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Die Vorbedeutungen.


Im ersten Hotel der Residenz fiel bald die Aufmerksamkeit der Gäste sowohl als des Wirths auf einen gewissen Herrn von Eibengrün. So nannte sich wenigstens der junge Mann von etwa sechs und zwanzig Jahren, der vor einigen Wochen, mit allen Reisebequemlichkeiten versehen, angekommen war, seitdem die ganze Tageszeit gewöhnlich in der waldigen Gegend zubrachte und aller Ansprache möglichst auswich. Auch seinen Leuten ließ sich keine Auskunft über ihn abgewinnen. In einem benachbarten Lande an Einem Tage von ihm gemiethet, waren sie gleichfalls ohne alle Nachricht über Heimath und Herkunft ihres neuen Herrn.

Die Neugier stieg, als einmal des Morgens ein junger Mann vor das Hotel fuhr und in gebrochenem Deutsch hastig nach dem Herrn von Eibengrün fragte. Der Wirth war dem sichtbar höchst Zornigen nachgeschlichen und hörte bald vor Eibengrüns Zimmer ein Gepolter von italiänischen Worten, das ihm auf einen gefährlichen Ausgang zu deuten schien. Darauf eilte der Fremde zurück in seinen Wagen. Eibengrüns Bedienter wurde gerufen und kam mit ein Paar Pistolen kopfschüttelnd wieder heraus, um sie zu laden. Eine Stunde später fuhr auch Eibengrün ab, denselben Weg als der Fremde. Die Pistolen wurden mitgenommen, der Bediente zurückgewiesen. Mein Herr, mein guter Herr ist verloren! rief dieser und ward so ängstlich, daß es ihm nur noch kurze Zeit im Hause litt. Er nahm ein Pferd und jagte davon. Unfehlbar sollte ein Zweikampf Statt finden, das glaubte man im Hotel allgemein.

Man hatte nicht geirrt. Nachmittags kehrten beide Gegner in Einem Wagen zurück, Herr von Eibengrün aufs gefährlichste in den Unterleib geschossen. Uebrigens war sein Gegner in dem Grade sein Freund geworden, daß er durchaus nicht von ihm weichen wollte. Die Aerzte stellten dem Verwegenen vor, wie mißlich der sehr wahrscheinliche Todesfall für ihn werden könne. Der Kranke selbst beschwor ihn, auf schleunige Rettung bedacht zu seyn. Alles tauben Ohren gepredigt.

Die Neugier des Hauses wuchs immer größer und verbreitete sich endlich in der ganzen Stadt. Der Fürst selber erfuhr davon, wollte aber, aus Mitleid, den Thäter wenigstens so lange in freiem Zustande lassen, bis der Verwundete wirklich seinen Geist aufgegeben. Wer hätte auch nicht Theilnahme mit dem Kranken sowohl als mit dem bitter Bereuenden bezeigen sollen, der mehr als Aerzte und Wärter that, um den so eben noch grimmig gehaßten Mann die letzten Stunden zu erleichtern und zu versüßen. Es findet sich oft, daß ein Zweikampf das gute Vernehmen der Kämpfer wieder herstellt. Aber auf den Grad des Hasses wie hier, eine bis zur Aufopferung gehende Liebe folgen zu sehen, das war allen eine so befremdliche als erhebende Erscheinung.

Wider jedermanns Erwarten überlebte der Kranke eine äußerst schmerzhafte Operation, und bald wiesen die Aerzte auf ihn als auf einen besondern Beweis ihrer Kunst hin, denn seine gute Natur hatte ihn wirklich wunderbar gerettet.

Jetzt schied endlich sein vormaliger Gegner. Der Gastwirth konnte nicht müde werden, die Herzlichkeit bei ihrer Trennung zu beschreiben.


Mit dem Winter, der ziemlich früh eintrat, schien in dem Genesenen das Bedürfniß eines geselligern Lebens zu entstehen. Ueberall bot man dem wohlgebildetem interessanten Manne die Hand. Doch lag es außer seinem Plane, sich in allen guten Zirkeln der Residenz herumzutreiben. Ein einziges Haus, dessen Gesellschaft fast tagtäglich dieselbe blieb, wurde sein eigentlicher Zufluchtsort. Da hier eine schöne Tochter aufblühte, so gab es bald Vermuthungen von Absichten. Er dachte nicht an die schöne Blanka. Uebrigens schien ihm in diesem Hause eine Person, eine junge Verwandte, vorzüglich anzuziehen. Wenn sie nicht da war, hatte er meistentheils Langeweile.

Gleichwohl begriff man auch nicht, was er an ihr grade finden konnte, da sie weder hübsch noch besonders geistreich war, und zumal mit Männern gar kein Gespräch bei Seele und Leben zu erhalten wußte, ein Fehler, der von versäumter Erziehung in ihren frühern Jahren herrührte, und den die nachherigen günstigern Verhältnisse nicht hatten verbessern können. Ihre Stimme war nicht ganz unrecht. Aber sie hatte schon einen Bräutigam, der regelmäßig alle Tage das Haus besuchte und manchmal über den Herrn von Eibengrün lächelte, wenn dieser Sophien nachging, sich neben sie setzte und doch größtentheils von einer unbequemen Stummheit gefesselt wurde.

Der seltsame Gast hatte über seine eigene Geschichte bisher geschwiegen, und man ließ ihn gewähren, weil ihm jede Erinnerung an die Vergangenheit Kummer zu machen schien.

Er bemerkte jetzt eine traurige Spaltung in der Familie. Ein ausländischer Offizier war Veranlassung, der eine Zeitlang sein Quartier im Hause gehabt und das Herz der schönen Tochter gewonnen hatte. Der Vater war dagegen. Die Mutter schwankte zwischen beiden Partheien und schien von beiden ungerechte Klagen und Vorwürfe anhören zu müssen. Sophie war entschieden auf der Seite des Ausländers.

Die innere Gährung, welche daraus entstand, kam dem Herrn von Eibengrün sehr ungelegen. Am meisten fürchtete er das Zutrauen der Partheien in dieser ziemlich offen daliegenden Sache, weil er wohl wußte, wie schwer selbst der beste und einleuchtendste Rath bei solchen Gelegenheiten Zugang findet.

Der Abmarsch des Offiziers, der jetzt erfolgte, stiftete indessen wieder einigen Verein. Mitleid und Hoffnung neigten den Vater zu der Tochter herüber, welche dessen besondere Zärtlichkeit für eine Aufforderung zum Verdoppeln der ihrigen annahm. Allein das Mißverständniß kam bald an den Tag. Die Hoffnung des Vaters auf Blankens Vergessen des Abwesenden scheiterte, und der allgemeine Mißklang im Hause wurde immer vernehmbarer und unbehaglicher. Endlich fiel Sophie auf die Idee, Eibengrün zum Mittler zu machen und all ihren Einfluß anzuwenden, um ihn zu einem Sturme auf das Herz des Vaters zu vermögen.

Sie war wirklich so voll von dieser Sache und deren Gerechtigkeit, daß die Worte sich dießmal in ungewöhnlicher Menge einfanden. Allein, ob sie schon nicht aufhörte von Grausamkeit und einem ganz unväterlichen Herzen zu sprechen, ob sie schon ihre Ueberzeugung bekannte, daß nur ein ganz fühlloses Gemüth von dem schreienden Unrecht, das der armen Liebenden wiederfahre, nicht empört und zur Hülfe aufgefordert werden könnte, so zuckte Eibengrün doch die Achseln und erwiederte die finstre Miene, die sich ihm hierauf zeigte, durch die wenigstens eben so finstern Worte: Ich will und werde mich nie für eine so leichtsinnig beschlossene Verbindung verwenden, vielmehr würde ich, wenn ich Parthie nehmen müßte, gewiß auf die Seite des verständigen Vaters treten.

Sie hatten in ihrer Leidenschaftlichkeit ganz überhört, daß der Vater unterdessen wirklich herbeigekommen, und dem Inhalte des hitzigen Gespräches zu Gefallen, ganz still in der Thüre stehen geblieben war.

Das heißt wie ein edler Mann sprechen! sagte er, Eibengrün umarmend, der über den Zeugen nicht viel weniger erschrak als Sophie, welche sich sogleich entfernte.

So groß war die Verstimmung noch nicht gewesen als diesen Abend; Sophie und Blanka vermieden Eibengrün, und dieser wich dem Vater aus, um nicht ohne Frucht tiefer in die Sache verwickelt zu werden.


Nach einigen Tagen, als sich die Aufwallung der jüngern Parthei ein wenig gelagert hatte, aber doch noch selten ein zusammenhängendes Gespräch Statt finden wollte, da sagte die Dame vom Hause: Lieber Eibengrün, Sie haben uns nun schon so lange ihre Geschichte versprochen, ja uns durch einzelne Andeutungen auf deren Sonderbarkeit nur noch wißbegieriger gemacht, warum länger mit der Erfüllung dieser Zusage zögern? Wir dürfen, glaube ich, zwiefachen Anspruch darauf machen, da Sie nach und nach im Besitz der meisten, neuerlich wahrlich nicht trostreichen Heimlichkeiten unsers Familienlebens gekommen sind.

Sehr wahr, antwortete Eibengrün. Ich trete auch grade jetzt um so lieber damit hervor, da meine Begebenheiten die anscheinende Härte erklären und entschuldigen können, mit der ich mich, wie Sie ohnfehlbar durch Ihren Gemahl wissen, in einer wichtigen Sache gegen Sophien geäußert habe.

Die Dame konnte einen schweren Seufzer nicht unterdrücken. Sie schien ihn mit einem Kommentare begleiten zu wollen, als Blanka's Eintritt die Veränderung des Gesprächs erheischte. Endlich, fing die Wirthin an, da der Kreis beisammen war, endlich sollen wir unseres Freundes Schicksale in ihrem Zusammenhange erfahren.

Die wenige Empfänglichkeit für dergleichen, welche Eibengrün aus den Gesichtern der jüngern Parthei bemerkte, machte ihm wenig Lust dazu, allein die Dame sowohl als der Herr vom Hause ließen nicht nach, und der Gast fing also an:

Das Reisen hatte mich eine Zeitlang überaus glücklich gemacht. Jugend und Wohlhabenheit bahnten mir selbst die bedenklichsten Wege. Heute taumelte ich munter durch die glänzenden Reihen seiner Gesellschaft. Morgen saß ich nicht minder froh neben einem einfachen Hirtenstamme, auf der Alpe, die alle seine Kenntnisse, Erfahrungen und Wünsche beschränkte. Manche weitberühmte Merkwürdigkeit blieb ungesehen. Ich hüpfte gern regellos in der Welt umher, nicht grade mit dem Vorsatze, dem unmittelbaren Nutzen des Reisens aus dem Wege zu gehen, aber auch nicht mit dem Willen ihn mühsam und ängstlich aufzusuchen. Mein Vater nannte mich darum in manchem Briefe seinen Ueberall und Nirgends, war aber nicht unzufrieden mit diesem Herumschweifen. Vielleicht trugen sogar seine frühern Aeußerungen dazu bei, mich zu dieser Art des Reisens zu bestimmen. Die sogenannten Denkwürdigkeiten der Orte, meinte er, wären größtentheils der Aufmerksamkeit kaum werth, desto nützlicher aber, das Leben in seiner tausendfachen Gestaltung aufzusuchen, und durch das Mannichfaltige unvermerkt zu seinem Einen und Nothwendigen zurückgeführt zu werden.

Festern Fuß als zuvor fing ich an, in Italien zu fassen. Die ewig bleibende Größe dieses heiligen Landes schien auch mich zum Bleiben aufzufordern.

Jetzt fingen die Briefe meines Vaters an einige Unzufriedenheit zu äußern. Ich war ihm viel zu lange in Florenz und Neapel gewesen, und als ich nun gar nach Rom zum zweitenmale ging und mich hier gleichsam häuslich niederließ, da legte er mir die bedenkliche Frage vor, wer denn, wenn ich immer dort bleiben wollte, seine weitläuftigen Besitzungen nach seinem Tode verwalten würde und ob ich nicht dächte, daß eine Abwesenheit zu dieser Zeit und die Unbekanntschaft mit seinen Gütern mir einen unendlichen Verlust zuziehen müsse. Ein neuer Brief, der, als jene Aeußerungen keinen großen Eindruck gemacht hatten, an mich erging, traf mein Herz um so gewaltiger. Er sprach die heftigste Sehnsucht meines Vaters aus, mich im Vaterlande an der Seite einer Gattin glücklich zu sehen.

Es mußte nun ein Entschluß gefaßt, die willkommene Gegenwart mußte aufgegeben werden. Sie war mir indessen so freundlich gewesen, daß ich, um wenigstens alle künftigen Augenblicke mich in ihrer Erinnerung berauschen zu können, auf die Idee gerieth, wenn nicht eine schöne Römerin selbst, doch eine Zeugin und Theilnehmerin an meinem hiesigen Wohlseyn als Gattin mit in mein Vaterland zu nehmen. Die Wahl bedurfte keines langen Nachsinnens. Die liebenswürdige Familie eines deutschen Grafen war der Kreis, der seit meiner Ankunft in Rom fast mein ganzes Leben umgränzte. Ich brachte Monate auf ihrem Landhause zu. Ich zeichnete mit den beiden Töchtern. Ich begleitete ihren Gesang bald mit der Guitarre, bald mit dem Pianoforte. Wir gaben in Gemeinschaft mit jungen Bewohnern benachbarter Villen kleine Schauspiele auf einem eigends dazu im Walde angelegten, wunderherrlichen Platze. Wir veranstalteten kleine Bälle, die nicht eben dem Glanze, aber doch der anständigen Fröhlichkeit in ihrem ganzen Umfange gewidmet waren. Was Kunst und Natur in und um Rom besaß, alles dieß hatte ich mit dieser Familie genossen. Die jüngere Tochter, Julie, sollte meine Gemahlin werden. Immer hatte ich mich näher an das stille gelassene Herz dieser blonden, etwas kränkelnden Schönheit als an den kräftigen, fast gigantischen Wuchs der lebhaften Aimee hingezogen gefühlt. Julie schien auch mich vor andern jungen Männern auszuzeichnen. Die Augen der Aeltern ruhten ebenfalls wohlgefällig auf unserer wechselseitigen Freundlichkeit, so daß von ihrer Seite kein Widerspruch zu besorgen war, wenn ich, der künftige Universalerbe eines reichen und angesehenen Mannes, mich um ihre Hand gehörig bewerben wollte.


Schon war ich im Begriff, Julien meine Wünsche zu eröffnen, als eine unbekannte Gestalt mein Auge berührte und der Sache eine andere Wendung gab. Ich besucht einst mit Julien und Aimeen die Peterskirche. Andächtig hören wir der Begeisterung eines deutschen Architekten zu, der uns begleitet. Wir theilen sein Entzücken über die Offenbarungen, deren der Himmel und die Kunst den Erbauer dieses Tempels gewürdigt haben. Da tritt aus einem benachbarten Beichtstuhl ein hohes weibliches Wesen, schreitet wie die Königin des Himmels an uns vorüber und läßt sich neben einer andern nicht mehr ganz jugendlichen, aber sehr reizenden Dame auf die Kniee nieder. Nach dem Rosenkranze, der sich durch kostbare Steine besonders auszeichnete, mußten die Damen von bedeutender Herkunft seyn, eine Vermuthung, welche durch ihr würdevolles Benehmen ein noch stärkeres Gewicht erhielt.

Ob mein Auge erst der Wegweiser von Juliens Blicken geworden war, muß dahin gestellt bleiben, doch entging es mir nicht, daß sie meine Aufmerksamkeit auf die Unbekannte theilte. Auch schien Julie die Erschütterung zu bemerken, die der Moment in mir hervorbrachte, wie die Betende den Schleier zurückwarf, der bis dahin die schönen Züge verborgen hatte. Nie hatte ich ein Gesicht von dieser Würde gesehen! Das mußte auf dem meinen zu lesen seyn. Der Kummer der erst aufgeblühten Dame beängstigte mich, von dem ein Paar große Thränen und die schweren Athemzüge zeugten, unter denen der herrliche Busen auf- und niederflog.

Auch ich wurde von ihr bemerkt und kein Mahnen meiner Begleiter war vermögend mich von dem Platze zu rücken. Eine Säule zu ihrem Ruhme aufgerichtet stand ich da, denn meine Augen hatten nicht einmal die Macht sich in den Schranken der Mäßigung zu erhalten. Der ernste Blick der älteren Dame – der Mutter, wie es schien – sah wie ein Verweis aus. Aber was kümmerten mich die Verweise der ganzen Welt, wenn die Gestalt, der ich huldigte, meine Opfer gnädig aufnahm, wie meine Wünsche mich wirklich überredeten.

Endlich veränderte sich die Scene. Die seidenen Mäntel der Damen rauschten vorüber. Ein leidender Blick der jüngern brachte mich so außer Fassung, daß ich, allen Anstand aus den Augen setzend, die Hand der mir völlig Fremden zu ergreifen suchte. Erschrocken entfernte sie sich und verlor darüber den Rosenkranz. Ihrer Begleiterin Unwille schien um so größer zu werden, da ich die Perlenschnur aufhob und mir dadurch einen dankbaren Blick von der Herrlichen verdiente.

Unbekümmert um meine beiden Freundinnen ging ich hinter den Unbekannten her. Fruchtlos. Denn der Wagen, der sie draußen erwartete, rollte so schnell mit ihnen davon, daß mir keine Spur weiter von den Damen blieb.

Seitdem wurde ich manchmal von Juliens Schwester mit diesem Vorfall aufgezogen. Julie schwieg darüber, woraus ich schließen konnte, daß sie weit weniger gleichgültig als jene dabei gewesen seyn mochte.

Indessen bewendete es bei der flüchtigen Erscheinung. Nirgends hatte ich die Fremde wieder entdecken können. Ich hielt es für lächerlich einem Bilde nachzujagen, das sich gleichsam in Dunst und Nebel verlor, und dachte nach einer kurzen Unterbrechung wieder in ganzem Ernste an die Sehnsucht meines Vaters und an Juliens Hand. Nur mit dem Unterschiede, daß ich vor dieser Erscheinung mich zuerst an die Geliebte selbst wenden wollte, nunmehr aber auf den Gedanken gerieth, die Sache recht nach alter guter Methode zu betreiben, und vor allen Dingen meinen Vater von dem Vorhaben und den Hoffnungen zu benachrichtigen, die ich allem Anscheine nach fassen konnte.


Der wackere Alte war zu glücklich in dem Gedanken an meine Rückkehr, als daß er irgend eine Einwendung hätte machen sollen. Ich bekam den Brief der seinen Segen enthielt, als ich eben meine Wohnung in der Stadt besuchte, wohin alles abgegeben wurde, was vom Auslande an mich einlief.

Im Ganzen konnte mir die Sache nicht anders als willkommen seyn. Aber jetzt beunruhigte mich zum ersten Male die Schwierigkeit, mit der Sprache gegen Julien herauszugehen. So entschieden auch mir ihre Vorliebe für mich geschienen hatte, so war doch hierin eine Täuschung möglich. Dergleichen Täuschungen kommen häufig im Leben vor, und die einmal aufgewachte Besorgniß fing an mich immer mehr und mehr der Eigenliebe und eines viel zu festen Zutrauens auf meine Person und Verdienste zu beschuldigen. Wenigstens glaubte ich mich sicher setzen und auf eine Einleitung meiner Liebeserklärung sinnen zu müssen;, von der ich allenfalls unkompromittirt in mein zeitheriges Verhältniß mit Julien zurücktreten konnte.

Gedankenvoll war ich lange schon in der hellen Nacht herumgestrichen. Ein Eingang nach den sogenannten Farnesischen Gärten, der vermuthlich aus Unachtsamkeit offen geblieben war, lockte mich. Das Mondlicht durchzitterte die weiche herrliche Luft, und die grünenden Trümmer zweier verschiedenen Vorzeiten schienen ihre jetzige Schmach inniger als jemals zu beklagen. Ich schaute umher, und von dem Gefühle der Nichtigkeit des Lebens ganz übermannt, fand ich den schlauen Einfall, auf den ich ausging, des Suchens ganz unwürdig. Mochte doch Julie meinen Antrag aufnehmen wie sie wollte. Ich war in diesem Momente geneigt, jeden Winkelzug zu vermeiden, und trat rascher den Rückweg an.

Da höre ich einen Pistolenschuß und zugleich den durchdringenden Schrei einer weiblichen Stimme. Unwillkührlich griff ich nach einem Messer, das ich immer heimlich bei mir trug, um auf meinen oft ganz einsamen Wanderungen im Nothfalle mich vertheidigen zu können. Dem Schalle nach war das Pistol dicht neben mir hinter einem kleinen Gebüsch abgebrannt worden, und ich beeilte mich, der Hülfsbedürftigen beizustehen. In demselben Augenblicke schoß diese bei mir vorüber. Die schöne Andächtige in der Peterskirche war es.

Halt! rief ich ihrem Verfolger zu und schlug ihm das zweite Pistol, das er nachfeuern wollte, aus der Hand.

Er schäumte vor Wuth und beschwor, ein Stilet hervorreißend, meinen Untergang. Der Mann war ein Riese gegen mich und an seine Entwaffnung nicht zu denken. Bloß auf meine Gewandtheit und mein Messer konnte ich vertrauen. Die Furien waren mit mir. Ein Stich durch sein Herz verhinderte die Ausführung seines Vorhabens.

Ich hatte ihn so gut getroffen, daß ihm keine Regung übrig blieb. Sein feiner Anzug kündigte den vornehmen Mann an, und es war das Rathsamste, mich schleunig aus der Gegend zu entfernen. Von der Dame, die mir allein über das mißliche Abentheuer Aufschluß geben konnte, war nichts weiter zu hören noch zu sehen.

Ich war noch uneins mit mir, ob ich der Polizei Nachricht von dem Vorgange geben sollte. Der Zufall hatte mich in den Streit verwickelt und die Nothwehr allein eine so schauerliche Katastrophe herbeigeführt. Der Beweis meiner Unschuld war indessen so schwer, daß die Sache mich mit sehr nachtheiligen Folgen bedrohte. Ich beschloß des Grafen Rath darüber einzuholen und für's erste noch in Rom zu bleiben, weil nirgend ein Zeuge zu erblicken war, und auf mich schwerlich der Verdacht des Mordes dieses mir ganz Unbekannten sogleich fallen konnte.


So wenig sich auch mein Gewissen beschwert fühlte, so hatte doch der unerwartete, blutige Auftritt mein ganzes Bewußtseyn dergestalt umnebelt, daß in den ersten Momenten die Veranlassung zu der Verfolgung der Dame und die Dame selbst mein Nachdenken unbeschäftiget ließ. Erst als ich in meiner ländlichen Behausung angelangt war und den Grafen abwesend fand, erst da fing mich die räthselhafte, auf jeden Fall unglückliche Situation der schönen Dame zu beunruhigen, um so mehr zu beunruhigen an, weil sie allem Vermuthen nach in sehr schlimmen Verhältnissen mit ihrem Verfolger gestanden haben mußte, und sein Tod sie daher leicht in gefährliche Händel mit der Justiz verwickeln konnte.

Aus diesem Grunde entschloß ich mich nunmehr, die That anzuzeigen, als eine dichtverschleierte Alte mir gemeldet wurde. Eine seltsame Zeit zum Besuch, da nach deutscher Uhr die eilfte Stunde eben vorüber war. Doch das Seltsame gehörte nun einmal in die heutige Nacht.

Herr, fing die Alte an, meine Gebieterin läßt Sie beschwören mir an den Ort ihres Aufenthalts zu folgen. Zu ihrer nähern Bezeichnung und zur Beglaubigung meiner Rede soll ich Ihnen diesen Rosenkranz einhändigen.

Es war der nämliche, den ich einst jener Dame aufgehoben hatte. Ich warf meinen Mantel um und folgte der Alten, so viel ich auch Bedenken dagegen hätte haben können.

In einiger Entfernung von dem Landhause sagte sie: Jetzt haben Sie sich ganz meiner Führung zu überlassen! Dazu überreichte sie mir eine Maske, welcher die Oeffnung vor den Augen gänzlich mangelte.

Auf meine Weigerung erfolgte ein Achselzucken, auch erbat sich die Alte den Rosenkranz zurück.

Ich mußte mich schon zu der Beraubung meines Gesichts auf diesem Wege verstehen. Dazu nahm mir die Verhüllte das Wort ab, die Maske nicht eher anzurühren, als bis sie mich selber dazu auffordern würde. Drauf gab sie mir ihren Arm zur Leitung.

Ich suchte durch künstlich gestellte Fragen einige Auskunft über das Herkommen der Dame zu erlangen. Aber da hatte ich mich grade an die rechte Person gewandt! Ja, nein und vielleicht, weiter war wenig aus ihr zu bringen. Wir wanderten wohl schon eine Stunde, größtentheils über einsame Straßen und Plätze, als mich endlich die Ungeduld anwandelte. Meine Führerin tröstete indessen mit der Nähe des Ziels, und wirklich schloß sie bald nachher eine Thüre auf.

Ich fragte, ob die Maske noch immer unentbehrlich sey? Mehr als jemals! war ihre Antwort.

Wie mich dünkte, ging es über eine enge, schmale Treppe hinauf. Jetzt zum ersten Male seit der Verlarvung richtete meine Führerin ein Paar Worte an mich, die ich ihr nicht durch Fragen abgedrungen hatte. Leise, sagte sie, ganz leise; jeder Laut von uns auf diesem Wege könnte zu etwas Gräßlichem führen.

Mit unbefangenerm Gemüth würde ich vielleicht empfänglicher für ihre furchterweckenden Reden gewesen seyn. Doch das Opfer, das ich vor Kurzem erst dem Tode gebracht, hatte mich dermaßen mit diesem Erbfeinde des Lebens befreundet, daß in seinem öden Reiche schon ziemlich einheimisch war. Daher ging alles, was mir nachmals noch in der Erinnerung ein geheimes Grauen erregte, wie ein gleichgültiger Ton durch meine Ohren. Nur das verdroß mich, daß meine Neugier so lange auf der Folter liegen mußte.

Die Gemächer, durch welche ich jetzt geführt wurde, schienen zwar dem Schalle der Tritte nach sehr hoch und weit, mit Einem Worte nach vornehmer Art eingerichtet. Allein der starke Luftzug der hindurchstrich und mit Schadhaftigkeiten in der Decke zu korrespondiren schien, ließ auf schlechtverwahrte Fenster und ein verfallenes Gebäude überhaupt schließen. Auch wurde mein Fuß einigemal, wie mir däuchte, durch Grasbüschel aufgehalten.

So hoch ich erst eine Treppe hinaufgestiegen war, so tief führte mich jetzt eine hinab, welche den häßlichsten Moderduft aushauchte.

Hierauf wieder eine Thüre, und nun endlich auch die Erlaubniß die Maske abzunehmen.

Ich fand mich in einem ungeheuer großen Zimmer, dessen seltsames Geräth von einem Jahrhundert früher Zeugniß ablegte. Die Fenster mit Bretern versetzt. Eine Oeffnung im Platfond der einzige Zugang für die äußere Luft. Zwei Fackeln erhellten das Gemach, in dem die schöne Dame sich wie in einer unnatürlichen Verzauberung befand.

Ihr Hiersein, sagte sie, als die Alte sich entfernt hatte, beweist mir die Gerechtigkeit meines Vertrauens.

Fast hätte ich, erwiederte ich, nicht ohne Empfindlichkeit, aus der Art, wie ich hierher geführt worden bin, auf gänzlichen Mangel an diesem Vertrauen geschlossen.

Vergeben Sie. Mein Geheimniß hätte ich ihrem herzvollen Auge gern anvertraut, doch der Ort meines Aufenthaltes ist nicht das meinige allein. Entweder mußte ich auf diese, wie auf jede Zusammenkunft, mit Ihnen Verzicht leisten, oder das Geheimniß meiner treuesten Freundin dabei als ein heilig anvertrautes Gut sichern können.

Ich wußte bei dieser Rede kaum wie mir geschah. Die Worte waren es nicht, die mich entzückten, aber das Gemüth, wenn ich so sagen soll, das in ihnen lag, das von den anmuthigsten Tönen, wie das Hochheilige von der Monstranz, umgeben wurde. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nicht sprechen hören, so dünkte es mir in diesem Augenblicke. Auch wagte ich keine Erwiederung. Ich verlor mich die kurze Zeit, die mir dazu blieb, in den hohen Augen und der ganzen Kraft und Jugend stralenden Gestalt, die hier, wie eine schöne Rose, aus altem Schutt und Ruinen prächtig hervortrat.

Zuerst, fing Sie nun an, danke ich Ihnen für meine Rettung und dem Himmel für die Ihrige. Was aber ist aus unserm Gegner geworden?

Ein Nichts! Was allen Ihren Gegnern zu gönnen wäre. Mein Messer hat den Frevel, Sie zu verfolgen, mitten in seinem Herzen aufgesucht. Der wird kein Gewehr wieder nach Ihnen ausstrecken.

Gott im Himmel! rief die Dame außer sich, und bedeckte verzweiflungsvoll ihr Gesicht mit den Händen.

Nichts glich meinem Befremden. Das Bedauern eines Missethäters wäre durch die milde Natur der Frauen erklärbar gewesen. Aber das war ein weit tieferer Antheil.

Wer war Ihnen denn der Getödtete? fragte ich.

Mein Bräutigam!

Das Wort durchschmetterte alle meine Gebeine.

Ihr Bräutigam? Aus der letzten Situation war dieß Verhältniß nicht herauszufinden.

Er war – Doch wozu Ihnen, mein Herr, das Herz noch schwerer machen, das schon einen Todtschlag zu tragen hat? – Der böse Ausgang ahndete mir, daher ließ ich Sie zu mir bitten. Ihres eigenen Heils wegen! – Weiß die Obrigkeit schon von der That?

Noch nicht!

Gott sei Dank! Dann suchen Sie alles, den Gräuel zu verheelen. Denn selbst die Entschuldigung eine auf den Tod Verfolgte zu retten, würde Sie nicht zu schützen vermögen. Bei allen Ihren Bekanntschaften nicht! Sogar dann nicht, wenn ich mich selbst entschlösse, Ihr Vorgeben zu bezeugen. Die Obrigkeit zwar könnte Sie freisprechen, aber niemand vor den gewiß überall auflauernden Dolchen der Verwandten des Erblichenen in Schutz nehmen.

Ich will Ihr Bestes! fügte sie sanft hinzu. Befolgen Sie darum meinen Rath. Jetzt verlassen Sie mich. – Allezeit den dritten Tag, sobald es dunkel ist, wird die Alte bei der Villa, die Sie mitbewohnen, vorübergehen. Liegt Ihnen daran mich noch einmal zu sprechen, so gehen Sie ihr nach und befehlen über sie. Immer werden Sie mir willkommen seyn, wenn Sie sich wie heute der Führung meiner Dienerin blind überlassen. – Leben Sie wohl!

Der letzte Wunsch war so seelenvol ausgesprochen, daß ich kaum von der Stelle konnte. Allein mit einer an Zärtlichkeit grenzenden Wehmuth öffnete sie die Thüre und übergab mich der Alten Leitung, welche ganz auf die vorige Weise erfolgte.

Als mich die Führerin meinen Augen wieder überließ und von mir Abschied nahm, war ich in einem Gäßchen ohnweit dem Platze del Popolo.


Ein seltsameres Abentheuer als mein heutiges schien mir kaum ersinnlich. Ein Bräutigam, der seiner Braut nach dem Leben steht; eine Braut, die über den Verlust eines solchen Bräutigams außer sich geräth, und gleichwohl denjenigen, der sie von ihm befreite, sehr entschiedene Beweise ihres Wohlwollens giebt! Dieß alles, verbunden mit der ungewöhnlichen ja schauderhaften Wohnung ließ auf das Zusammentreffen außerordentlich widriger Begebenheiten schließen.

So wenig ich mir aber auch einen Begriff machen konnte, weder von den äußern Beziehungen, noch von dem, wie es schien, aus ganz widersprechenden Bestandtheilen zusammengesetzten Charakter der Dame, so sehr war ich dennoch für sie eingenommen. Gestalt und Haltung, Sprache und Stimme, alles kündigte mir eine innere Größe an, welche die Verworrenheit der Gefühle und äußern Ereignisse noch einmal gänzlich zu lösen versprach.

In diesen Gedanken eilte ich der Villa zu, wo meine späte Ankunft an sich nicht auffallen konnte, da ich ohnehin, wegen häufigen Herumschwärmens in schönen Nächten, der Nachtwandler genannt zu werden pflegte. Nur das, daß der späte Besuch der Alten vorausgegangen war, hätte die Sache verdächtig machen können. Doch hatte mein Bedienter und niemand sonst diesen Besuch bemerkt, und auf seine Verschwiegenheit war immer zu bauen. Daher war, auch am andern Morgen gar nicht von meiner nächtlichen Abwesenheit die Rede. Desto mehr aber von meinem Spleen, wie man das dumpfe, düstre Hinbrüten nannte, welches mich für die Gesellschaft unerträglich machte.

Als mein Bedienter beim Reinigen der Kleidung ihre Taschen auf meinem Zimmer ausleerte, da erst ward ich inne, daß der Rosenkranz, den ich von der Alten unterpfändlich erhalten hatte, noch in meinen Händen war.

Um nicht mißfällige Scherze zu veranlassen, legte ich ihn in mein Bureau. Zu spät. Julie hatte sich an dem Nebengeländer vor meinem Fenster etwas zu thun gemacht, und die Andacht war ihr nicht entgangen, mit der ich, ehe ich den Rosenkranz bei Seite legte, ihn betrachtete. Sie pochte an's Fenster und bat mich, ihr ebenfalls die schöne Perlenschnur zu zeigen.

Sie schien den Rosenkranz wieder zu erkennen. Sprachlos gab sie ihn zurück. Auch bemerkte ich, daß sie in einiger Entfernung mit ihrem Taschentuche schnell über die Augen fuhr, auf denen ich einen, gewiß nicht schmerzlosen, Glanz hatte schwimmen sehen.


Der Brief meines Vaters war über den so anziehenden als grausamen Vorfällen des gestrigen Abends vergessen; die Villa mir zuwider. Ich gab Geschäfte für einige Tage vor und fuhr noch vor Tische in meine Wohnung auf dem spanischen Platze. Aber die Stadt bereitete mir nur neue Sorgen und Unruhe. Der Körper des Getödteten, eines Grafen Pignola, war gefunden worden und die That selbst das allgemeine Gespräch. Man glaubte sie der Eifersucht zuschreiben zu müssen, weil der Verstorbene in seinen letzten Tagen sehr reich an Liebesintriguen gewesen seyn sollte. Darum wurde er auch nicht sonderlich bedauert und das war mir ein Trost. Jedoch hörte ich zugleich, welche hohe Preise seine angesehenen Verwandten auf den Kopf des Mörders gesetzt hatten. Man hatte bereits einigen Verdacht geäußert. Zum Glück aber blieb die Unschuld der Personen, auf die er fiel, nur wenige Stunden unentschieden. Uebrigens glaubte man allgemein, daß ein Bandit die Mittelsperson gewesen seyn müsse, weil der Dolchstoß, den der Zufall mitten durch die Wohnung des regesten Lebens geführt hatte, von einer festen und erfahrenen Hand zu zeugen schien. Der Dolch selbst, welchen man noch neben ihm liegen gefunden, trug zwar die Aufschrift: Nothwehr, auf einem grünen Griffe mit goldenen Buchstaben. Aber das bewies freilich nichts gegen jenen sehr wahrscheinlichen Glauben. Ein Glück für mich war es, daß ich gewiß wußte, dieser so auffallende Dolch, den ich einmal in Lüttich gekauft und auf Reisen immer bei mir geführt hatte, sei, so lange ich ihn besaß, noch von niemand gesehen worden.

Ich besuchte, wie gewöhnlich in den Tagen, die ich in der Stadt zubrachte, einen großen Theil meiner Bekannten, hauptsächlich unter den Künstlern, kehrte aber dießmal, des überall herrschenden Gesprächs bald überdrüssig, bei Zeiten in meine Wohnung zurück. Doch was ich auch zu meiner Beschäftigung vornahm, behagte mir nicht. Das Betrachten des Rosenkranzes der räthselhaften Dame gab mir noch die meiste Unterhaltung.

Der Abend verdoppelte meinen Unmuth. Ich warf mich in's Fenster. Die Nacht begann köstlich wie die gestrige, aber so lieblich die Luft auch wehte, so war sie doch nicht vermögend die gewaltige Gährung in meiner Seele zu stillen, oder auch nur zu mäßigen. In zwei ungeheuern Nebelgestalten stießen Furcht und Hoffnung einander ohne Aufhören an. Ein unermeßlicher Abgrund vor meinen Füßen, ein unergründlicher Himmel darauf. Ohne Flügel, die mich zu diesen hinauftragen konnten, mußte ich wahrscheinlich eine Beute des Abgrunds werden.

Die fröhlichen Gruppen des bunt belebten Platzes hatten durchaus keine Berührung mit mir. Desto tiefer und schauerlicher griff ein anderes Nachtgemälde, das sich jetzt langsam um die Ecke herumbewegte, in mein zitterndes Leben ein. Ein Leichenzug. Viele Fackeln, die ihn begleiteten, kündigten die Wohlhabenheit des Verstorbenen an. Da solche Züge sonst in Rom keiner großen Aufmerksamkeit gewürdigt werden, so erregte schon die ungewöhnliche Volksmenge eine bittere Ahndung.

Da bringen sie den gestern Ermordeten! sagte mein Bedienter, in diesem Augenblicke eilig hereintretend. Der Mörder, setzte er hinzu, wenn er den betrübten Zug mit ansähe, müßte wohl von seiner Reue allein zu dem Bekenntnisse angetrieben werden.

Kerl! rief ich aus, und mein Auge traf so schrecklich, daß er bat, ich möchte doch ihn um Gotteswillen nicht in dem abscheulichen Verdachte haben.

Wer weiß – sagte ich einlenkend, doch mit baldiger Hinzufügung des Trostes, daß ich ihn nur auf die Probe gestellt hätte.

Indessen war der Zug bis unter meine Fenster gekommen. Die rothauflodernden Fackeln schienen mich mit Blut besprengen zu wollen. Der schwarze Rauch um sie her nahm die Gestalt von Furien an, die der Todte, der, nach Landessitte, unverhüllt getragen wurde, in so leisen als gräßlichen Tönen zu meiner Qual aufzufordern schien. Dazu der leichenfarbige Mond nicht nur über mir, sondern auch unten auf dem Platze in dem Brunnen, die Barcaccia genannt, gleich als hätte sich der furchtbare Zeuge meiner blutigen That nur verdoppelt, um meinem Auge weder im Himmel noch auf der Erde einen Ruhepunkt zu vergönnen.

Du hast Recht, mein ehrlicher Franz! rief ich, ein Schauspiel, wie dieses, kann der Mörder ohnmöglich aushalten!

Ich war auch in diesem Augenblicke fest entschlossen, den gestrigen Vorfall zu Papiere zu bringen und von richterlicher Entscheidung den Ausspruch meiner Schuld oder meiner Unschuld zu erwarten.

Je tiefer aber das furchtbare, lebendige Gemälde in den Hintergrund wich, desto lebhafter trat auch wieder mein Bewußtseyn hervor, daß bloß Nothwehr mich zu dem Schritte vermocht, und der Zufall, nicht ich, die Sache zu verantworten habe.

Bei alledem hatte der Zug einen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich nicht im Stande war, die Nacht in meinem Quartiere zuzubringen. Der Kutscher mußte sogleich anspannen.


Alles auf dem Landhause schien in tiefen Schlaf versunken. Nur Julie sah noch zum Fenster heraus und lief sogleich um Leute zu wecken.

Ich merke wohl, sagte sie, mir auf der Flur entgegenkommend, ich merke, was Sie so über Hals über Kopf uns zurückbringt. Ihre Brieftasche ist oben liegen geblieben.

Meine Brieftasche?

Ja. Sie hat aber in mir eine gutmüthige Person gefunden, die von den Wechseln darin keinen übeln Gebrauch machen wird. – Denn, setzte sie hocherröthend hinzu, da Sie erst gestern Briefe vom Hause erhalten haben, so sind vermuthlich auch die Wechsel mit angekommen, welche Sie schon vor einigen Wochen erwarteten. Ich muß Sie nur sogleich außer Sorge setzen.

Mit diesen Worten eilte sie auf ihr Zimmer, um mir bald darauf die Brieftasche selbst zu übergeben.

Das war wieder ein trefflicher Streich! Mit ganz andern Gedanken erfüllt, hatte ich an diese Brieftasche nicht im mindesten gedacht. Gleichwohl enthielt sie auch den Genehmigungsbrief von meinem Vater, den, allem Anscheine nach, Julie nun selbst gelesen hatte. Ganz unbezweifelt gelesen! Denn nur mit sichtbarer Gewalt unterdrückte sie am folgenden Tage einen Frohsinn, der ihr bei meinem Abgange nach der Stadt gänzlich gefehlt, und ein Zuvorkommen, das sie mir noch niemals in solchem Grade bewiesen hatte. Sie schien sogar Aimeen den Brief gezeigt zu haben. Denn diese, weniger auf ein Geheimniß haltend, was ja doch, wie sie glauben mochte, nächstens an's Licht kommen müßte, versuchte ein Paarmal mich mit meinem Tiefsinn aufzuziehen, ja sie erbot sich sogar – nur halb im Scherze – die Vertraute meiner heimlichen Unruhe zu werden, und versprach ihr Mögliches zu thun sie zu mindern, oder gänzlich zu heben.

Sie können sich meine so unangenehme als verworrene Situation denken. Ich fand tausend Gründe in mir, um von dem Briefe, dessen Inhalt durch meine Nachlässigkeit so unverantwortlich Preis gegeben war, wenigstens für den Augenblick den Gebrauch nicht zu machen, den man allaugenblicklich zu erwarten schien.

Der Tiefsinn, der mir schon vorgeworfen war, artete allgemach in ein unleidliches Benehmen aus, weil ich auf andere Weise die guten, aber unwillkommenen Rathgeberinnen und Trösterinnen nicht ferne von mir zu halten vermochte. Kein Mensch wußte, wie er mit mir dran war, und was so mysanthropische, mir zeither ganz fremd gewesene Launen hervorgebracht haben könne.

Ich war in der Gegend umhergelaufen, um nur aller Anrede auszuweichen, und kam erst Abends im Dunkeln zurück. Mein Franz sagte, daß nach mir gefragt worden wäre.

Von wem?

Von der alten – Teufelskünstlerin.

Ich betrachtete ihn wild und ungeduldig.

Nun, die vorgestern Nacht auch hier war. Ihr Schleier blieb heute an der Thüre hängen, und da sah man wohl, weß Geistes Kind sie ist. Um's Himmelswillen, lassen Sie sich mit der nicht ein, gnädiger Herr! Denn wenn das Thier mit den rothen Augen in dem weißgesottenen Todtenkopfe nicht so ein Beest ist, was wir in Deutschland eine Hexe nennen, so giebt es gar keine Hexen mehr. Und wer mit solchen Leuten zu thun hat, dem geht auch gar bald Muth und Blut und Leib und Seele verloren.

Zum ersten Male in zwei Tagen mußte ich jetzt herzlich auflachen. Allein das nahm er vollends übel auf. Er und das ganze Haus merke schon, daß etwas Wichtiges mit mir müsse vorgegangen seyn. Er bitte mich daher, was er nur bitten könne, diese unfehlbare Ursache meines Mißtrauens und meiner melancholischen Stimmung überhaupt, so bald sie wieder käme, fortzuweisen.

Er hatte kaum ausgeredet, als auch die Alte schon neben uns stand.

Ich winkte ihr nach meinen Zimmern. Dieses brachte den Bedienten so außer Fassung, daß er, sich ganz vergessend, ihr den Schleier vom Gesichte zog, und weinerlich sagte: So sehen Sie doch nur, gnädiger Herr!

Ich bekenne, daß mich wirklich vor der Person ein Grauen überlief. In meinem ganzen Leben war mir nichts Abschreckenderes vorgekommen, als dieses pergamentfarbige, fleischlose Gesicht und der schwarze Abgrund, aus dem ein Paar kleine rothgeschwollene Augen halb hervortraten, zumal wenn der aschgraue Mund ohne Zähne sich im Sprechen hin und her bewegte.

Franz seufzte tief, als ich sie dennoch mit auf mein Zimmer nahm.

Meine Gebieterin, sagte sie leise, wünscht, daß Sie ihr entweder durch mich den bewußten Rosenkranz überschicken, oder ihn noch heute selbst überbringen, da sie schon in dieser Nacht Rom zu verlassen gedenkt.

Diese Nachricht, und der gleichsam in Thränen eingeweihte, widerwärtige Ton, in dem sie vorgetragen wurde, machte mich dieser Person nur noch abgeneigter. Folgen mußte ich ihr jedoch unter solchen Umständen. Denn wie wäre es mir möglich gewesen, die Dame aus Rom zu lassen, ohne sie noch einmal gesehen zu haben, da dieses in meiner Macht stand.

Franzen, der mir an der Hausthüre mit unschicklicher Gutmüthigkeit den Weg vertrat, mußte ich mit Gewalt auf die Seite schieben.


Der Pfad dünkte mich heute unter der Maske noch eins so lang und unheimlich als das erste Mal. Uebrigens endete er grade wie vorgestern.

Die Dame kam freundlich zwar, aber mit tiefer Bewegung auf mich zu. Es freut mich, Sie noch einmal zu sehen! sagte sie. Vermuthlich das letzte Mal in meinem Leben. Des Verstorbenen Angehörige haben aus seinen Papieren Argwohn gegen mich geschöpft. Sie vermuthen mein Hierseyn und forschen nach meinem Aufenthalte. Ich darf die Freundin, die mir diese Zuflucht gewährte, durchaus nicht in mein bitteres Geschick verflechten. Noch vor Tagesanbruch werde ich daher mich zu retten versuchen.

Das ist zu viel! rief ich. Mit diesem herrlichen Leben wäre mein schuldiges allzu theuer erkauft. Der Mörder soll sogleich zum Richter eilen.

Um Gotteswillen nicht, sprach die Dame, mich, der ich schon die Thür aufhatte, mit einer Kraft zurückhaltend, die der Verzweiflung ähnlich sah. Sie zog mich an die hochaufschlagende, schöne Brust.

Ihr Unglück wäre unfehlbar auch das meinige, sagte sie, und die hellen Blicke, der warme runde Arm, das alles erklärte vollends, was die Worte dunkel gelassen hatten. Wenig Minuten später küßte ich ihr die Thränen aus dem braunen Auge. Es war ausgemacht, daß unser Schicksal von nun an eins und dasselbe seyn und bleiben sollte. –

Bei alledem that sie mir gegen mein Erbieten, ihr Begleiter aus Rom zu werden, die lebhaftesten Vorstellungen, die ich auch so wohlgegründet fand, daß nichts dagegen vorzubringen war.

Uebermorgen Abend, sagte sie als ich scheiden mußte, da sollen Sie den ersten Brief erhalten.

Und bis dahin leben? rief ich, die reitzende Hand krampfhaft an mein Herz pressend, leben, mit dem schrecklichen Bilde deiner Gefahren?

Das Bewußtseyn eines göttlichen Besitzes, der vielleicht nach wenig Stunden für immer verloren war, blies den Sturm in meinem Blute mächtiger an. Ich umfaßte sie mit wilder Leidenschaft und taumelte von ihr, zugleich mit Schonung und Unwillen, hinausgestoßen, der harrenden Alten in die häßlichen Arme.


Was hatte ich gethan? An eine Person mich gebunden, von der ich nichts wußte als abschreckende Abentheuerlichkeiten! Nichts? Hatte ich nicht durch ihre Augen bis in die heiligen Tiefen des schönsten Herzens geschaut, nicht in ihren Worten und Tönen die Sprache der Engel kennen gelernt? Meine Vernunft, wenn sie allein redete, wollte mich einen berauschten Knaben schelten, aber mein Bewußtseyn, zu dem sie doch ebenfalls beitrug, strafte ihre einseitige Ansicht Lügen und pflichtete meinem Herzen darin bei, daß es allen meinen geistigen und körperlichen Eigenschaften nach, unter diesen Umständen und bei dieser Person nicht anders mit mir habe kommen können. In dieser Stimmung fand mich Olivia's Brief, der zur versprochenen Zeit richtig eintraf.

Sie war glücklich bei ihren Verwandten in Spoleto angelangt und äußerte den Wunsch, daß ich recht bald eine Reise dahin möchte unternehmen können.

Ein Wunsch, der so sehr mit meinen Wünschen übereinstimmte, konnte nicht unbefriedigt bleiben. Ich machte Anstalt am andern Morgen abzureisen. Im Hause stand ich zwar schon von längerer Zeit her auf dem Fuße, für ein solches Vorhaben eine Ursache angeben zu müssen. Seit den letzten Tagen aber, in denen mein Verhältniß mit dieser Familie merklich gelitten hatte, brauchte ich nicht grade um einen wahrscheinlichen Vorwand der Reise verlegen zu seyn, sondern bloß im Allgemeinen Geschäfte vorzuschützen, unbekümmert ob das Vorgehen Glauben fand oder nicht.

Julie dauerte mich herzlich. Ich sah ihre Bekümmerniß. Sie kommen doch wieder? fragte sie am andern Morgen als ich schon aus dem Hause trat. Gewiß, antwortete ich mit Innigkeit und sprang in den Wagen, um nur ihren nassen Augen baldmöglichst zu entkommen.

Ein allerliebstes Komteßchen! sagte Franz, der wie gewöhnlich den Rücksitz inne hatte. Sie hat sich, fügte er hinzu, in diesen Tagen erschrecklich abgehärmt!

Worüber? fragte ich finster.

Er schwieg und ich hatte auch keine Lust ihn zur Fortsetzung eines Gesprächs zu ermuntern, von dessen Anfange ich mich schon durchaus verstimmt fühlte. Ob ich gleich gar nicht anders handeln zu können glaubte, als wirklich geschah, auch der Hoffnung lebte, daß ich die Einwilligung meines Vaters in die neue Parthie so gut als in die aufgegebene erhalten würde, so konnte ich mir doch die Nachlässigkeit, seinen Brief in Juliens Hände gelassen zu haben, gar nicht verzeihen, denn unfehlbar nur diese Nachlässigkeit hatte das Mädchen in ihren Erwartungen von mir bestärkt.


Gegen Abend kam ich zu Spoleto an. Das Haus, in dem Olivia sich aufhielt, zeugte von Wohlhabenheit und Anstand. Erst durch diese erfreuliche Umgebung trat sie auf Eine Stufe des Lebens mit mir. Ihr zeitheriger Zustand hatte einer fabelhaften Verzauberung geglichen, deren nunmehr erfolgte Lösung mir sehr wünschenswerth war, wiewohl ich noch von dem halbzertrümmerten Zauberschlosse selbst und den Umständen, durch welche Olivia hineingerathen, keinen Schlüssel besaß.

Hierüber und über ihre Person einige Auskunft zu erhalten, das mußte mir nothwendig am nächsten liegen. Daher nahm ich von dem schönen Abende Anlaß sie zu einem Spaziergange in den Garten aufzufordern, dessen Orangenbäume ihre goldenen Früchte bis dicht an ihr Fenster herauftrugen.

Ich war nur erst in den Vorhallen meines heutigen Himmels gewesen, wie ich unter den duftenden Alleen sogleich inne ward. Wegen der aufmerksamen Verwandten hatte Olivia's Herz oben nur in leisen, verstohlenen Tönen aus ihren Augen gesprochen, hier rauschte es ihr mit Gewalt über die köstlichen Lippen. Nicht kleinliche Worte, die ganze Seele der Geliebten dankte mir für die ungesäumte Erfüllung ihres Verlangens mich bald zu sehen, die, wie ich ihr auch sagte, von meiner Seite nicht weniger als Verdienst, sondern nur Befriedigung der eigenen, übermächtigen Sehnsucht war.

Wir sprachen manches; meist einzelne Laute der Liebe, nur den Liebenden vernehmlich. Allgemach kam die Rede auf Olivia's Schicksale, und sie erschrak, daß sie den Eigenthümer oder wenigstens Mitbesitzer ihrer Zukunft, bis dahin einzig dem Glauben an ihre Reinheit und Güte überlassen, und ihm nicht wirklich auch schon die Geschichte ihrer Vergangenheit als Bürgin für diesen Glauben erzählt hatte.

Wir setzten uns auf den Rasensitz unter einer immergrünen Eiche, wo uns von den benachbarten Spitzen der Berge, deren untern Theil schon der Dämmerung weiche Nebel umwallten, der letzte Sonnenblick liebreich anlachte.

Merkwürdig kann ich es nennen, daß mir bei einem Gedächtnisse, welches sich sonst nicht über das Mittelmäßige erhebt, auch die geringste Kleinigkeit von Oliviens Mittheilungen im Andenken geblieben ist.

Der Anfang unserer Bekanntschaft, sagte sie, war so plötzlich und kurz, ihre Erneuerung so tragisch, und das bald darauf erfolgte süße Einverständniß von einem solchen Rausche umfangen, daß über meine Person noch wenig oder nichts zur Sprache gekommen ist, und ich kaum weiß, ob meine Abkunft dem liebsten Freunde bekannt seyn möchte.

Auf mein stillen Verneinen fuhr sie fort:

Ich stamme von dem alten Geschlecht der –conti, das bekanntlich in Mailand zu Hause ist. Mein Vater, der sich mit seinen Aeltern wegen des Mädchens erzürnt hatte, die er zur Gemahlin haben wollte, wandte sich nach Rom, dieser herrlichen Hauptstadt der Welt. Er heirathete die Geliebte, eine Römerin, und behielt, da seine Aeltern ihn deßhalb enterbten, nur noch so viel Vermögen, um bei möglichster Eingezogenheit ein bequemes Leben führen zu können, und dabei auch den Stolz seines Namens nicht ganz verläugnen zu dürfen.

Leider starb er, als ich, das einzige Kind, erst die Jahre der Jungfrau erreichen sollte und meine Mutter noch in voller Blüthe stand. Ihre Trauer gränzte an Wahnsinn. Sie glaubte seinen Aufopferungen um ihretwillen das Gelübde steter Witwenschaft schuldig zu seyn, und hat es auch, ohngeachtet vieler sehr vortheilhaften Anträge, mit der ängstlichsten Treue in Erfüllung gebracht.

Ueberhaupt war meine Mutter die trefflichste Frau, die es geben kann. Ihr ganzes Bestreben ging auf meine Bildung und wie sie dabei jeden Wink des verstorbenen Gatten benutzen wollte. In dieser Rücksicht war sie, wenn ich so sagen darf, bis zur Schwäche pünktlich, und ein Theil meines nachherigen Mißgeschickes kann wohl mit davon herrühren. Doch ist gewiß die meiste Schuld auf meiner Seite. Mein seliger Vater hatte nämlich eine unaufhörliche Angst über das schlimme Verhältniß, worein er mit seinen Aeltern gerathen war, und hätte sein Leben drum gegeben, um mich wenigstens wieder mit seiner mailändischen Familie auszusöhnen. Ein Mittel dazu glaubte er in dem jungen Grafen Pignola zu sehen, dessen Vater mit ihm sowohl als mit seinen Aeltern in recht traulichem Vernehmen stand. Eine Verbindung zwischen mir und dem jungen Pignola schien ihm um so zweckmäßiger, da der alte Graf ihm auf solchen Fall sein Wort gegeben hatte, die gewünschte Aussöhnung vollkommen zu bewirken.

Beide, mein Vater und meine Mutter, sprachen daher von diesem Bräutigam mit mir, als, meiner Jugend wegen, noch nicht die Rede seyn konnte, mich zu verheirathen. Ueberdieß hatte ich auch den jungen Mann, der seine Bildung auf Reisen zu vollenden suchte, gar nicht einmal gesehen. Doch lobte man ihn außerordentlich, wodurch sich unvermerkt ein Bild von ihm in meiner Seele entwickelte, so schön und reitzend, daß das Original vielleicht nur in einem Feenlande anzutreffen seyn möchte.

Inzwischen ging mein Vater aus der Welt.

Der junge Spignola kam nicht lange nachher zu Rom an. Aber wie wenig fand ich meine Erwartungen befriedigt. Seine Gestalt völlig unbedeutend, sein Geist arm und kokett zugleich. Uebrigens war er, was man im gemeinen Leben einen guten Menschen nennt, in recht vorzüglichem Grade.

Allein so sehr auch meine Mutter mich auf diese Güte hinwies und, vielleicht mit Recht, behauptete, daß ich bei ihr das Uebrige bald würde entbehren können, mein Widerwille gegen den jungen Grafen ging in eine Abneigung über, die immer heftiger wurde, je angelegener er seine Bewerbungen um meine Hand betrieb.

Seine Leidenschaft wuchs größer. Die alte Gräfin Pignola sprach mit meiner Mutter von einer baldigen Verbindung. Meine Mutter drang in mich, aber Thränen waren ihr keine gnügende Antwort. Ein Augenblick – der übrigens meinem Bewerber nicht zu Schulden kam, verwandelte jetzt meine Abneigung in eigentlichen Abscheu. Dir, Geliebter, kann ich es nun mit Freude entdecken, es war der schöne Moment Deiner Bekanntschaft. Dein Bild haftete fest in meiner Seele. Es glückte mir auch, daß ich etwas Näheres über Deine Verhältnisse und Deinen Aufenthalt erfuhr.

Unvorsichtig genug entdeckte ich einmal der Mutter meine Neigung. Aber höchst entrüstet sprach sie von Luftschlössern, von Ideen, die sich nicht mit den Einrichtungen in der Welt vertrügen, von kindischen Regungen alberner Gefühle. Ich durfte mich dagegen nicht auslassen, weil meine Mutter, ihrer immer zunehmenden Kränklichkeit halber, äußerst reitzbar geworden war. Destomehr mochte es wohl, mir selber unbewußt, Pignola entgelten müssen, der bald nachher seinen Besuch machte. Wenigstens datirt sich von dieser Zeit eine vollkommene Aenderung seiner Lebensweise. Er, der sonst der stillste, ordentlichste Mensch gewesen war, verfiel auf einmal in ein wüstes, unwürdiges Leben. Aus Verzweiflung über mein Zurückweisen seiner Leidenschaft! sagten seine Verwandte, und diese und meine Mutter beschworen mich, durch Aufgeben meiner Härte ihn auf den guten Weg zurückzuführen.

Besonders stellte auch meine Mutter mir vor, wie so selten ein Plan gelinge, den Kinder gegen den Willen der Aeltern unternähmen. Sie stellte mir ihre eigene Ehe vor, die bei aller wechselseitigen Liebe doch den Keim des Unfriedens in sich getragen hatte, der mit den Jahren immer höher und giftiger emporgeschossen war.

Hatte sie meinen Bewerber rufen lassen, oder kam er zufällig, ich weiß es bis diese Stunde nicht. Das aber erinnre ich mich, daß er nach dieser Rede hereintrat und sein bleiches verstörtes Gesicht mein Mitleid vollends in Anspruch nahm, das die kranke Mutter zuvor geflissentlich aufgeregt hatte.

Mein gütigeres Benehmen gegen Pignola machte sie in der That zusehends gesünder, so daß sie am andern Tage außer dem Bette bleiben konnte.

Kind, sagte sie, ich glaube fast, daß mein Wiederaufkommen in Deiner Macht steht. Dein gestriges Betragen ist gar heilsam für mich gewesen.

Man muß die herrliche Frau haben leiden sehen, um mein Uebermaß des Glückes bei diesen Worten zu empfinden. Ich kniete vor ihrem Lehnstuhle nieder, und wäre im Stande gewesen, alle irdische und himmlische Ruhe aufzugeben, um nur sie beim Leben zu erhalten.

Sprich ganz aufrichtig mit mir, sagte sie endlich. Keine Täuschung. Hat mein Rath Frucht getragen in Deinem Herzen? Soll Pignola Deine Hand erhalten?

Er soll sie erhalten, ja! rief ich.

Merke wohl auf, Olivia. Kein Zwang ist es, der Dich auffordert.

Nein, nein, mein freier Wille.

So sei mir gesegnet, fromme Tochter, welche die Wünsche der Aeltern höher achtet als die Grillen ihres schwankenden Herzens; die mir gleichsam das Versprechen mit in die Gruft giebt, das Band wieder anzuknüpfen, was meine und meines Gatten Liebe so leichtsinnig zerrissen hat! – Jetzt ist mir wohl, Olivia, mit Deiner Zusage werde ich dem vereinigten Gemahl entgegengehen.

Nur so bald noch nicht! rief ich, ihre Hand ängstlich an mein Herz ziehend und mit den Lippen auf das Gesicht sinkend, das bei den letzten Worten schon gleichsam vom Glanze der Verklärung überstrahlt wurde.

Warum nicht jetzt? antwortete sie, jetzt wo ich im vollen Genusse der Liebe und des Gehorsams meines einzigen Kindes scheiden kann? – Nein, nicht scheiden, gute Olivia. Nur mein Sterbliches wird Dir entzogen werden. Ich selbst, diese Überzeugung beseliget mich, ich werde Dir nahe bleiben, und wo möglich, Deine künftigen Entschlüsse zu leiten suchen.

O Mutter, rief ich, vor ihr auf die Kniee sinkend, darum, ja darum flehe ich Sie. Bleiben Sie auf immer mein Schutzgeist, wie Sie es von jeher gewesen sind.

In demselben Momente erschien Pignola.

Sie kommen zur rechten Zeit! sagte sie schon ganz schwach. Dabei ergriff sie meine Hand und legte sie in die seinige.

Jetzt erwachte ich aus der Betäubung. Mein Arm zuckte zurück von dem schauerlichen Vorgefühle der Folgen dieses entscheidenden Aktes. Pignola schien mein Widerstreben gewahr zu werden und hielt die Hand so fest, daß mir meine Zukunft im Bilde erschien und die Brust davor fast zerspringen wollte. Dennoch suchte ich, der geliebten Mutter wegen meine Mienen wenigstens im Gleichgewicht zu erhalten. O es war ein Zustand, dessen Entsetzen nur durch den kurz darauf erfolgten Hintritt der Mutter übertroffen wurde.

Pignola mischte sich nun in die nothwendig zu treffenden Anstalten. Ich konnte es ihm um so weniger wehren, da mein Vormund, der Herr dieses Hauses, noch nicht in Rom zugegen war. Dazu nannte er mich vor allen Menschen seine Braut, und sprach schon von unsrer Abreise nach Mailand. Nein, so etwas muß man erlebt haben, um die Fülle meines Jammers und meiner Verzweiflung zu begreifen!

Am dritten Tage kam mein Onkel und Vormund in Rom an. Kaum war der Leichnam meiner Mutter bestattet, so eilte ich ohne Abschied von dem verhaßten Bräutigam hierher. Obschon aber dadurch sowohl, als überhaupt durch mein Benehmen, meine Gesinnung gegen ihn am Tage lag, so verfolgte er mich doch auch bald bis hierher, und selbst meine tiefe Trauer hielt ihn nicht ab, von der künftigen Hochzeit zu sprechen und mich zu ihrer Beschleunigung anzutreiben. Weder mein Zorn noch mein Flehen brachte ihn auf andere Gedanken. Seine Sinne vollkommen entbrannt, schienen nicht auf Anstand oder irgend etwas länger Rücksicht nehmen zu wollen.

Nicht einmal mehr vor seinen Beleidigungen sicher, verschwand ich einmal bei Nacht und ließ eine schriftliche Entschuldigung an den Onkel zurück, die von Thränen fast ausgelöscht war. Dem verhaßten Bräutigam schrieb ich die Worte: Heilige Mauern werden mir Schutz vor Ihren Nachstellungen gewähren. Wir sehen uns nie wieder.

Es war mein fester Vorsatz in ein Kloster nach Rom zu gehen. Auch schien der Himmel meine Schritte stärken zu wollen, denn mit dem anbrechenden Morgen hatte ich so viel Weg zurückgelegt, daß ich mich völlig in Sicherheit glaubte. In welches Kloster aber? Eine Freundin, die selbst Schwestern in zwei verschiedenen Klöstern hatte, sollte meine Rathgeberin werden. Mein erster Weg in Rom war zu ihr. Aber wenig Trost. Sie schilderte mir die Klöster, welche sie kannte, ganz anders, als ich sie mir gedacht hatte, vertröstete mich jedoch auf die Zeit, wo eins derselben sich gänzlich umwandeln müsse, weil die künftige Aebtissin eine vortreffliche Person sei. Bis zu ihrer bald bevorstehenden Wahl wurde jedoch niemand in diesem Kloster aufgenommen.

Wohin nun indessen? Meine Freundin durfte sich am wenigsten mit meinem Unterkommen befassen, da ein großer Theil ihres Vermögens von ihren nahen Verwandten, den Pignola's abhängig, auch überhaupt der Haß dieser rachgierigen Familie sehr zu fürchten ist. Grade aber auf die Unwahrscheinlichkeit, daß ich bei ihr Zuflucht suchen würde, konnte hier meine Sicherheit gebaut werden. Die edle Freundin selbst äußerte dieß gegen mich, und ließ nicht nach, bis ich in ihr Erbieten, mir einen Aufenthalt zu verschaffen, gewilligt hatte. In ihren eignen Zimmern wollte sie mich verbergen. Allein bei aller Zuverlässigkeit ihrer Dienstleute, die sie mir anrühmte, durfte ich das nicht annehmen, weil ein einziger geschwätziger Mund ihr lebenslangen Jammer hätte zuziehen können.

Auf ein seiner Baufälligkeit halber schon lange unbenutzt liegendes Hinterhaus aber, war mein Absehen gerichtet, da die alte Aufseherin darüber von jeher für ein Muster der Treue gegolten und überdieß, wegen eines in frühern Jahren unvorsichtig ausgestoßenen Wortes, das Gelübde gethan hatte, durchaus von nichts, als dem zu ihrem Dienste oder Leben Nothwendigen zu sprechen; ein Gelübde, worauf sie so strenge hielt, daß viele Leute bei dieser Seltsamkeit, die durch ihr leichenfahles Gesicht noch mehr herausgehoben wurde, sich eines Grauens vor der bejahrten, auf den Füßen aber noch ziemlich rüstigen Person gar nicht erwehren konnten.

Das Räthsel meines letzten Aufenthaltes in Rom wäre Dir hiermit gelöst. Das übrige soll sich Dir ebenfalls aufhellen.

Pignola hatte, wie ich seitdem erfahren, dem Vormunde und dessen Familie wegen meines Entweichens gewaltig zugesetzt. Er glaubte es sei mit ihrem Vorwissen geschehen, und entblödete sich nicht, so unsinnige als boshafte Drohungen gegen sie und mich auszustoßen. Bei seiner ausgebreiteten Bekanntschaft wurde es ihm nicht schwer, alle Klöster in der Gegend nach mir durchsuchen zu lassen. Denn selbst den heiligen Mauern drohte er mich wiederzu entreißen.

Da ich nirgends gefunden worden, war er nach Rom gegangen, vermuthlich ebenfalls um mir nachzuspüren.

Nur mein Vorhaben, die Gruft der Mutter zu besuchen, verrieth mich ihm. Des Versprechens der Seligen eingedenk, immer um mich seyn zu wollen, war ich schon oftmals niedergesunken sie beschwörend, mir ein Zeichen zu geben, ob mein Entschluß in ein Kloster zu gehen, dem Himmel nicht wohlgefälliger seyn müsse, als die mir so herzinnig verhaßte Vermählung. Vergebens; der ersehnte Aufschluß unterblieb. Da gerieth ich endlich auf den Gedanken, bei einbrechender Nacht an ihr und meines Vaters vereintes Grabgewölbe in der Kirche della ** zu gehen, weil ich hier mein heißes Verlangen eher erfüllt zu sehen hoffte. Der Aufseher war durch die Alte vorbereitet. Aber ob Pignola schon früher diesen Besuch, bei meiner Liebe zur Mutter, vorausgesetzt und den Kirchenaufseher bestochen, oder ob der bloße Zufall ihn mir in den Weg geführt hatte, genug, nicht, weit von der Kirche selbst steht Pignola plötzlich dicht vor mir. Der Schrecken fesselt mich einen Augenblick, auch kann es wohl seyn, daß mir ein verrätherischer Laut entschlüpft ist. Kurz, obschon wohl maskirt, bin ich ihm verdächtig. Er spricht meinen Namen aus und geht mir nach. Wohin weiß ich nicht. Der offne Eingang zu den Farnesischen Gärten bietet sich dar. Vielleicht hier irgendwo ein Verbergen. Aber nur zu bald ereilt er mich. Entsetzliche Vorwürfe von seiner Seite. Er will meine heimliche Zuflucht wissen. Auf mein hartnäckiges Schweigen sagt er, daß er schon dahinter kommen wolle, und fügt mit der frechsten Wildheit hinzu: Niemand solle mich wieder ihm von der Seite reißen. Ich müsse sein werden, lebend oder todt. Dazu zeigt er auf Waffen, mit denen er reichlich versehen war, die mir es auch wahrscheinlich machen, daß ein Verrath Statt gefunden hatte.

Nur mit halbem Bewußtseyn schwanke ich sprachlos neben ihm her. Sein Fall mit dem einen Fuße in einen tiefen Graben giebt jetzt meinem einzigen Gedanken, dem Versuche zur Flucht, neue Stärke. Lebendig oder todt! ruft er, sich wieder aufraffend und seine Pistolenkugel fährt dicht bei meinem Ohre vorbei in einen Baumstamm.

Welche Wendung die Sache nun nahm, ist Dir bekannt. Auch kannst Du Dir meine verworrenen Gefühle bei der That, die mich von ihm befreite, erklären. Noch bleibt mir aber die Erwähnung des Argwohns übrig, als ob Pignola's Verwandte böse Absichten gegen mich gefaßt hätten. Er kommt aus sehr wahrhaftiger Quelle. Am Tage vor meiner nächtlichen Abreise schrieb nämlich meine gütige Wirthin mir aufs ängstlichste die Nachricht, daß Pignola's Mutter bei ihr gewesen und aufs Begierigste zu wissen verlangt habe, wo ich mich aufhalte, auch daß sie, als meine Freundin Unwissenheit vorgegeben, mit vielem Kaltsinne von ihr geschieden sei. Zwar scheine man meine eigentliche Zuflucht noch nicht entdeckt zu haben, aber aus des Grafen nachgelassenen Papieren so viel gewiß zu vermuthen, daß ich nach Rom geflüchtet sei. Auch hätte man meinen letzten Zettel an Pignola gefunden, welcher dessen Verwandte auf den unseligen Argwohn gebracht, daß ich die Anstifterin seines Todes gewesen. Meine Freundin fügte hinzu, daß sie nach allen Reden der entrüsteten Dame besorgen müsse, man werde keine Mühe scheuen mich aufzuspüren. Vermuthlich nicht, mich vor Gericht zu ziehen, denn dazu fehle es an Beweisen, sondern bloß um Pignola's Tod durch einen gedungenen Bravo blutig an mir rächen zu lassen.

Ich konnte kein Mißtrauen in meine Freundin setzen, und es wäre heillos gewesen, meine Beschützerin in das Unglück mit hinabzureißen. Daher entschloß ich mich zur schleunigen Entfernung.


Meine Frage, ob Olivien hier von Nachstellungen etwas vorgekommen sei, beantwortete sie zwar mit keinem bestimmten ja, doch äußerte sie, daß ein Mann in rothem Mantel gestern Abend nach dem Fenster heraufschielend ums Haus geschlichen sei, dem sie wenig Gutes zugetraut habe.

Heute sollte er an mir seinen Mann finden, sagte ich, und plötzlich antwortete eine rauhe Stimme: das laßt uns sehen. Ein nerviger, gedrungener Kerl trat dazu mit gezogenem Dolche aus dem Gebüsch hervor. Er schien auf unser Erschrecken gerechnet zu haben, auch war Olivia wirklich ohne Bewußtseyn zurückgesunken.

Seid klug und laßt mich mein Stück Arbeit ungehindert verrichten! sagte der freche Bravo sich Olivien nähernd.

Schurke! rief ich, das für dein schamloses Verlangen.

Er wich meinem Messerstiche aus und sagte mit einer empörenden Kälte: Geht, Herr. Ich habe Gewissen, und verlange kein überschüssiges Blut. Ihr könnt dieser nicht Beistand leisten. Denn im Ernste werdet ihr euch wohl schwerlich mit einem vom Handwerke messen wollen?

Auf diese Rede warf ich mich über den mir weit überlegenen Kerl her. Ich hatte bald zwei Stiche, aber ich ließ nicht ab, brachte ihn auch endlich in der That zu Boden. Ein glücklicher Zufall und die Verzweiflung hatten mich seiner Meister werden lassen.

Kein Laut von Seiten des Banditen. Er war entweder todt oder in der tiefsten Ohnmacht.

Mit dem schönen Gefühle mein einziges Glück im Kampfe gerettet zu haben, trug ich die noch nicht wieder ins Leben zurückgekehrte Olivia dem Hause zu. Zugleich rief ich nach Leuten, den Todten oder schwer Verwundeten in Empfang zu nehmen und der Obrigkeit den Vorfall anzuzeigen.

Als Olivia zu sich kam, zog sie mich heftig an ihr Herz. Ihre Freude war zu gebieterisch, als daß die Gegenwart der umstehenden Verwandten sie hätte unterdrücken, oder auch nur beschränken können. Indessen kamen die Leute mit der Nachricht zurück, daß sie keine Spur von dem Banditen gefunden hätten. Er müsse entweder geflohen oder von Spießgesellen weggebracht worden seyn. Beides war mir unbegreiflich, denn wenn er Kameraden bei der Hand gehabt hätte, so wären diese bei meinem nicht sogleich beendigten Kampfe mit ihm unfehlbar zu seiner Hülfe herbeigeeilt und zum Davongehen glaubte ich ihn zu gut getroffen.

Gleichwohl mußte mich dieser Glaube getäuscht haben. Das machte Olivien und mir große Sorge. Der Kerl hatte vermuthlich unser ganzes Gespräch mit angehört und wir erinnerten uns, daß bei den Reden, die ich zwischen Olivias Erzählung geworfen, des Grafen Todesfall durch mich, erwähnt worden war. Die Sache konnte sogar noch vor Gericht gezogen werden und mir hauptsächlich die lange Verheimlichung ein gar böses Spiel machen.

Meine von mir ganz vergessenen Wunden, welche Olivien jetzt das hervorquellende Blut entdeckte, stürzten meine Braut in neue nicht minder peinliche Unruhe. Doch gab der Arzt gar bald den Trost, daß beide Verletzungen nur seitwärts in's Fleisch gegangen und von keinem Belange wären.

Ueber den Banditen erhielt man am folgenden Tage nähere Auskunft. Er war nämlich bis in einen mit Strauchwerk überwachsenen Graben gekrochen, wo er am Morgen gefunden und von der Obrigkeit aufgehoben wurde. Sein Tod verursachte viel Freude in der Gegend, weil man in ihm einen der gefährlichsten Meuchelmörder erkannte, auf dessen Kopf schon vor mehrern Jahren ein hoher Preis vergebens gesetzt worden war.

Nebst andern angesehenen Personen wurde auch wirklich Pignola's Mutter durch seine Brieftasche kompromittirt. Sie war des Frevels Anstifterin und konnte der gerichtlichen Nachfrage ohnmöglich entgehen. Wenn schon ihre gewichtigen Konnexionen die förmliche Untersuchung abwendeten, so durfte sie doch nicht ohne große Gefahr künftige Anschläge gegen Olivia's Leben fassen, daher denn der Vorfall, der erst auf so finstere Folgen hinwies, in der That die erfreulichsten für uns hatte.

Deßohngeachtet war wohl eine baldige Heirath und Abreise das Rathsamste. Nur mußte mein Vater um so mehr davon im Voraus unterrichtet werden, weil ich wegen meines frühern von ihm gebilligten, nunmehr aber zurückgethanen Schrittes seiner Verzeihung zuvor bedurfte. Daß er mir sie vorenthalten würde, schien mir nicht glaublich, da er Julien so wenig als Olivien kannte, und es ihm, wenn ich mich nicht ganz irrte, um weiter nichts, als um meine Rückkehr und eine junge, gesunde Schwiegertochter zu thun war. Nur ein Vergessen der hergebrachten Form würde er, auf alte löbliche Sitten haltend, nicht ungeahndet gelassen, und es mir zum Beispiel niemals vergessen haben, wenn ich mit der Heirath hätte anfangen und ihn erst hinterher davon unterrichten wollen.

Ich that daher sogleich den ersten zu meinem Vorhaben nöthigen Schritt, indem ich an ihn schrieb. Ich nahm mir die Mühe, die Ereignisse alle in einer umständlichen Erzählung so mitzutheilen, wie sie aufeinander gefolgt waren, weil ich ihn auf diese Weise am leichtesten den unvermeidlichen Stufengang meiner Liebe gleichsam mit hinanzuführen hoffte. In meinem Leben habe ich keinen Brief abgeschickt, mit dem ich zufriedener gewesen wäre.


Nach einer vom Glück überströmten Woche kehrte ich endlich nach Rom zurück. Obschon die Umstände meinen Unmuth gänzlich gehoben und mich fröhlicher als jemals gemacht hatten, so erfuhr ich doch hier eine viel kaltsinnigere Behandlung als sonst. Die gute Julie allein war in ihrer Gesinnung unverändert geblieben, und kam mir, wie immer, überall mit herzlicher Zuneigung entgegen. Sie schien zu errathen, was in mir vorgegangen war, und mit heiterm Anstande das tragen zu wollen, was ein unfreundliches Geschick ihrem schönen Herzen auferlegte.

Nur ihr Wunsch hielt mich länger in diesem Landhause, wo mir fast alle Spur meiner vormaligen harmlosen Genüsse durch den gestörten, in leere Ceremonie ausgearteten Ton der Uebrigen ausgelöscht worden war.

Schon hatte ich Lust ihr mein ganzes Vertrauen zu schenken, weil die Lage der Dinge ihre vormaligen Gefühle gegen mich in das Verlangen nur von meinem Herzenszustande irgend etwas Gewisses zu erfahren, verwandelt zu haben schien, als meines Vaters Antwort anlangte, die dieß, bei meinen festen Vorsätzen, nicht möglich machte, wenigstens nicht, ohne Julien auf das empfindlichste zu betrüben.

So viel ich nämlich auch auf die überzeugende Darstellung meines Briefes an ihn gerechnet hatte, so wenig war damit ausgerichtet worden. Mein Vater zeigte großes Erstaunen über die Abänderung meines Vorhabens um Julien anzuhalten.

Von der Ueberlegung, sagte er, die meinen Jahren zukäme, hätte er durchaus keinen so raschen Sprung erwartet. Er hätte geglaubt, der frühere Entschluß beruhe auf einem reiflich erwogenen Lebensplane, nun aber müsse er leider sehen, daß ich im Stande sei meine ganze Zukunft dem ersten besten blendenden Augenblicke aufzuopfern. Der Enthusiasmus, mit dem ich Olivien lobe, beweise ihm unter solchen Umständen nichts weiter, als daß mein fünf und zwanzigjähriger Kopf noch unter dem Drucke eines leichtsinnigen Herzens stehe. Kurz, so schloß er, er würde weit lieber sehen, daß diese durch Abentheuer herbeigeführte Leidenschaft für eine Ausländerin aufhöre und dafür die Neigung zu Julien wieder fortgesetzt werde, die wenigstens den Anschein einer bessern Besonnenheit gehabt hätte.

Der Brief vernichtete mich ganz. Ich sah das Alter und dessen Ansichten darin so unverkennbar, daß ich an einer Widerlegung seines Inhalts verzweifelte. Eine Leidenschaft aufhören lassen, eine Neigung fortsetzen! Was war darauf zu sagen, da das Eis der Jahre die Begriffe von der Kraft der Leidenschaft und dem Eigensinne der Neigung meinem Vater genommen zu haben schien. Hier war nichts zu thun, meinte ich, als sich bescheiden zu erklären, daß die neuen Verhältnisse zu weit gediehen und die frühern nicht mehr zu berücksichtigen wären. Nur Olivia, keine als sie könne jemals die Meinige werden. Sobald sein Segen zu dieser Verbindung einlange, solle auch der priesterliche und darauf die Rückkehr ohne Verzug erfolgen. Das letztere Versprechen, bildete ich mir ein, werde bei meinem Vater gewiß alle das Bittere aufwiegen, was das Beharren auf meinem Willen für ihn haben konnte.


Olivia, mit der ich, wie sich versteht, eine starke Korrespondenz regelmäßig unterhielt, erfuhr so wenig als Julie von dem Inhalte dieses Schreibens, wie sehr sie auch den jetzt so düstern Ton meiner Briefe beklagte, und die Ursache zu erfahren trachtete.

Ihr Umgang würde dazu gehört haben, mir die Zeit, welche bis zu meines Vaters Antwort verstreichen mußte, erträglich zu machen. Dennoch ließ ich mich hierdurch nicht zur Reise nach Spoleto verleiten, weil mein Mißmuth über die väterliche Sonderbarkeit in Briefen immer noch eher zu umschleiern war, als im steten Beisammenseyn, und ich Olivien, die alles Recht hatte, über meine veränderte Stimmung Aufschluß zu verlangen, weder durch eine Unwahrheit hintergehen, noch durch die Wahrheit betrüben mochte.

Endlich kam der Brief an. In zwei Zeilen enthielt er die abgedrungene Genehmigung, jedoch unter der Bedingung baldigster Rückkehr, weil, setzte mein Vater hinzu, seine Güter bei längerm zwecklosen Herumschlendern ihres Erben unstreitig sehr zurückkommen und die Unterthanen der Willkühr gieriger Verwalter unterliegen müßten, da ihm die Kraft abgehe, sie wie vormals zu bereisen und ein wachsames Auge überall mitzubringen.

Ich vergaß den Unmuth, der unter diesen Zeilen lauschte. Guter Vater, dachte ich, ein Blick auf Olivien und du wirst meine Neigung williger als in diesem Briefe gutheißen. Ihre Person und ihre Eigenschaften werden dich überzeugen, daß es mir unmöglich gewesen wäre, ihre Hand aufzugeben!

Um nach der Trauung mit Olivien die Rückkehr ohne Verzug antreten zu können, traf ich im Voraus alle hierzu nöthige Maßregeln. Ich brachte meine Angelegenheiten in der Stadt in Ordnung, und ließ schon vorläufig die Kunstsachen und andre zum Mitnehmen eingekaufte Dinge packen und bereit legen.

Das schöne Vorgefühl künftig stets um Olivien zu seyn, träufte Balsam in den Schmerz bei dem Gedanken der Entfernung aus diesem heitern Götterlande.

Nur Julie beunruhigte mich. Meine Reiseanstalten bewegten sie tief. Das gute, an mir seit so langer Zeit innig theilnehmende Wesen hatte die häufigen Briefe, deren Inhalt ihr nicht fremd bleiben konnte, hin und her laufen sehen, ohne ihren Unwillen darüber auch nur durch eine Miene zu äußern. Die Trennung aber, die ihr nun bevorstand, konnte sie nicht ohne zahllose Thränen verschmerzen.

Julie, sagte ich, sie zu trösten, wir sehen uns ja wieder, wir müssen uns ja wiedersehen. Ihr Leben in Italien wird auch am längsten gedauert haben und das Vaterland uns wieder vereinigen. Gern entschließe ich mich dort meistens auf dem Gute zuzubringen, das Ihrem künftigen Aufenthalte am nächsten liegt, auch wohl den Winter der Residenz Ihres Hofes zu widmen. Gewiß, Julie, wir werden noch recht glücklich mit einander leben.

Alles dieses aber stillte die Weinende nicht.


Der Brief von Olivien blieb dießmal ungewöhnlich lange aus. Schon war ich im Begriff ihn nicht erst zu erwarten, sondern sogleich zu ihr zu reisen und ihr die väterliche Einwilligung mit Uebergehung der Art, wie sie erfolgt war, in Person zu bringen. Schon hatte mein Franz die Pferde vorgeführt, als der Brief doch noch ankam und also lautete:

Leben Sie wohl, Guido. Ich kann die Ihrige weder seyn, noch jemals werden. Forschen Sie nicht nach der Ursache, nicht nach meinem Aufenthalte. Alles ist vergebens.

Olivia.

Zugleich war ein Brief von ihrem Vormunde gekommen, der alle Spuren der äußersten Unruhe trug. Olivia war abermals verschwunden und ich ward ängstlich ersucht ihm Auskunft darüber zu geben, weil ich doch unfehlbar davon wissen müsse.

Gott, was ist Ihnen? rief Julie, als ich auf mein Reitpferd schwankend, mich nur mit Mühe darauf erhalten konnte.

Nichts ist mir, weiß ich doch kaum, ob ich selber noch bin! rief ich laut auflachend und flog mit dem Pferde wie rasend von dannen.

In Spoleto hatten alle Mitleid mit mir; ich war ganz zum Kinde geworden. Doch raffte ich mich bald ein wenig auf, um Nachforschungen anzustellen, die indessen wie Olivia vorausgesagt hatte, ohne Erfolg blieben.

Keine Seele errieth die Ursache von ihrem plötzlichen Verschwinden.

Ein wahrer Menschenfeind kam ich in Juliens Nähe zurück – Selbst in diesen Tagen that sie alles, mich mit der Welt auszusöhnen. Ihr Verlangen etwas Bestimmtes von der Veranlassung zu meinem innern Unglück zu wissen, konnte nicht länger zurückgewiesen werden. Ich entdeckte ihr das Hauptsächlichste. Dagegen erfuhr ich von ihrer Dankbarkeit für dieses Zutrauen alles. Selbst, daß sie jenen ersten Einwilligungsbrief meines Vaters wirklich gelesen hatte, verschwieg sie mir nicht.

Offen vor mir lag das liebende, zarte Gemüth, das ich verscherzt, um einer Andern willen verscherzt hatte, deren Charakter mir jetzt in manchem Momente zweideutig vorkam.

Gleichwohl hatte meine Rückkehr zu Julien große Schwierigkeiten. Meine Neigung ging noch immer mit Ungestüm zu der Andern hinüber, die es wirklich ihrem Herzen hatte abgewinnen können, mir einen so kurzen Absagebrief zu schreiben. Sollte ich Julien eine Hand versprechen, die unwillkührlich nach der Verschwundenen in die leere Luft hinauslangte?

Auf der andern Seite stürmte mein Vater in Briefen auf mich ein. Er berief sich darauf seine Einwilligung nur bedingungsweise gegeben zu haben, und drohte sie ganz zurückzunehmen, wenn ich länger im Auslande verweilen wollte. Ihm den Zusammenhang der Sache mitzutheilen, dazu fehlte mir der Muth. Es war natürlich, daß er, der Olivien nie gesehen, der den Zauber ihres Geistes und Körpers nie vor sich gehabt hatte, mich eines gränzenlosen Leichtsinnes bezüchtigen mußte, wenn ich ihm sagte, wie dieselbe Person, um derentwillen ich die Hand der ihm zuvor so angerühmten Julie aufgegeben, nun auf Einmal mit mir umgegangen war.


Was zu thun? Ich hatte schon zu viel und überall vergebens einer Spur von Olivien nachgeforscht um noch Hoffnung zu haben sie aufzufinden. Und wenn ich sie fand, womit wollte sie jene abscheulichen Zeilen entschuldigen?

Nur Eine Entschuldigung blieb mir denkbar, nämlich, daß irgend ein Zwang der Beweggrund seyn könne. War aber dieß der Fall, so mußte ich besorgen, daß sie damit zwar von den blutgierigen Menschen, die ihr schon nach dem Leben getrachtet, das letztere eingelöst, doch nur darum eingelöst hatte, um es in einem tiefen, unzugänglichen Kerker vergraben zu sehen.

In dem tollen Wahne mir selbst entfliehn zu können, suchte ich jetzt in der umliegenden Gegend Zerstreuung und blieb oft ganze Nächte im Freien. Der Himmel war zu mild. Nordische Stürme würden mir willkommener gewesen seyn.

Hauptsächlich begab ich mich gern auf hohe Berge. Indem ich die weite Gegend übersah, glaubte mein Auge zwar bewußtlos, aber doch gewiß auch auf Oliviens Wohnung sich zu senken und auszuruhen. Als ich eben wieder gegen Untergang der Sonne eine ziemliche Anhöhe erstiegen hatte, zog ein Ungewitter näher und näher. Der Regen trieb mich unter einige Bäume. Nie habe ich dem Donner mit so inniger Freude zugehört, nie mit solchem Verlangen in die kreuzenden Blitze geschaut.

Warum nur den kummerlosen Baum? rief ich, als wenig Ellen von mir eine Pinie durch den Wetterstrahl zu Boden gestreckt wurde. Bald loderte auf einem Berg gegenüber die Flamme aus einem Gebäude, einem Kloster, wie es schien. Das Feuer war jedoch noch vor Ende des Gewitters wieder gelöscht.

Im Wirthshause unten, wo ich übernachtete, sprach man viel von diesem Brand und der thätigen Hilfe, die man dem Kloster geleistet hatte. Auch bedauerte man unter andern eine dabei umgekommene Person, eine Novize, die nach der Aebtissin Versicherung die Ablegung des Gelübdes gar nicht habe erwarten können. Alle wollten so etwas Schönes lange nicht gesehen haben.

Unfehlbar war es weit mehr meine Ueberzeugung, daß so vieles Rühmen von Schönheit niemand außer Oliven verdiene, als eine eigentliche Ahndung, was mich zu der Vermuthung brachte, sie möge doch wohl selbst diese Novize sein. Meine Vermuthung ward immer lebendiger, so daß ich auch am anderen Morgen sehr früh eine Gärtnerin aufsuchte, die mit im Wirthshaus gewesen war und von ihrem Auftrag gesprochen hatte, den folgenden Tag Blumen zum Kloster hinaufzubringen, womit die Abgeschiedene bei ihrer Ausstellung in der Kirche bekränzt werden sollte.

Aber sie machte große Schwierigkeiten, als ich sie ersuchte, mich, als ihr Mädchen verkleidet, mitzunehmen. Auf ein gutes Versprechen zeigte sie sich indessen ungleich williger. Nur, meinte sie, daß ich den Abend, wo sie nochmals Blumen hinaufzutragen habe, dazu abwarten müsse. Dann, fügte sie hinzu, sei auch zugleich die feierliche Beerdigung zu sehen.

Unter solchen Umständen mußte ich mir die Folter jeder ewigen Minute dieses unglücklichen Tages gefallen lassen.


Am Abend ging ich als Gärtnermädchen mit zum Kloster hinauf.

Eine neue qualvolle Ewigkeit, während die Blumen zusammengebunden wurden, da die Kirche, worinnen die Erblaßte lag, bis zu der Feierlichkeit verschlossen blieb.

Endlich rückten, erst die Aebtissin, dann die übrigen Nonnen, je zwei und zwei, mit brennenden Kerzen aus dem Klosterthore hervor. Die bleichen, weißgekleideten Gestalten glichen selbst Abgesandten des Todes, gekommen um einen Raub für ihn in Empfang zu nehmen. Ihre Gesänge, dumpf, wie Töne der Unterwelt, drangen tief in mein innerstes Mark. Ein Paar heftig weinende Novizen, welche den Zug beschlossen, trugen die Guirlanden, mit denen die Erblichene in's Grab gesenkt werden sollte. Als der Zug in die Kirche gelangt war, und, während die Novizen die welkgewordenen Blumen ihrer verblichenen Schwester mit den frischen vertauschten, der Chor einen Halbkreis um den Sarg bildete, fand ich, daß der Platz, den man mir angewiesen hatte, mich seiner Entfernung und Tiefe halber, um die Hauptsache, die Entseelte zu sehen, brachte. Daher eilte ich, ohne meiner Begleiterin Aengstlichkeit zu achten, bis in die Mitte der Kirche dicht hinter die Nonnen.

Sie ist es! Mit diesen lauten, männlich ausgesprochenen Worten drang ich bis dicht an den Sarg hinan.

Welche Gottlosigkeit! rief die Aebtissin. Die Nonnen schauderten. Die heilige Handlung war gestört.

Ich stand ein Marmor, ohne Furcht und ohne Muth, das starre Auge auf den Sarg geheftet, dessen Deckel die Aebtissin vor allen Dingen zu schließen befahl.

In demselben Augenblicke aber, als man damit theils, und theils mit meiner Entfernung beschäftiget war, zeigte sich eine Regung der Entseelten. Und auf meinen Ausruf: Sie lebt, ihr heiligen Mächte! richtet sie sich wie durch einen elektrischen Schlag, aus dem Sarge empor.

Nun war keine Kraft der Welt vermögend mich lebendig von der Stelle zu bringen. Mein Herz brannte hoch auf. Die Hoffnung leuchtete meiner Sehnsucht vor. Olivia! rief ich und die herrlichen Augen traten in's Leben, die schönen Arme breiteten sich nach mir aus, nach mir!

Mit dem Wunder, die Todte wieder erwachen zu sehen, war das allgemeine Erstaunen zu sehr beschäftigt, als daß an mich weiter hatte gedacht werden können. Alles suchte der Erwachten Erleichterung zu verschaffen und hülfreiche Hand zu leisten. Es kamen Betten, aber Olivia bedurfte deren nicht einmal, so sehr hatte sie sich schon von dem Scheintodte erholt.

Die Umgebungen erst schienen ihr zu verrathen, was vorgegangen war. Guido, sagte sie, Ihre Stimme hat mich in's Leben gerufen. Ich fühle tief, wie weh ich Ihnen gethan habe, und bin durch mein Gewissen zur Entdeckung der Ursachen aufgefordert. Morgen Vormittag.

Sie wendete deßhalb ein Paar Worte an die Aebtissin. Aechte Religiosität ruht allezeit auf einem fühlenden Herzen. Die heilige Frau beurtheilte, seit ihr mein Verhältniß zu Olivien klar wurde, den Frevel, mich verkleidet unter den Chor gedrängt und die ehrwürdige Stimmung durch meinen Ausruf unterbrochen zu haben, weit milder als zuvor. Sie gestand mir für den andern Tag ein Gespräch mit der Novize zu, deren Wiederkehr in's Leben ihr Freudenthränen hervorlockte.

Ein beruhigender Blick Oliviens erfrischte mein abgemattetes Herz. Er berauschte mich noch auf dem Rückwege. Ich schloß die alte Gärtnerin, die mir meine Unvorsichtigkeit vorrückte, lautlachend in die Arme. Die ganze Nacht verlebte ich in göttlicher Trunkenheit.


Die Aebtissin empfing mich am andern Morgen im Sprachzimmer. Dann erschien Olivia. Ein Strom von Liebe floß aus ihren Augen. Du bist blaß und krank geworden! rief sie. Meine Schuld! Aber ich will auch vergelten! Ein neues Leben beginnt, indem ich Dir angehöre, nur Dir.

Die Aebtissin, aus Diskretion zurückgetreten, eilte auf diese lauten Aeußerungen der Leidenschaft herbei, um ihrer Pflicht gemäß die Vorschriften des Hauses in Erinnerung zu bringen.

Verzeihung, heilige Frau! rief Olivia. Mein junges Leben ist zu einem Bewußtseyn erwacht, zu dem es die ganze Zeit meines Hierseyns nicht gekommen war. Er hat mich aus des Todes Armen selbst zurückgeholt. Meine Zukunft gehört sein. Beklagen Sie Ihre dankbare Tochter, daß sie in die Bande der Welt aufs neue verflochten wird, aber entziehen Sie ihr Ihren Segen nicht.

Die Aebtissin theilte unsre Rührung. Zu mir sagte Olivia: Die fromme Frau ist Zeugin meiner Zusage an Dich. Da diese einmal erfolgt ist, so kann die Entdeckung der Ursache meines Dir gewiß unbegreiflich gewesenen Schrittes bis zu dem veränderten Aufenthalte verschoben werden. Benachrichtige nun schleunigst meinen Vormund von allem, daß er die Anstalten treffe, mich abzuholen, weil ich mir und Dir schuldig bin das Kloster mit Anstand zu verlassen.

Ich billigte das und kehrte am vierten Tage mit dem Onkel zurück.

Die Verlegenheit, womit sie dem Manne alle Entschuldigungsgründe, auf die er doch ebenfalls ein großes Recht hatte, während unsrer gemeinschaftlichen Rückreise verschwieg und nur im Allgemeinen um Verzeihung bat und sagte, besondere Umstände hätten sie zu der Flucht bewogen, schienen ihn zu verstimmen. Ich selber wußte nicht recht was ich denken sollte, und das tiefe Gefühl in ihrem großen, leuchtenden Auge gehörte dazu, mit den Verdacht irgend eines Leichtsinnes meiner Braut aufs neue zu benehmen.

Auch seine Gattin erfuhr bei unserer Rückkehr nichts Bestimmtes über Oliviens seltsames Entweichen.


Nachdem die Zurückgekehrte ihre Brieftasche zu sich gesteckt hatte, winkte sie mir in den Garten:

Je näher ich dem Augenblicke meiner Rechtfertigung komme, sagte sie hier, desto grösser erscheint mir auch das Schwierige davon. Wie wollen Worte ausreichen Dich in die Mitte der düstern Vorstellungen zu führen, die meinem Entschluß nach ihrem tyrannischen Willen leiteten? – Und doch! Du wirst mich verstehen, aber Du allein. Du, selbst ein unzertrennbarer Theil meines innersten Wesens. Darum will ich auch lieber die Andern in Ungewißheit lassen über mich, als meine trüben Geheimnisse Gemüthern Preis geben, die mir weniger verwandt sind.

Dein Reisewagen hatte sich kaum aus meinen Augen verloren, als mir die kurze Zeit bis zu Deiner Wiederkehr ganz unabsehlich dünkte. Nur anhaltende und wo möglich ungewohnte Beschäftigungen konnten Linderung versprechen. Ich drängte mich daher zu häuslichen Arbeiten. Ich half der Tante in Besorgung der Oekonomie, ihrer größten Liebhaberei. Ich suchte mein ziemlich vernachlässigtes musikalisches Talent zu bilden und gerieth endlich auch auf den Gedanken, den Nachlaß meiner Aeltern, und besonders ihre Papiere, in bessere Ordnung zu bringen.

Welche ungeahndete Schätze fand ich bei genauerer Ansicht dieser Papiere! Ich fand, daß mein Vater über sein ganzes Leben gleichsam Buch gehalten hatte. Ich war gewissermaßen umringt von seinen tiefsten Gefühlen, die er der Schrift anvertraut haben mochte, um so die flüchtigen Augenblicke, in denen sich dem Leben ein höheres Verständniß aufschließt, gleichsam zu fesseln und zu Wegweisern für die Zukunft zu machen. Was mich am meisten bewegte, war ein nur halb verhaltener Mißklang, der fast in allem tönte, was er niedergeschrieben hatte, und der mir lange Zeit nur durch das erklärbar wurde, was meine selige Mutter über seine ihr zwar verschwiegene, aber der Scharfsichtigen nicht unbekannt gebliebene Reue wegen des Zwiespalts mit den Verwandten gesagt hatte.

Als ich alles im ganzen Büreau untersucht zu haben glaubte, machte mich der Onkel noch auf ein verborgenes Fach aufmerksam, welches mir ganz entgangen war. Nur Papiere darin. Versiegelt und unter der Aufschrift: Für niemand auf der Welt als meine Olivia. Selbst die selige Mutter schien das Fach nicht bemerkt zu haben, weil ich sonst das Packet unfehlbar durch sie erhalten hätte. Von Vaters Hand war darauf bemerkt, daß er es mir kurz vor seinem Tode einhändigen wolle: Sein plötzliches Ableben hatte die Ausführung des Vorsatzes verhindert.

Die wichtigsten Bruchstücke enthält diese Brieftasche. Hier die Anrede an mich, welche im Innern sich vorfand:

Theures, innig geliebtes Kind, gegenwärtige Fragmente sind bei ihrem Entstehen nicht für Dich bestimmt gewesen. Es sind Eingebungen und Ergießungen der momentanen Stimmung, größtentheils den Schlüssel zu meinem innern Unfrieden enthaltend. Verbirg sie Deiner Mutter, weil ihr Inhalt ihr keinen Nutzen gewähren kann. Desto mehr Dir, mein Kind. Vielleicht sind grade diese Papiere das kostbarste Vermächtniß. Betrachte sie so, und gönne Deinem Vater seine Ruhe nach langem Leiden.

Für heute, lieber Guido, nur diejenigen Bruchstücke, welche vorzüglich auf unsre Verbindung Anwendung leiden. Hier sind sie beisammen.

Der Erzähler trug sie noch in seiner Brieftasche und las sie vor.

– – Nun habe ich doch erlangt, wonach alle meine Wünsche sich müde jagten! Der Priester hat unsre Hände ineinander gelegt. Aber was will der Vater dort mit seinem drohenden Gesichte, die Mutter mit ihren Thränen? Wie kann ich die Wohnung meines Glückes beschreiben, wenn diese Schreckbilder ihre Schwelle bewachen? – –

– – Ja, es ist aus mit mir. Was mich erheben sollte, hat seine Hand plötzlich von mir abgelassen, und nun liege ich hier unten in der schauerlichsten Oede. Mein Sturz hat der Mutter das Herz zerdrückt, unter dem die Gütige mich getragen und des Vaters gellender Fluch ist nicht gemacht, mich mit diesem schaurigen Gedanken auszusöhnen. – Und was soll mir das schöne, herrliche Weib in solchem Abgrunde, wo meine eigene Gemüthlosigkeit zermalmend auf mir liegt und der Theuern den tückischen Gift mitten im Kusse der Liebe reicht? – –

– – Die Zeit sollte heilen. Gewissenlos vertraute ich diesem Wahne. Die Zeit das Gefühl des schreiendsten Undanks? Nein, überall und immer wird dieses bittre Gefühl zwischen mich und mein Weib treten und eine Verworrenheit in uns nähren, die auf baldige Zerstörung hinarbeitet – –

– – Der harmonische Verein meiner Kindheit mit den spätern Jahren ist verloren. Mein Leben und das Leben meiner Frau in zwei fremde Hälften zerfallen, die der Rausch der Liebe vergebens an einander zu passen strebt – Ach, daß die junge Liebe so eitel auf ihre flüchtige Lust seyn, daß sie so leichtsinnig mit den Erstlingsgefühlen des Lebens, mit den Gefühlen umgeht, welche die Vorsicht um Kind und Mutter geschlungen hat! – –

– – O des thörichten, unseligen Glaubens der Jugend, daß ihr ganzes Herz in Einem irdischen Wesen sein Heil finden könne, daß gewisse Menschen für einander geschaffen wären, wie Seele und Leib! Als ob die Vorsehung darauf sänne, den Menschen an's Irdische so zu ketten, daß er darüber der Ewigkeit ganz vergessen sollte. O es ist der frevelhafteste Wahnsinn, so schnöden Begierden die Kindespflicht aufzuopfern. Der Fluch ereilt jeden, der ihm huldigt. Auch mich wird es bald unter die Erde treiben. – –

Olivia – so lautete die Nachschrift, beherzige diese Worte und das Unglück meines Lebens überhaupt. Gedenke der Lehren und Weisungen Deiner Mutter immer in Liebe und Gehorsam. Dein Band mit Pignola ist mein sehnlicher Wunsch und der ihrige. Du müßtest denn das Kloster wählen wollen, wo sich auch Gelegenheit findet, für Dein und Deiner Aeltern Heil zu leben.


Durchbohrt von der Spitze dieser Worte, fuhr Olivia fort, war mein Muth völlig dahin. Ich mied die Verwandten, um nur ihren Fragen nach der Ursache meines Trübsinnes zu entgehen. Ich verschloß mich. Darüber kam der Abend heran und vermehrte meine Schauer. Der blutrothe Mond schien die Züge meines zornigen Vaters zu tragen.

Bei der Mutter glaubte ich Zuflucht suchen zu müssen. Du kennst ihre wohlgetroffene Bildsäule, die auf meinem Zimmer stand. Ich warf mich davor nieder. Ich beschwor sie ihr Wort zu erfüllen und mich zu umschweben, aber auch sich mir kund zu thun. Meine Gefühle für Dich brachen in Worten und Thränen hervor. Ich berief mich auf die Nothwendigkeit selbst, die unsre Geister zusammengefügt, auf den ewigen Willen, der gewiß alles so geordnet habe. Ich beschwor sie um Antwort, fest überzeugt, daß wenn ein jenseitiges Leben Statt finde, und die Erblichene nicht um ihren ganzen Muttersinn gekommen sei, sie von meiner Seelenangst herbeigezogen, mir ihre Meinung durch Laut, Blick oder Wink offenbaren müsse.

O Theuerste, rief ich endlich, kannst Du mich in dieser Zerstörung hier liegen sehen und mir doch Deinen Willen vorenthalten? Die Verzweiflung treibt mich von Dir an sein liebes theilnehmendes Herz. Soll ich dem Rufe nicht Folge leisten?

Und wie ich meine vermeinten Augen jetzt nach der Bildsäule aufschlage, sehe ich deutlich eine Regung, eine verneinende Regung. Ja, der Arm sogar scheint, beweglich geworden, sich drohend nach mir erheben zu wollen.

Dieß dünkte mich die empörendste Ungerechtigkeit. Ich bedeckte meine Augen um die grausame Mutter nicht mehr zu sehen, und der Entschluß Dich selbst aufzusuchen und in Deinen Armen Vaterland, Aeltern, Welt und Himmel zu vergessen, riß mich vom Boden auf. Doch kaum bis zur Thüre geeilt, höre ich einen Fall, der mir die Glieder lähmt. Die Bildsäule der Mutter! Zertrümmert liegt sie auf der Erde.

Den Eindruck dieses Ereignisses wird keine Zeit jemals verlöschen. Als ob ich meine Mutter selbst ermordet hätte, so schwankte ich zurück die Trümmer der Bildsäule anstarrend. Keine Spur mehr von dem liebreichen Gesicht. Es war mir unverkennbar, daß sie mich ihres Anblicks nicht länger werth geachtet habe. Ach, Guido, welch ein gräßlicher Anblick! Die Verwandten hatte der Fall auch in mein Zimmer gelockt. Sie kamen mit dem Troste, daß die Statue gar leicht zu ersetzen sei, weil noch ein Exemplar davon im Attelier des Bildhauers stehe.

Um sie nur los zu werden, stellte ich mich als hierdurch vollkommen beruhigt, schlich aber noch in derselben Nacht aus dem Hause nach dem Kloster zu, wo Du mich so wunderbarer Weise wieder gefunden hast. Es ist das nämliche, auf das ich schon früher mein Absehen gerichtet, und wo mich meine römische Freundin damals vorläufig empfohlen hatte. Die Veränderungen, denen man zu jener Zeit entgegensah, waren seitdem eingetreten, und ich fand in der neuen Aebtissin eine so herrliche Frau, daß ihr bloßer Anblick mich zuweilen wegen der Nachricht an Dich beruhigte, die darum so nackt und ohne alle Beweggründe gegeben war, weil ich, wohl nicht mit Unrecht, besorgte, jede nähere Erklärung der Sache werde Deine Leidenschaft alles aufbieten machen, wieder in meinen Besitz zu gelangen. Dir und Deinen Briefen ausharrenden Widerstand zu leisten, dazu floß ein viel zu heftiges Feuer einzig für Dich in meinen Adern. Gleichwohl war es, als ob mich unaufhörlich eine mahnende Stimme aus der Unterwelt Dir, der Todesursache des mir bestimmten, und eigentlich nur durch mein Widerstreben in thörige Wildheit gestürzten Bräutigams, abwende, und meinen im halben Wahnwitz geschriebenen Zettel billige.

Die furchtbare Schwermuth, die ich zur Begleiterin hatte, machte es nothwendig, daß ich die Aebtissin einen halben Blick in mein zerrissenes Gemüth, in die Kämpfe thun ließ zwischen meiner Liebe und meiner Pflicht. Ach, die fromme Frau war die Theilnahme und Milde selbst. Auch sie hatte vor dem Sturme widerstrebender Verhältnisse in den heiligen Mauern Schutz gesucht und gefunden. Sie äußerte bloß Mitleid, wenn sie hörte, daß mein Herz noch immer wach und träumend das Heiligthum verlasse und verbrecherische Hoffnungen auf Dich setze. Um ihm diese Hoffnungen gänzlich zu benehmen, wünschte ich mein Noviziat abgekürzt und mir vor der festgesetzten Zeit, durch förmliche Einkleidung, die Pforte nach der Welt hinaus auf ewig verschlossen zu sehen. Hierein aber zu willigen, das stand nicht in der Macht der Aebtissin. Auch sträubte sie sich sehr gegen mein Verlangen eine besondere Erlaubniß für diesen besondern Fall auszuwirken. Doch ließ ich nicht ab mit Bitten, bis sie endlich nachzugeben versprach.

Das Ungewitter, das so große Veränderungen hervorbrachte, kam dazwischen: Durch lange Fasten, mir zu Bezähmung meiner frevelnden Gedanken auferlegt, ganz kraftlos, war es kein Wunder, wenn ich von dem Blitze, der in meine Zelle fuhr, betäubt niedergeworfen und mein anhaltendes Erstarren für den Tod selbst gehalten wurde. Jetzt bin ich Dein. Mein früheres Leben ist zu Grabe getragen. Dein Ruf hat mir ein neues Seyn abgerungen, dessen Regungen alle Dir zugehören. Nun habe ich kein Bedenken weiter und wäre bereit, sogleich mit Dir zum Altare zu treten.

Eine Umarmung schloß sich an Olivia's Rede.


Morgen denn! rief ich, das süße Wort rasch ergreifend.

Ja, morgen!

Wir kehrten zurück zu den Verwandten, um sie davon zu benachrichtigen, die über der Freude an unserm Glücke die Neugier nach Oliviens Veranlassung zur Flucht vergessen zu haben schienen.

Späterhin erinnerte sich meine Braut im Vorbeigehen bei der Stelle, wo die zerbrochene Bildsäule gestanden, an die erlebte Scene, und die Schauer jenes Abends erneuerten sich in ihr. Sonderbar genug traf das Mondlicht grade auf diesen Platz und nur auf diesen, so daß mich selbst einige Schauer anwandelten.

Laut maß ich indessen ihrer gereitzten Phantasie allein die trostlose Vorstellung bei, suchte auch zugleich das Uebernatürliche, das sie dem frühern Ereignisse zuschrieb, aus derselben Quelle zu erklären. Wirklich hatten die Fragmente ihres Vaters sie damals gleichsam mit Gewalt vor der Bildsäule der Mutter niedergestürzt. Die schon sehr aufgeregte, hier immer heftiger entzündete Einbildungskraft konnte ja leicht ihre eigene Unruhe den Augen der Bildsäule untergeschoben und sogar den leblosen Arm im Verdachte der Bewegung gehabt haben. Der Fall der Statüe erklärte sich so ziemlich durch eine Berührung mit dem Kleide der plötzlich Aufstehenden. Denn in ihrem damaligen gewaltsamen Zustande war an einige Aufmerksamkeit hierauf nicht zu denken.

Olivia wünschte zu eifrig jene Schrecknisse entkräftet zu sehen, als daß mein Bestreben sie davon zu überzeugen nicht schon gebahnten Weg hätte finden sollen. Selbst die Bruchstücke aus den Papieren ihres Vaters, die sich durchaus nicht verläugnen ließen, konnten noch in ein unserm Plane günstigeres Licht gestellt werden. Der verstorbene Mann war in der letzten Zeit, worein diese Fragmente größtentheils fielen, der Ascetik so eifrig ergeben gewesen, daß man alle seine Ansichten der Dinge aus ihr herleiten konnte. Ich suchte Olivien zu beweisen, daß nur ein freies Urtheil etwas gelte, die Abhängigkeit ihres Vaters aber von seinen religiösen Seltsamkeiten ein solches schwerlich erlaubt habe.

Die Liebe sprach; die Liebe glaubte. Olivia war völlig beruhigt, als sie mir gute Nacht sagte.


Ich lag vor Schlafengehen noch ein wenig im Fenster, als ein bestürztes Mädchen herbeieilte, um mich zu Olivien zu holen, welche an heftigen Phantasien leide.

Das befremdete mich, da sie mich eben ganz gesund verlassen hatte. Ich fand sie auf ihrem Sopha mit starren Augen und bewegten Lippen. Erst nach einer Menge Fragen deutete sie mir an, daß ich ganz still neben sie niedersitzen möchte. Dann wollte sie wissen, ob ich nichts höre.

Ja wohl. Das Brausen eines starken Luftzuges zwischen Thür und Fenster, der Deiner Gesundheit schaden kann.

Ich stand auf um das Fenster zuzumachen, aber sie rief: Keine Beschränkung! Wie sehr auch die Stimme von dorther mich ängstigt, so darf ich sie doch nicht mit Gewalt von mir abwehren.

Erstaunt fragte ich, was sie höre.

Jetzt nichts, aber ehe Du kamst dreimal ein lautes Ach! von der Stimme der Mutter.

Vergebens suchte ich ihr das Unwahrscheinliche zu zeigen. Doch faßte sie sich, da die Stimme nun ausblieb und beruhigte mich beim Abschiede einigermaßen mit den Worten, daß selbst diese Stimme nicht vermögend seyn solle, unser ewiges Bündniß zu zerreißen.

Das öftere Wiederkehren von dergleichen Erscheinungen war mir bedenklich. Es ließ, wie ich meinte, auf eine Reitzbarkeit des Gemüthes und der Phantasie schließen, die von zerstörenden Folgen für Oliviens Leben seyn konnte. Doch vielleicht, daß die Reise nach Deutschland, die Zerstreuungen überhaupt, und das Aufhören ihres jetzigen einsamen Zustandes die besten Hülfsmittel darboten. Dieser Gedanke stillte meine Unruhe wenigstens so weit, daß ich endlich zur Betäubung, zum Schlafe kam.

Da überfiel mich aber ein Traum, so klar und zusammenhängend, und dabei so gräßlich, daß der Schreck darüber mich aus dem Bette warf. Er ist zu auffallend, greift auch in meine Geschichte zu wesentlich ein, als daß ich dessen Mittheilung unterlassen könnte. Mir war nämlich, als ginge ich mit Olivien in Begleitung ihrer Verwandten zur Kirche. In der vollen Blüthe der Reitze steht sie schon neben mir am Altare, als auf Einmal hinter uns ein Todtengesang erschallt. Befremdet und erschrocken über die so unpassende und unwillkommene Störung wende ich mein Gesicht nach der Gegend hin, und siehe da ein Leichnam von Fackelträgern umringt wird langsam und feierlich herbeigetragen. Die Zeugen staunen schweigend. Der Priester verstummt. Der Leichenzug schreitet unterdessen immer weiter und weiter vor. Grade nach dem Altare zu. Es ist, nun entdecke ich es, dieselbe Prozession, die ich auf dem spanischen Platze mit ansah; Pignola, der seinen Tod durch mein Messer fand. Nur mit dem Unterschiede, daß der grüne Heft des letztern hier noch wirklich in einem furchtbaren Glanze daraus hervorragt.

Olivia kann ihre Thränen, ich mein Entsetzen nicht verbergen.

Die vordern Leichenträger stehen schon dicht an mir und scheinen ihr Ziel noch nicht beendiget zu haben. Da scheidet der Priester mich und Olivien mit der Hand voneinander, damit sie Platz erhalten. Und gradezwischen uns setzen sie den Leichnam nieder, aus dessen Herzen in diesem Momente der Dolch und mir dabei ein Blutstrom in's Gesicht springt.

Dieses furchtbare Ereigniß scheint allen Anwesenden meine Anklage auszusprechen. Alle werfen mir schreckliche Blicke zu, bis auf Olivien, welche lautschluchzend ihre schönen Augen verschlossen hält.

In demselben Momente richtet der Todte sich empor, sieht mit einem Hohnlachen auf mich, von dem die Wölbung der Kirche schauerlich wiederhallt, und ihre Säulen schwanken, bis der Priester durch einen Blick in die Höhe die Unordnung beschwichtigt.

Der noch immer aufgerichtete Todte kehrt sich darauf zu Olivien. Er reicht beide Arme zu ihr empor und der Priester scheint es wohlgefällig mit anzusehen. Das ist mir zu viel. Ich will den auflebenden Leichnam zurückstoßen, aber der Geistliche hält den Gekreuzigten zwischen uns, und sogleich fühle ich mich aller Regung beraubt, während der Todte Olivien, die schon keinen Blutstropfen mehr im Gesichte hat, zu sich hinunter zieht. Da will ich mit Gewalt die Banden sprengen, worein der Priester mich gelegt hat und – falle aus meinem Bette um zu erwachen.

Bis diese Stunde noch ist es mir, als ob ich auch zuvor nicht geschlafen, sondern nur in einem ganz andern Bewußtseyn als nachher mich befunden hätte.


Das Traumgesicht, von dem ich Olivien natürlich nichts entdecken konnte, kam mir den ganzen Tag nicht aus dem Sinne, und je mehr am Abend das Licht erstarb, desto lebhafter und schreiender ward das Kolorit jenes schauerlichen Bildes.

Die Trauungen im Gebiete des vormaligen Kirchenstaats pflegen meist in der Nacht zu geschehen. So auch die unsrige. Beim ersten Schritt in die Kirche prallte ich zurück. Das war allzu grauenvoll! Keine Säule, nicht die mindeste Verzierung anders darin als in dem Bilde meines Traumes. Selbst die Beleuchtung traf bis auf die kleinsten Eigenheiten zu. Gleichwohl erinnerte ich mich nicht je zuvor diese Kirche gesehen zu haben. Auch der Geistliche, der mich in der vergangenen Nacht durch Vorhalten der Kruzifixes versteinert hatte, glich dem völlig, der nun hervortrat, um die heilige Handlung zu verrichten. Doch nahm mich dieses weniger Wunder, da mir der Mann schon früher im Leben vorgekommen war. Nur das, daß wie mir es schien, alle seine Bewegungen Kopien seines Abbildes auf die vorige Nacht waren, auch selbst die Rede ganz denselben Inhalt hatte. Ich sage, wie mir schien, denn meiner aufgeregten Phantasie mußte es jetzt ein Geringes seyn, Aehnlichkeiten wahrzunehmen, die sonst vielleicht niemand gefunden hätte.

Es ging noch weiter. Jeden zufälligen Schall bis auf das Räuspern der Anwesenden glaubte ich schon vorige Nacht in dem Kirchgewölbe wiederhallen gehört zu haben. Zufällig hustete Oliviens Vormund, wie sein Ebenbild in der Nacht gleichfalls, und zwar damals grade vor dem Todtengesange. Dieser Umstand zwang jetzt mein Gesicht sich über die Schultern zu wenden, weil mir unglaublich schien, daß sich alles reproduziren solle und nur der Leichenzug nicht. Ich wiederholte bald darauf dieses Umsehen. Denn jeden Augenblick besorgte ich die Töne zu hören und die Fackelträger eintreten zu sehen.

Alles Aufmerken auf die heilige Handlung war verloren. Ich verfiel in eine gänzliche Gedankenlosigkeit.

Als der Priester das Ja von mir erwartete, und weil ich seine wiederholte Anfrage, die mir ganz entgangen war, unbeantwortet gelassen hatte, mich mit seiner Hand berührte, stieß ich einen Laut aus, der auch Olivien mein Entsetzen mittheilte. Ich glaubte, der Geistliche wolle, wie in voriger Nacht, mich von der Braut trennen, und der Todte werde nun sogleich zwischen uns hereingesetzt werden.

Daß nichts von dem allen der Fall war, beruhigte mich in diesem Momente nur wenig. Denn was der Wirklichkeit an Schrecklichen abging, das fügte meine blutige Phantasie hinzu.

Die Handlung war zu Ende, ohne daß ich eigentlich wußte was geschehen war.


Mein Gott, Olivia! rief ich, im Fortgehen, an der Kirchthüre ihr Gesicht beim Lampenschein betrachtend. Denn grade so starr und blutlos war es, wie in der vorigen Nacht. Ohne Antwort auf meinen Ausruf, ging sie still und geisterähnlich neben mir hin. Den Verwandten war ebenfalls kaum ein Wort abzugewinnen.

Zu Hause stürzten Ströme von Thränen über das Gesicht meiner todtenblassen Braut. Das war ein Trost für mich. Denn Thränen hatte ihr Auge in der vorigen Nacht keine gehabt.

Was fehlt Dir, Olivia? fragte ich.

Alles! antwortete sie leise. O warum war ich schwach genug, bei dem Tone, der Deinen Abscheu vor dem Jaworte so deutlich aussprach, nicht sogleich Dir ein Band zu ersparen, das schon im ersten Augenblicke Deine Brust zusammenzog!

So befremdend mir auch Anfangs diese Ansicht war, so natürlich fand ich sie doch bei einiger Betrachtung der Umstände. Olivia, die nichts von meinem Traume wußte, konnte gar keine andere als die gefaßte Idee von der Sache haben. Die Andern ebenfalls nicht. Und in der That fielen sie auch aus Rache gegen meinen männlichen Wankelmuth, dem sie das anstößige Benehmen zuschrieben, mit der ganzen Last ihres beleidigten Nationalstolzes über mich her. Kaum daß sie den Fremden, der um ein Glied ihrer ursprünglich römischen Familie mühselig gebuhlt und dasselbe, nun es sein war, öffentlich am Altare erniedriget hatte, eines Worte, ja eines Blickes mehr werth hielten.

An ihnen lag mir wenig. Nur Olivien suchte ich durch meine Liebkosungen vom Gegentheile ihres Argwohns zu überzeugen und mich mit einem heftigen Kopfschmerze zu entschuldigen, der mir alle Besinnung geraubt hätte.

Die eigentliche Veranlassung ihr mittheilen, hätte Hand an die Grundpfeiler unseres beiderseitigen Glückes legen heißen.


Zwei Tage kosteten die Anstalten zu unserer Abreise, in denen der erste Taumel der Liebe uns beseligte. Der Abschied war erschütternd. Ich mußte dem Umarmen zwischen ihr und den Verwandten noch durch eine halb unwillig ausgesprochene Bitte ein Ende machen.

Für's Erste ging es nach des Grafen Landhause. Bei der Freundschaft, die ich in seiner Familie genossen, konnte ich die Vorstellung meiner Gattin nicht umgehen, so viel Verdrüßliches auch diese Ceremonie, hauptsächlich Juliens halber für mich hatte.

Niemals in meinem Leben ist mir etwas rührender gewesen, als dieser Eintritt in jenes Landhaus; Julie war die erste Person, die wir antrafen. Die ganze Liebe ihres schönen Herzens schien sie zusammenzunehmen, um sich gegen den Schmerz zu waffnen, mit dem mein Verhältnis zu Olivien ihr weh that. Ich sah, wie meine Gattin einige Augenblicke aufmerksam von ihr betrachtet und dann an das Herz der Guten heftig gezogen wurde.

Die Scene veränderte sich beim Eintritt der Uebrigen, die jetzt von einer Spazierfahrt nach Hause kamen. Ein feierlicher Hofton trat an die Stelle der Empfindung. Die kalten Glückwünsche der Gewohnheit drängten sich mechanisch auf uns zu. Julie allein zog sich zurück, um wie es schien nicht in den Verdacht der Fühllosigkeit mitzukommen.

Ich kürzte den lästigen Aufenthalt möglichst ab. Nur Julien hätte ich gern noch einmal gesehen. Aber mein gutes Auge ging überall vergebens nach ihr aus. Erst beim Einsteigen in den Wagen wurde ich ihr gütiges Gesicht hinter einem fernen Oleanderstrauche gewahr. Ich konnte mich nicht enthalten ihr einen freundlichen Abschiedsblick zuzuwerfen und sie eilte herbei, mir zum letzten Male die Hand zu reichen, die ich mit dem Gefühle des bittersten Schmerzes an meinen Mund drückte.


Olivia saß eine Zeitlang stumm neben mir im Wagen. Endlich sagte sie – von meinem Verhältnisse mit Julien bereits unterrichtet – ich begreife noch nicht, Guido, wie es Dir möglich gewesen ist, dieses herrliche Mädchen vorüberzugehen, um nach mir Deine Hand unbedachtsam auszustrecken. Jetzt sollst Du mir Deine Reue am Trauungsabende nicht wieder wegerklären!

Ich hatte zu thun um Olivien die Sache von neuem auszureden. Auch gelang es nicht auf lange Zeit. Denn jene trübe Vorstellung war so tief in ihr Gedächtniß eingewachsen, daß sie, wenn ich auch einmal ihre Wurzel ausgerissen zu haben wähnte, auf Einmal wieder frische kräftige Zweige mächtig emportrieb.

In Rom war alles Nöthige in einem Tage abgethan. Dann ging es ziemlich vergnügt an die Reise.

Olivia billigte meinen Wunsch des Vaters wegen unterweges so wenig als möglich zu verweilen. Daher wurden die schönsten Gegenden nur durchflogen und ihr eigentlicher Genuß einer künftigen, bessern Zeit aufgespart.


Ein großer Verdruß, den mein Vater just vor unserer Ankunft mit einem seiner Verwalter gehabt hatte, raubte dem Augenblicke des Wiedersehens die rechte Innigkeit. Auf mein Bedauern äußerte er sogar in der ersten Hitze: Und das alles wäre mir erspart worden, wenn Du früher darauf gedacht hättest, den bösen Folgen meines unbeweglichen Alters durch eine kräftige Oberaufsicht über Dein künftiges Besitzthum vorzubeugen. Genau genommen, fügte er noch rauher hinzu, bin ich ein Thor, mich über den Betrug meiner Dienstleute zu ärgern. Was ich auf dieser Welt noch brauche, so viel wird mir gewiß bleiben, und warum für die Güter eines Erben ängstlich sorgen, dessen eigne Schuld es ist, wenn sie zu Grunde gehen?

Olivia stand zitternd neben mir. Es mußte ihr bei dem hochrothen, finstern Gesichte meines Vaters und seinen polternden Worten um so unheimlicher werden, da sie solche bei ihrer gänzlichen Unkunde der deutschen Sprache mit auf sich bezog.

Zwar suchte er sogleich mit Gewalt eine freundlichere Rolle – denn mehr als Rolle kann ich es bei seinem hitzigen Charakter nicht nennen – gegen sie anzunehmen und entschuldigte die Aufwallung mit milden Worten. Allein Olivia faßte den Sinn seiner Rede nicht. Ich mußte den Dollmetscher zwischen ihr und dem Vater abgeben, bis letzterer sich zur französischen Sprache bequemte, die ihm seltsamer Weise von jeher so zuwider gewesen war, daß er, bloß um ihr auszuweichen, den Hof seit Jahren vermieden hatte. Durch lange geflissentliche Vernachlässigung derselben obendrein um alle Geläufigkeit darin gekommen, brach er das Gespräch baldmöglichst ab und entfernte sich unter ganz nichtigem Vorwande mit ziemlich merkbarer Unzufriedenheit.


Olivia konnte sich sonach nicht anders als sehr unbehaglich in ihrer neuen Heimath fühlen. Ich war dazu ein schlechter Tröster, denn der Gedanke ließ nicht von mir, daß diese ersten schlimmen Eindrücke dem ganzen Grunde, auf dem das Bild ihrer Zukunft aufgeführt werden sollte, einen widrigen Ton zu geben drohten.

Auch in den folgenden Tagen sprach mein Vater nur dann mit meiner Gattin, wenn er es durchaus nicht umgehen konnte. Ich mußte gemeiniglich, wie beim ersten Eintritt, die Mittelsperson abgeben, ein Umstand, der die allgemeine Unterhaltung überaus spröde und schwerfällig machte.

Aus diesem Grunde vermied der Vater jetzt Gesellschaft ins Haus zu bitten und wenn – was ihm sonst immer viel Freude gemacht hatte – der Zufall einen Bekannten, oder interessanten Fremden zur Tischzeit zu uns führte, so war ihm dieß gemeiniglich unangenehm. Die französische Sprache, die dann gewählt werden mußte, wollte weder seinem Munde noch seinen Ohren zusagen.

Bei alledem war Olivia zu gut in jeder Hinsicht, als daß ihm ihre Person hätte mißfallen können. Doch hatte er sich darüber nicht geäußert. Grade an dieser beruhigenden Aeußerung aber war mir gelegen, daher redete ich ihn eines Abends, wie eben die Erlernung der deutschen Sprache sie auf ihrem Zimmer beschäftigte, deßhalb an, machte ihn auf den Eifer, womit sie die Sache betrieb, aufmerksam, und fragte endlich gradezu, wie ihm meine Gattin gefalle. Ich bin vollkommen mit ihr zufrieden, mein Sohn, antwortete er. Das würde ich Dir schon längst erklärt haben, wenn ich nicht, um mich ganz über den Punkt auszusprechen, noch eine Dir weniger willkommene Erklärung hinzuthun zu müssen geglaubt hätte. Mit ihr vollkommen aber – verzeihe – mit Dir und Deiner Wahl durchaus nicht. Ich bin gewiß kein Grillenfänger. Habe ich Dir zum Beispiel je ein unschönes Wort gesagt, als Du in der Welt sorglos herumschwärmtest? Nein. Was er nicht absichtlich lernen will, dachte ich, wird ihm beiläufig gleichsam in Fleisch und Blut übergehen. Er wird mit dem Gange des allgemeinen Lebens bekannt werden, und seine eigene Straße künftig unwillkührlich gut und bequem einrichten. Das hast Du aber gar nicht gethan. Nur eins. Du konntest Dir Deine Verhältnisse in meinem Hause ungefähr vorstellen. Du konntest wissen, welche schlimme Wirkung es auf Deine Gattin und mich hervorbringen müsse, daß das schöne Band gemeinschaftlicher Sprache zwischen uns nicht Anfangs vorhanden war. – Du übersahest alles um ihrer Reitze willen. Es ist nicht das erste Mal, mein Sohn, daß die Reitze, selbst der trefflichsten Frau, dem Hause, worein sie widernatürlich gerieth, und ihr selbst nachtheilig geworden sind.

Widernatürlich! rief ich aus. Dieses Wort sollte hier anwendbar seyn? Mein Vater zuckte die Achseln und ich fuhr etwas hitzig fort: Weil meiner, gewiß in jedem Betracht liebenswürdigen Gattin die Ansprache an Sie, für die erste Zeit fehlte, eigentlich nur wegen Ihrer, doch auch etwas sonderbaren Abneigung vor dem Französischen, fehlte, darum kann wohl meine Verbindung mit ihr nicht sogleich widernatürlich gescholten werden!

Und doch! sagte mein Vater. Das Wort ist mir entschlüpft und Dein Einwurf zwingt mich tiefer in die Sache zu gehen. – Auch ich habe in meiner Jugend Italien und die dortigen Gewohnheiten und Gebräuche kennen gelernt. Ich mißbillige die wenigsten, da sie meist alle mit Klima und Verfassung zusammenhängen. Aber, mein Sohn, wie wenig paßt unser auf einen rauhern Himmelsstrich berechnetes Leben zu ihnen, und muß nicht eine dort Eingeborne hier von dem schlimmen Gefühl in eine unwirthbare Fremde verstoßen zu seyn, ewig verfolgt werden? Ich sehe die Einwendung voraus, die so eben Deine Lippen bewegt. Sie hat sich freiwillig dazu entschlossen, meinst Du. – Vielleicht, sage ich, aus gänzlicher Unbekanntschaft mit unserm Lande, oder unter der Voraussetzung, daß dieser Wille stets der ihrige bleiben werde. Oder auch möglich, daß sie gar keinen Gedanken dabei hatte. Im Rausche der Liebe ist dem Weibe wohl der Glaube an dessen Ewigkeit erlaubt. Aber der Mann muß weiter hinaus denken, wie denn überhaupt der Mann bei jeder guten Liebe die Verbindlichkeit auf sich hat, seiner Geliebten Zukunft von allen Seiten zu berücksichtigen und zu sichern. Das hast Du nicht gethan, mein Sohn. Gott gebe, daß der schöne Orangenbaum nicht zu Grunde gehe, den Du seinem milden Himmel entzogen hast! – Es ist nun heraus, was mir lange das Herz beschwerte, und kein Wort weiter über die geschehene Sache. Von jetzt an fühle ich mich Dir wieder ganz nahe gerückt. Laß uns das Uebrige schweigend ertragen.


Liebreiche Augenwinke und eine herzliche Umarmung vertraten meiner Entschuldigung den Weg. Auch erkannte ich das Wahre in meines Vaters Aeußerungen, das sich in der Folge, leider, mehr und mehr bestätigte. Olivia konnte in der That nicht recht eingewohnen. Ich merkte das, so eifrig sie sich auch bemühte, mich vom Gegentheile zu überreden.

Zum Unglück trat grade ein ächtnordischer Winter ein, der Olivia's Körper empfindlich angriff. Noch ein besonderes Uebel verbannte sie jetzt gradezu aus meines Vaters Gesellschaft. Von Jugend auf bei der Armee, war die unsaubere Gewohnheit des Tabakrauchens ihm dermaßen zur andern Natur geworden, daß er die Pfeife fast den ganzen Tag nicht entrathen konnte. Im Sommer, wo die freie Luft einen großen Theil des widerwärtigen Rauches sogleich hinwegnahm, hatte Olivia nur selten kleine Uebelkeiten bekommen. Allein in den festverwahrten Winterzimmern war ihr dieser verhaßte Dampf so unerträglich, daß sie ihn kaum eine halbe Stunde auszuhalten vermochte, ohne heftig an Krämpfen zu leiden.

Das machte meinem Vater wieder einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Er hatte auf die Winterabende am Kamine schon lange gehofft. Meine Reiseabentheuer hatte ich ihm da zum Besten geben sollen. Ohne die Pfeife im Munde konnte er aber auch unmöglich nur Zuhörer seyn. Oder sollte ich mich mit ihm zum Feuer setzen und meine Gattin der ganzen Unannehmlichkeit eines ihr ungewohnten Winterabends in der Einsamkeit Preis geben? So viel verlangte mein Vater nicht. Um so weniger konnte er es auch, da Olivia unter allen Gutsnachbarinnen keine Freundin zu ihrem Umgange gefunden hatte. An die gewandte Lebensart ihres Vaterlandes gewöhnt, waren ihr die mannichfachen, steifen Formen der meisten dieser Frauen zuwider, und einige wenige, mit denen sie wohl eher hätte seyn mögen, hatten von fremden Sprachen so unvollkommene Kenntniß, daß der Umgang beiden Theilen viel zu schwierig wurde, um ihn sonderlich wünschen zu können. Künftig änderte sich das vielleicht, wenn Olivia mit der deutschen Sprache vertrauter geworden war. Allein bei all ihrem Fleiße hatte die Sache solche Schwierigkeiten, daß sie bisweilen ganz verzweifelte es jemals zu einiger Fertigkeit darin zu bringen.

Das Alles zusammen versetzte mich wohl manchmal in einen Mißmuth, den zu unterdrücken ich nicht Meister blieb. Ob ich zwar, wenn Olivia darüber jammerte, alles einzig auf das Gefühl ihrer unbehaglichen Situation schob, so glaubte sie doch, wie ich späterhin erfuhr, mein Mißmuth habe schon viel früher angefangen und mein Benehmen am Altare wich nicht mehr aus ihren Gedanken. Mein erwähnter Laut bei der Trauung hallte in grauenhaften Schwingungen durch unsre ganze Ehe.

Oft fand ich sie beim unerwarteten Eintritt in ihr Zimmer vor dem Gemälde ihrer Mutter liegen um, wie mir vorkam, der hochverehrten Frau den Schritt zum Altare mit mir abzubitten. Bei alledem konnte ich Olivien keinen Mangel an inniger Liebe vorwerfen und wünschte nur erst den Winter vorbei, um sodann durch Reisen und den Wechsel der Gegenstände eine andre Stimmung und fröhlichere Bilder in ihr aufzuregen.


Eine zu frühe Niederkunft entkräftete ihren Körper. Der Umstand, daß sie grade ein Jahr später an demselben Abend erfolgte, wo ihr bestimmter Bräutigam durch meine Hand gefallen war, gab der Sache ein schauriges Gewicht. Obendrein fanden wir beide in dem todtgeborenen Sohne die Züge des getödteten Mannes wieder. Vermuthlich nur Täuschung, wie denn ohnehin die Aehnlichkeiten zwischen Neugeborenen und erwachsenen Personen gemeiniglich nur in der Einbildung beruhen. Aber wie oft ist nicht schon eine trügliche Einbildung weit gefährlicher als selbst die trostloseste Wahrheit geworden.

Hier war dieß abermals der Fall. Meine Gattin wurde bei der sorgfältigsten Pflege immer schwächer und schwächer, und meine Unruhe über ihren Zustand nahm mit jedem Tage zu.

Einmal bei Nacht, wie ich, um einer Schlaflosigkeit, die mich seit einigen Wochen regelmäßig allezeit in den ersten Morgenstunden ängstigte, durch langes Wachen, wo möglich vorzubeugen, noch über einem Buche gesessen hatte, kam es mir auf Einmal vor als ob auch Olivia, die doch schon vor einigen Stunden schlafen gegangen war, wieder auf dem Stuhle neben mir säße. So tiefsinnig aber und starr, daß ich vor ihr erschrak. Mein Blick verfolgt das Ziel ihres weit geöffneten Auges, und ich sehe, wie der Boden erst zu wanken, dann ganz zu verschwinden anfängt, und an dessen statt, dicht vor unsern Füßen Pignola's blutendem Leichnam aus der Tiefe sich immer weiter heraufhebt. Olivien den furchtbaren Anblick zu ersparen, will ich sie hinwegreißen, doch ehe mein Arm sie ergreifen kann, wird er von den schrecklichen Augen plötzlich gelähmt, die der Todte jetzt nach mir aufschlägt. Drauf richtet sich dieser wie in dem Traume vor der Trauung empor, faßt meine Gattin und zieht sie, Trotz ihrem Widerstreben, zu sich in die Tiefe hinab.

Mein Name, der in diesem Momente von Oliviens Stimme im Schlafzimmer ängstlich ausgestoßen wird, verjagt auf einmal das ganze Bild von meinen Augen. Ich raffe mich in die Höhe und eile an das Bette meiner Frau, die sich krampfhaft an mich anhält und ausruft: Laß mich wenigstens an Deinem Herzen verbluten.

Verbluten! erwiedre ich durch das Wort grausam in der Freude gestört, die Widerlegung jenes trostlosen Blendwerks in meinen Armen zu halten. Ja, mein Geliebter! antwortet sie leise. Drauf erzählt sie mir, daß so eben Pignola vor ihr Bette getreten sei, und ihr Herz durchbohrt habe.

Dieses wunderliche Zusammentreffen ihrer Vorstellung mit meiner Erscheinung oder meinem Traume – denn in der That ich kann es bis diese Stunde nicht entscheiden, ob jenes Schreckenbild mich schlafend oder wachend überraschte – dieses Zusammentreffen brachte mich fast von Sinnen. Ich hatte zu thun um wenigstens einigen Schein von Fassung zubehalten.

Ein bloßer Traum, liebste Seele! tröstete ich.

Doch sagt, entgegnete sie, der heftige Schmerz in meinem Herzen, daß es kein leerer Traum gewesen ist.

Wirklich ging ihr Puls in äußerster Unordnung, so daß der Hausarzt herbeigeholt wurde. Sein Trost, daß ein böser Traum gar oft das Blut unregelmäßig bewege, und daß seine Medicin die Wallung schon heben werde, war nicht lange haltbar. Denn trotz der eingenommenen Arznei wurde Oliviens Unruhe immer heftiger und ihr Athemholen schwerer. Auch wollte das Traumbild, das sie dahin gebracht hatte, gar nicht aus ihrer Seele weichen.

Unter mehrern Umständen, die ihr davon im Gedächtnisse geblieben waren, befremdete mich besonders der eine außerordentlich. Der Griff des Dolches nämlich, mit dem sie sich umgebracht glaubte, war ihrer Aussage nach grün, und eine glänzende Schrift darauf befindlich gewesen.

Da ich mich genau erinnerte, niemals ein Wort von dem erwähnten Dolche gegen sie fallen gelassen zu haben, so war mir in der That recht schauerlich bei diesem, wie er schien, mehr als zufälligen Zusammentreffen der Dinge zu Muthe. An ihrem Bette versank ich in eine gänzliche Betäubung über ihren und meinen Schmerz.

Ein krampfhaftes Anfassen von ihrer Hand brachte mich zu mir selbst. Das schrecklichste Erwachen, weil seinem ersten Blicke der Tod der Geliebten begegnete.

Mein Vater war fast so erschüttert von dem Falle als ich. Er maß seinem Betragen einigen Antheil daran bei. Daß der Mensch doch, sagte er, auch in den wichtigsten Momenten seiner innern Bewegung nicht Meister wird! Wer weiß ob die Treffliche schon jetzt geopfert wäre, wenn ich nicht die Stunde ihrer Ankunft sogleich durch unselige Aufwallungen vergiftet oder auch nur späterhin mich weniger ihrem Umgange entzogen hätte!

Er ging so weit in seinen Vorwürfen, daß ich, der Zertrümmerte, ihn zu beruhigen suchen mußte. Aber selbst der Umstand, daß bei der Untersuchung ihres Körpers ein Polyp im Herzen als die Todesursache gefunden wurde, selbst dieser Umstand vermochte nichts über ihn. Weißt denn Du, fragte er bitter, wenn und woher die Entstehung dieses Gewächses gekommen? Erkundige Dich bei Deinen weisen Aerzten, und jeder wird vielleicht eine andre, wahrscheinliche oder unwahrscheinliche, Hypothese dafür bei der Hand haben.

Meine Antwort konnte nicht viel mehr als ein Achselzucken seyn. Leider, fiel am Ende auf mich die meiste Schuld.

Der Vater überlebte Olivien kaum einen Monat, einen Monat, dessen Pein und Schrecknisse ich unberührt lasse. Noch in seinen letzten Minuten mußte ich ihm meine Wiedervermählung mit einer deutschen Frau zusagen. Er schien sich näher erklären zu wollen, als das Leben ihm von der Lippe floh.


Kaum standen die ehrwürdigen Reste des Vaters in dem Kirchgewölbe neben dem Opfer meiner Liebe, so trieb mich die heftigste Unruhe aus dem Kreise meiner letzten unglücklichen Wirkungen. Jeder Schritt in jener Gegend führte ja über den Leichnam einer untergegangenen Seligkeit. Die Erinnerungen waren noch zu frisch, um nicht tödtlich zu werden und mich sonach von dem Gelübde abzuhalten, das ich meinem Vater gethan, mit dem blutendsten Herzen, aber doch gethan hatte. Diese entfernte Residenz war mein erster Gedanke.

Um unbekannt zu bleiben, reisete ich unter dem Namen eines meiner Güter, schickte auf der hiesigen Gränze alle meine Leute zurück und vermied die Menschen so viel als möglich.

Aber weder die Entfernung von der Heimath, noch mein seltsames Leben konnte mich vor der Vergangenheit in Schutz nehmen, die wie mein böser Genius mir überall auf der Ferse stand.

In diese Zeit fiel die Geschichte, die mich zum Gegenstande der allgemeinen Neugier machte. Ein Fremder, jung und schön von Ansehen – doch Sie kennen ihn ja – der meinen wahren Namen ausgespürt hatte, reißt einmal hastig mein Zimmer auf und sagt auf italiänisch: Sie haben ein Messer in Rom zurückgelassen, ich bringe es Ihnen hier nach. Zugleich zog er wirklich den bekannten Dolch mit grünem Griffe hervor.

Ha, Bösewicht! rief er, als der Schauer, der mir bis in's Mark drang, seinem blitzenden Auge nicht entging. Mein Argwohn bestätigt sich.

Noch bei so viel Bewußtseyn, um einzusehen, in welch abscheuliches Labyrinth mich das Geständniß einem rachsüchtigen Ankläger gegenüber, zu einer Zeit verwickeln könnte, wo Olivia, die einzige Mitwisserin von jenem unglücklichen Vorfalle nicht mehr am Leben war, stellte ich mich völlig fremd. Hierauf sagte der erhitzte junge Mann: Gut, ich will es aufgeben dem Schneckengange der hiesigen Justiz die Sache anzuvertrauen. Ihre tausend Schlupfwinkel würden meine gerechte Sache nur verspäten. Aber ich erkläre, daß ich Sie für einen Bösewicht halte. Sie werden wissen, was die Gesetze der Ehre in Ihrem Lande auf eine solche Erklärung erheischen. –

Nach dieser Rede konnte ich einem Zweikampfe um so weniger ausweichen, da mein Gegner alle Erläuterungen über Pignola's Tod gradezu von der Hand wies.

Mir war's willkommen, weil mich nichts von dem gethanen, lästigen Gelübde rechtmäßig entbinden konnte, als ein unfreiwilliger Tod.

Mit Kugeln? fragte mein Bedienter, der die Pistolen laden sollte. Diese alberne Frage brachte mich erst auf die Idee, das Leben des jungen Mannes in keinem Falle zu gefährden.

Es kam zum Duell. Mein blinder Schuß hatte natürlich keine Wirkung. Wie der Gegner mich verwundete, wissen Sie. Jetzt hält sich mein wackerer Bedienter, der uns heimlich nach geritten ist, nicht länger. Von dem Unglücke seines Herrn empört, bestürmt er während meiner Ohnmacht den Mann, der im Begriff steht seine Sicherheit in der Flucht zu suchen. Die Aussage des Bedienten, daß mein Pistol ohne Kugel gewesen, erschüttert den Gegner. Er selbst untersucht mein zweites Pistol und auch diesem fehlt die scharfe Ladung.

Ich fange an mich zu regen. Der, der vor Kurzem noch mein unversöhnlichster Feind war, stürzt zu mir nieder, voll Verzweiflung über meinen Zustand. Ich reiche ihm die Hand, bittend, daß er sich schleunig entfernen möge. Standhafte Weigerung von seiner Seite. Er ist ein junger Pignola. Nach dem Verbande eröffne ich ihm die Umstände von seines Oheims Tode, den zu rächen er hergeeilt ist, in wenig Worten. Er geräth in Verzweiflung mich nicht früher darum befragt, oder auch nur angehört zu haben. Sein Vorsatz bis zur entscheidenden Stunde bei mir zu bleiben, ist unerschütterlich. Das Uebrige wird Ihnen bekannt seyn.

Wie gern hätte ich den neuen, wahren Freund nach Rußland begleitet, wohin seine Angelegenheiten ihn riefen! Allein der Glaube, mich dadurch von meiner Bestimmung zu entfernen, ein Glaube, dessen Ursprung ich selbst durchaus nicht auffinden kann, hielt mich zurück. Vielleicht ruht dieses dunkle Gefühl zunächst auf dem Wunsche meines verstorbenen Vaters, daß ich unsre Güter immer im Auge behalten möchte. Auch denke ich in der That dem Widerwillen, der mich aus der eigentlichen Heimath trieb, meine Pflicht gebietend entgegen zu setzen, und die Ruhestätte zweier geliebten Entschlafenen in der nächsten Woche aufzusuchen.


Die Geschichte war von dem ältern Theile der Gesellschaft mit Interesse angehört worden. Unter den Jüngern hatte Sophie, die Anfangs einigen Unwillen nicht verbergen konnte, gar bald sichtbar großen Theil daran genommen. Obschon der Erzähler Juliens Familiennamen nicht genannt hatte, so schien Sophie sie doch zu kennen und von ihrem Verhältnisse mit Guido unterrichtet zu seyn. Auch sah es nach dem Schlusse der Geschichte grade so aus, als hätte sie ein Wort an ihn auf dem Herzen. Allein die Tochter vom Hause, der Nutzanwendung feind, welche der Vater, sehr zur Unzeit, förmlich aus der Geschichte zu ziehen suchte, nahm sie mit sich aus dem Zimmer.

Guido trat am andern Morgen mit auffallender Unruhe in die Wohnung seiner Freunde, wo er ebenfalls eine sehr widersprechende Stimmung fand. Blanken und Sophien hörte man im Nebenzimmer laut weinen. Die anwesende Mutter hatte rothe Augen und der Vater feierte, wie es schien, in stillem Auf- und Abgehen einen großen Triumph.

Die Sache enträthselte sich bald. Vor einer halben Stunde war die Nachricht gekommen, daß der bewußte Officier seinen Tod in der Schlacht gefunden hatte.

Die Thränen der Dame vom Hause flossen bei der Erzählung von neuem.

Gnädige Frau, sagte Guido, fassen Sie Sich. Denken Sie an meine Geschichte und deren innern Zusammenhang. Denken Sie Sich das Glück Ihrer Familie von dem Unglück der Kugel, die den Officier tödtete, als unzertrennlich. Diese Kugel gehörte vielleicht dazu ihre Ruhe so bald wieder herzustellen.

Der Hausherr faßte dankbar seine Hand und Guido fuhr fort: Lassen wir indessen die blutige Wirklichkeit: Ein Traum besserer Art mag sie für die nächsten Momente verdrängen, ein Traum, der die seltsamsten Gefühle in mir erregt und mich eben so früh schon in ihr Haus geführt hat. Sie sind gestern aufmerksame Zuhörer meiner Begebenheiten gewesen und der Traum ist so natürlich an jene angewachsen, daß seine Mittheilung mir Bedürfniß wird. Bei manchem leicht Erklärlichen, das er hat, ist ihm auch zugleich recht viel Sonderbares eigen.

Daß unter andern Julie eine Hauptheldin desselben war, darf man der gestrigen lebhaften Erinnerung an sie beimessen. Daß Julie in diesem Hause, in dem ich jetzt meine meiste Zeit zubringe, sich wiederfand, das wird durch das Wesen der Träume im Allgemeinen erklärt, welche Zeit und Ort nur gar zu gern zu verwirren pflegen. Das Ganze aber hatte in der That den Anstrich von höherer Bedeutung, und ich weinte beim Erwachen wie ein Kind, daß die beruhigenden Umgebungen des Traumes mir wieder entrissen waren. Doch zur Sache. Mir träumte, in diesem Zimmer mit Ihnen am Tische zu sitzen. Wir und Fräulein Blanka waren ganz allein. Auf einmal sehe ich auch die verstorbene Gattin am Arme meines Vaters mir gegenüber stehen. Er liebkosete ihr so, als ob er alles im Leben vielleicht Vernachlässigte wieder gut machen wolle. Mich sahen beide mit den zärtlichsten Blicken an, und zeigten dann auf die Thüre. Sie öffnet sich und Julie tritt an Sophiens Arme herein.

Meine Freude übersteigt alle Beschreibung. Drauf blicke ich wieder nach der Gegend, wo die Entschlafenen standen. Sie sind verschwunden. Alles aus dem Zimmer außer Julien, mit der ich die Ringe wechsele. Nun erwachte ich und es war heller Morgen.


Der Traum gab Stoff zu einer Unterhaltung über Träume, die sich bis gegen Mittag verlängerte. Guido blieb zur Tafel, an der, sonderbar genug, die gewöhnliche Tischgenossin, Sophie, heute wirklich fehlte, ohngeachtet sie nichts hatte absagen lassen.

Die Dame vom Hause setzte Guido'n absichtlich grade so, wie er im Traume gesessen hatte, und er blickte unwillkührlich von Zeit zu Zeit nach der Erscheinung seiner Verstorbenen, das Eine Mal ganz plötzlich und wie von einer Stimme in seinem Innern aufgerufen.

Da öffnete sich in der That die Thüre und – Julie trat an Sophiens Arme herein. Die ganz unvorbereitete Ankunft der gräflichen Familie hatte Sophien bis dahin zurückgehalten.

Juliens und Guido's Erstaunen ging sogleich in Entzücken über. Die Andern nahmen herzlichen Antheil.

Jetzt fand Guido sogar einen geheimen Zusammenhang mit seiner Neigung, in dieser Residenz zu verweilen. Auch seine besondre Vorliebe für Sophien, über die er selbst nicht hatte in's Klare kommen können, enträthselte sich nun. Sophie hatte vor Juliens Reise nach Italien tagtäglich mit der letztern gelebt, auch in ihrem Umgange, wie das nicht selten zu geschehen pflegt, gar viele Eigenheiten in der Art sich auszudrücken, im Gange, im Anzuge, ohne daran zu denken, von der geliebten Freundin entlehnt, und diese Eigenheiten waren es, von denen Guido an sie gefesselt wurde.

Uebrigens hatte Sophie die ganze Geschichte von Juliens Liebe in eine Menge vertrauter Briefe in Händen, war aber erst gestern bei der Erzählung darauf gefallen, daß der sogenannte Herr von Eibengrün der Gegenstand der Sehnsucht ihrer inniggeliebten Julie seyn könne.

Der Schluß ist zu errathen. Vorläufig war das erfreute Paar schon durch den Traum verlobt. Der Segen der Aeltern und des Priesters folgte in Kurzem. Guido ging der Bestimmung nach, die ihm sein Vater vorgezeichnet hatte, und wenn dieser und Olivia auch nicht wirklich erschienen, so war es dem jungen Manne doch oft neben seiner glücklichen Gemahlin, als ob heilige Gefühle aus einer würdigeren Welt die segnende Nähe der Abgeschiedenen verkündigten.



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