Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die vorarisch-altindische Himmelsfrau

Vater-Himmel und Mutter-Erde ist die kosmologische Formel der arischen Völker und zugleich ihr Sinnbild für Rangverhältnis und Stellung der Geschlechter zueinander: Dyāus-pitar und Prithivī-mātar in den Veden der indischen Arier, Uranos und Gaia, Zeus und Hera bei den Griechen, dazu Diespiter-Juppiter in Rom. Daneben sind Adler und Schlange ein uraltes Symbolpaar für Kräfte des Himmels und Kräfte der Erde: der König der Vögel, der im Gipfelraume schwebend, frei den Äther durchmißt, Sinnbild der frei fliegenden Gestirne, cognata ad sidera tendit, das sonnenhafte Zeichen; daneben die Schlange, wie Fluß und Rinnsal am Boden sich schlängelnd, in Erdlöchern hausend und aus ihnen schießend wie ein Quell: Urzeichen der chthonischen Mächte, die das nährende Wasser des Lebens in verborgener Tiefe hüten und bei seinem Schatze die anderen Schätze der Erde, Juwelen und Metalle, bewachen. Urmutter Erde, die alles aus sich nährt und wieder in sich schlingt, die das Leben, das sie tränkt, an ihrer Brust umschlungen hält und ihm die freie Weite oben versagt; daneben die grenzenlose Ferne frei schweifenden Geistes, der sich der kreatürlichen Fessel erdhaften Ursprungs entwand, den Vogelblick in die Unendlichkeit gerichtet, beide stehen sich in den Tierzeichen der Schlange und des Adlers gegenüber.

In Maisur in Südindien werden seit alters Schlangensteine (Nāga-kals) unter heiligen Bäumen errichtet als Votivgaben von Frauen, die sich Kinder wünschen. Manche von ihnen zeigen eine Schlangenmutter, die zwei junge Schlangen in ihren Armen hält, auf anderen sieht man zwei mehrfach miteinander verschlungene Schlangen, deren Häupter sich begegnen. Diese zeitlosen Weihgaben vorarischer Volksreligion haben eine sehr alte Verwandtschaft: der Opferbecher des Gudea von Lagasch aus der sumerischen Epoche um 2600 vor Christus zeigt dieselben Schlangen, daneben aber steht ein geflügeltes Wesen, ein Vogel, der aufrecht geht und Hände besitzt.

Erdschlange und Himmelsvogel sind einander vielfältig als Paar gesellt, oft in Feindschaft, wohl immer in Gegensatz. Bei Homer erscheint der Adler, der eine blutende Schlange in seinen Fängen hält, den Helden vor Ilion als glückhaftes Vorzeichen – im Sinne Bachofens deutete es auf die Überwindung der weiblich-chthonischen Asia, deren Losung Helena folgte, durch die uranisch-vaterrechtliche Ordnung Griechenlands, die mit Ilions Fall triumphiert. Nietzsche gesellt seinem mythischen Doppelgänger Zarathustra Adler und Schlange, »das stolzeste und das klügste Tier«, die einander freund sind. Was von Homer zu Nietzsche als Symbol gewandert ist, wird älter sein als jener Becher, den Gudea von Lagasch vor viereinhalb Jahrtausenden in einer reifen Stunde der Geschichte in Händen hielt; aber aus dem mesopotamischen Kulturkreis könnte das Symbol dieses Tierpaares gen Osten in die vorarische Kultur Indiens gelangt sein wie nach Westen zu den Griechen Homers. Indien war immer dem vorderasiatischen Westen offen: nachmals der hellenistisch-römischen Kunst seines Raumes, vordem der achämenidischen Reichskunst und dem reichen altmesopotamischen Formenschatz, ehe diese ihn beerbte und daheim provinziell abwandelte. C. L. Fabri hat kürzlich im Detail von Motiven und Stilgebung aufgezeigt, wieviel die prähellenistische Kunst Indiens im dritten Jahrhundert vor Christus mesopotamischen Vorbildern verdankt. ›Mesopotamian and early Indian art, comparisons‹ in: Les études d'orientalisme publiées par le Musée Guimet à la mémoire de Raymonde Linossier (Paris 1932).Er zieht aus seinen Vergleichen den Schluß, »it will in future be impossible to write the early history of Indian art without a thorough investigation of Mesopotamian influences«. Wie das Schlangenpaar des Gudeabechers sich Fabris Material anreihen läßt, schlägt noch ein anderes Schlangenmotiv die Brücke zwischen Mesopotamien und Altindien. Babylonische Siegelzylinder zeigen einen sitzenden Gott, dem zwei Ströme Wasser aus beiden Schultern springen; die Kunst der indischen Jainasekte aber, die wie ihre eigenartige Lehre als eine Art Schatzhaus und Petrefaktensammlung vorarisch-alter Vorstellungen Indiens anzusprechen ist, stellt den Stifter der Jainalehre, Pārschvanātha (achtes Jahrhundert vor Christus), dessen ständiges Kennzeichen, um ihn von anderen Heiligen seinesgleichen zu unterscheiden, ein Schirm von Schlangenköpfen überm Haupte ist, auch gern mit zwei Schlangen dar, die wie Wasserstrahlen seinen Schultern entspringen. Das Motiv der zwei Schlangen, die einem übermenschlichen Wesen aus den Schultern wachsen, läuft übrigens in Persien bis ins Schahname.

Es lohnt, den Blick von Indien nach Westen zu wenden, wenn man die indische Symbolik von Vogel und Schlange oder von Himmel und Erde ins Auge faßt. In Indien ist der Sonnenvogel Garuda der Todfeind aller Schlangen (nāga), er versengt und verzehrt sie, wo er sie findet. So trinkt die indische Sonnenglut die Wasserläufe allerwegen auf. Ein alter Mythos erklärt die Feindschaft des Garuda mit den Nāgas: sie sind Stiefgeschwister vom selben Vater her, einem alten Welt- und Schöpfergott, der zwei Frauen hatte: die Vinatā und die Kadrū. Die beiden waren einander natürlich gram, und Garuda fiel es zu, seine Mutter Vinatā aus der Sklaverei bei ihrer Rivalin zu befreien, in die sie durch eine List der Anderen geraten war. Ein altes spätvedisches Erzählungslied, das außerhalb der eigentlichen sakrosankten Schultradition herlaufend durch einen glücklichen Zufall nicht wie so unendlich Vieles aus dem indischen Altertum verlorenging, der »Suparnādhyāya«, die »Geschichte vom Schöngefiederten«, das heißt vom goldgefiederten Sonnenvogel Garuda, hat eine Himmelsvorstellung bewahrt, die der arischen vom Himmelsvater stracks zuwider läuft. »Himmel und Erde sind Schwestern«, heißt es da, »in körperlicher Gestalt aber bewegen sie sich in den Welten. So war denn einst der Himmel Vinatā, das Adlerweib; die Erde aber war eine Schlange namens Kadrū.« – Kadrū ist die Mutter der Schlangen, Vinatā aber hat drei Söhne, drei Gestalten des Himmelslichts: den Blitz, den Morgenrot und den Sonnenvogel Suparna-Garuda. Der Name Kadrū ist etymologisch undurchsichtig, aber was der Name des Adlerweibes Himmel meint, ist klar: »Vinatā« ist die »nach beiden Seiten auseinandergebogene«. Die indische Kunst hat kein Bild dieser alten Himmelsfrau bewahrt, der gültigen Kosmologie ist sie fremd, aber wie man sich diese »nach beiden Seiten auseinandergebogene« Göttin zu denken hat, lehrt ein Blick nach Westen, – nicht nach Mesopotamien, aber nach Ägypten. Hier ist das Verhältnis von Vater Himmel und Mutter Erde umgedreht: der Mann ist die Erde, gewaltig wölbt sich der Himmel als Frau über ihm, und nur mit scheuer Gebärde wagt seine Hand ihren Fuß zu berühren. Entschieden gab es eine vorarische Epoche Indiens, wo es archaische Vorstellungen vom Weltbau mit Ägypten teilte; das meint aber: Religion und Sozialordnung, speziell Rang und Rolle der Geschlechter, deren Spiegel die Kosmologie ist, glichen einander in beiden Ländern.

In dieser Epoche war die Frau offenbar ›oben auf‹; sie war so hoch über dem Manne, wie der Himmel über der Erde und überschattete ihn vom Kopf bis zu den Füßen, und wenn es ihr gefiel, sich ihm zu nähern, um sich ihm zu schenken, mußte sie sich zu ihm herablassen. Dieses ägyptische Schema ist ein umgekehrtes Urbild des mythischen Hieros Gamos von Uranos und Gaia: die Himmelsfrau als kosmischer Incubus. Das war die Zeit, von deren Ordnung her Isis das Scepter hält, indes Osiris, ihr kleinerer Bruder, als ihr zarter und zärtlicher Gatte, der dem rohen Typhon erliegt, die Rolle des vielgeliebten Prinzgemahls spielt. Im ganzen indischen Kulturkreis, soweit vaterrechtlich-arische Ordnung ihn nicht brahmanisierend durchdrang: im Dekkan und Himālaya, Hinterindien und Tibet, besteht eine entsprechende Rollenverteilung der Geschlechter noch heute; Sir Galahad hat sie in dem schönen Rundblick »Mütter und Amazonen« anmutig skizziert, und diesem völkerkundlichen Material ließe sich die Symbolik des tantrischen Schivaismus anreihen: Schiva als Allgott wird mit seiner Gattin, seiner weltschaffenden Kraft (schakti und māyā) in unlöslicher Umschlingung geschaut, als heiliger Incubus reitet sie auf ihm, der wie ein Toter ausgestreckt liegt. Die lamaistische Symbolik hat dieses Schema des göttlichen Paares mit vielfacher Sinnfülle buddhistischer Esoterik beladen und bevorzugt dabei stehende und sitzende Gruppen, tibetisch »Yab-Yum« genannt: Heiliger und weiblicher Genius, oder ein göttlich-dämonisches Wesen und seine Kraft; aber die Haltung all dieser Paare spiegelt das uralte Schema Ägyptens wider, das dem vorarischen Indien geläufig gewesen sein muß und mit seinem Erbgut in Gestalt schivaitisch-tantrischer Lehren schließlich in die späthinduistische Orthodoxie gemündet ist. Die Symbolik des Hinduismus wandelt das Obenauf des göttlichen Weibes über dem liegenden Gatten in das Stehen der Göttin Kālī auf dem liegenden Schiva; Kālī-Schakti, weltschaffendes Leben als tödlich alles verschlingende Zeit, steht auf der Doppelgestalt der ruhenden Ewigkeit, auf dem Gatten Schiva, der in asketischer Abgestorbenheit leichenhaft ausgestreckt liegt und darüber unter der lebenspendenden Berührung ihres Fußes in jugendlichem Erblühen sich regt.

Die christliche Welt verträgt keine erotische Symbolik des Göttlichen, geschweige denn eine, in der das Weibliche oben auf ist. Aber

Die ewigen Symbole
wissen wohl zu leben,
bewahrt sie nicht die Kunst,
tut es der Kitsch daneben.

Ins Alberne und Anstößig-Komische abgesunken, geflüchtet in die unterweltliche Sphäre des Ungeschmacks, wo das Unerlaubte zum Scherz erlaubt ist, weil es nicht verpflichtet, wo Spießers Freude am Obszönen Verdrängtes im Spielzeug wahrhaben darf, ist das tibetische »Yab-Yum«-Symbol auch bei uns zu Haus, – etwa als Aschenbecher. Wie sehr die ergreifende Unterschrift »Retour« – »Heimg'funden« – esoterischer Sinngebung solcher Gruppen im Lamaismus entspricht, ließe sich leicht ausführlich belegen.

Aber die ägyptisch-vorarische Himmelsfrau ist auch in das schönste Mysterium des neueren Abendlandes eingegangen: in die »Zauberflöte«. Ist sie nicht, mit ihrem Leib von Sternen funkelnd, die »sternflammende Königin«, von der Papageno spricht: die Königin der Nacht? Sarastro, »den siebenfachen Sonnenkreis der Eingeweihten auf der Brust« bricht ihre Macht, indem er ihr die Tochter raubt und Pamina, auf der die Fortdauer des weiblichen Königtums beruht, seinem eingeweihten Jünger Tamino vermählt, an dessen Seite sie lernen wird, sich und die Welt »der Führung weiser Männer zu überlassen«. Sarastro selbst faßt den schließlichen Sieg des männlich-solaren Prinzips in die Formel »die Strahlen der Sonne vertreiben die Nacht«, – aber alles was er der gestürzten Sternhimmelskönigin vorwerfen konnte, war: »sie ist ein Weib, hat Weibersinn.« – Der arische Kulturkreis führte Sarastros Sieg herauf: der Himmel ward Mann und Vater, die weibliche Erde unter ihm demütige Gebärerin. Ein neues Weltalter kam mit aller grandeur und misère der Männerherrschaft.

Die ›Dramatis personae‹ des alten Mythos: Adlerweib und Schlangenfrau, dazu ihr Gatte, Kaschyapa, das ist der »Schildkrötenmann«, oder auch Tārkschya, ein am Himmel fliegendes Roß, nachmals ein Vogel, also ein altes Sonnensymbol – sie alle tragen noch Tiermasken und zeugen verblassend von der alten Zeit, da das Göttliche mehr Tier- als Menschenmasken trug. Aber auch die Menscheneltern Vater Himmel und Mutter Erde sind inzwischen verschlissen; im stählernen Weltalter von Erdöl und Beton, Ekrasit und Kunstseide ist »... überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen« ein Konzertsaalmotiv, private Feierstunde der modernen Seele vom entgötterten Alltag, kompensatorischer Weekendlyrismus, überdröhnt von Propellerchören trainierender Bombengeschwader. Aber die Himmelsfrau, die sich hoch über dem Erdenmann unter ihr wölbt, ist schon seit längerem wieder auferstanden in unserem modernen Kulturkreis; allerdings hat »unser Kontinent, der alte« ihr einstweilen noch nicht offiziell gehuldigt, aber – »Amerika, du hast es besser!« – USA hat ihre Rangordnung der Geschlechter zu der seinigen gemacht. Dort ist das altägyptisch-vorarische Schema jedem Ehemann aus täglicher Erfahrung geläufig, und nur daß er es respektiert, sichert ihn vor Scheidung, Schaden und Mißbilligung. Wie sollte auch die Göttin nicht unsterblich sein, die der Eingeweihte in Apulejus' Roman »erstgeborenes Kind der Zeit« nennt, »Höchste der Gottheiten, Königin der Manen, Erste der Himmlischen«?


 << zurück weiter >>