Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XII.

Es war zehn Uhr, als Pierre und Narcisse, nachdem sie im Café de Rome dinirt und dann dort in einem langen Geplauder der Zeit vergessen hatten, zu Fuß über den Corso gingen, um sich in den Palazzo Buongiovanni zu begeben. Sie hatten die größte Mühe, ans Thor zu gelangen. Die Wagen kamen in geschlossener Reihe an, und die Menge der Neugierigen, die trotz der Polizisten stehen blieben und den Fußweg überschwemmten, wurde so dicht, daß die Pferde nicht mehr vorwärts konnten. Aus den zehn hohen Fenstern des ersten Stockwerks in der langen, monumentalen Fassade loderte ein heller, weißer Schein, die Tageshelle der elektrischen Lampen, welche die Straße, die in der Menschenflut festgekeilten Wagen, die Schlagwelle der aufgeregten, leidenschaftlichen Leute inmitten des außerordentlichen Aufruhrs von Gesten und Schreien wie mit Sonnenlicht beleuchteten.

Aber es war dies nicht nur die gewöhnliche Neugierde, Uniformen anzuschauen und Frauen in kostbaren Toiletten aussteigen zu sehen; Pierre hörte bald, daß diese Menge auf die Ankunft des Königs und der Königin warte, die ihr Erscheinen bei dem Festballe zugesagt hatten, den Fürst Buongiovanni zur Feier der Verlobung seiner Tochter Celia mit dem Lieutenant Attilio Sacco, dem Sohne eines Ministers Seiner Majestät, gab. Außerdem war diese Heirat eine Wonne für alle Welt, die glückliche Lösung einer Liebesgeschichte, die die ganze Stadt lebhaft anzog; die Erzählung von dem Blitzstrahl der Liebe, dem jungen und so schönen Paar, der hartnäckigen, alle Hindernisse besiegenden Treue unter romantischen Umständen ging von Mund zu Mund, feuchtete alle Augen und ließ alle Herzen klopfen.

Diese Geschichte hatte Narcisse Pierre noch beim Nachtisch, während sie die zehnte Stunde abwarteten, erzählt. Er kannte sie teilweise. Man behauptete, wenn der Fürst nach einer letzten, schrecklichen Scene endlich nachgegeben habe, so hätte er es nur gethan, weil er befürchtete, Celia eines schönen Abends am Arme ihres Geliebten den Palast verlassen zu sehen. Sie drohte ihm nicht damit, aber in ihrer jungfräulich-unwissenden Ruhe lag eine solche Verachtung all dessen, was nicht ihre Liebe war, daß er sie für fähig hielt, in aller Naivität die schlimmsten Thorheiten zu begehen. Die Fürstin, seine Frau, eine phlegmatische, noch schöne Engländerin, die für das Haus genug gethan zu haben glaubte, indem sie ihm fünf Millionen Mitgift zubrachte und ihrem Gatten fünf Kinder schenkte, hatte das Interesse an der Sache verloren. Der Fürst, unruhig und schwach bei all seiner Heftigkeit, in der das alte, bereits von der Mischung mit einer fremden Rasse verdorbene Römerblut zu erkennen war, handelte nur mehr unter dem Druck der Furcht, sein bisher inmitten der angehäuften Ruinen des Patriziats unversehrt gebliebenes Haus und Vermögen zusammenbrechen zu sehen; indem er zuletzt nachgab, hatte er wohl dem Gedanken gehorcht, daß er sich durch seine Tochter ralliiren und im Quirinal festen Fuß fassen konnte, ohne sich trotzdem vom Vatikan zurückzuziehen. Zweifellos war es eine brennende Schmach und sein Stolz blutete über diese Verbindung mit den Saccos, diesen Nichtsmenschen. Aber Sacco war Minister und er war so rasch von Erfolg zu Erfolg geschritten, daß er auf dem Wege zu sein schien, noch höher zu steigen und nach dem Portefeuille des Ackerbaues noch das der Finanzen zu erobern, nach dem es ihm schon lange gelüstete. Wer es mit ihm hielt, besaß die sichere Gunst des Königs und einen gesicherten Rückzug nach jener Seite, wenn der Papst eines Tages unterging. Dann hatte der Fürst Erkundigungen über den Sohn eingezogen und ward von diesem so schönen, so tapfern, so gradherzigen Attilio, der die Zukunft, vielleicht das glorreiche Italien von morgen war, etwas entwaffnet. Er war Soldat, man konnte ihn zu den höchsten Graden poussiren. Die Welt fügte boshaft hinzu: der letzte Grund, der den Fürsten, der sehr geizig und ganz verzweifelt war, weil er sein Vermögen unter seine fünf Kinder zerteilen mußte, zum Nachgeben bestimmte, sei der glückliche Umstand, daß er Celia eine lächerliche Mitgift geben konnte. Und nun, nachdem er die Heirat einmal bewilligt hatte, war er entschlossen, die Verlobung mit einem glanzvollen Feste zu feiern, wie sie deren nur noch selten in Rom gegeben wurden. Die Thüren sollten aller Welt offen stehen, die Herrscher eingeladen werden und der Palast so strahlen, wie in den großen Tagen von einst. Mochte dabei auch viel von dem Gelde draufgehen, das er so grimmig verteidigte – aber er wollte aus Trotz beweisen, daß er nicht besiegt sei, daß die Buongiovannis nichts versteckten, über nichts erröteten. In Wirklichkeit behauptete man, daß dieser stolze Trotz nicht von ihm herrühre, sondern ihm, ohne daß er sich dessen bewußt sei, von Celia, der Ruhigen, Unschuldigen, eingeblasen worden war. Sie wünschte ihr Glück am Arme Attilios vor ganz Rom zu zeigen, das dieser, wie in den schönen Feenmärchen gut endenden Liebesgeschichte, Beifall klatschte.

»Zum Teufel, wir werden nie hinaufkommen,« sagte Narcisse, den eine Woge der Menge festkeilte. »Sie haben ja die ganze Stadt eingeladen!«

Pierre wunderte sich, als er einen Prälaten in seiner Karosse vorüberfahren sah.

»O,« meinte Narcisse, »Sie werden mehr als einen treffen. Wenn auch die Kardinäle sich wegen der Anwesenheit der Souveräne nicht hinwagen, so wird doch sicherlich die ganze Prälatenschaft kommen. Es handelt sich um einen neutralen Salon, wo die schwarze und die weiße Gesellschaft sich verbrüdern können. Außerdem sind Feste nicht so zahlreich; man drängt sich hin.«

Er erklärte Pierre, daß es mit Ausnahme der zwei großen Bälle, die der Hof jeden Winter gab, besonderer Umstände bedurfte, um das Patriziat zu solchen Galaabenden zu bestimmen. Zwei oder drei schwarze Salons öffneten wohl noch einmal, gegen Ende des Karnevals, ihre Salons, aber überall vertraten kleine, intime Tanzgesellschaften die prunkvollen Empfänge. Einige Fürstinnen hatten einfach ihren Jour, und was die wenigen weißen Salons betraf, so bewahrten sie eine gleiche, mehr oder minder gemischte Intimität; denn keine Hausfrau war die unbestrittene Königin der neuen Welt geworden.

»Nun, endlich!« fuhr Narcisse fort, als sie auf der Treppe angelangt waren.

»Bleiben wir beisammen,« sagte Pierre unruhig. »Ich kenne nur die Braut ein wenig und verlasse mich darauf, daß Sie mich vorstellen.«

Aber die Menge der Ankommenden stieß sich derart auf der riesigen Treppe, daß das Hinaufsteigen abermals eine saure und lange Anstrengung war. Selbst in alten Zeiten, zur Zeit der Wachskerzen und Oellampen, hatte sie nie in solchem Lichterglanz gestrahlt. Elektrische Lampen, die büschelweise in den wunderbaren Bronzekandelabern brannten, mit denen die Treppenabsätze geschmückt waren, übergossen sie mit weißem Licht. Der kalte Stuck der Wände war unter einer Reihe von kostbaren, die Geschichte Psyches und Amors darstellenden Stickereien versteckt worden; diese Wunderwerke waren seit der Renaissance in der Familie geblieben. Ein dicker Teppich bedeckte die abgenützten Stufen, und Pflanzengruppen, Palmen, die so groß wie Bäume waren, zierten die Winkel. Ein neues Blut strömte zu und erwärmte das alte Haus, ein neu entstehendes Leben stieg mit der Flut der lachenden, wohlriechenden Frauen mit den nackten Schultern und funkelnden Diamanten empor.

Als sie oben angelangt waren, bemerkte Pierre sogleich beim Eintritt in den ersten Salon den Fürsten und die Fürstin Buongiovanni, die neben einander stehend ihre Gäste empfingen. Der Fürst, ein schon ergrauender, großer und schlanker blonder Mann, besaß das energische Gesicht eines ehemaligen päpstlichen Feldherrn und die blassen nordischen Augen, die seine Mutter ihm vererbt hatte. Die Fürstin mit ihrem runden, zarten Gesichtchen schien keine dreißig Jahre alt zu sein, obwohl sie bereits das vierzigste überschritten hatte; sie war noch immer hübsch, besaß eine lächelnde Heiterkeit, die nichts außer Fassung brachte, und war in ihrer Selbstanbetung glücklich. Sie trug eine rosa Atlastoilette und strahlte in einem wunderbaren Schmuck aus großen Rubinen, die auf ihrer feinen Haut und in ihrem feinen blonden Haar kurze Flammen zu entzünden schienen. Von den fünf Kindern war, da der älteste Sohn sich auf Reisen befand und die drei anderen, noch zu jungen Mädchen noch im Pensionat waren, nur Celia anwesend – Celia im weißen Musselinkleidchen, ebenfalls blond, entzückend mit ihren Unschuldsaugen und ihrem reinen Munde. Bis ans Ende ihres Liebesabenteuers bewahrte sie das Aussehen einer großen, geschlossenen, in ihrem jungfräulichen Geheimnis undurchdringlichen Lilie. Die Saccos waren eben erst gekommen, und Attilio, der neben seiner Braut stehen geblieben war, trug seine einfache Lieutenantsuniform; aber er zeigte sein großes Glück so naiv, so offen, daß sein hübscher Kopf mit dem zärtlichen Munde, den tapferen Augen, davon in einem außerordentlichen Glanz der Jugend und Kraft strahlte. In diesem Triumph ihrer Leidenschaft Seite an Seite stehend, erschienen beide schon von der Schwelle aus wie die Freude, die Gesundheit des Lebens selbst, wie die unbegrenzte Hoffnung auf die Verheißungen des Morgen, und alle eintretenden Gäste, die sie so erblickten, konnten nicht umhin, zu lächeln, wurden gerührt und vergaßen ihre boshafte, geschwätzige Neugierde so weit, daß ihre Herzen diesem so schönen und so entzückten Liebespaar zuflogen.

Narcisse war vorgetreten, um Pierre vorzustellen. Aber Celia ließ ihm keine Zeit dazu, sondern ging dem Priester einen Schritt entgegen und führte ihn ihren Eltern zu.

»Herr Abbé Froment, ein Freund meiner lieben Benedetta.«

Eine zeremoniöse Begrüßung folgte. Pierre ward von der Grazie des jungen Mädchens sehr bewegt.

»Benedetta wird mit ihrer Tante und Dario kommen,« sagte sie dann. »Sie muß heute abend so glücklich sein! Und Sie werden sehen, wie schön sie ist«

Pierre und Narcisse beglückwünschten sie nun. Aber sie konnten nicht langer stehen bleiben, denn die Flut trieb sie weiter. Der Fürst und die Fürstin hatten nur die Zeit, mit einem liebenswürdigen und fortwährenden Kopfnicken zu grüßen, dann wurden sie verschlungen, überschwemmt, und Celia mußte, nachdem sie die beiden Freunde Attilio zugeführt hatte, wieder ihren Platz als kleine Königin des Festes neben ihren Eltern einnehmen.

Narcisse war mit Attilio ein wenig bekannt. Es gab abermaliges Beglückwünschen und Händeschütteln. Dann manöverirten beide aus Neugierde derart, daß sie einen Augenblick in diesem ersten Salon blieben. Das Schauspiel darin war wirklich der Mühe wert. Es war ein sehr großes, mit grünem, goldgeblümten Sammet ausgeschlagenes Gemach, das der Waffensaal genannt wurde und thatsächlich eine sehr bemerkenswerte Waffensammlung enthielt – Kürasse, Streitäxte, Degen, die fast alle im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert den Buongiovannis gehört hatten. Inmitten dieser derben Kriegsgeräte bemerkte man eine herrliche, mit den zartesten Vergoldungen und Malereien geschmückte Sänfte aus dem letzten Jahrhundert, in der sich die Urgroßmutter des gegenwärtigen Buongiovanni, die berühmte Bettina, eine legendenhafte Schönheit, in die Messe tragen ließ. Uebrigens befanden sich auf den Wänden nichts als historische Gemälde, Schlachten, Friedensunterzeichnungen, königliche Empfänge darstellend, bei denen die Buongiovannis eine Rolle gespielt hatten; dazu kamen die Familienporträts – lauter hohe, stolze Gestalten, Feldherren zu Wasser und zu Land, kirchliche Großwürdenträger, Prälaten, Kardinäle, unter denen auf dem Ehrenplatz der Papst, der mit der weißen Sutane bekleidete Buongiovanni, triumphirte, dessen Thronbesteigung die lange Nachkommenschaft bereichert hatte. Zwischen diesen Waffen nun, neben der galanten Sänfte, unter diesen antiken Porträts, waren auch die Saccos, Mann und Frau, wenige Schritte von den Herren des Hauses entfernt, stehen geblieben und nahmen ihren Teil an den Glückwünschen und Begrüßungen entgegen.

»Sehen Sie!« hauchte Narcisse Pierre ganz leise zu, »das sind die Saccos – da drüben, uns gegenüber. Der kleine schwarze Mann und die Dame in malvenfarbener Seide.«

Pierre erkannte Stefana, der er bei dem alten Orlando begegnet war, an ihrem hellen Gesicht mit dem artigen Lächeln, den kleinen Zügen, die ein beginnendes Embonpoint verschwamm. Aber vor allem interessirte ihn der Gatte. Er war braun und ausgetrocknet, besaß große Augen in einem gelbsüchtigen Teint, ein hervorstehendes Kinn, eine Geierschnabelnase, kurz, die lustige Maske eines neapolitanischen Hanswursts. Dabei tanzte und schrie er und war von so überwältigend guter Laune, daß die Leute ringsum sofort gewonnen wurden. Er besaß eine außerordentliche Redseligkeit und vor allem eine Stimme, die ein unvergleichliches Bezauberungs- und Eroberungswerkzeug war. Bloß wenn man sah, wie er in diesem Salon so leicht die Herzen gewann, begriff man seine vernichtenden Erfolge in der brutalen und so mittelmäßigen Welt der Politik. Bezüglich der Heirat seines Sohnes hatte er mit seltener Geschicklichkeit manöverirt; er heuchelte gegen Celia, selbst gegen Attilio ein übertriebenes Zartgefühl und erklärte, daß er seine Einwilligung verweigere, weil er fürchte, man könne ihn beschuldigen, eine Mitgift und einen Titel zu stehlen. Er hatte erst nach den Buongiovannis nachgegeben und vor allem die Ansicht des alten Orlando einholen wollen, dessen hohe, heldenhafte Redlichkeit in ganz Italien sprichwörtlich war; er that dies um so eher, als er seiner Billigung sicher war, denn der Held scheute sich nicht, ganz laut zu wiederholen, daß die Buongiovannis sich glücklich schätzen müßten, seinen Großneffen, einen schönen Jungen mit einem gesunden und braven Herzen, in ihre Familie aufzunehmen. Er würde ihr erschöpftes, altes Blut regeneriren, indem er ihrer Tochter schöne Kinder gab. Und Sacco hatte sich bei der ganzen Angelegenheit bewundernswert den legendenhaften Namen Orlandos zu nutze gemacht, indem er die Verwandtschaft mit ihm ausposaunte, für den glorreichen Begründer des Vaterlandes eine kindliche Ehrfurcht bekundete und keinen Augenblick ahnen zu wollen schien, wie sehr ihn dieser verachtete und verwünschte. Denn Orlando war über seinen Ausstieg zur Macht verzweifelt und überzeugt, daß er das Land dem Ruin und der Schande zuführen würde.

»O, das ist ein geschmeidiger, praktischer Mann, den die Ohrfeigen nicht stören,« fuhr Narcisse, zu Pierre gewendet, fort. »Wie es scheint, sind solche skrupellose Leute in Staaten, die in Not geraten sind, die politische, finanzielle und moralische Krisen durchmachen, vonnöten. Es heißt, daß dieser mit seiner unerschütterlichen Zuversicht, seinem scharfsinnigen Geist, seinen unendlichen, vor nichts zurückschreckenden Widerstandsmitteln vollständig die Gunst des Königs erobert hat ... Aber sehen Sie nur, sehen Sie nur! Könnte man ihn nicht inmitten dieser Flut von Höflingen, die ihn umgibt, schon für den Herrn dieses Palastes halten?«

In der That häuften sich die Gäste, die grüßend an den Buongiovannis vorübergingen, um Sacco an; denn er bedeutete die Macht, gute Stellen, Pensionen, Orden, und wenn auch der Anblick des magern, schwarzen, unruhigen Mannes zwischen den großen Ahnen des Hauses noch ein Lächeln hervorrief, so umschmeichelte man ihn als die neue Macht – jene demokratische, noch so unklare Macht, die von überall, selbst aus diesem alten römischen Boden, aufstieg, auf dem das Patriziat in Trümmer lag.

»Wein Gott, welche Menge!« murmelte Pierre. »Wer sind denn alle diese Leute?«

»O, sie sind schon sehr gemischt,« antwortete Narcisse. »Die Leute gehören weder der schwarzen noch der weißen Gesellschaft mehr an, sondern der grauen. Die Evolution war verhängnisvoll; die Intransigenz eines Kardinals Boccanera kann nicht die einer ganzen Stadt, eines Volkes sein. Der Papst allein wird immer »nein« sagen und unwandelbar bleiben. Aber alles um ihn schreitet vorwärts und verwandelt sich unaufhaltsam. So wird Rom, trotz allen Widerstandes, in einigen Jahren italienisch sein. Sie wissen, wenn von jetzt ab ein Fürst zwei Söhne hat, so bleibt der eine beim Vatikan und der andere geht zum Quirinal über. Man muß doch leben, nicht wahr? Die großen Familien besitzen in der Todesgefahr nicht den Heldenmut, den Starrsinn bis zum Selbstmord zu treiben... Auch habe ich Ihnen ja schon gesagt, daß wir hier auf neutralem Boden sind; denn der Fürst Buongiovanni hat als einer der ersten die Notwendigkeit der Versöhnung begriffen. Er fühlt, daß sein Vermögen tot ist, wagt es weder in der Industrie noch in Geschäften aufs Spiel zu setzen, sieht es schon unter seine fünf Kinder zerstückelt, die es ihrerseits zerstückeln werden und hat sich darum auf Seite des Königs gestellt, ohne daß er dabei, aus Vorsicht, mit dem Papst brechen will. Sie sehen daher in diesem Salon das genaue Abbild des Zusammenbruches, des Mischmasch, der in den Ideen und Ansichten des Fürsten herrscht.«

Er unterbrach sich, um Pierre die Namen der eintretenden Personen zu nennen.

»Sehen Sie, da ist ein General, der seit seinem letzten afrikanischen Feldzug sehr beliebt ist. Wir werden heute abend sehr viele Militärs sehen; man hat alle Vorgesetzten Attilios eingeladen, um dem jungen Manne eine glorreiche Umgebung zu bereiten. Und sehen Sie, dort ist der deutsche Botschafter. Man darf annehmen, daß fast das gesamte diplomatische Corps wegen der Anwesenheit Ihrer Majestäten kommen wird. Und zum Gegensatz ... sehen Sie den dicken Mann da unten? Der ist ein sehr einflußreicher Abgeordneter, ein Reichgewordener aus dem neuen Bürgertum. Vor dreißig Jahren war er nichts als ein Pächter des Fürsten Albertini, einer jener mercanti die campagna, die in hohen Stiefeln und im weichen Hut die römische Campagna durchstreiften. Und nun, sehen Sie sich den Prälaten an, der eben eintritt ...«

»Diesen kenne ich,« sagte Pierre. »Es ist Monsignore Fornaro.«

»Ganz richtig, Monsignore Fornaro, eine Persönlichkeit. Allerdings, Sie haben mir erzählt, daß er der Berichterstatter in dem Prozeß Ihres Buches ist. Ein entzückender Prälat! Haben Sie bemerkt, mit welcher Verbeugung er eben die Fürstin grüßte? Und was eine edle Haltung, was für eine Anmut er in feinem lila Seidenmantelchen hat!« Narcisse fuhr fort, in dieser Weise das unglaublichste Tohuwabohu von Fürsten und Fürstinnen, Herzogen und Herzoginnen, Politikern und Funktionären, Diplomaten und Ministern, Bürgerlichen und Offizieren aufzuzählen – die Fremdenkolonie, Engländer, Amerikaner, Deutsche, Spanier, Russen, das alte Europa und Nord- wie Südamerika gar nicht eingerechnet. Dann kam er plötzlich wieder auf die Saccos, die kleine Frau Sacco zurück und erzählte von den heldenhaften Anstrengungen, die sie, in der guten Absicht, die ehrgeizigen Bestrebungen ihres Gatten zu unterstützen, gemacht hatte, indem sie einen Salon eröffnete. Diese sanfte, so bescheiden aussehende Frau war eine sehr geriebene Person und besaß die gediegensten Eigenschaften, eine echt piemontesische Geduld und Widerstandskraft, Ordnungsliebe und Sparsamkeit. Sie stellte daher im Hause das Gleichgewicht her, das der Gatte durch seinen Kraftüberschuß in Gefahr brachte. Er verdankte ihr sehr viel, ohne daß jemand etwas davon ahnte. Aber bisher war ihre Absicht, den letzten der schwarzen Salons einen weißen, tonangebenden Salon entgegen zu stellen, gescheitert. Sie versammelte immer nur Leute ihres eigenen Kreises, nicht ein Fürst war erschienen, und an ihren Montagen wurde getanzt, so wie in zwanzig anderen kleineren, bürgerlichen Salons, ohne Glanz und Macht. Der wirkliche weiße Salon, der die Menschen und die Dinge leitete, der Herr von Rom war, befand sich noch im Zustand der Chimäre.

»Betrachten Sie nur ihr Lächeln, während sie alles hier besieht,« fuhr Narcisse fort. »Ich bin ganz überzeugt, daß sie daraus Belehrung schöpft und daß sie Pläne entwirft. Vielleicht hofft sie endlich die gute Gesellschaft bei sich zu sehen, jetzt, da sie mit einer fürstlichen Familie verschwägert sein wird.«

Die Menge in dem doch so großen Raum wurde so dicht, daß sie erstickten, gestoßen und gegen eine Wand gedrückt wurden. Der Gesandtschaftsattaché führte den Priester weg, indem er ihm Näheres über das erste Stockwerk des Palastes erzählte. Dieser war einer der prunkvollsten von Rom und wegen der Pracht seiner Empfangsräume berühmt. Getanzt wurde in der Bildergalerie, einem zwanzig Meter langen, königlichen, von Meisterwerken überströmenden Saal, dessen acht Fenster auf den Corso gingen. Das Büffet war im Antikensaal aufgestellt; es war ein Marmorsaal, in dem sich eine in der Nähe des Tibers aufgefundene Venus befand, die mit der des Kapitols rivalisirte. Dann kam eine Reihe wunderbarer, noch in der Pracht von einst strahlender Salons; sie waren mit den seltensten Stoffen ausgeschlagen und enthielten von der einstigen Einrichtung noch einige unvergleichliche Stücke, auf die die Antiquitätenhändler in der Hoffnung auf den künftigen, unvermeidlichen Ruin lauerten. Unter diesen Salons war besonders einer, der kleine Spiegelsaal, berühmt; es war ein rundes Gemach im Stil Louis XV., gänzlich mit Spiegeln in geschnitzten, köstlichen Rokolorahinen von außerordentlicher Kostbarkeit ausgestattet.

»Sie sollen sogleich alles sehen,« sagte Narcisse. »Aber lassen Sie uns hier eintreten, wenn wir ein wenig aufatmen wollen. Hieher hat man für die schönen Damen, die sich niedersetzen, gesehen und geliebt werden wollen, die Fauteuils aus der Nebengalerie getragen.«

Der Salon war sehr groß und mit dem wunderbarsten Genueser Sammet, den man sehen konnte, ausgeschlagen; es war jener alte Sammet mit blassem Atlasgrund und leuchtenden Blumen, deren Grün, Blau und Rot aber göttlich verblichen ist und den weichen, welken Ton alter Liebesblumen angenommen hat. Auf den Pfeilertischen, in den Glasschränken befanden sich die kostbarsten Kunstgegenstände des Palastes: elfenbeinerne Kästchen, gemalte und vergoldete Holzschnitzereien, Silbersachen – eine Anhäufung von Wunderdingen. Auf die zahlreichen Sitze hatten sich thatsächlich schon Damen zurückgezogen, die die Menge flohen; sie saßen in kleinen Gruppen umher und lachten und plauderten mit den wenigen Männern, die diesen anmutigen Winkel der Galanterie entdeckt hatten. Es gab keinen lieblicheren Anblick als in dem lebhaften Licht der Lampen diese Fließe von seidenweichen, nackten Schultern, diese geschmeidigen Nacken, über die sich blondes und braunes Haar wand. Die nackten Arme stiegen wie lebendige Blumen aus Fleisch und Blut aus dem reizenden Gewirr zarter Toiletten hervor. Die Fächer bewegten sich langsam, wie um das Feuer der kostbaren Steine zu steigern, und verbreiteten bei jedem Wehen einen weiblichen Duft, gemischt mit einem vorherrschenden Veilchenparfüm.

»Ei, unser guter Freund, Monsignore Nani!« rief Narcisse. »Er begrüßt dort unten die österreichische Botschafterin.«

Sobald Nani den Priester und seinen Gefährten erblickte, ging er auf sie zu und alle drei traten in eine Fensternische, um einen Augenblick in Muße zu plaudern. Der Prälat lächelte, von der Schönheit des Festes entzückt, bewahrte aber inmitten aller dieser prangenden Schultern die heitere Ruhe einer dreifach mit Unschuld gepanzerten Seele, als hätte er sie nicht einmal gesehen.

»Ah, mein Sohn, wie freue ich mich, Sie wiederzusehen!« sagte er zu Pierre. »Nun, was sagen Sie zu unserm Rom, wenn es sich mit Festegeben befaßt?«

»Monsignore, es ist herrlich!«

Der Prälat sprach gerührt von der hohen Frömmigkeit Celias und stellte sich, als sehe er bei dem Fürsten und der Fürstin nichts als Getreue des Vatikans, um dem letzteren mit diesem prunkvollen Feste die Ehre zu geben. Er schien nicht einmal zu wissen, daß der König und die Königin kommen sollten. Dann sagte er plötzlich:

»Mein lieber Sohn, ich habe den ganzen Tag an Sie gedacht. Ja, ich habe erfahren, daß Sie Seine Eminenz den Kardinal Sanguinetti in Angelegenheit Ihres Prozesses besucht haben. Nun, wie hat er Sie empfangen?«

»O, sehr väterlich. Anfangs gab er mir zu verstehen, in welcher Verlegenheit er sich als Beschützer von Lourdes befinde, aber als ich fortging, war er reizend. Er hat mir förmlich seine Hilfe versprochen – mit einem Zartgefühl, das mich sehr rührte.«

»Wirklich, mein lieber Sohn! Uebrigens wundert mich das nicht. Seine Eminenz ist so gut!«

»Und ich muß gestehen, Monsignore, daß ich mit leichtem Herzen und voll Hoffnung zurückgelehrt bin. Mir scheint, daß mein Prozeß von nun an zur Hälfte gewonnen ist.«

»Das ist sehr natürlich. Ich verstehe das.«

Nani lächelte noch immer. Ein Anflug von Ironie verschärfte sein seines, geistreiches Lächeln, aber so diskret, daß man den Stich nicht fühlte. Nach einem kurzen Schweigen fügte er sehr einfach hinzu:

»Ein Unglück nur, daß Ihr Buch vorgestern von der Indexkongregation verdammt worden ist. Sie hatte sich auf eine Berufung des Sekretärs hin eigens versammelt und das Urteil wird sogar übermorgen Seiner Heiligkeit zur Unterzeichnung vorgelegt werden.«

Pierre blickte ihn betäubt an. Wenn der alte Palast über seinem Haupte zusammengebrochen wäre, so hätte es ihn nicht mehr niedergeschmettert. Es war also aus! Die Reise, die er nach Rom unternommen, das Experiment, das er dort versuchen wollte, lief also auf diese Niederlage aus, die er so plötzlich, inmitten dieses Festes erfuhr! Und er hatte sich nicht einmal verteidigen können, er hatte seine Zeit verloren, ohne jemand zu finden, mit dem er sprechen, vor dem er seine Sache hätte vertreten können! Der Zorn stieg in ihm auf und er konnte nicht umhin, halblaut und bitter zu sagen:

»Ah, wie man mich zum Narren gehalten hat! Dieser Kardinal, der noch heute vormittag zu mir sagte: ›Wenn Gott mit Ihnen ist, wird er Sie retten, sogar gegen unsern Willen!‹ Ja, ja, jetzt verstehe ich es; er spielte mit den Worten, er wünschte mir bloß ein Unheil, damit mir die Unterwerfung den Himmel gewinnt. Mich unterwerfen! O, das kann ich nicht, das kann ich noch nicht! Mein Herz schwillt zu sehr vor Empörung und Kummer.«

Nani hörte neugierig zu; er studirte ihn.

»Aber, mein lieber Sohn, es ist ja nichts entschieden, so lange der heilige Vater nicht unterzeichnet hat. Sie haben den morgigen Tag und sogar übermorgen vormittag vor sich. Ein Wunder ist immer möglich.«

Und während Narcisse, der in lange Hälse und kindliche Busen verliebte Aesthetiker, die Damen betrachtete, nahm er ihn beiseite und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Hören Sie, ich habe Ihnen etwas im tiefsten Geheimnis mitzuteilen. Suchen Sie mich einen Augenblick, während des Cotillons, im kleinen Spiegelsaal auf. Wir werden dort in Ruhe reden.«

Pierre versprach es mit einer Kopfbewegung; der Prälat entfernte sich diskret und verlor sich in der Menge. Aber in den Ohren des Priesters summte es. Er vermochte nicht mehr zu hoffen. Was würde er in einem Tage thun, da er drei Monate verloren hatte, ohne auch nur einen Empfang beim Papst zu erreichen? In seiner Betäubung hörte er plötzlich Narcisse, der von Kunst sprach.

»Es ist erstaunlich, wie der Frauenkörper seit unseren schrecklichen, demokratischen Zeiten zu Schanden geworden ist. Er wird dick, er wird furchtbar gewöhnlich. Sehen Sie doch, hier vor uns ist keine, die die florentinische Linie, die kleine Brust, den schlanken, königlichen Hals besitzt ...«

Er unterbrach sich, um zu rufen:

»O, da ist eine, die ziemlich nett ist – die Blonde, mit dem Scheitel ... die dort, an die Monsignore Fornaro eben herangetreten ist.«

In der That, seit einer Weile ging Monsignore Fornaro mit liebenswürdiger Eroberermiene von einer schönen Dame zur andern. Er sah an diesem Abend mit seiner hohen, dekorativen Gestalt, seinen blühenden Wangen, seiner siegreichen Anmut prächtig aus. Keinerlei leichtfertige Geschichten waren über ihn im Umlauf; man hielt ihn einfach für einen galanten Prälaten, der sich in Frauengesellschaft gefiel. Er blieb stehen, plauderte, beugte sich über nackte Schultern, streifte sie und atmete ihren Duft mit feuchten Lippen und lachenden Augen, in einer Art frommer Verzückung ein.

Er bemerkte Narcisse, dem er manchmal begegnete, und trat ihm entgegen. Der junge Mann mußte ihn begrüßen.

»Monsignore befinden sich wohl, seit ich die Ehre hatte, Sie auf der Botschaft zu sehen?«

»O, sehr wohl, sehr wohl. Ein entzückendes Fest, wie?«

Pierre hatte sich verbeugt. Das war der Mann, dessen Bericht zur Verdammung seines Buches geführt hatte. Aber er machte ihm vor allem seine schmeichelnde Miene, die falschen Versprechungen zum Vorwurf, die er ihm bei seinem so reizenden Empfang gemacht hatte. Der schlaue Prälat mußte jedoch fühlen, daß er das Urteil der Kongregation erfahren habe. Er hielt es daher für würdiger, ihn nicht offen zu erkennen und begnügte sich ebenfalls, mit leichtem Lächeln den Kopf zu neigen.

»Nein, wie viele Leute!« wiederholte er. »Und was für schöne Damen! Man wird sich in diesem Salon bald nicht mehr bewegen können.«

Nun waren alle Sitzplätze mit Damen besetzt und man begann inmitten dieses Veilchenparfüms, das der Duft der blonden oder braunen Nacken erwärmte, zu ersticken. Die Fächer wehten lebhafter, aus dem wachsenden, wirren Lärm stieg helles Lachen auf, und in dem wahren Aufruhr von Gesprächen vernahm man immer wieder dieselben Worte. Zweifellos war eben eine Nachricht, ein Gerücht aufgetaucht, das man sich zuflüsterte, das eine Gruppe nach der andern in fieberhafte Aufregung versetzte.

Monsignore Fornaro, der ganz auf dem Laufenden war, wollte selbst die Nachricht mitteilen, die man noch nicht laut aussprach.

»Wissen Sie, worüber alle Damen sich ereifern?«

»Ueber die Gesundheit des heiligen Vaters?« fragte Pierre in seiner Unruhe. »Hat sich der Zustand heute abend noch verschlimmert?«

Der Prälat sah ihn erstaunt an, dann sagte er mit einer Art Ungeduld:

»O nein, nein, Seiner Heiligkeit geht es Gott sei Dank viel besser! Eben hat mir jemand aus dem Vatikan gesagt, daß der heilige Vater nachmittags aufstehen und seine Intimen wie gewöhnlich empfangen konnte.«

»Man hat doch große Angst gehabt,« fiel nun Narcisse ein. »Ich gestehe, wir waren in der Botschaft nicht sehr beruhigt, denn ein Konklave wäre in diesem Augenblick eine ernste Sache für Frankreich. Es besäße darin gar keine Macht. Unsere republikanische Regierung hat unrecht, das Papsttum als eine quantité négligeable zu behandeln. Aber weiß man je, ob der Papst krank ist oder nicht? Ich habe von sicherer Seite erfahren, daß er im vorigen Winter, als Niemand ein Wort davon sagte, beinahe weggerafft worden wäre, während ich ihn beim letztenmal, als alle Zeitungen ihn töteten, indem sie von einer Bronchitis sprachen, mit meinen eigenen Augen sehr frisch und munter gesehen habe. Ich glaube, er ist krank, wenn es nötig ist.«

Monsignore Fornaro schob mit einer eiligen Geberde dieses ungelegene Thema beiseite.

»Nein, nein, man ist ganz beruhigt, es wird davon nicht mehr gesprochen ... Was alle diese Damen so in Eifer bringt, ist, daß die Konzilskongregation heute in dem Prozeß Prada die Annullirung der Ehe mit großer Stimmenmehrheit votirt hat.«

Pierre geriet abermals in Aufregung. Da er nach seiner Rückkehr aus Frascati noch keine Zeit gehabt hatte, jemand aus dem Palazzo Boccanera zu sehen, so fürchtete er, daß es eine falsche Nachricht sein könne.

Der Prälat glaubte sein Ehrenwort geben zu müssen.

»Es ist ganz sicher, ich habe die Nachricht von einem Mitgliede der Kongregation erhalten.«

Aber plötzlich entschuldigte er sich und entschlüpfte.

»Verzeihung, aber da ist eine Dame, die ich nicht bemerkte und begrüßen möchte.«

Er lief sofort zu ihr hin und umschwärmte sie. Da er sich nicht setzen konnte, blieb er, seine hohe Gestalt herabbeugend, stehen, als hülle er die junge, so frische, so stark entblößte Frau, die bei der leichten Berührung des lila Seidenmäntelchens so schön lachte, mit seiner galanten Höflichkeit ein.

»Sie kennen diese Dame, nicht wahr?« fragte Narcisse Pierre. »Nein? Wirklich nicht? Das ist die gute Freundin des Grafen Prada, die reizende Lisbeth Kauffmann, die ihm eben einen dicken Jungen geschenkt hat und heute abend zum erstenmal wieder in Gesellschaft erscheint. Sie wissen, sie ist eine Deutsche, hat hier ihren Gatten verloren und malt ein bißchen, sogar ziemlich hübsch. Den Damen der Fremdenkolonie wird viel verziehen, und diese ist wegen der rosigen Laune, mit der sie in ihrem kleinen Palast in der Via Principe Amadeo empfängt, besonders beliebt. Sie können sich denken, daß die Nachricht von der Annullirung der Ehe sie belustigen muß!«

Diese hochblonde, tiefrosige, sehr lustige Lisbeth mit ihrer Atlashaut, ihrem Milchgesicht, ihren so zart blauen Augen, ihrem Munde, dessen liebenswürdiges Lächeln durch seine Anmut berühmt war, war wirklich köstlich; insbesondere an diesem Abend besaß sie in ihrem weißen, goldgeflitterten Seidenkleide eine solche Lebensfreude, eine solche glückliche Gewißheit, frei, geliebt zu sein und zu lieben, daß die Nachricht, die man sich ringsum zuflüsterte, die Bosheiten, die hinter dem Fächer gesprochen worden, sich zu ihrem Triumph zu wenden schienen. Aller Blicke waren einen Augenblick auf sie gerichtet, unterdrücktes Gelächter ertönte und unehrerbietige Scherze kreisten ganz leise von Mund zu Ohr, während sie, strahlend in ihrer frech-heitern Ruhe, mit entzückter Miene die Galanterien Monsignore Fornaros entgegennahm. Er beglückwünschte sie zu einem Gemälde, einer Jungfrau mit der Lilie, das sie in eine Ausstellung geschickt hatte.

Ach, welche Aufregung diese Annullirung der Pradaschen Ehe, die seit einem Jahr die Lästerchronik Roms bestritt, noch ein letztesmal hervorrief, als die Nachricht davon mitten in diesen Ball hineinfiel! Die schwarze und die weiße Gesellschaft hatten sie schon lange als ein Schlachtfeld auserwählt, um darauf die unglaublichsten Nachreden, endlose Klatschereien und märchenhafte Geschichten auszutauschen. Nun war es aus. Der unerschütterliche Vatikan wagte die Annullirung unter dem Vorwand auszusprechen, daß die Ehe infolge Unvermögens des Gatten nicht habe vollzogen werden können. Ganz Rom würde darüber lachen; sobald es sich um Geldangelegenheiten der Kirche handelte, zeigte es offen seinen Skeptizismus. Schon waren die Ereignisse des Kampfes niemand unbekannt; alle Welt wußte, daß der empörte Prada sich abseits gehalten, die unruhigen Boccaneras Himmel und Erde in Bewegung gesetzt hatten, daß unter die Kreaturen der Kardinäle Geld ausgeteilt worden war, um ihren Einfluß zu kaufen, und daß man den zuletzt günstigen Bericht des Monsignore Palma indirekt mit einer großen Summe bezahlt hatte. Man sprach von mehr als hunderttausend Franken im ganzen, was man nicht allzu teuer fand; denn eine andere Scheidung, die einer französischen Gräfin, hatte beinahe eine Million gekostet. Der heilige Vater hatte so viele Bedürfnisse! Uebrigens ärgerte das niemand; man begnügte sich damit, boshaft darüber zu scherzen. Die Fächer wehten in der wachsenden Hitze noch immer und die Damen überlief bei dem diskreten Flug der leichtfertigen, kaum gemurmelten Worte, die ihre nackten Schultern streiften, ein behagliches Zittern.

»O, wie froh muß die Contessina sein!« hob Pierre wieder an. »Ich habe nicht begriffen, warum ihre kleine Freundin bei unserm Kommen sagte, daß sie heute abend so glücklich und so schön sein werde. Sicherlich kommt sie deshalb – sie, die sich seit dem Prozeß als in der Trauer befindlich erachtete.«

Aber Lisbeth hatte Narcisse, dessen Blick sie begegnet war, zugelächelt und er mußte sie nun ebenfalls begrüßen gehen; denn er kannte sie, da er wie die ganze Fremdenkolonie ihr Atelier besucht hatte. Er kehrte zu Pierre zurück, als eine neue Erregung die Diamantenaigretten und Blumen in den Frisuren erzittern ließ. Die Köpfe wandten sich, der wirre Lärm wuchs.

»Ei, Graf Prada in eigener Person!« murmelte Narcisse verwundert. »Nun, eine schöne Schulterbreite besitzt er! In Sammet und Gold gekleidet, gäbe er eine gute Figur eines Abenteurers aus dem fünfzehnten Jahrhundert ab, der ohne Bedenken in alle Genüsse beißt!«

Prada trat mit sehr unbefangener, heiterer, fast triumphirender Miene ein. Mit seinen offenen, harten Augen, seinem energischen, von einem dichten, braunen Schnurrbart durchquerten Gesicht über dem breiten, weißen Hemdplastron, das der Frack schwarz umrahmte, hatte er wirklich etwas Stolzes und Beutegieriges an sich. Noch nie hatte sein gefräßiger Mund sein Wolfsgebiß in einem entzückteren, sinnlicheren Lächeln gezeigt. Mit einem raschen Blick prüfte und entkleidete er alle Frauen. Dann, als er die so spitzbübische, so rosige und blonde Lisbeth erblickt hatte, wurde er etwas milder und ging ganz offen auf sie zu, ohne sich im geringsten um die brennende Neugierde zu kümmern, mit der man ihn betrachtete. Er beugte sich zu ihr herab und sprach eine Weile leise mit ihr, sobald Monsignore Fornaro ihm seinen Platz abgetreten hatte. Zweifellos wurde ihm die im Umlauf befindliche Nachricht von der jungen Frau bestätigt, denn er machte, als er sich aufrichtete, eine Geberde und lachte etwas gezwungen.

Nun sah er Pierre und gesellte sich zu ihm in die Fensternische. Er drückte auch Narcisse die Hand und sagte sogleich mit seiner gewöhnlichen Bravour:

»Sie wissen, was ich sagte, als wir heute von Frascati zurückkamen. Nun, wie es scheint, ist es geschehen. Meine Ehe ist annullirt worden. Das ist so plump, so unverschämt, so albern, daß ich noch eben daran zweifelte.«

»O, es ist ganz sicher,« erlaubte sich Pierre zu sagen. »Die Nachricht ist uns eben von Monsignore Fornaro bestätigt worden, der sie von einem Mitglied der Kongregation hat. Man behauptet, daß die Majorität sehr groß war.«

Abermals wurde Prada von einem Lachen geschüttelt.

»Nein, nein, eine solche Posse kann man sich gar nicht vorstellen. Das ist meines Wissens die schönste Ohrfeige, die man der Gerechtigkeit und dem gesunden Menschenverstand versetzt hat. O, wenn es nun auch gelingt, die bürgerliche Ehe zu lösen, und wenn meine Freundin, die Sie da drüben sehen, einverstanden ist – wie wird sich da Rom unterhalten! Gewiß, ich werde sie mit großem Pomp in S. Maria Maggiore heiraten! Und es gibt irgendwo in der Welt ein liebes, kleines Wesen, das auf den. Arm seiner Amme das Fest mitfeiern wird!«

Er lachte bei dieser Anspielung auf sein Kind, diesen lebenden Beweis seiner Männlichkeit, allzu laut, allzu brutal. Litt er, da er eine Falte um die Lippen hatte, die sie zurückschob und seine weißen Zähne zeigte? Man fühlte, daß er zitterte, daß er gegen das Erwachen einer heimlichen, stürmischen Leidenschaft kämpfte, die er sich nicht einmal selbst eingestand.

»Und kennen sie auch die andere Neuigkeit, lieber Abbé?« fuhr er lebhaft fort. »Hat man Ihnen gesagt, daß die Gräfin kommen soll?«

So nannte er Benedetta aus Gewohnheit; er vergaß, daß sie nicht mehr seine Frau war.

»Allerdings, man hat es mir eben gesagt,« antwortete Pierre.

Er zögerte einen Augenblick, ehe er in dem Bedürfnis, jedweder peinlichen Ueberraschung vorzubeugen, hinzufügte:

»Zweifellos werden wir auch den Fürsten Dario sehen, denn er ist nicht nach Neapel abgereist, wie ich Ihnen sagte. Ich glaube, im letzten Moment trat eine Verhinderung ein.«

Prada lachte nicht mehr, sondern murmelte bloß mit plötzlich ernst gewordenem Gesicht:

»Ah, der Vetter ist dabei! Nun, so werden wir sie sehen, alle beide sehen!«

Und während die Freunde ihr Gespräch fortsetzten, verstummte er, überwältigt von einer Mut ernster Gedanken, die ihn zum Nachdenken zwangen. Dann machte er eine entschuldigende Geberde, drückte sich tiefer in die Nische, zog ein Notizbuch aus der Tasche und riß ein Blatt heraus, auf das er, nur die Schriftzüge etwas dicker auftragend, mit Bleistift folgende paar Zeilen schrieb: »Eine Legende behauptet, daß der Feigenbaum des Judas, tödlich für jeden, der eines Tages Papst werden will, in Frascati wieder wächst. Essen Sie nicht die vergifteten Feigen, geben Sie sie weder Ihren Leuten noch Ihren Hennen.« Er faltete das Blatt zusammen, versiegelte es mit einer Postmarke und schrieb die Adresse darauf: »An Seine Ehrwürdigste und Erlauchteste Eminenz Kardinal Boccanera.« Als er alles wieder in die Tasche gesteckt hatte, atmete er tief auf und fand sein Lachen wieder.

Etwas wie ein unbesiegbares Unbehagen, ein ferner Schrecken hatte ihn erstarrt. Ohne daß sich eine bestimmte Schlußfolgerung in ihm gebildet hätte, fühlte er das Bedürfnis, sich gegen die Versuchung einer Niedertracht, eines möglichen Greuels zu sichern. Aber er hätte die Ideenverbindung, die ihn zwang, die vier Zeilen sofort, auf der Stelle, ohne Zögern, bei Strafe des höchsten Unglücks, niederzuschreiben, nicht erklären können. Er hatte nur einen bestimmten Gedanken: er wollte das Billet beim Verlassen des Balles in den Briefkasten des Palastes Boccanera werfen. Nun war er ruhig.

»Was haben Sie denn, lieber Abbé?« fragte er. indem er sich von neuem ins Gespräch mischte. »Sie sind ja ganz düster geworden.«

Als Pierre ihm die böse Nachricht mitgeteilt hatte, daß sein Buch verdammt, daß er morgen mir einen einzigen Tag zum Handeln übrig habe, wenn er nicht wolle, daß seine Reise nach Rom eine Niederlage sei, rief er, als empfände er selbst ein Bedürfnis nach Aufregung, nach Betäubung, um trotz allem hoffen und leben zu können:

»Pah, pah, verlieren Sie nicht den Mut! Man läßt dabei seine ganze Kraft. Ein Tag ist viel, in einem Tage kann man vieles thun! Eine Stunde, eine Minute genügt dem Schicksal, um zu handeln und Niederlagen in Siege zu verwandeln.«

Und fieberhaft fügte er hinzu:

»Kommen Sie, gehen wir in den Ballsaal. Wie es scheint, ist es dort wunderbar.«

Während Pierre und Narcisse ihm folgten, wechselte er einen letzten, zärtlichen Blick mit Lisbeth; alle drei machten sich mit großer Mühe frei und erreichten die Nebengalerie inmitten der eiligen Flut von Frauenröcken, inmitten dieser Schlagwelle von Nacken und Schultern, aus der die lebengebende Leidenschaft, der Duft der Liebe und des Todes aufstieg.

Die zehn Meter breite und zwanzig Meter lange Galerie entfaltete sich in unvergleichlicher Pracht. Ihre acht kahlen, weder mit Vorhängen noch mit Vitragen versehenen Fenster gingen auf den Corso hinaus und entflammten die gegenüberliegenden Häuser. Eine blendende Helle herrschte; sieben Paar ungeheurer, marmorner Armleuchter wurden von Büscheln elektrischer Lampen in riesige, sonnenartige Pechfackeln verwandelt, und oben, längs des Karnies bildeten andere, von hellfarbigen Blumen umschlossene Lampen ein wunderbares Gewinde von Feuerblüten, Tulpen, Päonien und Rosen. Der alte, mit Goldborten besetzte rote Sammet der Wandtapeten besaß einen feurigen Widerschein, eine helle Glut. Die Behänge an Thüren und Fenstern bestanden aus alten Spitzen, die in farbiger Seide ebenfalls mit Blumen von lebensvoller Kraft bestickt waren. Aber der unvergleichliche, in der Welt einzig dastehende Schatz war die Sammlung von Meisterwerken unter der prächtigen Decke mit den mit Goldrosetten geschmückten Deckenfeldern. Kein Museum hatte eine schönere auszuweisen. Da waren Raffaels, Tizians, Rembrandts, Rubens', Velasquez' und Riberas – hochberühmte Werke, die in dieser unerwarteten Beleuchtung plötzlich in triumphirender Jugend erschienen, als wären sie gleichsam zu dem unsterblichen Leben des Genies wieder erwacht. Da Ihre Majestäten erst gegen Mitternacht kommen sollten, war der Ball eben eröffnet worden; ein Walzer trug die Paare dahin, zarte Toiletten flogen durch die prunkvolle Menge, Ordensdekorationen und Kleinodien, goldgestickte Uniformen und perlenbestickte Kleider rieselten in einem sich unaufhörlich ausbreitenden Schwall von Sammet, Seide und Atlas.

»Das ist wirklich wunderbar!« erklärte Prada mit seiner aufgeregten Miene. »Kommen Sie doch hierher, wir werden uns wieder in eine Fensternische stellen. Es gibt keinen bessern Platz, um alles gut zu sehen, ohne zu viel gestoßen zu werden.«

Sie hatten Narcisse verloren und so waren Pierre und der Graf, als sie endlich die gewünschte Nische erreichten, nur ihrer zwei. Das auf einer kleinen Estrade im Hintergründe aufgestellte Orchester hatte eben den Walzer beendet und die Tanzenden schritten wieder langsam, mit entzückt betäubter Miene, durch die wachsende Flut der Menge, als einige Personen erschienen, deren Eintreten alle Köpfe herumfahren ließ. Donna Serafina, in einem karmesinroten Atlaskleide, als trage sie die Farben ihres Bruders, des Kardinals, trat wie eine Königin am Arme des Konsistorialanwalts Morano ein. Nie hatte sie ihre dünne, mädchenhafte Taille mehr geschnürt, nie hatte ihr hartes, von großen Falten durchfurchtes und von dem weißen Haar kaum gemildertes Altjungferngesicht eine so störrische und so siegreiche Gewalt ausgedrückt. Ein diskretes, beifälliges Gemurmel erhob sich; es war eine Art allgemeiner Erleichterung, denn die römische Gesellschaft hatte das unwürdige Vorgehen Moranos, ein dreißigjähriges Verhältnis zu brechen, an das sich die Salons wie an eine rechtmäßige Ehe gewöhnt hatten, unbedingt verurteilt. Man sprach von einer unmöglichen Laune für eine kleine Bürgerliche, von einem schlechten Vorwand zum Bruche, den ein Streit über die damals fragliche Scheidung Benedettas bieten sollte. Das Zerwürfnis hatte beinahe zwei Monate gedauert – zum großen Aergernis Roms, in dem der Kultus langer, zärtlicher Liebesverhältnisse noch immer besteht. Daher berührte die Aussöhnung alle Herzen als eine der glücklichsten Folgen des am selben Tage bei der Konzilskongregation gewonnenen Prozesses. Der reuige Morano, Donna Serafinas Wiedererscheinen an seinem Arme – das war sehr schön, das war der Sieg der Liebe; nun war die gute Sitte gerettet, die Ordnung wieder hergestellt.

Aber ein noch größeres Aufsehen entstand, als hinter ihrer Tante Benedetta sichtbar ward, die an der Seite Darios eintrat. Diese ruhige Gleichgiltigkeit gegen die gewöhnlichen Anstandsgründe, dieser Sieg ihrer eingestandenen, vor allen gefeierten Liebe an demselben Tage, an dem ihre Ehe annullirt worden war, erschien als eine so hübsche Kühnheit, als ein solcher Heldentrotz der Jugend und Hoffnung, daß sie ihnen sofort unter einem Murmeln allgemeiner Bewunderung vergeben ward. Gleich Celia und Attilio flogen ihnen die Herzen wegen des Schönheitsglanzes, in dem sie strahlten, wegen des außerordentlichen Glückes, das von ihren Gesichtern leuchtete, entgegen. Dario, noch blaß von seiner langen Krankheit, besaß bei seiner ein wenig schwächlichen Zartheit, seinen schönen, klaren Kinderaugen, seinem braunen Barte, der wie der eines jungen Gottes gekräuselt war, etwas Freies und Stolzes, in dem sich das ganze alte fürstliche Blut der Boccaneras wiederfand. Benedetta, sehr weiß unter ihrer schwarzen Haarkrone, sehr ruhig, sehr gesetzt, ließ ihr schönes Lachen ertönen. Dieses Lachen war bei ihr sehr selten, aber von unwiderstehlich verführerischem Reiz; es verwandelte sie, gab ihrem etwas starken Munde einen blumenhaften Zauber und erfüllte die Unendlichkeit ihrer großen, düstern, unergründlichen Augen mit Himmelsklarheit. Und in dieser wiederkehrenden, so heitern, so süßen Kindheit war sie von dem köstlichen Instinkt geleitet worden, ein weißes Kleid, ein ganz schlichtes Mädchenkleid anzuziehen, dessen Symbol ihre Jungfräulichkeit, die große, reine Lilie verkündete, die sie beharrlich für den Gatten ihrer Wahl geblieben war. Nichts von ihrem Körper war noch zu sehen; sie hatte sich nicht einmal einen diskreten Halsausschnitt gestattet. Das Geheimnis undurchdringlicher, furchtbarer Liebe, die Allmacht erhabener Frauenschönheit schlummerte hier, weiß verhüllt. Kein Schmuck, kein Kleinod war an ihr zu sehen – weder an den Händen noch in den Ohren, und auf dem Leibchen nichts als ein Halsband: aber es war das Halsband einer Königin, das berühmte Perlenhalsband der Boccaneras, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, das ganz Rom kannte. Die fabelhaft großen Perlen waren nachlässig um ihren Hals geworfen, aber sie genügten, um ihr in ihrem einfachen Kleide Königswürde zu verleihen.

»O, wie glücklich, wie schön ist sie!« murmelte Pierre verzückt.

Er bereute sogleich, so laut gedacht zu haben, denn er hörte neben sich einen dumpfen Klageton wie von einem Wild, ein unwillkürliches Murren, das ihn an die Gegenwart des Grafen erinnerte. Dieser erstickte übrigens den Aufschrei seiner jählings wieder geöffneten Wunde, und hatte sogar noch die Kraft, eine brutale Heiterkeit zu heucheln.

»Zum Henker, es fehlt ihnen beiden nicht an Sicherheit! Hoffentlich wird man sie vor uns verheiraten und betten.«

Dann bereute er diese rohe Scherzhaftigkeit, in der sich der Schmerz des ungesättigten männlichen Verlangens aufbäumte, und wollte sich gleichgiltig zeigen.

»Sie ist heute wirklich hübsch. Wissen Sie, sie hat die schönsten Schultern von der Welt; es ist ein wahrer Erfolg für sie, daß sie noch schöner aussieht, indem sie sie nicht zeigt.«

Es gelang ihm, mit zerstreuter Miene weiterzusprechen und er erzählte unbedeutende Thatsachen von der Frau, die er beharrlich noch immer »die Gräfin« nannte. Aber er hatte sich etwas tiefer in die Nische zurückgezogen, zweifellos aus Furcht, daß man seine Blässe, das schmerzliche Zucken bemerken könne, das seine Lippen verzerrte. Er war nicht mehr im stande, zu kämpfen, sich neben der so naiv zur Schau gestellten Freude des Paares lachend und frech zu zeigen und war glücklich über die Frist, die ihm in diesem Augenblick die Ankunft des Königs und der Königin schenkte.

»Ah, da sind Ihre Majestäten!« rief er, indem er sich zum Fenster wendete. »Sehen Sie nun das Gedränge auf der Straße!«

In der That drang trotz der geschlossenen Fenster der Lärm einer Menge von den Bürgersteigen herauf, und als Pierre hinausblickte, sah er in dem Widerschein der elektrischen Lampen eine Flut von menschlichen Köpfen den Fahrweg überschwemmen und sich um die Karossen drängen. Er war dem König bereits mehrmals auf seinen täglichen Spaziergängen in die Villa Borghese begegnet; er kam dahin wie ein bescheidener Rentner, ein braver Bürgersmann, ohne Leibwache, ohne Eskorte und nur ein Adjutant saß neben ihm in der Viktoria. Manchmal war er allein und lenkte selbst, nur von einem Bedienten in schwarzer Livree begleitet, sein leichtes Phaeton. Einmal hatte er sogar die Königin mitgenommen und beide saßen neben einander wie ein gutes Ehepaar, das zum Vergnügen spazieren fährt. Die geschäftige Menge in den Straßen, die Spaziergänger in den Gärten begnügten sich, als sie sie so vorüberfahren sahen, mit einer liebevoll grüßenden Geberde, ohne sie mit Zurufen zu belästigen, während die expansiveren Naturen bloß frei näher traten, um ihnen zuzulächeln. Pierre, in seiner überlieferten Vorstellung von den Königen, die sich schützen und umgeben von militärischem Pomp vorüberziehen, war daher von der liebenswürdigen Gutmütigkeit dieses mit schöner Sicherheit inmitten der lächelnden Liebe seines Volkes einhergehenden Königspaares seltsam überrascht und gerührt. Auch noch andere Einzelheiten über den Quirinal waren ihm von allen Seiten zugekommen; man erzählte ihm von der Güte und Einfachheit des Königs, seinem Verlangen nach Frieden, seiner Leidenschaft für die Jagd, die Einsamkeit und das Freie, die ihn wohl oft in dem Abscheu vor der Macht von einem freien Leben träumen ließ – fern von jener autoritativen Herrscherarbeit, für die er gar nicht geschaffen zu sein schien. Aber insbesondere die Königin wurde angebetet; sie war von einer so natürlichen und reinen Ehrenhaftigkeit, daß sie allein von den Skandalen Roms nichts wußte, war sehr gebildet, kannte gut alle Literaturen und fühlte sich sehr glücklich, daß sie intelligent und ihrer Umgebung weit überlegen war. Sie wußte das und ließ es gerne, ohne Anstrengung, mit vollkommener Anmut sehen.

Prada, der gleich Pierre das Gesicht gegen eine Scheibe des Fensters gedrückt hielt, deutete mit einer Geberde auf die Menge.

»Jetzt, nachdem sie die Königin gesehen haben, werden sie ruhig schlafen gehen. Und es gibt da unten keinen einzigen Polizeiagenten, dafür stehe ich Ihnen gut – – Ah, geliebt werden, geliebt werden!«

Sein Weh erfaßte ihn von neuem; er wandte sich wieder der Galerie zu.

»Achtung, mein Lieber,« scherzte er. »Der Eintritt Ihrer Majestäten darf nicht verpaßt werden. Das ist das Schönste an dem Fest.«

Ein paar Minuten verstrichen, dann unterbrach sich das Orchester plötzlich mitten in einer Polka, um mit der ganzen Kraft seiner Blechinstrumente den Königsmarsch zu spielen. Unter den Tanzenden trat eine Zerrüttung ein und die Mitte des Saales leeret sich. König und Königin traten ein, begleitet von den Fürsten und der Fürstin Buongiovanni, die sie am Fuße der Treppe empfangen hatten. Der König war einfach im Frack, die Königin trug eine strohgelbe, mit einer wunderbaren, weißen Spitze bedeckte Atlasrobe, und unter dem Brillantendiadem, das ihr schönes, blondes Haar umschloß, sah ein rundes und frisches, aus Liebenswürdigkeit, Sanftmut und Geist gebildetes Gesicht hervor. Sie hatte ein äußerst jugendliches Aussehen. Die Musik spielte noch immer mit bewillkommender, begeisterter Heftigkeit. In der Flut der Zuschauer, die dem Königspaare folgten, um zu schauen, erschien auch Celia, hinter ihrem Vater und ihrer Mutter; dann kamen Attilio, die Saccos, Verwandte, offizielle Persönlichkeiten. Da man die Beendigung des königlichen Umzuges abwartete, hörte und sah man inmitten der klingenden Instrumente und der leuchtenden Lampen noch nichts als Grüße, Blicke, Lächeln; alle Eingeladenen standen, stießen einander und bildeten, mit ausgestrecktem Hals und glänzenden Augen sich reckend, eine steigende Flut von Köpfen und juwelenfunkelnden Schultern.

Endlich verstummte das Orchester und die Vorstellungen fanden statt. Ihre Majestäten, die Celia übrigens bereits kannten, beglückwünschten sie mit wahrhaft elterlicher Güte. Aber Sacco war als Minister sowohl wie als Vater vor allem darauf bedacht, seinen Sohn Attilio vorzustellen. Der kleine Mann krümmte sein geschmeidiges Rückgrat, fand die passenden, schönen Worte, so daß er vor dem König den Lieutenant sich verneigen ließ, während er der Königin die Huldigung des schönen, so leidenschaftlich geliebten Jünglings vorbehielt. Ihre Majestäten legten abermals ein außerordentliches Wohlwollen an den Tag, sogar gegen Frau Sacco, die sich, stets bescheiden und vorsichtig, im Schatten hielt. Und nun begab sich etwas, was, von Salon zu Salon weitergetragen, endlose Kommentare erwecken sollte. Als die Königin Benedetta erblickte, die Graf Prada ihr nach der Hochzeit zugeführt hatte, lächelte sie ihr zu, da sie für ihre Schönheit und ihren Reiz eine zärtliche Bewunderung empfand; die junge Frau mußte sonach näher treten und erhielt die ungewöhnliche Begünstigung eines einige Minuten währenden Gespräches. Es war von den liebenswürdigsten Worten begleitet, die alle Nebenstehenden hören konnten. Die Königin wußte sicherlich nichts von dem Ereignis des Tages, der annullirten Ehe mit Prada, der bevorstehenden Verbindung mit Dario, die bei diesem Feste öffentlich verkündigt wurde, so daß es fortan eine Doppelverlobung feierte. Aber der Eindruck war nichtsdestoweniger hervorgerufen worden, und man sprach nun von nichts mehr als von den Komplimenten, die die tugendhafteste und geistreichste der Königinnen an Benedetta gerichtet hatte. Ihr Triumph war dadurch noch gesteigert; sie wurde in diesem Glück, endlich dem erwählten Gatten anzugehören, noch schöner, noch stolzer, noch sieghafter. Das waren nun für Prada unsägliche Leiden. Während die Herrscher fortfuhren, sich zu unterhalten – die Königin mit den Damen, die sie begrüßten, der König mit Offizieren, Diplomaten, einem ganzen Aufzug von wichtigen Persönlichkeiten – sah Prada immer nur Benedetta, die beglückwünscht, umschmeichelt, von Glanz und Ruhm erhoben ward. Neben ihr stand Dario und genoß, strahlte mit ihr. Sie waren es, für die der Ball gegeben ward; für sie funkelten die Lampen, spielte das Orchester, hatten sich alle schönen Frauen Roms entkleidet und prangten nun mit ihren von Diamanten rieselnden Busen in einem heftigen Liebesduft; für sie waren ihre Majestäten eben bei den Klängen des Königsmarsches eingetreten, für sie verwandelte sich das Fest in eine Apotheose, für sie lächelte eine angebetete Herrscherin, für sie brachte sie, gleich der guten Fee aus dem Märchen, deren Kommen das Glück der Neugeborenen sichert, diesem Verlobungsfeste das Geschenk ihrer Gegenwart. Und diese Stunde außerordentlichen Glanzes bedeutete den Gipfel des Glückes und Jubels, den Sieg dieser Frau, deren Schönheit sein gewesen, ohne daß er sie besitzen konnte, den Sieg dieses Mannes, der sie ihm jetzt rauben sollte – einen so öffentlichen, so zur Schau gestellten, so beschimpfenden Sieg, daß er ihn, brennend wie ein Schlag, mitten ins Gesicht traf. Aber nicht nur sein Hochmut und seine Leidenschaft bluteten; durch den Triumph der Saccos fühlte er sich auch in seinem Vermögen bedroht. War es also wahr, daß das köstliche Klima Roms die reichen Eroberer aus dem Norden zuletzt verdarb, da er dieses Gefühl von Ermüdung und Erschöpfung empfand, da er schon halb aufgezehrt war? Am selben Tage hatte er in Frascati, bei jener unglückseligen Baugeschichte seine Millionen krachen gehört, obwohl er nicht zugestehen wollte, daß seine Geschäfte, wie das Gerücht ging, schlecht standen. An diesem Abend nun, inmitten dieses Festes, sah er den Sieg des Südens; Sacco trug ihn davon, wie einer, der gemächlich von der warmen Beute lebt, die er gefräßig unter der flammenden Sonne gemacht hat. Sacco, der Minister, Sacco, der Vertraute des Königs, Sacco, der sich durch die Heirat seines Sohnes mit einer der edelsten Familien der römischen Aristokratie verband, der auf dem Wege war, eines Tages der Herr Roms und Italiens zu werden, der schon jetzt mit vollen Händen im Gelde und im Volke wühlte – dieser Sacco war ein neuer Schlag für die Eitelkeit dieses Raubgierigen, für die stets gefräßigen Begierden dieses Genußmenschen, der sich vor dem Ende des Gelages von der Tafel verstoßen sah. Alles brach zusammen, alles entschlüpfte ihm: Sacco stahl ihm seine Millionen, Benedetta wühlte ihm die Sinne auf und hinterließ ihm jene abscheuliche Wunde ungesättigten Verlangens, von der er nie mehr genesen sollte.

In diesem Augenblick hörte Pierre abermals jenen dumpfen, tierähnlichen Klagelaut, jenes unwillkürliche, verzweifelte Murren, das ihm schon einmal das Herz aufgestürmt hatte. Er sah den Grafen an.

»Sind Sie leidend?« fragte er.

Aber angesichts dieses bleichen Mannes, der durch eine übermenschliche Willensanstrengung eine große Ruhe bewahrte, bedauerte er seine indiskrete Frage; er erhielt übrigens keine Antwort, und um ihn zu ermutigen, redete er weiter, indem er ganz laut die Betrachtungen aussprach, die das Schauspiel der sich vor ihnen entwickelnden Pracht in ihm erstehen ließ.

»Ach, Ihr Vater hatte recht! Wir Franzosen mit unserer selbst in diesen Tagen allgemeinen Zweifels so tief katholischen Erziehung, sehen in Rom immer nur das uralte Rom der Päpste – fast ohne von den tiefen Veränderungen, die von Jahr zu Jahr das italienische Rom von heute daraus machen, etwas zu wissen, fast ohne sie zu begreifen. Wenn Sie wüßten, wie nichtig mir bei meiner Ankunft der König, seine Regierung, dieses junge Volk erschien, das daran arbeitet, sich eine Hauptstadt zu schaffen! Ja, in meinem Traum, Rom, ein neues, christliches und evangelisches Rom zum Wohle der Völker auferstehen zu lassen, schob ich das alles beiseite, brachte es gar nicht in Anschlag.«

Er brach in leises Lachen aus, denn seine Unschuld erbarmte ihn selbst; dann deutete er mit einer Geberde auf die Galerie, auf den Fürsten Buongiovanni, der sich in diesem Augenblick vor dem König verbeugte, die Fürstin, die den Artigkeiten Saccos zuhörte, – auf die zu Boden geschlagene päpstliche Gesellschaft, die aufgenommenen Emporkömmlinge von gestern. Die schwarze und die weiße Gesellschaft waren derart vermischt, daß nichts mehr als Unterthanen übrig waren, die im Begriffe standen, ein einziges Volk zu bilden. Deuteten nicht, angesichts der täglichen Entwicklung, angesichts dieser frohen, lachenden, geschmückten, vom Hauch des Verlangens hingerissenen Männer und Frauen, die Thatsachen – wenn auch nicht die Prinzipien – die unmögliche Versöhnung zwischen Quirinal und Vatikan als eine vom Schicksal bestimmte an? Man muß ja leben, lieben, geliebt werden, ewig Leben geben! Und die Heirat Attilios und Celias sollte das Symbol des notwendigen Bundes werden: Jugend und Liebe sollten den alten Haß besiegen und alle Streitigkeiten in der Umarmung des schönen Jünglings vergessen werden, der kommt und das schöne, eroberte Mädchen in seinen Armen davonträgt, damit die Welt fortdauert.

»Sehen Sie sie doch an!« fuhr Pierre fort. »Wie schön sind diese Verlobten, wie jung und fröhlich, wie lachen sie der Zukunft entgegen! Ich verstehe sehr wohl, daß Ihr König hieher gekommen ist, um seinem Minister ein Vergnügen zu machen und eine der alten, römischen Familien vollends seinem Throne zu gewinnen. Das ist eine gute, eine wackere und väterliche Politik. Aber ich möchte auch glauben, daß er die rührende Bedeutung dieser Heirat verstanden hat: das alte Rom, in Gestalt dieses entzückenden, so naiven, so verliebten Kindes gibt sich dem jungen Italien, diesem enthusiastischen, redlichen Jüngling, der so prächtig die Uniform trägt. Möge ihre Ehe entscheidend und fruchtbar sein, möge ihr das große Land entspringen, das zu sein ich euch jetzt, da ich euch kennen lerne, von ganzem Herzen wünsche!« In dem Schmerz über das Wanken seines einstigen Traumes von einem evangelischen und universellen Rom, hatte er diesen Wunsch nach einem neuen Glücke der ewigen Stadt mit so lebhafter, so tiefer Erregung ausgesprochen, daß Prada nicht umhin konnte, zu antworten:

»Ich danke Ihnen. Das ist ein Wunsch, der im Herzen eines jeden guten Italieners lebt.«

Aber seine Stimme erstickte. Während er Celia und Attilio betrachtete, die lächelnd mit einander sprachen, hatte er eben Benedetta und Dario bemerkt, die mit demselben Lächeln ungeheuren Glückes zu ihnen traten. Als nun die beiden so strahlenden, in stolzer, glücklicher Lebensfreude so triumphirenden Paare vereinigt waren, hatte er nicht mehr die Kraft, dazubleiben, sie anzusehen und zu leiden.

»Ich platze vor Durst« sagte er brutal. »Kommen Sie doch ans Buffet, ich will etwas trinken.«

Und er glitt hinter der Menge, längs der Fenster hin, um nicht bemerkt zu werden, während er zu der am äußersten Ende der Galerie gelegenen Thür des Antikensaales strebte.

Indem Pierre ihm folgte, wurden sie von einer Menschenflut getrennt, und der Priester sah sich gegen die zwei noch immer zärtlich plaudernden Paare getragen. Celia rief ihn, da sie ihn erkannt hatte, mit einer leichten, freundschaftlichen Geberde herbei. In ihrem feurigen Schönheitskultus geriet sie über Benedetta in Verzückung und faltete vor ihr die kleinen Lilienhände, wie vor der Madonna.

»O, Herr Abbé, thun Sie mir den Gefallen, sagen Sie ihr, daß sie schön ist – schöner als das Schönste auf der Welt, schöner als die Sonne, der Mond und die Sterne! – Liebste, wenn Du wüßtest – es überläuft mich, daß Du gar so schön bist, schön wie das Glück, schön wie die Liebe!«

Benedetta begann zu lachen, während die beiden jungen Leute sich amüsirten.

»Du bist ebenso schön wie ich, Liebe. Wir sind schön, weil wir glücklich sind.«

»Ja, ja, wir sind glücklich« wiederholte Celia leise. »Erinnerst Du Dich des Abends, da Du sagtest, es gehe nicht an, König und Papst zu vermählen? Attilio und ich vermählen ihn, und sind doch so glücklich!«

»Aber Dario und ich vermählen ihn nicht, im Gegenteil!« entgegnete Benedetta fröhlich. »Geh, geh, was hast Du mir am selben Abend geantwortet: es genügt, wenn man liebt, dann rettet man die Welt.«

Als Pierre endlich zur Thür des Antikensaales, in dem das Buffet aufgestellt war, gelangen konnte, fand er Prada dort unbeweglich stehen. Er war wie angenagelt und seine Augen tranken den furchtbaren Anblick in sich, den er fliehen wollte. Er hatte sich umdrehen, hinsehen, immer wieder hinsehen müssen. Und so wohnte er mit blutendem Herzen dem Wiederbeginn des Tanzes, der ersten Figur einer Quadrille bei, die das Orchester mit dem vollen Klang seiner Blechinstrumente spielte. Benedetta und Dario, Celia und Attilio tanzten einander vis-à-vis, und diese beiden jungen, frohen Paare sahen, wie sie so in dem weißen Lichte, in der Pracht und in dem Duft der Liebe tanzten, so reizend, so anbetungswürdig aus, daß der König und die Königin näher traten und sich dafür interessirten. Bewundernde Bravos ertönten, eine unendliche Zärtlichkeit ergoß sich aus allen Herzen.

»Ich platze vor Durst, so kommen Sie doch!« wiederholte Prada, der sich endlich von seiner Marter loszureißen vermochte.

Er ließ sich ein Glas Eislimonade geben und stürzte es in einem Zuge, mit der gierigen Miene eines Fiebernden hinunter, der das innere Feuer, das ihn verzehrt, nie stillen wird.

Dieser Antikensaal war ein sehr großes, mit Mosaik gepflastertes und mit Stuck geschmücktes Gemach, in dem sich, längs der Wände, eine berühmte Sammlung von Vasen, Basreliefs und Statuen befand. Marmor herrschte vor, aber es waren auch einige Bronzen vorhanden, darunter ein sterbender Gladiator von unvergleichlicher Schönheit. Aber das wunderbarste war die berühmte Venus; sie war ein Gegenstück zu der Venus des Kapitols, doch feiner, geschmeidiger, und der linke Arm hing mit einer Geberde wollüstiger Hingebung herab. An diesem Abend warf ein mächtiger, elektrischer Reflektor eine blendende Sonnenhelle über sie, und der Marmor schien in seiner göttlichen, reinen Nacktheit ein übermenschliches, unsterbliches Leben zu besitzen.

Das Buffet, ein langer, mit einem gestickten Tischtuch belegter und mit Obst, Gebäck und kaltem Fleisch beladener Tisch war an der Wand im Hintergrunde aufgestellt worden. Blumensträuße erhoben sich unter Champagnerflaschen, heißen Punschs und Eissorbets, dem Heer von Gläsern, Thee- und Bouillontassen, der im Licht funkelnden Pracht des Kristalls, Porzellans und Silbers. Eine glückliche Neuerung bestand darin, daß man eine Hälfte des Saales mit Reihen kleiner Tische angefüllt hatte, wo die Gäste, statt stehend zu essen, sich niedersetzen und sich wie in einem Café bedienen lassen konnten.

An einem dieser kleinen Tische bemerkte Pierre Narcisse, der neben einer jungen Frau saß, und Prada trat näher, als er Lisbeth erkannte.

»Sie sehen, Sie finden mich in guter Gesellschaft wieder,« sagte der Botschaftsattaché galant. »Nachdem Sie mich verloren hatten, hatte ich nichts Besseres zu thun, als der gnädigen Frau den Arm zu reichen, um sie hierher zu führen.«

»Es war eine gute Idee, um so mehr als ich großen Durst hatte«, meinte Lisbeth mit ihrem hübschen Lachen.

Sie hatten sich Eiskaffee geben lassen und aßen ihn langsam, mit Hilfe von kleinen Vermeillöffeln.

»Ich sterbe auch vor Durst, und kann ihn gar nicht löschen,« erklärte der Graf. – »Sie laden uns doch ein, lieber Herr Habert, nicht wahr? Dieser Kaffe wird mich vielleicht etwas beruhigen. – Ah, liebe Freundin, gestatten Sie mir, Ihnen den Herrn Abbé Froment, einen der hervorragendsten jungen französischen Priester, vorzustellen.«

Alle vier blieben lange Zeit so sitzen; sie plauderten und machten sich über die vorüberziehenden Gäste ein wenig lustig. Aber Prada blieb trotz seiner gewöhnlichen Galanterie gegen seine Freundin nachdenklich; zeitweise vergaß er sie, gab sich wieder seinem Weh hin und seine Augen kehrten wider Willen zu der Nebengalerie zurück, aus der das Geräusch der Musik und des Tanzes zu ihm herüberdrang.

»Nun, lieber Freund, woran denken Sie denn?« fragte Lisbeth liebenswürdig, als sie ihn einen Augenblick so blaß, so verloren dasitzen sah. »Sind Sie unwohl?«

Er antwortete nicht, sondern sagte plötzlich:

»Seht ihr, das ist das echte Liebespaar – das ist die Liebe und das Glück!«

Und er deutete leicht auf die Marquise Montefiori, die Mutter Darios, und ihren zweiten Gatten, diesen Jules Laporte, diesen ehemaligen Sergeanten der Schweizer Garde, der fünfzehn Jahre jünger als sie war, den sie sich mit ihren immer noch prächtigen Flammenaugen auf dem Corso geangelt, aus dem sie triumphirend einen Marquis Montefiori gemacht hatte, um ihn ganz zu besitzen. Es machte sie so glücklich, den schönen Mann, auf den sie stolz war, zu zeigen, daß sie ihn auf Bällen und Soireen nicht losließ, der Sitte entgegen an seinem Arm hängen blieb und sich von ihm ans Buffet führen ließ. Nun tranken beide stehend Champagner und aßen Sandwichs – sie, trotzdem sie die Fünfzig hinter sich hatte, noch von außerordentlicher, massiver Schönheit, er, mit seinem flatternden Schnurrbart von stolzem Anstand – ein glücklicher Abenteurer, dessen fröhliche Brutalität den Damen gefiel.

»Sie wissen, sie hat ihn aus einer häßlichen Geschichte ziehen müssen,« fuhr der Graf fort. »Ja, er brachte Reliquien unter, schlug sich kümmerlich durch, indem er für die französischen und Schweizer Klöster den Makler machte, und hatte ein ganzes Geschäft mit falschen Reliquien in Gang gebracht. Hiesige Juden fabrizirten kleine, altertümliche Reliquienschreine mit Stücken von Hammelknochen, alles mit dem Siegel und der Unterschrift der glaubwürdigsten Autoritäten. Man hatte diese Geschichte, in der sich auch drei Prälaten bloßgestellt hatten, vertuscht ... Ah, der Glückliche! Seht doch, wie sie ihn mit den Augen verschlingt! Und er, sieht er nicht wie ein richtiger Grandseigneur aus, wie er den Teller hält, von dem sie ein Stück Geflügelbrust ißt!«

Dann fuhr er mit dumpfer, grimmiger Ironie fort, von den römischen Liebschaften zu erzählen. Die römischen Frauen waren unwissend, störrisch und eifersüchtig. Wenn eine Frau einen Mann erobert hatte, behielt sie ihn das ganze Leben; er wurde ihr Gut, ihre Sache, über die sie zu jeder Stunde nach Gefallen verfügte. Er führte endlose Liebesverhältnisse an – unter anderen das Donna Serafinas und Moranos – die wirkliche Ehen geworden waren, und spöttelte über diesen Mangel an Phantasie, über diese vollständige und allzu schwerfällige Hingabe, diese spießbürgerlich machenden Küsse, die nur inmitten der unangenehmsten Katastrophen enden konnten, wenn sie überhaupt je endeten.

»Aber was haben Sie denn, was haben Sie denn, lieber Freund?« rief Lisbeth abermals lachend. »Was Sie uns da erzählen, ist ja im Gegenteil sehr reizend! Wenn man liebt, muß man sich immer lieben.«

Sie sah mit ihrem feinen, duftigen blonden Haar, in ihrer zarten, blonden Nacktheit köstlich aus und Narcisse verglich sie schmachtend, mit halbgeschlossenen Augen, mit einer Figur Botticellis, die er in Florenz gesehen. Die Nacht rückte vor und Pierre war wieder in seine düstere Nachdenklichkeit verfallen, als er eine vorübergehende Frau sagen hörte, daß man bereits den Cotillon tanze. In der That erklangen in der Ferne die Blechinstrumente des Orchesters. Er erinnerte sich plötzlich an die Zusammenkunft, die Monsignore Nani mit ihm im kleinen Spiegelsaale verabredet hatte.

»Sie gehen?« fragte Prada lebhaft, als er sah, daß der Priester sich von Lisbeth empfahl.

»Nein, nein, noch nicht.«

»Ah, schön! Dann gehen Sie nicht ohne mich. Ich möchte noch ein wenig marschiren, ich werde Sie nach Hause begleiten ... Nicht wahr, Sie suchen mich hier wieder auf?«

Pierre mußte zwei Salons, einen gelben und einen blauen durchschreiten, ehe er, ganz zuletzt, in den kleinen Spiegelsaal gelangte. Er war wirklich ein Wunderwerk, in köstlichem Rokokostil gehalten und bildete eine Rotunde von matten Spiegeln, die herrliche vergoldete Holzschnitzereien umrahmten. Die Spiegel setzten sich selbst an der Decke in geneigten Scheiben fort, so daß sich die Bilder nach allen Seiten vervielfältigten, vermischten und ins Unendliche zurückstrahlten. Eine kluge Umsicht hatte es bewirkt, daß hier keine Elektrizität eingeführt wurde; bloß zwei mit rosa Kerzen beladene Armleuchter brannten. Die Tapeten und Möbel bestanden aus sehr zartblauer Seide und der Eindruck, den man beim Eintreten empfing, war unvergleichlich milde und reizvoll, als wäre man zu den Feen, den Quellenbeherrscherinnen, in einen hellen, bis in die fernste Tiefe von Sternensträußen erleuchteten Wasserpalast gekommen.

Pierre bemerkte sofort Monsignore Nani, der friedlich auf einem niedrigen Kanapee saß. Wie der Prälat gehofft hatte, befand er sich ganz allein, da der Cotillon die Menge nach der Galerie gelockt hatte. Eine große Stille herrschte; man hörte kaum das Orchester, das drüben eben in einem unbestimmten, leisen Flötenhauch erstorben war.

Der Priester entschuldigte sich, daß er auf sich hatte warten lassen.

»Nein, nein, lieber Sohn,« sagte Monsignore Nani mit seiner unerschöpflichen Liebenswürdigkeit, »ich habe mich in diesem Asyl sehr wohl gefühlt ... Als mir die Menge gar zu drohend ward, habe ich mich hieher geflüchtet.«

Er sprach nicht von Ihren Majestäten, gab aber anzuhören, daß er ihnen höflich ausgewichen sei. Er war überhaupt nur aus großer Liebe zu Celia gekommen – auch wegen eines sehr heiklen, diplomatischen Zweckes, damit es nicht aussehe, als breche der Vatikan gänzlich mit den Buongiovannis, dieser alten, in den Jahrbüchern des Papsttums so berühmten Familie. Zweifellos konnte der Vatikan dieser Heirat, die das alte Rom mit dem jungen Königreich Italien zu vereinigen schien, nicht als Zeuge dienen; aber trotzdem wollte er sich auch nicht stellen, als verschwinde, als verliere er das Interesse, indem er seine treuesten Diener verließ.

»Nun, mein lieber Sohn, es handelt sich jetzt um Sie,« fuhr der Prälat fort. »Ich habe Ihnen gesagt, daß wenn auch die Indexkongregation auf Verdammung Ihres Buches erkannt hat, das Urteil erst übermorgen dem heiligen Vater vorgelegt und von ihm unterzeichnet werden wird. Sie haben also noch einen ganzen Tag vor sich.

Pierre konnte nicht umhin, ihn mit schmerzlicher Lebhaftigkeit zu unterbrechen.

»Ach, Monsignore, was soll ich denn thun? Ich habe bereits nachgedacht, aber ich habe gar keine Gelegenheit, gar kein Mittel, um mich zu verteidigen ... Wie soll ich Seine Heiligkeit sehen – jetzt, da er krank ist!«

»O, krank, krank!« murmelte Nani mit seiner schlauen Miene. »Es geht Seiner Heiligkeit viel besser, da ich heute, sowie jeden Mittwoch, die Ehre hatte, empfangen zu werden. Wenn der heilige Vater ein wenig ermüdet ist und man ihn für sehr krank ausgibt, so läßt er die Leute reden: das gestattet ihm ein wenig auszuruhen und gewisse Ehrgeizige und gewisse Ungeduldige in seiner Umgebung zu beurteilen.«

Aber Pierre war zu verstört, um aufmerksam zuzuhören.

»Nein, es ist aus, ich bin verzweifelt,« fuhr er fort. »Sie haben von einem Wunder gesprochen, das noch möglich wäre. Ich glaube nicht an Wunder. Da ich in Rom geschlagen worden bin, werde ich abreisen und nach Paris zurückkehren, wo ich den Kampf fortsetzen werde ... Ja, meine Seele kann sich nicht ergeben, meine Hoffnung auf eine Rettung durch die Liebe kann nicht sterben. Ich werde mit einem neuen Buche antworten, ich werde sagen, in welcher neuen Erde die neue Religion sprossen muß!«

Ein Schweigen entstand. Nani sah ihn mit seinen klaren Augen an, deren geistvoller Ausdruck die Helle und Schärfe des Stahles besaß. In die große Stille, in die schwere, heiße Luft des kleinen Saales, dessen Spiegel die zahllosen Kerzen widerstrahlten, fuhren plötzlich lautere Klänge des Orchesters. Langsame, wiegende Walzertöne erklangen und erstarben wieder.

»Mein lieber Sohn, der Zorn ist immer etwas Böses ... Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen gleich nach Ihrer Ankunft versprochen habe, meinerseits einen Versuch zu machen, sobald Sie sich vergeblich bemüht hätten, vom heiligen Vater empfangen zu werden? Hören Sie mich an, ereifern Sie sich nicht,« fuhr er fort, als er sah, daß der junge Priester in Aufregung geriet ... »Seine Heiligkeit wird leider nicht immer klug beraten. Er hat Personen um sich, deren Ergebenheit es manchmal an der wünschenswerten Verständigkeit mangelt. Ich habe Ihnen das bereits einmal gesagt, ich habe Sie vor unbedachten Schritten gewarnt ... Daher trug ich, bereits vor drei Wochen, dafür Sorge, Ihr Buch dem heiligen Vater selbst zu übergeben, damit er geruhe, einen Blick darauf zu werfen. Ich ahnte, daß man es nicht bis zu ihm hatte gelangen lassen. Und nun ward ich beauftragt, Ihnen folgendes zu sagen: Seine Heiligkeit haben die außerordentliche Güte gehabt, Ihr Buch zu lesen und nun den förmlichen Wunsch ausgesprochen, Sie zu sehen.«

Ein Aufschrei der Freude und des Dankes erstickte in Pierres Kehle.

»Ach, Monsignore, Monsignore!«

Aber Nani hieß ihn lebhaft schweigen und blickte sich mit außerordentlich unruhiger Miene um, als fürchte er, daß man sie hören könne.

»Still, still, das ist ein Geheimnis! Seine Heiligkeit wünscht Sie ganz privatim zu empfangen, ohne jemand ins Vertrauen zu ziehen ... Hören Sie mich wohl an. Es ist zwei Uhr morgens, nicht wahr? Noch heute, Punkt neun Uhr abends, werden Sie im Vatikan erscheinen und bei allen Thüren nach Herrn Squadra fragen. Ueberall wird man Sie passiren lassen. Oben wird Herr Squadra Sie erwarten und einführen ... Aber kein Wort davon! Daß ja keine Seele etwas von diesen Dingen ahnt!«

Das Glück, die Dankbarkeit Pierres strömten endlich über und er ergriff die weichen, fetten Hände des Prälaten.

»Ach, Monsignore, wie soll ich Ihnen meine ganze Dankbarkeit ausdrücken? Wenn Sie wüßten – in meiner Seele war Nacht und Empörung, seit ich mich als das Spielzeug dieser mächtigen Eminenzen fühlte, die sich über mich lustig machten! ... Aber Sie retten mich; ich bin von neuem siegesgewiß, da ich mich endlich zu den Füßen Seiner Heiligkeit, des Vaters aller Wahrheit und aller Gerechtigkeit, werfen kann. Er muß mich lossprechen – mich, der ihn liebt, der ihn bewundert, der überzeugt ist, nie für etwas anderes als für seine Politik, seine liebsten Gedanken gekämpft zu haben ... Nein, nein, es ist unmöglich! Er wird nicht unterzeichnen, er wird mein Buch nicht verdammen!«

Nani, der seine Hände freigemacht hatte, bemühte sich, ihn mit einer väterlichen Geberde zu beruhigen; dabei wich ein leichtes, verächtliches Lächeln über eine so unnütze Verschwendung von Begeisterung nicht von seinen Lippen. Es gelang ihm, den Priester zu besänftigen und er beschwor ihn, sich zu entfernen. In der Ferne hatte das Orchester wieder zu spielen begonnen. Dann, als der Priester sich entfernte, indem er ihm nochmals dankte, sagte er einfach:

»Mein lieber Sohn, erinnern Sie sich, daß nur der Gehorsam etwas Großes ist.«

Pierre, der jetzt nur noch ans Fortgehen dachte, fand Prada fast sofort im Waffensaal wieder. Ihre Majestäten hatten den Ball soeben in feierlichem Gepränge, von den Buongiovannis und den Saccos begleitet, verlassen. Die Königin hatte Celia mütterlich umarmt, während der König Attilio die Hand drückte – Ehren, über die beiden Familien strahlten. Aber viele Gäste folgten dem Beispiel der Herrscher und entfernten sich in kleinen Gruppen. Auch der Graf, der, seltsam entnervt, noch grimmiger und bitterer geworden zu sein schien, war ungeduldig.

»Endlich! Ich habe auf Sie gewartet. Nun, machen wir, daß wir fortkommen, nicht wahr? ... Ihr Landsmann, Herr Narcisse Habert, bat mich, Ihnen zu sagen, daß Sie ihn nicht suchen mögen. Er ist hinunter, um meine Freundin Lisbeth zum Wagen zu begleiten ... Ich brauche entschieden Luft. Ich will einen Gang machen; ich gehe mit Ihnen bis in die Via Giulia.«

Dann, als beide ihre Kleider in der Garderobe an sich nahmen, konnte er nicht umhin, höhnisch zu lachen, indem er mit seiner brutalen Stimme hinzufügte:

»Ich habe Ihre guten Freunde alle vier zusammen eben fortfahren sehen ... Es ist klug von Ihnen, daß Sie gern zu Fuß nach Hause gehen, denn für Sie war kein Platz in der Karosse ... Diese Donna Serafina! Welche Unverschämtheit, sich in ihrem Alter mit ihrem Morano herzuschleppen, um über die Rückkehr des Ungetreuen zu triumphiren! ... Und die beiden anderen, die beiden Jungen! O, ich gestehe, es wird mir schwer, ruhig von ihnen zu sprechen, denn sie haben heute, indem sie sich so zeigten, eine Abscheulichkeit von seltener Frechheit und Grausamkeit begangen!«

Seine Hände zitterten.

»Glückliche Reise, glückliche Reise, junger Mann, da Sie nach Neapel fahren!« murmelte er dann. »Ja, ich habe gehört, wie man zu Celia sagte, daß er heute abend um sechs Uhr nach Neapel abreist. Nun, meine guten Wünsche begleiten ihn. Glückliche Reise!«

Draußen, beim Hinaustreten aus der erstickenden Hitze der Säle in die wunderbare, klare und kalte Nacht ergriff die beiden Männer eine köstliche Empfindung. Es war eine prächtige Vollmondnacht, eine jener römischen Nächte, da die Stadt in einer elysischen Helle, wie von einem Traume der Unendlichkeit gewiegt, unter dem ungeheuren Himmel schlummert. Sie gingen den Corso hinab und dann längs des Corso Viktor Emanuel.

Prada hatte sich etwas beruhigt, blieb aber noch immer ironisch; zweifellos um sich zu betäuben, sprach er mit fieberhafter Redseligkeit wieder über die römischen Frauen, über dieses Fest, das er herrlich gefunden hatte und nun bespöttelte.

»Ja, sie haben schöne Kleider, aber sie stehen ihnen nicht – Kleider, die sie von Paris kommen lassen, jedoch natürlich nicht probiren konnten. Es ist gerade so wie mit ihren Juwelen; sie haben noch Diamanten und vor allem äußerst schöne Perlen, aber sie sind so schwer gefaßt, daß sie im großen und ganzen schrecklich aussehen. Und wenn Sie wüßten, was für eine Unwissenheit, was für eine Frivolität sich unter ihrem scheinbaren Stolz verbirgt! Alles bei ihnen ist oberflächlich, selbst die Religion: darunter ist nichts als eine unergründliche Leere. Ich sah zu, wie sie beim Buffet mit aller Kraft aßen. Ah, das ist wahr, einen kräftigen Appetit haben sie! Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Gäste sich heute abend ziemlich gut benahmen; man hat nicht zu viel verschlungen. Aber wenn Sie einem Hofball beiwohnen würden, sähen Sie eine ganz unsagbare Plünderung: das Buffet wird belagert, die Schüsseln werden verschlungen, alles drängt sich mit außerordentlicher Gefräßigkeit herzu!«

Pierre antwortete bloß einsilbig. Er gab sich ganz seiner überströmenden Freude über diese Audienz beim Papst hin, träumte schon von ihr und bereitete sie in ihren geringsten Einzelheiten vor, ohne sich jemand anvertrauen zu können. Und die Schritte der beiden Männer erklangen in der breiten, einsamen und hellen Straße auf dem trockenen Pflaster, während der Mond die schwarzen Schatten deutlich abzeichnete.

Plötzlich verstummte Prada. Er war mit seiner geschwätzigen Bravour zu Ende; der schreckliche Kampf, der in ihm tobte, hatte ihn ganz überkommen und gleichsam gelähmt. Bereits zweimal hatte er in seiner Rocktasche das mit Bleistift geschriebene Billet berührt, dessen paar Zeilen er sich in Gedanken wiederholte: »Eine Legende behauptet, daß der Feigenbaum des Judas, tödlich für jeden, der eines Tages Papst werden will, in Frascati wieder wächst. Essen Sie nicht die vergifteten Feigen, geben Sie sie weder Ihren Leuten noch Ihren Hennen.« Das Billet war da, er fühlte es; und er hatte Pierre nur begleiten wollen, um es in den Briefkasten des Palastes Boccanera zu werfen. Er schritt lebhaft weiter: noch vor Ablauf von zehn Minuten würde das Billet im Kasten sein – keine Macht der Welt konnte ihn hindern, es hineinzuwerfen, da sein Entschluß förmlich gefaßt war. Nie würde er das Verbrechen begehen, Leute vergiften zu lassen.

Aber er litt eine so greuliche Marter! Diese Benedetta und dieser Dario hatten in ihm einen solchen Sturm eifersüchtigen Hasses erregt! Er vergaß darüber Lisbeth, die er liebte, vergaß das Kind, dieses kleine Wesen aus seinem eigenen Fleisch und Blut, auf das er so stolz war. Stets hatte das Weib das männliche Eroberungsverlangen in ihm entfesselt; nur jene, die ihm widerstanden, hatten ihm heftigen Genuß bereitet. Und nun existirte eines in der Welt, das er begehrt, das er durch eine Heirat erkauft, das sich dann verweigert hatte! Dieses sein Weib hatte er nicht besessen und würde er nie besitzen. Um Benedetta zu besitzen würde er einst Rom angezündet haben; jetzt fragte er sich, was er wohl thun werde, um zu verhindern, daß sie eines andern ward. Ja, der Gedanke an diesen andern, der sein Gut genoß – das war der Gedanke, der die blutende Wunde in seiner Brust wieder öffnete. Wie mußten sie sich zusammen über ihn lustig machen! Welche Freude hatte es ihnen bereitet, ihn durch das Verbreiten der Lüge von seinem angeblichen Unvermögen lächerlich zu machen! Er fühlte sich davon, trotz aller Beweise, die er für seine Männlichkeit erbringen konnte, getroffen. Obwohl er selbst nicht recht daran glaubte, hatte er sie beschuldigt, schon lange Liebhaber und Maitresse zu sein, die nachts zusammenkamen und in diesem düstern Palaste Boccanera, dessen Liebesgeschichten legendenhaft waren, nur ein Schlafgemach besaßen. Jetzt, da sie frei, wenigstens des kirchlichen Bandes entledigt waren, würde das sicherlich geschehen. Er sah sie neben einander auf demselben Lager, er beschwor brennende Visionen, Umarmungen, Küsse, die Verzückung ihrer Raserei herauf. Ah, nein, nein, das war unmöglich! Eher brach die Erde zusammen!

Dann, als er mit Pierre den Corso Viktor Emanuel verließ, um die zur Via Giulia führenden alten, eingezwängten und gewundenen Straßen zu betreten, sah er sich wieder, wie er das Billet in den Briefkasten des Palastes warf. Hierauf sagte er sich im Geiste, was nun geschehen würde. Das Billet würde bis zum Morgen im Kasten ruhen. Don Vigilio, der Sekretär, der auf förmlichen Befehl des Kardinals den Schlüssel zu diesem Kasten aufbewahrte, würde frühzeitig hinabgehen, den Brief finden und ihn Seiner Eminenz übergeben, der nicht erlaubte, daß man irgend welche Briefe öffnete. Die Feigen würden weggeworfen werden, ein Verbrechen nicht mehr möglich sein, die schwarze Gesellschaft schweigen. Aber wenn sich das Billet doch nicht in dem Kasten fand – was dann? Er ließ nun diese Annahme zu und sah deutlich, wie die so zierlich mit Blättern bedeckten Feigen in ihrem hübschen Körbchen auf der um ein Uhr stattfindenden Mittagstafel erschienen. Dario war wie gewöhnlich da, allein mit seinem Oheim, weil er erst abends nach Neapel abreiste. Würden sowohl Oheim wie Neffe von den Feigen essen, oder nur der eine – und welcher von den beiden? Hier verschwamm die Vision. Es war von neuem der Lauf des Schicksals, dieses Schicksals, dem er auf der Straße von Frascati begegnet war, als es unaufhaltsam, durch alle Hindernisse hindurch, seinem unbekannten Ziele zuschritt. Der kleine Korb Feigen ging weiter und weiter, seiner notwendigen Aufgabe entgegen; keine Hand in der Welt war stark genug, sie zu verhindern.

Die Via Giulia streckte sich endlos im weißen Mondlicht hin und Pierre erwachte vor dem schwarz von dem silbernen Himmel abstechenden Palaste Boccanera wie aus einem Traum. Von einer Kirche in der Nachbarschaft schlug es drei Uhr morgens. Er fühlte einen leisen Schauer, als er neben sich diese schmerzhafte Klage eines auf den Tod verwundeten Wildes, dieses unwillkürliche Murren hörte, das der Graf sich in seinem furchtbaren Kampfe abermals entschlüpfen ließ.

Aber gleich darauf brach er in ein spöttisches Lachen aus und sagte, indem er dem Priester die Hand drückte:

»Nein, nein, ich gehe nicht weiter ... Wenn man mich zu dieser Stunde hier sähe, würde man glauben, daß ich mich wieder in meine Frau verliebt habe.«

Er zündete eine Cigarre an und ging in die helle Nacht hinein, ohne sich umzudrehen.


 << zurück weiter >>