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Ich befand mich fern vom Hause in Geschäften zu Prag. Es war im April. Wie angenehme Zerstreuung es auch für mich gab, konnte ich doch das Heimweh nach unserm Städtchen nicht unterdrücken, wo mein junges Weib schon sieben Wochen auf meine Heimkehr hoffte. Seit unserm Hochzeitstage waren wir nie so lange getrennt gewesen. Freilich Fanny schickte mir regelmäßig alle Wochen Briefchen zu; aber diese Zeilen voller Liebe, Verlangen und Wehmut waren Öl ins Feuer. Ich wünschte Prag und den heiligen Nepomuk vierunddreißig Meilen nordostwärts hinter mir.
Wer nicht ein liebenswürdiges Weibchen von zweiundzwanzig Jahren hat, reizend wie die Liebe, umspielt von zwei blühenden Liebesgöttern; wer in solch ein Wesen nach fünfjähriger Ehe nicht fünfhundertmal verliebter ist, als den Tag vor der Hochzeit, dem erzähle ich vergebens von meinem Heimweh.
Genug, ich dankte jauchzend dem Himmel, als die Geschäfte endlich abgetan waren. Ich nahm bei den wenigen Bekannten und Freunden Abschied, und sagte dem Wirt, er solle die Rechnung geben. Andern Tags wollte ich mit der Post fort.
Am Reisemorgen erschien der Wirt, gehorsamst aufzuwarten, mit zahlreicher Rechnung; ich hatte des baren Geldes nicht genug zur Tilgung meiner Schuld und zu Ausgaben unterwegs. Also wollte ich einen guten Wechsel versilbern. Ich griff nach der Brieftasche, und suchte sie in allen Taschen, allen Winkeln. Sie war fort. Da ward mir nicht wohl: denn ich hatte für mehr denn vierzehnhundert Taler Papier darin, und das ist doch keine Kleinigkeit unterm Himmel.
Es half mir auch nichts, daß ich die Stube umkehrte – die Brieftasche blieb verschwunden.
»Dacht' ich's doch«, sagte ich zu mir selbst: »Wird der Mensch einen Augenblick seines Lebens froh, sitzt der Teufel gleich hinterm Hag und spielt ihm einen Possen. Man sollte sich in der Welt über nichts freuen, so hätte man auch der Höllenangst und des Verdrusses weniger. Ich habe es so oft schon erfahren.«
Entweder war die Brieftasche gestohlen oder verloren. Ich hatte sie noch den Tag vorher in Händen gehabt; ich pflegte sie in der Brusttasche meines Rockes bei mir zu tragen. Auch lagen Fanny's Briefe darin. Es war mir als hätte ich sie noch des Abends beim Entkleiden gefühlt. Wie nun meine teuern Papiere wieder bekommen? Denn wer sie hatte, konnte sie jede Stunde nach Belieben in Gold oder Silber verwandeln.
Da fing ich an zu fluchen, was sonst meine Leibsünde nicht ist. Ginge noch, wie in den guten, alten Zeiten, der Teufel herum, wenn auch wie ein brüllender Löwe, ich hätte auf der Stelle mit ihm einen Pakt geschlossen. Indem ich dies dachte, fiel mir eine Gestalt ein, die ich etwa acht Tage vorher beim Billard in einem verschossenen Rotrock gesehen hatte, und die mir damals, wie ein menschgewordener Höllenfürst, vorgekommen war. Es überlief mich kalter Schauer. Und doch war ich so verzweifelt, daß ich dachte: »Meinethalben, und wenn er's wäre, jetzt würde er mir ganz willkommen sein, schaffte er mir nur die Brieftasche wieder.«
Indem ward an meine Stubentür gepocht. »Hollah!« dachte ich: »Der Versucher wird doch aus Spaß nicht Ernst machen?« Ich lief zur Tür; in Gedanken hatte ich den berüchtigten Rotrock, und glaubte in der Tat, der werde es sein.
Und siehe – wunderliche Überraschung! – da ich die Stubentür öffnete, trat mit flüchtigem Kopfnicken der Versucher herein, an den ich gedacht hatte.
Ich muß erzählen, wo und wie ich die Bekanntschaft dieser Erscheinung gemacht hatte, damit man mich nicht für einen Fantasten halte.
An einem Abend war ich in ein Kaffeehaus oder Kasino der Neustadt gegangen, wohin mich schon einmal ein Bekannter zum Billard geführt hatte. Ich hoffte, die neuesten Zeitungen zu finden. An einem Tischchen spielten zwei Herren nachdenkend ihre Partie Schach. Einige junge Männer saßen am Fenster in lebhaftem Gespräch über Totenerscheinungen und Natur der menschlichen Seele. Ein kleiner ältlicher Mann, in scharlachrotem Überrock, wanderte, die Hände auf dem Rücken, im Zimmer auf und ab. Ich nahm ein Glas Danzigerwasser und die Zeitungen.
Niemand machte meine Andacht so rege, als der scharlachrote Spaziergänger. Ich vergaß selbst die Zeitungen und den spanischen Krieg. Er hatte, wie in der Kleidung etwas Geschmackloses, in Gestalt, in Bewegungen, in Gesichtszügen etwas Auffallendes und Widerliches. Er war von weniger, als mittlerer Größe; aber starkknochicht, breitschulterig; mochte fünfzig bis sechzig Jahre haben, und ging mit dem Kopfe gebückt, wie ein Greis. Ein pechschwarzes glänzendes Haar hing ihm glatt und spießig um den Kopf. Das schwarzgelbe Gesicht mit der Habichtsnase und den vorragenden Backenknochen hatten etwas Abstoßendes. Denn während alle Züge kalt und eisern waren, schimmerte sein großes Auge so lebhaft, wie das Auge eines begeisterten Jünglings, ohne daß man darin Begeisterung und Seele las. Der, dachte ich, ist geborner Scharfrichter, oder Großinquisitor, oder Räuberhauptmann, oder Zigeunerkönig. Des Spaßes willen könnte der Mann Städte in Flammen auflodern und Kinder an Speeren zappeln sehen. Ich möchte nicht mit ihm in einem Walde allein reisen. Er hat gewiß in seinem Leben noch nicht lächeln können.
Allein ich irrte mich. Er konnte lächeln. Er hörte den jungen Herren am Fenster zu, und lächelte. Aber, Gott sei bei uns, das war ein Lächeln! Es überlief mich eiskalt. Die schadenfrohe Hölle schien aus allen Zügen zu spotten. Wenn der im roten Rocke nicht der Teufel ist, dachte ich, so ist's sein Bruder. Ich sah ihm unwillkürlich nach den Füßen, den bekannten Pferdehuf zu beobachten, und richtig, er hatte einen Menschenfuß, wie unser einer, und sein linker war ein Klumpfuß im Schnürstiefel. Doch hinkte er damit nicht, und trat überhaupt so schleichend auf, wie über Eierschalen, die er nicht zerdrücken wollte. Er hätte sich für bares Geld sehen lassen können, um alle Voltaires abergläubisch zu machen.
Den spanischen Krieg vergaß ich durchaus. Ich hielt zwar die Zeitung vor mir hin, schielte jedoch darüber hinaus, die merkwürdige Gestalt länger zu beobachten.
Indem der Rotrock am Schachtisch vorbeiging, sagte einer der Spieler zu seinem düster und verlegen da sitzenden Gegner mit triumphierender Miene: »Sie sind ohne Rettung verloren.« Der Rotrock blieb einen Augenblick stehen, warf einen Blick auf das Spiel, und sagte zum Sieger: »Sie sind geblendet und beim dritten Zug unausbleiblich matt.« Der Sieger lächelte vornehm; der Bedrängte schüttelte zweifelnd den Kopf und zog – beim dritten Zug war der vermeinte Sieger in der Tat schachmatt.
Während die Kämpfer ihr Spiel wieder aufstellten, sagte einer von den jungen Männern am Fenster zum Rotrock heftig: »Sie lächeln, Herr, unser Streit scheint Sie zu interessieren? Aber ihr Lächeln sagt mir, daß Sie entgegengesetzter Meinung sind über die Natur der Welt und der Gottheit. Haben Sie Schelling gelesen?«
»Ja wohl!« sagte der Rotrock.
»Und was will Ihr Lächeln sagen?«
»Ihr Schelling ist ein scharfsinniger Dichter, der die Gaukeleien seiner Einbildungskraft für Wahrheit hält, weil ihn Niemand widerlegen kann, als mit andern Phantasiegespinsten, die nur mit noch größerem Scharfsinn verteidigt werden müßten. Es geht den Philosophen heut', wie immer. Blinde disputieren über Farbentheorien, und Taube über die Kunst des reinen Satzes in der Musik. Alexander hätte gern Schiffbrücken zum Monde geschlagen, um ihn zu erobern, und die Philosophen, unzufrieden im Kreise der Vernunft, wollen gern übervernünftig werden.«
So sagte der Rotrock. Da gab's Lärmen. Er aber hielt nicht Stand, nahm den runden Hut und schlich davon.
Ich sah ihn seitdem nie wieder, aber vergaß die auffallende Gestalt mit der Höllenphysiognomie nicht, und fürchtete mich, sie im Traume zu erblicken.
Nun stand er unverhofft vor mir im Zimmer.
»Um Verzeihung, wenn ich Sie störe!« sagte er: »Habe ich die Ehre, Herrn Robert ... zu sprechen?«
»Der bin ich in der Tat!« erwiderte ich.
»Womit beweisen Sie das?«
Sonderbare Frage, dachte ich, ohne Zweifel ein Polizeispion.
Es lag ein halbzerrissener Brief auf meinem Tisch. Ich zeigte ihm die an mich gerichtete Zuschrift auf dem Umschlag.
»Ganz gut«, sagte er, »allein Sie tragen einen Namen, der so allgemein ist, daß man dergleichen in allen Winkeln Deutschlands, Ungarns und Polens findet. Geben Sie mir nähere Umstände an. Ich möchte mit Ihnen Geschäfte machen. Man hat mich an Sie adressiert.«
»Mein Herr«, sagte ich, »verzeihen Sie, ich kann jetzt nicht an Geschäfte denken; bin auf dem Sprung zur Abreise und habe noch tausend Dinge zu besorgen. Auch irren Sie sich wohl in meiner Person, denn ich bin weder Staatsmann, noch Kaufmann.«
Er maß mich mit großen Augen und sagte: »So?« Er schwieg eine Weile, und schien im Begriff umzukehren, dann aber fing er an: »Sie haben doch Handelsgeschäfte in Prag getrieben? Ist nicht Ihr Herr Bruder auf dem Punkt gestanden, Bankerott zu machen?«
Ich muß feuerrot gewesen sein, denn davon wußte, glaubte ich, außer meinem Bruder, keine Seele, als ich. Auch lächelte der Versucher wieder sein schadenfrohes Lächeln.
»Mein Herr, Sie irren sich noch einmal!« sagte ich. »Zwar habe ich einen Bruder, und mehr, als einen, aber keinen, der Bankerott zu fürchten hätte.«
»So?« murmelte der Versucher, und seine Züge wurden wieder hart und eisern.
»Mein Herr«, – sagte ich etwas empfindlich, denn es war mir gar nicht lieb, daß Jemand in Prag lebte, der von meines Bruders Umständen unterrichtet war, und ich fürchtete, der Schlaukopf wolle in mein Spiel sehen, wie dem Schachspieler im Kaffeehause. – »Sie sind gewiß an den unrechten Mann gewiesen. Ich muß um Verzeihung bitten, daß ich Sie ersuche, sich kurz zu fassen. Ich habe keinen Augenblick zu versäumen.«
»Gedulden Sie sich nur eine Minute«, erwiderte er, »es liegt mir daran, mit Ihnen zu reden. Sie scheinen unruhig und verlegen. Ist Ihnen etwas Unangenehmes widerfahren? Sie sind fremd hier. Ich zwar gehöre auch nicht nach Prag, und sehe die Stadt seit zwölf Jahren wieder zum ersten Mal. Allein ich weiß zu allen Dingen guten Rat. Vertrauen Sie sich mir. Sie haben das Gesicht eines Biedermanns. Brauchen Sie Geld?«
Da lächelte oder vielmehr grinsete er wieder, als wollte er mir meine Seele abkaufen. Sein Tun war immer verdächtiger; ich schielte von ungefähr nach seinem Klumpfuß, und wirklich wandelte mich abergläubische Furcht an. In keinem Falle wollte ich mich mit dem verdächtigen Herrn einlassen, und sagte: ich hätte kein Geld nötig. »Da Sie es mir aber so großmütig antragen, mein Herr, darf ich Sie um Ihren Namen bitten?«
»An meinem Namen kann Ihnen nicht viel liegen«, erwiderte er, »der tut nichts zur Sache. Ich bin ein Mannteuffel. Gibt mir der Name bei Ihnen mehr Zutrauen?«
»Ein Mannteuffel?« sagte ich, und wußte in seltsamer Verlegenheit nicht, was ich sagen wollte, und ob das ganze Ding Ernst oder Spaß sei.
Indem ward an die Türe gepocht. Der Wirt trat herein und brachte mir einen Brief, der von der Post gekommen war. Ich nahm ihn.
»Lesen Sie nur den Brief erst«, fing der Rotrock an, »nachher können wir schon wieder sprechen. Der Brief ist ohne Zweifel von ihrer liebenswürdigen Fanny.«
Ich ward verlegener, als je.
»Wissen Sie nun endlich«, fuhr der Fremde fort und grinsete: »wissen Sie nun endlich, wer ich bin, und was ich von Ihnen will?«
Es lag mir auf den Lippen, zu sagen: »Mein Herr, Sie sind, glaube ich, der Satan, und möchten meine arme Seele zum Frühstück?« doch hielt ich an mir.
»Noch mehr«, setzte er hinzu: »Sie wollen nach Eger. Gut, mein Weg geht durch das Städtchen. Ich reise morgen ab. Wollen Sie einen Platz in meinem Wagen annehmen?«
Ich dankte, und sagte: »Ich habe schon Post bestellt.«
Da ward er unruhiger und sagte: »Es ist Ihnen nicht beizukommen. Aber Ihre Fanny, den kleinen Leopold und August muß ich doch im Vorbeigehen kennen lernen. Erraten Sie noch nicht, wer ich bin und was ich will? In des Teufels Namen, Herr, ich möchte Ihnen gern einen Dienst leisten. Reden Sie doch.«
»Gut!« sagte ich endlich: »Wenn Sie ein Hexenmeister sind, mir ist meine Brieftasche fortgekommen. Raten Sie mir, wie ich sie wieder bekomme?«
»Pah, was ist an einer Brieftasche gelegen? Kann ich Ihnen sonst nicht...«
»In der Brieftasche waren aber wichtige Papiere, über vierzehnhundert Taler an Wert. – Raten Sie mir, was habe ich zu tun, wenn sie verloren ist? und was, wenn sie gestohlen ist?«
»Wie sah die Brieftasche aus?«
»Seidenüberzug, hellgrün, mit Stickerei, mein Namenszug von Blumen darin. Es war eine Arbeit von meiner Frau.«
»So ist der Überzug mehr wert, als die vierzehnhundert Taler.« Er lächelte mich wieder dabei mit seiner fürchterlichen Freundlichkeit an; dann fuhr er fort: »Da muß Rat geschaffen werden. Was geben Sie mir, wenn ich Ihnen den Verlust ersetze?«
Bei diesen Worten sah er mich scharf und sonderbar an, als wollte er mir die Antwort: »Ich verschenke Ihnen meine Seele!« auf die Zunge legen. Da ich aber verlegen still schwieg, griff er in die Tasche und zog meine Brieftasche vor.
»Da haben Sie Ihr Kleinod und die vierzehnhundert Taler nebst Zubehör!« sagte er.
Ich war außer mir. »Wie kommen Sie dazu?« rief ich, und blätterte in der Brieftasche, und fand, daß nichts fehlte.
»Gestern Nachmittag um vier Uhr fand ich sie auf der Moldaubrücke, und steckte sie ein.«
Richtig, um die gleiche Zeit war ich über die Brücke gegangen, hatte die Brieftasche in Händen gehabt und eingesteckt.
»Vermutlich nebenbei gesteckt!« sagte der Rotrock. »Nun aber wußte ich nicht, ob mein Fund von Einem zu Fuß oder zu Pferd, hinter oder vor mir verloren war. Ich blieb eine Stunde lang auf der Brücke, einen Suchenden abzuwarten. Als Niemand kam, ging ich in mein Wirtshaus. Ich las den Inhalt, die Briefe, um daraus den Verlierer zu erforschen. Eine Adresse zeigte mir Ihren Namen und Ihren Aufenthalt in diesem Gasthofe an. Darum machte ich mich jetzt zu Ihnen auf. Schon gestern Abend war ich hier und fand Sie nicht.«
Lieber Gott, wie kann man sich doch mit seiner Physiognomik täuschen! Ich hätte meinem Mannteuffel um den Hals fallen mögen. Ich sagte ihm die verbindlichsten Dinge. Meine Freude war so übermäßig, als vorher mein Verdruß. Er wollte aber nichts von Allem hören. Ich gelobte mir, mein Lebtage nicht wieder meinen physiognomischen Urteilen zu trauen.
»Grüßen Sie Ihre schöne Fanny von mir. Reisen Sie glücklich. Wir sehen uns einmal wieder!« sagte er, und ging davon.
Nun wollte ich aufbrechen, abreisen. Ich zahlte dem Wirt. Mein Knecht, mit dem Koffer auf dem Rücken, ging vor mir her, ich die Treppe hinab. Da kam mein Bruder die Treppe herauf, derselbe, deswillen ich in Prag war.
Natürlich, aus der Abreise ward nun nichts. Wir gingen in mein Zimmer zurück. Da hörte ich denn mit Vergnügen, die schwankenden Vermögensverhältnisse meines Bruders hätten sich zu ihrem Vorteil geändert. Ein sehr bedeutender Verlust war ihm durch glückliche Spekulation in Baumwolle und Kaffee sechsfach vergütet. Er war nach Prag geeilt, um seine Angelegenheit selbst zu berichtigen. »Jetzt habe ich mein Schäfchen ins Trockne gebracht«, sagte er, »aber Angst habe ich ausgestanden. Nun gebe ich dem Handel gute Nacht. Ich lege mein Geld lieber an mäßigen Zins, so laufe ich nicht Gefahr, heute ein Millionär, morgen ein flüchtiger Bettler und Betrüger zu sein. Darum komme ich, dir für deine brüderliche Treue zu danken, und mich mit meinen Leuten für immer aus einander zu setzen.«
Ich mußte ihn zu verschiedenen Häusern begleiten. Aber er spürte meine Ungeduld und mein Heimweh; drum nach einigen Tagen riet er mir, ohne ihn zurück zu reisen. Das tat ich denn auch, weil sich sein Aufenthalt in Prag wohl auf mehrere Wochen verlängerte. Ich nahm Extrapost und flog meiner geliebten Heimat entgegen.
Unterwegs fiel mir noch immer der seltsame Mannteuffel ein. Ich konnte die Figur mit dem roten Rock, dem Klumpfuß und der unvorteilhaften Gesichtsbildung nicht vergessen. Ich besann mich noch, daß ihm ein Büschel seiner schwarzen Haare über der Stirn emporstand. Vielleicht hat er ein kleines Horn darunter, und dann war der Beelzebub fertig vom Wirbel bis zur Sohle.
Zwar die Brieftasche hatte er wieder gebracht; ehrlicher konnte kein Mensch in der Welt sein. Er hatte Fanny's Briefe und meines Bruders mir gegebene Instruktion gelesen, so konnte er freilich von meinen Geheimnissen unterrichtet sein. Allein dann das Gesicht dazu – nein, so unleserlich schreibt die Natur sonst nicht! – Genug, hätte ich jemals an das Dasein eines Mephistopheles geglaubt, wurde ich diesmal keinen Augenblick daran gezweifelt haben.
Ich hing diesem Gedanken nach, und läugne sogar nicht, daß ich mich recht willig dem Spiel meiner Einbildungen überließ. Er vertrieb mir die Langeweile. Ich nahm an, mein ehrlicher Mannteuffel könnte wohl der echte Teufel sein; seine Ehrlichkeit eine Hinterlist, um dem Himmel meine arme Seele wegzuschnappen. Und wenn er es nun wäre, was könnte er mir wohl bieten? – Gold und Gut? – Ich war nie geldsüchtig. Einen Thron? Ja, den hätte ich wohl für acht Tage besessen, um der Welt Frieden zu geben; aber dann wäre ich wieder in meine bescheidene Wohnung zurück gegangen, um, ein zweiter Cincinnatus, eigenhändig Rüben zu bauen. – Hübsche Weiber? Einen Harem voll der schönsten Helenen, Armiden und Amanden? Nein, wenn ich an Fanny dachte, kamen mir die reizendsten Zirkassierinnen wie alte Weiber vor. Ich hätte keinen Strohhalm darum gegeben, einmal Doktor Faust zu sein. Und wozu das? Ich war glücklich! Glücklich? Nein, das doch auch nicht ganz, eben weil ich gar zu glücklich war. Ich fürchtete mich ein wenig vor Freund Hain, dem Knochenmanne, der mit der verwünschten Hippe mir meine Fanny, meine beiden Söhne, mich selbst wegmähen konnte. Und dann wäre es doch die große Frage, ob und wie wir uns im Paradiese wieder zusammen finden würden? – Ich hätte wohl einen Blick ins künftige Leben geworfen, um mich zu beruhigen. Aber gesetzt, mein Teufel hätte mir den frommen Wunsch erfüllen, und mich, durch einen Spalt der Himmelspforte, hinüber blinzeln lassen, was würde mir ein Untertan Adramelechs anders haben zeigen können, als seine Hölle?
Doch genug von den Possen.
Ich war von Prag bis zum Städtchen zwei Tage und eine Nacht unterwegs. Aber den zweiten Tag ward's spät. Umsonst schalt und spornte ich die Postknechte mit Wort und Geld – es ward immer später, immer dunkler, und ich immer sehnsuchtsvoller. Ach, seit beinahe einem Vierteljahr hatte ich ja Fanny nicht gesehen! Meine Kinder nicht, die um die junge Mutter, wie zwei Engel um eine raphaelische Madonna flatterten! – Ich zitterte vor Entzücken, wenn ich daran dachte, die Liebenswürdigste ihres Geschlechts, mein Weib, sei noch heute in meinen Armen.
Es ist wahr, ich hatte, ehe ich Fanny kennen lernte, auch schon geliebt gehabt. Es gab einst eine Julie für mich, die mir durch den Stolz ihrer Eltern entrissen und einem reichen polnischen Edelmann zum Weibe gegeben war. Unsere Liebe war die erste für uns beide – an gegenseitige Vergötterung und Raserei grenzend. Wir schworen uns noch in der Abschiedsstunde ewige Liebe über Leben und Grab hinaus, und Küsse und Tränen hatten die Eide besiegelt. Aber man weiß nun, wie es damit geht. Sie ward Frau Starostin, und ich sah Fanny. Meine Liebe zu Fanny war eine heiligere, reifere, zärtlichere. Julie war einst die Gottheit meiner Phantasie; allein Fanny die Angebetete meines Herzens.
Es brummte die Glocke des heimatlichen Städtleins ein Uhr, da wir in die schlafende Straße einfuhren. Ich stieg beim Posthause ab, ließ den Knecht nebst dem Koffer zurück, weil ich selbst, falls in meinem Hause Alles schlafen würde, wieder zurückkehren wollte, und schlich hinaus zur Vorstadt, an deren Ende mein freundliches Haus im Schatten hoher Nußbäume mir schon von weitem mit seinen Fenstern im Mondschein entgegenschimmerte.
Und alles schlief! – o Fanny, Fanny, hättest du gewacht, wie viel Jammer und Schrecken wäre mir erspart worden! – Sie schliefen, mein Weib, meine Kinder, mein Gesinde, nirgends Licht! Ich wanderte zehnmal ums Haus herum – Alles verschlossen. Aus dem Schlaf jagen wollte ich doch Keinen. Besser das Entzücken des Wiedersehens für die vom Schlummer erquickte Seele in der Morgenstunde, als in der fieberischen Mitternacht.
Zum Glück fand ich mein neuangebautes schönes Gartenhaus offen. Ich trat hinein. Da stand auf einem Tischchen der Strickkorb meiner Fanny; da sah ich im Mondschimmer am Boden und auf den Sesseln die Steckenpferde, Trommeln, Peitschen meiner Kinder. Vermutlich hatten sie den Nachmittag hier zugebracht. O wie war mir unter diesen Meinigkeiten so wohl, als wäre ich bei meinen Lieben selbst. Ich streckte mich aufs Sofa, und beschloß hier zu übernachten. Die Nacht war lau und mild, und der Duft blühender Bäume und Gartenbeete drang in mein Gemach.
Wer seit vierzig Stunden nicht geschlafen hat, findet jedes Lager weich. Ich entschlief in meiner Übermüdung bald. Doch kaum hatte ich die Augen geschlossen, weckte mich das Knarren der Gartenhaustür wieder. Ich richtete mich auf; ich sah einen Menschen hereintreten: ich glaubte, es sei ein Dieb. Aber man denke sich mein Erstaunen, es war der Freund Rotrock.
»Woher kommen Sie?« fragte ich.
»Von Prag. In einer halben Stunde reise ich wieder ab. Ich wollte Sie doch im Vorbeigehen und Ihre Fanny sehen, um mein Wort zu halten. Ich hörte von Ihrem Knecht, Sie seien erst gekommen, und glaubte in Ihrem Hause Alles wach zu finden. Sie werden doch hier nicht übernachten wollen in der feuchten Kühle, und sich eine Krankheit erschlafen?«
Ich ging mit ihm hinaus in den Garten, und bebte an allen Gliedern, so hatte mich die sonderbare Erscheinung erschreckt. Ich verspottete zwar im Stillen meine abergläubische Furcht, aber doch konnte ich mich ihrer nicht erwehren. Der Mensch ist nun einmal so. Die harten Züge des Prager Freundes waren im täuschenden Mondlicht noch viel schrecklicher, und seine Augen viel blitzender.
»Sie haben mich wirklich erschreckt, wie ein Gespenst!« sagte ich. »Ich zittere am ganzen Leibe. Wie kamen Sie dazu, mich im Gartenhause zu suchen? Sie sind wie ein Allwissender.«
Er grinsete schadenfroh und sagte: »Kennen Sie mich nun, und was ich von Ihnen will?«
»Wahrhaftig, ich kenne Sie jetzt nicht besser, als in Prag. Aber zum Spaß will ich Ihnen doch erzählen, wie Sie mir da vorkamen. Sie nehmen's nicht übel, ich dachte, wenn Sie kein Hexenmeister wären, möchten Sie wohl der Teufel selbst sein.«
Er grinsete wieder und entgegnete: »Wenn ich, zum Spaß gesagt, nun das letzte wäre, würden Sie mit mir gemeine Sache machen?«
»Sie müßten mir viel bieten, ehe ich einschlüge. Denn wahrhaftig, mein Herr Teufel, erlauben Sie, daß ich Sie zum Scherz so nenne, mein Glück ist vollkommen.«
»Oho, bieten würde ich Ihnen nichts, geben nichts. Das war wohl in alten Zeiten Sitte, da die Leute noch an einen Teufel glaubten, und sich vor ihm desto mehr hüteten – da mußte man kapitulieren. Aber heutiges Tages, da Keiner mehr an den Teufel glaubt, und mit der Vernunft Alles ausrichten will, sind die Menschenkinder allzuwohlfeil.«
»Einmal hoffe ich, bei mir steht's anders, ob ich gleich den Beelzebub für ein Märchen halte. Ein Quentchen Vernunft gibt mehr Tugend, als ein Zentner Teufelsglauben.«
»Das ist's eben! – Eure stolze Sicherheit, ihr Sterblichen – erlauben Sie, daß ich in der Rolle spreche, die Sie mir gaben – eure stolze Sicherheit liefert der Hölle mehr Rekruten, als eine Legion Werber in Satans Uniform. Seit ihr selbst angefangen habt, die Ewigkeit für ein Problem, die Hölle für eine orientalische Fabel zu halten; seit man Ehrlichkeit und Dummheit für Tugenden gleichen Kalibers erklärt; die Wollust eine liebenswürdige Schwäche, Selbstsucht Seelengröße, Gemeinnützigkeit eine Narrheit, und abgefeimte Tücke Lebensklugheit nennet, gibt man sich in der Hölle keine Mühe mehr, euch zu fangen. Ihr kommt von selbst. Die Vernunft habt ihr auf den Lippen, die Macht von hundert Leidenschaften im Herzen. Der Heiligste unter euch Entnervten ist, wer die wenigste Gelegenheit zu sündigen hat.«
»Das heißt recht teuflisch gesprochen!« rief ich.
»Allerdings!« antwortete der rote Herr und grinsete wieder: »Aber ich rede die Wahrheit, weil ihr Leute nicht mehr an sie glaubt. So lange den Menschen noch Wahrheiten heilig waren, mußte Satan ein Vater der Lügen sein. Jetzt ist's umgekehrt. Wir armen Teufel sind immer die Antipoden der Menschheit.«
»So sind Sie in diesem Stück wenigstens nicht mein Gegner; denn ich denke, wie Sie, mein philosophischer Herr Teufel.«
»Gut, so gehören Sie mir schon an. Wer mir nur ein Haar reicht, dessen Kopf habe ich. Und – hier ist's kühl – mein Wagen ist vielleicht schon angespannt, ich muß abreisen. Also leben Sie wohl.«
Er ging. Ich begleitete ihn wieder zum Posthause zurück, wo wirklich sein Reisewagen eben Vorspann erhielt.
»Ich dächte, Sie kämen mit mir noch hinauf ins Haus, und tränken mit mir zum Abschied ein Glas Punsch, den ich bestellt hatte, ehe ich zu Ihnen ging.«
Ich nahm die Einladung an. Es tat mir wohl, in ein warmes Zimmer zu kommen.
Der Punsch stand schon auf dem Tisch, da wir ins Zimmer traten. Ein fremder Reisender ging finster und müde auf und ab; es war ein langer hagerer, alter Mann. Auf den Stühlen umher lag Gepäck; auch bemerkte ich einen Frauenzimmerschal und Strohhut, nebst weiblichen Handschuhen.
Als wir tranken, sagte der Fremde zum eintretenden Hausknecht, der das Gepäck holte: »Sagt meiner Gemahlin, wenn sie kommt, ich sei zu Bett. Wir reisen in aller Frühe fort.« –
Ich wollte auch nicht wieder ins kalte Gartenhaus zurück, und bestellte mir für die Nacht ein Bett. Der Fremde ging fort. Wir tranken den Punschnapf leer unter allerlei Geschwätz. Das Feuer des Rums erquickte und durchglühte mich. Der Rotrock eilte zu seinem Wagen, und indem ich ihm hineinhalf, sagte er: »Wir sehen uns noch einmal wieder.« Damit rollte der Wagen weg.
Da ich ins Zimmer zurücktrat, war ein Frauenzimmer darin, welches den Schal, die Handschuhe und den Hut holte. Wie sich die junge Schöne nach mir umdrehte, verlor ich fast alle Besonnenheit. Es war Julie, die erste Geliebte, im Begriff mit ihrem Gemahl, wie ich nachher erfuhr, eine Lustreise nach Italien zu machen. Sie war nicht minder erschrocken, als ich.
»Um Gotteswillen, ist es dein Geist, Robert?«
»Julie!« stammelte ich, und alle Wonnen der ersten Liebe wachten wieder auf bei diesem überraschenden Anblick. Ich wollte mich ihr ehrerbietig nahen. Ihre Augen waren voll Tränen; ihre Arme offen. Ich lag weinend an ihrem Busen.
Erst als wir wieder zu uns selbst kamen, bemerkte sie, daß sie halb entkleidet war. »Hier ist nicht mein Zimmer!« sagte sie, und warf sich den Schal um. »Komm Robert, wir haben uns viel zu sagen.«
Sie ging. Ich folgte ihr in ihr Zimmer. »Hier können wir uns einander frei erzählen!« sagte sie, und wir setzten uns aufs Sofa. Nun ward denn erzählt. Ich lebte noch einmal im Fiebertaumel einer alten Liebe, die ich längst erloschen geglaubt hatte. Julie, durch ihren Starosten nicht glücklich, hing mit ehemaliger Seligkeit an mir. Sie war schöner, aufgeblühter, als ehemals. Sie fand auch mich schöner, wie sie sagte. – Die Flamme der Leidenschaft wehte von Seele zu Seele in Küssen.
Ein Zauber, den ich unmöglich beschreiben kann, lag in Juliens Worten und Wesen. Alles von ehemals ward wieder hell; die erste Bekanntschaft auf dem Ball am Brauttage ihrer Schwester; die Empfindungen, welche uns damals bewegten; dann unser Wiedersehen im herzoglichen Schloßgarten; dann die Wasserfahrt mit unsern beiderseitigen Eltern, und wie wir im Elysium von Wörlitz Liebe gestanden, Treue schworen. Dann – doch genug: für uns gab es nur Vergangenheit, keine Zukunft.
Plötzlich ging die Tür auf. Der lange, hagere Mann trat herein mit der Frage: »Wer ist noch bei dir, Julie?«
Wir sprangen erschrocken auf. Der Starost stand eine ganze Weile sprachlos, bleich wie eine Leiche. Dann mit drei Schritten fuhr er auf Julien zu, schlang ihre langen, kastanienbraunen Locken um seine Faust, und schleuderte die Winselnde zur Erde und schleppte sie auf dem Boden herum, indem er rief. »Verräterin! Nichtswürdige!«
Ich wollte ihr zu Hilfe eilen. Er stieß mich mit gewaltiger Kraft zurück, daß ich rücklings zu Boden taumelte. Wie ich mich wieder aufraffte, ließ er die Unglückliche fahren, und schrie mir zu: »Dich erdroßle ich!« In der Verzweiflung nahm ich ein Messer vom Tische, und drohte, es ihm in die Rippen zu stoßen, wenn er nicht schwiege. Aber der Wütende warf sich gegen mich, spannte meinen Hals zwischen seine Hände ein, und drückte zu. Ich verlor die Luft. Ich fuhr in der Verzweiflung mit dem Messer nach allen Seiten um mich. Ich stieß es wiederholt gegen ihn. Plötzlich stürzte der Unglückliche nieder. Er hatte das Messer im Herzen.
Julie lag wimmernd am Boden neben ihrem ermordeten Mann. Ich stand da, wie eine Bildsäule. »O«, dachte ich, »wäre es doch nur ein Traum, und läge ich erwachend auf dem Sofa meines Gartenhauses. Verflucht sei der Rotrock! Verflucht die Brieftasche! – O meine armen Kinder! o meine geliebte, unglückliche, fromme Fanny! – Nahe an den Schwellen meines häuslichen Paradieses werde ich zurückgeschleudert in eine Hölle, die ich nie kannte! – Ich bin Mörder!«
Der Lärm im Zimmer hatte die Leute im Hause geweckt. Ich hörte fragen, rufen, gehen. Mir blieb nichts übrig, als die Flucht, ehe ich entdeckt ward. Ich ergriff das brennende Licht, um mir zum Hause hinaus zu zünden.
Indem ich die Treppe hinabging, nahm ich mir vor, in mein Haus zu eilen, meine Frau, meine Kinder zu wecken, sie noch einmal an mein Herz zu drücken, dann wie ein Kain in die Welt hinaus zu flüchten, um nicht der Gerechtigkeit in die Hände zu fallen. Aber schon auf der Treppe sah ich meine Kleider ganz vom Blut des Starosten überschüttet. Ich zitterte, erblickt zu werden.
Die Haustür nach der Straße war verschlossen. Als ich zurückeilte, um durch den Hof zu entkommen, hörte ich von der Treppe herab Menschen eilen, schreien und rufen hinter mir. Ich lief über den Hof, zur Scheune. Ich wußte, von da hinaus käme ich in Gärten und Felder außerhalb des Städtchens. Aber die mir nachsetzten, eilten behend genug. Ich war kaum in der Scheune, als mich Einer beim Rock erwischte. Mit Höllenangst riß ich mich los, und schleuderte meine brennende Kerze in die neben mir hoch aufgetürmten Strohwellen. Es gab plötzlich Flammen. So hoffte ich mich zu retten. Es gelang. Man ließ von mir los, vermutlich um den Brand zu tilgen. So entkam ich ins Freie.
Ich stürzte blindlings fort, setzte über Häge und Gräben. Meine Fanny, meinen August, meinen Leopold noch einmal zu sehen, daran war nicht zu denken. Der Trieb der Selbsterhaltung überschrie alle andern Gefühle des Herzens und der Natur. Wenn ich an meine gestrige Heimkunft, an meine Erwartungen auf den heutigen nahen Morgen dachte, konnte ich das Geschehene gar nicht für möglich halten. Aber meine blutigen, klebrigen Kleider, der kühle Morgenwind, der mich durchschauerte, sagten mir nur zu sehr das Gegenteil. Ich lief fast atemlos, bis ich nicht mehr konnte. Hätte ich ein Mordwerkzeug bei mir geführt, wäre ein Strom in meiner Nähe gewesen, ich wurde aufgehört haben zu leben.
Triefend vom Schweiße, ohne Atem, erschöpft an allen Kräften, mit zitternden Knien setzte ich meine Flucht in langsamem Schritten fort. Ich mußte zuweilen stehen bleiben, um mich zu erholen. Ich war mehrmals daran, ohnmächtig niederzusinken.
So gelangte ich nach dem nächsten Dorf bei unserm Städtchen. Indem ich davor stand, und noch überlegte, ob ich es umgehen, oder keck durchwandern sollte – denn noch war es mondhell, und die Sonne nicht zum Aufgang – fing es im Dorfturm an zu läuten. Bald klangen mir auch von andern entfernten Ortschaften Glockentöne. Es war Sturmgeläute.
Jeder Ton zermalmte mich. Ich sah mich um. O Gott, hinter mir weite dunkelrote Glut; eine ungeheure Flammensäule, die bis zu den Wolken hinaufleckte! Das ganze Städtchen stand in Flammen. Ich – ich war der Mordbrenner! – O meine Fanny, o meine Kinder, welch ein entsetzenvolles Erwachen aus dem stillen Morgenschlummer hat euer Vater bereitet. –
Da ergriff es mich, wie bei den Haaren, und hob mich in die Höhe, und meine Sohlen wurden leicht wie Federn. Ich lief in mächtigen Sprüngen um das Dorf herum einem Kiefernwald zu. Die Flammen meiner Heimat leuchteten wie Tageshelle, und die heulenden Sturmglocken dröhnten mit zerreißenden Klängen durch mein zerrüttetes Wesen.
Wie ich die Nacht des Waldes erreicht hatte, und so tief hinein war, daß ich nichts mehr vom roten Licht der Feuersbrunst gewahren konnte, in welcher bisher immer mein Schatten vor mir hergaukelte, konnte ich nicht weiter. Ich fiel zur feuchten Erde nieder, und brüllte meinen Schmerz aus. Ich schlug mit der Stirn gegen den Boden, und raufte krampfhaft Gras und Wurzeln aus. Ich hätte sterben mögen, und wußte es nicht zu machen.
Untreuer, Mörder, Mordbrenner, das Alles fast in gleicher Stunde. O der Rotrock hatte wohl Recht: es gibt unter euch keine Heiligen, als denen die Gelegenheit zur Sünde fehlt. Bietet dem Teufel nur ein Haar: so hat er euern Kopf. Welches unselige Schicksal führte den Satan ins Gartenhaus zu mir! Hätte ich seinen Punsch nicht genommen, ich hätte Julien gesehen, ohne Fanny's zu vergessen; hätte ich dies gekonnt, der Starost wäre nicht ermordet; ich würde meine Heimat nicht in Brand gesteckt haben – ich läge nicht hier in der Verzweiflung, mir selbst zum Greuel, der Menschheit zum Fluch.
Inzwischen heulten die Sturmglocken unaufhörlich, und schreckten mich wieder empor. Ich freute mich, daß es noch nicht Tag war. So durfte ich hoffen, noch eine gute Strecke unbekannt zurückzulegen. Aber ich sank wieder weinend nieder, da ich mich erinnerte, es sei der erste Mai, es sei meiner Fanny Geburtstag. Wie hatten wir Glücklichen ihn sonst im Kreise der Unserigen heiter gefeiert! Und heut! welch ein Tag! welch eine Nacht! – Da durchfuhr mich der Gedanke: es ist Walpurgisnacht! – Sonderbar! der alte Aberglaube machte diese Nacht von jeher zur Nacht des Schreckens, in der böse Geister ihr Fest begangen haben sollten, und der Teufel seine Hexen auf dem Gipfel des Blocksberges versammelte. Fast hätte ich an die Wahrheit der albernsten Abscheulichkeit glauben mögen. Der verdächtige Rotrock fiel mir wieder lebhafter mit allen seinen sonderbaren Reden ein. Jetzt – warum soll ich leugnen? – jetzt hätte ich meine Seele darum gegeben, er wäre wirklich gewesen, der er sich bei mir im Gartenhaus scherzend genannt hatte, um mich zu retten, um mir mein Gedächtnis zu rauben; um mir mein Weib, meine Kinder in irgend einem Winkel der Erde wieder zu geben, wo wir unentdeckt leben könnten.
Aber die Sturmglocken tobten lauter. Ich spürte das Grauen des Morgens. Ich flog auf vom Boden, und setzte meine Flucht fort im Gebüsch und kam zur Landstraße.