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Während sich diese Vorgänge in der Familie des Chemikers abspielten, befand sich Oswald Kramm, der Ibsen-Übersetzer, auf dem Wege nach dem Steinbachschen Hause. Der Schriftsteller war feierlich schwarz gekleidet, auf dem Haupte saß ihm ein zwar nicht ganz moderner, aber doch blank gebürsteter Cylinderhut; an seinen Händen prangten ein paar helle, frisch nach Benzin duftende Glacéhandschuhe.
Eine gewisse nervöse Hast in seinen Bewegungen, sowie das oftmalige Zupfen an der weißen Kravatte und an seinem spärlichen Bartwuchs verrieten die innere Aufgeregtheit des eilig Dahinschreitenden. Und in der That, es war ein schwieriges, peinliches Vorhaben, zu dem ihn wieder einmal seine prekäre Lage drängte und das ihn mit einem Gefühl quälenden Unbehagens erfüllte.
Oswald Kramm beabsichtigte, die Stadt zu verlassen und den Schauplatz seiner litterarischen Propaganda anderswohin zu verlegen. Nun gehörte aber zum Reisen Geld und nochmals Geld.
Der bei der Verteilung der irdischen Glücksgüter gleich seinen Kollegen aus dem Schillerschen Gedichte sehr schnöde behandelte Litterat stöhnte laut. Seine öffentlichen Vorträge hatten sich nur eines spärlichen Zuspruchs zu erfreuen gehabt und ihre klingenden Resultate hatten nicht einmal die Kosten seines Aufenthalts in der Stadt gedeckt. Seine Tantiemen aus Lilly Adolfis Gastspiel in Ibsenschen Rollen waren nicht der Rede wert und sein Berliner Verleger hatte wieder einmal sein Gesuch um einen neuerlichen Vorschuß abschläglich beschieden. Kurz, Oswald Kramm saß ganz und gar auf dem Trocknen und sah sich vor die Notwendigkeit gestellt, irgendwo eine neue Anleihe zu kontrahieren.
Herr Steinbach war der wohlhabendste unter seinen Bekannten in der Stadt, der Gatte seiner überzeugtesten Anhängerin und bei alledem ein noch junger Mann, der von vornherein sich weniger zugeknöpft erweisen würde als ein älterer. Und doch, trotz aller Zuversicht auf das Gelingen seines Vorhabens, konnte der Ibsen-Apostel sich eines unangenehmen Fröstelns nicht erwehren.
Ach, es war doch eine schreckliche Geschichte. Dieses Leben von der Hand in den Mund wurde mit den Jahren immer unerträglicher. Wie oft hatte er nicht schon daran gedacht, seiner Existenz eine solidere Grundlage zu geben! Er hatte sich eine Zeitlang ernstlich mit der Idee der Gründung eines litterarischen Kommissionsgeschäftes getragen. Das kostete wenig Gehirnschmalz und war doch verhältnismäßig einträglich. Man ließ die andern für sich arbeiten und strich behaglich den Löwenanteil von dem Ertrag ihrer Arbeiten ein.
Zuweilen hatte er auch den Gedanken einer Heirat ins Auge gefaßt. Das war ebenfalls ein sehr beliebtes und probates Mittel, sich mit einem Ruck aus allen Schwierigkeiten zu helfen. Aber leider waren diejenigen Damen seiner Bekanntschaft, bei denen er wohl Aussicht auf Erhörung gehabt, ebenso arme Kirchenmäuse wie er, wie z.B. Martha Gründler, diese nichts weniger als anziehende alte Jungfer. Andere aber, die ihm ihrer finanziellen Vorzüge wegen begehrenswerter erschienen, hatten sich seinen Annäherungsversuchen gegenüber sehr kühl und ablehnend gezeigt. Den armen Litteraten schauderte. Es blieb ihm wahrhaftig auch diesmal nichts weiter übrig, als sich zu einem neuen kühnen Anleiheversuch zu entschließen.
»Verwünschtes Gefühl, dieses Kanonenfieber!« brummte er ärgerlich in sich hinein. »Ich sollte doch nachgerade daran gewöhnt sein. Herrgott, wen habe ich in den letzten zwanzig Jahren meines Lebens nicht schon angepumpt!«
Ein schmunzelndes Lächeln erhellte für einen Moment das Gesicht des düster vor sich Hinbrütenden bei der Erinnerung an seine oft mit ganz merkwürdigen Listen ins Werk gesetzten finanziellen Operationen, die ihm unter den ihm befreundeten Kollegen ein gewisses Renommee erworben. »Bah, was ist denn da weiter!« suchte er sich selbst Mut zuzusprechen, »es wird meiner Routine und Geschicklichkeit auch diesmal gelingen, zum Ziel zu kommen. So eine hundert oder fünfzig Mark werde ich schon herausschlagen.«
Und doch, als er fünf Minuten später vor Steinbach stand, kam dieses niederträchtige, lähmende, angstschweißerpressende Gefühl des Kanonenfiebers von neuem über ihn.
Er hustete und druckste und brachte zuletzt doch nur ein paar nichtssagende, einleitende und allgemein gehaltene Phrasen heraus, die er nicht einmal zu Ende drechseln konnte, denn Steinbach unterbrach ihn mit dem Ausruf: »Pardon, Doktor, wissen Sie denn schon von dem ungeheuren Glück, das Martha Gründler, ihrer Freundin, in den Schoß gefallen?«
Der Angeredete stutzte. »Martha – ungeheures Glück?« wiederholte er mechanisch.
»Freilich – denken sie nur: sie hat geerbt, das Haus ihres Onkels, dazu bare fünfzigtausend Mark. Nun, was sagen Sie dazu?«
Der Schriftsteller saß sprachlos, überwältigt von der unerwarteten Nachricht. Martha – fünfzigtausend Mark! schwirrte es ihm durch den Kopf. Nein, solch ein Glück! Gestern noch arm und heute wohlhabend, reich! Warum passierte ihm dergleichen nicht?
»Fünfzigtausend!« stammelte er, sich krampfhaft bemühend, der Flut der auf ihn einstürmenden Gedanken und Empfindungen Herr zu werden. Da zuckte eine Idee in ihm auf, unter deren Einfluß ihm das Blut rascher durch die Adern kreiste, die ihm heiße und kalte Schauer über den Leib trieb und ihn am ganzen Körper erzittern machte.
»Das ist – das ist mir sehr fatal!« sagte er leise, die Augen vor des Chemikers forschend auf ihn gehefteten Augen senkend.
»Wie, fatal?« machte Steinbach gedehnt. »Ich dachte, Sie wären Fräulein Gründlers bester Freund?«
Der Ibsen-Apostel hatte sich gefaßt. Mit gewaltiger Willensanstrengung bezwang er die in ihm herrschende Erregung. Er wußte, daß er vor einem Wendepunkt seines Lebens stand. Die nächste Stunde mußte entscheiden, ob er weiter in Armut und ewiger Furcht um den nächsten Tag dahin vegetieren, oder ob er mit einem Schlage für immer aller kleinlichen materiellen Sorgen enthoben werden würde. Es galt, sich energisch aufzuraffen und mit kühner Stirn auf das lockende Ziel loszugehen.
»Eben deshalb«, entgegnete er mit fester Stimme, »eben weil ich Fräulein Marthas bester Freund bin. Sehen Sie, verehrter Herr Direktor, ich schätze Martha seit ihrer frühesten Kindheit. Als Knabe bin ich ihr Spielgefährte, ihr Beschützer, ihr kleiner Ritter gewesen. Und aus dieser kindlichen Freundschaft und Kameradschaft hat sich allmählich ein stärkeres, leidenschaftlicheres Gefühl entwickelt.«
Der Chemiker blickte überrascht, erstaunt zu dem Sprechenden hinüber.
»Ja, Herr Direktor«, fuhr dieser mit gefühlvollem Tremolieren seiner Stimme fort – »ich liebe Martha. Lange habe ich dieses Gefühl still mit mir herumgetragen, denn die Ungewißheit meiner Lebenslage erlaubte mir bei meinen strengen Prinzipien nicht, mich der Geliebten zu entdecken. Und nun, nun, da endlich meine Verhältnisse einen Aufschwung zum besseren nehmen, nun, da meine Vorträge anfangen, Furore zu machen und reichen Ertrag zu bringen, nun, da mein Verleger mir Anträge macht, Anträge, die ebenso schmeichelhaft, wie materiell vorteilhaft für mich sind, nun, da sich die Empfindungen eines übervollen Herzens nicht länger zurückhalten lassen, da ich komme, um mit Martha offen zu reden, um ihr Herz und Hand anzubieten –, nun diese plötzliche Wendung, die mit einem Schlage meine süßesten Hoffnungen vernichtet.«
Die Stimme des Sprechenden hatte während der letzten Worte einen düstern Klang angenommen, jetzt sank er, wie geknickt, in seinen Sessel zurück und blickte finster vor sich hin.
Steinbach aber lächelte stillvergnügt in sich hinein. »Ih, dieser Spitzbube!« dachte er bei sich. Sein scharf blickendes Auge durchschaute die von dem findigen Litteraturapostel improvisierte Komödie, und er ergötzte sich nicht wenig daran.
»Ich sehe nicht ein«, sagte er laut, sich zu einer ernsten Miene zwingend, – »warum diese Erbschaft Sie hindern sollte –«
»O diese Erbschaft – diese verwünschte Erbschaft!« unterbrach ihn Oswald Kramm mit pathetisch emporgehobenen Händen. »Wie soll ich Martha nun die Überzeugung beibringen, daß es nicht ihr Geld ist, das mich gerade jetzt veranlaßt –?«
Der Chemiker rückte dem andern einen Schritt näher, legte ihm seine Hand auf die Schulter und blickte ihm ironisch lächelnd ins Gesicht. »Aber wir brauchen ihr ja nicht zu sagen, daß ich Ihnen von der Erbschaft bereits erzählt habe.«
Der Schriftsteller fuhr freudig auf. Eine Last wurde ihm von der Brust genommen. Das war es, darum hatte er Steinbach bitten wollen; er hatte nur nicht gewußt, wie er es am besten, ohne zu verletzen, anfangen sollte. Und nun kam ihm Steinbach auf halbem Wege entgegen.
»Wie, das – das wollten Sie –?« stammelte er hocherfreut. »O, Herr Direktor, Sie machen mich zu Ihrem ewigen Schuldner.«
»Aber ich bitte Sie«, lehnte der Chemiker den Dank ab. Die Heuchelei des Mitgiftjägers fing nun doch an, ihn anzuwidern, und es lag ein stark satirischer Ton im Klang seiner Stimme, als er hinzufügte: »Wenn zwei sich lieben mit Gottesflammen – wer spielte da nicht gern die Vorsehung!«
Er erhob sich, um der Komödie ein Ende zu machen: »Kommen Sie, machen Sie Ihrem übervollen Herzen endlich Luft!«
Oswald Kramm nahm von dem Sarkasmus in den letzten Worten des Chemikers keine Notiz. Dicht vor der Entscheidung wandelten ihn plötzlich wieder Kleinmut und Angst an.
»Glauben Sie denn, daß Martha mich – mich erhören wird?« fragte er kleinlaut.
»Aber natürlich!« versicherte Steinbach. »Ohne alle Frage!«
Der Schriftsteller atmete auf. »So?« forschte er weiter. »Hat sie etwa – ich meine, so etwas wie eine Neigung für mich irgendwie bekundet?«
Der Gefragte lachte in sich hinein. Die Äußerungen, welche Martha Gründler ihm gegenüber noch vor kurzem über Oswald Kramm gethan, kamen ihm in den Sinn.
»Das nun gerade nicht«, gab er aufrichtig zur Antwort. »Aber Sie wissen, Fräulein Gründler ist dreißig Jahre alt.«
Der Ibsen-Jünger sah den Sprechenden, dessen letzte Äußerung seine Empfindlichkeit erregte, mißtrauisch von der Seite an.
»Sie meinen, da darf sie nicht mehr wählerisch sein?« bemerkte er gekränkt.
»Oh, wie würde ich mir erlauben, so etwas zu meinen«, protestierte Steinbach höflich. »Nein, ich bin nur der Ansicht, daß eine Jungfrau von dreißig Sommern immer bereit zur Liebe und Ehe ist. Sehen Sie, wenn Martha zehn Jahre jünger wär', so wäre die Situation eine viel schwierigere für Sie. Ein zwanzigjähriges junges Mädchen will erst lange Zeit umschmeichelt und umworben werden, es will nach allen Regeln der Liebes-Strategie erobert werden. Eine dreißigjährige Jungfrau aber macht einem die Sache viel leichter, sie sagt sich ganz richtig: Du darfst nicht erst mit den Präliminarien Zeit verlieren.«
Der Sprechende lachte heiter auf, während er schmunzelnd fortfuhr: »Sehen Sie, Doktor, solch ein dreißigjähriges Mädchen hat ein ungemein liebebedürftiges Herz, es steht gleichsam immer mit offenen Armen da: »Ich liebe, wer liebt mich?«
Oswald Kramm hörte mit voller Aufmerksamkeit zu. Der Gegenstand interessierte ihn, er hatte über diese Dinge eigentlich noch nie nachgedacht.
»Also jedes Lebensalter«, warf er fragend ein, »hat sozusagen seine eigene Anschauung von Liebe und Heirat?«
»Freilich«, bejahte der Gefragte lächelnd. »Es giebt da ein sehr gutes Wort, Doktor, das den Unterschied zwischen den verschiedenen Anschauungen hinsichtlich dieser wichtigen Frage ebenso klar wie kurz und treffend ausdrückt. Passen Sie auf! Mit zwanzig Jahren fragt die Jungfrau: Wie ist er? Mit fünfundzwanzig: Was ist er? Doch mit dreißig fragt sie – –: Wo ist er?«
Er schlug dem andern lachend auf die Schulter und führte ihn der Thür zu: »Und nun treten Sie getrost vor Martha hin und rufen Sie ihr zu: Hier ist er!« – – –
Als Oswald Kramm mit seiner feierlichsten Miene bei Martha eintrat, nickte sie ihm freundlich zu. Ohne eine Ahnung von seiner eigentlichen Absicht zu haben, glaubte sie, er habe bereits von der Erbschaft gehört und komme nun, sie zu beglückwünschen.
Als er aber, weit ausholend, in den wohlgesetzten Worten des routinierten Redners von seiner Liebe sprach, da kam eine eigentümliche, schmerzlich-süße Bewegung über sie. Es war das erste Mal, daß ihr jemand seine Liebe gestand. O, warum hatte sie dreißig Jahre alt werden müssen, bis sie diese beseligende, erhebende, berauschende Sprache vernahm? Und warum war es kein anderer, als dieser Oswald Kramm, der dem Ideal, das ihr schwärmendes Mädchenherz immer erträumt, so wenig entsprach?
Sie schloß die Augen und träumte sich in eine süße Illusion hinein. Sie hörte den einschmeichelnden Worten des Sprechenden zu, ohne ihn selbst zu sehen. Ihre Phantasie zauberte einen andern an seine Stelle. Und dieser süße Selbstbetrug im Verein mit den flüsternd gesprochenen, kosenden Worten, die sie gierig in sich hineinsog, machten ihr Herz höher schlagen, versetzten sie in einen Zustand rauschähnlicher Verzückung.
Doch als nun der Sprechende endete, als sie die Augen aufschlug und in Oswald Kramms nichts weniger als verführerische Züge blickte, da überlief sie ein Schaudern und ein starker Seufzer hob sich von der schweratmenden Brust.
Dem Schriftsteller wurde angesichts des heimlichen Schweigens Marthas angst und bange. Und da er sich nicht besser zu helfen wußte, so fing er mit seinen Beteuerungen und Erklärungen von neuem an.
Auf die alte Jungfer aber übten diesmal Kramms süße Phrasen eine ganz andere Wirkung aus als vorher. Der Gedanke: »Es ist nur die dir zugefallene Erbschaft, die ihn reizt«, durchzuckte sie plötzlich und in dem in ihr aufwallenden Gefühl von Ärger und Enttäuschung war sie nahe daran, den Bewerber zu unterbrechen und abschläglich zu bescheiden.
Aber im nächsten Augenblick wurde diese impulsive Regung wieder durch den Gedanken unterdrückt: Wenn Du ihn zurückweisest, was dann? Willst Du all Dein Lebtag einsam bleiben, allein – eine alte Jungfer?!
Es schauderte sie. Nein, um keinen Preis! rief sie sich zu. Auf die Erfüllung des kühnen Traumes, der eine Weile lang ihr Herz beseligt, war nicht mehr zu rechnen. Steinbach hatte sie in ganz unzweideutiger Weise aus seinem Hause gewiesen.
»Also, liebe Martha, darf ich hoffen?« beendete Oswald Kramm seinen Redeschwall und ergriff die Hand der neben ihm Sitzenden.
Sie seufzte. Was blieb ihr übrig, als von zwei Übeln das kleinere zu wählen? Ihr Entschluß war gefaßt. Sie erhob die Arme und stammelte verschämt: »Oswald, ich habe Sie immer lieb gehabt.«
Mit einem Freudenschrei zog der Schriftsteller die Freundin an seine Brust. Triumph! rief es in seiner Seele. Vorbei für immer der Kampf ums Dasein! Er hielt ein Vermögen in seinen Armen.
Der zärtliche Verlobungsakt wurde durch die Dazwischenkunft Frau Milas unterbrochen, die nicht wenig erstaunte, als Oswald Kramm, Hand in Hand mit Martha, ihr entgegentrat mit der feierlich gegebenen Erklärung: »Gnädige Frau, Sie sehen in uns zwei Glückliche, die, nachdem sie lange die tiefste Neigung zu einander still im Herzen getragen, heute endlich das erlösende Wort gefunden.«
Die junge Frau war von Herzen froh und sie beglückwünschte das junge Paar mit aufrichtiger Freude.
»Sie werden nun nach Kirchhain übersiedeln in Marthas Haus?« bemerkte sie, nachdem die üblichen Komplimente gewechselt waren.
Jetzt war es an Oswald Kramm, den Überraschten, den tötlich Erschreckenden zu spielen. Noch war das Verlöbnis nicht publiziert und die Gefahr, daß Martha, die in der ersten Aufwallung gegebene Zustimmung zurücknahm, war nicht ausgeschlossen. Er prallte zurück wie von einem Schlag getroffen.
»In Marthas Haus?« stammelte er, verständnislos von der einen zur anderen blickend.
»Nun ja!« bestätigte Frau Mila. »Wissen Sie denn nicht, daß Martha geerbt hat: Das Haus ihres Onkels und fünfzigtausend Mark?«
»Fünfzigtausend!«
Das Entsetzen, das sich in diesem mit zuckenden Lippen ausgestoßenen Schrei ausdrückte, war so natürlich gespielt, daß Martha, die forschend nach dem Verlobten hinüberspähte, nunmehr alles Mißtrauen fahren ließ.
»Liebe Freundin – Fräulein Martha!« fuhr Oswald Kramm mit täuschender Ergriffenheit fort – »Sie sehen mich sprachlos, fassungslos, aufs tiefste bewegt. Ich weiß nicht, soll ich mich freuen über das unerhoffte Glück, das Ihnen in den Schoß gefallen, oder soll ich vielmehr klagen –? O – oh!«
Er stöhnte schmerzlich auf und verbarg das Gesicht in den Händen.
Die alte Jungfer fühlte sich ergriffen, aufs Angenehmste enttäuscht.
»Sie werden doch nicht glauben, teurer Oswald –?« entgegnete sie mit wirklicher Wärme.
»Aber ich begreife nicht, lieber Doktor –« sekundierte Frau Mila.
Der Angeredete machte eine abwehrende Handbewegung.
»O gnädige Frau – liebe Freundin, sagen Sie mir nicht, daß diese Erbschaft keinen Einfluß ausüben könne auf den Bund unserer Herzen, der ja nicht erst heute geschlossen wurde, sagen Sie mir nicht, daß das Glück zweier Liebenden nicht abhängig ist von Geld und Geldeswert –!«
»Das ist es auch nicht, lieber Oswald!« versicherte Martha mit Eifer. Es war so süß, zu glauben, daß er sie aus wirklicher Herzensneigung, um ihrer selbst willen, gewählt.
»Doch – doch«, beharrte er und fuhr sich mit einer Gebärde der Verzweiflung durch das üppige Haar – »doch! Denn diese Erbschaft schmälert mir das süßeste Recht des Mannes. Wie schön hatte ich es mir gedacht! Ich sagte mir, daß Sie zu mir kommen würden mit nichts, als dem Schatz Ihrer Liebe, Ihrer Tugend. Wie stolz machte mich der Gedanke, daß ich meine Arme um Sie breiten würde, schützend, schirmend. Wie wollte ich alle meine Kräfte anspannen – –! Und nun – nun – – o Martha, Ihr Reichtum macht mich arm, ärmer als ich je gewesen!«
Seine Stimme brach und von neuem verhüllte er sein Antlitz.
Frau Mila aber erhob energische Einsprache.
»Sie treiben den Zartsinn, den Edelmut zu weit, lieber Doktor«, erklärte sie mit vieler Entschiedenheit. »Sie werden doch Martha nicht unglücklich machen wollen –?«
»Unglücklich?« Der Sprechende ließ die Hände sinken. »Unglücklich – Martha, sie, die glücklich zu wissen der höchste Wunsch meines Lebens? Freilich, wenn ich das befürchten müßte, dann – dann –!«
»Nun also!« Frau Mila ergriff des Schriftstellers Hand und vereinigte sie mit der der selig lächelnden Braut. »Geben Sie Ihre übertriebenen Bedenken auf und machen Sie sie glücklich!«
Oswald Kramm zeigte sich überwunden. Von neuem erhob er seine Arme gegen Martha, und sie sank ihm hingebungsvoll an die Brust; ihre Lippen suchten die seinen. Ihr Herz jubelte. So war sie nun doch geliebt – um ihrer selbst willen geliebt! Welch ein süßes, stolzes, erhebendes Gefühl nach den vielen Enttäuschungen ihres Lebens!