Stefan Zweig
Amerigo. Die Geschichte eines historischen Irrtums
Stefan Zweig

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Wer war Vespucci?

Wir haben versucht, hier in ihrem chronologischen Ablauf die große Komödie der Irrungen zu erzählen, die sich rund um das Leben Amerigo Vespuccis innerhalb von drei Jahrhunderten entwickelt und schließlich zur Benennung des neuen Weltteils mit seinem Namen geführt hat. Ein Mann wird berühmt, und man weiß eigentlich nicht warum. Man kann je nach Belieben sagen, mit Recht oder mit Unrecht, durch sein Verdienst oder durch Betrügerei. Denn Vespuccis Ruhm ist eigentlich kein Ruhm, sondern ein Nimbus, weil nicht so sehr durch eine Leistung entstanden als durch eine irrtümliche Beurteilung dessen, was er geleistet hat.

Der erste Irrtum – der erste Akt unserer Komödie – war die Einstellung seines Namens auf den Buchtitel ›Paesi retrovati‹ gewesen, durch den die Welt vermeinen mußte, Vespucci und nicht Columbus habe diese neuen Länder entdeckt. Der zweite Irrtum – der zweite Akt – war ein Druckfehler, »Parias« statt »Lariab« in der lateinischen Ausgabe, demzufolge man behauptete, nicht Columbus, sondern Vespucci habe das Festland von Amerika als erster betreten. Der dritte Irrtum – der dritte Akt – war der Irrtum eines kleinen Provinzgeographen, der auf Grund der zweiunddreißig Seiten Vespuccis vorschlug, Amerika nach ihm zu benennen. Bis zum Ende dieses dritten Akts ist wie in einer richtigen Hochstaplerkomödie Amerigo Vespucci der Heros; er beherrscht als makelloser Held, als heroischer Charakter die Szene. Im vierten Akt meldet sich zum erstenmal der Verdacht gegen ihn, und man weiß nicht mehr recht, ist er ein Held oder ist er ein Schwindler. Der fünfte Akt, der letzte, der in unserem Jahrhundert spielt, muß also noch eine unerwartete Steigerung bringen, damit sich der geistreich geschürzte Knoten lockert und am Ende sich alles vergnüglich und endgültig löst.

Nun ist glücklicherweise die Geschichte eine ausgezeichnete Dramatikerin, und wie für ihre Tragödien weiß sie auch für ihre Komödien einen blendenden Abschluß zu finden. Seit jenem vierten Akt wissen wir: Vespucci hat nicht Amerika entdeckt, er hat nicht als erster das Festland betreten, er hat jene erste Reise, die ihn lange zum Rivalen des Columbus machte, überhaupt niemals unternommen. Aber während die Gelehrten auf der Bühne noch streiten, wie viel der anderen Reisen, die Vespucci in seinen Büchern beschrieben, er wirklich gemacht und wieviele nicht, tritt plötzlich ein Mann auf die Szene und bringt die verblüffende These vor, daß nicht einmal jene zweiunddreißig Seiten, so wie wir sie kennen, von Vespucci geschrieben sind, daß diese Schriften, welche die Welt erregten, nichts anderes sind als fremde, unverantwortliche und eigenwillige Kompilationen, in denen handschriftliches Material Vespuccis in gröblichster Weise mißbraucht worden sei. Dieser deus ex machina – er heißt Professor Magnaghi – stellt das Problem also ganz neu auf die Beine, indem er es entschlossen zunächst auf den Kopf stellt. Hatten die anderen als selbstverständlich hingenommen, daß Vespucci zumindest die Bücher, die unter seinem Namen gehen, geschrieben habe, und nur bezweifelt, ob er die darin beschriebenen Reisen auch tatsächlich gemacht, so sagt Magnaghi, Vespucci habe zwar Reisen gemacht, aber es sei sehr zweifelhaft, ob er selbst die Bücher in ihrer vorliegenden Form geschrieben. Nicht er hat sich also unwahrer Leistungen berühmt, sondern in seinem Namen ist Unfug getrieben und geschrieben worden. Wenn wir Vespucci darum richtig beurteilen wollen, so tun wir am besten, seine berühmten beiden gedruckten Schriften, den ›Mundus Novus‹ und die ›Quatuor Navigationes‹, beiseite zu legen und uns ausschließlich auf die drei Originalbriefe zu stützen, die von seinen Verteidigern ohne jede richtige Begründung als Fälschungen erklärt wurden.

Diese These, daß man Vespucci für die unter seinem Namen umlaufenden Schriften nicht in vollem Umfange verantwortlich machen dürfe, wirkt zunächst verblüffend. Denn was bleibt von Vespuccis Ruhm, wenn nicht einmal diese Bücher von ihm verfaßt sind? Aber bei genauerem Hinblicken erweist sich Magnaghis These als gar nicht so neu. In Wirklichkeit ist der Verdacht, daß die Fälschung jener ersten Reise nicht von Vespucci, sondern an Vespucci begangen wurde, so alt wie die erste Anschuldigung selbst. Man erinnert sich, daß es der Bischof Las Casas war, der als erster Vespucci bezichtigte, durch eine vorgetäuschte, in Wirklichkeit aber nie stattgefundene Reise den Namen Amerika an sich gerissen zu haben. Er beschuldigte ihn einer »großen Infamie«, eines »raffinierten Betrugs« und einer groben Ungerechtigkeit. Aber wenn man näher auf seinen Text blickt, so begegnet man bei allen diesen heftigen Anwürfen immer einer reservatio mentalis. Las Casas brandmarkt zwar den Betrug, aber er schreibt vorsichtigerweise immer von einem Betrug, den Vespucci »oder jene begangen, die seine Quatuor Navigationes veröffentlichten«. Er läßt also die Möglichkeit offen, daß die falsche Einschätzung Vespuccis ohne seine Teilnahme entstanden sei. Ebenso hatte Humboldt, der nicht wie die Fachtheoretiker in einem gedruckten Buch schon das Evangelium der Wahrheit erblickte, deutlich den Zweifel einfließen lassen, ob nicht Vespucci in diese ganze Kontroverse geraten sei wie Pontius ins Credo. »Haben nicht vielleicht Sammler von Reisebeschreibungen«, fragt er, »diesen Betrug ohne Wissen des Amerigo begangen, oder ist er vielleicht nur eine Folge verworrener Darstellung und ungenauer Angaben?«

Der Schlüssel war also schon geschmiedet, Magnaghi hat nur damit die Tür zu einem neuen Ausblick geöffnet. Seine Erklärung scheint mir logisch die bisher einleuchtendste, weil sie allein alle die Widersprüche, die drei Jahrhunderte beschäftigten, in völlig natürlicher Weise löst. Von Anfang an war psychologische Unwahrscheinlichkeit darin gelegen, daß ebenderselbe Mann in einem Buche eine Reise von 1497 einfach erfand und gleichzeitig in einem handschriftlichen Brief diese Reise ins Jahr 1499 verlegte, oder daß er nach Florenz an zwei verschiedene Leute jenes engen Kreises, in dem doch Briefe von Hand zu Hand gingen, seine Reisen mit verschiedenen Daten und widersprechenden Einzelheiten geschickt haben sollte. Unwahrscheinlich war es ferner, daß ein Mann, der in Lissabon lebte, diese Berichte gerade an einen Duodezfürsten in Lothringen übersandt haben würde und sein Opus in einem so weltabgelegenen Städtchen wie St-Dié in Druck gehen ließ. Hätte er selbst seine »Werke« herausgegeben oder herausgeben wollen, so hätte er sich doch zum mindesten der kleinen Mühe unterzogen, die allerkrassesten der ins Auge springenden Unstimmigkeiten vor dem »Imprimatur« zu beseitigen. Ist es zum Beispiel denkbar, daß Vespucci selber in seinem ›Mundus Novus‹ in feierlichem Ton – der so gänzlich von seinen handschriftlichen Briefen absticht – an Lorenzo di Medici berichtet hätte, er nenne diese Reise seine dritte Reise, »denn vorher gingen schon zwei andere Reisen, die ich im Auftrag des erlauchten Königs von Spanien nach Westen unternommen habe«. (Vostra Magnificenza saprà come per commissione de questo Rè d' Ispagna mi partì.) Denn wem teilt er diese erstaunliche Neuigkeit mit, daß er schon vorher zwei Reisen unternommen habe? Doch dem Chef seiner Firma, dessen Angestellter und Korrespondent er seit zehn Jahren gewesen, der also auf Tag und Stunde wissen mußte, ob und wann sein Faktor jahrelange Reisen unternommen, und in seinen Geschäftsbüchern auf Heller und Pfennig die Kosten der Ausrüstung und ihr Erträgnis ausweisen mußte. Das wäre so absurd, wie wenn ein Autor seinem Verleger, der seit einem Dutzend Jahre seine Werke in continuo veröffentlicht und mit ihm regelmäßig abgerechnet hat, bei der Übersendung eines neuen Buches die überraschende Mitteilung machte, dies sei nicht sein Erstlingswerk, sondern er habe schon vorher andere Bücher veröffentlicht.

Ähnliche Unsinnigkeiten und Unstimmigkeiten finden sich in den gedruckten Texten beinahe von Seite zu Seite, Unsinnigkeiten und Unstimmigkeiten, die keinesfalls auf Vespucci selbst zurückgehen können. Somit spricht alle Wahrscheinlichkeit für Magnaghis These, daß die drei handschriftlichen Briefe, die man von Vespucci in den Archiven fand, und die bisher gerade von den Verteidigern Vespuccis als unecht abgelehnt wurden, in Wirklichkeit das einzig verläßliche Material sind, das wir von Vespuccis Hand besitzen, während wir die hochberühmten Werke ›Mundus Novus‹ und die ›Vier Reisen‹ um der fremden Zusätze, Veränderungen und Entstellungen willen als dubiose Publikationen beurteilen müssen.

Allerdings – die ›Vier Reisen‹ deshalb schon glatt und klar eine Fälschung zu nennen, wäre wiederum grobe Übertreibung, denn sie verarbeiten zweifellos authentisches Material von Vespuccis Hand. Was der ungenannte Herausgeber getan hat, ist ungefähr dasselbe, was im Antiquitätenhandel geschieht, wenn dort aus einem echten Renaissancekasten unter geschickter Verwertung des Materials durch Einfügung imitierter Stücke zwei oder drei Kästen oder eine ganze Garnitur gemacht werden, was dann zur Folge hat, daß derjenige, der die volle Echtheit der Stücke behauptet, ebenso ins Unrecht kommt wie jener, der sie ein Falsifikat nennt. Jenem Drucker in Florenz, der vorsichtigerweise seinen Namen auf dem Titelblatt verschweigt, waren zweifellos die Briefe Vespuccis an das Bankhaus Medici – jene drei, die wir kennen, und wahrscheinlich auch andere, die wir nicht kennen – unter die Hand gekommen. Nun wußte dieser Drucker von dem erstaunlichen Erfolg, den der Brief Vespuccis über die dritte Reise, der ›Mundus Novus‹ davongetragen hatte – nicht weniger als dreiundzwanzig Nachdrucke während weniger Jahre in allen Sprachen! Nichts natürlicher darum, als daß es ihn, der auch die anderen Berichte aus dem Original oder der Abschrift kannte, verlocken mußte, die ›Gesammelten Reisen‹ Vespuccis in einem neuen Bändchen herauszugeben. Da das vorhandene Material aber nicht ausreichte, um den vier Reisen des Columbus vier Reisen des Vespucci entgegenzustellen, entschloß sich dieser unbekannte Herausgeber, das Material zu »strecken«. Vor allem zerlegte er den uns bekannten Bericht über die Reise von 1499 in zwei Reisen, eine von 1497 und eine von 1499, ohne im entferntesten zu ahnen, daß er durch diesen Betrug Vespucci selbst durch drei Jahrhunderte als Lügner und Betrüger brandmarken würde. Außerdem stückelte er noch aus anderen Briefen oder Berichten anderer Seefahrer Einzelheiten an, bis dann dieses mixtum compositum aus Wahrheit und Lüge glücklich fertig war, das durch Hunderte Jahre den Gelehrten Kopfschmerzen und Amerika den Namen Amerika eingetragen hat.

Vielleicht könnte ein Bezweifler dieser These hier einwenden, ob überhaupt ein solcher frecher Eingriff denkbar sei, daß man das Werk eines Autors, ohne ihn zu befragen, mit willkürlichen Erfindungen erweitere. Ein Zufall will nun, daß wir die Möglichkeit eines solchen skrupellosen Vorgehens gerade bei Vespucci erweisen können. Es wird nämlich nur um ein Jahr später, 1508, von einem holländischen Drucker noch eine fünfte Reise Vespuccis gefälscht, und zwar in allerprimitivster Art. So wie dem ungenannten Herausgeber der ›Vier Reisen‹ die im Manuskript aufgefundenen Briefe das Material zu seinem Buch, so gibt dem holländischen Drucker die Reisebeschreibung eines Tirolers, Balthasar Sprenger, die im Manuskript kursiert, die erwünschte Gelegenheit zu seiner Fälschung. Er setzt nämlich an der Stelle, wo es im Original heißt: »ego, Balthasar Sprenger«, einfach ein: »ick, Alberigus«, ich, Amerigo, um das Publikum glauben zu lassen, diese Reiseschilderung stamme von Vespucci. Und tatsächlich hat diese freche Zuschreibung damit noch vierhundert Jahre später den Vorstand der Geographischen Gesellschaft in London zum Narren gehalten, der 1892 mit großem Pomp verkündete, eine fünfte Reise des Vespucci entdeckt zu haben.

Es kann also wenig Zweifel bestehen – und dies klärt die bisher verworrene Situation –, daß jener erfundene Bericht über die erste Reise und alle anderen Unstimmigkeiten, um derentwillen Vespucci so lange Zeit eines bewußten Betruges bezichtigt wurde, gar nicht auf seine Rechnung zu schreiben sind, sondern auf die skrupelloser Herausgeber und Drucker, die, ohne ihn um Verstattung zu fragen, Vespuccis private Reiseberichte mit allerhand erlogenen Zutaten aufplusterten und dann in dieser Form in Druck gaben. Aber gegen diese Auffassung, welche die Sachlage eindeutig klärt, erheben seine Widersacher noch einen letzten Einwand. Warum, fragen sie, hat Vespucci, der doch vor seinem Tode 1512 von diesen Büchern gehört haben mußte, die ihm unter seinem Namen eine Reise, die er nie gemacht hatte, zuschrieben, niemals gegen diese Zuschreibung öffentlich protestiert? Wäre es nicht seine erste Pflicht gewesen, fragen sie, ein klares: »Nein, ich bin nicht der Entdecker Amerikas gewesen, und dieses Land führt meinen Namen zu Unrecht« in die Welt zu werfen? Macht sich derjenige nicht selbst mitschuldig an einem Betrug, welcher gegen einen Betrug, weil er für ihn vorteilhaft ist, keinen Protest erhebt?

Dieser Einwand wirkt auf den ersten Blick überzeugend. Aber wo, muß man fragen, hätte Vespucci protestieren können? Bei welcher Instanz Einspruch erheben? Jene Zeit kannte nicht den Begriff des literarischen Eigentums; alles Gedruckte und alles Geschriebene gehörte allen, und jeder konnte eines anderen Namen und Werk benützen, wie es ihm beliebte. Wo konnte Albrecht Dürer protestieren, daß Dutzende von Kupferstechern seine marktgängige Signatur »A.D.« auf ihre eigenen Machwerke setzten, wo die Autoren des ersten ›König Lear‹ oder des ›Urhamlet‹, daß Shakespeare ihre Stücke genommen und willkürlich verändert? Wo wiederum Shakespeare, daß fremde Stücke unter seinem Namen erschienen? Wo noch Voltaire, daß, wer immer sein mittelmäßiges atheistisches oder philosophisches Pamphlet gelesen haben wollte, es unter seinem weltberühmten Namen drucken ließ? In welcher Weise hätte also Vespucci vorgehen können gegen die Dutzende und Aberdutzende Ausgaben der Sammelwerke, die alle seinen unberechtigten Ruhm in immer neu entstellten Texten durch die Welt schleppten? Das einzige, was Vespucci möglich war, blieb, von Mund zu Mund in seinem persönlichen Kreise seine Schuldlosigkeit darzutun.

Daß er dies aber getan hat, steht außer Frage. Denn 1508 oder 1509 mußten zum mindesten einzelne Exemplare jener Bücher nach Spanien gelangt sein. Ist es nun denkbar, daß der König jemanden, der falsche Berichte über Entdeckungen veröffentlicht, gerade zu der verantwortlichen Stellung ausgewählt hätte, seine Piloten anzuhalten, genaue und verläßliche Berichte abzufassen, wenn dieser Mann nicht vorher persönlich sich von jedem Verdacht hätte befreien können? Und mehr noch. Einer der ersten Besitzer der ›Cosmographiae Introductio‹ in Spanien war nachgewiesenermaßen (das Exemplar mit seinen Eintragungen ist noch heute erhalten) Fernando Colombo, der Sohn des Admirals. Er hat das Buch, in dem gegen alle Wahrheit behauptet wurde, Vespucci habe vor Columbus das Festland betreten, nicht nur gelesen, sondern auch mit Anmerkungen versehen, eben jenes Buch, in dem zum erstenmal vorgeschlagen wird, das neue Land Amerika zu benennen. Aber sonderbar: während Fernando Colombo in der Biographie seines Vaters alle möglichen Männer als Neider seines Vaters angreift, gedenkt er Vespuccis nicht mit einem einzigen unfreundlichen Wort. Schon Las Casas hat sich über dieses Schweigen gewundert. »Ich bin überrascht«, schreibt er, »daß Don Hernando Colón, der Sohn des Admirals und ein Mann von gutem Urteil, der, wie ich weiß, diese ›Navigationes‹ Amerigos in seinem Besitz hatte, keinerlei Notiz nahm von dem Unrecht und der Usurpierung, die Amerigo Vespucci an seinem erlauchten Vater beging.« Aber nichts spricht deutlicher für die Unschuld Vespuccis als das Schweigen des Sohnes über jene unglückliche Zuschreibung, die seinem Vater den Ruhm entwendet, die von ihm entdeckte Welt mit seinem Namen benannt zu sehen: er mußte wissen, daß sie ohne Kenntnis und ohne Willen Vespuccis entstanden war.

 

Es wurde hier versucht, mit möglichster Objektivität die »Causa Vespucci«, die durch so viele Instanzen gegangen, chronologisch in ihrem Ursprung und allen ihren Weiterungen zu erzählen. Die Hauptschwierigkeit, die zu lösen war, bestand in der merkwürdigen Unstimmigkeit zwischen einem Mann und seinem Ruhme, zwischen einem Menschen und seinem Namen. Denn die faktische Leistung Vespuccis entspricht, wie wir wissen, nicht seinem Ruhm und der Ruhm nicht seiner Leistung. Zwischen dem Mann, der er war, und dem Mann, als der er der Welt erschien, bestand ein so schroffer Gegensatz, daß die beiden Bilder, das Lebensbild und das literarische Bild, nicht zu vereinen waren. Erst sobald wir uns klarmachen, daß sein Ruhm ein Fabrikat fremder Einmengungen und krauser Zufälle gewesen, wird es möglich, seine wirkliche Leistung und sein Leben als eine Einheit zu betrachten und in natürlichem Zusammenhang zu erzählen.

Und so ergibt sich das bescheidenere Resultat neben einem unermeßlichen Ruhm, daß das Leben dieses Mannes, der wie wenige die Bewunderung und den Unwillen der Welt erregt hat, in Wirklichkeit weder ein großes noch ein dramatisches gewesen. Es ist nicht die Biographie eines Helden und nicht die eines Betrügers, sondern nur eine Komödie des Zufalls, in die er ahnungslos verwickelt wird. Amerigo Vespucci ist als der dritte Sohn des Notars Cernastasio Vespucci am 9. Mai 1451, also hundertdreißig Jahre nach Dantes Tod, in Florenz geboren. Er stammt aus einer angesehenen, wenn auch verarmten Familie und genießt die in jenen Kreisen übliche humanistische Ausbildung der Frührenaissance. Er lernt Latein, freilich ohne es jemals in literarischen Formen zu beherrschen, er erwirbt sich bei seinem Oheim Fra Giorgio Vespucci, einem Dominikanermönch von San Marco, gewisse wissenschaftliche Kenntnisse, Mathematik und Astronomie. Nichts deutet bei dem jungen Manne auf besondere Begabungen oder Ambitionen hin. Während seine Brüder die Universität besuchen, begnügt er sich mit einer kaufmännischen Anstellung im Bankhaus der Medici, das zur Zeit unter der Führung des Lorenzo Piero di Medici steht (der nicht mit seinem Vater Lorenzo il Magnifico verwechselt werden darf). Amerigo Vespucci hat also in Florenz nicht als großer Mann gegolten und noch weniger als ein großer Gelehrter. Die von ihm erhaltenen Briefe an Freunde zeigen ihn mit kleinlichen Geschäften und belanglosen Privatangelegenheiten beschäftigt. Auch im kommerziellen Sinn scheint er es im Hause der Medici nicht weit gebracht zu haben, und nur ein Zufall bringt ihn nach Spanien. Die Medici haben ebenso wie die Welser, die Fugger und die anderen deutschen und flämischen Kaufleute in Spanien und Lissabon ihre Filialen. Sie finanzieren die Expeditionen in die neuen Länder, sie suchen Informationen zu erlangen und vor allem ihre Gelder an jener Stelle zu investieren, wo sie zur Zeit am dringendsten gebraucht werden. Nun scheint im Kontor der Medici in Sevilla ein Angestellter Unregelmäßigkeiten mit Geldern begangen zu haben, und da Vespucci ihnen – wie jedem andern im Lauf seiner Lebensgeschichte – als besonders rechtschaffener und verläßlicher Mann erscheint, senden sie diesen ihren kleinen Angestellten am 14. Mai 1491 nach Spanien, wo er in das Filialhaus der Medici-Firma, in das Kaufhaus Juanoto Beraldi eintritt. Auch im Hause Beraldis, der sich hauptsächlich mit der Ausrüstung von Schiffen beschäftigt, ist seine Stellung eine durchaus untergeordnete. Er ist, obwohl er sich in seinen Briefen »Merciante fiorentino« nennt, keineswegs selbständiger Kaufmann mit eigenem Kapital und Wirkungskreis, sondern nur der »factor« Beraldis, der selbst wiederum nur dem Wirkungskreise der Medicis beigeordnet ist. Aber wenn auch keine hohe Position, so erwirbt sich Vespucci doch das persönliche Vertrauen und sogar die Freundschaft seines Vorgesetzten. Als Beraldi im Jahre 1495 dem Tode nahe ist, ernennt er in seinem Testament Amerigo Vespucci zum Vollstrecker seines letzten Willens, und ihm fällt dann die Aufgabe zu, nach dem Tode Beraldis die Firma zu liquidieren.

Damit steht, nahe seinem fünfzigsten Jahre, Amerigo Vespucci plötzlich wieder mit leeren Händen da. Anscheinend fehlt ihm entweder das Kapital oder die Neigung, das Geschäft Beraldis auf eigene Rechnung weiterzuführen. Was er in diesen nächsten Jahren 1497 und 1498 in Sevilla getan hat, vermögen wir heute nicht mehr festzustellen, denn es fehlen jegliche Dokumente. Keinesfalls – dies bezeugt auch der spätere Brief des Columbus – ist es ihm sonderlich gut gegangen, und dieser Mißerfolg erklärt die plötzliche Wendung in seinem Leben. Zwanzig Jahre und bald dreißig Jahre hat der kluge und fleißige Florentiner als kleiner Angestellter vertan in fremden Geschäften. Er hat nicht Haus und nicht Weib und nicht Kind. Er steht allein, die Wende des Lebens ist nahe, und er sieht noch nirgends Sicherheit und Halt. Nun gibt diese Zeit der Entdeckungen dem Verwegenen, der sein Leben als Einsatz wagt, eine einzigartige Gelegenheit, mit einem Griff Reichtum und Ruhm an sich zu raffen; es ist eine Zeit für Abenteurer und Wagnisse, wie sie die Welt seitdem kaum wieder gekannt. So entschließt sich genau wie Hunderte und Tausende anderer gescheiterter Existenzen der bisherige kleine und wahrscheinlich bankrotte Kaufmann Amerigo Vespucci, sein Glück auf einer Fahrt nach dem Neuen Indien zu versuchen. Als im Mai 1499 Alonso de Hojeda im Auftrag des Kardinals Fonseca eine Flotte ausrüstet, schifft sich Amerigo Vespucci mit ihm ein.

In welcher Eigenschaft er von Alonso de Hojeda mitgenommen wurde, ist nicht ganz klar. Zweifellos hat sich im täglichen Umgang mit Kapitänen, Schiffsbauern, Warenlieferanten der Faktor der Ausrüstungsfirma Beraldis gewisse Fachkenntnisse erworben. Er kennt ein Fahrzeug vom Kiel bis zur Mastspitze in jedem Detail, außerdem scheint er, als gebildeter Florentiner den meisten seiner Reisegenossen an geistigem Format hundertfach überlegen, schon vorher die Zeit genützt zu haben, sich nautische Kenntnisse anzueignen. Er lernt das Astrolabium handhaben, die neuen Methoden der Längenberechnung, er befaßt sich mit Sternkunde, übt sich in der Anlegung von Karten, so daß anzunehmen ist, daß er entweder in der Eigenschaft eines Piloten oder eines Astronomen und nicht bloß als einfacher Makler diese Expedition begleitet hat.

Aber selbst wenn Amerigo Vespucci damals noch nicht als Pilot und nur als simpler Geschäftsmann diese Expedition begleitet haben sollte: jedenfalls kommt er als erfahrener Fachmann von dieser vielmonatlichen Reise zurück. Ein verständiger Kopf, ein guter Beobachter, ein geübter Rechner, eine neugierige Seele, ein geschickter Kartenzeichner, muß er sich unterwegs besondere Qualitäten in diesen vielen Monaten erworben haben, die ihn in seemännischen Kreisen besonders bemerkbar machen. Denn wie jetzt der König von Portugal eine neue Expedition vorbereitet in die von Cabral soeben entdeckten Gebiete Brasiliens, an dessen Nordküste auch Vespucci auf Hojedas Fahrt gesegelt, so wendet er sich gerade an Vespucci mit dem Antrag, diese neue in der Eigenschaft als Pilot, Astronom oder Kartenzeichner zu begleiten. Daß der König des Nachbarlandes, der an ausgezeichneten Piloten und Seemännern wahrhaftig keinen Mangel hat, just Vespucci in sein Land beruft, bezeugt unwiderleglich besondere Wertschätzung dieses bisher unbekannten Mannes.

Vespucci zögert nicht lange. Die Reise mit Hojeda hat ihm keinerlei Erträgnis gebracht. Er ist nach all den Mühsalen und Gefahren vieler Monate genau so arm nach Sevilla zurückgekommen, wie er ausgefahren. Er hat keine Stellung, keinen Beruf, kein Geschäft, kein Vermögen; somit bedeutet es keinerlei Untreue gegenüber Spanien, wenn er diesem ehrenvollen Rufe Folge leistet.

Aber auch diese neue Fahrt bringt ihm keinen Gewinn und nicht einmal Ehre ein. Denn sein Name wird bei dieser Expedition ebensowenig genannt wie der des Befehlshabers der Flotte. Die vorgeschriebene Aufgabe dieser Erkundungsfahrt war ausschließlich, möglichst tief die weite Küste entlangzufahren und die ersehnte Durchfahrt zu den Gewürzinseln zu finden. Denn noch immer ist man in dem Wahn befangen, diese Terra de Santa Cruz, auf die Cabral gestoßen, sei nichts als eine Insel mittleren Umfangs, und wenn man sie glücklich umfahren habe, müsse man bei den Molukken, der Quelle alles Reichtums, dem Dorado der Gewürze sein. Es wird nun das historische Verdienst dieser Expedition, die Vespucci begleitet, daß sie als erste diesen Irrtum berichtigt. Die Portugiesen steuern die Küste entlang zum dreißigsten, zum vierzigsten, zum fünfzigsten Breitengrade. Noch immer nimmt das Land kein Ende. Längst haben sie sich aus den heißen Zonen entfernt, es wird kalt und immer kälter, und schließlich müssen sie die Hoffnung aufgeben, dieses riesige neue Land, das auf dem Wege nach Indien sich wie ein ungeheurer Querbalken in den Weg stellt, zu umfahren. Aber von dieser Fahrt, die immerhin eine der kühnsten und großartigsten Fahrten ihrer Zeit darstellt, und von der Vespucci mit Stolz behaupten darf, sie hätte den vierten Teil der Welt durchmessen, bringt dieser eine unbekannte Mann ungeheuren Gewinn für die geographische Wissenschaft: Vespucci bringt Europa die Erkenntnis, daß dieses neuaufgefundene Land nicht Indien ist und keine Insel, sondern ein »mundus novus«, ein neuer Kontinent, eine neue Welt.

Auch die nächste Reise, die Vespucci abermals im Auftrag des Königs von Portugal zum gleichen Zwecke unternimmt, um den Ostweg nach Indien zu finden und also die Tat zu versuchen, deren Gelingen erst einem Späteren, die Magalhães vorbehalten sein wird, gelangt nicht ans Ziel. Zwar steuert die Flotte diesmal noch tiefer hinab und scheint weit über den Rio de la Plata hinausgelangt zu sein, aber sie muß zurück, von Stürmen vertrieben. Abermals landet, nun schon in seinem vierundfünfzigsten Jahr, Vespucci in Lissabon als armer, enttäuschter und – wie er glaubt völlig unberühmter Mann, als einer der Unzähligen, die ihr Glück im Neuen Indien gesucht und es nicht gefunden haben.

Aber inzwischen hat sich etwas ereignet, was Vespucci unter jenen anderen Sternen und auf der anderen Hemisphäre des Erdballs nicht ahnen und erträumen konnte: er hat, er, der kleine, anonyme, arme Pilot, die ganze gelehrte Welt Europas in Aufregung versetzt. Brav und getreulich hatte er jedesmal, wenn er von einer Reise heimkehrte, seinem früheren Brotgeber und persönlichen Freund Lorenzo di Medici in Briefen Bericht erstattet über das, was er auf seinen Reisen gesehen. Er hatte außerdem Tagebücher geführt, die er dem König von Portugal einhändigte, und die ebenso wie die Briefe als durchaus private Dokumente nur zur politischen oder geschäftlichen Information bestimmt waren. Nie aber war ihm der Gedanke gekommen, sich als Gelehrter, als Schriftsteller aufzuspielen und diese Privatbriefe schon als literarisches oder gar als gelehrtes Produkt zu betrachten. Ausdrücklich sagt er, daß er alles, was er schreibe, »di tanto mal sapore« fände, daß er sich nicht entschließen könne, es in dieser vorläufigen Form herauszugeben, und wenn er einmal vom Plan eines Buches spricht, so fügt er gleich bei, daß er es nur »mit Hilfe gelehrter Männer« verfassen wolle. Nur, wenn er einmal zur Ruhe gekommen sein werde, »quando sarò de reposo«, würde er versuchen, mit Hilfe gelehrter Männer ein Buch über seine Reisen zu verfassen, um dann nach seinem Tode ein bißchen Ruhm, »qualche fama«, zu erlangen. Aber ohne daß er es weiß und gewiß ohne daß er es beabsichtigt, ist er gleichsam hinterrücks in jenen Monaten auf fremden Meeren zu dem Nimbus des gelehrtesten Geographen der Zeit und eines großen Schriftstellers gelangt. Unter dem Titel ›Mundus Novus‹ ist in einer, wahrscheinlich sehr frei redigierten und auf Gelehrsamkeit stilisierten Form jener Brief, den er handschriftlich über die dritte Reise an Lorenzo di Medici gerichtet, ins Lateinische übersetzt worden und hat, kaum im Druck erschienen, ungeheure Sensation erregt. In allen Städten und Häfen weiß man nun, seit diese vier gedruckten Blätter in die Welt geflattert sind, daß diese neuentdeckten Länder nicht Indien sind, wie Columbus vermeinte, sondern eine neue Welt, und es ist Alberigus Vespuccius, der als erster diese wunderbare Wahrheit verkündet. Aber derselbe Mann, der ganz Europa als vielwissender Gelehrter gilt und als der kühnste aller Seefahrer, weiß nichts von seinem Ruhm und bemüht sich ganz simpel, endlich einmal eine Stellung zu finden, die ihm verstattet, ein bescheidenes, stilles Leben zu fristen. Als älterer Mann hat er sich verheiratet und ist endgültig müde der Geschäfte, der Abenteuer, der Reisen. Endlich, im siebenundfünfzigsten Jahr seines Lebens, erfüllt sich sein Wunsch. Er erlangt, was er zeitlebens ersehnt: eine kleine, eine ruhige, eine friedlich-bürgerliche Existenz als Chefpilot der Casa de Contratación mit erst fünfzigtausend und später fünfundsiebzigtausend Maravedís Gehalt. Seitdem ist der neue Ptolemäus in Sevilla ein Beamter unter vielen anderen angesehenen Beamten des Königs, nicht minder und nicht mehr.

Hat Vespucci in diesen letzten Jahren seines Lebens erfahren, wieviel Ruhm sich unterdessen aus Mißverständnissen und Irrtümern um seinen Namen weiter gesponnen? Hat er jemals geahnt, daß man das neue Land jenseits des Ozeans nach seinem Vornamen benennen will? Hat er gekämpft gegen diesen ungerechtfertigten Ruhm, hat er ihn belächelt, oder hat er nur still und bescheiden einige seiner nächsten Freunde wissen lassen, daß sich nicht alles so verhielt, wie es in jenen Büchern steht? Wir wissen darüber nur eines, nämlich, daß dieser ungeheuerliche Ruhm, der wie ein Orkan über Berge, über Meere, über Länder und Sprachen braust und schon hinübergreift in die andere, die neue Welt, seinem Leben nicht den mindesten greifbaren Ertrag gebracht. Vespucci bleibt so arm wie am ersten Tage, da er nach Spanien kam, so arm, daß, als er am 22. Februar 1512 stirbt, seine Witwe flehentliche Gesuche einbringen muß, damit man ihr die allernotdürftigste Pension von zehntausend Maravedís im Jahr bewillige. Das einzig Kostbare seiner Hinterlassenschaft, die Tagebücher seiner Reisen, die allein uns die ganze Wahrheit erschließen könnten, fällt an seinen Neffen, der sie so schlecht hütet, daß sie, wie so viele andere kostbare Aufzeichnungen aus der Entdeckerzeit, uns für immer verloren sind. Nichts bleibt, als ein zweifelhafter und ihm gar nicht recht zugehöriger Ruhm von der Mühe dieser stillen und verborgenen Existenz.

Man sieht: dieser Mann, der vier Jahrhunderten eines der kompliziertesten Probleme zu lösen gegeben, hat im Grunde ein durchaus unkompliziertes und unproblematisches Leben geführt. Resignieren wir uns festzustellen: Vespucci war nicht mehr als ein Mann von mittlerem Maß. Nicht der Entdecker Amerikas, nicht der »amplificator orbis terrarum«, aber anderseits auch nicht der Lügner und Betrüger, als den man ihn gescholten. Kein großer Schriftsteller, aber auch keiner, der sich einbildete, als solcher zu gelten. Kein großer Gelehrter, kein tiefsinniger Philosoph, kein Astronom, kein Kopernikus und Tycho de Brahe; vielleicht ist es sogar gewagt, ihn in die erste Reihe der großen Seefahrer oder Entdecker zu stellen. Denn nirgends war ihm durch ein unfreundliches Geschick wirkliche Initiative verstattet. Ihm wurde weder wie Columbus noch wie Magalhães eine Flotte anvertraut, immer, in allen Berufen und Stellungen, war er an das Subalterne gebunden, unfähig zu erfinden, zu entdecken, zu befehlen oder zu führen. Immer war er nur in der zweiten Reihe, immer im Schatten von anderen. Wenn trotzdem das strahlende Licht des Ruhms gerade auf ihn gefallen ist, so geschah es nicht durch besonderes Verdienst, nicht durch besondere Schuld, sondern durch Fügung, durch Irrtum, durch Zufall, durch Mißverständnis; es hätte ebensogut einen anderen Briefschreiber von derselben Reise treffen können oder den Piloten auf dem Nachbarschiff. Aber die Geschichte erlaubt nicht zu rechten, sie hat gerade ihn gewählt, und ihre Entscheidungen, selbst die irrigen und ungerechten, sind unwiderruflich. Durch zwei Worte – Mundus Novus –, die er oder jener unbekannte Herausgeber über seinen Brief gesetzt, und durch die ›Vier Reisen‹ – ob er sie nun alle gemacht hat oder nicht – ist er eingefahren in den Hafen der Unsterblichkeit. Sein Name ist nicht mehr zu löschen aus dem glorreichsten Buch der Menschheit, und vielleicht am besten ist seine Leistung innerhalb der Erkenntnisgeschichte unserer Welt umschrieben mit dem Paradox, daß Columbus Amerika entdeckt, aber nicht erkannt hat, Vespucci es nicht entdeckt, aber als erster als Amerika, als einen neuen Kontinent erkannt. Dies eine Verdienst bleibt an sein Leben, seinen Namen gebunden. Denn nie entscheidet die Tat allein, sondern erst ihre Erkenntnis und ihre Wirkung. Der sie erzählt und erklärt, kann der Nachwelt oft bedeutsamer sein als der sie geschaffen, und im unberechenbaren Kräftespiel der Geschichte vermag oft der kleinste Anstoß die ungeheuersten Wirkungen auszulösen. Wer von der Geschichte Gerechtigkeit erwartet, fordert mehr, als sie zu geben gewillt ist: oft teilt sie dem einfachen, dem mittleren Manne Tat und Unsterblichkeit zu und wirft die Besten, die Tapfersten und Weisesten ungenannt ins Dunkel.

Dennoch: Amerika braucht sich seines Taufnamens nicht zu schämen. Er ist der eines rechtschaffenen und mutigen Mannes, der noch in seinem fünfzigsten Jahr sich dreimal auf winzigem Schiff über den noch nicht ergründeten Ozean ins Unbekannte wagte als einer jener »unbekannten Matrosen«, die damals zu Hunderten ihr Leben wagten an Abenteuer und Gefahr. Und vielleicht ist sogar der Name eines solchen mittleren Menschen, der Name eines Mannes aus der anonymen Schar der Tapferen gemäßer einem demokratischen Lande als der eines Königs und Conquistadors und sicher gerechter, als wenn man Amerika Westindien genannt hätte oder Neuengland oder Neuspanien oder Heiligkreuzland. Nicht der Wille eines Menschen hat diesen sterblichen Namen hinübergetragen in die Unsterblichkeit; es war der Wille des Schicksals, das immer Recht behält, auch wo es scheinbar Unrecht tut. Wo dieser höhere Wille befiehlt, müssen wir uns fügen. Und so gebrauchen wir heute das Wort, das ein blinder Zufall in heiterem Spiele ersonnen, schon selbstverständlich als das einzig wahre und denkbare: das klingende, das schwingende Wort »Amerika«.

 


 


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