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Daß die Besten einer Zeit immer die Besten erkennen, bezeugen hier die Äußerungen Balzacs, Sainte-Beuves, Victor Hugos und Baudelaires, und sie haben heute wieder volle Geltung, da die Gestalt der Marceline Desbordes-Valmore nach einer Zeit langer ungerechter Gleichgültigkeit wieder lebendig wird.
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Ich habe die zwei kleinen Briefe bekommen – allzu kurz mit ihren zwei Seiten, doch ganz durchduftet von Poesie und durchweht von jener Heimatluft, aus der sie kamen. Es war, als lauschte ich den schönsten Takten einer Beethovenschen Symphonie, und die zwei Tage, die ich in Ihrer Gesellschaft verbrachte, erstanden in meinem Gedächtnis. Und, was mir selten begegnet, ich saß lange Zeit gedankenvoll, die Briefe in der Hand, und machte ein stilles Gedicht; ich sagte mir: sie hat also das Andenken an ein Herz bewahrt, in dem sie ein volles Echo gefunden hat, sie und ihre Worte, sie und all ihre Lieder, – denn wir sind aus dem gleichen Lande, Madame, dem Land der Tränen und der Qualen. Wir sind so gute Nachbarn, als Poesie und Prosa es in Frankreich sein können, und ich weiß mich Ihnen nahe durch die Bewunderung, die ich für Sie empfinde und die mich mehr als eine Stunde vor Ihrem Porträt im »Salon« festgehalten hat. Also, leben Sie wohl! Mein Brief kann meinen Gedanken nur unvollkommen Ausdruck geben, doch Sie werden auch zwischen den Zeilen die Freundschaft zu lesen verstehen, mit der ich ihn schreibe, und meinen Wunsch, Sie mit allen Schätzen der Welt zu beschenken, wenn Gott mir diese Macht verleihen würde. Ja, alle, die ich gern habe, sollten ganz nach eigenem Gefallen eine große, eine mittlere oder eine kleine »Grenadière« besitzen und alle Freuden des Paradieses im vorhinein, denn warum so lange darauf warten? Also leben Sie wohl, geben Sie Ondine einen Kuß auf die Stirn, und bewahren Sie, ich bitte, die Überzeugung meiner aufrichtigen Zuneigung und meiner tiefen mitfühlenden Bewunderung.
De Balzac
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In »Portraits Contemporains.«
Das Leben selbst, Leidenschaften und schwere Erfahrungen, haben diese Frau, die keinen anderen Lehrmeister hatte als die innere Stimme und das Leid, dahin geführt, ihr Schluchzen zu modulieren. Es gibt zwei Arten von Dichtern: jene, die Erfindungsgabe haben, deutlicher gesagt, die Kunst haben, Phantasie, Schöpferkraft und nicht nur Empfänglichkeit, deren Geist sich jedem Stoff anzupassen vermag, eine Gabe, die man Talent nennt. Und es gibt andere, bei denen dieses Talent von den persönlichen Empfindungen nicht zu trennen ist und die infolge einer rührenden Schwäche nur Dichter sind, weil sie Liebende und solange sie es sind.
Madame Desbordes-Valmore ist auch ein Dichter durch die Liebe. Ihr Talent ist an ihr Fühlen gebunden, wie das Echo an die brandende Woge, wie die Woge an den stürmenden See. Wenn dieses Talent nie aufgehört hat, sein Klagelied zu singen und in die Höhe zu wachsen, so ist es, weil die Seele selbst, trotz so viel vergossener Fluten, sich unerschöpflich erwiesen hat:
»Denn ich bin nur ein schwaches Weib,
Ich wußte nur zu lieben, Leid zu tragen,
Nur meine Seele im Gesang zu klagen ...«
1839. Sie gehört nicht zu jenen Seelen, für welche die Poesie nur ein kurzes Alter hat und die, je weiter sie in die immer ödere Steppe vordringen, die man das Leben nennt, sich verschließen, sich fortstehlen und von nun ab schweigen. Sie ist als klingende Harfe geboren und dennoch als zerbrochene. Was konnte sie so vorzeitig zerbrechen? Für sie ist jedes Leid ein Lied: das heißt also, daß sie seit fünf Jahren, in allem Mißgeschick ihres herumirrenden Lebens, das Singen nie gelassen hat. Jede aufsteigende Klage, jedes flüchtige Lächeln, jede zärtliche Regung des Mutterherzens, jeder wie schnell zerstörte Versuch zu einer frohen Melodie, jeder herbe Blick in eine Vergangenheit, deren Flammen noch immer nicht alle erloschen sind – alles das nach und nach, meist in Hast hingeworfen, wieder aufgegriffen, gesammelt und flüchtig verknüpft bildet den Band, dem sie den Namen »Arme Blumen« gegeben hat. Es ist ein voller Erntekorb, hoch und eng geschichtet, dicht geschüttelt, mehr als voll von Farben und Düften, den die bescheidene Dichterin nicht eigentlich uns darbietet, sondern wie ermattet zu unsern Füßen niederfallen ließ.
In einem Gedicht mit dem Titel »Vor Dir!« zeigt uns die Dichterin in kindlicher Liebe das Sterben ihrer Mutter, das Vermächtnis leidvoller Sensibilität, das diese ihr hinterlassen hat, und die zuerst unerkannt, dann allzu geweckt und bewußt immer in ihrem Herzen gelebt hat. Und dieses Herz, das von Anbeginn als Opfer der Liebe bestimmt war, – es »hatte noch kein Lied, sein Leid zu offenbaren« – wie weiß sie es in seiner Unschuld und stummen Bedrängnis zu malen:
»Sein schwaches Schlagen, das der Zeiten Maß
Nur zögernd wiedergab, verriet, wie wenig Leben
In diesem Herzen war; und wie ein Kind, das eben
Halb eingeschlummert über seinen Büchern saß,
Hielt meine Hand mein Schicksalsbuch verschlossen;
Mein schwarzer Gürtel, meine dunkle Trauer band
Mich an der Mutter Grab – was hatte noch Bestand?
Die Welt war groß und leer; es fehlte ihr die Stimme,
Die einzige, die das wüste Lärmen und Gebraus
Zur Heimat machte; nein! die Welt war nicht mein Haus!
Ich scheute ihr Gesetz, ihr Urteil, ihre schlimme
Verlockung und Bedrohung – und von Angst gehetzt,
Fand ich das Wort, den Ruf, das laute Lied zuletzt!«
Wenn man solche Verse liest, verzeiht man die Schwächen, mit denen sie erkauft worden. Ja, die Qual der Seele ist oft lebendig in die Verse mit hinübergenommen. Die Tonfarbe spiegelt sie wider. Wenn die Träne im Auge von einem Sonnenstrahl getroffen wird, so hindert uns das am Sehen, alles bebt und schimmert. Der schluchzende Aufschrei kann nicht alles, was hinter ihm lebt, erkennen lassen.
Ein ganzer Herzensroman durchwebt dieses Buch, hie und da etwas gemindert, bald aber wird die Leidenschaft wieder übermächtig und kann nicht mehr an sich halten. Unerwartet, in einem Aufschwung, den nur sie unter den Dichterinnen von heute besitzt, ruft sie ihr Weh hinaus ... Sappho muß solchen Aufschrei gehabt haben; oder vielmehr, man fühlt, daß diese Tochter Douais und Flanderns dort etliche Funken spanischer Glut mitbekommen hat, sie, die mit stetem Glauben zur Madonna aufsieht, wie die portugiesische Nonne ...
1842. Als ich die leidvollen Briefe der Madame Valmore durchsah, ist mir oft eine andere Dichterin in den Sinn gekommen, und ich habe ihre Briefe mit denen Mademoiselle Eugénie de Guérins verglichen, die einige auserlesene Bücher veröffentlicht hat. Doch welch ein Unterschied, so sagte ich mir, zwischen den Schmerzen der einen und der andern. Die eine, edle Schloßherrin von Cayla, unter dem schönen Himmel des Südens, in trauter Umgebung, in ländlicher Einschränkung oder Armut, die doch noch immer Fülle ist, mit allem Geschmack eines jungfräulichen Interieurs. Die andere, im Staub und Schmutz der Großstadt, der Landstraße, stets auf der Suche nach einer Unterkunft, fünf Stockwerke erklimmend, überall anstoßend, – das Herz zerrissen ruft sie verzweifelt aus: »Wo sind die friedlichen Leiden des Provinzlebens?« Und wer Madame Valmore in den langen Jahren schwerer Prüfung gekannt, wer sie in ihren bescheidenen und engen Wohnungen besucht hat, wo sie so viel Mühe hatte, den Haushalt zusammenzuhalten, wer sie da gesehen, liebenswürdig, heiter, anziehend, gastfreundlich sogar, wie sie allem einen Anstrich von Sauberkeit und künstlerischem Geschmack zu geben wußte und ihre Tränen hinter einer natürlichen Anmut verbarg, sie, der Zartesten und Empfindsamsten eine, doch immer tapfer und wachsam, wer sie so gesehen und ihren Lebens- und Leidensweg kennt, der wird sie noch weit mehr bewundern. Wenn man ferner bedenkt, welche endlosen Mühen und Sorgen um ihren Unterhalt diese so ehrenwerte und bedeutende Familie, diese kleine Gruppe auserlesener Menschen, die mit vielen befreundet und von sehr vielen, scheint es, protegiert war, die von allen geachtet, geliebt und bewundert wurde, zu bestehen gehabt, so fragt man sich: wo bleibt eigentlich unsere vielgerühmte Zivilisation? Man errötet für sie ...
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... Es ist die Liebe und die Züchtigkeit, erbleichend oder errötend in ihren Kämpfen; es ist die Leidenschaft mit ihren Flammen, ihren Tränen, fast hätte ich gesagt, ihrer Unschuld, so bitter ist ihr Kummer und ihre Reue! Die Leidenschaft mit ihrem Schrei vor allem. Madame Desbordes-Valmore, die Dichterin, ist die Poesie des Aufschreis. Nun, gibt es etwas Intimeres, etwas, das deutlicher das frische Blut der Wunden zeigt, das sprühender die Quelle der Seele verrät, als der Aufschrei? Die Herrlichkeiten mühseliger Dichtungen verblassen und vergehen; wo aber der Schrei einmal kraftvoll vibriert hat, vibriert er immer, solange es auf Erden eine Seele gibt, ihm Echo zu sein.
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... Sie sind unter den zeitgenössischen großen Talenten wohl mehr als eine Seele; Sie sind ein Herz. Es gibt Seele und gibt Herz, gibt die Welt der Gedanken und die Welt der Gefühle. Ich weiß nicht wer und ob einer in unserem Jahrhundert die erstere besitzt, gewiß aber haben Sie die zweite. Sie sind Königin darin ...
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Ist es uns nicht mehr als einmal begegnet, daß, wenn wir einem Freunde unsere Neigung, unsere Begeisterung für irgend etwas anvertrauten, zur Antwort bekamen: »Nun, das ist doch sonderbar! Das steht ja in völligem Widerspruch mit Ihren sonstigen Leidenschaften und Anschauungen?« Und wir entgegnen dann: »Möglich, aber es ist so. Es gefällt mir; es entzückt mich, wahrscheinlich wegen eben dieses auffälligen Gegensatzes mit meinem eigentlichen Ich.«
So ergeht es mir mit Madame Desbordes-Valmore. Wenn der Aufschrei, der unverfälschte Seufzer einer erlesenen Seele, wenn die Hingabe und Verzweiflung des Herzens, wenn ursprüngliche Anlagen und Gaben – alles, was Gott als unverdiente Gnade schenkt – wenn das genügt, um einen großen Dichter zu machen, so ist Madame Valmore ein großer Dichter und wird es immer sein. Es ist wahr, wenn man sich die Zeit nimmt, dem nachzuspüren, was ihr fehlt, was durch Fleiß und Mühe erworben werden kann, so wird ihre Größe wesentlich beeinträchtigt. Doch selbst dort, wo ein Mangel an Sorgfalt, ein Holpern uns überlegte Menschen, die wir durchaus verantwortlich sind für unsre Nachlässigkeiten, ärgert und betrübt – selbst dann werden wir von einer plötzlichen, unerwarteten, unvergleichlichen Schönheit des Ausdrucks hingerissen und in den Himmel der Poesie erhoben. Nie war ein Dichter einfacher und aufrichtiger, nie ungekünstelter! Keiner hat diesen Reiz, diese Anmut erreicht, eben weil sie persönlich und eingeboren ist.
Wenn je ein Mann seine Gattin oder seine Tochter von den Gaben der Muse beglückt und geehrt sehen möchte, er könnte sich diese Gaben nicht anders und schöner träumen, als sie Madame Valmore beschieden waren. Unter der beträchtlichen Anzahl von Frauen, die sich heutzutage auf die Literatur geworfen haben, gibt es recht wenige, deren Tätigkeit nicht entweder der Kummer ihrer Angehörigen, ja selbst ihres Geliebten gewesen wäre (denn der zügelloseste Mann verlangt vom Gegenstand seiner Liebe eine keusche Zurückhaltung), oder aber eine Nachahmung männlicher Schwächen und Albernheiten, die bei der Frau abgeschmackt wirken. Wir kennen die schriftstellernde Frau als Philanthropin, als doktrinäre Priesterin der Liebe; sie verherrlicht republikanische Ideen oder andere Zukunftsträume, sie ist Anhängerin Fouriers oder Saint-Simons, und unsere schönheitsuchenden Augen konnten sich nie an dieses unschöne Systematisieren und Abzirkeln, an all diese lästerlichen und ruchlosen Dinge (es gibt sogar Dichterinnen des Lasters), an diese entwürdigende Nachahmung männlichen Geistes gewöhnen.
Madame Desbordes-Valmore war Weib, war immer Weib und nichts als Weib; aber sie war die vollendete, höchste Personifizierung der natürlichen schönen Weiblichkeit. Ob sie vom sehnenden Verlangen des jungen Mädchens, von der traurigen Klage der verlassenen Ariadne oder der glühenden Inbrunst mütterlicher Barmherzigkeit singt – ihr Lied bewahrt stets diese köstliche Weiblichkeit. Da ist nichts Künstliches, nichts Angelehntes, nichts als das »ewig Weibliche«, wie jener deutsche Dichter sagt. So hat Madame Valmore in ihrer Wahrhaftigkeit, in ihrer Echtheit ihren Lohn gefunden, das heißt einen Ruhm, der dem des vollendeten Künstlers nicht nachsteht. An den tiefen Gluten des eigenen Herzens entzündet sie die Fackel, mit der sie in die geheimnisvolle Wirrnis der Empfindungen hineinleuchtet und unsere dunkelsten Erinnerungen der Liebe, auch der Kindesliebe, ans Licht hebt. Victor Hugo hat dem süßen Zauber der Häuslichkeit – wie allem, was er besingt – wundervollen Ausdruck gegeben; doch nur in den Dichtungen der glühenden Marceline findet ihr die mütterliche Innigkeit, die einige wenige unter uns Weibgeborenen in köstlichem Andenken bewahren. Wenn ich nicht besorgen müßte, man könne den Vergleich als eine Herabsetzung dieser verehrungswürdigen Frau ansehen, so würde ich sagen, ich finde in ihr die Anmut und unruhige Wachsamkeit, die Schmiegsamkeit und das Ungestüm einer Katze oder Löwin, die Mutter ist.
Es heißt, Madame Valmore, deren erste Poesieen schon weit zurückliegen (1818), sei von unserer Zeit sehr schnell vergessen worden. Vergessen worden, von wem, ich bitte? Von denen, die nichts fühlen und daher nichts bewahren. Sie hat die großen und gewaltigen Eigenschaften, die sich dem Gedächtnis eingraben, die explosive Kraft der Leidenschaft, die in unsere Herzen einschlägt und sie mit fortreißt. Kein Dichter findet ungezwungener den einzig ersten Gefühlsausdruck, das unbewußt Erhabene. Wie einerseits das einfachste und selbstverständlichste Erarbeiten dieser feurigen Feder fremd und unmöglich ist, so ist anderseits das, wonach alle anderen mühsam ringen, ihr natürliches Teil; es ist ein immerwährendes neues Finden. So sicher und sorglos, wie wir eine Adresse schreiben, wirft sie die Kostbarkeiten aufs Papier. Eine mitfühlende und inbrünstige Seele, die sich – selbstredend ganz unbewußt – in jenem Vers erkennt und zu erkennen gibt:
»Solange man noch geben kann, kann man nicht sterben.«
Empfindsame Seele, der das rauhe Leben unheilbare Narben eingrub, war es ihr vor allem, die sich ein Lethe ersehnte, gestattet auszurufen:
»Doch kann uns der Erinnerung nichts entheben –
Wozu, mein Herz, wozu das Sterben dann?«
Gewiß, niemand war berechtigter als sie, einem neuen Gedichtbande den Satz voranzuschicken:
»Gefangen lebt in diesem Buche eine Seele.«
Selbst als der Tod erschien, um sie von dieser Welt, deren Leiden sie so tapfer getragen hatte, abzurufen und dem Himmel zuzuführen, nach dessen friedvollen Freuden sie so glühend verlangte, selbst da noch konnte Madame Desbordes-Valmore, die unermüdliche Priesterin der Muse, nicht verstummen, so immervoll von Schmerzensrufen und Liedern war sie, die sich ergießen wollten; sie bereitete einen weiteren Band Gedichte vor, dessen Inhalt Stück um Stück auf ihrem Schmerzenslager reifte, das sie seit zwei Jahren nicht mehr verließ. Sie, die ihr andächtig bei der Zusammenstellung dieser Abschiedsblätter halfen, haben mir gesagt, daß darin das ganze Feuer einer Lebensenergie zu finden sei, die nirgends so lebendig war wie im Leid. Ach! dies Buch wird nun als letzter, nachgelassener Kranz all den strahlenden anderen hinzuzufügen sein, mit denen eines unserer blühendsten Gräber geschmückt sein sollte.
Ich habe immer gern in der großen und sichtbaren Natur nach Beispielen und Gestaltungen gesucht, die mir zur Charakterisierung geistiger Erscheinungen und Eindrücke dienen könnten. Ich stelle mir vor, wie die Kunst der Madame Desbordes-Valmore auf mich wirkte, damals, als ich sie mit den Augen des Jünglings durchblätterte, die bei empfänglichen Menschen so voll Glut und Scharfsichtigkeit sind. Diese Dichtung erschien mir wie ein Garten. Doch das ist nicht die großartige Würde des Versailler Parks, das ist auch nicht die mächtige Pose des selbstbewußten Italiens, das es so vortrefflich versteht, »Gärten zu errichten« (aedificat hortas); das ist auch nicht »das Tal der Flöten« oder das »Tänaron« unseres alten Jean-Paul. Es ist ein schlichter englischer Garten, wundersam romantisch. Üppige Blumenstauden repräsentieren den überströmenden Gefühlsausdruck. Volle, reglose Weiher, die, auf dem umgestürzten Himmelsbogen ruhend, alle Dinge spiegeln, versinnbildlichen die tiefe Resignation, die dort tausend Erinnerungen spiegelt. Nichts fehlt diesem entzückenden Garten einer vergangenen Zeit, weder vereinzelte Ruinen, die sich in grüner Wildnis bergen, noch das fremdartige Grabmal, das uns an einer Wegbiegung überrascht, die Seele ergreift und an die Ewigkeit mahnt. Gewundene und düstere Alleen führen zu überraschenden Ausblicken, gleichwie der Gedanke der Dichterin nach allerlei wunderlichen Kurven die offene Fernsicht in Vergangenheit oder Zukunft eröffnet. Doch diese Himmel sind zu weit, um dauernd klar zu sein, und der Wärmegrad zu groß, um nicht Stürme zu entfesseln. Der Wanderer, der die gramverhüllten Fernen betrachtet, fühlt sein Auge feucht werden von hysterischen Tränen. Die Blumen neigen sich und erliegen, die Vögel reden nur noch flüsternd. Ein erster Blitz flammt auf, ihm folgt ein Donnerschlag: es ist die lyrische Explosion, und schließlich verleiht eine unvermeidliche Tränenflut all den niedergeworfenen, leidenden und entmutigten Dingen von neuem Frische und Jugendkraft.
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