Sagen aus dem Rheinland
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Die Neunhollen in Georgsweiler

Die Neunhollen im Hochpochtner Wald sind in manchen Dingen den kleinen Holz- und Moosleuten ähnlich, von denen besonders in den mitteldeutschen Waldländern viel erzählt wird. Die Neunhollen blieben im Frühjahr und Sommer in ihrem Wald, ging es aber gegen den Winter, so kamen sie heraus und hüpften auf freiem Feld so lange umher, bis der Sturmwind sie aufnahm und über Berg und Tal zu ihrer Winterwohnung wehte, einem alten Bauernhaus in Georgsweiler. Dort huschten sie in die Küche und hockten sich um den Herd.

Freilich nur bei Nacht saßen sie dort und hüteten die Glut in der Asche. Bei Tag hielten sie sich in der dunklen, warmen Ecke über dem Backofen auf und schliefen; erst gegen Abend kamen sie hervor und betätigten sich nützlich wie gute Hausgeister. Als kräuterkundige Waldleute machten sie sich bisweilen mit dem alten Bauern einen besonderen Spaß, indem sie ihm heimlich ein paar Blättchen Maikräuter in die Pfeife stopften. »Kathrin, wo hast du denn den guten, Tabak gekauft?« pflegte der Alte dann wohl die Bäuerin zu fragen, ohne zu ahnen, woher dies feine Kraut komme.

Um Ostern herum machten sich dann die Neunhollen wieder auf die Reise. Sie befeuchteten zuerst den Zeigefinger mit Speichel und hielten ihn zum Schornstein hinaus, um zu fühlen, woher der Wind wehe. Wenn es dann der richtige war, setzten sie sich frei hin, atmeten tief ein, damit sie recht luftig würden, und im Nu hatte sie der Wind gefaßt und weggeführt.

So waren sie manchen Winter in dem Bauernhaus zu Gast gewesen; aber einmal, als sie wieder kamen, war die gute alte Bäuerin nicht mehr da, eine junge Frau führte den Haushalt und wollte von Neunhollen und dergleichen dummem Zeug nichts wissen. Da gaben ihr die Zwerge zunächst eine Lehre. Am Abend hatte die junge Bäuerin Brotteig angerührt für den andern Tag. Da buken die Männlein des Nachts vierzehn große, runde Brote und stellten sie zum Ausdunsten auf die Treppenstufen. Als nun die Frau am Morgen in der Dunkelheit die Treppe herunter wollte, stolperte sie und sauste über vierzehn Brotlaibe die finsteren Stufen hinab. Und die Brote bumsten unten gegen Tür und Tische, gegen Stühle und Schrank; alles fiel um, das Geschirr kollerte auf den Boden, und die junge Frau lag mitten in dem Wirrwarr und jammerte. Trotzdem hätten die Neunhollen wohl noch bis zum Frühjahr ausgehalten, wäre nicht der Dreikönigstag gewesen.

Am Abend dieses Tages kam nämlich eine arme Witwe mit ihrem kleinen kranken Jungen an der Hand; um seine Pelzmütze trug er eine Dreikönigskrone aus Papier und auf seinem Stock einen Blechstern. Der Hunger guckte den beiden aus den Augen. Sie sprachen vor der Tür ein lautes »Vaterunser« und traten dann zaghaft in die große Küche. Als sie da im Schornstein die vielen Schinken, Speckseiten und Würste hängen sahen, sagte die Mutter voll Vertrauen den alten Reim:

Stellt die Leiter an die Wand,
Nehmt das Messer in die Hand,
Laßt das Messer klinken,
Schneid't mir 'n Stück vom Schinken!

Und der kleine Junge schwang seinen Stab, hustete und plapperte:

Ich bin an kleiner König,
Gebt mir nicht zu wenig!

Aber die Bäuerin machte ein böses Gesicht, riß die Tür weit auf und wies beide hinaus, ohne ein Wort zu reden. Da fingen aber die Neunhollen zu knurren, zu brummen und zu brausen an wie ein Sturmwind, so fürchterlich, daß es die Frau nicht mehr aushalten konnte, angsterfüllt in ihre Kammer lief und den Kopf unters Federbett steckte. Sogleich warfen die Neunhollen allen Speck und Schinken auf den Herd herunter und kletterten dann rasch durch den Schornstein hinaus; es war auch die höchste Zeit dazu, denn hinter ihnen schoß eine gewaltige Flamme empor. Das ganze Dorf lief zusammen, aber es war nichts mehr zu machen; alle Würste, Schinken und Speckseiten waren verbrannt. Die Neunhollen aber suchten von da an eine andere Winterwohnung auf.

 


 


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