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Sobaka (der Hund).

Kulturbild aus Rußland.
(Nach einer wahren Begebenheit.)

Das Gut der Sobatschnikoff ist eines der schönsten im Gouvernement Smolensk. Es heißt so nach dessen ersten Besitzer aus der Familie Sobatschnikoff. Freilich wurde der meist »Sobaka« genannt, was so viel wie Hund bedeutet. Und ein Hund war er.

Schon daß er nicht trank und nicht spielte wie alle früheren Gutsbesitzer, nahm die Bauern gegen ihn ein, denn man durfte nie etwas von seiner guten Laune erwarten. Launen hatte er überhaupt nicht. Nur eine unbezwingbare Habsucht. Ein hübsches Weib aus dem Dorfe mußte ihm ebenso gehören wie der gut bestellte Acker eines Bauern. Dazu waren ihm alle Mittel recht. Er verlieh Geld an die Bauern, ohne wie der Schankjude hohe Zinsen zu nehmen, aber wenn sie ihn nicht bezahlen konnten, jagte er sie unbarmherzig vom Hof oder stellte ihnen die härtesten Bedingungen.

Das halbe Dorf war auf diese Art in seinen Besitz übergegangen und die meisten Bauern waren ihm untertan wie Leibeigene. Daß sie nicht die Knute von ihm bekamen, war der einzige Unterschied. Dafür sorgte aber auch niemand im Winter für sie, und sie mochten sehen, wie sie allein fertig wurden. Wenn ihnen dann der Hunger den Leib auftrieb wie Wassersüchtigen und sie aus den Kehrichtseimern der Gutsherrschaft ein paar Abfälle für sich herauskratzten, dann hätte manch einer ein paar Knutenstreiche für einen Teller heiße Kohlsuppe eingesteckt.

Übrigens ließ sich Sobaka nur selten sehen. Vielleicht war es Politik. Aber die Kinder kamen manchmal durchs Dorf, im Wagen, mit ihrem französischen Erzieher und ihrer englischen Gouvernante, hinter ihnen eine Meute wolfshoher Hunde. Wenn der Viererzug durchs Dorf raste, mit Schellengeläut und Hundegebell, dann warfen sich die Kinder platt auf den Bauch und drückten ihre schmutzigen Nasen auf die Erde, die Weiber bekreuzten sich ehrfurchtsvoll, und die Männer rissen die Schafmütze vom Kopf. Manchmal warfen die herrschaftlichen Kinder Kupferstücke aus dem Wagen, darauf gab es ein Schreien und Balgen, das oft in blutige Raufereien ausartete. Die Großen benahmen sich wie Kinder, und die Kinder verteidigten ihr erbeutetes Gut wie Riesen. Einige rannten dem Wagen nach, bis sie keuchend, halbtot vor Erschöpfung zusammenbrachen.

» Ces pauvres diables«, sagte der Franzose, die Engländerin aber hob geringschätzig die Oberlippe über den gelben Tasten: » It's hideous indeed«.

Den Kindern war es ein kurzer Jubel, dem Dorfe – ein Ereignis; eine Glückschance, ein Gesprächsthema auf Wochen hinaus, eine Hoffnung für die Zukunft, eine herrliche Erinnerung. Mit den Jahren hörte auch das auf. Es wurde ganz still im Dorf. Die kleinen Fräulein wurden im kaiserlichen Institut in Petersburg, der junge Herr in der Kadettenanstalt untergebracht. Solange man das Lachen der herrschaftlichen Kinder hörte, wollte man an der Barmherzigkeit ihres Vaters nicht verzweifeln, dieses Lachen schien den armen Leuten wie eine Brücke, über die sie den Weg zu dem Gefürchteten finden konnten. Als das Lachen für sie verstummte, wagte sich auch die Hoffnung nicht mehr hervor.

Sobaka wurde immer gieriger, immer härter. Jetzt vermochte nicht einmal der hübscheste Mädchenmund durch Bitten etwas zu erreichen. Es war, als wollte er das ganze Dorf aushungern, jeden Bretterzaun, jede Rute Erde an sich reißen, als wäre ihm jede Kornähre, die nicht auf seinem Grund und Boden wüchse, ein Ärgernis. Einige Bauern lauerten ihm während einiger Nächte auf, um ihn mit Knütteln zu verschlagen, aber es kam heraus, und nun wurden sie selbst auf dem Polizeiamt der nächsten Stadt mit je fünfzig Rutenstreichen bestraft. Das machte sie kirre und benahm ihnen für lange Zeit alle Rachegelüste.

Seitdem wurde Sobaka womöglich noch frecher, so frech, daß er nicht einmal die gewöhnlichste Vorsicht beobachtete. Das Geld stieg ihm zu Kopf, mehr als der Schnaps dem Bauern. Er sah nichts mehr und hörte nichts mehr. Das Elend im Dorf wurde immer größer ...

Jahre vergingen. Halbwüchsige Burschen reiften zu Männern. Sie waren klüger als die Alten, wußten genau, daß da mit roher Gewalt nichts auszurichten war. Sie sammelten die Zettel, die die Alten achtlos in irgendeine Truhe geworfen hatten, und stapelten sie auf zu einem ansehnlichen Haufen. Dann warteten sie. Sie warteten auf eine Gelegenheit, auf einen Zufall ... sie glaubten an Gott, an Gerechtigkeit.

Da, an einem Sommertage, mietete sich ein junger Student bei einem Bauern ein. Es war schon öfters vorgekommen, daß ärmere, kranke Städter Erholung bei den Bauern gesucht hatten. Sie teilten ihre einfache Kost, gingen mit auf das Feld, arbeiteten schlecht und recht zur heimlichen Belustigung der Dörfler und suchten sich in ihrer Lebensweise in nichts von den Bauern zu unterscheiden. Die Bauern freilich verhielten sich meist mißtrauisch und ungläubig, spotteten über die »deutsche Kleidung« des Städters, den sie weder für ihresgleichen noch für einen ordentlichen »Barin« (Herrn) ansehen mochten, und behandelten ihn mit der tolpatschigen, aber immerhin gutmütigen Geringschätzigkeit, die große Hunde für kleine zu zeigen pflegen. Auch dem Studenten ging es im Anfang nicht besser, aber sei es, daß er in ihrer Sprache redete, sei es, daß in seiner Anpassung so gar nichts von Pose lag – es gelang ihm, ihr Vertrauen zu gewinnen. In der Dämmerung las er ihnen aus kleinen, rot- und grünbroschierten Heftchen vor, die er in seinem Handkoffer mitgebracht hatte. Und in diesen Heftchen standen gar tröstliche Worte von Menschenrechten, Brüderlichkeit und Freiheit. Die Männer seufzten stöhnend, und die Weiber vergossen wahre Tränenbäche, denn auch um sie handelte es sich dabei. Sie sollten keine Sklavinnen mehr sein, sondern Helferinnen des Mannes, der Mann sollte sie nicht mehr mit der Knute zum Gehorsam zwingen, sondern in ihnen die Mütter eines neuen Geschlechtes verehren, das das unglückliche russische Volk aus Armut und Drangsal zu befreien berufen war. Auch für die Jugend gab es goldene Worte: die Jugend sollte Vater und Mutter, sollte den teuren heimatlichen Boden erlösen von aller Zwangsherrschaft, sollte seine Schwestern und Bräute vor der rohen Faust des Herrn schützen!

Als der Student abreiste, hatte er das ganze Belastungsmaterial gegen Sobatschnikoff in Händen, und das halbe Dorf gab ihm unter tausend Segenswünschen das Geleite.

Am nächsten Sonntag erschien zum allgemeinen Entsetzen und ganz gegen seine Gewohnheit Sobaka in der Schenke. Sein krebsrotes Gesicht leuchtete wie eine Feuerkugel aus der Umrahmung des dunklen Bieberkragens heraus, und seine Stimme brauste wie ein Orkan über die erschreckten Bauern.

»Ihr verfluchten Lumpenhunde, saufen könnt ihr, aber euren Verpflichtungen könnt ihr nicht nachkommen! Räuberbande, gottlose! Und was war das für ein Anarchist, den ihr beherbergt habt, he? Politische Umtriebe auch noch?! Ich werd' euch lehren! Ins Loch mit euch allen! Die Rute – daß ihr euch nicht mehr rühren könnt! Glaubt ihr etwa, ich brauche euch? Das wär' noch! Zu Hunderten kriege ich die Sommerarbeiter, zu Hunderten kommen sie aus den Provinzen, niesen kann ich euch was! Verhungern könnt ihr! Zu Sand verreibe ich euch, verstanden? Mit dem Absatz zertrete ich euch, verstanden? ihr Hundesöhne, ihr!«

Zitternd schlichen die Bauern nach Hause. Alles war verloren, der Student hatte sie verraten, nun mußten sie elend zugrunde gehen!

Der Winter setzte ein ... noch trostloser als sonst, nach einer schlechten Ernte, mit unendlich viel Schnee und zwanzig Grad Kälte. Um die Weihnachtszeit fiel die erste Kuh, dann die zweite ... Man fing an, die Brotlaibe auf eine Woche voraus einzuteilen. Die Goloducha (Hunger, Hungerkrankheit) hielt ihren Einzug.

Am schlimmsten ging es Vater Anton, dem Bienenzüchter, der abseits vom Dorfe, am Waldessaum an der großen Straße, mit einem schwächlichen Weibe und sechs Kindern in einer halbverfallenen Hütte hauste. Der Kindersegen war ihm spät geworden, und so kam es, daß er als alter Mann seinen jüngsten auf den Knien schaukelte. Als das letzte Stück selbstgebackenen Brotes aufgezehrt war, warf er einen leeren Leinwandsack über den Rücken, um sich Brot für die nächste Woche im Dorf zu erbetteln. Sein Erscheinen verbreitete Angst und Sorge: wenn erst die Bauern bettelten, dann war's aus, dann konnte man sich begraben lassen. Während man seinen Sack füllte, fragte man ihn nach Neuigkeiten aus – er lebte ja an der großen Straße, da gab es immer was zu sehen, manchmal auch was zu hören von fahrenden Kaufleuten. In letzter Zeit, berichtete er, wären viel vornehme Wagen vorbeigefahren, in denen Herren in Uniform und mit strengen Gesichtern saßen; die fuhren alle zum Gutshaus, kehrten aber nach ein, zwei Stunden wieder zurück. Einmal hatte er im Vorübergehen ein Gespräch mit zwei berittenen Beamten aufgefangen – sie stritten darüber, wer das Gut bekommen würde, wenn es mit dem Sobatschnikoff zum Klappen käme, dann schimpften sie über die vielen Schreibereien und Berichte, die nach Petersburg abgingen, und daß man jetzt aus dem Dreck so viel Aufhebens mache. »Wenns so weitergeht, würde sich bald jeder Bauer einbilden, er sei ein General«, meinte einer von ihnen.

Die Bauern wechselten vielsagende Blicke. Sollte ihnen wirklich die Rettung nahen? Sie wagten kaum mehr daraus zu hoffen ... Mit zitternden Händen warfen sie alles, was sie an Nahrungsmitteln entbehren konnten, in den Sack. Vielleicht waren sie doch nun bald erlöst von ihrem Plageteufel, vielleicht brachen jetzt bessere Zeiten an. Die Worte des Alten hatten ihnen wieder etwas Mut gegeben, hatten sie dankbar und mildtätig gestimmt.

Zwei Wochen später machte Vater Anton sich wieder auf den Weg. Der Schnee lag so hoch, daß der Weg mit Lebensgefahr verbunden war. Aber die Kinder hatten Hunger, es blieb ihm keine Wahl.

Die erste Hütte, die er betrat, barg eine Leiche. Ein Knabe von fünfzehn fahren war der Goloducha zum Opfer gefallen. Man winkte ihm ab, er sollte nur weitergehen – hier war kein Ort für Barmherzigkeit. In einer anderen Hütte lag eine Frau in den letzten Zügen, in einer dritten weinte eine Mutter ihrem Säugling nach, dem sie keine Milch mehr hatte geben können. Das große Sterben ging durchs Dorf. Und so plötzlich war es gekommen, daß es über allen wie lähmendes Entsetzen lag. Kaum daß Antons neueste Nachrichten die Leute aus ihrer Lethargie aufrüttelten. Es ging zu Ende mit Sobaka, sicher zu Ende, auch der Pristaw (Polizeileutnant) sprach ungeniert davon: alle seine Schlechtigkeiten waren aufgedeckt, nichts konnte ihn mehr retten – er kam nach Sibirien, auf zehn Jahre, vielleicht auf mehr. Der junge Herr war auch schon aus Petersburg gekommen, und wenn nicht heute, so morgen würde man den Vater abführen, unter Eskorte, »hundert Kosaken mindestens!«

Jetzt kam Leben in die Leute. Heute sollte man ihn abführen, heute! Und da brauchte es keiner Kosaken, sie selbst würden sich mit Knütteln aufstellen, ihnen entkam er nicht. Warum das nur so lange dauerte? Mit einem gemeinen Wann machte man nicht so viel Umstände!

»Gottes Wille«, sagte Anton und bekreuzte sich fromm. In der folgenden Woche starb ihm ein Kind, einige Tage später die Frau. Da er für die Beerdigung des Kindes kaum hatte fünfzig Kopeken zahlen können und jetzt kein einziges Kupferstück im Hause hatte, wagte er es nicht, dem Popen den Tod der Frau zu melden. Er wollte warten, bis er sich irgendwie etwas verdient hatte, und sie bis dahin im tiefen Schnee verscharren. Da packte ihn die Angst, als er an die Füchse dachte, die seine Hütte umkreisten, wie wenn sie die Leiche witterten.

Er faßte einen großen Entschluß. Da die Bauern ihm nicht mehr helfen konnten, wollte er sich an den Gutsherrn wenden; vielleicht war er barmherziger geworden, jetzt, wo er selbst die Angst kennen mußte.

Aber die Diener ließen ihn nicht über die Schwelle: »Mach', daß du weiterkommst! Du hast hier gerade noch gefehlt!«

Er heulte laut auf wie ein verwundetes Tier und warf sich platt auf den Schnee.

Ein junger Wann mit bleichem, finsterem Gesicht trat auf den Alten zu. Anton erkannte in ihm den Sohn des Gutsherrn und umklammerte seine Knie: »Herr Ernährer, erbarme dich! Mein Kind ist mir gestorben, meine Frau ist mir gestorben! Kein Brot zu Haus, kein Salz!«

»Wer bist du?«

»Anton, lieber Herr! Anton, der Bienenzüchter! Allen süßen Honig habe ich deinem Vater verkauft ... so süßen, billigen Honig! Ganze zwanzig Jahre lang!«

Der junge Mann griff erst in die Tasche, dann besann er sich:

»Du lügst!«

»Sollen meine Knochen verdorren! Soll mich die Erde verschlingen, wenn ich lüge!«

Der junge Herr stierte düster vor sich hin; der Alte aber fuhr verzweifelt fort: »Ich kann sie nicht begraben, meine Frau! Zwei Tage liegt sie nun schon da ... wohin mit ihr?« Er wimmerte leise vor sich hin.

»Na, ich werd' sehn! In einer Stunde bin ich bei dir – geh' hinauf und nimm dir etwas zu essen mit!« Damit machte er den herumlungernden Dienern ein Zeichen, worauf sie sich beeilten, dem Alten reichlich Lebensmittel mitzugeben.

Seit Monaten wurde in Antons Hütte zum ersten Male Mittag gegessen. Aber Stunde auf Stunde verrann, und der junge Herr ließ sich nicht sehen. Anton saß bei seiner toten Frau und hielt ihr einen fetten Schinkenknochen unter die Nase, während dicke Tränen ihm über die Wangen liefen.

»Riech, Alte, riech! Das ist was Gutes, du, was Feines!«

Und weil es ihm so unsagbar wehe tat, daß sie selbst nichts von all den guten Sachen hatte, klemmte er ihr ein Stückchen Schinken zwischen die blauen Lippen und schob es ihr in den Mund.

»Iß, Alte, iß! Zur Gesundheit!«

Die Kinder hatten sich auf den warmen Ofen gelegt und schliefen; auch Anton fühlte bleierne Müdigkeit in den Gliedern. Der gute, junge Herr war nun doch nicht gekommen; aber wenn er dem Popen die zwei harten Eier und den Schinkenknochen für eine Suppe brachte, so beerdigte der vielleicht seine Alte und sprach ein Gebet an ihrem Grab, ein ganz kurzes, kleines Gebet, und schwenkte das Weihrauchfaß einmal, oder allenfalls zweimal ... dreimal, das konnte er wirklich nicht verlangen!

Plötzlich pochte jemand leise ans Fenster. Anton schreckte zusammen und eilte vor die Tür. Draußen im wehenden Schneegestöber stand der junge Herr.

»Wohltäter!« schrie der Alte auf und wollte ihm zu Füßen fallen.

Durch eine harte Handbewegung schnitt der junge Mann jedes weitere Wort ab und folgte dem verdutzten Bienenzüchter in die Stube. Ein brennender Kienspan verbreitete trübes Licht. Der junge Mann hüstelte von dem Rauch und blinzelte mit den Augen.

»Da liegt sie, Herr«, sagte Anton demütig und zeigte auf den Tisch, auf dem sein totes Weib lag und nach alter Sitte liegen mußte, bis man sie in die Erde senkte.

Der junge Herr blickte lange auf die harten und starren Züge der Toten, dann – ohne Anton anzusehen – fragte er: »Wissen die Leute schon, daß deine Frau gestorben ist?«

Der Alte schüttelte trübsinnig den Kopf: »Wer soll, das wissen? Gesagt hab ich's niemandem, und im Dorf sind die Leute mit sich beschäftigt – da kann einer seine letzte Kuh und sein letztes Kind verlieren – niemand kümmert sich darum. Morgen freilich muß ich zum Popen, muß den Tod anmelden und muß ein christliches Begräbnis erbetteln.«

»Ich will für das Begräbnis sorgen, Mann. Gib mir die Leiche mit – ich gebe dir dreihundert Rubel dafür. Du mußt mir aber auf das Kruzifix schwören, daß du keinem ein Wort davon sagst. Auch nicht, daß du deine Frau verloren hast. Nach einigen Tagen kannst du die Gegend verlassen und dich woanders ansiedeln. Ich will auch später für deine Kinder sorgen. Nur schweigen mußt du. Schweigst du nicht, kommst du nach Sibirien, tust du nicht, um was ich dich bitte, kommst du mit den Kindern ins Elend. Also, entscheide dich!«

Der Alte besann sich nicht lange; er bekreuzte sich gottesfürchtig und fiel vor der Toten auf die Knie nieder:

»Siehst du, Frau, jetzt wirst du noch großartig beerdigt! Die Kinder dürfen jeden Tag zu Mittag essen, und dreihundert Rubel bringst du mir auch noch ein. Das sind die dreihundert Rubel, die dein Vater dir als Mitgift geben sollte, aber vorher vertrunken hat! Schad' nichts, Frau! – Ich hab's dich nicht entgelten lassen! Dafür mußt du mir's jetzt aber auch gönnen – mir und den Kindern!«

Er schlug drei mächtige Kreuze, dann erhob er sich und küßte die Tote auf die Stirn.

»So, Herr, jetzt hab' ich Abschied genommen. Gewaschen ist sie auch schon, und ein sauberes Hemd hat sie an. Braucht sich nicht zu schämen. Jetzt kann ich die Kinder wecken, daß sie Abschied nehmen von der Mutter.«

»Laß das!«, befahl der Herr heftig, »die Kinder brauchen nichts zu wissen! Draußen auf der Landstraße habe ich meinen kleinen Schlitten. Nimm die Leiche auf den Buckel und trag sie mir hin. Das übrige mache ich allein.«

Der junge Mann war grünlichbleich, und seine Hand zitterte heftig, wie er die Zweihundertrubelscheine und hundert Rubel in Silber und in Kupfer auf einer Bank aufzählte. »Ja, und dann, was ich noch sagen wollte: daß du mir nicht in die Schenke gehst oder große Einkäufe machst! Und – wenn du übermorgen zur Beerdigung meines Vaters kommst ...«

Der Alte fuhr zusammen: »Dein Väterchen ist dir gestorben, Herr?«

Der junge Sobatschnikoff richtete seine dunklen Augen drohend auf den Bienenzüchter. »Ja, mein Vater ist gestorben. Heute. Ganz plötzlich. An einem ansteckenden Fieber, und kein Mensch weiß es noch! Aber es werden gewiß viele aus dem Dorf zur Beerdigung kommen. Du brauchst dich nicht ausschließen. Nur rede nicht zu viel.«

Der Alte senkte verwirrt den Kopf: »Jawohl, Herr, ... jawohl.«

Und während er die starren Glieder seines Weibes mit dem Schafpelz umhüllte, murmelte er so leise, daß es der andere nicht hören konnte: »Böse Wünsche werden deinem Sarg ins Grab folgen, Alte! Aber ich will dir zwei große, dicke Kerzen aufstellen lassen in der Kirche, und die Kinder sollen beten für dich ... Gott verzeih mir die Sünde!«

»Na, bist du fertig, Anton?«

»Jawohl, Herr.«

Leise verließen die Männer die Stube, während die qualmende Flamme des Kienspans in der Zugluft aufflackerte und die schlafenden Kinder beschien, die von den heiligen Ostern träumten, von Weißbrot, Schinken und Eiern.

*

Der plötzliche Tod des alten Bobaka entfesselte einen wahren Freudentaumel im Dorf. Die Bauern spürten kaum noch den Hunger, der in ihren Eingeweiden wühlte. Die Freudennachricht hatte sie satt gemacht, ihre Augen leuchteten wieder, ihre Wangen bekamen Farbe. Ein großer Wagen, mit Lebensmitteln aller Art beladen, fuhr vom Gutshof herunter ins Dorf und blieb vor jeder Hütte stehen; Brot, Milch und Eier kamen zur Verteilung. Man wollte die Leute versöhnlich stimmen, feindlichen Redensarten auf dem Kirchhof vorbeugen, denn es sollte ein feierliches Leichenbegängnis sein, und der Bischof selbst war zur Einsegnung der Leiche entboten worden.

Allerdings war der Sarg entgegen alter Sitte geschlossen worden, um – wie es hieß – der Ansteckungsgefahr vorzubeugen. Die Leute aber munkelten, Bobaka habe sich das Leben genommen, sich gräßliche Schnittwunden beigebracht, um der Verhaftung zu entgehen. Zehn Jahre Sibirien, das war das Geringste, was er nach seinen vielen Schandtaten zu erwarten gehabt hätte.

Das halbe Dorf beteiligte sich an der pompösen Trauerfeier; auch Anton fehlte nicht. Man wunderte sich einigermaßen, daß er gar so inbrünstig betete, daß dicke Tränen ihm in den verwilderten, grauen Bart rollten. Er war kindisch geworden, der Alte! Aber freilich ... die Not der letzten Monate hatte dunkles Haar gebleicht, helle Augen getrübt, da mochte wohl bei dem einen oder anderen auch der Verstand gelitten haben! – – –

Nach der Beerdigung verließ die Familie Sobatschnikoff das Gut und übergab dessen Bewirtschaftung einem strengen, aber nicht ungerechten deutschen Verwalter. Die Bauern erholten sich bald von den Verwüstungen, die die »Golodoucha« angerichtet hatte, und kamen im Laufe der nächsten Jahre wieder zu Kraft und Wohlstand. Sobaka aber lebte nur noch als sagenhafte Figur in den Geschichten, die sie ihren Kindern erzählten. – – –

Vor zwei Sommern sind wieder junge Sobatschnikoffs auf dem Gut eingezogen. Es sind freundliche, elegante Leute, die einen großen Hofstaat um sich haben, viele Bälle geben und zu den Bauern »Sie« sagen.

Im alten Schloßflügel wohnt ein alter Verwandter von ihnen – ein kleines, gleichsam ausgedörrtes Männchen. An warmen Tagen sieht man ihn stundenlang über die Felder gehen und Kornähren zählen. Abends muß er oft von einem der Diener wie ein kleiner, verspielter Junge eingefangen werden, andere Male findet man ihn auf dem Kirchhof. Da geht er zwischen den Gräbern umher, liest die Inschriften und Jahreszahlen auf den Tafeln und bleibt lange vor dem Grabe des alten Sobaka stehn. Manchmal streichelt er das große, weiße Marmorkreuz, das den Namen des verstorbenen Gutsherrn trägt, und lacht blöde vor sich hin.

Er ist ein »Einfacher«, sagen die Bauern im Dorfe, und er tut ihnen leid, weil er ein gar so armes, schreckhaftes Männchen ist. Nur der Pristaw treibt manchmal seinen Spaß mit dem alten Mann, verneigt sich übertrieben tief vor ihm und fordert ihn auf, ein Gläschen Schnaps mit ihm zu trinken. Es ist Spaß, und doch lauernde Neugier, etwas über ihn zu erfahren. Er hat so seine Vermutungen, der Herr Pristaw. Aber so ist dem Alten nicht beizukommen ... er trinkt noch immer keinen Branntwein! Dafür zählt er die Kornähren! Aber er kommt nur bis 173, dann verwirren sich seine Gedanken und er breitet die Arme aus, als möchte er die blühende Pracht da an seine Brust pressen, sie halten für immer als sein Eigentum.

Ein andermal versuchte der Herr Pristaw es anders.

»Guten Morgen, Herr, Sobatschnikow! Lange verreist gewesen«, sagte er.

Das Männchen verfärbt sich und fängt an zu zittern.

»Nein, nein,« stammelte er, »ich bin tot ... wirklich, Herr Pristaw, ich schwöre es Ihnen ... ich bin tot! Lesen Sie es nur auf dem weißen Kreuz, da steht es!«, und er läuft, so schnell ihn die Beine tragen können.

Seit jenem Tage ist das Geheimnis aufgedeckt.

Sobaka lebt.

»Laß ihn leben«, sagte der Pristaw gleichmütig. Ihm war's ja doch nur um den Spaß!

Aber die Bauern weht es an wie kalter Hauch aus einer Gruft, und wenn sie dem »Einfachen« begegnen, grüßen sie scheu und drücken sich an ihm vorüber.

Sie nennen ihn nicht mehr »Sobaka«, sondern »der Tote«.

*


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