Joseph Christian von Zedlitz
Waldfräulein
Joseph Christian von Zedlitz

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Zweites Abentheuer.

Wie Waldfräulein aufwächst.

Im Waldesgrunde, ungesehn,
Wie viel vorbei auch Wandrer gehn,
Stand aufgebaut von Feenhänden,
Das Schloß mit unsichtbaren Wänden.
Ein Nebel dicht hüllt ein die Zinnen,
Hinaus zwar sehen die, die drinnen,
Doch selbst bei hellstem Sonnenschein
Sieht Niemand in das Schloß hinein.
Es rauscht an seiner Mauern Fuß
Des klaren Waldstroms Silberfluß,
Und weiter hin führt, durch die Irre
Von dunkelschatt'gem Baumgewirre,
Ein Pfad aus diesem Aufenthalt
Hinaus bald in den freien Wald!
Kein Reiz, der nicht die Gegend schmückt!
Hier ist was je ein Aug' entzückt:
Die Matten licht, die Büsche grün,
Der Riesenbäume Baldachin,
Die bunten Blumen mannigfalt,
Der Weiher still von Schilf umwallt,
Darauf der Schwan stillrudernd gleitet,
Der Reiher seine Federn spreitet;
Und tausend Stimmen in den Bäumen,
Und tausend Schimmer in den Räumen,
Und Wohlgeruch und Duft und Glanz
Und goldner Sonnenstrahlen Tanz,
Die, wie anmuthige Gedanken,
Im lindbewegten Laube wanken. –
O Spessart süß, o Spessart süß,
Holdselig Waldesparadies! –

Waldfräulein lebt' in diesem Schloß
Mit ihren Frau'n, und wuchs drin groß;
Der Tag, der Mond, das Jahr verging,
Im gleichen, ungestörten Ring.
Sie spielt und lacht; die Meist'rin werth
Sie emsig aufzieht und belehrt:
Wie Gott der Herr die Welt erschuf,
Und wie erstand auf seinen Ruf
Erst die Natur, nach der Natur
Der Mensch, die edle Kreatur.
Waldfräulein forscht mit offnem Munde,
Begierig jeder neuen Kunde;
Des Wissens Drang wächst mit den Jahren,
Wollt' immer mehr der Ding' erfahren;
Sinnt dies und das, fragt hin und her;
Der Meist'rin wird die Antwort schwer!
»Wo ist das Ei, das mich gehegt,
Hat's eine Henn', hast du's gelegt?« –

Doch ach, die Jahre fliehn geschwind,
Und eine Jungfrau wird das Kind!
Wie sich gemach der Schleier hebt,
Und unter seinen dichten Falten
Die zarten Formen sich gestalten,
Bis weiß und voll der Busen bebt,
Lüftet der Geist auch sein Gewand;
Ein Schmetterling am Blumenhügel,
Im Blütenhain, am Quellenrand,
Schwebt er dahin auf goldnem Flügel;
Und wie das Zwielicht weicht dem Tag,
Erwacht Waldfräulein allgemach,
Erwacht vom frühen Schlummertranke;
Entrückt ist sie dem Kindertraum,
Und auf der Stirne holdem Raum
Schwebt licht und glänzend der Gedanke
Jetzt erst vollendet steht das Weib,
An Seele schön, und schön an Leib! –

Leicht auf dem holden Nacken hebt,
Vom bunten Blumenkranz umwebt,
Das Köpfchen sich, so zierlich fein;
Die Locken hell, wie Sonnenschein;
Der Busen weiß, wie Bergesschnee,
Weiß, wie der reine Schwan im See;
Die Schultern licht wie Morgenglanz;
Der Gang, wie leichter Elfentanz;
Der schlanken Glieder reiche Zier,
O wer beschrieb sie nach Gebühr!
Und wo sie geht, und wo sie steht,
Ein Zauber durch die Büsche weht:
Mit rothem Aug der Auerhahn
Hebt auf dem Baum zu balzen an;
Das scheue Haselhuhn, geduckt
Aus wilden Brombeerstauden guckt;
Der Sprosser schlagt, die Drossel singt,
Und Lampe selbst voll Kurzweil springt;
Was in des Walds Bezirken lebt
In Fröhlichkeit und Lust anhebt –
Kommt durch den Hag mit leichten Tritten
Die wunderbare Maid geschritten! –
Noch sieht dich nur des Waldes Wild,
Bald wird, du süßes Engelsbild,
Ein Mann dich sehn! Er dich – du ihn –
O eile! – nein, nicht zu ihm hin!
O halte deinen Blick bewacht!
Eil' in des Waldes tiefste Nacht –
Den Elch, den Ur, jedwedes Grauen,
Du darfst's – nur ihn darfst du nicht schauen! –


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