Stefan Zweig
Joseph Fouché
Stefan Zweig

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Neuntes Kapitel

Sturz und Vergängnis

1815–1820

Am 28. Juli 1815 – die hundert Tage des Napoleonischen Zwischenspiels sind vorbei – zieht König Ludwig XVIII. in einer prächtigen, mit weißen Zeltern angeschirrten Karosse wieder in seine Stadt Paris ein. Der Empfang ist großartig, Fouché hat gut gearbeitet. Jubelnde Mengen umscharen den Wagen, von den Häusern wehen weiße Fahnen, und wo solche nicht aufzutreiben waren, hat man eilig Handtücher und Tischtücher an Spazierstöcken zum Fenster hinausgesteckt. Abends glänzt die Stadt mit tausend Lichtern, im Überschwang der Freude tanzt man sogar mit den Offizieren der englischen und preußischen Besatzungstruppen. Kein feindlicher Ruf wird gehört, die vorsorglich aufgebotene Gendarmerie erweist sich als unnötig; tatsächlich, der neue Polizeiminister des Allerchristlichsten Königs, Joseph Fouché, hat trefflich vorgesorgt für seinen neuen Souverän. In den Tuilerien, demselben Palast, wo er noch einen Monat zuvor ehrerbietig vor seinem Kaiser Napoleon als der Treueste sich gebärdet, erwartet der Herzog von Otranto den König, Ludwig den Achtzehnten, den Bruder des »Tyrannen«, den er vor zweiundzwanzig Jahren hier im gleichen Hause zum Tode verurteilte. Jetzt aber verbeugt er sich tief und ehrfürchtig vor dem Sproß Ludwigs des Heiligen, und in seinen Briefen unterschreibt er sich »mit Ehrfurcht Ihro Majestät getreuester und ergebenster Untertan« (wörtlich so zu lesen unter einem Dutzend eigenhändiger Berichte). Von allen tollen Sprüngen seiner Charakterakrobatik war dieser der verwegenste, aber er wird auch sein letzter auf dem politischen Seile sein. Vorläufig freilich scheint sich alles vortrefflich anzulassen. Solange der König nicht fest auf dem Throne sitzt, verschmäht er nicht, sich an einem Herrn Fouché anzuhalten. Und dann: man braucht vorläufig noch diesen Figaro, der so trefflich hin und her zu jonglieren versteht. Zunächst für die Wahlen, denn man wünscht bei Hofe eine verläßliche Majorität im Volksparlament; dafür dient der »bewährte« Republikaner und Volksmann als unübertrefflicher Zutreiber. Außerdem sind noch allerhand unangenehme blutige Geschäfte zu besorgen: warum nicht diesen abgetragenen Handschuh benützen? Man kann ihn ja nachher wegwerfen und hat sich nicht selbst die königlichen Hände beschmutzt.

Ein solches schmieriges Geschäft ist gleich in den ersten Tagen zu verrichten. Zwar hat der König in der Verbannung feierlich versprochen, eine Amnestie zu gewähren und niemanden zu verfolgen, der während der hundert Tage unter dem heimgekehrten Usurpator Dienst getan hat. Aber nach Tische liest mans anders; nur selten glauben sich Könige verpflichtet, das einzuhalten, was sie als Kronprätendenten versprochen. Die ingrimmigen Royalisten, eitel auf ihre eigene Treue, verlangen, jetzt, da der König wieder sicher im Sattel sitzt, daß alle jene bestraft werden, die innerhalb der hundert Tage vom Lilienbanner abgefallen sind. Hart bedrängt von den Royalisten, die immer royalistischer denken als der König, gibt Ludwig der Achtzehnte schließlich nach. Und dem Polizeiminister fällt das peinliche Geschäft zu, diese Proskriptionsliste zusammenzustellen.

Dem Herzog von Otranto ist dieser Auftrag nicht angenehm. Soll man wirklich wegen einer solchen Kleinigkeit Menschen bestrafen, wirklich nur deshalb, weil sie das Vernünftigste taten und zum Stärkeren, zum Sieger, übergelaufen waren? Und dann, er erinnert sich, der Polizeiminister des Allerchristlichsten Königs, daß als erster Name auf eine solche Ächtungsliste nach Fug und Recht doch eigentlich jener des Herzogs von Otranto, des Polizeiministers unter Napoleon, gehörte, also sein eigener. Peinliche Situation, weiß Gott! Zunächst sucht Fouché mit einer List dem unangenehmen Auftrag zu entwischen. Statt einer Liste, die, wie gewünscht, dreißig oder vierzig der Hauptschuldigen enthalten soll, bringt er zum allgemeinen Staunen gleich ein paar Folioblätter mit dreihundert bis vierhundert, ja sogar, wie von manchen behauptet wird, tausend Namen und verlangt, daß man diese alle bestrafen solle oder gar keinen. So viel Mut, hofft er, wird der König doch nicht aufbringen, und damit wäre die ärgerliche Sache erledigt; aber leider, dem Ministerium präsidiert ein ebensolcher Fuchs wie er selbst, Talleyrand. Der merkt sofort, daß seinem Freunde Fouché die Pille bitter schmeckt; um so mehr drängt er darauf, sie ihn hinunterwürgen zu lassen. Mitleidslos läßt er die Liste Fouchés zusammenstreichen, bis nur vier Dutzend Namen übrig bleiben, und überweist ihm das peinliche Geschäft, diese Todes- und Verbannungsurteile mit seinem Namen zu unterfertigen.

Das Klügste wäre für Fouché, nun seinen Hut aufzusetzen und die Palasttür von außen zuzumachen. Aber schon mehrmals wurde hier der schwache Punkt Fouchés angedeutet: sein Ehrgeiz hat alle Klugheit, nur diese eine nicht: rechtzeitig entsagen zu können. Lieber wird Fouché Mißgunst, Haß und Erbitterung auf sich nehmen, als je freiwillig von einem Ministersessel aufstehen. So erscheint zur allgemeinen Wut eine Ächtungsliste, welche die berühmtesten, edelsten Namen Frankreichs enthält, mit der Gegenzeichnung des alten Jakobiners. Carnot steht darauf, »l'organisateur de la victoire«, der Schöpfer der Republik, und der Marschall Ney, der Sieger unzähliger Schlachten, der Retter der Reste der russischen Armee, alle seine Kameraden in der Provisorischen Regierung, die letzten seiner Kameraden aus dem Konvent, seiner Kameraden aus der Revolution. Alle Namen findet man in dieser fürchterlichen Liste, die Tod oder Verbannung androht, alle Namen, die durch Leistung innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte Ruhm über Frankreich gebracht haben. Nur ein einziger Name fehlt darin, der Joseph Fouchés, des Herzogs von Otranto.

Oder eigentlich: er fehlt nicht. Auch der Name des Herzogs von Otranto steht auf dieser Liste. Aber nicht im Text als der eines angeklagten und geächteten napoleonischen Ministers. Sondern als Minister des Königs, der alle seine Kameraden in den Tod oder ins Exil schickt: als der des Henkers.

Für einen so derben Stoß, wie ihn der alte Jakobiner mit dieser Selbsterniedrigung seinem Gewissen gegeben, kann ihm der König einen gewissen Dank nicht versagen. Joseph Fouché, dem Herzog von Otranto, wird nun eine höchste, eine letzte Ehrung zuteil. Witwer seit fünf Jahren, hat er beschlossen, sich wieder zu vermählen, und zwar gedenkt derselbe Mann, der einstens so grimmig nach dem »Blut der Aristokraten« gelechzt, sich selber mit blauem Blut ehelich zu verbinden, nämlich eine Komtesse Castellane zu heiraten, eine Hocharistokratin, also ein Mitglied »jener verbrecherischen Bande, die unter dem Schwerte des Gesetzes zu fallen hat«, wie er seinerzeit in Nevers lieblich gepredigt. Aber seitdem, man sah davon allerhand muntre Proben, hat der einstige Jakobinissimus, der blutige Joseph Fouché, seine Anschauungen gründlich gewandelt; wenn er jetzt am ersten August 1815 in die Kirche fährt, so geschieht es nicht wie 1793, um die »schändlichen Wahrzeichen des Fanatismus«, die Kruzifixe und Altäre, mit dem Hammer zu zerschlagen, sondern um mit seiner adeligen Braut demütig den Segen eines Mannes in jener Mitra zu empfangen, die er, man erinnert sich, 1793 einem Esel zum Spott um die Ohren stülpen ließ. Nach alter Adelssitte – ein Herzog von Otranto weiß, was sich ziemt, wenn er eine Komtesse de Castellane heiratet – wird der Ehekontrakt von den ersten Familien des Hofes und des Adels mitunterzeichnet. Und als erster Zeuge unterschreibt Ludwig der Achtzehnte manu propria dies in der Weltgeschichte wohl einzige Dokument dem Mörder seines Bruders als würdigster und unwürdigster Zeuge.

Das ist viel, ohnegleichen viel. Und sogar zu viel. Denn gerade diese äußerste Frechheit, als »régicide«, als Königsmörder, den Bruder des guillotinierten Königs zum Trauzeugen zu bitten, erregt in den Adelskreisen ungeheure Erbitterung. Dieser elende Überläufer, dieser Royalist seit vorgestern, so murren sie, gebärdet sich ja, als ob er wirklich zum Hof und Adel gehöre. Wozu braucht man denn eigentlich noch diesen Menschen, »le plus dégoûtant reste de la révolution«, diesen letzten schmierigsten Auswurf der Revolution, der das Ministerium mit seiner widerlichen Gegenwart befleckt? Gewiß, er hat geholfen, den König wieder nach Paris zu führen, er hat seine käufliche Hand hergegeben, um die Acht über die besten Männer Frankreichs zu unterzeichnen. Jetzt aber hinaus mit ihm! Eben dieselben Aristokraten, die, solange der König vor den Toren von Paris höchst ungeduldig wartete, ihn bedrängten, er müsse unbedingt den Herzog von Otranto zum Minister berufen, um ohne Blutvergießen in Paris einzurücken, ebendieselben Herren wissen mit einemmal nichts von einem Herzog von Otranto mehr; sie erinnern sich hartnäckig nur an einen gewissen Joseph Fouché, der in Lyon Hunderte von Priestern und Adelsleuten mit Kanonenschüssen niederschmettern ließ und den Tod Ludwigs des Sechzehnten verlangte. Plötzlich merkt der Herzog von Otranto, wenn er das Vorzimmer des Königs durchschreitet, daß eine ganze Reihe der adeligen Herrn nicht mehr grüßt oder mit provokanter Verächtlichkeit ihm den Rücken zuwendet. Brandschriften gegen den »Mitrailleur de Lyon« tauchen plötzlich auf und wandern von Hand zu Hand, eine neue patriotische Gesellschaft, die »Francs régénérés«, die Urahnen der »camelots du roi« und der »erwachenden Ungarn«, halten Versammlungen ab und verlangen klipp und klar, daß das Lilienbanner endlich von diesem Schandfleck gereinigt werde.

Aber so leicht ergibt sich Fouché nicht, wenn es um die Macht geht: in sie beißt er sich mit den Zähnen fest. Im Geheimbericht eines Spions, der ihn in jenen Tagen zu überwachen hatte, liest man, wie er nach allen Seiten sich anzuklammern sucht. Schließlich sind ja noch die feindlichen Herrscher im Land: die können ihn gegen die allzu königlichen Diener des Königs verteidigen. Er besucht den Kaiser von Rußland, beredet sich täglich stundenlang mit Wellington und dem englischen Gesandten, er läßt alle diplomatischen Minen springen, indem er einerseits das Volk gewinnen will durch eine Beschwerde gegen die eingerückten Truppen und gleichzeitig dem Könige Angst macht durch übertriebene Berichte. Er schickt den Sieger von Waterloo zu König Ludwig dem Achtzehnten, als Fürsprecher, er mobilisiert die Bankleute, Frauen und die letzten Freunde. Nein, er will nicht weg: zu teuer hat sein Gewissen diesen Rang bezahlt, als daß er sich nicht wie ein Verzweifelter wehrte. Und tatsächlich, einige Wochen gelingt es ihm, indem er sich wie ein geschickter Schwimmer bald auf die Seite legt und bald auf den Rücken wirft, sich auf den politischen Wassern zu halten. Während all dieser Zeit trägt er, wie jener Spion berichtet, gute Zuversicht zur Schau, und wahrscheinlich hat er sie auch gehabt. Denn in diesen fünfundzwanzig Jahren ist er immer nach oben gekommen. Und wenn man mit einem Napoleon und einem Robespierre fertig geworden ist, wozu dann sich sorgen wegen ein paar einfältiger Edelmänner! Der alte Verächter der Menschen fürchtet sich vor Menschen längst nicht mehr, er, der die Größten der Weltgeschichte überspielt und überlebt hat.

Aber eins hat dieser alte Kondottiere, dieser raffinierte Menschenkenner, doch nicht gelernt, und keiner kann es lernen: mit Gespenstern zu kämpfen. Dies Eine hat er vergessen, daß am königlichen Hofe ein Gespenst der Vergangenheit umgeht wie eine Erinnye der Rache: die Herzogin von Angoulême, die bluteigene Tochter Ludwigs XVI. und Maria Antoinettes, die einzige der Familie, die dem großen Massaker entronnen ist. Der König Ludwig XVIII., er konnte allenfalls Fouché noch verzeihen; schließlich dankt er diesem Jakobiner seinen Königsthron, und solche Erbschaft lindert manchmal (die Geschichte mag es bezeugen) auch in den höchsten Kreisen brüderlichen Schmerz. Aber für ihn war das Verzeihen leicht, denn er hat mit seiner Person nichts erlebt von jener Schreckenszeit; die Herzogin von Angoulême dagegen, die Tochter Ludwigs des Sechzehnten und Maria Antoinettes, sie hat die grauenhaften Bilder ihrer Kindheit im Blut. Sie hat Erinnerungen, die man nicht vergißt, und Haßgefühle, die sich durch nichts beschwichtigen lassen: zuviel hat sie erlebt am eigenen Leib, an der eigenen Seele, als daß sie je einem dieser Jakobiner, dieser Schreckensmänner, verzeihen könnte. Sie hat als Kind im Schloß von Saint-Cloud den grausigen Abend schauernd mitgemacht, wo sansculottische Volksmassen die Türsteher ermordeten und mit bluttriefenden Schuhen vor ihre Mutter und ihren Vater traten. Erlebt dann den Abend, wo sie, zu viert in den Wagen gepreßt, Vater, Mutter, Bruder, »Bäckermeister, Bäckerin und die Bäckerjungen«, inmitten einer höhnenden und johlenden Volksmenge, jede Stunde des Todes gewärtig, zurück nach Paris in die Tuilerien geschleppt wurden. Sie hat den zehnten August miterlebt, da die Pöbelmasse mit Beilhieben die Türen zu den Gemächern ihrer Mutter aufsprengte, da man höhnend ihrem Vater die rote Mütze aufs Haupt und die Pike auf die Brust setzte; sie hat die schaurigen Tage im Gefängnis des Temple erlitten und die entsetzlichen Minuten, wo man das blutüberströmte Haupt ihrer mütterlichen Freundin, der Herzogin von Lamballe, mit gelösten, blutverklebten Haaren auf der Spitze einer Pike zu ihnen ins Fenster hinaufgehoben hat. Wie soll sie den Abend vergessen können, da sie Abschied nahm von ihrem Vater, den man auf die Guillotine schleppte, den Abschied von ihrem kleinen Bruder, den man in enger Kammer verlausen und hinsiechen ließ? Wie sich nicht erinnern an die Kameraden Fouchés mit der roten Mütze, die sie tagelang verhörten und quälten, sie solle die angebliche Unzucht ihrer Mutter Maria Antoinette mit ihrem kleinen Sohne im Prozeß gegen die Königin bezeugen? Und wie den Augenblick aus dem Blut wegbannen, da sie sich ihrer Mutter aus den Armen reißen mußte und dann unten über das Pflaster der Karren ratterte, der sie unter die Guillotine schleppte? Nein, sie, die Tochter Ludwigs XVI. und Maria Antoinettes, die Gefangene des Temple, hat diese Schrecknisse nicht wie Ludwig XVIII. nur aus Zeitungen gelesen oder sich von Dritten erzählen lassen, sie trägt sie unauslöschbar tief eingebrannt in ihrer verschreckten, verdüsterten, gequälten und gemarterten Kinderseele. Und ihr Haß gegen diese Mörder ihres Vaters, gegen die Peiniger ihrer Mutter, gegen die Schreckbilder ihrer Kindheit, gegen alle Jakobiner und Revolutionäre hat sich noch lange nicht ausgelebt, noch immer nicht gerächt. Solche Erinnerungen vergessen sich nicht. Und so hat sie geschworen, nie und niemals dem Minister ihres Oheims, dem Mitmörder ihres Vaters, niemals Fouché die Hand zu reichen und nie gleiche Luft im gleichen Raum mit ihm zu atmen. Offen und herausfordernd zeigt sie vor dem ganzen Hofe dem Minister ihre Verachtung und ihren Haß. Sie betritt kein Fest, keine Veranstaltung, der dieser Königsmörder, dieser Verräter seiner eigenen Gesinnung beiwohnt, und ihre offene, höhnische, fanatisch zur Schau getragene Verachtung des Überläufers peitscht allmählich in allen andern das Ehrgefühl auf. Schließlich fordern einhellig alle Mitglieder der königlichen Familie von Ludwig dem Achtzehnten, daß er nun, da seine Macht gesichert sei, den Mörder seines Bruders mit Schimpf und Schande aus den Tuilerien jage.

Ungern, man erinnert sich, und nur weil er ihn unumgänglich brauchte, hat sich Ludwig XVIII. Joseph Fouché als Minister aufdrängen lassen. Gern und geradezu heiter gibt er ihm jetzt, da er ihn nicht mehr braucht, den Laufpaß. »Die arme Herzogin soll nicht dem ausgesetzt werden, diesem widerlichen Gesicht zu begegnen«, sagt er lächelnd von dem Manne, der sich noch ahnungslos sein »allgetreuester Diener« unterschreibt. Und Talleyrand, der andere Überläufer, erhält den königlichen Auftrag, seinem Kameraden aus dem Konvent und der Napoleonszeit klarzumachen, daß man seine Gegenwart in den Tuilerien nicht mehr als erwünscht empfinde.

Talleyrand übernimmt gern diesen Auftrag. Ohnehin hat er es schon schwer, die Segel nach dem scharfen royalistischen Wind zu drehen. So hofft er, sein glückhaftes Schiff noch am ehesten über Wasser halten zu können, indem er Ballast abwirft. Und der schwerste Ballast in seinem Ministerium ist dieser Königsmörder, sein alter Spießgeselle Fouché: ihn über Bord zu werfen, dieses scheinbar peinliche Geschäft besorgt er mit einer bezaubernd weltmännischen Geschicklichkeit. Nicht, daß er ihm grob oder feierlich die Entlassung ankündigte, – nein, als alter Meister der Formen, als souveräner Edelmann wählt er eine hinreißende Art, ihm begreiflich zu machen, daß nun für Herrn Fouché die Glocke endlich zwölf geschlagen hat. Immer stellt ja dieser letzte Aristokrat des Dix-huitième seine Komödienszenen und Intrigen in die Kulisse eines Salons, und auch diesmal kleidet er die grobe Verabschiedung in die feinste aller Formen. Am 14. Dezember begegnen sich Talleyrand und Fouché in einer Abendgesellschaft. Man speist, man spricht, man plaudert lässig, besonders Talleyrand scheint ausgezeichneter Laune. Ein großer Kreis sammelt sich um ihn; schöne Frauen, Würdenträger und junge Leute, alles drängt neugierig heran, um diesem Meister der Rede zu lauschen. Und wirklich, er erzählt diesmal ganz besonders charmant. Er erzählt von längst vergangenen Tagen, als er vor dem Verhaftungsbefehl des Konvents nach Amerika flüchten mußte, und rühmt begeistert dieses großartige Land. Ach, wie herrlich sei es dort: undurchdringliche Wälder, bewohnt vom urtümlichen Stamme der Rothäute, gewaltige, undurchforschte Ströme, der mächtige Potomac und der riesige Eriesee, und inmitten dieser heroischen und romantischen Welt ein neues Geschlecht, stählern, tüchtig und stark, in Kämpfen bewährt, der Freiheit verschworen, vorbildlich in seinen Gesetzen, unausdenkbar in seinen Möglichkeiten. Ja, dort sei noch zu lernen, dort spüre man eine neue, bessere Zukunft, tausendmal lebendiger als in unserem abgelebten Europa! Dort müßte man wohnen, dort müßte man wirken, ruft er begeistert aus, und kein Posten schiene ihm verlockender als der eines Gesandten bei den Vereinigten Staaten. ...

Und plötzlich unterbricht er sich in seiner wie zufälligen Begeisterung und wendet sich Fouché zu: »Hätten Sie nicht Lust, Herzog von Otranto, zu einer solchen Stellung?«

Fouché erblaßt. Er hat verstanden. Innerlich bebt er vor Wut, wie gerissen und geschickt der alte Fuchs ihm vor allen Leuten, vor dem ganzen Hofe den Ministersessel vor die Türe gesetzt hat. Er gibt keine Antwort. Aber nach wenigen Minuten empfiehlt er sich, geht nach Hause und schreibt seine Demission. Talleyrand bleibt munter zurück und vertraut am Heimweg seinen Freunden mit schiefem Lächeln an: »Diesmal habe ich ihm endgültig den Hals umgedreht.«

Um diesem prallen Hinauswurf Fouchés vor der Öffentlichkeit ein dünnes Mäntelchen umzuhängen, bietet man dem entlassenen Minister pro forma ein anderes kleines Amt an. So steht also nicht im »Moniteur«, daß der Königsmörder, der »régicide« Joseph Fouché aus seiner Stellung als Polizeiminister entlassen sei, sondern man liest, daß Seine Majestät, der König Ludwig XVIII., geruht hätten, Seine Exzellenz den Herzog von Otranto zum Gesandten am Dresdner Hofe zu ernennen. Selbstverständlich erwartet man, er werde diese ganz wertlose Stellung abweisen, die weder seinem Rang noch seiner schon welthistorischen Stellung entspricht. Aber weit gefehlt! Mit einem Minimum an wacher Vernunft müßte Fouché begreifen, daß er, der Königsmörder, im Dienst eines reaktionären Königreiches endgültig und ohne Rettung erledigt sei, daß man ihm nach einigen Monaten auch jenen erbärmlichen Knochen aus den Zähnen reißen wird. Aber der Heißhunger nach Macht hat diese einstmals so verwegene Wolfsseele völlig hündisch gemacht. Genau wie Napoleon bis zum letzten Moment nicht nur an seiner Stellung, sondern noch an der bloßen Namensattrappe seiner kaiserlichen Würde sich eisern festklammerte, so und noch viel unedler hängt sich sein Diener Fouché an den letzten und kleinsten Titel einer Scheinministerschaft. Zäh wie Schleim klebt er an der Macht, er gehorcht, dieser ewige Diener, voll Erbitterung auch diesmal seinem Herrn! »Ich nehme, Sire, mit Dankbarkeit die Gesandtschaft an, die Eure Majestät geruht haben, mir anzubieten«, schreibt dieser Siebenundfünfzigjährige, dieser zwanzigfache Millionär, demütig an den Mann, der seit einem halben Jahre durch seine eigene Gnade wieder König ist. Er packt seine Koffer und übersiedelt mit seiner ganzen Familie an dieses kleine Höflein nach Dresden, richtet sich fürstlich ein und tut, als ob er sein Lebensende dort als Gesandter des Königs verbringen wolle.

Aber was er so lange gefürchtet, erfüllt sich bald. Fast fünfundzwanzig Jahre lang hat Fouche die Wiederkehr der Bourbonen wie ein Verzweifelter bekämpft aus dem richtigen Instinkt, sie würden schließlich doch Rechenschaft fordern für die zwei Worte »La mort«, mit denen er Ludwig den Sechzehnten unter die Guillotine gestoßen. Aber törichterweise hatte er gehofft, sie zu täuschen, indem er sich in ihre Reihen einschlich, sich als braver königstreuer Diener vermummte. Diesmal jedoch hat er nicht die anderen, nur sich selber getäuscht. Denn kaum hat er neue Tapeten in seinen Dresdner Zimmern aufkleben lassen, kaum Tisch und Bett gerüstet, so bricht schon im französischen Parlament der Donner los. Niemand spricht mehr vom Herzog von Otranto, alle haben vergessen, daß ein Würdenträger dieses Namens ihren neuen König Ludwig XVIII. im Triumphe nach Paris heimgeführt hat, – alle reden sie nur von einem Herrn Fouché, dem »régicide« Joseph Fouché de Nantes, der 1792 den König verurteilte, vom »Mitrailleur de Lyon«, und mit der überwältigenden Majorität von 334 Stimmen gegen nur 32 wird der Mann,»der die Hand gegen den Gesalbten des Herrn erhoben«, von jeder Amnestie ausgeschlossen und für Lebenszeit aus Frankreich verbannt. Selbstverständlich bedeutet dies auch schmähliche Entlassung von seinem Gesandtenposten. Ohne Mitleid, glatt, höhnisch und verächtlich wird jetzt »Herr Fouché«, nicht mehr Exzellenz, nicht mehr Komtur der Ehrenlegion, nicht mehr Senator, nicht mehr Minister, nicht mehr Großwürdenträger, mit einem Fußtritt auf die Straße gesetzt und gleichzeitig dem König von Sachsen amtlich angedeutet, daß auch das persönliche Verweilen dieses Individuums Fouché in Dresden nicht mehr willkommen sei. Der selbst Tausende in die Verbannung geschickt hat, folgt jetzt, zwanzig Jahre später, als Letzter den Kämpfern des Konvents nach, heimatlos, verflucht, verbannt. Und, da er nun machtlos ist und vogelfrei, wirft sich der Haß aller Parteien ebenso einhellig auf den Gestürzten, wie vordem die Sympathieen aller Parteien den Mächtigen umworben hatten. Nun helfen alle Schliche, alle Proteste, alle Beschwörungen nicht mehr: ein Machtmensch ohne Macht, ein erledigter Politiker, ein abgespielter Intrigant ist immer das erbärmlichste Ding auf Erden. Spät, aber mit Wucherzinsen wird Fouché jetzt seine Schuld bezahlen, niemals einer Idee, einer moralischen Leidenschaft der Menschheit gedient zu haben, sondern immer nur der vergänglichen Gunst des Augenblicks und der Menschen.

Wohin nun? Der aus Frankreich verbannte Herzog von Otranto macht sich anfangs keine Sorgen. Ist er denn nicht der Günstling des Zaren, der Vertraute Wellingtons, des Siegers von Waterloo, der Freund des allmächtigen österreichischen Ministers Metternich? Sind die Bernadottes ihm nicht Dank schuldig, die er auf den Thron von Schweden geschoben, nicht die bayrischen Fürsten? Kennt er nicht alle Diplomaten vertraulich seit Jahr und Jahr, haben sich nicht alle Fürsten und Könige Europas leidenschaftlich um seine Gunst bemüht? Er braucht doch nur, so meint der Gestürzte, eine zarte Andeutung zu machen, und jedes Land wird sich dringlich den Vorzug erbitten, den vertriebenen Aristides zu beherbergen. Aber wie anders handelt die Weltgeschichte gegen einen Gestürzten als gegen einen Mächtigen! Vom Zarenhof trifft trotz mehrmaliger Andeutungen keine Einladung ein, ebensowenig von Wellington; Belgien lehnt ab, sie haben dort schon genug von alten Jakobinern in ihren Grenzpfählen, Bayern biegt vorsichtig aus, und auch der alte Freund, der Fürst Metternich, tut sonderbar kühl. Nun ja, allenfalls, wenn er es durchaus wolle und wünsche, könne der Herzog von Otranto sich auf österreichisches Gebiet begeben, man sei großmütig bereit, nichts dawider zu haben. Aber keinesfalls dürfe er nach Wien, nein, dort könne man ihn nicht brauchen, und auch nach Italien dürfe er unter keiner Bedingung. Höchstens in einer kleinen Provinzstadt, und zwar nicht innerhalb Niederösterreichs, also nicht nahe bei Wien, könne er (braves Verhalten vorausgesetzt!) Aufenthalt nehmen. Wahrhaftig, er tut nicht sehr dringlich, der alte gute Freund Metternich, und selbst daß der millionenreiche Herzog von Otranto anbietet, sein ganzes Vermögen in österreichischem Grund und Boden oder in österreichischen Staatspapieren anzulegen, daß er vorschlägt, seinen Sohn in der kaiserlichen Armee dienen zu lassen, lockt den österreichischen Minister nicht aus seiner reservierten Haltung. Als der Herzog von Otranto einen Besuch in Wien ankündigt, wehrt er höflich ab, nein, er möge nur still, ganz privat sich nach Prag begeben.

So schleicht sich, ohne rechte Einladung, ohne Ehre, bedeutend mehr geduldet als gebeten, Joseph Fouché von Dresden nach Prag hinüber, um dort Aufenthalt zu nehmen: sein viertes Exil, sein letztes und grausamstes hat begonnen.

Auch in Prag tut man nicht sehr entzückt über den hohen, allerdings von seiner Höhe arg heruntergerutschten Gast, besonders die erbeingesessene Aristokratie zeigt dem plötzlichen Eindringling die kalte Schulter. Denn die böhmischen Adeligen lesen noch immer französische Zeitungen, und die strotzen gerade jetzt von den rachevollsten und rabiatesten Angriffen gegen den »Herrn« Fouché; sie erzählen häufig und sehr ausführlich, wie dieser Jakobiner 1793 in Lyon Kirchen geplündert und in Nevers die Kassen ausgeräumt. Alle die kleinen Schreiber, die einst vor der harten Faust des Polizeiministers gezittert und ihren Zorn in die Zähne beißen mußten, spucken jetzt hemmungslos auf den Wehrlosen. Mit rasender Geschwindigkeit dreht sich jetzt das Rad herum. Der seinerzeit die halbe Welt überwachte, wird jetzt selbst überwacht; alle Polizeimethoden, die sein erfinderisches Genie ausspekuliert, wenden jetzt seine Schüler und einstigen Beamten gegen ihren einstigen Meister an. Jeder Brief an oder von dem Herzog von Otranto wandert durch das Schwarze Kabinett, wird geöffnet und abgeschrieben, Polizeiagenten belauschen und melden jedes Gespräch, man bespitzelt seinen Umgang, kontrolliert jeden Schritt, überall fühlt er sich überwacht, eingekreist, belauert; seine eigene Kunst, seine eigene Wissenschaft erprobt sich mit grausamster Geschicklichkeit an dem Allergeschicktesten, der sie erfunden. Vergeblich sucht er Abhilfe gegen diese Erniedrigungen. Er schreibt an den König Ludwig XVIII., aber der antwortet dem Abgesetzten so wenig, wie Fouché einst Napoleon am Tage nach seiner Absetzung antwortete. Er schreibt dem Fürsten Metternich, der ihm bestenfalls durch untergeordnete Kanzleibeamte ein mürrisches Ja oder Nein erwidern läßt. Er solle doch ruhig halten unter den Prügeln, die jeder ihm gönnt, er soll doch endlich aufhören, zu rumoren und zu querulieren. Der bei allen nur durch Furcht beliebt war, wird von allen verachtet, seitdem man ihn nicht mehr fürchtet: der größte politische Spieler hat ausgespielt.

Fünfundzwanzig Jahre lang war dieser Geschmeidige, dieser Unfaßbare immer wieder dem Schicksal entglitten, das so oft schon ihn drohend angefaßt. Jetzt, da er endgültig am Boden liegt, prügelt es unbarmherzig auf den Gestürzten los. In Prag erlebt nach dem politischen Menschen noch der private Mann, Joseph Fouché, sein schmerzlichstes Canossa: kein Romanschreiber könnte seiner moralischen Erniedrigung geistreicheres Symbol erfinden als die kleine Episode, die sich dort 1817 ereignete. Denn zum Tragischen gesellt sich jetzt das schrecklichste Zerrbild jedes Unglücks: die Lächerlichkeit. Nicht nur der politische Mann wird erniedrigt, auch der Ehemann. Man darf getrost annehmen, daß nicht Liebe die sechsundzwanzigjährige, bildschöne Aristokratin seinerzeit diesem sechsundfünfzigjährigen Witwer mit dem kahlen und fahlen Totenkopfgesicht angenähert. Aber dieser wenig verführerische Werber war 1815 der zweitreichste Mann Frankreichs, zwanzigfacher Millionär, Exzellenz, Herzog und ein angesehener Minister Seiner Allerchristlichsten Majestät; so winkte der netten, aber verarmten Provinzkomtesse die berechtigte Hoffnung, auf allen Hoffesten und im Faubourg Saint-Germain als eine der vornehmsten Frauen Frankreichs zu glänzen, und tatsächlich, der Anfang setzte verheißungsvoll ein: Seine Majestät geruhte, ihren Vermählungsbrief höchstpersönlich zu unterfertigen, Adel und Hof drängte unter den Gratulanten, ein prächtiges Palais in Paris, zwei Landgüter und ein Fürstenschloß in der Provence wetteiferten, die Fürstin von Otranto als Herrin zu beherbergen. Für derlei Herrlichkeiten und zwanzig Millionen nimmt eine Ehrgeizige auch einen nüchternen, glatzigen, pergamentgelben Gatten von sechsundfünfzig Jahren in Kauf. Aber die voreilige Komtesse hat ihre helle Jugend für Teufelsgold verkauft, denn knapp hinter den Flitterwochen muß sie entdecken, daß sie nicht Gattin eines hochgeehrten Staatsministers ist, sondern Frau des verhöhntesten, verhaßtesten Mannes von Frankreich, des hinausgejagten, landverwiesenen, von aller Welt verachteten »Herrn« Fouché – der Herzog mit all seiner Herrlichkeit hat sich verflüchtigt, der verschabte, verbitterte, gallige Greis ist ihr geblieben. So ereignet es sich nicht sehr überraschend, daß in Prag zwischen dieser 26jährigen Frau und dem jungen Thibaudeau, dem Sohn eines gleichfalls vertriebenen alten Republikaners, eine »amitié amoureuse« sich anspinnt, von der man nicht genau weiß, wieweit sie nur amitié und wieweit sie amoureuse gewesen. Aber es kommt zu sehr stürmischen Auftritten aus diesem Anlaß, Fouché verbietet dem jungen Thibaudeau sein Haus, und ärgerlicherweise bleibt diese eheliche Zwistigkeit kein Geheimnis. Die royalistischen Zeitungen, auf jeden Anlaß lauernd, demselben Mann, vor dem sie jahrelang gezittert, eins mit der Peitsche überzuknallen, veröffentlichen boshafte Notizen über seine häuslichen Enttäuschungen; sie verbreiten zum Entzücken aller Leser die grobe Lüge, die junge Herzogin von Otranto sei in Prag dem alten Hahnrei mit ihrem Liebhaber durchgebrannt. Bald bemerkt der Herzog von Otranto, wenn er in Prag eine Gesellschaft besucht, daß die Damen mit Mühe ein kleines Lächeln unterdrücken und ironischen Blicks die junge blühende Frau mit seiner eigenen, wenig bezaubernden Gestalt vergleichen. Nun spürt der alte Gerüchtemacher, der ewige Jäger nach Geschwätz und Skandal, am eigenen Leibe, wie wenig es wohltut, das Opfer eines böswilligen Rufmordes zu sein, und daß man solche Verleumdungen niemals bekämpfen kann, sondern am klügsten tut, vor ihnen zu fliehen. Nun, erst im Unglück, erkennt er die ganze Tiefe seines Falles, und sein Exil in Prag wird ihm zur Hölle. Neuerdings wendet er sich an den Fürsten Metternich um Erlaubnis, die unerträgliche Stadt verlassen und eine andere innerhalb Österreichs wählen zu dürfen. Man läßt ihn warten. Endlich erlaubt ihm Metternich gnädig, sich nach Linz zu begeben: dorthin zieht sich nun der enttäuschte und müde Mann gedemütigt zurück vor dem Haß und Hohn der ihm früher untertänigen Welt.

Linz – man lächelt immer in Österreich, wenn jemand diesen Stadtnamen nennt, er reimt sich zu unwillkürlich auf Provinz. Eine kleinbürgerliche Bevölkerung ländlichen Ursprungs, Schiffsarbeiter, Handwerker, meist arme Leute, nur ein paar Häuser altangesessenen österreichischen Landadels. Nicht wie in Prag eine große, ruhmreiche Tradition, keine Oper, keine Bibliothek, kein Theater, keine rauschenden Adelsbälle, keine Festlichkeiten – eine echte und rechte schläfrige, ländliche Provinzstadt, ein Veteranenasyl. Dort siedelt sich der alte Mann mit den beiden jungen, fast gleichaltrigen Frauen an, die eine seine Gattin, die andere seine Tochter. Er mietet ein prächtiges Haus, läßt es vornehm instand setzen, sehr zur Freude der Linzer Lieferanten und Geschäftsleute, die solche Millionäre in ihren Mauern bisher nicht gewohnt waren. Ein paar Familien bemühen sich, mit dem interessanten und dank des Geldes doch irgendwie vornehmen Fremden in Verkehr zu treten, der Adel aber zieht sehr merkbar die geborene Gräfin Castellane dem Sohn eines bürgerlichen Pfeffersacks, diesem »Herrn« Fouché, vor, dem erst ein Napoleon (selbst ein Abenteurer in ihren Augen) einen Herzogsmantel um die dürren Schultern gehängt. Die Beamtenschaft wiederum hat geheimen Auftrag von Wien, sich möglichst wenig mit ihm einzulassen; so lebt der früher leidenschaftlich Tätige vollkommen isoliert und beinahe gemieden. Ein Zeitgenosse schildert damals in seinen Memoiren sehr plastisch seine Situation auf einem der öffentlichen Bälle: »Auffallend war, wie die Herzogin gefeiert, aber Fouché selbst vernachlässigt wurde. Er war von mittlerer Größe, stark, aber nicht dick, und hatte ein häßliches Gesicht. Er erschien zu Tanzfestlichkeiten stets im blauen Frack mit Goldknöpfen, weißen Beinkleidern und weißen Strümpfen. Er trug den großen österreichischen Leopoldsorden. Gewöhnlich stand er allein am Ofen und sah dem Tanze zu. Wenn ich diesen früher allmächtigen Minister des französischen Kaiserreichs betrachtete, wie er so einsam und verlassen dastand und froh zu sein schien, wenn irgendein Beamter mit ihm ein Gespräch anfing oder ihm eine Schachpartie anbot, so mußte ich unwillkürlich an die Wandelbarkeit aller irdischen Macht und Größe denken.«

Ein einziges Gefühl hält diesen geistig leidenschaftlichen Mann bis zum letzten Augenblick aufrecht: die Hoffnung, einmal, noch einmal wieder politisch hoch zu kommen. Müde, verbraucht, ein wenig schwerfällig und sogar schon schwerleibig geworden, kann er sich von dem Wahn nicht trennen, man müsse ihn, den Hochverdienten, noch einmal in sein Amt zurückrufen, noch einmal würde wie so oft das Schicksal ihn aus dem Dunkel reißen und zurückwerfen in das göttliche Weltspiel der Politik. Unablässig bleibt er in geheimem Briefwechsel mit seinen Freunden in Frankreich, noch immer webt die alte Spinne ihre geheimen Netze, aber sie bleiben im Linzer Dachsparren unbeachtet. Er veröffentlicht unter falschem Namen »Bemerkungen eines Zeitgenossen über den Herzog von Otranto«, eine anonyme Lobschrift, die sein Talent, seinen Charakter in den lebhaftesten, beinahe lyrischen Farben schildert, gleichzeitig streut er, um seine Feinde scharf einzuschüchtern, in Privatbriefen vorsorglich aus, daß der Herzog von Otranto an seinen Memoiren schreibe, sogar, daß sie demnächst bei Brockhaus erscheinen und dem König Ludwig dem Achtzehnten gewidmet sein sollen: damit will er die Allzuverwegenen erinnern, daß der ehemalige Polizeiminister Fouché doch noch einige Pfeile im Köcher habe, und zwar tödlich giftige. Aber sonderbar, niemand hat mehr vor ihm Furcht, nichts erlöst ihn von Linz, niemand denkt daran, ihn zu rufen, ihn zu holen, niemand will seinen Rat, seine Hilfe. Und als in der französischen Kammer aus anderm Anlaß die Frage der Rückberufung der Verbannten erörtert wird, wird seiner weder mit Haß noch mit Interesse gedacht. Die drei Jahre, seit er die Weltbühne verlassen, haben genügt, den großen Schauspieler, der in allen Rollen exzellierte, vergessen zu machen, Schweigen wölbt sich über ihn wie ein gläserner Katafalk. Es gibt keinen Herzog von Otranto mehr für die Welt; nur ein alter Mann, müde, ärgerlich, einsam und fremd, geht mürrisch durch die langweiligen Straßen von Linz spazieren. Hie und da lüftet ein Lieferant, ein Geschäftsmann vor dem Kränklichen und Geduckten höflich den Hut, sonst kennt ihn niemand mehr in der Welt, und niemand denkt an ihn. Die Geschichte, dieser Anwalt der Ewigkeit, hat die grausamste Rache genommen an dem Manne, der immer nur an den Augenblick gedacht: sie begräbt ihn bei lebendigem Leibe.

So vergessen ist der Herzog von Otranto, daß niemand außer ein paar österreichischen Polizeibeamten darauf achthat, als Metternich endlich im Jahre 1819 dem Herzog von Otranto verstattet, nach Triest zu übersiedeln, und dies nur, weil er aus verläßlicher Quelle weiß, daß diese kleine Gnade einem Sterbenden gilt. Die Untätigkeit hat diesen arbeitswütigen Unruhemenschen mehr ermüdet und geschädigt als dreißig Jahre Frondienst. Seine Lungen beginnen zu versagen, er kann das rauhe Klima nicht vertragen, so bewilligt ihm Metternich einen sonnigeren Ort zum Sterben: Triest. Dort sieht man dann manchmal einen gebrochenen Mann mit schon schweren Schritten in die Messe gehen und mit gefalteten Händen vor den Bänken knieen: der einstmalige Joseph Fouché, der vor einem Vierteljahrhundert mit eigener Hand die Kruzifixe auf den Altären zerschlug, er kniet jetzt mit gebeugtem, weißem Haupt vor den »lächerlichen Zeichen des Aberglaubens«, und vielleicht mag ihn jetzt Heimweh überkommen haben nach den stillen Refektoriengängen seiner alten Klöster. Irgend etwas in ihm ist völlig verwandelt, er möchte, der alte Streiter und Ehrgeizige, nur noch Frieden mit allen seinen Feinden. Die Schwestern und Brüder seines großen Gegners Napoleon – auch sie längst gestürzt und von der Welt vergessen – besuchen ihn und plaudern mit ihm vertraulich von vergangenen Zeiten: all diese Besucher sind erstaunt, wie dieser Mann an der Müdigkeit wahrhaft milde geworden ist. Nichts an diesem armen Schatten erinnert mehr an den gefürchteten und gefährlichen Menschen, der durch zwei Jahrzehnte lang die Welt verwirrt und die stärksten Männer der Zeit ins Knie gedrückt. Nur Frieden will er haben, Frieden und ein gutes Sterben. Und wirklich, in seinen letzten Stunden macht er noch Frieden mit seinem Gott und den Menschen. Frieden mit Gott: denn der alte kämpferische Atheist, der Verfolger des Christentums, der Zerstörer der Altäre, er läßt in den letzten Dezembertagen einen der »abscheulichen Betrüger« (wie er sie in den Maientagen seines Jakobinertums nannte), einen Priester, kommen und empfängt mit fromm gefalteten Händen die letzte Ölung. Und Frieden mit den Menschen: denn wenige Tage vor seinem Tode befiehlt er seinem Sohn, seinen Schreibtisch zu öffnen und alle Papiere herauszuholen. Ein großes Feuer wird entzündet, Hunderte und Tausende von Briefen werden hineingeworfen, wahrscheinlich auch die viel gefürchteten Memoiren, vor denen Hunderte zitterten. War es eine Schwäche des Sterbenden oder eine letzte späte Güte, war es Angst vor der Nachwelt oder grobe Gleichgültigkeit – jedenfalls, er hat alles, was andere kompromittieren und womit er sich an seinen Feinden rächen konnte, in einer neuartigen und beinahe frommen Rücksicht auf dem Totenbett vernichtet, zum erstenmal statt des Ruhms und der Macht ein anderes Glück suchend, müde der Menschen und des Lebens: Vergessenheit.

Am 26. Dezember 1820 endet dann dieses sonderbare, schicksalsvolle Leben, das in einem Hafen des Nordmeeres begonnen, in der Stadt des Triestinischen Südmeeres. Und am 28. Dezember bettet man den Leib des unruhvoll Umgetriebenen und Vertriebenen zur letzten Ruhe. Die Nachricht von dem Tode des berühmten Herzogs von Otranto weckt zunächst keine große Neugier in der Welt. Nur ein dünner blasser Rauch von Erinnerung schwebt flüchtig auf von seinem verlöschten Namen und vergeht fast spurlos im beruhigten Himmel der Zeit.

Aber vier Jahre später flackert noch einmal Beunruhigung empor. Gerücht geht, die Memoiren des Vielgefürchteten seien im Erscheinen, und manchem der Machthaber, manchem der Voreiligen, die zu verwegen auf den Gestürzten losgeschlagen, rieselt es kalt über den Rücken: wird wirklich noch einmal diese gefährliche Lippe aus dem Grabe zu sprechen anfangen? Werden am Ende die beiseite geschafften Dokumente aus dem Schatten der Polizeiladen, die allzu vertraulichen Briefe und kompromittierenden Beweise rufmörderisch zutage treten? Aber Fouché bleibt sich treu über den Tod hinaus. Denn die Memoiren, die ein flinker Buchhändler 1824 in Paris erscheinen läßt, sind unzuverlässig wie er selbst. Selbst aus dem Grabe verrät dieser hartnäckige Schweiger nicht die ganze Wahrheit; noch in die kalte Erde nimmt er eifersüchtig seine Geheimnisse mit, um selbst Geheimnis zu bleiben, Zwielicht und Zwitterschein, nie ganz zu enthüllende Gestalt. Aber eben darum lockt sie immer neu zu dem inquisitorischen Spiele, das er selbst so meisterlich geübt: aus flüchtig fliehender Spur den ganzen verschlungenen Lebensweg und aus seinem wechselvollen Schicksal die geistige Gattung dieses allermerkwürdigsten politischen Menschen zu entdecken.


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