Fedor von Zobeltitz
Das Heiratsjahr
Fedor von Zobeltitz

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Siebentes Kapitel.

In dem von verschiedenen Unterhaltungen am Frühstückstische und im Park berichtet wird; auch lernt der Leser eine neue Sprache kennen.

Die Komödie der Irrungen hatte zu allgemeiner Freude das erwünschte glückliche Ende gefunden. Freese blieb in Hohen-Kraatz. Anfänglich hatte ihn der Baron nur auf eine Probewoche engagiert; aber der Mann gefiel ihm, und auch dessen Lehrmethode. Freese verstand es, mit den Jungen umzugehen. Er war streng in den 126 Unterrichtsstunden und gefällig, freundlich und liebenswürdig in der freien Zeit. Das Herz Dieters hatte er sich schon am ersten Tage durch eine Pfeife gewonnen, die er ihm aus einem Stück Weidenrute geschnitzt hatte. »Ein netter und geschickter Mann,« urteilte der Baron. »Wenn er nur die geräuschvollen Liebhabereien der Jungen nicht unterstützen wollte,« klagte die Baronin, die die grelle Pfeifmusik Dietrichs nicht mehr hören konnte. Frau Eleonore hätte doch lieber einen Theologen gehabt, schon aus Opposition gegen ihren Gatten. Sie hatte sonst nichts gegen Freese – aber Tübingen gegenüber that sie stets, als ob der verlorene Reinbold ein leuchtendes Muster für alle Hauslehrer der Welt gewesen sei. Und vielleicht hätte man diesen Reinbold auch für die Pfarre heranziehen können, denn es stand nunmehr fest, daß sich der alte Pastor Strimonius emeritieren lassen wollte. . . .

Freese war sehr glücklich. Er hatte endlich gefunden, was er so lange gesucht hatte. Obwohl er sich auch außer den Lehrstunden viel mit den Zwillingen zu beschäftigen und die Aufsicht über sie zu führen hatte, hatte er doch noch Zeit genug übrig, mit Eifer seine Studien fortzusetzen. Er behielt das sogenannte »kleine Handtuch« als Zimmer; daneben wurden die Jungen einquartiert, so daß Freese sie ständig unter seiner Obhut hatte. Die Indianertänze morgens und abends und mancher andre Unfug hörten auf. Allerdings erst im Lauf der Zeit; anfänglich hatte der Kandidat es nicht leicht, den schäumenden Uebermut der Jungen zu bändigen.

Als Bernd ihm einmal vor dem Schlafengehen einen Hirschkäfer in das Bett gesetzt hatte, wurde Freese so zornig, daß er dem Schuldigen eine Ohrfeige gab. Sie knallte, that aber nicht weh. Und Bernd weinte auch nicht: er wurde nur dunkelrot. Von diesem Augenblick ab hatte er Respekt 127 vor seinem Lehrer. Hätte er sich bei seinem Vater über die ihm widerfahrene Züchtigung beklagt, so würde dieser wahrscheinlich gesagt haben: »Siehst du, mein Junge – das ist dir gesund! Der Hirschkäfer wird Herrn Freese irgendwo gekniffen haben; dafür hat er dir eine versetzt. Es rächt sich alles auf Erden!« – Vielleicht hätte ihn die Mutter in Schutz genommen, aber sich ihr anzuvertrauen, schämte er sich. So schwieg er lieber. Nur zu Dieter äußerte er gelegentlich: »Du, hör' 'mal, Dieter, der Freese ist nicht wie der Kleinechen. Er hat so harte Finger. . . .«

Das Erste, was Freese that, als er die Gewißheit hatte, in Hohen-Kraatz zu bleiben, war, sich von Frau Möhring seine Bücher schicken zu lassen. Zu gleicher Zeit sandte er auch die Papiere Reinbolds, die Tübingen ihm übergeben hatte, an seinen neuen Freund zurück. – –

Es war wieder einmal Morgen in Hohen-Kraatz. Riedecke hatte das Gong geschlagen, und die Familie fand sich allmählich am Frühstückstische zusammen. Zuerst der Baron mit rotgescheuertem Gesicht und noch vereinzelten Wassertropfen im Haar, und dann seine Gattin, die trotz der frühen Morgenstunde bereits sehr sorgfältig gekleidet war und auf dem ergrauenden Haupt ein violettfarbenes Mützchen trug.

»Morgen, Alte,« sagte Tübingen, nahm ihren Kopf in beide Hände und küßte ihre Stirn. »Ausgeschlafen?«

»Ich danke, Eberhard. Es ging ja, Gott sei Dank. Meine Nerven scheinen sich bessern zu wollen. Aber warum denn immer Alte? Du weißt, daß ich derartige Apostrophen nicht leiden kann.«

»Ach so – na, verzeih' man! Ich ahne schon, was du noch sagen willst: die Beispiele der Väter sind die Richtschnur für die Kinder. Aber der alte Adam läßt sich nicht so leicht zwingen. Uebrigens pflegt selbst Bismarck seine Frau zuweilen Mutting und Alte zu nennen.«

128 »Das kann sich Bismarck erlauben, weil er erwachsene Kinder hat. Wenn die kleinen Rantzaus bei ihm sind, wird er auch vorsichtiger sein. Ich bin keine Gegnerin von Zärtlichkeitsausdrücken, aber sie dürfen nicht den Respekt verletzen. Und Bernd und Dieter schlagen leicht über die Stränge.«

»Der Freese legt ihnen einen Kappzaum an. Ich bin recht zufrieden mit dem Manne. Hat bei aller Freundlichkeit ein energisches Auftreten. Kleinechen war ein Waschlappen.«

»Waschlappen klingt auch nicht hübsch, Eberhard. Aber es ist richtig, was du von Freese sagst. Er ist auch ein manierlicher Mensch. Er steckt die Kartoffeln auf die Gabel, wenn er sie schält. Kleinechen nahm sie in die Finger. Was sagst du denn zu Doktor Haarhaus?«

»Was soll ich zu ihm sagen! Es scheint ihm bei uns zu gefallen, sonst hätte er sich nicht seine sämtlichen Koffer aus Schnittlage nachkommen lassen. Max meint, er würde wohl ein paar Wochen bleiben. Mir soll es recht sein!«

»Er will hier sein Buch über Afrika beenden. In Schnittlage stört ihn der alte Kielmann –«

»Mit seinen Punschbowlen! Glaub's schon!«

»So natürlich scheint mir das nicht. Wer sich nicht verführen lassen will, dem gelingt es auch. Aber die Männer sind alle schwach.«

»Liebe Eleonore, ich erinnere dich nur an deine Stammmutter Eva und die Geschichte mit dem Apfel –«

»Das ist schon etwas lange her. Sei's, wie es sei. Ich verzichte auf geschichtliche Deduktionen. Ist dir nicht aufgefallen, daß Haarhaus außerordentlich liebenswürdig zu Benedikte ist?«

Tübingen setzte seine Tasse aus der Hand.

»Nein,« sagte er, »nicht liebenswürdiger, als man als 129 Mensch von Welt jungen Damen gegenüber zu sein pflegt, zumal wenn sie niedlich sind.«

»Ich glaube, ich sehe schärfer. Als Haarhaus uns gestern abend seinen Marsch durch die Wüste – ich weiß nicht mehr, wie sie heißt – erzählte, hing Dikte förmlich an seinen Lippen. So etwas gefällt ihr. Sie hat für das Romantische immer etwas übrig gehabt.«

»Ich meine, eher für das Reale. Im übrigen: Haarhaus ist eine Berühmtheit und sitzt in guter Assiette; Schnittlage erbt er auch einmal – zwölfhundert Morgen unterm Pfluge und dreiviertel davon Rübenboden.«

Das Gesicht der Baronin rötete sich ein wenig.

»Was kümmert mich denn seine Berühmtheit und seine gute Assiette,« erwiderte sie scharf. »Wenn einer Haarhaus heißt, soll er sich nicht um eine Baronesse Tübingen bemühen.. Haarhaus ist doch nur eine Verdeutschung für Perücke.«

Tübingen lachte. »Na ja – das mag sein! Es ist sein Fehler, daß er nicht ein Marquis de Perruquet ist; dann hättest du vielleicht nichts gegen ihn. Indessen – sind wir nicht auch mit den Schweinechens verwandt? Und die Riedesel und edlen Gänse zu Putlitz und Pfördtner von der Hölle – sind denn das gar so schöne Namen?«

»Jedenfalls altehrwürdige. Aber Haarhaus sagt gar nichts.«

»Wenn es mit seiner Berühmtheit so weiter geht, wird er ja wohl auch einmal geadelt werden. Freiherr von Haarhaus-Schnittlage klingt schon besser. Dikte hat ein ziemlich kühles Temperament. Der kühne Afrikaner interessiert sie, aber thut ihrem Herzen nichts. Vielleicht paßt ihr auch sein Name ebensowenig wie dir.«

»Da irrst du. Dikte schlägt leider nach dir. Name ist Schall und Rauch für sie, wie bei Schiller.«

130 »Ich glaube, bei Goethe.«

»Ist mir auch recht. Sie hat deine liberalisierenden Neigungen geerbt. Da ist Max ein andrer.«

»Bei Gelegenheit seiner Affaire mit der Warnow hat er das nicht bewiesen. Und nun beruhige dich! Haarhaus wär' auch nicht mein Fall. Alle Hochachtung vor ihm und seiner Thatkraft – aber er spielt sich zu sehr auf den Heros, auf den Uebermenschen auf. Und für diese moderne Spezialität bin ich nicht.«

Graf Teupen trat ein, küßte seiner Tochter die Hand und begrüßte Tübingen.

»Bon jour, Eberhard! Ihr sprecht von Max?«

»Im Augenblick von Africanus secundus, oder man sagt wohl besser primus

»Von Haarhaus? Ah – das ist ein Mann, Kinder! Etwas Honig, wenn ich dich bitten darf, Eleonore! . . . Das ist ein Mann! War doch wirklich eine genußreiche Stunde, als er uns da gestern abend von seinen Abenteuern unter den Bagellas und Mawtitis erzählte! Wie er sich gegen die Leibgarde des Häuptlings verteidigen mußte – was?! Nein, danke, ich nehme heute kein Ei, Eleonore; ich habe nicht so recht geschlafen. Er versteht ungemein anschaulich zu schildern – meint ihr nicht auch?«

»Jedenfalls besser als Max,« entgegnete Tübingen. »Weiß der Geier – der ist wie auf den Mund gefallen!«

»Und hat doch die ganze Haarhaussche Expedition mitgemacht,« setzte die Baronin hinzu.

»Doch nicht; nur einen Teil, liebes Kind,« sagte Teupen. »Er trennte sich ja doch bei Walihadarib von Haarhaus und marschierte durch das Thal von Achu-el-banab direkt nach den Bergen der Welkilborno.«

»Wie du diese Namen alle behalten kannst!«

»Gott, Eberhard, das Interesse zur Sache! Ich studiere 131 jetzt die Bagirisprachen; das macht mir viel Spaß. Aber in der That: Max gibt sich wenig aus. Ich hätte vermutet, daß die südliche Welt einen tieferen Eindruck auf ihn machen würde.«

»Seine Pantherfelle und der Kriegerschmuck und die arabischen Gewebe und das ganze übrige Zeugs, von dem er uns schrieb, läßt auch ziemlich lange auf sich warten,« murrte Tübingen.

»Nicht ungerecht sein, Eberhard,« warf die Baronin ein; »Max hat uns doch erzählt, welche Scherereien man ihm auf dem Zollamt in Marseille gemacht hat. Die Sachen werden wieder liegen geblieben sein.«

»Ich mache mir auch den Teufel was draus, Eleonore – aber ich weiß nicht recht: der Max hat da unten das Lügen gelernt. Es kommt mir manches verdächtig bei ihm vor. Die Afrikareisenden schnurren alle – das ist wirklich ein wahres Wort!«

»Das aber auf Haarhaus par exemple keine Anwendung findet,« warf Teupen ein.

Tübingen ereiferte sich. »Dem glaub' ich auch nicht alles und jedes! Na, hör' 'mal, Papa – was er uns da gestern von dem Brüderschafttrinken mit dem Könige von Assamura, oder wie das Dings hieß, erzählt hat – wie sie sich erst Blut abgezapft und dann in den Becher gespuckt haben, pfui Deibel noch eins – hältst du denn das für möglich?! Und wie er den König begrüßt hat – mit der Nase, und was das alles gewesen ist! Das klingt doch sehr unwahrscheinlich!«

»Aber, liebster Eberhard, das sind ja doch alles geheiligte Gebräuche! Wenn wir Brüderschaft trinken, schlingen wir die Arme umeinander und küssen uns schließlich; den Afrikanern würde das ebenso verrückt vorkommen wie uns ihre seltsamen Sitten. Jedes Tierchen hat sein Pläsirchen«

132 »Ein Pläsir denke ich mir's nun gerade nicht, mit dem Könige von Assamura Brüderschaft trinken zu müssen. Es hat jedenfalls seine unappetitliche Seite. Uebrigens: wie lange will Max denn noch bei uns bleiben? Ich freue mich ja von Herzen, ihn hier zu haben – aber schließlich: 'mal muß er doch wieder in den Staatsdienst zurückkehren!«

»Sein Urlaub läuft erst Mitte November ab,« bemerkte die Baronin. »Es ist schon besser, er erholt sich von seiner anstrengenden und strapaziösen Expedition bei uns auf dem Lande als in Berlin.«

»Ich finde, die Strapazen sind ihm recht gut bekommen. Er sieht frisch und gesund aus.«

»Seien wir froh, Kinderchen,« fiel Teupen ein, »daß er seine thörichte Liebesgeschichte glücklich überwunden hat. Das war ja doch die Hauptsache. Deshalb schickten wir ihn runter nach Afrika! Ein bißchen stiller ist er ja geworden – aber das wird sich auch noch geben. Quälen wir ihn nicht und lassen wir ihn in Ruhe! Er muß sich sozusagen erst wieder lokalisieren. . . .«

Die Ankunft der jungen Mädchen brach die Unterhaltung ab. Gleich darauf hörte man ein gewaltiges Poltern auf der Flurtreppe. Das waren die Jungen, die wie eine Windsbraut aus dem oberen Stock herabstürmten, der Mutter die Hand und dem Vater den buschigen Mund küßten, dann begrüßend an jeden einzelnen am Tische heransprangen und schließlich wie ein paar Akrobaten auf ihre Stühle kletterten. Ihnen folgte der Kandidat Freese, der an der Thür stehen blieb, dort den gesamten Anwesenden eine Verbeugung machte und sich in seiner Bescheidenheit erst näherte, als der Baron ihm freundlich zugenickt hatte.

»Morgen, lieber Herr Freese! Bitte nehmen Sie doch Platz! Nun, wie steht's – sind die Jungen artig gewesen?«

»Ich habe nicht über sie klagen können, Herr Baron.«

133 »Aber ich,« sagte Benedikte. »Bernd hat gestern abend Nelly eine Fliege in die Milch geworfen.«

»Oh – das mackte doch nix,« warf die kleine Engländerin errötend ein, und Bernd fuhr lebhaft auf: »O pfui, Papa – die Dikte petzt wieder! Es ist auch nicht wahr, daß ich das mit Absicht gethan habe –«

»Doch ist es wahr,« behauptete Benedikte; »du bist ein zu ungezogener Junge! Du wirst niemals Leutnant werden!«

»Papa, hör' zu – bitte Papa, erst hör' mal zu! Nämlich, ich wollte gern einen Brummer für meinen Laubfrosch haben, weil der immer unten auf der Leiter sitzen bleibt, auch bei schönem Wetter – und Herr Freese hatte gemeint, er hätte wohl Hunger – und da sah ich einen Brummer und wollte ihn fangen, und wie ich mit der Hand nach ihm schlug, da purzelte er ganz aus Versehen in Miß Nellys Milch. So war es, Dikte, und du lügst, wenn du sagst, ich hätte es mit Willen gethan!«

»Streitet euch nicht,« entschied der Papa. »Künftighin fange dir deine Brummer draußen im Freien, Bernd! Am besten wär's schon, du fingst die, die du im Kopfe hast!«

»Papachen,« meldete sich Dietrich, noch mit vollen Backen, »ich habe eine Bitte an dich.«

»Na und?«

»Können wir nach dem Unterricht mit Herrn Freese ein bißchen ausreiten?«

»Was – sind Sie auch Reitersmann, lieber Freese?« fragte Graf Teupen.

»Ach nein, Herr Graf, aber ich würde es ganz gern werden. Das Leben ist ja zum Lernen da. Und auch das Reiten kann man einmal brauchen.«

»Richtig bemerkt,« fiel Tübingen ein. »Laßt Herrn Freese meinen alten Guadalquivir satteln, Jungens; der thut 134 keinem Menschen mehr etwas zu leide. Aber dann immer im Schritt, oder höchstens mal einen ganz sachten Kochäppeltrab!«

Die Jungen jubelten auf. Inzwischen hatte Riedecke die Posttasche und ein großes Paket gebracht. Tübingen öffnete die Tasche mit gewohnter Feierlichkeit und verteilte die Briefschaften. Auch Briefe für Max und Doktor Haarhaus waren dabei. Beide Herren waren Langschläfer, die sich immer am Frühstückstische verspäteten. Die Briefe wurden auf ihre Plätze gelegt.

»Nanu, Fräulein Trude?« sagte der Baron. »Heute nichts für Sie? Das ist ja eine Merkwürdigkeit. Das möcht' ich fast unnatürlich nennen. Aber hier – ein Schreiben an den Herrn Kandidaten . . . genieren Sie sich nicht, lieber Freese, wenn Sie es lesen wollen! Wir pflegen alle unsre Brieflektüre beim Frühstück zu erledigen. Napoleon der Erste soll es ebenso gemacht haben.«

»Und Cäsar schrieb und las Briefe sogar gleichzeitig,« bemerkte Dieter.

»Das ist mir lieb, Dieter. Was Cäsar heißt, kann so etwas, wenn es nicht grade ein Köter ist. . . . Eleonore, die Seesen und der alte Kielmann haben zugesagt; aber die Bistritzens können nicht kommen, von wegen nahendem Klapperstorch. Nun haben wir grade dreizehn – an Gästen nämlich. Mich stört das nicht; aber ich weiß, du hast in Bezug auf diese hübsche Ziffer deine Schwächen. Aehnlich wie mit dem Heiratsjahr.«

»Das eine gehört nicht zum andern, Eberhard. Dreizehn ladet man nicht ein. Schon um der Gäste selbst willen nicht; denn es kann unter ihnen immerhin jemand sein, der an dieser Zahl Anstoß nimmt. Wen haben wir denn sonst noch?«

»Keine große Auswahl. Ich denke, wir nehmen noch 135 Kletzels dazu. Wir können die jungen Leute doch nicht vor den Kopf stoßen! Mit seinem verstorbenen Alten stand ich auf du und du.«

»Wenn nur die Frau nicht wäre,« meinte die Baronin besorgt.

Tübingen legte sein Zeitungspaket aus der Hand.

»Ja, da sage mir bloß, was du gegen die Frau hast, Eleonore! Sie war Schauspielerin – nun meinetwegen; aber selbst die boshaftesten Klatschzungen konnten ihr nichts nachsagen!«

»Nein – das konnten sie nicht,« fiel Graf Teupen ein. »Können die Mädchen nicht gehen? – Geht Kinder; aber wenn ihr die Erdbeeren revidiert, schont meine großen Prince of Wales, die müssen noch reifer werden. . . . So – nun kann man doch ungenierter sprechen! Also die Kletzel hatte einen tadellosen Ruf. War auch nur zwei Jahr bei der Bühne, und ihr Vater ist Professor in Czernowitz. Ich glaube, da gibt's eine Universität.«

»Das deutet mir gar nichts,« bemerkte die Baronin etwas spitz. »Zwei Jahre bei der Bühne ist grade genug –«

»Aber bei einer königlichen, Eleonore.«

»Bühne ist Bühne, Eberhard – das solltest du doch noch aus deiner Leutnantszeit her wissen. Du wirst zwar widersprechen und mir wieder mit einer Fülle schöner Redewendungen kommen; aber es bleibt wie es ist: die Kunst acht' ich, die Künstler nehm' ich nur notgedrungen mit.«

»Kann mir keine Kunst ohne Künstler denken!«

»Deshalb sagte ich notgedrungen. Und der Professor in Czernowitz imponiert mir schon gar nicht. Wo liegt denn Czernowitz? Irgendwo da unten am Balkan, denke ich mir. Wie ich, urteilen übrigens auch die meisten Verwandten Kletzels: die Ziebingens, Rörachs, Triepenborns – sie haben sich allsamt von ihm zurückgezogen. Er verkehrt mit keinem mehr.«

136 »Der hochnäsigen Gesellschaft paßte schon die Schriftstellerei Kletzels nicht. Für den alten Rörach ist ein Dichter ein Federfuchser. Aber ich will mich nicht ärgern. Die Kletzel ist eine reizende kleine Frau; in Ober-Ellingen vergöttert man sie.«

»Ich bin beiden neulich auf einer Spazierfahrt im Zornower Walde begegnet.«

»So? Na, wie sahen sie denn aus?«

»Sie ritten. Er sah sehr chic aus. Aber sie – – Allmächtiger!«

»Ich dächte, sie trüge sich immer recht elegant,« sagte Graf Teupen einlenkend.

»Auf ihre Eleganz achtete ich nicht. Thatsache ist – Jungens, macht, daß ihr an eure Arbeit kommt! – Thatsache ist,« – die Stimme der Baronin dämpfte sich – »daß sie – Hosen trug!«

»Was denn? Reithosen?«

»I nun ja – Reithosen – Pluderhosen und hohe Stiefeln – bis zum Knie! Und saß wie ein Mann auf dem Pferde!«

»Daß du die Motten kriegst! Das möcht' ich gesehen haben!«

»Glaub' ich dir, Eberhard; du hast stets mehr Neigung für das Pikante als für das Wohlanständige gehabt. Papa – sie saß wie ein Mann zu Pferde! Ist dir so etwas vorgekommen?!«

Der alte Herr nickte. »Ich muß es bejahen, Eleonore. Die Metternich zum Beispiel und die Lady Hunton. Damals fiel's auch auf, aber jetzt soll der Rittlingssitz für Damen ja in die Mode gekommen sein.«

»Das ist mir ganz gleichgültig. Für Hohen-Kraatz gibt es derlei Moden nicht. Aber trotz alledem; lieber Eberhard, Frau von Kletzel soll nicht der Zankapfel zwischen uns sein. 137 Lade die Herrschaften ein. Ich bedinge mir nur aus, daß die Kletzel weder neben Max noch neben Doktor Haarhaus gesetzt wird. Die sind mir zu feuergefährlich.«

»Machen wir. Ich werde sie neben den alten Kielmann setzen; der ist ausgebrannt. Da hätten wir also die ominöse Dreizehn glücklich überwunden. . . . Was gibt's denn, lieber Herr Freese?«

Der Kandidat hatte die Jungen herausgebracht, war aber noch einmal unter die Thür getreten. Er hatte einen geöffneten Brief in der Hand.

»Vergebung, Herr Baron,« sagte er. »Da schreibt mir soeben Herr Reinbold – derselbe, den Sie –«

»Weiß schon, Herr Freese, weiß schon!«

»Der schreibt mir, er hätte seine Pfarramtsprüfung glücklich hinter sich, und da er zufällig gehört, daß Pastor Strimonius sich emeritieren lassen wolle, so möchte ich mich doch einmal bei dem Herrn Baron erkundigen, ob er nicht hier in Hohen-Kraatz eine Probepredigt halten dürfe.«

Tübingen schlug mit der Hand auf den Tisch.

»Na, Eleonore, was sagst du dazu? – Du hast wirklich Glück! Jetzt kriegst du auch noch deinen geliebten Reinbold!«

»Eberhard, ich bitte dich, menagiere dich ein klein wenig. Ich nehme keinerlei weitere Interessen an Herrn Reinbold, als daß er Theologe ist. Warum soll ich streiten, daß mir diese Fakultät sympathisch ist?«

»Ich habe gewiß nichts dagegen,« entgegnete Tübingen. »Also schön, lieber Freese – Reinbold soll antreten und predigen!«

»Nicht so ohne weiteres,« wandte die Baronin ein. »Es ist da doch noch mancherlei zu überlegen. Der junge Herr ist unverheiratet; ist er denn wenigstens schon verlobt, Herr Freese?«

138 »Nein, Frau Baronin – daß ich nicht wüßte.«

»Wird schon kommen,« meinte Tübingen; »erst die Pfarre, dann die Quarre. Es hat noch niemals ein Pastor länger als ein Jahr unverheiratet die Seelen gehütet. Mit den Schulmeistern ist es gerade so.«

»Ich möchte aber gern erst wissen, wie er aussieht, Eberhard. Herr Freese, schreiben Sie ihm doch bitte, er möchte uns seine Photographie schicken.«

Tübingen lachte. »Wie bei einem Heiratsgesuch! Schreiben Sie dazu, daß wir mit seinem Konterfei keinen Unfug treiben würden. Diskretion Ehrensache. Vor allen Dingen soll er sein Prüfungszeugnis mitschicken.«

Freese verneigte sich. »Schön, Herr Baron,« entgegnete er und trat dann zur Seite, da Max und Haarhaus im Gartenzimmer erschienen.

Der große Afrikaner, von dem derzeitig alle Zeitungen sprachen, machte heut' einen ganz andern Eindruck als an jenem Morgen, da man ihn nicht ohne Grund für einen fechtenden Handwerksburschen hielt. Er war ein auffallend hübscher Mensch, allerdings von einer gewissen brutalen Schönheit, mit der auch der hochmütige Zug um seinen gern lachenden, prachtvolle weiße Zähne zeigenden Mund übereinstimmte.

Nach herzlicher Begrüßung nahmen die beiden Herren Platz und begannen mit gesundem Appetit zu frühstücken und dabei ihre Briefe zu lesen.

»Na endlich,« sagte Max, das an ihn gerichtete Schreiben in die Tasche steckend. »Die Zollbehörde zeigt mir an, daß meine Kisten aus Afrika eingetroffen sind. Ich habe einen Spediteur mit der Verladung beauftragt; ein Teil der Sachen bleibt gleich in meiner Berliner Wohnung; das übrige muß übermorgen in Plehningen sein.«

»Sind die jungen Damen schon ausgeflogen?« fragte 139 Haarhaus. »Ich möchte ihnen eine Partie Croquet vorschlagen.«

»Sie werden sie im Obstgarten finden oder hinten auf der Insel, lieber Doktor,« erwiderte Graf Teupen. »Die Insel lieben sie besonders; das bedeutet für sie ein Stück Weltabgeschiedenheit. Und eine Mädchenphantasie schwankt gern zwischen den Freuden der Welt und der Einsamkeit, zwischen dem Brevier der Tanzkunst und Paul und Virginie.«

»Paul und Virginie lob ich mir,« sagte der Doktor. »Ich bin auch nur dann Einsamkeitsmensch, wenn der Robinson einen Freitag zur Seite hat, am liebsten einen weiblichen. Deshalb denk' ich auch gern an ein leider nur zu kurzes ostafrikanisches Idyll zurück – an die paar Tage, die ich im Norden des Kilimandscharo in einer Felshöhle allein mit einer kleinen Dschaggasklavin verlebte, die mich bei einem Fieberanfall pflegte, während meine Leute weiterzogen.«

»Einer Sklavin?« fragte die Baronin. »Ist denn das da unten wirklich noch so? Wir sammeln doch so viel für die Missionen.«

»Ich weiß, gnädigste Frau. Ich sah in Ihrem Salon den kleinen Porzellanmohren stehen, dessen offenes Mäulchen mit stummer Gebärde an die Mildthätigkeit der Herzen appelliert. Aber der schnöde Mammon ist doch nicht immer der beste Kulturträger. Wie soll er dem Suaheli das Weib achten lehren? Für ihn steht die Frau mit dem Vieh auf gleicher Stufe; man kauft, verkauft, verschenkt oder verpfändet sie.«

Die Baronin griff nach ihrem Schlüsselkorbe und erhob sich.

»Das ist schrecklich,« sagte sie. »Die Frauen haben es ja nirgends sonderlich gut auf der Welt« – und sie sah dabei ihren schmunzelnden Gatten an – »aber ganz so schlimm 140 wie die Suaheliweiber sind wir Gott sei Dank doch noch nicht gestellt. Haben Sie denn nicht versucht, diesen armen Geschöpfen ein besseres Los zu bereiten?«

Der Doktor schüttelte den Kopf. »Nein, gnädigste Frau. Man kann da nur schrittweise vorgehen. Vorläufig haben wir in Afrika mehr zu thun, als an die Emanzipation der Frauen zu denken.«

Die Baronin schob ihren Schlüsselkorb unter den Arm und rief Cosy. Der Gedanke an die Sklaverei der Suaheliweiber bewegte sie sichtlich.

»Nun, Max, und du?« fragte sie. »Denkst du auch so? Auch schrittweise?«

Max schien geträumt oder an ganz etwas andres gedacht zu haben; er fuhr hastig in die Höhe und nickte lebhaft.

»Versteht sich, Mama! Immer nur schrittweise!« antwortete er.

Auch Tübingen war aufgestanden, um auf das Feld zu gehen. Er deutete auf das Paket, das mit der Posttasche gekommen war.

»Hier, Eleonore – deine Literatur aus der Leihbibliothek!«

»Sie kann liegen bleiben. Ich werde die Sachen nach dem Abendbrot durchsehen. Hoffentlich hat mir Moldenhauer nicht wieder so viel Neueres geschickt. In den Romanen von früher drehte sich doch gewöhnlich auch alles um die Liebe, aber – ich weiß nicht, man schreibt heute viel aggressiver. Wenn wieder was von Tovote dabei ist, schickst du es gleich zurück, Eberhard. Ich habe immer Angst, die Mädchen kommen mir einmal über die Bücher.«

Dann ging sie. Tübingen steckte seine Zeitungen ein und griff nach Stock und Mütze.

»Wie ist denn das Programm der Herren Afrikaner für heute?« fragte er, schon an der Thür.

141 »Croquet, Arbeit, Boccia, Arbeit, Fußball, Arbeit,« erklärte Haarhaus. »Zwischen jedem Bewegungsspiel drei bis vier Seiten Manuskript. Als halber Engländer bin ich sehr für praktische Zeiteinteilung – auch für gemischte Kost.«

»Ich möchte Nachmittag auf ein Stündchen nach Langenpfuhl,« sagte Max.

Tübingen machte ein erstauntes Gesicht, während das des alten Teupen freudig erglänzte. Doch setzte er als gewiegter Diplomat sofort wieder eine gleichgültige Miene auf.

»Willst der Seesen mal guten Tag sagen?« meinte er harmlos.

»Ja, Großpapa. Langenpfuhl ist ja doch sozusagen ein Vorort von Hohen-Kraatz. Und für Frau von Seesen hab' ich immer was übrig gehabt.«

»Ist auch ne brave Frau,« sagte Tübingen und ging. Graf Teupen überlegte, ob er der Herrin von Langenpfuhl gleichfalls ein Loblied singen solle. Aber nein, das wäre unpolitisch. Abwarten, und nur mit Vorsicht treiben, und immer aus der Verschanzung.

Die Herren hatten sich ihre Cigarren angesteckt. Riedecke räumte den Tisch ab. Auch Teupen erhob sich zu seinem Morgenspaziergang durch den Obstgarten. Plötzlich schien ihm noch etwas einzufallen, was ihn innerlich sehr belustigte, denn er lächelte verschmitzt.

»Sage mal, Max,« meinte er; »scha illa muganga pst pst, eri konikumba boschina?«

Max, der Haarhaus soeben auf die Veranda folgen wollte, blieb mit außerordentlich verdutztem Gesicht stehen.

»Wie?« fragte er.

»Eri konikumba boschina?« wiederholte Teupen sehr geläufig; »maranga pst pst soni bettamislomtik. . . .«

Maxens Augen vergrößerten sich.

142 »Entschuld'ge, Großpapa – aber ich verstehe dich beim besten Willen nicht. Ich habe bloß ein paarmal pst pst verstanden.«

Teupen lachte herzlich.

»Mein Gott, das ist ja doch die Bagirisprache!« antwortete er. »Ich denke, ohne die kommt man im Sudan gar nicht durch – sagt Nachtigall – oder Vogel – oder ist's doch Nachtigall gewesen?! Nein, Livingstone sagt es.«

Max hatte sich etwas hastig umgewendet.

»Ach so . . . Aha – – aber, lieber Großpapa, du betonst absolut falsch! Namentlich das pst pst – das darf man nur hauchen. Und dann . . . Ja, ich komme schon, Doktor!« rief er plötzlich auf die Veranda hinaus und ließ den Grafen allein.

Teupen lächelte noch immer, ward aber mit einemmal ernst.

»Wenn ich falsch betone, nützt mir die ganze Sprache nichts,« sagte er sich. »Ich werd's aufgeben. Das pst pst soll nur gehaucht werden; Max soll mir das mal vormachen. Konsonanten lassen sich gar nicht hauchen. Ich glaube, der Junge hat selbst keine Ahnung von der Bagirisprache. Der hat sich von Haarhaus ins Schlepptau nehmen lassen und ist einfach mitgedruselt. Aber daß er zur Seesen will, freut mich. Das ist die erste Etappe. Ich werd' mir 'mal die Eleonore suchen. Wir müssen noch ein paar Worte über die Gesellschaft sprechen. Mit Tübingen kann man nicht reden. Er hat keinen Schimmer von Diplomatie. . . .«

Dann drehte er sich eine Cigarette, die er aber nicht mit einem gewöhnlichen Schwefelholze entzündete, vielmehr zog er ein kleines silbernes Etui aus der Tasche, dem er ein Wachsstreichhölzchen entnahm, und an diesem steckte er seine Cigarette an. Hierauf wedelte er rasch einmal mit seinem parfümierten Foulard durch die Luft und trippelte 143 sodann mit den ihm eigentümlichen kleinen und zierlichen Schritten davon.

Währenddessen war Max, Haarhaus am Arm, wie ein Wilder in den Park hinabgestürmt.

»Adolf, das halte ich nicht länger aus!« schimpfte er. »Das ertrag' ein andrer! Die Eltern fragen einem wenigstens nicht die Seele aus dem Leibe – aber der Großpapa! Adolf, weißt du, wie mich der Großpapa soeben angeredet hat?«

»Englisch?«

»Nein – bagirisch! Im ganzen Sudan sagte man nur immer pst, pst – oder so ähnlich. Er hat schon bagirisch gelernt, Adolf! Er bringt mich um mit seiner Kolonialwütigkeit! Er weiß ja hundertmal besser Bescheid als ich! . . . Was ist denn das für eine niederträchtige Sprache, dies Bagirische?«

Haarhaus lachte, daß ihm die Augen tropften.

»Aber, Liebster, ich ahne es ja nicht! Weiß der Himmel, wo der alte Herr das gelesen hat! Vielleicht in einem Reisebericht aus der Südsee oder von den Molukken – und dann hat er die Geschichte verwechselt!«

»Das trau' ich ihm zu. Und ich Esel bin auf diese Verwechslung hereingefallen. Ich habe ihm bloß gesagt, er hätte falsch betont. Irgend etwas mußte ich doch sagen. Ich bin lediglich auf Suaheli geaicht. Bis Mitternacht hab' ich in deiner Grammatik studiert, um mich nicht allzusehr zu blamieren. Die Werke von Stanley und Juncker und Peters und Casati hab' ich im Kleiderschrank eingeschlossen, damit man sie nicht findet. Schlafen kann ich auch nicht mehr. Useguha und Wagindo und Uhehe und Aruscha, Puscha, Nuscha, das schwirrt mir alles im Kopfe herum, und schlafe ich wirklich einmal, dann träume ich von Kannibalen und Hottentotten. Adolf, bemitleide mich!«

»De tout mon coeur, mein Junge. Aber bedenke; du 144 hast dich selbst in diesen Zwiespalt der Natur hineingeritten – und ich bin kein Oerindur. Ach nein – auch über meinem schuldlosen Haupte gewittert es. Wenn die Bombe platzt, weisen auch auf mich die Finger der Ankläger. Wie der Stehler, so der Hehler. Ist's nicht am besten, kurzen Prozeß zu machen? Du weißt, ich bin für kurze Prozesse. Man lernt das da drunten.«

Max war stehen geblieben und faltete die Hände.

»Adolf, thu mir die Liebe und red' nicht solchen Unsinn. Du kennst die Verhältnisse nicht, kennst nicht die Mama und den Großpapa. Sie sind die Machthaber auf Hohen-Kraatz, die Tyrannen meines Glückes. Hier heißt es einfach, strategisch zu Werke gehen –«

»Diplomatisch, sagt Graf Großpapa.«

»Allerdings; sondieren und langsam das Terrain erobern. Und dabei muß mir die Seesen helfen.«

»Du willst Nachmittag zu ihr?«

»Nein. Nachmittag will ich in den Erlenbruch. In diesem Falle war die Seesen ein Vorwand. Aber vielleicht fahr' ich morgen nach Langenpfuhl. Die Seesen liebt mich.«

»Na, na!«

»Cum grano salis natürlich. Es ist nämlich von jeher Großpapas glühender Wunsch gewesen, mich mit ihr zu verheiraten – aus Familienrücksichten. Und sie merkte das. Da nahm sie mich denn eines Tages vor und sagte mir: ›Wir wollen einen Pakt schließen, Baron. Schwören wir uns, daß wir uns nie kriegen. Schwören wir uns ewige Untreue.‹ Und das haben wir denn auch gethan, und in der Folge hab' ich die Seesen in alle Verhältnisse eingeweiht.«

»Was du sagst! Und wie nahm sie die Sache auf?«

»Sie unterstützte sie lebhaft und amüsierte sich 145 königlich darüber. Sie hat lange an der Kette gelegen und ist deshalb sehr für Freiheit des Herzens.«

»Ein interessantes Frauenzimmer. Ich freu' mich, sie kennen zu lernen.«

»Sie wird dir gefallen. Und nun noch eins, Adolf. Laß mir den Anfang deiner Tagebuchblätter heraus, damit ich weiß, wie wir eigentlich marschiert sind. Die Gegend um den Kilimandscharo kenn' ich noch gar nicht.«

Haarhaus lachte wieder. »Soll geschehen, my boy. Aber erst muß ich eine Partie Croquet mit den Backfischen spielen! Da kommen sie schon! Bist du nicht dabei?«

»Ich werd' den Teufel thun. Cantonnementsquartierspiele sind mir ein Greuel. Ich geh' auf mein Zimmer und studiere. Auf Wiedersehn! . . .«

Die Backfische waren mit dem Croquet einverstanden. Benedikte und Nelly schleppten den Kasten auf den freien Platz unter den Kastanien und packten aus, während Trude Palm mit Haarhaus englisch sprach. Vor ihm glänzte sie gern. Sie schwärmte für England, weil sie wußte, daß Haarhaus einen Teil seiner Jugend in London verlebt hatte. War Graf Brada anwesend, dessen Geschlecht sich von irgend einem lombardischen Baron aus der Zeit Barbarossas ableitete, so schwärmte sie für Italien.

Das Spiel begann. Haarhaus war in allen diesen Sportspielen Meister – elegant, kraftvoll und sicher. Er fühlte sich sichtlich behaglich in Hohen-Kraatz. Laut seinem Vertrage mit einem bekannten Leipziger Verleger mußte er sein Werk über seine Neuentdeckungen im Pare- und Kilimandscharogebirge bis zu einer bestimmten Frist abliefern – und bei seinem Onkel Kielmann kam er wenig zur Arbeit. Der Alte war in seiner Liebenswürdigkeit so beständig um ihn herum, daß Haarhaus froh gewesen war, ausrücken zu können. Hier aber hatte er Ruhe und zugleich Abwechslung.

146 Die drei hübschen Mädchen boten sie ihm zur Genüge. Alle drei machten ihm gleichmäßig Spaß. Sie schwärmten ihn an, bewunderten ihn und fanden ihn reizend – und das that seiner Gottähnlichkeit wohl.

»Wer ist dran?« fragte Benedikte. »Trude! – Trude, du döst wieder!«

Trudchen machte ihr Spiel, schwenkte dabei kokett mit dem Rocksaum und zeigte ihre gelben Bottinen. Währenddessen unterhielt sie sich mit Haarhaus.

»Mister Haarhaus, wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, nach Afrika zu gehen?« fragte sie. Sie nannte ihn gern Mister; Benedikte fand das albern, und Nelly spleenig.

»Na, wie man so auf etwas kommt, Gnädigste. Ich dachte mir: den Kilimandscharo kennt man nur von unten. Da willst du doch 'mal sehen, wie er oben aussieht. Und da fuhr ich denn hin; das heißt, halb fuhr ich, halb lief ich.«

»Ach, Mister Haarhaus, Sie machen immer bloß Unsinn mit uns! Meine Frage war doch ganz vernünftig.«

»Natürlich war sie das. Aber was soll ich Ihnen sonst antworten?!«

»Sie müssen doch einmal etwas andres gewesen sein, ehe Sie Afrikaforscher wurden,« sagte Benedikte, den Doktor, der ihr sehr imponierte, von der Seite betrachtend. »Oder kommt man als solcher gleich auf die Welt?«

»Ich möchte das eigentlich bejahen, gnädiges Fräulein. Der Forschertrieb ist etwas Angeborenes. Aber freilich hab' ich die Afrikareiserei nicht studiert, wenigstens nicht von vornweg. Ich bin von Hause aus Jurist. Wissen Sie, was das ist?«

»Ja natürlich. Gott, was halten Sie uns für dumm! Ein Jurist ist ein Rechtsprecher.«

»Leider nicht immer.«

147 »Ein Verurteiler,« sagte Trudchen.

»Ich wollte nun grade Verteidiger werden, Fräulein Palm. Aber dabei verflaut der Charakter. Das ganze Menschheitsbild verschiebt sich. Tugend und Laster quirlt durcheinander. Man wird irre an sich selbst. Man soll einen Lumpen zu einem Gentleman stempeln, und innerlich wehrt man sich dagegen. Schließlich machte es mir kein Vergnügen mehr, schwarze Menschen weiß zu waschen, und da ging ich denn lieber ganz zu den Schwarzen.«

»Wie weit ist eigentlich Max mit hinaufgeklettert,« fragte Benedikte, »ich meine auf den Kilimandscharo?«

»Nur ein Stückchen,« erwiderte Haarhaus mit kühner Stirn. »Dann blieb er am Wege sitzen; es war ihm zu beschwerlich. Es ist nämlich ziemlich steil, und oben liegt Schnee.«

»Nelly – schwarzrot! Deine Kugel! . . .« Und da Haarhaus sich in diesem Augenblick umwandte, am Rondell eine Rose für sein Knopfloch zu pflücken, flüsterte Benedikte Trudchen zu: »du – der ulkt uns an!«

»Ach nein, Dikte – glaubst du?«

»Ganz gewiß, aber es schadet nichts. Er ist doch ein prachtvoller Mann.«

Und nun wandte sich Haarhaus zurück und reichte jeder der jungen Damen eine Rose, nachdem er sich selbst eine in das Knopfloch gesteckt hatte. Miß Nelly, die er am wenigsten beachtete, erhielt eine blaßrosa, Benedikte eine dunkelrote, und Trude zu ihrem grenzenlosen Aerger eine gelbe. Die Mädchen dankten und zogen die Rosen durch ihre Gürtel. Aber Trudchen leuchtete die dunkelrote Benediktes in Herz und Seele hinein; dunkelrot hieß brennende Liebe, und gelb war die Farbe des Neides. Trudchen schäumte heimlich vor Wut, und als äußeren Ausdruck ihres Grimms hieb sie, da sie gerade am Spiel war, so gewaltig 148 mit dem Hammer gegen ihren Ball, daß dieser lustig hüpfend die Allee hinunterrollte, immer weiter und weiter, bis er am Rande der Fliederbosketts liegen blieb.

»Aber Trudel!« rief Nelly. Dann setzten sich die drei Grazien in Trab, den Ball wiederzuholen. Kaum sah das Haarhaus, so trabte er gleichfalls los. Jetzt wurden die Mädchen von Uebermut ergriffen. Sie flogen wie bunte Pfeile über den Kiessand, und Trudchen rief: »Wollen 'mal Wette laufen, Mister Haarhaus!«

»So läuft man in Europa, Herr Doktor!« setzte Benedikte hinzu und ihre Zöpfe flatterten hinter ihr her. Der Ball blieb liegen; es gab jetzt wirklich ein Wettrennen. Haarhaus war ein ausdauernder Marschierer, aber kein Schnellläufer. Die Sache strengte ihn an. Es kam ihm auch albern vor, mit den Backfischchen Huschekätzchen zu spielen. So recht eigentlich war das seiner nicht würdig. Trotzdem schoß er hinter den Mädchen her. Doch sie waren flinker als er; er mußte sich Mühe geben, sie einzuholen.

Endlich war er Benedikte dicht auf den Fersen. Er wußte nur nicht, wie er sie fassen sollte – an den Zöpfen ging nicht und an den Röcken war nicht recht passend. So nahm er sie denn um die Taille und rief dabei: »Viktoria! . . .« Erhitzt, lachend und nach Atem ringend lag Benedikte einen Augenblick in den Armen des Doktors. Dann riß sie sich los, blutrot werdend, und auch er ward ein wenig verlegen. Durch Trudes Herz aber zuckte es empört und schmerzlich. »O diese Dikte!« sagte sie sich; »sie hat sich absichtlich von ihm fangen lassen! . . .« 149



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