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Hallo, Mohammed!« Ein kleines schwarzes Gesicht erschien in der Höhe des Verandabodens und lugte durchs Geländer.
»Der Pascha kommt mit zwei Frauen!«
»Schon? Ohe!« Hastig sprang der Diener aus seiner Hockstellung auf; seine braunen Hände rafften das Silber zusammen, das er eben geputzt hatte. Er beugte sich vor und erspähte – fern noch in einer Staubwolke – drei weißgekleidete Gestalten, die auf Eseln herangaloppierten. Das Pochen der Hufe und die schrillen Rufe der Treiberjungen hallten weithin in die Stille des verlassenen Tales.
»Beim Haupt meines Vaters, der Satansknirps spricht die Wahrheit!« rief Mohammed überrascht. »Es ist Miestär Beck! Ich sehe sein Rothaar in der Sonne flammen. Lauf in die Küche, du Teufelssohn, und sieh nach, ob das Wasser kocht!«
Der kleine Schwarze duckte sich lachend vor Mohammeds aufmunterndem Griff und humpelte mit seinem verbundenen Fuß über den staubigen Vorplatz zu einem hüttenartigen Gebäude, in dem die Küche lag. Mohammed warf einen letzten Kennerblick auf den Teetisch der Veranda. Da waren drei Schalen, Teller, Löffel und Gabel. Milch und Zucker, durch perlengestickte Musselindecken gegen Fliegen geschützt; dünne Butterbrote von einem Teller bedeckt; Backwerk mit Schlagsahne, für die eigens eine Eselreise ins Hotel nach Luksor gemacht werden mußte; auch die Töpfe mit den Purpurblüten waren bei dieser Gelegenheit mitgebracht worden. Auf einem Seitentischchen gab es Zigaretten, Zündhölzchen, eine Flasche Whisky, Sodawasser und Gläser ... Tamam! Alles in Ordnung! Die Füße in den roten Pantoffeln und in einem Paar von Colin Becks gesprenkelten Socken schlurften leise über den Steinboden, während der Diener geschäftig das Tischtuch zurechtstrich. Dann verschwand sein weißes Gewand mit der Scharlachschleife in der kühlen Dunkelheit des Wohnzimmers, das mit geschlossenen Fensterläden hinter der Veranda lag. Er legte das Silberzeug auf den Seitentisch, auf dem Champagner und Obst für das umsichtig vorbereitete Souper hergerichtet waren. Das Zimmer bildete einen angenehmen Gegensatz zu dem zitternden Glanz des Felsentals. Es war ein friedlicher ruhiger Ort mit seiner kleinen Rundkuppel, die wie die Wände mit grüner Temperafarbe bemalt war, mit den weißbraunen arabischen Teppichen und eingerahmten Aquarellen an der Wand. Auf einem Regal befand sich eine auserlesene Sammlung von Altertümern: zerbrochene Glasgefäße, Bruchstücke von Sarkophagen, eine einbalsamierte Hand, ein Teil eines Mumienschädels und geschwärzte Bronzefiguren. Durch eine Tür führte ein langer, breiter Korridor zu einem rückwärtigen Vorraum mit Tropenhelmen und Hüten auf einem Gestell und einigen Kleiderhaken. Die Badezimmertür stand offen. Mohammed guckte hinein, um sich zu vergewissern, daß reine Handtücher vorhanden waren und schloß dann die Tür.
Nun gelangte er auf seinem Inspektionsgang durch die zwei Schlafzimmer, links und rechts vom Korridor. Sie lagen im Schatten, denn die Nachmittagssonne beschien jetzt die Front des Hauses. Er öffnete die Fenster und hakte die Laden fest. In jedem der Zimmer verweilte der Diener einen Augenblick und begutachtete voll Stolz sein Werk. Die Moskitonetze waren fleckenlos. Vor den Spiegeln standen anmutig geordnet die Sachen, die er morgens im Basar eingekauft hatte: ein Paket enormer Stecknadeln, jede mindestens anderthalb Zoll lang, eine Menge Haarnadeln und eine Schachtel Gesichtspuder in einer intensiv violetten Schattierung, die ihm die Frau eines koptischen Schnittwarenhändlers, eine sehr lebhafte Dame, aufs wärmste empfohlen hatte.
Neben jedem der kleinen Feldbetten befand sich eine Vase mit purpurnen Blumen, eine Kerze, eine Streichholzschachtel und etwas, auf das Mohammed außerordentlich stolz war – eine Erinnerung aus dem Jahr, das er im Dienste der Gattin eines Obersten verbracht hatte – ein Buch. Die Wahl im Bücherschrank hatte er in Abwesenheit Colin Becks selber treffen müssen. Da er nicht lesen konnte, ließ er sich von der Pracht der Einbände beeinflussen. Für das Zimmer zur Linken hatte er einen schönen dunkelblauen Leinenband ausgesucht, für das andere Gemach ein Buch in rotem Saffian.
Stimmen drangen jetzt an sein Ohr und er eilte auf die Veranda. Colin Beck und seine beiden weiblichen Gäste kamen eben die Stufen herauf, und hinter ihnen trottete ein zerlumpter Junge mit einem Handkoffer auf der Schulter.
»Hallo, Mohammed, alles in Ordnung?«
Der Diener verbeugte sich würdevoll: »Ich glaube wohl, Herr!«
»Dann wollen wir Tee trinken!«
Der Diener trabte in die Küche.
»Uff!« Molly ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen. »Ich mache dich darauf aufmerksam, Colin, daß ich ein Meer von Tee vertilgen werde. Mein Hals ist trocken wie ein Ofen. Ist das nicht ein schrecklicher Aufenthaltsort für einen Menschen, Joan?«
»Im Gegenteil! Ich finde es hier wundervoll.«
Die Sonne, die während des staubigen Rittes auf sie niedergebrannt hatte, war hinter den Horizont geschlüpft. Das Licht nahm einen bläulichen Schimmer an wie das Feuer eines Diamanten, so daß es den Anschein hatte, als schaue man durch einen Kristall hindurch auf das zerklüftete Tal und die Berge seiner Umgebung.
Joan ließ den Blick über die hufeisenförmige Schlucht gleiten, innerhalb welcher sich das Haus an einen riesigen, turmartig vorspringenden Felsen anzuklammern schien.
»Ich habe dies Haus schon gesehen«, sagte sie über die Schulter weg zu Colin Beck, der die Fensterläden des Wohnzimmers öffnete. »Droben von dem hohen Gipfel aus, glaube ich, doch sagte mir mein Führer, daß ein fremder Professor hier wohne ...«
»Man nennt es das Haus von Lomax«, antwortete der Maler. »Aber er war schon seit drei Jahren nicht mehr da. Es gehört jetzt Cradock. Ich habe nur den Haushalt überwacht, solange er auf Urlaub abwesend war. Nächste Woche ziehe ich wieder in das Gebäude der schottischen Expedition, wo ich eigentlich hingehöre.«
»Dann ist also Herr David Cradock der Mann, mit dem Sie zusammen wohnen?«
»Natürlich! Sie bekommen sein Zimmer. Ein komischer Kauz, unser Dave! Man sollte meinen, daß er sich einsam fühle, ganz allein hier oben, mit Mohammed als einzigen Kameraden, nicht wahr? Aber keine Spur! Manchmal wandert er noch nach dem Abendessen hinaus und verbringt halbe Nächte in den Bergen, als ob ihm selbst ich und Mohammed zuviel an Gesellschaft wären. Oder er geht in einheimischer Tracht nach Luksor hinunter, wo er in einem arabischen Kaffehaus sitzt, Schischeh raucht und stundenlang mit den Eingeborenen schwatzt. Was ihm nicht schwer fällt, denn er spricht wunderbar Arabisch, kennt alle Gebete und zitiert ganze Seiten aus dem Koran. Aber jetzt, Kinder,« unterbrach er sich, »werdet ihr euch wohl vor dem Tee ein bißchen zurechtmachen wollen? Ich zeige euch die Zimmer!«
Er führte sie durch den Wohnraum auf den Gang hinaus und öffnete die Tür auf der linken Seite. »Das ist Ihr Zimmer, Frau Averil! Ich hoffe. Sie werden alles vorfinden, was Sie nötig haben. Molly, du wohnst gegenüber in meinem Zimmer. Rufe, wenn du etwas brauchst!«
Joans Handkoffer, den sie der Lastersparnis halber mit Molly teilte, stand auf dem Sessel. Sie begann ihre Sachen auszupacken.
Nach einer Weile klopfte es und Molly tanzte trällernd herein. »Ich bitte dich,« fragte sie, »hast du den Puder gesehen, violett? Man hat uns für Eingeborene gehalten! Und die kolossalen Nadeln. Ah, du hast genau dieselben! Sind Männer nicht komisch? Schau dir das Buch an, das ich eben neben meinem Bett gefunden habe. Es war ein roter Lederband mit der goldenen Aufschrift: ›Jahresbericht des Vereins der Maschinenbauingenieure‹. Du hast auch eines, laß mal sehen! Du lieber Gott, das ist doch deutsch, nicht?« Mühsam buchstabierte sie: »Das Swastika – – Zeichen – im – Leben – des – Orients.« Sie ließen sich beide auf das Bett fallen und lachten.
»Damit werden wir Colin zu Tode necken«, kicherte Molly. Dann senkte sie die Stimme. »Hast du die Statuette mitgebracht, Joan?«
»Sie ist in meinem Handkoffer!«
»Also komm – wir werden sie ihm zeigen!«
Als nämlich Joan beim Mittagessen Molly ihr Abenteuer im Ammon -Tempel erzählte und die mysteriöse Figur zum Vorschein gebracht hatte, schlug Molly vor, Colin nach der Bedeutung des Vorfalles zu fragen. Gleichzeitig wollte sie die Kunstkennerschaft ihres Bräutigams prüfen. Mit der überlegenen Miene eines ausgepichten Ägyptologen, der zwei Studienjahre hinter sich hatte, fand er es am Platze, verschiedene Skarabäen, die Molly einem Händler abgekauft, als plumpe Fälschung zu bezeichnen. Also sollte er nun aufs Glatteis geführt werden.
Sie stellten die Statuette zwischen Tassen und Backwerk auf den Tisch. Als der heranschlendernde Künstler den kleinen Götterhund erblickte, blieb er betroffen stehen.
»Alle Wetter, woher stammt das?« Dann trat er heran und untersuchte die Plastik genau. »Amenhotep II.«, stellte er fest, nachdem er die Hieroglyphen entziffert hatte. »Und bei meiner Seele, es ist aus schwerstem Gold!«
»Es gehört Joan!« klärte seine Braut ihn auf. »Sie erstand es in Luksor und wollte wissen, was du davon hältst!«
»Sie haben es in Luksor gekauft? Darf ich fragen, was Sie dafür bezahlten?«
»Ein Pfund!« sagte Joan leise und blickte zur Seite.
Colin war starr. »Haben Sie ein Pfund gesagt, ein Pfund?«
»Ja«, bestätigte Joan mit erstickter Stimme.
»Aber, aber ... eine solche Figur ist unschätzbar ...«
»Wenn es keine Fälschung ist«, warf Molly heimtückisch ein.
»Fälschung? Betrachte bitte diese zierliche Linienführung! Wenn das kein herrliches antikes Stück ist, so bin ich bereit, meinen Hut aufzuessen ...«
Unfähig, das Lachen noch länger zu unterdrücken, platzten die beiden Freundinnen heraus. »Bravo, Herr Beck!« rief Joan. »Sie haben sich nicht hinters Licht führen lassen!« Und sie erzählte ihm, wie die Figur in ihren Besitz gelangte.
Becks Gesicht wurde ernst. »Das Ding ist selbstverständlich gestohlen! Aber wo? Und von wem? Das beste wäre, wenn Sie mir gestatteten, daß ich es Cradock zeige. Er kommt übermorgen zurück. Im Wohnzimmer befindet sich ein Safe, in dem es bis dahin verwahrt bleiben kann. Cradock kennt die Ausgrabungen von A bis Z. Er wird uns raten, was zu tun ist!«
Joan willigte gern ein. Sie grübelte über die unergründlichen Fügungen, die sie immer wieder mit jenem einsamen Engländer zusammenbrachten. Der Zwischenfall mit den Kabinen. Die Begegnung im Zimmer des Kapitäns, ihr Tischgespräch mit Bastable, ihr Zusammentreffen mit Molly, auf Grund dessen sie nun nicht nur in Cradocks Haus, sondern in seinem Zimmer, ja sogar in seinem Bett landete, und jetzt wieder das Erlebnis mit dieser kleinen Anubisstatue – diese Kette von merkwürdigen Zufällen bedrückte sie und schuf ihr eine merkwürdige Unruhe.
Nach dem Tee unternahmen die drei einen kleinen Spaziergang ins Tal, bis sie ein Gong vom Hause her zum Abendbrot rief. Man speiste an einer langen Tafel im Wohnzimmer. Der Mond warf lange Schatten auf die Veranda und lugte zur offenen Tür herein, als wollte er mit den Purpurblumen spielen und mit den goldhalsigen Champagnerflaschen, die aus dem Eimer am Boden vorwitzig herausragten.
Der Kaffee wurde auf der Veranda genommen. Sie waren alle ziemlich wortkarg, wie wenn das blasse runde Gesicht, das auf sie herabstrahlte, einen schweigendgebietenden Finger an die Lippen gelegt hätte. Durch die silberverbrämte Dunkelheit ringsum drang fernes Hundebellen und von Zeit zu Zeit ein unheimlich schauriges Geheul.
»Schakale«, sagte der Maler. »Es ist der Schrei des Anubis, des Wächters der Begräbnisstätten.«
Abermals ertönte der klagende Ruf und verklang.
»Colin,« schlug Molly vor, »laß uns auf den Hügel dort steigen! Die Aussicht im Mondlicht muß prächtig sein.«
»Abgemacht!« rief ihr Bräutigam fröhlich und sprang auf.
»Kommen Sie, Frau Averil!«
Verständnisvoll lächelnd schüttelte Frau Averil den Kopf. Die beiden waren jung und verliebt und würden bald ein Ehepaar sein. »Keine zehn Pferde können mich da hinaus schleppen«, erklärte sie. »Geht nur und schaut euch den Mond an, ich bleibe lieber hier!«
Colin warf einen Blick ins Wohnzimmer zurück, das jetzt in Finsternis lag. »Whisky und Zigaretten finden Sie auf dem Tisch hinter Ihnen. Mohammed ist wohl schon zu Bett gegangen. Er schläft drüben im Nebenbau hinter der Küche. Soll ich die Lampe anzünden?«
»Nicht nötig! Im Mondschein ist's ja fast tageshell. Lauft nur und seid vergnügt, aber geht nicht zu weit fort!«
»Nein, nein – nur bis zum Hügel«, versprach Colin. »Wenn Sie laut rufen, müssen wir Sie hören. Wir werden auch bald zurück sein. Auf Wiedersehen!« Das Liebespaar lief lachend und sich haschend den Berg hinunter und verschwand im Dunkel. Joan seufzte und hob die Augen zum Monde. Warm war die Luft und herrlich die Nacht, schwarz und verlassen lag hinter ihr die Nacht, und wiederum heulte jetzt aus der Dunkelheit irgendwo ein Schakal. »Wächter der Begräbnisstätten« hatte Colin ihn genannt. Millionen und aber Millionen von Toten lagen in den Katakomben der Berge von Theben bestattet – Joan schauerte zusammen. Ein Rascheln hatte sie aufgeschreckt. Gedämpfte Tritte schlichen über den Steinboden. Ohne den Kopf zu wenden wußte sie, daß jemand auf die Veranda gestiegen war. Mit stockendem Herzschlag blickte sie auf. –
Neben ihr stand eine große weiße Gestalt.
Der Mond beleuchtete ein stolzes Gesicht mit hellen Augen, die kühn unter dem weißen Turban hervorbrannten. Wie allen Europäern, die erst kurze Zeit im Orient weilen, schienen auch Joan alle Eingeborenen gleich auszusehen. Aber diese Züge mit dem Ausdrucke eiserner Energie, der bei den Ägyptern so selten vorkam, hatten sich ihrem Gedächtnis eingeprägt. Es war das Antlitz jenes Arabers, den sie im Durchgang bei der Moschee gesehen und der als zweiter von der Mauer herabgesprungen war.
Verstört erhob sie sich, als in tiefem Englisch die Worte erklangen: »Frau Averil, nicht wahr?«
Sie wandte sich verblüfft um. Bis auf den Araber war die Veranda leer.
»Ich fürchte, ich habe Sie erschreckt. Es tut mir leid. Ich hatte ja keine Ahnung, daß außer Colin noch jemand hier sei ...«
Der Fremde nahm den Turban ab und ein Kopf mit kurzem, dunklem Haar ward sichtbar. Und nun war es kein Fremder mehr. David Cradocks Stimme hatte gesprochen und David Cradocks Augen blickten sie aus dem braunen Gesicht beruhigend an.
Sie rang nach Luft und sank in ihren Sessel zurück. »Oh, ich wußte ja nicht – Herr Beck sagte mir, Sie wären in Kairo ...«
»Es war auch meine Absicht, nach Kairo zu fahren, aber ich mußte meine Abreise verschieben. Ich habe heute nacht am Dschebel zu tun. Da mich meine Arbeit voraussichtlich bis zur Frühe im Freien festhalten wird, wollte ich mir gegen die nächtliche Kühle eine Feldflasche mit Brandy holen. Und ich bin schon so sehr an das Tragen der Nationaltracht gewöhnt, daß mir, als ich Sie hier auf der Veranda sitzen sah, leider gar nicht in den Sinn kam, wie aufregend meine Erscheinung auf Sie wirken mußte. Seien Sie mir nicht bös darum!«
»O bitte!« flüsterte sie verlegen. Sie dachte an ihre letzte Begegnung am Abschiedsabend auf dem Schiff.
Cradock setzte sich auf die oberste Stufe der Verandatreppe. »Ich wußte nicht, daß Sie Colin kennen.«
»Ich kam mit Molly Dalton, Herrn Becks Braut, hierher. Meine Freundin wollte den Vollmond in den Bergen sehen –«
»Und wo steckt Ihr Schützling?« fragte er heiter.
Damit war der Bann gebrochen. Sie lachte: »Ja, ich bin eine höchst pflichtvergessene Anstandsdame! Die beiden sind nach dem Abendbrot fortgelaufen – hinüber auf den Hügel dort. Vor einer halben Stunde schon!«
Er lächelte zu ihr hinauf. »Dann sind Sie nicht ungehalten, wenn ich hier ein wenig sitzen bleibe?«
»Natürlich nicht. Das Haus gehört doch Ihnen, nicht wahr? Ich glaube, ich schlafe sogar in Ihrem Zimmer. Hat Ihnen Colin nichts gesagt?«
»Er getraute sich wahrscheinlich nicht!«
Sie kämpfte mit sich, um ihm das zu sagen, was sie glaubte ihm sagen zu müssen. Seine halb scherzhaften Worte machten ihr Mut. »Herr Cradock,« begann sie, »ich möchte Ihnen gern erklären ... Sie wissen schon: Damals, auf der ›Aquatic‹, hatte ich mich über Sie sehr geärgert, und – und es war da eine häßliche Geschichte, die man mir über Sie berichtete ...«
Er zuckte die Achseln. »An der Meinung der Menschen liegt mir schon lange nichts mehr ...«
»Ich hätte Sie nicht verurteilen sollen, aber – Sie betrugen sich so sonderbar scheußlich gegen mich! Ich fühlte mich schwer in meiner Eigenliebe gekränkt, und so kam es, daß ich Ihnen Dinge sagte, die ich Ihnen nicht hätte sagen dürfen. Später in Kairo traf ich einen Ihrer Freunde, der mir die Wahrheit erzählte ...«
»Der gute Bastable sollte sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern!« knurrte Cradock.
»Nein, er hatte völlig recht. Er brachte mir zum Bewußtsein, wie grausam ich mich benommen hatte –« Schüchtern sah sie zu ihm hinab. »Können Sie mir verzeihen?«
»Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen«, widersprach er sanft. »Ich dachte schon, daß irgend jemand mich bei Ihnen verleumdet hatte.« Er schwieg einen Augenblick. Dann fuhr er mit tiefer Stimme fort: »Auch ich muß Ihnen etwas beichten. Ich war ein Grobian und später ein verbohrter Narr, als ich des Glaubens war. Sie der Spionage verdächtigen zu müssen ... Doch lassen wir das! Als Sie damals so selbstherrlich meine Kabine beanspruchten, hielt ich Sie für eine verwöhnte, launenhafte junge Dame. Aber als Sie dann am nächsten Tag auf Deck auf mich zukamen, so nett und freundlich, um alles wieder gutzumachen, da drehte ich mich um und floh vor Ihnen ... weil ich mich fürchtete!«
»Vor mir? Warum denn?«
Er senkte den Kopf und starrte auf seine mageren Hände. »Weil ...« Er zögerte. »Vor vielen Jahren schenkte ich einem Weibe alles, was ein Mann verschenken kann, mein Herz und meine Ehre. Sie warf beides fort, und seitdem mied ich die Frauen.« Er sprach gemessen ohne Wärme und ohne falsches Pathos, unpersönlich, wie man einem Kinde eine Geschichte erzählt. »Doch als Sie in Monte Carlo an Bord der ›Aquatic‹ kamen und ich Sie mit meinen Armen stützte, ahnte ich sofort, trotzdem ich nur einen flüchtigen Blick auf Ihr Gesicht zu werfen vermochte, daß wir Freunde werden könnten.«
Um Gottes willen! Wollte er ihr denn eine Liebeserklärung machen? Hier galt es auf der Hut zu sein! Die Männer waren doch alle gleich ...
»Es liegt etwas in Ihren Augen,« fuhr Cradock ruhiger fort, »ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll! Man sieht Ihnen an, daß Falschheit Ihrem Wesen fremd ist und daß man Ihnen vertrauen kann, wie ich etwa meinem lieben alten Lomar oder Bastable vertraue ...«
»Jedenfalls«, unterbrach sie ihn kühl, »fürchten Sie sich jetzt nicht mehr vor mir?«
Er merkte sofort den Umschwung ihres Tones, die Distanz, die sie zwischen sich und ihn legen wollte. Auch seine Stimme klang verändert. »Ich sagte Ihnen das alles nur, um Ihnen mein seltsames Benehmen zu erklären.«
»Oh, lassen Sie diese Dinge doch nun ruhen«, bat sie höflich. »Auch ich habe den Eindruck, daß wir uns gut vertragen werden!«
»Schiffe, die sich nachts begegnen ...« murmelte er düster und versonnen.
Vom Tale klang ein Ruf: »Jo–an.« Mit flatternden Röcken lief Molly schwer atmend den Weg herauf. »Liebling, ich bin an allem schuld. Es war so schön da oben, daß ich Colin nicht umkehren lassen wollte. Oh ... das ist doch Herr Cradock. Wie Sie mich mit Ihrem Geistergewand erschreckt haben!«
»Hallo, Dave!« Colin erschien am Fuße der Treppe. »Wo kommst denn du so plötzlich her? Du wirst auf dem Tisch schlafen müssen. Frau Averil hat dein Bett!«
»Schon gut. Ich bleibe nicht hier, Colin. Ich habe Frau Averil nur ein wenig Gesellschaft geleistet.«
»Ja richtig!« Der Maler kam die Stufen herauf. »Und was ist's mit der Anubisfigur, Dave?«
Cradocks Gesicht schien im Mondlicht zu erstarren. »Was für eine Figur?«
Colin blickte Joan verwundert an. »Haben Sie ihm nichts erzählt?«
»Ach, Herr Cradock plauderte so interessant über sich selbst, daß ich es ganz vergaß!«
Sie sah, wie Cradock zusammenzuckte, aber sie fühlte keine Reue.
»Ich hole die Figur!« Colin eilte zum Safe und kam mit der goldenen Statuette zurück.
»Woher haben Sir das, Frau Averil?« Cradocks Frage klang schroff, sein Ton geschäftsmäßig.
»Ich erhielt es bei der Moschee im Ammon-Tempel. Ein Mann sprang über die Mauer und drückte es mir in die Hand. Er machte sich eiligst davon, und darauf erschien ein anderer. Dieser zweite – ich weiß es jetzt, dieser zweite Mann waren Sie!«
»Du, Dave?« rief Colin erstaunt.
»Weiter, bitte!« drängte Cradock ungeduldig.
»Ich erschrak und versteckte mich im Durchgang, bis Sie verschwunden waren. Dann begab ich mich ins Hotel zurück, das ist alles!«
»In welcher Richtung lief der Bursche, der Ihnen die Statuette gegeben hatte?«
»Das Gäßchen zur Marktstraße hinunter. Das Gesicht konnte ich nicht erkennen ...
»Haben Sie sonst noch jemand in der Nähe herumlungern sehen?«
»Nein. – Nur als ich mich entfernte, stieß ich mit einem Herrn zusammen, der mir bekannt war ...«
»Wer war das?«
»Der Grieche – Sie kennen ihn auch. Er war unser Reisegefährte auf dem Schiff ...«
»Simopulos!« Cradock begann nachdenklich auf der Veranda auf und ab zu schreiten, indes die anderen ihn schweigend beobachteten. Endlich blieb er vor Joan stehen. »Ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten. Würden Sie die Figur eine Zeitlang in meine Obhut geben?«
»Aber selbstverständlich. Ich betrachte sie nicht als mein Eigentum!«
Cradock trug die Statuette ins Wohnzimmer, wo Colin die Lampe angezündet hatte. Mit der freien Hand machte er auf dem Regal unter den Altertümern ein Plätzchen frei. Dorthin stellte er die Figur und trat einen Schritt zurück, um ihre Wirkung zu beobachten.
»Du willst sie doch nicht etwa hier stehen lassen, Dave?« fragte Colin besorgt.
»Warum denn nicht, oder würde sie dir besser auf dem Tisch gefallen?«
»Mach keine Witze! Du weißt ebensogut wie ich, daß es in diesem Lande nur einen Platz für solche Kostbarkeiten gibt – der Safe!«
»Das erinnert mich daran, daß du noch meinen Schlüssel hast, nicht wahr?«
Colin reichte ihm das Gewünschte. Cradock ging zum noch offenen Safe und versperrte das Schloß. Den Schlüssel steckte er in seinen Gürtel. »Bis morgen früh wird die Statuette hier auf dem Regal ganz gut aufgehoben sein.«
Er sah sich im Zimmer um. »Mohammed schläft wohl schon?«
»Freilich! Es ist doch beinahe zwölf Uhr!«
»Dann muß ich fort. Gute Nacht allerseits!«
»Hallo, Dave, warte doch!«
Aber Cradock war schon in der Finsternis verschwunden. –
»Du hast ihn gar nicht gefragt, ob die Statuette gestohlen ist«, bemerkte Molly vorwurfsvoll.
»Aber das ist doch klar!« entgegnete Colin ziemlich heftig.
»Und Dave verfolgt jetzt die Diebe. Darum verbringt er Nacht um Nacht auf dem Dschebel. Aber das ...« Er sah starr zu der kleinen Figur hinüber, ging dann, ohne den Satz zu beenden, zum Tisch und trank ein Glas Whisky. »Wie wäre es, wenn wir schlafen gingen?« fragte er mit leisem Gähnen.
»Mir soll es recht sein!« meinte Joan, und Molly stimmte ihr bei.
Der junge Mann zündete zwei Kerzen an und reichte jeder der Frauen eine. »Macht die Fenster nicht eher auf, als bis ihr das Licht gelöscht habt! Ihr bekommt sonst allerlei Getier ins Zimmer. Und die Läden haltet lieber in jedem Falle geschlossen!« Er öffnete die Tür zum Gang. »Gute Nacht, Frau Averil! Ich hoffe, Sie werden angenehm schlafen!« Er küßte Molly auf ihr seidenes Goldhaar.
Leidenschaftlich schlang sie die Arme um seinen Hals und preßte ihre Lippen an die seinen. »Colin, Liebster! Es war herrlich!« flüsterte sie.
»Au!« rief er, als ein Tropfen ihrer Kerze auf seinen Nacken fiel. Lachend machte er sich los, schritt den Gang entlang und sandte ihr einen Handkuß nach.
Schweigen senkte sich auf das Haus. Colin machte sich auf dem Diwan ein Lager zurecht und ging im Pyjama, eine Zigarette im Munde, noch ein Weilchen hin und her. Die Verandatür verrammelte er mit einem Eisengitter. Nachdem er zu beiden Seiten die Fenster geöffnet hatte, löschte er die Lampe.
Ein Mondstrahl kroch durch die Läden und glitzerte auf der goldenen Anubisfigur. Colin setzte sich kopfschüttelnd auf den Rand des Diwans und schleuderte die Pantoffeln von den Füßen.
»Was Dave nur vorhaben mag. Er ist doch sonst so vorsichtig!« Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen. Er ging barfuß über die Matten zum Schreibtisch, nahm einen Revolver aus der Lade und legte ihn unter sein Kopfkissen.
Kein Laut mehr störte den Frieden der Nacht; selbst das ferne Hundebellen hatte aufgehört. Colin Beck streckte sich behaglich und sank in den glücklichen Schlaf der sorglosen Jugend. – –
Ich möchte wirklich wissen, dachte Joan auf der anderen Wandseite und betrachtete den zeltartigen Baldachin des Moskitonetzes über ihrem Bett – ich möchte wirklich wissen, warum mir Dave heut abend soviel von sich erzählt hat? Sie nannte ihn bei sich »Dave«, das klang so einfach – so vernünftig, so – – verläßlich ...
Zweifellos war dieser Dave ein außergewöhnlicher Mensch – er hatte mit ihr gesprochen – nun gerade so, als wäre sie ein Mann. Sie sähe aus wie jemand, mit dem man Freundschaft schließen könne – hatte er gesagt, das paßte sicherlich auch auf ihn selber.
Sie ertappte sich dabei, wie sie ihn mit dem einzigen Mann verglich, der sie sonst noch in Ägypten interessierte – mit Prinz Said Hussein. Beide gaben sich in ihrer Art reserviert, beide waren ungewöhnlich zielbewußt und sahen aus, als könnten sie auch das erreichen, was sie wollten. Aber der Prinz war ein Mann, der Eindruck machen wollte. Dave hingegen schien es höchst gleichgültig zu sein, ob man ihn gern sah oder nicht ... Nun auf alle Fälle war es unwahrscheinlich, daß sie ihn noch oft zu sehen bekam, da sie ja morgen nach Kairo entschwinden würde ...
Wie still es im Hause war! Das Ticken der Armbanduhr auf dem Tischchen neben dem Bett war deutlich zu hören. Ein leiser Wind ließ jetzt die Läden knarren – –
Joan schrak heftig empor. Was war das für ein scharrendes Geräusch am Fenster? Ein Tier vielleicht? Eilig schlug sie das Moskitonetz zurück. Das Scharren hielt an, leise und regelmäßig, und in dem grauen Licht, das durch die Spalten schimmerte, glaubte sie, daß die Läden sich bewegten.
Hastig glitt sie vom Lager. Sie wollte das Fenster schließen, um das scharrende, kratzende Wesen auszusperren. Aber da glänzte plötzlich zwischen den Ladenflügeln die Klinge eines langen Messers. Langsam tastete es sich gegen die flache Eisenstange, quer an der Innenseite des Ladens empor.
Die Angst erpreßte ihr einen lauten Schrei. Im selben Augenblick flogen krachend die Läden auseinander. Am Fensterbrett stand ein riesiger Eingeborener, dessen Silhouette sich scharf vom Silberlicht abhob. In seiner großen schwarzen Hand blitzte das Messer.
Wieder und wieder schrie Joan auf, aber eben, als die drohende Gestalt sich vorbeugte, um ins Zimmer zu springen, ertönte auch vom Fenster her ein Angstschrei, und der Eindringling sank mit dem Kopf nach unten über die Brüstung.
Wildes Pochen an der Tür und Colins Stimme: »Was ist los?«
In panischem Schrecken fiel Joan ein, daß sie sich eingeriegelt hatte. Der Eingeborene wand sich unter den Griffen einer herkulischen weißen Gestalt, die jetzt auf dem Fensterbrett kniete.
Als Joan zur Tür sprang, um den Riegel zurückzuschieben, stürzte das ringende Paar ins Zimmerinnere und wälzte sich keuchend auf der Matte.
Sie kämpften um den Besitz des langen Messers, das die große schwarze Hand noch immer fest umkrampfte.
Colin brach wie ein Wirbelwind herein, den Revolver im Anschlag.
Eine atemlose, aber ruhige Stimme sagte: »Schieß nicht, mein Junge! Das Messer! Tritt ihm aufs Handgelenk! So ist's recht!«
Ein Klirren auf dem Boden, ein arabischer Befehl – und der Kampf brach ab. Die weiße Gestalt erhob sich. Es war Cradock. Ohne Turban, mit zerrissenem Gewand und von Kopf bis zu Fuß mit Blut beschmiert. Aber seine Augen glänzten wie Sterne.
Im Mondlicht, das durch das offene Fenster hereinströmte, lehnte sein Gegner reglos an der Wand. Colin beugte sich mit erhobenem Revolver über ihn. Der Turban des Schwarzen war heruntergefallen. Aus seinem einzigen Auge – die Höhle des andern war tot und leer – starrte er den jungen Mann höhnisch an.
Der aber drückte den Revolver plötzlich in Cradocks Hand. »Die Statuette!« schrie er und stürzte davon.
Joan, in eine Eiderdaunendecke gehüllt, die sie eilig vom Bett genommen, und Molly, die der Lärm emporgescheucht hatte, im Schlafrock folgten ihm. Die Verandatür stand weit offen. Der Platz auf dem Regale war leer.
Colin lief ins Schlafzimmer zurück. »Sie ist fort!« rief er erregt.
Cradock blieb vollkommen gelassen. »Tatsächlich?« fragte er. »Aber Mensch, was wirst du jetzt tun?«
Cradock schien ihn nicht zu hören. Er hatte sich zu Joan gewendet: »Sie müssen furchtbar erschrocken sein. Aber diesmal ist's nicht meine Schuld. Ich war auf allerhand gefaßt. Doch diesen Überfall konnte ich nicht voraussehen!«
»Sie haben mir das Leben gerettet!« sagte sie und sah ihn voll wahrem Dankgefühls an.
»Er hatte es ja nicht auf Sie abgesehen, sondern auf mich.« Joan schrie leise auf. »Oh, Ihre Hand!«
Cradock betrachtete flüchtig seine Rechte. Der Handrücken war blutüberströmt. »Es hat nichts zu bedeuten. Nur ein kleiner Hautritz. Nein, bitte, lassen Sie doch – ich werde mich selber verbinden, nachher!« Hartnäckig versteckte er die Hand hinterm Rücken und lächelte Joan an, die nach Wasserkrug und Waschbecken gegriffen hatte. »Unser Freund hier –« er wies geringschätzig mit dem Fuß auf den Eingeborenen, »glaubte noch ein Hühnchen mit mir rupfen zu müssen. Er ist der Aufseher meiner Arbeiter. Ich mußte ihn heute strafen und dafür wollte er sich wahrscheinlich rächen ...« »Hören Sie ...« Joan sah zu Cradock empor, »diesen Kerl habe ich schon einmal gesehn. Er sprach gestern am Kanalufer mit Simopulos!«
»Um welche Zeit?«
»Sehr früh, gegen neun Uhr!«
Cradock wandte sich finster ab; irgendein neuer Gedanke schien ihn zu beschäftigen.
»Sollen wir nicht Mohammed nach Luksor zur Polizei schicken?« fragte Colin.
»Nein! Es hat keinen Zweck, die Polizei zu behelligen. Ich werde schon allein mit dem Burschen fertig ...«
»Lassen Sie doch den Mann laufen!« bat Joan nervös. – Cradocks Gesicht war wie aus Stein. »Bitte überlassen Sie das mir!« Seine Stimme schloß jeden Widerspruch aus. Er reichte Colin den Revolver zurück und griff nach einer Reitpeitsche, die unter einem Steinbockgehörn hing. »Vorwärts!« knirschte er drohend. Schweigend erhob sich der kauernde Fellach. Er war jetzt völlig eingeschüchtert. Ohne ein Wort zu verlieren, packte ihn Cradock am Genick und schleppte ihn aus dem Zimmer.
Joan zitterte unter ihrer Daunendecke. »Ich möchte bei dir schlafen, Molly! Stört es dich?«
»Keine Spur, Liebling. Komm nur.«
Als sie über den Korridor gingen, vernahm man hinter dem Hause scharfes Knallen von Peitschenhieben und winselndes Geheul ...
Am Abend des folgenden Tages fuhr Joan nach Kairo. Sie bestand darauf, daß Simmons ein Schlafabteil mit ihr teilte und die schmerzgeplagte Zofe wurde alsbald auf ihr Lager verstaut. Molly Dalton hatte die Freundin zum Bahnhof begleitet. Eine halbe Stunde vor Abgang des Zuges stellte sich auch Colin Beck ein, der tagsüber maurische Reliefs in einer Grabstätte abgezeichnet hatte. Man setzte sich in den Speisewagen, um rasch noch eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Naturgemäß drehte sich das Gespräch vornehmend um die Ereignisse der letzten Nacht.
»Ich habe Dave nicht wiedergesehen!« berichtete Colin, »aber ich sprach mit Mohammed. Es scheint, daß Dave die Figur absichtlich stehlen lassen wollte. Mohammed erzählte, er habe nächtlicherweise zwei Männer umherschleichen hören – einen vor und den anderen hinter dem Hause. Er wollte eben in die Küche gehen, um einen Bediensteten, der dort schlief, zu wecken, als plötzlich Cradock erschien und ihm befahl, den Mann an der Front des Hauses zu beobachten, aber ihn keinesfalls anzugreifen, außer wenn er, Dave, pfeifen sollte. Dave seinerseits kroch hinter das Haus und packte Ali am Fuß, als der gerade die Fensterläden aufbrechen wollte. Im selben Augenblick als hinten der Tumult begann, sprang – so erzählt Mohammed – der Kerl vorn über die Verandastufen, öffnete geschickt die Verandatür – ich hatte sie verriegelt, aber das Schloß ist etwas locker – stürmte ins Haus und war im Nu wieder draußen. Ich bin überzeugt, daß die Halunken nicht wußten, daß Sie und Molly in Daves und meinem Zimmer schliefen. Dave, der in der Finsternis Augen hat wie eine Katze, muß den heranschleichenden Ali erspäht haben und erriet wahrscheinlich seine Absicht. Die war offenbar, zuerst Dave und dann mich ins Jenseits zu befördern.«
»Aber warum soll Cradock darauf bedacht gewesen sein, daß die Figur gestohlen würde?« fragte Joan.
»Um den Auftraggeber oder den Empfänger zu ermitteln. Für gewöhnlich stehlen die eingeborenen Diebe nur gelegentlich und meist auf eigene Rechnung, aber seit einiger Zeit gebärden sie sich so unternehmungslustig, daß man annehmen muß, eine raffinierte Organisation stehe hinter ihnen.«
»Ich weiß nicht recht, was Dave damit zu tun hat ... Großer Gott, wir fahren ja schon! ... Molly!«
Der Zug hatte sich in Bewegung gesetzt. Colin stürzte mit seiner Braut zur Waggontüre. Sie stolperten auf den Bahnsteig und winkten Joan zu, die lächelnd zurückgrüßte. Aus einem der letzten Fenster schaute ein Mann mit safrangelbem Gesicht. Als sein Wagen an Colin vorüberglitt, fuhr der Maler zusammen und stieß Molly heimlich an. »Simopulos!« murmelte er betroffen.
*
In Kairo gibt es ein unscheinbares Hotel, das die Mehrzahl der Reisenden kaum kannte, obwohl es nur ein paar Minuten von den Hauptverkehrsstätten entfernt lag. Sein schmaler, höhlenartiger Eingang unter den Arkaden der Klot-Bei-Straße wurde von einer zersprungenen Gaslaterne spärlich beleuchtet: Eine jener Gaunerherbergen, die wie Krähenschwärme in den Winkeln der lärmendsten Stadtteile nisteten. Es war in den ersten Stunden der Nacht. Ein kalter Regenschauer prasselte nieder und scharfer Wind wirbelte den Staub unter den Arkaden aus. Vor einer Weile hatte der schmierige Neger, der die Obliegenheiten des Portiers, des Hausknechts, des Stubenmädchens und des allgemeinen Hotelfaktotums versah, die Lampen angezündet und sich in seine dunkle Kabine zurückgezogen, von wo aus er die Treppe überblicken konnte. Durch ein Loch in der Kabinentür hatten die Hotelbesucher bei ihrem Eintritt Bezahlung zu entrichten und erhielten dafür einen Schlüssel verabfolgt.
Von der Straße her klangen Schritte, der Portier steckte sein Galgengesicht aus der Luke. Der matte Schein einer Öllampe, die qualmend oberhalb des Treppenabsatzes an einem rostigen Nagel baumelte, beleuchtete eine Gestalt in europäischer Kleidung.
»El-Haddsch Jussuf ben Osman?« fragte der Fremde.
»Auf Nr. 14!« antwortete der Schwarze, und sein Kopf verschwand wie ein Kuckuck aus Ebenholz, der in die Uhr zurückklappt. Der Fremde tastete sich über die Treppe und gelangte in einen engen stickigen Gang, der so stockfinster war, daß man ein Zündhölzchen anzünden mußte, um die Zimmernummer zu erkennen. Endlich blieb der Ankömmling stehen und klopfte. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, dann packte ihn jemand bei der Hand und zog ihn hinein. Ein langer Araber schob hinter ihm den Riegel vor und legte den Finger an die Lippen.
Der Raum war elend und armselig. Es stand ein wackliges Bett darin, mit einem schmierigen Tuch zugedeckt. Über ihm auf der schadhaften Tünche der Wand, verriet eine Reihe von rötlichen Flecken das blutige Ende von Moskitos und ähnlichen lieblichen Plagegeistern. Auf einer Seite sah man eine geschlossene Tür, die zum Nachbarzimmer führte. Hinter einer Zeitung, die gegen einen Sessel aufgebaut war, brannte eine Kerze in einem Becken auf dem Fußboden neben dem Bett.
»Es tut mir leid, daß ich dich in dieses ekelhafte Quartier bemühen mußte, John«, sagte der Araber leise auf englisch. »Ich habe den Mann! Er ist im Zimmer nebenan und hat das Bewußte bei sich. Durch das Loch dort in der Tür kannst du ihn beobachten.«
Der Angeredete nahm die Leinenkappe ab, deren Schirm er tief über die Augen gezogen hatte und entblößte einen ergrauten Kopf. Es war der Kopf John Villiers Bastables, Leiter des Departements für Antiquitäten!
Im Holz der Verbindungstür war ein kleines Stückchen Karton mit einem Reisnagel befestigt. Bastable kniete nieder, schob das Papier beiseite und legte das Auge an die Öffnung, die offenbar erst vor kurzem gebohrt worden war. Er erblickte einen Mann, der drüben am Tisch saß und schrieb. Bastable erkannte die charakteristische gelbliche Teintfarbe und die unsteten Flackeraugen des Griechen Simopulos.
Er schob den Karton wieder über die Öffnung. Der Araber zog ihn in den entferntesten Winkel des Zimmers. »Nimm Platz!« flüsterte er und zeigte auf das Bett.
Bastable warf einen Blick des Abscheus auf die Wand mit den roten Punkten und Streifen, die von vergangenen Schlachten zeugten. »Ich glaube, hier unten ist's sicherer, Dave!« meinte er und setzte sich auf den Fußboden. »Deine Aufmachung ist übrigens erstklassig. Ich hätte dich nicht erkannt! Ich hoffe sehr, daß auch Simopulos keinen Verdacht schöpft – obwohl er ein verteufelt schlauer Halunke ist. Seitdem wir aus Luksor ankamen, also seit neun Uhr früh, liege ich nun hier auf der Lauer. Das Erscheinen eines deiner Beamten am Kairoer Bahnhof hat unseren Freund so stutzig gemacht, daß er sich den ganzen Tag verborgen hielt. Aber heute nacht wird er ausgehen, darauf möchte ich schwören ...«
»Und du weißt bestimmt, daß er die Anubisfigur bei sich hat?«
»Ja, ich sah, wie er sie aus dem Handkoffer nahm und in ein Seidentuch hüllte, wahrscheinlich, um sie heimlich fortzuschaffen.«
Cradock kauerte sich auf die zerlumpte Matte, seinem Freund gegenüber. Die abgeblendete Kerze stand zwischen ihnen.
»Ich habe die verfluchte Statuette Schritt für Schritt verfolgt, von Der-el-Bahri bis in diese Spelunke. Der Dieb war mein Aufseher Ali, der mir schon längst verdächtig vorkam. Ich schlich ihm nach Quarnah nach und stellte fest, daß er seinen Raub einem gewissen Shadly zusteckte, der in diesem Dorf wohnt. Ich glaube, es ist der Bruder seiner Frau.
Shadly hatte offenbar den Auftrag, die Figur nach Einbruch der Dunkelheit jemandem auszuhändigen, der ihn im Durchgang bei der kleinen Moschee des Luksor-Tempels erwarten sollte. Ich folgte dem Burschen hart auf den Fersen – vielleicht bemerkte er mich und wurde ängstlich. Wie dem auch sei: Er übergab die Figur einer europäisch aussehenden Persönlichkeit, die zur bewußten Zeit an jener Rendezvous-Stelle war ...«
»Simopulos?«
»– – Diese Persönlichkeit trug Breeches und Reitstiefel, und in der Dämmerung hielt Shadly die fremde Gestalt für Simopulos. Doch es war kein Mann – es war Frau Joan Averil!«
Bastable ließ einen leichten Pfiff der Überraschung hören.
»Ich war außer mir, wie du dir denken kannst, denn es sah fast so aus, als ob durch diesen Zwischenfall all unsere Pläne durchkreuzt wären. Aber dann, wie ich dir heute morgen schon schrieb, wurde mir die Figur durch Frau Averil überantwortet, und ich kam auf den Einfall, sie abermals stehlen zu lassen. Ich hatte nämlich kurz vorher den Shadly um mein Haus am Dschebel schleichen sehen ...«
»Woher wußte denn die Bande, daß die Figur in deinem Besitz war?«
»Das wußte sie ja gar nicht! Aber hier war Simopulos' diabolischer Scharfsinn im Spiel. Er erfuhr, daß Ali einen Groll gegen mich hegte, ließ ihm eine tüchtige Portion Mastix zu saufen geben und brachte ihn schließlich dazu, mich nächtlicherweile zu überfallen. Jedenfalls war ihm bekannt, daß sein Vertrauensmann an jenem Abend verfolgt wurde, und die Vermutung, daß das gestohlene Gut in meinem Besitz sei, lag nahe. Shadly fand denn auch die Figur – ich hatte sie hübsch sichtbar hingestellt – und raffte sie an sich. In der Morgendämmerung – aus Geisterfurcht wagt kein Eingeborener während der Finsternis den Weg nach Luksor hinabzugehen – kam er mit seiner Beute zu Simopulos' Dahabije an den Fluss hinunter. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich am Ufer auf ihn wartete!« Cradocks braunes Gesicht verzog sich zu einem triumphierenden Grinsen, aber er schien sehr abgespannt und selbst das Lächeln konnte den müden Ausdruck seiner Züge nicht verbergen.
Bastable bemerkte das und sagte mit sanftem Vorwurf: »Dave, alter Freund, du hast Wunder vollbracht. Aber du bist dem Zusammenbruche nahe. Jetzt ist ja die Geschichte höchst einfach. Laß meine Beamten alles weitere besorgen – ich habe eine Anzahl Leute draußen – und ruhe du dich aus ...«
Cradock unterbrach ihn mit einem energischen Kopfschütteln. Er hockte mit gekreuzten Beinen am Boden, und mit seinem grünen Turban der Mekkapilger, dem schwarzen Gewand und dem dunklen Gesicht sah er wie ein Pascha aus, der die Hinrichtung eines Sklaven anordnet. »Das ist meine Angelegenheit!« erklärte er schroff. »Ich übergebe sie erst, wenn ich den letzten Bestimmungsort der Figur herausgefunden habe – nicht eher! Verdammt noch einmal!« Zornig ballte er die Faust. »Wann geht denn dieser Kerl nun endlich?«
Er kroch nochmals zum Guckloch. Das Haus war merkwürdig still. Von der Straße her ertönte das knallende Stakkatogeräusch eines vorbeifahrenden Autos, das nach jungägyptischer Art den Auspuff offen hatte. Eine Straßenbahn bog kreischend um die Ecke.
»Die Kerze, die Kerze!« flüsterte Cradock von seinem Beobachtungsposten. Bastable löschte die Flamme mit dem Finger und stand auf. Einen Augenblick herrschte gespanntes Schweigen. Mißtönend drangen die Geräusche der Straße hinein.
Dann knarrte leise eine Tür; man vernahm das Knirschen eines Schlüssels und behutsame Schritte draußen im Gang. Cradocks Atem schlug heiß an Bastables Ohr, als er ihm hastig zuraunte: »Gedulde dich zehn Minuten!« Ein Händedruck – und geräuschlos glitt er hinaus.
Langgezogene, dreimal wiederholte Trompetenklänge übertönten das dumpfe Gemurmel der Stadt. Es war zehn Uhr fünfzehn Minuten. Oben auf der Zitadelle, wo die Kasernen lagen, blies man das Signal: »Lichter aus!«
Bastable hockte sich wieder nieder, um die verabredete Zeit abzuwarten.
*
Nachdem Joan Averil ihre Zofe in einem Privatkrankenhaus gut untergebracht hatte, begab sie sich am Sonntagmorgen nach ihrem alten Hotel. Sie fand Kairo noch voller, als sie es verlassen. Im Vestibül ging es zu wie in einer Bahnhofshalle. Der große Fremdenrummel der Hauptsaison hatte begonnen. An den Pulten des Empfangsbureaus versuchte eine Reihe aufgeregter Fragesteller vergeblich, die Beamten aus ihrer Ruhe zu bringen; andere stauten sich bei den Säulen des Vorraums, wo für die üblichen Ausflüge der Vergnügungsreisenden Auskunftstafeln hingen, erbarmungslos geschäftsmäßig mit ihren nüchternen Daten und Zeitangaben.
In dem Hotel hatte man ein gutes Gedächtnis. Joan bekam wieder das gleiche ruhige Schlafzimmer mit dem Ausblick auf den Park. Aus dem Tisch stand ein Strauß herrlicher Nelken, der gewohnte Tribut, den die Hotelleitung für ihre weiblichen Gäste täglich bereit hielt. Diese ritterliche Aufmerksamkeit linderte ein wenig das traurige Gefühl, das sie insgeheim beschlich, wenn sie an Luksor und seinen goldenen Sonnenglanz dachte. Im Vergleich zu ihm war die Sonne Kairos blaß und kraftlos – hatte man doch auf der Hotelterrasse eine blauweiße Zeltwand gegen den schneidenden Wind aufgespannt!
Ein Brief des Prinzen erwartete sie. Er sei entzückt, daß sie am Abendessen teilnehmen wolle, schrieb er. Er hoffe auch, der Wahrsager werde sie nicht enttäuschen. Es sei nicht leicht gewesen, den heiligen Mann zum Kommen zu bewegen. Madame Alexandrowna werde sie gegen halb neun Uhr mit dem Auto vom Hotel abholen. Joan freute sich über die Einladung. Der Gedanke an den Wahrsager verursachte ihr ein angenehmes Gruseln und außerdem weilte sie wirklich gern in des Prinzen Gesellschaft. Das letztemal war er freilich recht zudringlich gewesen, aber dies galt als Temperamentsfehler der meisten Südländer, und als sie ihm zu verstehen gegeben, daß sie keine Lust zum Flirten verspüre, hatte er sofort eingelenkt. Er war eben doch ein Gentleman. Und außerdem würde ja Madame Alexandrowna zugegen sein.
In bester Laune machte sich Joan über einen Schrankkoffer her, um die wichtige Toilettefrage zu lösen ...
Sie pflegte nie sonderlich pünktlich zu sein. Aber Madame Alexandrowna war eben erst eingetroffen, als Joan in der Hotelhalle erschien.
»Meine Teure!« rief die Russin und nahm Joans kühle Hände in die ihren. »Hussein telephonierte mir, während ich beim Ankleiden war und hielt mich auf. Habe ich Sie warten lassen?«
Neben Joan mit ihren ernsten grauen Augen, dem glatten Braunhaar und der duftigen weißen Haut, die das enganliegende Silberkleid unter dem Manilatuch frei ließ, sah Nadja beinahe orientalisch aus. Mit dem Hintergrund von untertänigen, dunkelhäutigen Hoteldienern im Turban oder Fes, bedurfte es nur eines Schleiers über dem olivenfarbenen Gesicht mit den grünlich schimmernden Augen, um sie als das Ebenbild einer vornehmen Ägypterin erscheinen zu lassen. Sie war in ein herrliches Hermelincape gehüllt, das so weiß und weich schien wie frisch gefallener Schnee. Längliche Smaragdtropfen glitzerten an ihren Ohren, und wie ein Hauch aus dem Serail umwehte sie eine linde Wolke von Ambraduft.
Makhmud, des Prinzen Leibdiener, stand unbeweglich in Affenjacke und Zuavenhosen am Wagenschlag. Er verbeugte sich tief, als die Damen einstiegen, schwang sich flink neben den Lenker, und die Limousine glitt um die Biegung der Straße. Sie überquerte den Opernplatz, wo der dicke alte Ibrahim-Pascha auf seinem Marmorpferd ewig den Weg zum Siege weist, und gelangte dann in ein Labyrinth kleiner Gäßchen. Madame Alexandrowna plauderte eifrig.
»Der arme Hussein,« erzählte sie, »hatte allerhand Schwierigkeiten mit diesem Wahrsager. Stellen Sie sich vor, meine Liebe: Im letzten Augenblick noch weigerte er sich, das Araberviertel zu verlassen. Aber der Prinz läßt sich nicht so leicht abschrecken. Wenn der Prophet nicht zu dem Berge kommt, so kommt der Berg zu dem Propheten! sagte er. Wir werden eben im Araberviertel speisen, und damit basta!«
»Aber wo denn?«
»Im Haus eines Freundes unseres Gastgebers. Dort wird Abdullah hinkommen. Es wird sehr interessant für Sie sein, das Innere eines Moslemheims zu sehen, nicht wahr?«
Joan war bestürzt. Das Araberviertel? Wie unheimlich! Auch wußte sie nicht viel von dieser hübschen, mondänen Frau Alexandrowna. Aber was tun? Sie konnte nicht mehr zurück. Außerdem wollte die doch unbedingt den Wahrsager sehen. Das Auto raste durch die Finsternis.
»Hussein – wie sagt man das? – ist manchmal zum Schreien«, schwatzte Nadja weiter. »Er hatte sich in den Kopf gesetzt, wir sollten nach arabischer Sitte um einen kleinen Tisch am Boden hocken und mit den Fingern aus einer Schüssel speisen! ›Der Orient‹, hab ich ihm geantwortet, ›ist als Sehenswürdigkeit recht schön, aber wie ein Orientale leben? Nie!‹ Also werden wir Spargel und Champagner auf westeuropäische Art vorgesetzt bekommen. Das Haus des Osman el Maghraby, wo wir soupieren werden, scheint überhaupt höchst merkwürdig zu sein. Nun aber, Teuerste, erzählen Sie! Wie war's in Luksor? Haben Sie sich gut unterhalten?«
Joan seufzte: »Es ist ein herrliches Fleckchen Erde. Ich wollte, ich hätte es nie verlassen!«
»Vielleicht machten Sie eine Eroberung und sehnen sich deshalb zurück?«
Joan lachte. »Ich habe in Luksor nur einen einzigen jungen Mann kennengelernt, und der war verlobt!«
Nadjas prüfender Blick streifte die Nachbarin.
»Der Prinz hatte mächtig Feuer gefangen!« meinte sie mit keck gespielter Gleichgültigkeit.
Wieder lachte Joan, aber die Bemerkung war ihr unangenehm.
»Ich glaube, das kommt bei ihm sehr häufig vor!« erwiderte sie. »Er ist ein großer Frauenfreund, scheint mir.«
»Sie mögen recht haben«, bemerkte ihre Gefährtin düster.
Dann plauderten sie von der Sonnenstadt Luksor und ihren Reizen, bis das Halten des Autos ihrem Gespräch ein Ende setzte. Makhmud richtete ein paar arabische Worte an Madame Alexandrowna.
»Wir sind am Ziel«, verdolmetschte diese. »Makhmud will, daß wir ihm folgen – nur ein paar Schritte, jene Gasse hinab!«
Der Kraftwagen stand neben einem Brunnen, auf einem kleinen offenen Platz, der auf allen Seiten von flachen, dunklen Häusern umsäumt war. Der Chauffeur drehte die Scheinwerfer um, und ihr blendendes Licht fiel auf die Öffnung einer schmalen Gasse zwischen hohen Lehmmauern. Sie fühlten ein paar Regentropfen im Gesicht, als der Diener sie durch die enge Gasse führte. Während ihres vorsichtigen Dahinschreitens wurde das Geräusch von Türriegeln vernehmbar. Zur Linken unterbrach ein Lichtschimmer die lange Lehmwand. Eine schwere, nägelbeschlagene Tür, mit einem kleinen Gitter in ihrer oberen Hälfte, tat sich auf und enthüllte einen steinernen Durchgang, der von einer alten Kupferlampe schwach beleuchtet war.
Tief verbeugte sich der Pförtner; hinter ihm stand sein hochrot gepolsterter Stuhl. Der Gang bog rechtwinklig nach links ab und machte gleich darauf abermals eine Biegung, finster und seltsam. Mit lautem Krach, der draußen in der Gasse widerhallte, schloß sich das Tor.
Die beiden Frauen, in ihre Abendmäntel geschmiegt, fühlten die Atmosphäre des Orients – einen heißen, leicht ranzigen, süßsäuerlichen Geruch, wie die Ausdünstung eines Tieres, vermischt mit dem Duft von Weihrauch und Orangenwasser, und dazwischen den schwach beizenden Rauch von brennendem Holz. Warm und geheimnisvoll wehte es durch den stillen Steinkorridor, der sich wie ein rätselvolles Fragezeichen wand.
Makhmud schlurfte voraus. Man gelangte in einen offenen Hof, auf dem zur Linken eine Art Pavillon ohne Seitenwände und zur Rechten ein Brunnen zu sehen war. Ringsum lief eine Galerie, und auf der gegenüberliegenden Seite führten ein paar Stufen zu einer verhangenen Tür.
Als sie die Treppe erreichten, teilte sich der Vorhang und der Prinz erschien. Joan erkannte ihn nicht sogleich, denn er trug arabische Kleidung, einen weißrotgestreiften Seidenturban, einen prachtvollen rotgoldenen Kaftan mit weiten Ärmeln. Die Kopfbedeckung veränderte seine äußere Erscheinung vollkommen. Die rotbraune Farbe seines Haares milderte jetzt, da es verborgen blieb, nicht mehr den rein orientalischen Schnitt der Züge. Der Turban warf einen Schatten über seine gelblichen Augen und betonte den kühnen Schwung seiner Adlernase, so daß er wie ein türkischer Pascha oder wie ein Beduinenhäuptling aussah.
Aber sein höflicher Gruß hatte nichts Orientalisches. Joan schämte sich ihrer Skrupel.
»Meine sehr verehrten Damen,« erklärte er, während er sie ins Innere geleitete, »unsere Häuser wurden für den Sonnenschein und nicht für kalte Winterstürme erbaut. Sie müssen Ihre Mäntel anbehalten, bis Sie festgestellt haben, ob das Speisezimmer warm genug ist.«
An einen kleinen Vorraum schloß sich ein prächtiges Zimmer mit gewölbter Decke. Seidenteppiche in gedämpften Farben verhüllten das nackte Mauerwerk der Wände bis auf eine Seite, die gegen den Hof zu lag, wie Joan bemerkte, und an der hohe Vorhänge angebracht waren.
Längs der Wände standen breite Diwane und in jeder der vier Ecken des Raumes waren Glutpfannen aufgestellt, die das Zimmer mit würzigem Rauch erfüllten. Von der Decke warfen zwei große Kettenlampen aus blauem, reichbemaltem Glase, wie man sie sonst nur in Moscheen sah, ein angenehm gedämpftes Licht auf den gedeckten Tisch. Im Hintergrund, auf einer kleinen Erhöhung vor einer verdeckten Tür, war ein Büfett angerichtet.
»Wie herrlich!« Nadja Alexandrowna klatschte begeistert in die Hände.
Der Prinz lächelte. »Da Sie es ablehnten, nach der Sitte meines Volkes zu speisen, so mußte ich mich an die Gebräuche Ihrer Landsleute halten. Leider haben wir keine Ihrer köstlichen Rebhühner und auch keine sibirische Hasenpastete, die man einst zu allen Zeiten in Petersburg bekam. Aber der Wodki wenigstens ist echt!«
Er führte seine Gäste zum Büfett und bediente sie mit Kaviar. Joan mußte ein winziges Glas klaren, weißen Alkohols kosten. Es trieb ihr die Tränen in die Augen und brachte sie zum Husten. Nadja stürzte zwei nacheinander hinunter, und mit dem Ruf: »Wer hat jemals einen Stuhl mit zwei Beinen gesehen?« genehmigte sie noch ein drittes Gläschen, das der Prinz ihr galant kredenzte.
»Wird Ihnen nicht zu kalt sein?« fragte Hussein besorgt.
Joan ließ das Tuch von den weißen Schultern gleiten, denn nach dem scharfen Wind auf der Straße kam ihr das Zimmer behaglich warm vor. Nadja folgte ihrem Beispiel und enthüllte ein Gewand aus pfaublauem Brokat.
Joan fühlte, wie Hussein den Blick über ihr Silberkleid wandern ließ. »Wundervoll!« schwärmte er. »Wissen Sie, daß Sie der vollkommenste Typ einer klassischen Figur sind, freilich einer kühlen, herben, fürchte ich – – die grünäugige Pallas Athene vielleicht oder Diana, die Göttin der Jagd.«
»Es ist jetzt Schonzeit!« Joan nagte an einer Olive und lachte fröhlich. Er warf einen Blick zu Nadja hinüber, die ihren nackten, bronzefarbenen Rücken dem Zimmer zukehrte und am Büfett dünne Scheiben von geräuchertem Lachs schnitt. »Sie sind wirklich berückend!« murmelte er heiß und haschte nach Joans Hand. Seine Stimme hatte einen sonderbar verhaltenen Klang, und seine Augen schimmerten matt, wie durch einen Schleier.
Joan trat einen kurzen Schritt zurück. »Ich habe keine Hand frei!« neckte sie. »Eine brauche ich, um die Olive zu halten, und die andere, um den Kern zu fassen. Aber Sie dürfen mir noch ein wenig von dem köstlichen Kaviar und ein Stückchen Toast geben, wenn Sie wollen!«
Man setzte sich mit gutem Appetit unter einer der Moscheelampen zur Mahlzeit nieder. So hervorragend feines Glas werde jetzt nicht mehr erzeugt, erzählte der Prinz. Angeblich sei es die Arbeit venezianischer Handwerker, die von den umherstreifenden Kriegsgaleeren der alten Kalifen gefangengenommen waren. »Es sollen nur hundert Exemplare dieser Lampen existieren. Drei von ihnen befinden sich in diesem Haus – zwei hier und eine im oberen Stockwerk im Kaa, dem Empfangszimmer der Frauen. Sie müssen sich nachher den Harem ansehen. Er ist schon seit vielen Jahren unbewohnt. Osman el Maghraby – Sie lernten ihn unlängst bei mir kennen – ist unverheiratet und duldet kein weibliches Wesen in seiner Nähe.«
»Und Ihr Wahrsager, Hussein?« fragte Nadja.
»Er befindet sich gegenwärtig bereits im Hause und brütet in der Einsamkeit – wie immer, bevor er in seinen Dämmerzustand verfällt.«
»Spielt er tatsächlich keine Komödie?« zweifelte Joan.
»Auf keinen Fall! Scheich Abdullah nimmt seine Sache sogar sehr ernst. Er wäre tödlich beleidigt, falls man ihn auslachen würde. Er besteht darauf, mit seinem Medium allein zu bleiben, und es war keine kleine Aufgabe, bis ich die Erlaubnis erhielt, dabei sein zu dürfen. Denn ich muß Ihnen doch seine Worte übersetzen, da er nicht Englisch spricht.«
»Dann werde ich«, rief Nadja dazwischen, »auch zuhören, wenn er Ihnen wahrsagt, Said Hussein, und so alle Ihre Geheimnisse erfahren!«
»Der Prinz will sich ja nicht wahrsagen lassen!« betonte Joan und sah ihn fragend an.
»Mein Schicksal steht fest! Noch ist mein Haar nicht weiß, und so nehme ich an, daß mir noch einige Zeit zu leben vergönnt ist. Was das Zeichen des Ram anbelangt, das mir verhängnisvoll werden soll – – nun, das gehört ins Gebiet der Astrologie, einer Wissenschaft, deren Geheimnisse mir leider unbekannt sind ...« Makhmud, der hinter seinem Sessel erschien, flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Der Scheich Abdullah kommt!« verkündete Said Hussein. »Wir müssen uns nach den Wünschen des heiligen Mannes richten. Meine liebe Nadja, möchten Sie sich in das andere Zimmer bemühen?«
Er geleitete sie zur Estrade im Hintergrund und hob den Türvorhang, um sie hindurchzulassen. Zwei Diener kamen mit Stangen und löschten stumm die beiden Deckenlampen. Das geräumige Zimmer war jetzt nur von den zuckenden Flammen der Glutpfannen erhellt.
Der Prinz führte Joan zu einem der breiten Diwane an der Wand. Als sie aufblickte, gewahrte sie inmitten des Gemaches eine Gestalt in Eingeborenentracht. Sie hatte niemand eintreten hören und war daher einen Augenblick verwirrt.
Said Hussein legte die Hand an den Turban und wandte sich zu ihr: »Scheich Abdullah!«
Joan hatte sich unter einem Scheich stets einen würdigen Greis mit grauem Barte vorgestellt. Aber hier stand ein junger Mann, beinahe noch ein Jüngling, schlank, von sehr dunkler Hautfarbe, mit einem Turban, der spiralenförmig um eine kleine weiße Kappe gewunden war, und in einen rosa Seidenkaftan mit schwarzen Ornamenten gehüllt. Er verneigte sich tief, wobei er die leuchtenden, etwas vorstehenden Schwarzaugen auf Joans Gesicht heftete. Dann machte er lächelnd eine Bemerkung zu Said Hussein. Seine Stimme klang weich, sein Benehmen schien zurückhaltend, beinahe schüchtern.
»Scheich Abdullah meint, er sei nicht in der Stimmung zum Wahrsagen«, übersetzte der Prinz. »Er mag keine fremde Umgebung. Haben Sie Silbergeld bei sich?« Joan öffnete ihre Börse. »Zwei von diesen Zehnpiasterstücken genügen. Nun binden Sie sie in Ihr Taschentuch, so!«
Aus dem Schatten des Zimmers trat ein Diener mit einer flachen Schale auf einem Dreifußgestell und einem Stück Kohle, das zwischen einer Zange glühte. Der Scheich warf die Kohle in die Schale. Ein schwerer grauer Dunst stieg auf und tränkte die Luft mit scharfem Weihrauchduft. Er murmelte dumpfe Worte vor sich hin, dann zog er die rauchende Schale zum Diwan heran, hockte sich nieder und begann schaukelnd den Rauch einzuatmen. Hussein warf Joans Taschentuch, in das sie das Silber geknüpft hatte, in seinen Schoß und winkte ihr, sich zu setzen.
Der Diener war verschwunden. Die Glutpfannen warfen gespenstische Schatten über Möbel und Teppiche. Ein leiser Hauch wohlriechenden Rauchs lag über den flackernden Flammen. Plötzlich packte Abdullah Joans Taschentuch und preßte es ans Gesicht. Seine Nasenflügel bebten ekstatisch; dann richtete er sich langsam auf, bis er mit dem Rücken an der Wand lehnte und die Beine unter seinem Körper eingezogen hatte. –
Mit hoher Fistelstimme hob er zu reden an. Seine Augen stierten glasig, wie die eines Betrunkenen, und die Schüchternheit schien von ihm gewichen. Er sprach laut und grell, mit sonderbaren Gesten, indes er sich auf dem Diwan hin und her warf und bisweilen schallend auflachte. Bald war er wie ein ungebärdiges Kind, bald wie ein Schauspieler, der Leidenschaft darstellen will, und bald wie ein Prediger, der im Feuer seiner Beredsamkeit glüht – immer aber schien er für ein unsichtbares Publikum zu agieren ... Wenigstens war er sich offenbar nicht der Anwesenheit des Mannes und der Frau an seiner Seite bewußt. Jedes Wort unterstrich er durch Mienenspiel und Gebärden. Wenn er von Krankheit sprach, mimte er einen Leidenden von bedauernswertem, erschöpftem Aussehen. Er gebrauchte das Gleichnis eines verborgenen Schatzes, und siehe: er verwandelte sich in einen Geizhals, der den Geldsack an sich drückte, während er ängstliche Blicke um sich warf. Als er von Stolz redete, war er ein prunkvoller Orientale, in aufrechter Haltung, herrisch und hochmütig. Als er von Gefahr sprach, quollen ihm schier die Augen aus dem verzerrten Gesicht, Schweiß perlte auf seiner Stirn, und die Worte stürzten wie ein Stöhnen von seinen Lippen. Nach einer Weile verging der Krampf, da er von dem Frieden zu erzählen begann, der den Pilger am Ende seiner Fahrt erwartet. Seine Stimme wurde leise, sein Blick senkte sich nach innen, und ein glückliches Lächeln umspielte seinen ausdrucksvollen Mund ...
Joan saß ein wenig vorgeneigt, das Gesicht vom Schein der Glutpfannen übergossen; an ihrer Seite im Schatten der Prinz, der mit leiser, eintöniger Stimme die Worte übersetzte, die wie ein Sturzbach aus der heftig bewegten Gestalt auf dem Diwan hervorquollen. Unter Einschränkung der orientalischen Gleichnisbilder hatte seine Verkündung etwa folgenden Inhalt:
»Krankheit hat dein Haus heimgesucht, und du bist betrübt. Jemand, der dich anhänglich liebt und ehrt, ist leidend und bereitet dir Sorge. Aber fürchte nichts! Kein Krug bricht am Brunnen, wenn nicht die unergründliche Weisheit und Gerechtigkeit Allahs es bestimmte ... Du bist wie ein Mann mit einem Schatze. Er schwelgt darin, er ist stolz darauf, erzählt seinen Freunden davon, wenn er ihnen am Freitag in der Moschee begegnet. Mitten in der Nacht nimmt er ihn aus seinem Versteck und betastet ihn liebevoll, und sein Herz ist von Freude geschwellt. Er sagte bei sich: Dies ist mein Schatz, mein eigenster Besitz. Was habe ich doch für Vorkehrungen getroffen, um ihn mir zu erhalten? Einst drang ein Dieb ein und stahl ihn mir. Welche Arbeit, welche Seelenqualen hat es mich gekostet, ihn wiederzuerlangen. Kein Dieb kann mir mehr beikommen. Ich habe die Türen versichert, meine Wachsamkeit verdoppelt und von einem englischen Händler eine starke Eisenkassette gekauft, in der ich mein Kostbarstes sicher verwahren kann. Um so vieles throne ich über all den anderen Menschen, wie der große Emir auf seinem Rosse! So spricht er in seinem Stolz. Er weiß nicht, daß eben jetzt Räuber an der Arbeit sind, ihm sein Liebstes zu stehlen ...
Ich bin der Wächter auf dem Turme. Ich blicke auf das Dach deines Hauses hinab, und ich sehe einen, der kühn die Gasse heraufschreitet, den Mund voll schöner Worte, die Hand voller Gaben. Aber hüte dich ...!
Gefahr, von allen Seiten Gefahr! Es liegt eine Wolke über dem Antlitz des Fremden – sie verdichtet sich – er verschwindet langsam – er ist fort! Hüte dich, hüte dich vor dem Glück, mit dem er dich umgarnen will!
Ein anderer naht sich deinem Hause. Er ist betrübt und bringt dir Leid. Tränen fließen hinter ihm, wie das Wasser, das von der Haut der Wasserträger tropft.
Hüte deinen Schatz, hüte deinen Schatz! Ah! Es ist zu spät! Er hat ihn gestohlen und auf einem Schiff weit übers Meer geschleppt ... Auf den Kummer folgt Freude, durch die Gnade Allahs, dessen Prophet Mohammed ist. Das, was der Allmächtige bestimmt hat, muß eintreten. Aber dann wirst du Ruhe finden, Ruhe und ein Glück – größer, als du je bisher es kanntest. Lang ist der Weg der Beschwerden durch die Berge der Grabstätten. Aber jede Fahrt nimmt ein Ende, und deine Zukunft heißt Friede und Zufriedenheit ...«
Die Stimme verebbte in einem Flüstern und schwieg. Der Kopf des Scheichs fiel auf die Brust. Wie ein Schlaftrunkener blinzelte er, sah sich unsicher um, seufzte und bückte sich, um von einer Tasse unter der Schale etwas Weihrauch zu nehmen, das er auf das Feuer streute. Neuer Rauch kräuselte empor ...
Der Prinz stieß Joan heimlich an. »Stehen Sie auf!« raunte er.
Joan erhob sich. Die Weihrauchwolke bildete malerische Ringe um ihr Silberkleid. Der Scheich machte ein paar Schritte, murmelte etwas und berührte ihre Hand. Dann richtete er sich straff auf und lächelte die junge Frau nachdenklich an. Er war nun ruhig und wieder ein wenig befangen.
Die Augen des Prinzen glühten rötlich im Feuerschein, und seine Stimme klang heiser:
»Er ist fertig«, sagte er. »Der Scheich möchte Ihr Taschentuch behalten, darf er es?« – »Nein, nein, bitte, lassen Sie das!« Ivan hatte ihr Handtäschchen geöffnet. »Er mußte vorhin die zwanzig Piaster von Ihnen nehmen, weil er etwas brauchte, das Sie selbst in der Hand gehabt haben. Aber im übrigen ist das meine Sache! Jetzt wollen wir Nadja holen!«
Joan folgte ihm durch das Zimmer. Sie war ein wenig enttäuscht von den dunklen Andeutungen des Wahrsagers. Der Prinz hatte versichert, daß er Abdullah nichts über sie oder Nadja erzählt hätte. Es war also sicherlich erstaunlich, daß Abdullah von Simmons' Erkrankung wußte. Auch seine Erwähnung der »Berge der Grabstätten« war seltsam, denn sie bezog sich auf ihren Aufenthalt in Luksor. Aber sie konnte nicht begreifen, was er mit dem vielen Gerede von einem Schatz meinte ...
Nadja erschien auf der Estrade und war ziemlich aufgeregt. Man ließ sie mit dem Scheich allein. Inzwischen schritten der Prinz und Ivan über ein paar niedrige Stufen in das anstoßende kleinere Zimmer, das wiederum mit kostbaren alten Gebetteppichen verkleidet war.
Dort fanden sie Makhmud sichtlich beunruhigt. Er verbeugte sich und gurgelte leise und hastig ein paar arabische Worte hervor. Said Husseins Mienen zeigten einen verärgerten Ausdruck, als er sich zu Joan wandte. »Es ist mir höchst unangenehm, Sie allein lassen zu müssen, aber es will mich jemand sprechen, der unerwartet mit wichtigen Geschäftsnachrichten eintraf. Ich werde nicht lange ausbleiben und möchte Sie unterdes in die Gemächer des Harems hinaufführen. Während Sie warten, können Sie sich dort ein wenig Umsehen. Hier, bitte ...«
Er hob einen Vorhang in der Ecke. Vor ihnen befand sich ein bunt drapiertes altes Gittertor und dahinter eine Treppe. An ihrem Ende führte eine schwere Tür in ein hallenartiges Gemach, das mit Holz vertäfelt und dessen mittlerer Teil mit Marmorfliesen belegt waren. Der Raum wurde durch einen Balkon abgeschlossen, der mit einem geschnitzten Holzgitter verziert war. Die Decke war reich mit blaßgrünen Arabesken geschmückt, die sich auf einem breiten Fries darunter wiederholten. Inmitten des Marmorbodens plätscherte ein Brunnen. Weiche Teppiche dämpften die Tritte, und niedrige, mit Kupfertassen besetzte Tische aus perlmutterverziertem Ebenholz standen allenthalben umher. Das Gemach wurde durch jene dritte Moscheelampe erleuchtet, die von der bunten Glaskuppel herniederhing.
»Dort sind noch andere Zimmer,« Hussein deutete auf eine Tür der Marmorhalle, »und in jenen Alkoven wurden die zusammengerollten Betten der Frauen tagsüber aufbewahrt. Jetzt muß ich gehen. Ich komme so rasch als möglich zurück. Tun Sie, bitte, als ob Sie zu Hause wären ...«
Er drückte Joan die Hand, und seine Augen unter ihrem seltsamen matten Schleier brannten in den ihren. Zum erstenmal fiel es ihr auf, daß der Prinz ein Ägypter war, ein Orientale. Merkwürdig, daß die Tracht einen Menschen so verändern konnte! Lag es nur an der arabischen Kleidung ...?
Die Tür schlug zu, und sie war allein.
* * *