzt sind. Das hat nun den Straßenbereitern geglückt.

Haben sie endlich die Diebe – fragte Klaus.

Der Sprecher erzählte nun wie die Straßenbereiter vor kurzem ein paar Reisende eingebracht hätten, die jenes Diebstals verdächtig und beinah ganz überwiesen wären, nur fehlte es noch an ihrem Eingeständniß.

Viel Mühe hat sich der Felix gegeben sagte Klaus – Er dauert mich. Nun, vielleicht glückt es ihm auf eine andre Art.

Während dieser Gespräche trat Felix ein. Er sah sich überall nach Röschen um und fragte endlich schüchtern nach ihr. Man hatte über dem angelegentlichen Gespräch ihr langes Ausbleiben nicht beachtet. Jetzt wurde man aufmerksam. Es wird ihr doch nichts widerfahren seyn – sagte Klaus ängstlich und wollte aufstehen. Felix erhielt kaum einige Antwort auf seine dringenden Fragen, indem hörte man heftige Schläge an Thüre und Fensterladen. Man eilte hinaus und öffnete. Todtenbleich und athemlos stürzte Röschen herein, ein Bild des tödtlichen Schreckens, und sank sogleich ohnmächtig zu Boden.

Der Wind verlöschte ihre Laterne bei den ersten Schritten aus dem Hause. Gleichwohl setzte das muthige Mädchen ihren Weg bei dem spärlichen Mondlicht fort. Sie fand auch glücklich die von dem Alten bezeichnete Stelle. Indem sie aber im Dunkeln nach dem Verlornen suchte, und im Begriff war, es aus dem Gestripp loszumachen, kam es ihr vor, als hörte sie ein Geräusch von Tritten. Sie erschrak heftig, und alle Erzählungen von den Geistern in dem alten Schlosse, gestalteten sich vor ihren Augen zu furchtbaren Schreckbildern. Sie fand auch bald, daß keine leere Einbildung sie getäuscht hatte. Das Geräusch näherte sich und bald sah sie deutlich den Mondstral auf zwei schwarze Figuren fallen, die einen Leichnam bei ihr vorübertrugen. Der Wind wehte ein Tuch, womit der Körper leicht überdeckt war, nach ihr zu, und sie erblickte große blutige Wunden an Kopf und Brust des Todten. Fast bewußtlos griff sie nach dem Tuche, das sie zurückbringen wollte, und von Schrecken und Furcht gejagt, floh sie, ohne zurückzublicken, nach der väterlichen Wohnung.

Mit Mühe hatten die Anwesenden die unzusammenhängende Erzählung von Röschen erfragt, und sie machten nun daraus eine Auslegung auf bevorstehendes großes Sterben durch Pest und Seuchen. Aber Felix ergriff behend sein Gewehr. Schämt euch, sprach er, das sind keine Gespenster, das sind Mörder und Räuber. Wer keine Memme ist, der kommt mit mir.

Es hatte aber keiner das Herz den muthigen Felix zu begleiten. Er machte sich allein auf den Weg, und fand die beiden gespenstischen Todtengräber noch in voller Arbeit den Leichnam zu verscharren. Halt! – rief er ihnen mit kräftiger Stimme und mit angelegtem Gewehre zu – daß keiner sich rühre! – Die Gräber erschraken, einer wollte entfliehen, als er aber auf den wiederholten Zuruf nicht stand, schoß Felix auf ihn. Ein lauter Schrei des Getroffenen nahm dem Andern allen Muth. Er bat um Gnade, versprach alles zu bekennen und folgte dem Jäger in das Dorf.

Hier hatten sich indessen alle Einwohner bei dem Richter versammelt, und Röschen mußte jedem ihr Abenteuer wiederholen. Da trat Felix mit seinem Gefangenen ein. Dieser sollte zuförderst seinen Gefährten nennen, mit dessen Verfolgung Felix sich nicht aufgehalten hatte, aber die erste Bestürzung war vorüber, der Räuber versuchte der Sache eine vortheilhafte Wendung zu geben und wollte den Entflohenen nicht nennen. Bald indessen brachten einige mitleidige Wanderer einen Verwundeten, den sie auf der Straße gefunden und in das Dorf begleitet hatten. Alle, selbst Felix und Röschen waren vor Erstaunen außer sich, als der Verwundete hereingeführt wurde, und sie Matthesen erkannten. Er konnte sein Verbrechen nicht läugnen, und das Tuch, das Röschen in der Bestürzung statt des Verlornen ergriffen hatte, zeugte noch mehr wider ihn, denn es enthielt den Namen des beraubten und ermordeten Kaufmanns, dessen Angehörige jenen hohen Preis auf die Entdeckung den Räuber gesetzt hatten.

Alle Gespenstererscheinungen in den Ruinen des alten Schlosses waren nun aufgeklärt. Bei der Nachsuchung fand sich, daß dieser verrufene Ort schon lange den Räubern gedient hatte, Raub und Mordthaten darin zu verbergen. Felix erhielt nicht allein den versprochenen Preis für die Entdeckung des Raubes, sondern die verdächtigen Reisenden, deren Unschuld nun offenbar geworden war, beschenkten ihn ebenfalls so reichlich, daß er bald sein geliebtes Röschen zum Altar führen konnte. An Matthes aber ward die Zigeunerprophezeihung von dem hohen Posten, in einem andern Sinn, als er sich gewünscht hatte, erfüllt.


2.
Der Geisterruf.

Der schöne Frühlingstag hatte Julien mit ihren Freundinnen auf das Land gelockt. Daß doch unsre Antonie uns nicht begleiten konnte! riefen sie einstimmig bei jedem neuen Reiz, mit welchem die erwachende Natur ihren Blicken entgegen kam. Sie gewöhnt sich zu zärtlich, sagte Meta, wem soll die herrliche, kräftige Frühlingsluft schaden. Ich kann mir den Frühling nicht anders denken, als wie einen recht lebenslustigen muntern Jungen, so eine Art von Amor, aber weder so schwärmerisch noch so schelmisch, sondern recht aus Herzensgrunde frisch und froh. Sagt mir einmal, ob ein Veilchen oder so ein niedliches Krokusblümchen aufblühen würde, wenn es sich so verzärteln wollte. Ist's nicht wahr, Grünewald?

Eins vor dem Andern, Mamsellchen – erwiderte der Gärtner. – Wenn ich zum Exempel die Orangerie aus dem Hause nehmen wollte, vor Pankratius und Servatius, da würd' ich übel ankommen. Erfriert doch jetzt noch manch Krokusblümchen in den kalten Nächten. Ja, so ein Adonis, der verträgt Frost und Schnee, und blüht darum nur rüstiger.

Die Mädchen kicherten. Merk dir die Lehre – sagte Julie – ich will's Antonien auch stecken, die hält ihren Adonis viel zu warm.

Das haben Sie nicht nöthig – fuhr der Gärtner mißverstehend fort – er wird nur gern faul, wenn man ihn zu sehr hätschelt.

Im Ernst – sagte Julie, als sie weiter gingen – ich glaube, Antonie ist mehr des Grillenfängers wegen zu Haus geblieben, als wegen ihres Kopfwehs, wiewol sie gewiß zu den zarten Blumen gehört, die nur unter dem Schutz zweier Heiligen sicher in die Welt treten. Der Mensch mag recht brav seyn, aber so ein zartes Wesen, wie Antonie, versteht er nicht zu behandeln.

Mein Mann wär' er nicht, fügte Cäcilie hinzu – Ich begreife nicht, wie Antonie so an ihm hängen kann.

Mir machen die beiden Leute manche trübe Stunde – erwiderte Julie – Ich wette, Antonie liebt ihn nicht, und ihr schwärmerisches Hingeben ist nichts als eine Ueberspannung ihres Gefühles. Sie zwingt sich zu dieser Liebe, und ich sehe nicht, wie ein solches Verhältnis anders als höchst traurig für sie enden kann.

Wer zwingt sie denn aber? – fragte Meta – ist es denn nicht ihre eigene Wahl?

Freilich zwingt sie niemand – versetzte Julie mit einem Seufzer. Ist denn aber das nur Zwang, wenn ein Vater oder ein Vormund poltert und peiniget? Ihr kennet Beide Antonien so gut als ich. Sie fühlt sich an Normann gebunden, weil sie glaubt ihn lieben zu müssen, weil sie einmal ihn geliebt hat, vielleicht auch nur sich eingebildet hat, ihn zu lieben.

Ich glaubte – verbesserte Cäcilie – sie habe einem Sterbenden ihr Wort darauf gegeben.

Auch dieses – bejahte Julie – doch, wie ich Antonien kenne, wär dieß nicht einmal nöthig, und sie würde sich dennoch an Normann gebunden fühlen. Sie glaubt in der flüchtigen Neigung zu ihm, ein Verbrechen an ihrer ersten Liebe begangen zu haben, das sie nun durch ewig duldende Anhänglichkeit abbüßen muß.

Gesteht nur aber – fiel Meta ungeduldig ein – daß Antonie ihre Schwärmerei doch wahrlich zu weit treibt. Kein Mensch wird solche Aufopferungen von ihr fordern. Wer kann verlangen, daß sie um eines vorübergehenden Wohlgefallens willen, das sie an einem Manne findet, sich nun diesem hingeben, und sich um Jugend, Frohsinn und ein ganzes Leben bringen soll? Ich dürfte nicht an ihrer Stelle seyn. Mit einem beherzten Entschluß wollt' ich mich bald aus dieser peinlichen Lage reißen.

Wir thäten es wol alle, liebe Meta – versetzte Julie – wenn wir in Antoniens Lage wären, ohne zugleich Antonie selbst zu seyn. Bedenke aber nur, daß sich dann auch unsere Lage wahrscheinlich nach uns selbst gebildet hätte, und wir also nicht in den Fall kommen könnten, in Antoniens Lage, unserm Charakter und unserem Temperament nach zu handeln. Es geht hier auch, wie der Gärtner vorhin von den Blumen sagte. Wenn ich Rose wär, denkt vielleicht der Krokus, wie wollt' ich in den ersten schönen Frühlingstagen mit den Aepfelblüten wetteifern! Wenn er aber Rose wär, so macht' er es eben wie die Rose, und verhüllte die weiche Knospe. Ich fühle, daß ich nicht handeln könnte, wie Antonie, aber ich finde ihre Zartheit – ja, wenn ich sage höchst liebenswürdig, so sag' ich viel zu wenig. Ihr Charakter ist ein lebendiger Harmonikaton; ich möchte nicht, daß jedes Instrument eine Harmonika wär, ist sie aber deswegen nicht etwas höchst vortreffliches, und fast überirdisches?

Darum spielt auch Antonie die Harmonika so himmlisch – sagte Cäcilie – Aber sie macht sich jetzt so selten damit. Ich glaube wol in einem Jahre hab' ich keinen Ton von ihr gehört.

So geht mir's auch – fiel Julie ein – und Allen. Seit ihr Ewald gestorben ist, bitt' ich sie vergebens um das kleinste Lied. Sie vertröstet mich immer, und verspricht mir, ich solle sie wieder spielen hören, aber sie schiebt es von einer Zeit zur andern auf. Neulich sollte sie mir mir eine Stelle vorspielen, mit der ich nicht fertig werden konnte, auch das schlug sie mir ab.

Vielleicht macht es sie zu wehmüthig – entgegnete Cäcilie – ich vermeide darum auch immer, mit ihr von Ewald zu sprechen, aber deswegen bin ich auch selbst noch sehr im Dunkeln über dieses Verhältnis. Du könntest uns Aufschluß darüber geben, Julie, wenn es kein Geheimniß ist.

Ewald – fing Julie an zu erzählen – war meiner Einsicht nach so wenig ein Mann für unsre Antonie, als Normann. Jener glich ihr mehr an Zartheit, aber es fehlte ihm gerade die Festigkeit, auf die ein so ätherisches Wesen, wie Antonie, sich muß stützen können, um glücklich zu seyn, und dieser Mangel verursachte auch die traurige Wendung in Antoniens Schicksal, Sie liebten sich beide, ich möchte sagen, nicht wie Menschen, sondern wie Geister, und spannten gegenseitig ihr Gefühl und ihre Fantasie zu solcher Höhe, daß wenigstens Ewald, dem diese Exaltation vielleicht weniger natürlich war, als Antonien, zuweilen zu schwindeln schien. In diesem Zustand lernte Normann, Ewalds Universitätsfreund, Antonien kennen, und die heftigste Liebe folgte bald der Bekanntschaft. Antonie mag vielleicht auch eine flüchtige Neigung für Normann empfunden haben, indessen lebte sie zu sehr in ihrem Ewald, und ich bin überzeugt, daß sie für jenen nichts als recht wohlwollende Freundschaft und Achtung gefühlt hat, die auch niemand seinem festen Charakter versagen kann. Ewald bemerkte bald Normanns Liebe; er glaubte auch in Antonien eine verborgene Leidenschaft für diesen zu sehn, und in seiner Ueberspannung, die überdieß durch eine Krankheit erhöht wurde, beschloß er, für seinen Freund der Geliebten zu entsagen. Er schrieb einen höchst schwärmerischen Brief an beide, verfiel darauf in Wahnsinn, und beschleunigte wahrscheinlich seinen Tod durch übermäßigen Gebrauch starker Mittel. Bei seinem Ende war Antonie und Normann gegenwärtig, und hier legte der Sterbende, vielleicht mit Bewußtseyn, vielleicht auch in verworrener Fantasie, beider Hände in einander, dann bat er Antonien um ein Lied auf der Harmonika, und während ihres Spiels verschied er. Darum mag sie wol seit der Zeit ungern dies Instrument spielen, das sie an den Tod ihres Geliebten erinnert.

Du mußt uns aber heute etwas spielen – sagten beide Mädchen. – Drinn im Hause steht eine Harmonika, und der Abend wird ohnedies bald in dem Garten zu feucht und zu kühl.

Julie versprach es, und die drei Freundinnen schwärmten noch ein paarmal durch den Garten, und eilten dann in den Saal, den ein flackerndes Kaminfeuer wärmte und aufhellte.

Kein Licht, kein Licht – rief Meta, als ein Diener Licht brachte – das Feuer im Kamin ist gerade genug, und die Harmonika hört sich am besten im Dunkeln!

Dabei setzten sich die beiden Mädchen in ein entferntes Sofa, und rückten im Dunkeln dicht an einander, während Julie das Instrument öffnete und die nöthigen Vorbereitungen zum Spiele machte.

Man sollte die optischen Geistererscheinungen allemal mit Harmonikatönen einleiten – sagte Cäcilie – schon die Vorbereitungen, ehe man noch einen Ton zu hören bekommt, machen einem bang. Das Geflister des Schwamms auf den Glocken und das matte Blinkeln des Glases, wenn das Licht sich darauf spiegelt, alles ist wie Vorboten, daß nun etwas fremdartiges eintreten solle.

Julie griff den ersten Ton. Sie ließ ihn langsam anschwellen, und vereinigte nach und nach mit ihm die Töne des vollstimmigen Akkordes. Jetzt sprangen mit einem lauten Schrei beide Mädchen vom Sofa auf.

Die Spielerin sah sich um, und wollte schmälen, aber Vetter Arnold, der, um nicht zu stören, leise eingetreten war, besänftigte sie, und beide Mädchen, die ihn für ein Gespenst angesehn hatten, wurden tüchtig ausgelacht.

Nun – sagte Arnold – wird man auch von Ihnen, schöne Julie, wie von Antonien erzählen, daß Harmonikaspiel die Geister heranziehe. Zum Glück sind die Geister, die Sie herbeizaubern, nicht so gespenstischer Natur, als Antoniens.

Antoniens? – wiederholte Julie – Was bedeutet das?

Ich verbürge es nicht – erwiderte Arnold – man sagt sich aber ins Ohr, wenn Antonie Harmonika spiele, trete ein Schatten zu ihr und seufze.

Gewiß Ewalds Schatten! rief Meta.

Das weiß ich nicht – antwortete Jener – wahrscheinlich aber Ewalds so wenig, als irgend eines Andern. Indessen klingt das Märchen allerliebst, dem geistigen Harmonikaton könnte man schon eine solche anziehende Kraft gegen Geister zutrauen.

Besonders wie Antonie ihn behandelt – setzte Julie hinzu – Ihr Ton ist gleichsam noch ein geistigerer Klang als der geistige Harmonikaton an sich. Er ist, so zu sagen, ganz entkörpert, und scheint aus einer fremden Weit herüberzuklingen. Ich wenigstens habe ihn von niemand außer ihr so gehört.

So sprechen alle – versetzte Arnold mit Galanterie – die das Glück gehabt haben die schöne Julie zu hören. Darf ich bitten?

Er deutete hierbei auf die noch offene Harmonika.

Heute nicht – sagte Julie – Sie haben mich furchtsam gemacht mit Ihrer Erzählung von dem Schatten bei Antoniens Harmonika. Und sonderbar ist es, daß Antonie seit einiger Zeit durchaus nicht zum Spielen zu bewegen ist.

So? – fiel Arnold ein – Ich hörte doch, daß sie eben heut Abend einem Zirkel von Normanns Freunden diesen Genuß zugesagt habe.

Unmöglich! rief Julie – Oder der fühllose Mensch hat das arme nachgiebige Geschöpf mit seinem Eigensinn so lang gequält. Die arme Antonie! Nicht einmal heut, wo sie ohnedieß Schmerzen fühlt, schont er sie.

Arnold und die Mädchen führten Julien wieder zur Harmonika, und baten, sie möchte spielen.

Ihr quält mich – sagte diese – ich setze mich wahrhaftig mit einer Furcht an das Instrument, als rief ich selbst Geister damit herbei, und wenn ich denke, daß Antonie vielleicht eben jetzt mit einem Herzen voll Wehmuth sich an die Harmonika setzt, und vergebens um Schonung ihrer Schmerzen bittet, so überfällt mich eine Angst, daß mir die Hände zittern und der Fußtritt stockt. Ich werde euch mit meinem Spiel schlecht erbauen.

Sie fing einen ernsten Satz an, mit langausgehaltenen Tönen, die in dem weiten leeren Gartensaal wunderbar widerhallten. Dann wollte sie in einem Kirchenchoral übergehen, aber es war als könnte sie den rechten Gesang nicht finden, denn sie bewegte sich nur in ähnlichen Melodien, ohne die gewöhnliche festzuhalten.

Cäcilie erinnerte dieses.

Ich weiß es wohl – sagte Julie – Antonie spielte diesen Choral oft, aber ich fürchte mich heut vor der Melodie, wiewol sie mir vom frühen Morgen an immer vor dem Gehör tönt. Ueberhaupt mag es nun gut seyn.

Sie endigte stark und stand auf.

Wie schön es in diesem Saale aushallt! rief Cäcilie.

Was ist das? fragte Julie zusammenschaudernd.

Die Glocken hallten noch immer zitternd nach. Es war als würde der Ton vom Wind herangeweht; er schwoll leise an und verhallte flüsternd.

Gott im Himmel! – schrie Julie laut auf – Antoniens Töne, ihr Choral! die Harmonika klingt von selbst.

Der Nachhall verklang in einer leisen vorüberschwebenden Melodie. Julie sank ohnmächtig in die Arme ihrer Freundinnen. Sie blieb, als sie sich erholt hatte, dabei, die Harmonika habe von selbst Antoniens Lieblingschoral gespielt, bei dessen Klang Ewald verschieden sey. Die andern hatten einen ungewöhnlichen Nachhall der Glocken und eine Art von Melodie gehört, aber in der Bestürzung über Juliens Ausruf hatten sie die fremdartigen Töne nicht genau genug unterschieden. Arnold behauptete, eine Aeolsharfe, welche in dem obern Stockwerk aufgestellt war, habe getönt, aber bei der Untersuchung fanden sich die Saiten zerrissen.

Man fuhr nun in banger Unruhe nach der Stadt. Julie, so schwach sie vom Schreck war, eilte sogleich zu Antonien. Die Ahndung hatte nicht getäuscht. Antonie hatte den dringenden Bitten nicht widerstehen können; sie hatte den Choral gespielt, den Julie so sorgfältig vermied. Bei dem zweiten Vers war sie mit einem leisen Schrei zusammengesunken, und keine Bemühungen hatten sie dem Leben zurückrufen können.

Normannen wollte man schon einige Minuten früher, in heftigem Entsetzen nach einer nahen Thüre haben hinstarren sehen, allein, ehe noch die Anwesenden ihn fragen konnten, hatte Antoniens Zufall die Aufmerksamkeit von ihm ab, und allein auf die Sterbende gelenkt. Späterhin suchte er allen Fragen darüber auszuweichen; man hielt aber allgemein dafür, daß die fremde Gewalt, die Antonien aus dem Leben rief, ihm nicht unbemerkt geblieben sei.


3.
Der Todtentanz.

In das schlesische Städtchen Neisse, am Flusse gleiches Namens gelegen, wanderte – so erzählt die alte Chronik – vor langen Jahren ein alter Musikant mit seiner Sackpfeife ein. Er lebte schlecht und recht, blies Anfangs sein Stückchen einsam für sich, aber weil die Nachbarn ihm gern zuhörten, und sich in stillen Nächten unter seinem Fenster versammelten, wenn er oben schalmeite, so macht' er bald Bekanntschaft, war wohl gelitten und beliebt bei Alt und Jung, und ging mit seiner Kunst mehr zu Weine als nach Brot. Die jungen Stutzer, die erst unter seinem Fenster gehorcht hatten, führten ihn jetzt unter die Fenster ihrer Herzgeliebten, ließen ihn zärtliche Weisen aufspielen und kommentirten seine Serenaten mit Seufzern und Geberden; die Hausväter riefen ihn zu ihren Gastereien, und es hätte keine Hochzeit im Städtlein können gefeiert werden, ohne daß Meister Wilibald den Brautreihen dazu geblasen hätte. Zu diesem vornehmlich hatt' er eine recht innige Weise erfunden, in der Ernst und Scherz, Liebliches und Mühseliges, als in einem Vorspiele des ehelichen Lebens wechselten und sich ablöseten, und es hat sich davon eine, wiewol nur schwache Spur in dem alten deutschen Großvatertanz erhalten, ohne welchen noch zu unsrer Väter Zeiten keine Hochzeit begangen wurde. Wenn er diese Weise anhob, so schlug die sprödeste Schöne den Tanz nicht ab, die gebückteste Matrone regte noch einmal die Füße, und die silberhaarigen Großväter dreheten sich mit den blühenden Enkelinnen im Kreise umher, daher denn auch dieser Tanz, weil er die alten Väter verjüngte, erst scherzweise und dann allgemein der Großvater genannt wurde.

Meister Wilibald hatte aber noch einen jungen Menschen bei sich, der ein Maler war, und für des alten Sackpfeifers Sohn oder Pflegsohn galt. An diesem wollte die frohe Kunst des Alten nicht anschlagen. Er blieb schweres Muthes bei den lustigsten Weisen, welche dieser ihn vorbließ, tanzte auch bei den Gelagen, wozu er oft geladen wurde, nur selten, trat vielmehr stumm in einen Winkel, und starrte die holdseligste Tänzerin an, traute sich aber gleichwol nicht sie anzureden oder ihr die Hand zum Tanze zu bieten, denn der Stadtvogt, ihr Vater, war ein harter störriger Mann, der seine Würde im Städtchen verletzt glaubte, wenn ein ungraduirter Maler nach seiner Tochter ein Auge gerichtet hätte. Die schöne junge Emma hingegen dachte hierin nicht ihrem Vater gleich, sie war dem jungen Maler hold, und hielt ihm zu Gefallen ihr bewegliches Köpfchen oft eine Zeitlang still, wenn sie merkte, daß Wido im Verborgenen lauschte, um ihre Gesichtszüge heimlich aufzufassen. Dann erröthete sie wol, wenn sie in seinen Blicken den stummen Dank las, und wendete sich weg, aber die Gluth auf ihren Wangen entzündete nur ein neues Feuer der Liebe und des Verlangens in Wido's des Malers Herzen.

Pfeifer Wilibald hatte dem liebekranken Jüngling lange seine Hülfe versprochen. – Bald wollt' er dem Stadtvogt als ein zweiter Oberon und Papageno so lang mit seiner Tanzmusik zusetzen, bis er vor Erschöpfung das Beste verspräch, nämlich die Tochter zu Wido's Braut. Bald wollt' er, wie ein neuer Orpheus mit seiner Musik, die Braut aus der Hölle des väterlichen Verschlusses entführen, aber Wido hatte immer Einwendungen, wollte dem Vater seiner Schönen kein Herzleid anthun, und meinte vielmehr ihn durch Ausdauer und Gefälligkeit für sich zu gewinnen. Du bist ein Geck, sagte dann Wilibald, wenn du hoffst einen reichen stolzen Narren für ein ehrliches, menschliches Gefühl, wie deine Liebe ist, zu gewinnen, der fügt sich nicht, du wirst es sehen, ohne ein paar von den Plagen Egypti. Hast du nur erst die Braut, und kann er das Geschehene nicht lindern, so wirst du sehen, daß er freundlich wird. Ich bin ein Thor gewesen, daß ich dir versprochen habe, nichts ohne deinen Willen zu thun, aber der Tod macht quit, und ich helfe dir doch noch auf meine Art.

Maler Wido war indessen nicht der einzige in dem Städtchen, welchem der Stadtvogt Steine und Dornen in den Lebensweg warf. Die ganze Bürgerschaft war ihrem Oberhaupte wenig gewogen, und hatte schon mehrmals versucht, in Ernst und Schimpf ihm mancherlei Tort anzuthun, denn er strafte die Bürger oft um geringen Muthwillen mit hartem Gehorsam, wenn sie nicht durch reichliche Bußen sich zu lösen vermochten, und nach dem jährlichen Wein-Markt im Jenner mußten sie gewöhnlich für die gehabte Kurzweil den ganzen Jahrmarktsgewinn zu Rathhaus und in die Stadtvogtei tragen. Einsmals als der Neissische Despot ihre Geduld zu hart prüfte, riß auch der letzte Faden. Die Bürger rotteten sich zusammen, und ängstigten ihren Peiniger bis zum Tode, denn sie droheten nichts geringers, als sein Haus anzuzünden, und den Stadtvogt mit allem Gewinn seiner Bedrückung darin zu verbrennen. Da trat Wido zu Meister Wilibald und sprach: Alter Freund, jetzt ist es an der Stunde, wo eure Kunst mir helfen kann, wie ihr es mir oft angeboten habt. Sind eure Töne so wirksam als ihr behauptet, so geht und befreiet den Stadtvogt, indem ihr die zornigen Gemüther beschwichtiget. Er wird euch zum Lohn gewiß alles bieten, was ihr begehrt, dann sprecht ein Wort zu seiner Zeit für mich und meine Liebe, und verlangt meine Emma zum Lohn für eure Hülfe. Der Pfeifer lachte über die Rede, und sagte: man muß schon den Kinder den Willen thun, daß sie nicht schreien. Damit nahm er seine Sackpfeife und ging langsam auf den Markt, wo das Volk mit Spießen und Stengen, Fackeln und Pechkränzen vor dem Hause des Stadtvogts lärmte und auf die Thüre Sturm lief.

Hier stellte sich Meister Wilibald als eine Säule und fing gar lieblich seinen Großvater zu blasen an; und kaum erklang diese Lieblingsweise der gesammten Bürgerschaft, da heiterten sich die erbitterten Gesichter auf; die Augbraunen entwölkten sich, Spieße und Pechkränze entsanken den grimmig aufgehobnen Fäusten, und die wilden Sturmläufer marschirten im gemessenen Menuettschritte nach dem Takte. Endlich tanzte der ganze Haufen und der Markt mit seinem Tumult war in einen frohen Tanzplatz verwandelt. Der Pfeifer zog nun mit seiner Zaubersackpfeife vorwärts durch alle Straßen, der ganze Zug folgte ihm nach, und jeder Bürger ging tanzend in sein Haus zurück, das er noch vor kurzem mit ganz andern Absichten verlassen hatte.

Der gerettete Stadtvogt wußte nun seines Dankes gegen Meister Wilibald kein Ende und versprach ihm zum Lohn was er nur bitten würde, und wenn es die Hälfte seiner Habe war. Der Pfeifer lachte dazu, meinte, so hoch woll' er gar nicht hinaus, brauche auch für seine Person nichts von zeitlichem Gut, weil aber der gestrenge Herr sein Wort gegeben, und ihm geheissen, er solle etwas bitten, so wolle er geziemend um die Hand der schönen Emma für seinen Wido ansuchen.

Das gefiel nun dem Stadtvogt sehr übel. Er machte Winkelzüge und Flausen allerlei Art, und weil ihm Meister Sackpfeife sein Versprechen vorrückte, so machte er es, wie es die Machthaber in jenen finstern Zeiten zu machen pflegten; er fand seine Würde beleidigt, erklärte den Meister Sackpfeifer für einen Störenfried und Feind bürgerlicher Ordnung, und gab ihm in dem Stockhause Zeit die Versprechungen des Bürgeroberhauptes zu vergessen. Dabei beschuldigte er ihn der Zauberei und machte ihm einen peinlichen Proceß, als sei er niemand anders, als der berüchtigte Hamelische Pfeifer und Rattenfänger, der dort die Kinder und hier die Erwachsenen nach seiner Pfeife habe tanzen lassen.

Durch diese Vorspiegelungen wendete der Stadtvogt alle mitleidigen Herzen von dem Gefangenen ab: Die Furcht vor der Zauberei und das Beispiel der Kinder zu Hameln wirkte so mächtig, daß Schöppen und Schreiber Tag und Nacht nicht vom Arbeiten abließen, der Kämmerer überschlug schon die Kosten des Scheiterhaufens, der Glöckner bat um ein neues Seil an das Armesünder-Glöckchen, die Zimmerleute richteten Breter zu Erhöhungen für die Zuschauer der künftigen Exekution zu, und die Gerichtspersonen probirten den Akt des Hochnothpeinlichen Halsgerichts. Meister Wilibald kam aber den schnellen Schritten der Justiz zuvor, denn als er sich einmal über die Wichtigkeiten der Vorbereitungen zu seinem Ende recht satt gelacht hatte, legte er sich auf sein Strohlager und starb.

Kurz vor seinem Tode redete er seinen Wido an: Junger Mensch, sprach er, du siehst, daß ich dir, nach deiner Art die Dinge und Menschen zu betrachten, nichts helfen kann. Ich habe die Possen satt, die ich deiner Thorheit wegen habe treiben müssen. Du hast genug erfahren, um endlich zu begreifen, daß man auf die Güte der menschlichen Natur wenigstens keine Pläne bauen muß, wenn man auch selbst zu gut ist, um überhaupt den Glauben an fremde Güte aufzugeben. Ich möchte nicht einmal auf die Erfüllung meiner letzten Bitte an dich rechnen, müßte nicht dein eigner Vortheil dich dazu antreiben. Wenn ich todt bin, so sorge, daß meine alte Sackpfeife mit mir begraben wird. Dir würde sie nichts helfen, wenn du sie behieltest, sie kann aber dein Glück machen, wenn sie mit mir unter die Erde kommt. Wido versprach, seines alten Freundes letztem Willen nachzukommen, und drückte ihn die Augen zu.

Der Gerücht von diesem plötzlichen Todesfall hatte sich in der Stadt kaum verbreitet, als Alt und Jung gelaufen kam, sich von der Wahrheit zu überzeugen. Am meisten war der Stadtvogt über diesen Ausgang erfreut, denn die Kaltblütigkeit, mit welcher der Delinquent die eröffnete Aussicht auf den Scheiterhaufen angenommen hatte, ließ ihn vermuthen, der Sackpfeifer werde sich einmal durch Zauberkunst im Gefängniß unsichtbar machen, oder auf dem Scheiterhaufen statt seiner Person einen Strohwisch auflodern lassen und die Justiz der Stadt verlachen. Man beschloß daher, weil es zum Verbrennen des Körpers noch am Endurtel fehlte, mit dem Leichnam möglichst geschwind unter die Erde zu eilen, und ihn auf einem Winkel des Gottesackers nahe der Mauer zu verscharren. Der Stockmeister, als observanzmäßiger Erbe des Verstorbenen, fragte, indem er dessen Nachlaß inventirte, was mit der Sackpfeife, als einem Corpus delicti, vorgenommen werden sollte, und Wido wollte schon seine Vorbitte anbringen, als der Stadtvogt voll Eifers die Resolution gab: das schlechte werthlose Werkzeug möge billig, um allem Mißbrauch damit zu steuren, zusammt dem Leichnam begraben werden. Man schob sie also zu dem Todten in den Sarg, und früh in aller Stille wurden Pfeifer und Pfeife hinausgetragen und begraben.

Aber in der folgenden Nacht trugen sich gar seltsame Dinge zu. Die Thurmwächter schauten nach Gewohnheit umher, ob etwa ein Feuer in der Gegend aufging. Da sahen sie gegen Mitternacht bei dem Scheine des Mondes, wie Meister Wilibald aus seinem Grabe an der Kirchhofsmauer emporstieg. Er hielt seine Sackpfeife im Arm, lehnte sich an einen hohen Leichenstein, daß ihn der Mond hell anleuchtete, und fing an zu blasen, fingerte auch dazu auf den Pfeifen, wie man es bei seinem Leben an ihm gewohnt war. Indem sich nun die Wächter, über dies Gesicht befremdet, ansahen, thaten sich mehrere Gräber auf dem Kirchhof auf, die beinernen Bewohner steckten ihre kahlen Schädel heraus, schauten sich um, nickten nach dem Takte, stiegen dann ganz heraus, und regten die klappernden Glieder in flinkem Tanz. Aus den Grüften und Schwibbögen gukten ebenfalls leere Augenhölen nach dem hüglichen Tanzplatz, die dürren Arme rasselten an den eisernen Gitterthoren, bis Schlösser und Riegel aufsprangen und den tanzlustigen Gerippen den Weg zum Todtenball öffneten. Nun stelzten die leichten Tänzer über Grabhügel und Leichensteine und wirbelten im lustigen Schleifer umher, daß die weißen Sterbegewänder im Winde um die dürren Glieder flatterte, bis die Glocke auf dem Kirchthurm Mitternacht schlug. Da kehrten Tänzer und Tänzerinnen in ihre engen Behausungen zurück, der Spielmann nahm seine Sackpfeife unter den Arm, und begab sich gleichfalls zur Ruhe.

Die Thurmwächter pochten noch vor Tage den Stadtvogt aus den Federn und hinterbrachten ihm mit zitternden Lippen die Kunde von dem gespenstischen Todtentanz. Er legte ihnen zwar strenge Verschwiegenheit auf, und verhieß, in der nächsten Nacht die Thurmwache selbst mit ihnen zu theilen; aber die Sage verbreitete sich bald durch die Stadt, und vom Abend an waren Thüren und Dächer in der Gegend des Kirchhofes mit Kandidaten der Geisterseherei besetzt, die alle vorläufig über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Dinge stritten, welchen sie in der Mitternacht entgegen sahen.

Der Spielmann ließ nicht lange auf sich warten. Mit dem ersten Glockenschlag der elften Stunde stieg er gemächlich empor, lehnte sich an einen Leichenstein und spielte auf. Die Ballgäste schienen auf die Musik schon gewartet zu haben, denn bei dem ersten Ton drängten sich aus den Gräbern und Grüften und unter schweren Grabsteinen, Leichen und Gerippe, Groß und Klein hervor, liefen durcheinander und tanzten und wirbelten und walzten lustig um den Spielmann her, schnell und langsam nach der Weise die er ihnen aufspielte, bis die Thurmglocke Mitternacht schlug und Tänzer und Pfeifer zur Ruhe gingen. Die lebendigen Zuschauer auf Thürmen und Dächern gestanden sich nun, daß es Dinge gebe, von welchen der gesunde Menschenverstand nichts begreife, der Stadtvogt aber ließ noch in derselben Nacht den Maler Wido gefangen setzen und hoffte von ihm, nöthigenfalls peinlich, zu erfragen, wie man dem Unwesen seines todten Pflegvaters steuern möge.

Wido unterließ nicht den Stadtvogt an seinen Undank gegen Wilibald zu erinnern, und behauptete, der Todte beunruhige die Stadt, und raube ihren Todten die Ruhe und ihren Lebendigen den Schlaf nur darum, weil er, statt des verheissenen Lohnes für die Errettung des Vogtes eine abschlägliche Antwort und überdies unverdientes Gefängniß und ein schnödes Begräbniß erhalten habe. Diese Rede hatte auch so viel Gewicht, daß der Magistrat beschloß, den Körper des Sackpfeifers an einen anständigeren Ort des Kirchhofs zur Ruhe bestatten zu lassen. Der Todtengräber wollte dabei ein übriges thun, nahm die Sackpfeife aus dem Sarg, und hängte sie hinter seinen Ofen auf, damit der gespenstische Musikant, wenn er ja nicht unterlassen konnte, noch aus dem Grabe seiner Profession nachzugehn, wenigstens ohne Instrument nicht zum Tanze spielen könnte. Allein, als es elf Uhr auf dem Thurme geschlagen hatte, pocht' es vernehmlich bei ihm an die Thüre, und als der Todtenbettmeister, der eine einträgliche Bestellung vermuthete, öffnete, da stand der begrabene Sackpfeifer leibhaftig draußen. Meine Sackpfeife! sagte er ganz gelassen; ging vor dem bebenden Todtengräber vorbei und nahm seine Pfeife von der Wand hinter dem Ofen weg. Dann stellte er sich an einen Leichenstein und bließ. Die Ballgäste kamen, wie in den vorigen Nächten und gruppirten sich zum mitternächtlichen Kirchhofstanz, aber diesesmal setzte sich der Musikant in Marsch, zog mit dem ganzen langen Zuge durch das Gottesackerthor in die Stadt, und führte seine nächtliche Wachparade durch alle Strassen der Stadt, bis die Glocke zwölf schlug, wo sie alle wiederum zu ihrer Ruhestätte zogen.

Die Einwohner fürchteten nun bald in ihren eigenen Häusern diesen nächtlichen Besuch zu sehn, und einige der ältesten im Rathe drangen schon in den Stadtvogt, er solle sein Wort gegen den Pfeifer lösen. Aber hierzu hatte der Vogt weder Ohren noch Sinn, meinte auch, dem Wido, der an den Zauberkünsten des alten Sackpfeifers vermuthlich Theil habe, gezieme wol eher die Anwartschaft auf dessen Scheiterhaufen, denn auf eine schöne reiche Braut. Aber in der nächsten Nacht kam der gespenstische Todtenreihen wieder in die Stadt, und, wiewol man die Musik nicht vernahm, so sah man doch an der Bewegung, daß die Tänzer nach der Weise des Großvaters tanzten. Diesesmal trieben sie es auch noch schlimmer als in der vorigen Nacht. Denn vor Häusern, wo eine mannbare Jungfrau oder eine Braut war, hielten sie still, dreheten sich im Wirbeltanz und man sah deutlich ein Schattenbild unter ihnen, das der Jungfrau glich, welcher sie den nächtlichen Brautreihen tanzten. Am andern Morgen war die Stadt wie ein großes Leichenhaus, denn alle Jungfrauen, die man im Schattenbild sich hatte drehen sehen, waren plötzlich hingestorben. So ging es auch die folgende Nacht. Die tanzenden Gerippe dreheten sich vor den Häusern, und wo sie getanzt hatten, da lag am Morgen eine todte Braut oder Jungfrau.

Mehr Nächte wollten die Bürger nicht ihre Töchter und Bräute solcher Gefahr aussetzen. Sie droheten dem Stadtvogt ihm die Tochter mit Gewalt zu nehmen und dem Wido als Braut zuzuführen, wenn er nicht selbst augenblicklich die Verlobung und noch vor Einbruch der Nacht die Hochzeit vollziehn lassen wollte. Beides wurde dem Stadtvogt in gleichem Grad schwer zuzugestehen, und da er sich also in dem seltenen Falle befand, wo der Mensch mit vollkommener Freiheit wählen kann, so zeigte er sich als freies Wesen, und gab dem Maler Wido selbst seine Emma zur Braut.

Noch vor der Gespensterstunde saß man bei der Hochzeittafel. Der erste Glockenschlag tönte dumpf, und sogleich hörte man die bekannten Töne des beliebten Brautreihens. Voll Schrecken, daß der nächtliche Spuk noch nicht zu Ende sei, eilten die Gäste an das Fenster, und sahen den Sackpfeifer mit einer langen Reihen von Gestalten in weißen Sterbekleidern nach dem Hochzeithause zu ziehn. Er selbst blieb unten an der Pforte stehn und bließ, der Zug aber ging langsam hinauf bis in den Hochzeitsaal. Hier rieben sich die fremden blassen Gäste die Augen, und sahen sich wie erwachte Nachtwandler verwundert um. Die Hochzeitleute flohen hinter Stühle und Tische, bald aber rötheten sich die Wangen der Angekommenen, ihre blassen Lippen blühten auf wie junge Rosenknospen und Granatblüthen und begrüßten sich mit bekannten Tönen und Namen. Man erkannte sich nun gegenseitig, denn die todtenbleichen und jetzt neu aufblühenden Gestalten in Sterbekleidern waren die schnell entschlafenen Jungfrauen, die von ihrem Zauberschlaf erwacht und von Meister Wilibald mit der Zauberpfeife in den Hochzeitsaal geführt worden waren. Der Magus bließ ihnen noch ein lustiges Stückchen zum Abschied vor und verschwand.

Ich muß fast glauben, sagte Wido, daß der Sackpfeifer Niemand anders gewesen ist als der Gebirgsgeist des schlesischen Landes. Ich machte seine Bekanntschaft mitten im Gebirge, und erwarb mir, ich weiß nicht wodurch seine Gunst. Er versprach mir Beistand in meiner Liebe, und hat redlich Wort gehalten, wiewol auf seine eigenthümliche neckende Art, die man ihm schon zu gut halten muß.

Wido blieb zeitlebens in der Gunst des Berggeistes. Sein Wohlstand wuchs täglich, seine Gattin brachte ihm jährlich frische Kinder, seine Bilder wurden weit und breit nach Welschland und England verschrieben, und die Todtentänze, mit welchen nicht allein Basel, Dresden und Lübeck, sondern eine große Anzahl deutscher Städte prunkten, sind nichts als Copien und Variationen von Wido's Original, das er dem Neissischen wirklichen Todentanz zum Andenken malte, das aber leider noch kein grübelnder Gemäldesammler und Connaisseur zu Bereicherung der Kunstgeschichte hat auffinden und bekannt machen können.


 


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