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Das Leben hängt vollständig von dem Akt des Atmens ab.
»Atem ist Leben.«
Atem heißt Leben, und ohne Atem ist kein Leben. Nicht nur die höheren Tiere sind zur Erhaltung von Leben und Gesundheit auf das Atmen angewiesen, auch die niederen Formen animalischen Lebens müssen atmen, um zu leben.
Das Atmen kann als die wichtigste von allen körperlichen Funktionen angesehen werden. Der Mensch kann eine Zeit leben ohne zu essen, kürzer schon ohne zu trinken; aber ohne zu atmen ist seine Existenz höchstens auf ein paar Minuten bemessen.
Das Leben hängt aber nicht allein vom Atmen ab, sondern die richtige Weise zu atmen ist für dauernde Gesundheit und Vitalität ausschlaggebend. Eine intelligente Kontrolle unserer Atemkraft wird unsere Erdentage verlängern, indem sie uns erhöhte Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit verleiht.
Außer diesen physischen Segnungen kann der Mensch durch die »Wissenschaft des Atmens« seine mentale Kraft, sein Glück, seine Selbstkontrolle, seinen Erfolg und sogar sein spirituelles Wachstum vermehren.
Die Wissenschaft des Atmens hat, wie viele andere Lehren, zwei verschiedene Phasen. Dieses ist die esoterische oder innerliche Seite und die exoterische oder äußerliche Seite.
Weil wir annehmen, daß der Schüler mit der äußeren Seite der Atmung bereits hinreichend vertraut ist, werden wir ihn, ohne weiter Zeit zu verlieren, mit der inneren esoterischen Seite dieser Wissenschaft bekannt machen.
Die Okkultisten aller Zeiten und Länder lehrten von jeher (gewöhnlich nur im geheimen einigen Anhängern), daß sich in der Luft eine Substanz oder ein Prinzip findet, von dem alle Tätigkeit, alles Wachstum und alles Leben herrührt.
In diesem Lehrgang werden wir von diesem Prinzip als » Prana« sprechen. Dies ist ein Sanskritwort und bedeutet »Absolute Energie«.
Prana durchdringt alles. Prana wird in allen Lebensformen gefunden, von der Amöbe bis zum Menschen – von der elementarsten Form des Pflanzenlebens bis zur höchsten Form des tierischen Lebens.
Prana ist in der Luft, aber es ist nicht Luft, noch irgendeines seiner chemischen Bestandteile. Mensch, Tier und Pflanze atmen es mit der Luft ein. Ja, wenn die Luft es nicht enthielte, würden sie sterben, und wenn man sie ganz mit Luft anfüllte.
Dieses geheimnisvolle, machtvolle Prinzip ist in allen Formen der Materie und dennoch nicht Materie. Es wird durch das System mit dem Sauerstoff aufgenommen, aber es ist nicht Sauerstoff.
Damit nun diese Quelle des Lebens in uns bewußt wird, müssen wir atmen. Wir müssen atmen, müssen in unser Wesen das hineinatmen, was die Quell« alles Lebens ist:
Prana, die Essenz unseres Daseins, das Prinzip, in dem wir leben, weben und sind;
Prana, die Inspiration der Weisen, Adepten, Philosophen und Erlöser!
Prana, den kräftigen, begeisterten Lebensodem, den Erlöser und Befreier!
Jeder Atemzug muß mit vollem Bewußtsein unseres Selbst und des Prana, das die Zellen der kollektiven Existenz aufbaut, geschehen. Wer zerfahren ist, vergeudet Prana in das Weltall hinaus, wer konzentriert ist, speichert es in seinem Körper auf. Dieses »Wasser des Lebens« ist der Atem, der Geist, das Pneuma, die Lebensessenz, ohne die es keine Erkenntnis unseres Wesens und Daseins gibt.
Wer Anteil an diesem Prana haben will, der muß es notwendigerweise anziehen wollen, ebenso wie er Gott anziehen würde, wenn er in seiner Gegenwart zu sein wünschte. Ohne diesen bestimmten Wunsch im Herzen erlangt man es nicht, wenn es auch immer um uns und sein Grundprinzip im Innersten unseres Wesens ist.
Wir sind uns dieses Prana nicht bewußt, weil wir seine Gegenwart nicht wahrnehmen; diese wird uns erst dann fühl- und wahrnehmbar, wenn wir uns darauf konzentrieren und den Wunsch hegen, es zu erlangen. Wir fühlten zwar sein magisches Säuseln in der Vergangenheit wohl schwach, wußten aber nicht, woher es kam, noch wohin es fuhr, noch was es bedeutete.
Prana wird in der freiesten Form in der atmosphärischen Luft gefunden, die reich damit geladen ist. Wir entziehen es der Luft leichter, als irgendeiner anderen Quelle.
Beim gewöhnlichen Atmen entziehen wir der Luft nur eine normale Zufuhr von Prana. Aber beim individuellen Atmen sind wir imstande, eine größere Zufuhr zu entziehen, die dann im Gehirn und in den Nervenzentren zum Gebrauch aufgestapelt wird. Wir können Prana so aufstapeln, wie die Akkumulatoren Elektrizität aufspeichern.
Die mannigfaltigen Kräfte, die vorgeschrittenen Okkultisten und indischen Jogis zugeschrieben werden, schulden sie im weitesten Umfange dem intelligenten Gebrauche, den sie von der aufgespeicherten Energie machen. Aus diese Weise stärkt der Hatha-Yogi nicht nur alle Teile seines Körpers, sondern es entwickeln sich in kurzer Zeit mentale Fähigkeiten, und die magische Seite der Natur erschließt sich ihm.
Ein Mensch, der die Wissenschaft, Prana aufzuspeichern, beherrschen gelernt hat, sei es bewußt oder unbewußt, strahlt Lebenskraft und Stärke aus, und alle fühlen es, die mit ihm in Verbindung kommen. Ein solcher Mensch kann seine Stärke anderen übertragen und ihnen erhöhte Lebenskraft und Gesundheit geben. Was man »magnetisches Heilen« nennt. Dieser Quelle der Kraft sind sich viele nicht bewußt.
Nervenkraft ist nur eine Form vom Prana. Menschen mit starken Nerven sind pranareich. Nervös sein heißt weiter nichts wie Prana-Armut. So wie der Sauerstoff des Blutes durch die Bedürfnisse des Organismus aufgebraucht wird, so wird das durch das Nervensystem aufgenommene Prana durch unser Denken, Wollen und Handeln erschöpft. Daher ist unaufhörlich Erneuerung nötig. Wenn wir uns erinnern, daß der größte Teil des Prana von uns aus der Luft übernommen wird, wird uns die Wichtigkeit der Wissenschaft des Atmens leicht begreiflich werden.
Die Atemkunde ist viel zu wichtig, als daß sie oberflächlich behandelt werden kann. Wir werden sie jedoch so einfach darzulegen suchen, daß sie von jedem Kind verstanden wird.
In den folgenden Lektionen werden wir genaue Anleitungen und Erklärungen geben, die auf Bände ausgedehnt werden könnten. Wir bitten den Schüler, die starke Konzentrierung des Stoffes zu verzeihen; wir sind keine Freunde von langatmigen theoretischen Ausführungen.
Nun wolle sich der Schüler zu den ersten Hebungen in der Hatha-Yoga-Wissenschaft des Atmens bereithalten.
Uebung:
Treten Sie vor das geöffnete Fenster oder gehen Sie ins Freie.
Halten Sie die beiden Arme wagerecht ausgestreckt und führen dann die Arme im Bogen nach rückwärts. Schließen Sie die Hände hinter dem Kopf, um dann die Brust herauszudrücken und den Kopf ein wenig zurückzuneigen.
Leeren Sie die Lunge und stoßen Sie zuerst so viel Luft aus, als Sie ohne Spannung können. Bei diesen Uebungen muß alles leicht, graziös und mit vollkommener Ruhe ausgeführt werden.
Atmen Sie nur rhythmisch sieben Sekunden lang durch die Nasenlöcher langsam, sanft und tief ein, zuerst die oberen Lungenlappen und dann die übrigen Lungenteile bis aufs äußerste füllend.
Beobachten Sie die gleiche Regel bei der Ausatmung und kontrollieren Sie die Lunge so, daß Pressung, Unregelmäßigkeit und zu große Schnelligkeit vermieden werden. Alles muß in ungezwungenen Wellenlinien und Kurven vor sich gehen.
Während Sie den Lebensodem einziehen, konzentrieren Sie sich auf den Atem. Folgen Sie in Gedanken dem Atemstrom, wie er durch die Windungen der Nasenlöcher strömt, durch die Luftröhre und Bronchien in die Lunge eintritt und die Lunge sowie Zwerchfellgegend ausdehnt. Ebenso folgen Sie bei der Ausatmung dem Strom in entgegengesetzter Richtung.
Während der Atmung konzentrieren Sie sich auf Prana, die Lebensessenz, das Entwicklungsmittel, das im ganzen Körper die Zellen neu aufbaut und dadurch den Grund zur Verjüngung und zum Kindesleben legt. Atmen Sie in der Ueberzeugung, daß Atmen das Lebensprinzip ist und durch dasselbe alle Uebel und negativen Zustände beseitigt werden.
Diese Atemübung allein, ohne Gedanken-Konzentration ausgeführt, wird keine befriedigende Resultate ergeben. Wir betonen, daß dieselbe mit der gewöhnlichen Atem-Gymnastik nicht verglichen werden kann. Diese läßt die wichtigsten Punkte unberücksichtigt, nämlich die Konzentration und die Anwendung der Gedankenkraft in Verbindung mit dem Atem. Erst die Verbindung dieser beiden wichtigen Elemente zeitigt die großartige Wirkung.
Der individuelle Atem besteht in einer sieben Sekunden langen Einatmung und ebenso langen Ausatmung. Der Mutteratem aber dauert selbst im günstigsten Falle nur drei Sekunden. Ist er noch kürzer, so sind schlechte Aussichten in bezug auf den Aufenthalt in dieser Welt vorhanden. Es ist bereits ziemlich bekannt, daß die Dauer des Erdenlebens in einem bestimmten Verhältnisse zur Länge des Atems steht. Nur durch die Aneignung des individuellen Atems können wir das physische Leben verlängern und uns aus den Banden der Knechtschaft von Krankheit und Elend erlösen.
Der Schüler sollte die individuelle Atmung täglich 15 Minuten lang üben. Nach und nach muß er sich diese Atmungsweise so zu eigen machen, daß sie ihm zur vollsten Gewohnheit wird. Er muß später gänzlich so atmen.
Alles ist Rhythmus!
Im Rhythmus ist Kraft und Harmonie. Vom kleinsten Atom bis zur größten Sonne ist jedes Ding in einem Zustand der rhythmischen Schwingung begriffen. In der Natur ist nichts in absoluter Ruhe.
Die Atome des menschlichen Körpers befinden sich in beständiger Schwingung, sie wechseln unaufhörlich. In wenigen Monaten erfolgt ein fast vollständiger Wechsel in der Materie, aus welcher der Körper besteht. Es wird kaum ein einziges der Atome, die gegenwärtig den Körper bilden, in einigen Monaten wiedergefunden werden. – Vibration, unaufhörliche Vibration! Wechsel, unaufhörlicher Wechsel!
In allen Schwingungen ist aber ein bestimmter Rhythmus zu finden. Rhythmus erfüllt das Universum. Der Lauf der Planeten um die Sonne, das Steigen und Fallen der See, das Schlagen des Herzens, Ebbe und Flut der Gezeiten: alle folgen dem Gesetze des Rhythmus.
Unser Körper ist diesem Gesetz ebenso unterworfen, wie der Planet in seinem Kreislauf um die Sonne. Es ist der Körper wie ein kleiner Teich, der von dem Meere aus gefüllt wird. Auch er ist den großen Ebben und Fluten der ozeanischen Gezeiten unterworfen. Die große See des Lebens nimmt zu und ab, fällt und steigt, und wir reagieren auf ihre Schwingungen und auf ihren Rhythmus.
Es ist bekannt, daß eine Violinnote, wenn sie auf den Grundton der Brücke wiederholt im Rhythmus angetrieben wird, diese zerstört. Daß das taktweise Marschieren der Soldaten weit weniger ermüdet, ist ebenfalls bekannt und hat seine Ursache im Rhythmus des Schrittes.
Diese Aeußerungen des Effektes rhythmischer Bewegungen können dem Schüler eine Vorstellung von der Wirkung rhythmischen Atmens aus den Körper geben. Das ganze System erfaßt die Vibration und kommt in Harmonie mit dem Willen, der die rhythmische Bewegung der Lunge hervorruft. Mit einem so gestimmten Körper macht es keine Schwierigkeit, die Zirkulation und Pranazufuhr durch Anordnung des Willens zu vermehren, um die einzelnen Organe zu stärken und neu zu beleben.
Wenn Sie durch rhythmisches Atmen »den Schwung« erfassen, sind Sie in der Lage, ein bedeutend vermehrtes Maß von Prana aufzunehmen, und dieses steht dann dem Willen zur Verfügung.
Sie müssen beim rhythmischen Atmen hauptsächlich lernen, die Idee des Rhythmus geistig zu erfassen. Denen, die Musik betreiben, ist der Rhythmus bereits durch die Idee des Taktzählens geläufig.
Als Maßstab für das rhythmische Atmen gilt der normale Herzschlag. Da derselbe nun nicht bei allen Personen gleich ist, müssen wir denselben beobachten und uns zum Bewußtsein bringen. So oft Sie Gelegenheit haben, legen Sie den Daumen auf den Puls der Hand und zählen 1, 2, 3, 4, 5, 6; 1, 2, 3, 4, 5, 6 usw., bis der Rhythmus dem Gedächtnis vollkommen eingeprägt ist.
Die Zeit von einem normalen Pulsschlag zum anderen gilt als Einheit. Nach solchen Einheiten wird nun sowohl das Einatmen, das Anhalten und das Ausatmen bemessen.
Die Regel zum rhythmischen Atmen ist folgende: Jedes Einatmen muß dieselben Pulseinheiten haben wie das Ausatmen. Dagegen sollen die Pulseinheiten des Anhaltens und zwischen je zwei Atemzügen halb so viele sein, wie die des Ein- und Ausatmens.
Uebung:
Setzen Sie sich in bequemer Stellung aufrecht, und lassen Sie alle Muskeln möglichst erschlaffen. Ziehen Sie jetzt langsam einen vollständigen Atemzug ein, indem Sie sechs Pulseinheiten zählen. Halten Sie den Atem an während drei Pulseinheiten. Atmen Sie jetzt langsam durch die Nase aus und zählen dazu sechs Pulseinheiten. Dann erfolgt eine Atmungspause von drei Pulseinheiten. Wiederholen Sie diesen Atemzyklus mehrere Male, aber vermeiden Sie im Anfang, sich zu ermüden.
Nach einiger Zeit werden Sie imstande sein, die Dauer der Ein- und Ausatmungen nach Bedürfnis zu verlängern, indem Sie die Pulseinheiten etwa bis zu zehn steigern. Es muß stets daraus geachtet werden, daß die Einheiten beim Anhalten und in den Atempausen die Hälfte der Einheiten beim Ein- und Ausatmen betragen. Es ist jedoch wichtiger, darauf bedacht zu sein, einen Rhythmus zu gewinnen, als die Länge der Atmung.
Die Wirkung dieser Atmungsweise ist wunderbar, sie beeinflußt sowohl den inneren als auch den äußeren Menschen. Es wird durch dieselbe ein starkes Gefühl der Harmonie und der Ruhe erreicht. Ein Bewußtsein der Kraft durchströmt den Organismus, das allen denen unbekannt ist, welche diese Atmung nicht beherrschen.
Wer möglichst häufig rhythmisch atmet, namentlich auch im Freien und auf Spaziergängen seine Atmung rhythmisch regelt, der gewinnt eine edle Haltung. Der Gang und die ganze Erscheinung erhält etwas Edles, Hoheitsvolles. Das Aeußere eines solchen Menschen ist das getreue Spiegelbild der Harmonie und des Rhythmus, welcher durch das ganze System vibriert.
Die menschliche Atmung ist mit jenen Vorgängen zu vergleichen, die wir an einer Dynamomaschine beobachten. Wie die Maschine elektrische Kraft aufspeichert, so sammelt der menschliche Organismus auf dem Wege der Atmung die Spannkräfte der Atmosphäre. In bezug aus diesen Vorgang nennen wir das nachfolgend beschriebene Atmungssystem » die dynamische Atmung«.
Je bewußter die Atemübungen mit der Ideeverbindung des Kräfteentnehmers aus der Atmosphäre und des Kräfteaufspeicherns vor sich gehen, um so wirkungsvoller wird auch das Resultat der Atmungsvorgänge sein.
Die »dynamische Atmung«, d. h. kraftaufspeichernde Atmung, wird in Indien »psychische Atmung« genannt. Es ist dies die Lieblings-Atemform des Hatha-Yogi.
Der dynamische Atem setzt bereits einige Uebung in bezug auf das rhythmische Atmen voraus und erfordert auch eine geübte geistige Vorstellungskraft.
Bei der Einatmung versuchen Sie sich ein geistiges Bild von dem hereinströmenden Prana zu machen, wie es durch die Lunge eindringt und dann auf einmal durch den Solarplexus (Sonnengeflecht) ausgenommen wird. Sodann wollen Sie, daß das Prana oder die vitale Kraft sich über den ganzen Körper verteile, es fließe in jeden Muskel, in jede Zelle, in jeden Nerv, vom Scheitel bis zur Fußsohle.
Die psychische Vorstellung von dem hereinströmenden und sich über den ganzen Körper verteilenden Prana muß eine möglichst plastische sein. Das Dirigieren des Prana in die einzelnen Organe braucht nicht mit großer Willensanstrengung zu geschehen. Man befehle einfach, was man wünscht, und forme das geistige Bild von dem Gewünschten.
Das Anhalten des Atems ist nicht zu versäumen, es entspricht dasselbe der Benutzung der eingezogenen Kraft.
Die nachfolgende psychische Atmungs-Uebung wird auch das »Atmen durch die Knochen« genannt. Es erfüllt dieselbe das ganze System mit Prana. Jeder einzelne Körperteil wird von Prana und von dem Rhythmus des Atems belebt und gefärbt. Diese Uebung ist eine allgemeine Regeneration des gesamten Nervensystems, und wer sie sorgfältig ausübt, wird sich fühlen, als hätte er einen neuen Körper erhalten, als sei er vom Scheitel bis zu den Zehen neu geschaffen.
Uebung:
Legen Sie sich auf ein Sofa oder im Freien auf den Rasen und atmen Sie möglichst rhythmisch, jedoch ohne zu zählen. Nachdem der Atem ruhig und regelmäßig geworden ist, konzentrieren Sie sich auf folgenden Vorgang:
a) Formen Sie das geistige Bild, daß der Atem durch die Knochen der Füße eingezogen und ausgestoßen wird, als ob dieselben hohl wären.
b) Tun Sie dasselbe mit der gleichen Vorstellung durch die Arme.
c) Desgleichen durch die Kniee und Ellbogen.
d) Atmen Sie nun durch den Scheitel, durch die Stirn und die Augen.
e) Weiter atmen Sie durch die Brust, durch den Unterleib, durch den Solarplexus, ebenso durch den Rücken, atmen Sie, als ob der Strom in der Wirbelsäule hinauf- und herniederfließt.
f) Vervollständigen Sie zum Schluß diese psychische Einbildung der Atmung durch alle Poren der Haut des ganzen Körpers, gleich einem großen schwellenden Einströmen psychischer Kräfte und organischen Lebens.
Diese dynamische Atmung entspricht kraftvollen, tätigen, bewußten Seelenzuständen. Es mag den Neuling die Verbindung seelischer Bewußtseinszustände mit der Atmung befremdend berühren, bald jedoch wird die praktische Ausführung dieser dynamischen Atmungsart überzeugen, welch außerordentlichen Einfluß der psychische Atem auf die geistige und körperliche Entwicklung hat.
Schöpfer-Eleusinien.
Das Männliche und das Weibliche repräsentieren in der Natur die Liebe und die Weisheit. Die ihnen zugeteilten Aufgaben entsprechen genau ihrem Geschlecht, und im Leben kann man wirklich sagen, daß die Frau immer das Zentrum des Liebeselementes in der Menschheit ist. In ihr sehen wir die weiche, sich unterordnende, liebende Natur, die den positiven und aggressiven Sinn des Mannes beruhigt und harmonisch stimmt. In ihrer empfindsamen Natur sehen wir das verehrungswürdige Zentrum der sorgenden mütterlichen Affekte. Wir sollten naturgemäß annehmen, daß sie als das schwächere Geschlecht bestimmt sei zur Unterwerfung unter den Mann, aber gerade das Gegenteil ist der Fall; ihre empfindsameren Kräfte werden ihre mächtigste Waffe und, anstatt die Unterlegene zu sein, steigt sie auf den Siegesthron des Eroberers.
In dem Manne sehen wir den positiven, selbstbewußten Herrn der Schöpfung, der ohne Unterlaß die Natur durchforscht, um Weisheit und Erkenntnis zu finden. Der Wille des Mannes ist elektrisch und vorwärtsdringend; der Wille des Weibes magnetisch und anziehend. Man ersieht daraus, daß die entgegengesetzten Pole die schöpferischen Kräfte der Natur zum Ausdruck bringen.
Wenn wir unsere Blicke lenken auf die mystischen Verzweigungen des Geschlechts, wie sie sich darbieten in den Schöpfungen des Universums, den Sonnen und Planeten, so finden wir auch dort die männlichen und weiblichen Pole. Die Sonnen sind männlich und stellen das männliche Element des Kosmos dar. Die Planeten dagegen sind weiblich und werden von der Sonne befruchtet; sie werden deshalb die fruchttragende Gebärmutter für das organische Leben.
Der große Plan, den das göttliche »Ich« in seiner Entwicklung durch die Mineral-, Pflanzen- und Tierwelt bis zum Menschen zu verwirklichen strebt, ist nicht ohne schöpferische Betätigung mittels der Sexual-Funktionen denkbar.
Den Gesetzen der Natur gehorchen ist der einzige gesunde und sichere Weg, der zur Entwicklung im Sinne des Aufstiegs führt. Eins dieser Gesetze besteht in der Vereinigung der Geschlechter durch die legitime Ehe. Dort, aber auch nur dort wird die Wiege für das Neugeborene bereitet!
Bei der Erzeugung von Nachkommen wird der Keim durch Vermischung der Lebenselemente beider Eltern beseelt. Sobald die Lebenselemente sich im Körper mischen, übertrifft die Freude alles, was der menschliche Organismus zu empfinden fähig ist.
Die Kraft der Liebe, die Poesie des Verlangens, der Stolz des Gedankens haben unserem Willen gehorcht, und die Schöpfung ist vollbracht. – Es werde Licht, und es ward. – Vor einem Augenblick war der Mensch ein Organismus, jetzt ist er Mutter – Vater. Die höchste Verrichtung des Lebens hat sich bestätigt: das Leben hat das Leben erzeugt.
Wenn es wahr ist, daß Gott, nachdem er das Schöpfungswerk vollendet hatte, ruhte und sich an der Betrachtung seiner Schöpfung erfreute, so muß die Natur, die Mutter aller Götter und Menschen, sich in der Betrachtung der Werke ihrer Geschöpfe glücklich fühlen, welche der Mutter das Lächeln alles Lichts, die Flammen aller der Liebe, die sie von ihr erhalten haben, zurückerstattet.
Aus der mystischen Ehe des Osiris und der Isis wird das Kind der Zukunft geboren werden. Und wie das Mutterrecht die Güte anbetete und das Vaterrecht die Wahrheit, so wird das Kind dieser Ehe als Kindesrecht fordern die Schönheit!
Und hört, das ist die Mahnung aller Geschlechts-Mysterien: Zur Schaffung des Kindesrechtes, zur Schöpfung der Schönheit paart Mutterrecht und Vaterrecht zu jenem ewigen Bunde, von dem es heißt:
»Du sollst das heilige Gesetz der Natur ehren!«
In der Gattenliebe gibt das Wort Mäßigkeit den Schlüssel. Zu wissen, wie die schöpferischen Energien des Sexual-Systems zu gebrauchen sind, ist das Geheimnis des Glücks in der Ehe. Diese Energien verschwenden, heißt die Kraft der Liebe verringern; und das geschieht durch eheliche Unmäßigkeit. Verursachen, daß diese Energien sich im Organismus sammeln, heißt die Kraft der Liebe vermehren. Aber wenn diese Energien sich im Organismus der Durchschnittsperson sammeln, so werden die Feuer des Fleisches unerträglich. Was soll nun eine solche Person tun? Das Geheimnis nennen wir »Transmutation« oder Umwandlung der Zeugungsstoffe.
Im ledigen Stande sollten alle schöpferischen Energien transmutiert werden, statt sie zur Sinnenbefriedigung auszugeben und dadurch unsagbares Unglück über sich selbst und andere zu stiften. Im Ehestande dagegen sollte die Transmutation nur auf die überschüssigen Energien Anwendung finden, welche nicht in rechtmäßiger Weise durch die schöpferischen Organe zur Erzeugung eines Menschenkörpers gebraucht werden. Wenn diese grundlegenden Wahrheiten mehr bekannt wären, bliebe viel Unglück und Elend in den späteren Jahren erspart; die Generation würde geistig, moralisch und physisch stärker sein.
Die Zeugungskraft kann als nutzbringende Energie für das ganze System umgewandelt werden. Es ist töricht, diese Kraft zu vergeuden, sie in Verkennung des Naturzweckes in wollüstiger Befriedigung zu verschwenden, wo sie andernteils zu einer riesigen Quelle vitaler und geistiger Kräfte verwendet werden kann. Zeugungskraft ist schöpferische Energie und kann vom System aufgenommen und in Stärke und Lebenskraft umgeformt werden.
Diese Umformung der Zeugungskraft gibt allen, die sie ausüben, große Vitalität. Sie sind von außerordentlicher Lebenskraft erfüllt, die von ihnen ausstrahlt und dann als »persönlicher Magnetismus« in Erscheinung tritt. Die Natur hat in der Zeugungskraft ein mächtiges Zentrum von Prana geschaffen. Die größte Menge von Lebenskraft ist auf den kleinsten Flächenraum begrenzt. Der Zeugungsorganismus ist der machtvollste Akkumulator im tierischen Leben, und seine Kraft kann zur Regeneration des äußeren und inneren Menschen aufwärts gezogen werden.
Sobald die unverbrauchte Geschlechtskraft aufzusteigen beginnt, nimmt der Strom einerseits seinen Weg durch das Rückenmark zum Gehirn, andererseits dringt derselbe in den Solar-Plexus, durchstreicht das Herz und den Kehlkopf und geht dann geradewegs ins Gehirn.
Der Prozeß der Transmutation ist sehr einfach, und ein jeder kann ihn vom Anfang an mit Erfolg anwenden. Es kann derselbe zu jeder Zeit vorgenommen werden, wird aber am meisten empfohlen, wenn sich der Instinkt am stärksten bemerkbar macht, da sich in solchen Augenblicken die Schöpfungsenergie äußert und am leichtesten in wiedererneuernde Kraft umgesetzt werden kann. Die Hebung ist folgende:
Man konzentriere sich mit vollster Geistesschärfe auf die Umwandlung der Zeugungskräfte. Mit lebhafter Imagination stelle man sich vor, wie sich die in ätherische Essenzen umgewandelten Atome der Samenflüssigkeit im Unterleib sammeln. Man stelle sich das Aufsteigen der Kraft möglichst plastisch vor. Man wolle mit aller Energie, daß die nichtverbrauchte Kraft der Zeugungsorgane sich im Gehirn kristallisiere und dort die intellektuellen und geistigen Funktionen steigere. Besondere Aufmerksamkeit ist dem Atmen zuzuwenden. Man atme langsam und tief und halte das geistige Bild des Hinaufziehens der Zeugungskraft fest.
Ein- bis zweimal in der Woche, besonders am Morgen, wenn die schöpferischen Energien sehr stark sind, sollten dem Prozesse der Umwandlung einige Augenblicke gewidmet werden. Bei dem Vorgang ist die Hauptsache, die feineren Vibrationen in jedem Teile des Körpers geistig zu empfinden. Ist dieses im Anfang noch nicht möglich, nehme man die Imagination mit zu Hilfe und glaube, den aufsteigenden Strom als eine unendlich feine quecksilber- oder gasartige Substanz zu sehen und zu empfinden. Auf diese Weise werden die feineren Vibrationen wirklich bald gefühlt werden; und wenn das erreicht ist, so hat man das Gesetz der Transmutation bemeistert.
Niemand wird uns dahin mißverstehen, daß die physischen Samenkeime hinaufgezogen und verwendet werden. Nur die ätherische Prana-Energie, welche letztere belebt, die Seele des ganzen Zeugungsorganismus, wird in dieser Weise umgeformt. Wird nun den Zeugungsstoffen der größte Teil der pranischen Influenzierung entzogen, ohne daß damit eine Säfteentladung verbunden ist, so ist auch noch der Vorteil zu erwähnen, daß der menschliche Chemismus die zurückbleibenden Stoffe wieder dem Blute in umgewandelter Form zuführt und als Stärkung für das ganze System verwendet. Nächtliche Pollutionen, die ihre Ursache in der pranischen Hochspannung und Uebersättigung der Zeugungssäfte haben und dadurch erotische Träume bewirken, werden ganz von selbst unterbleiben.
Zum Schluß dieser Lektion möchten wir nicht versäumen, darauf hinzuweisen, daß die durch die Transmutation bedingte Keuschheit und zeitweise Enthaltsamkeit den ganzen Organismus regeneriert und die Grundlage zu Jugend und Kraft bis ins höchste Alter legt. Ein keusches Gehirn besitzt furchterregende Stärke und gigantische Willenskraft; ohne sie gibt es keine Geistesstärke. Alle Männer von gigantischer Gehirnfunktion sind sehr enthaltsam, da Keuschheit eine wunderbare Kontrolle über den Menschen gibt. Führende Geister sind immer enthaltsam gewesen.
Aus dem Briefe eines indischen Mahatma, erschienen bei Carl Georgi, Verlag, Berlin SW 11.
Wer sich dieser Methode widmet, der darf keine sinnliche Vorstellung in sein Bewußtsein hineinlassen, er darf keine erotischen Empfindungen in sich aufsteigen lassen, und er darf keinen Sexualakt vollziehen.
Die Yogis nennen die Sinnlichkeit gern Nagaschakti, Schlangenkraft, oder auch bloß Naga, Schlange, und sie behaupten, daß derjenige, welcher veranlaßt, daß seine Schlange sich selbst in den Schwanz beißt und denselben mit ihren Zähnen mindestens drei Jahre festhält, dadurch zum Zauberer wird und magische Fähigkeiten erhält, beispielsweise die Gabe, durch das Auflegen der Hände Krankheiten zu heilen, die Fähigkeit des Gedankenlesens und das sogenannte zweite Gesicht.
Wer solche Fähigkeiten besitzt, wird ein Mahatma genannt, welches Wort aus maha (groß) und atma (Seele) zusammengesetzt ist.
Der Schüler wird hiermit eingeladen zu prüfen, was an dieser Behauptung der Yogis daran ist, dadurch, daß er einen Versuch mit der Methode der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, anstellt. Wenn sein Reproduktivsystem noch nicht erschöpft ist und er dasselbe mindestens drei Jahre lang ununterbrochen praktiziert, so wird auch er die Fähigkeiten erwerben, die die Mahatmas besitzen.
Wollen Sie sich zu einem Versuche entschließen? Wenn ja, so will ich Ihnen einen Abschnitt aus einem Briefe eines Mahatma, der mich längere Zeit im Yoga unterrichtete, mitteilen. Dieser Abschnitt handelt von der Rolle, welche die Naga im menschlichen Leben spielt, und dem Kampfe mit ihr, und seine Lektüre wird Ihnen Ihren Entschluß erleichtern und denselben dann, wenn Sie ihn gefaßt haben, befestigen.
Der betreffende Abschnitt lautet in deutscher Uebersetzung unter möglichster Beibehaltung der poetischen Form des Originaltextes ungefähr folgendermaßen:
»Höre!«
»In jedem Menschen wohnt eine heilige Schlange, die man die Sinnlichkeit nennt. Diese Schlange ist das Leben des Leibes.«
»In den ersten Lebensjahren des Menschen schlummert die heilige Schlange; aber je mehr er heranwächst, desto leichter wird ihr Schlaf. Sie regt sich, öffnet dann und wann ihre Augen, bis sie schließlich erwacht.«
»Sobald die Schlange erwacht, beginnt der Kampf mit dem Menschen um die Herrschaft.«
»In den meisten Fällen ist dieser Kampf kurz und leicht, und willig unterwirft sich der Mensch ihr und folgt ihrer Stimme.«
»In wenigen Fällen aber ist der Kampf mit der Schlange furchtbar und schwer; denn der stärkste und listigste aller Gegner ist die Heilige, und selbst der siegende Mensch stürzt hundertmal, ehe er endgültig siegt.«
»Der Preis des Sieges sind die Dienste der heiligen Schlange und der Besitz ihrer Schätze.«
»Mehr wert als alles Gold und Edelstein aller Sterne ist dieser Preis und die Dienerin selbst.«
»Wer sie und ihre Schätze sein Eigentum nennt, dem blüht die Blume des Lebens auf allen Ebenen des Daseins. Der Horizont ist für ihn verschwunden. Er sieht sich selbst ohne Grenzen. Er weilt in der Nähe Siwas, und die Dewas öffnen ihm ihre Sphären, und er weilt unter ihnen als einer von ihnen.«
»Unendlich glücklich zu preisen ist er, der da macht, daß seine heilige Schlange in ihren Schwanz beißt! Denn sein wird alle Erkenntnis, und er erwirbt das Vermögen, seine Geburten selbst zu bestimmen.«
»Gräßliches Unheil jedoch ist das Los des Unglücklichen, der vor der heiligen Schlange sich beugt und sich ihrer Kontrolle vertraut.«
»Als Kämpferin nur und als Dienerin ist gewaltig die Weisheit der Schlange. Doch wenn Du zur Herrin sie machst, wird sie unwissend und blind.«
»Wenn die Heilige zur Ruhe geht, beginnt der Abend des Lebens, und je tiefer ihr Schlaf wird, um so mehr verschwindet das Leben, und sobald die Heilige die Stufe des traumlosen Schlummers erreicht hat, löst sich die göttliche Seele vom Körper des Greises.«
»Daß die Schlange noch wach ist, erkennst Du daran, daß das heilige Wasser noch fließt. Dann steht Dir noch offen der Weg, der zur Mahatmaschaft führt, und Du kannst dieses Ziel noch erreichen.«
»Doch wenn das heilige Wasser versiegt ist, dann wisse, daß die Heilige zur Ruhe sich begeben. Dann wisse, Du hast dieses Leben verloren und mußt warten bis zur nächsten Geburt.«
»Wen Mahadeva begnadet, der beginnt den furchtbaren Kampf mit der heiligen Schlange, und mit seiner Hilfe führt er ihn siegreich zu Ende. Er bezwingt sie und macht, daß sie in den eigenen Schwanz beißt.«
»Das ist der Weg, lieber Bruder, aus dem Du beweisen kannst, was ich behaupte: Mach', daß die heilige Schlange in Dir in den eigenen Schwanz beißt.«
Zum vollen Verständnisse dieser Zeilen sind einige Erklärungen erforderlich.
Siwa, in dessen Nähe der Sieger über die Schlange weilt, ist Gott. Er ist das höchste Wesen, und befindet sich außerhalb der Welt, welche er samt allen ihren Bewohnern und all ihrem Inhalte erschaffen hat und regiert. Er ist weder eins mit der Seele, noch verschieden von ihr, sondern er steht in derselben Beziehung zu ihr wie die Seele zum Leibe.
Mahadeva ist der häufigste Beiname Siwas. Die Bedeutung von maha ist bereits bekannt, Dewa bedeutet Gott.
Die Dewas, von denen es heißt, daß sie dem Sieger über die Schlange ihre Sphären öffnen und ihn in ihre Gemeinschaft aufnehmen, sind Geister und Geisterfürsten. Sie nehmen dieselbe Stellung im Weltsysteme der Yogis ein, wie die Engel und Erzengel in dem Weltsysteme der christlichen Religion.
Das heilige Wasser bezeichnet die Sexualstoffe oder vielmehr die an dieselben gebundenen Energien.
Wenn der Mahatma von dem Fließen des heiligen Wassers spricht, so meint er damit nicht, und das muß betont werden, daß das Reproduktivsystem von Zeit zu Zeit Sexualstoffe auswerfe. Diese Stoffe haben vielmehr in ihren Organen zu verbleiben, wo sie nach einer bestimmten Zeit ins Blut resorbiert werden, wonach ihre Energien sich im Gehirn konzentrieren.
Wenn das heilge Wasser noch fließt, bedeutet, wenn im Reproduktivsystem noch Sexualstoffe vorhanden sind. Existieren jedoch diese Stoffe dort nicht mehr und werden sie auch nicht mehr erneuert, so ist das heilige Wasser für das gegenwärtige Erdenleben versiegt, und der Betreffende kann in dieser Inkarnation die Mahatmaschaft nicht mehr erlangen, sondern muß warten bis zur nächsten Geburt. Nur der, dessen Reproduktivsystem noch nicht erschöpft ist, darf erwarten, daß er durch die Anwendung der Methode der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, die Fähigkeiten und Kräfte und damit auch die Würde und den Rang eines Mahatma erwirbt.
Der Mensch von heute ist sich seiner Hoheit und Macht als Mensch nicht bewußt und steckt sich seine Ziele zu niedrig. Er hat zu wenig die Macht des eigenen Willens erkannt. Es ist ihm das Zauberwort »Ich will« noch nicht genügend zum Bewußtsein gekommen. Nur wenige haben erkannt, daß der eiserne Wille alle Schranken zu beseitigen vermag. Gibt es doch kein Wesen, kein Ding in der Natur, welches sich nicht einer trainierten Willensmacht unterwerfen mußte. Selbst das Schicksal wird von dem Willensstarken geformt, ihm müssen alle Mächte dienen.
Was ist es, das dem geschickten Rossebändiger die Herrschaft über die wildesten und widerspenstigsten Tiere verleiht? Beachten wir nur alle Umstände mit Aufmerksamkeit, und wir werden uns bald überzeugen, daß es nicht auf Geschicklichkeit, auf Kenntnisse irgend welcher Art ankommt, sondern daß der Wille es ist, der des Tieres Willen unterjocht und lähmt.
Beachten wir ferner jene Volksredner und auch manche Geistliche, welche den größten Einfluß ausüben, und allemal werden wir finden, daß sie Männer von starkem Willen sind. Sie erreichen ihre Absichten, weil sie wollen. Tausend andere weit begabtere Menschen vermögen dagegen mit all ihrer Gelehrsamkeit nichts auszurichten und stehen diesen Willensstärken Erscheinungen gegenüber als bloße Nullen da.
Wie ist es dem indischen Fakir möglich, die erstaunlichsten Wunder seinem atemlos lauschenden Publikum vorzuführen? Einfach, weil er mit Hilfe seines trainierten Willens die Dinge nur vorgaukelt. Es fällt dem Willensstärken Yogi gar nicht schwer, das Publikum so zu beeinflussen, daß es die ihm suggerierten d. h. eingeredeten Szenen tatsächlich mit den leiblichen Augen zu sehen glaubt.
Schopenhauer, Nietzsche und viele andere haben die nicht begrenzte Macht des Willens halb erkannt und geahnt, während wir jetzt nach den glänzenden Erfahrungen des 19. Jahrhunderts mit klarem Blick das hohe Geheimnis, die ewige Wahrheit hinter dem gelüfteten Isisschleier erschauen.
Man sieht aus den vorhergehenden Beispielen, wie weit man es bringen kann, wenn man seinen Willen konsequent schult. Nur der Anfang dieser Kunst ist schwer und erfordert die höchste Vorsicht; die weitere Ausbildung erfolgt dann von selbst. Der Wille ist ein zart aus seinem Samenkorn hervorkommendes Pflänzchen, das leicht von den benachbarten Kräutern erdrückt wird und in einem nicht mit der gehörigen Sorgsamkeit gelockerten, gedüngten Boden verkümmert und eingeht. Aber ist das Pflänzchen erst zum Baume geworden, so gewährt es sich selbst Schatten mit seinem reichen Laube, so trotzt es den Orkanen mit seinen zähen Aesten, so spottet es der Regenströme, so führt es durch das abfallende Laub selbst seinem Boden die nötige Kräftigung zu.
Bei der ersten Anwendung des Willens gegen andere vermeide man das Besiegtwerden. Trifft dieses zu, fügen wir uns dem Willen des anderen, den wir nicht beherrschen konnten, dann ist das Spiel für immer verloren. Wie der Knabe Cyrus unter den tief unter ihm stehenden Kindern der Hirten das Herrschen lernte, so muß sich jeder zuerst bei denen üben, die ihm unterlegen sind. Vorsichtig schreitet man dann weiter, mit hartnäckigster Ausdauer verfolgt man anderen Willenskräftigen gegenüber bis zu deren Ermüdung sein Ziel und lernt so endlich mit Leichtigkeit und ohne Anstrengung herrschen.
Nachdem Sie so die Anwendung des Willens erlernt haben, werden Sie unbewußt Ihre Umgebung beeinflussen. Immer mehr Personen werden fast automatisch in Ihren Bannkreis gezogen. Wollen Sie nur das Beste der Personen, die Sie unter Ihren Einfluß gebracht haben? Wenn Sie das tun, wird Ihr Einfluß ununterbrochen wachsen, und seine Sphäre wird sich beständig ausdehnen. Benutzen Sie aber Ihre Macht über die Menschen, um sie gegen ihre Interessen zu beeinflussen, so werden sich dieselben äußerlich wie seelisch von Ihnen zurückziehen. Glauben Sie nicht, daß man jemanden auf die Dauer gegen seine Interessen beeinflussen kann. Ueber kurz oder lang kommt er sicher dahinter. Er wird dann beginnen, Sie zu hassen. Dieser Haß wird sich um so tiefer einfressen, je ohnmächtiger er gegen Ihren Einfluß ankämpft. Haben Sie dagegen das Beste der Personen im Auge, so werden sich diese gern von Ihnen leiten lassen. Wenn Sie sich nach unseren Worten richten, so werden Sie allmählich eine Macht über Menschen gewinnen, die selbst Ihre kühnsten Erwartungen übertrifft.
Je mehr Sie das Wachsen Ihrer Macht und Ihres Einflusses beobachten, um so mehr Vorsicht sollen Sie an den Tag legen. Bedenken Sie, daß jedes Wort, jede noch so geringfügige Handlung von Ihnen nunmehr ganz andere Wirkungen auszulösen vermag wie früher. Seien Sie daher vorsichtig! Lernen Sie sich selbst beherrschen, damit Sie Ihre eigene Macht beherrschen können. Der Mann, welcher sich selbst beherrschen kann, wird keine Schwierigkeiten haben, andere zu bemeistern.
Selbstbeherrschung ermöglicht es Ihnen, der Versuchung zu widerstehen, Ihre Macht zu mißbrauchen. Schon manchem ist die Erkenntnis der eigenen göttlichen Macht zum Fallstrick geworden und hat ihn zum zügellosen Gewaltmenschen und Despoten gemacht. Er wird dann ebenso das willenlose und blinde Opfer seiner eigenen Gewalt wie die unglücklichen Wesen, die er zu Spielbällen seiner Gewalt benutzt hat. Wie ein Meteor läuft er in die Irre, einem plötzlichen katastrophalen Untergang entgegen! Für ihn wäre es besser, er hätte das Dämonische im eigenen Ich nie in vollem Umfang kennen gelernt.
Ueben Sie also Selbstbeherrschung, indem Sie Ihre Impulse und Ihr Triebleben unter absolute Kontrolle halten. Für jeden Menschen ohne Ausnahme besteht die Pflicht der Selbstbeherrschung oder richtiger Gedankenbeherrschung. Alles sogenannte Uebel in der Welt ist nichts weiter als die Folge irgendwelcher Zuchtlosigkeit, Nachgiebigkeit den eigenen Gedanken gegenüber oder eines Sichgehenlassens.
Beginnen Sie in der Entwicklung der Selbstbeherrschung mit Uebungen in der Selbstkontrolle. Kontrollieren Sie die kleinen Wünsche. Ueben Sie sich, vom kleinsten angefangen, von einer überflüssigen Zigarette, von einem Gewohnheitskognak bis zum größten und letzten, zur Entziehung von Wünschen auf dem Gebiete der Sexualität.
Wie das Kind, wie der Maler, wie der Schriftsteller, werden auch Sie mit jedem Versuch, auch wenn er anfangs mißlingt, wachsen – immer mehr wird sich der wahre Wille in der persönlichen und äußeren Sphäre zum Ausdruck bringen.
Pflegen Sie die Ruhe des Geistes und des Leibes. Diese Ruhe ist zwar nicht die Ruhe des Nichtstuns, sondern die Ruhe der Gedankenbeherrschung; sie entfaltet und zentralisiert die Kraft des Willens. Nehmen Sie keine schädlichen und gemeinen Gedanken in Ihr Bewußtsein auf. Pflegen Sie eine positive Gedankenhaltung. Stellen Sie positive, kräftigende Behauptungen in Gedanken auf. Behaupten Sie, daß Sie ruhig, stark, mutig und weise seien. Behaupten Sie, daß Sie einen unbeugsamen Willen besitzen, und daß Sie ein Meister seien. Gestatten Sie keinen trivialen Dingen, Ihre Gefühle und Gedanken zu beherrschen und Ihren Aufstieg aufzuhalten. Wenn Sie so Ihre Gedanken positiv einstellen und diese aktive Gedankenform gänzlich in Ihr Bewußtsein aufnehmen, werden sich diese gedanklichen Suggestionen bald in die Tat umsetzen und den gewünschten Zustand herbeiführen. Es ist die Auto-Suggestion eine der hervorragenden Methoden der Willensentwicklung und gehört zu denen, von welchen Sie unter allen Umständen Gebrauch machen sollten.
Durch die bewußte Selbstkontrolle, auch durch die kleinste Uebung in der Beherrschung des Trieb- und Gedankenlebens, wird der Wille gewaltig gestärkt. Bei dieser gottgewollten erfrischenden Tätigkeit wird uns leicht, den Willen zum rechtmäßigen Alleinherrscher in unserem Innern zu machen. Je mehr der Wille aber das Innere beherrscht, um so kraftvoller kann der Mensch nach außen wirken. Der Selbstbeherrschte soll auch die Außenwelt beherrschen und seinen Charakter als Herrenmensch seiner Umgebung ausdrücken. Das ist Naturbestimmung!
Im Anfang ist die Erziehung des Willens zwar sehr schwer uns unbequem und erfordert beständige Aufmerksamkeit. Aber dieses Opfer muß gebracht werden; dieser Preis muß bezahlt werden. Die höheren Güter des Lebens sind nicht zu einem billigeren Preise zu kaufen, als zu dem der Erziehung des Willens. – Nach der Blüte fällt dem Arbeiter die reife Frucht in den Schoß!
Cäsar wurde, als er noch ein junger Mann war, auf einer Fahrt nach Rhodus von Seeräubern gefangen genommen. Er stand während dieser Zeit, wie uns der griechische Schriftsteller Plutarch erzählt, in solcher Achtung bei den Piraten, daß jeder Freinde geschworen haben würde, er sei deren Herr, sie aber seine Sklaven. –
Die Geschichte aller Zeiten bezeugt uns, daß es von jeher Menschen gab, die durch die bloße Macht ihrer Persönlichkeit ihre Umgebung absolut beherrschten. Die bloße Anwesenheit einer solchen Person macht uns erglühen. Ein Blick auf sie macht uns zu ihrem ergebenen Diener und Bewunderer.
Der Besitz dieser Gabe war das Geheimnis der Macht der Kleopatra über Antonius, der Maria Stuart, von der behauptet wurde, daß ihre Macht über die Herzen der Männer ein direktes Geschenk des Satans wäre.
Werfen wir einmal einen Blick auf den Lebensgang der meisten »Favoriten des Glücks« der neueren Zeit. Aus dem Nichts kamen sie hervor; überall hatten sie die ungünstigsten Verhältnisse vor sich, und dennoch ging es aufwärts mit ihnen, eben weil ihre magnetischen Potenzen so unendlich viel bedeutender waren, als die hunderttausend anderer. Der wahrhaft Erfolgreiche ist stets der, welcher einen genügenden Schatz magnetischer Kräfte sein eigen nennt. – Sehen wir uns jetzt den magnetischen Menschen näher an:
1. Körperliche Eigenschaften: Der magnetische Mensch ist von einem sympathischen Aussehen und einnehmenden Aeußeren. Sein Körper ist ein Bild frischer Gesundheit und Kraft, sein Gesicht, wenn auch nicht schön, so doch offen und ehrlich, frei von den Spuren irgendwelcher Leidenschaften. Sein Blick hat etwas kindlich Treuherziges, gepaart mit eiserner Willenskraft, so daß man, selbst bei längerem Verkehr, nicht seinen eigentlichen Charakter richtig erfassen kann. Dadurch wirkt er immer neu und anregend. Er ist ein Rätsel! Rätsel und Probleme sind immer vornehm und interessant, solange man ihre Lösung nicht weiß. Die Kleidung des magnetischen Menschen ist einfach, wirkt aber doch elegant und gewählt.
2. Charakter-Eigenschaften: Der magnetische Mensch ist vornehm, ruhig und stets höflich, nie aber vertraulich. Er hört uns zu, wenn wir ihm etwas, uns wichtig Erscheinendes erzählen, und stimmt uns auch wohl gelegentlich mit leisem Kopfnicken zu. Ist er nicht ganz mit dem Gesagten einverstanden, so läßt er uns reden, lächelt vielleicht ein bißchen, widerlegt hier und da etwas unerwartet, was uns verwirrt, und zum Schlüsse, wenn wir mit unseren Ausführungen fertig sind und sein Urteil erwarten – schweigt er. Er ist überhaupt ein Meister des Schweigens. Er behält seine Erfahrungen für sich. Keine noch so wichtige Neuigkeit kann ihn aus seiner Seelenruhe bringen. Er ist nie nervös, nie aufgeregt, und das Gefühl der Ruhe und Ueberlegenheit, das von ihm ausströmt, macht ihn von vornherein zum Herrscher und Führer der Massen besonders geeignet. Man folgt ihm gern. Man vertraut ihm blind, denn man ist sicher, keinem schlechten oder egoistischen Menschen in die Hände zu fallen.
Von seinem Wissen oder Können spricht er wenig oder nichts. Nie rühmt er sich, außergewöhnliche Eigenschaften zu besitzen, und doch, oder vielleicht gerade deshalb, vermuten wir sie bei ihm. Bei einer Unterhaltung mit ihm hat man stets das Gefühl, er könnte mehr sagen, als er wirklich sagt. Man wartet direkt auf dieses Mehr. Darum erscheint er stets anziehend, immer interessant und vornehm. Schweigsame Menschen und solche, die sich einer gewissen leichten Mysteriosität bedienen, erscheinen erfahrungsgemäß immer vornehm.
Der Gesamtpersönlichkeit des magnetischen Menschen entströmt nämlich ein eigenartiges Fluidum, welches seine Umgebung vollständig in eine magnetische Atmosphäre einhüllt und beeinflußt, ohne daß diese sich dessen bewußt wird. Der magnetische Mensch ist nicht herrschsüchtig, aber er herrscht. Er braucht nicht zu verlangen, daß jemand ihm Recht gebe, aber jeder tut es von selbst. Er braucht nichts zu tun, um aufzufallen, aber er fällt auf. Er sieht nicht anders aus als andere, aber er ist anders. – Er dominiert überall; er steht stets an der Spitze; alles auf der Welt Vorhandene dient ihm unwillkürlich und trägt unbewußt dazu bei, ihn zu fördern.
Wenn Sie wünschen, ein mächtiger Magnet zu werden, so lassen Sie alle Anschauungen von Beschränkungen sowie Unsicherheit gegenüber sozial Hochstehenden ein für allemal fahren.
Zerstören Sie Ihr Knechtsbewußtsein, indem Sie tagtäglich zu sich im Geiste reden: »Ich bin groß – Ich bin stark – Ich bin mächtig – Ich bin unüberwindlich – Ich bin einflußreich – Ich rage unter den Menschen meiner Umgebung empor – Ich gehöre zu den Edlen meines Volkes –.«
Es gibt zwei Klassen von Menschen. Die einen machen den Adel aus; es sind diejenigen, welche durch das Herrenbewußtsein emporgehoben werden. Die anderen sind die Plebejer, die durch das Knechtsbewußtsein niedergedrückt werden. Gebrauchen wir tagtäglich die eben angeratenen Suggestionen und Sie zerstören das Knechtsbewußtsein, das Sie in Armut und Elend zurückhält, und erheben sich in den wahren Adelsstand.
Eine weitere Eigenschaft, die wir an dem magnetischen Menschen wahrnehmen, ist die des Schweigens. Gigantische Massen von Kraft werden durch das Schweigen in unseren Nerven zurückgehalten. Diese aufgehäufte, zurückgehaltene Energie wirkt magnetisch, zwingend auf unsere Umgebung. Das stärkere Quantum Energie zieht schwächere, zerflatternde Energieweilen heran und saugt sie auf.
Jetzt verstehen wir auch das Wort: »Wer da hat, dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das Wenige genommen, das er hat.« Der Schwächere, also in diesem Falle der Schwätzer, muß von seinem geringen Energievorrat einen schuldigen Tribut an den Reicheren, Stärkeren, an den Schweiger abtreten. Eine Art physiologisches Leibeigenschaftsverhältnis. Nur wer seine Kräfte spart und mit der krankhaften Mitteilungssucht bricht, hört auf, negativ zu sein, und braucht nicht mehr an alle Positiven Tribut zu zahlen.
Je öfter Sie den Redestrom zurückdämmen, desto mehr Kräfte speichern Sie auf, und desto geistvoller und interessanter erscheinen Sie. Der Schweigsame erscheint erfahrungsgemäß immer vornehm, oft sogar mystisch. Der geistvolle Schweiger ist mit einem Virtuosen zu vergleichen, der ein Konzert allein ausführt. Er ist ein kleines Orchester, eine kleine Welt für sich. Den Effekt, den andere nur durch das Zusammenwirken erzielen, ruft er allein hervor. – Schweigen ist das Element, in welchem große Dinge sich zusammenformen, um alsdann majestätisch an das Tageslicht zu treten, das sie fortan beherrschen sollen!
Wenn Sie sich diese Instruktionen zur Richtschnur Ihres Lebens machen, werden schon nach wenigen Monaten Sie selbst und Ihre Umgebung mit Staunen die Veränderung an Ihnen wahrnehmen. Nach einem Jahr über werden Sie vollkommen innerlich wie äußerlich umgewandelt sein; selbst Ihre intimsten Freunde werden Sie nicht wiedererkennen.
In dem menschlichen Auge liegt eine große, überwältigende Macht!
Das Auge strahlt Ihren Willen aus. Der Blick ist ein Geistes- oder Willensstrahl, den Sie lenken können, wohin Sie wollen. Sie geben also durch das Auge Ihren Willen kund und richten durch den Blick Ihren Willen auf andere Menschen und Gegenstände.
Sie werden um so erfolgreicher Ihren Blick anwenden können, je geübter Ihr Auge ist, Ihren Willen auszustrahlen.
Je mehr Sie Ihren Willen üben, je kräftiger wird Ihr Blick, und umgekehrt, je mehr Sie Ihren Blick üben, je kräftiger wird dadurch Ihr Wille.
Die Augen sind ein Mittel, kondensierte Willenskraft auf einen Punkt zu lenken. Man überzeuge sich bei Löwen- und Tierbändigern, die ja die wilden Bestien mit bloßem Blicke niederzuzwingen vermögen, von der Wahrheit unserer Behauptung. Ebenso gibt es Personen, die durch ihren Blick alle Menschen in ihren Bannkreis zwingen. Sie werden sich der mächtigen Wirkung ihres Blickes mit der Zeit gar wohl bewußt, können sich jedoch keine Rechenschaft darüber geben, wodurch diese Wirkung eintritt.
Hier haben wir das Geheimnis einer Sarah Bernhard, eines Hans Heinz Evers, einer Madame Maintenon, welche letztere bis in ihr spätes Alter die erkaltende Liebe ihres königlichen Geliebten nur durch das Feuer ihrer Augen immer wieder anzufachen wußte.
Der Glücklichen, denen die Gabe des faszinierenden Blickes angeboren ist, gibt es jedoch nur wenige. Indes kann sich jeder diese Macht durch entsprechende Uebungen aneignen.
Was der eine durch die Geburt erhielt, das kann der andere sich durch Fleiß und festen Willen erringen. Die Natur schließt keinen aus und hat ihre Gaben gleichmäßig verteilt.
So wie Ihre Augen aber jetzt sind, werden Sie kaum imstande sein, die Ihnen durch dieselben gegebenen Möglichkeiten voll und ganz auszunutzen. Sie machen nämlich allerlei Fehler. Ihr Blick ist nicht stetig und nicht ruhig genug. Ihre Augen wandern zu unruhig hin und her. Nicht fünf Sekunden bleiben sie unbeweglich. Beinahe bei jeder Bewegung der Augäpfel zucken auch die Augenlider, und es gelangen alle benachbarten Muskelpartien in Unruhe. Durch solche nervösen Aeußerungen stören Sie die mentalen Ströme und der Blick bleibt eindruckslos.
Wie majestätisch schön und machtvoll ist das menschliche Auge, wie verheißend und zuversichtlich, wenn es ruhig und klar ist; wie fahrig, unzuverlässig und unschön aber wird es durch das ewige Zucken und Blinzeln.
Der magnetische Blick ist abhängig von der absoluten Beherrschung des Auges. Um nun die Bewegung der Augen und der sie umgebenden Muskelpartien zu regeln und in Gewalt zu bekommen, bitten wir Sie, ein Training vorzunehmen, das sich auf einen Zeitraum von drei Monaten erstrecken soll.
Uebung:
Zeichnen Sie einen schwarzen Punkt in der Größe einer Erbse auf ein weißes Blatt Papier. Befestigen Sie dieses Papier mit einer Nadel an der Wand oder stellen dasselbe an irgendeine Anlehne aus den Tisch in Augenhöhe. Nehmen Sie jetzt in einem bequemen Lehnstuhl Platz, ungefähr in einer Entfernung von zwei Metern. Jetzt bleiben Sie unbeweglich und fixieren mit beiden Augen gleichmäßig ca. fünf Minuten den schwarzen Punkt.
Bei dieser Uebung ist die Aufgabe zu vollbringen, weder die Augäpfel noch die Lider zu bewegen. Jedes Zucken und Blinzeln ist streng zu vermeiden. Fest und starr müssen die Augen auf den Brennpunkt gerichtet sein. Unterbrechen Sie die Uebung, sobald Sie irgendeine Unbequemlichkeit verspüren. Das im Anfang selbstverständliche Tränen der Augen wird sich übrigens später verlieren, sobald das Auge mehr gekräftigt ist. Ueben Sie nie bei künstlichem Licht, denn dieses würde die Augen sehr schwächen.
Haben Sie nach 14tägiger Uebungszeit bereits einen gewissen Grad in der Unbeweglichkeit der Augen erreicht, wir meinen, daß es Ihnen gelingt, mindestens fünf Minuten den Punkt in der beschriebenen Weise zu fixieren, so werden Sie sich den zentralen Blick aneignen. Wenn Sie nämlich mittels des zentralen Blickes jemanden ansehen, sieht es aus, als ob Sie ihn durch und durch schauen. Die Augen erhalten einen dominierenden, selbstbewußten und faszinierenden Ausdruck. Man nennt diesen Blick, der übrigens vornehmlich von Hypnotiseuren gebraucht wird, auch magischen Blick. Die schlechte Anwendung dieses Blickes ist der sogenannte böse Blick, dessen Besitzer überaus stete Augen ihr eigen nennen und sich zufällig das zentrale Sehen angewöhnt haben.
Uebung:
Setzen Sie sich zur Kultivierung des zentralen Blickes vor einen Spiegel und fixieren mit derselben marmornen Unbeweglichkeit Ihr eigenes Spiegelbild. Es müssen beide Augen fest und starr auf die Nasenwurzel gerichtet sein. Hier liegt das Organ der Individualität; es ist der Punkt zwischen den Augenbrauen. Die Nasenwurzel wird nun fünf Minuten, steigend bis zehn Minuten, in sphinxartiger Ruhe fixiert. Es muß Ihnen nach einiger Zeit gelingen, auch die nähere Umgebung des Brennpunktes und zuletzt das ganze Gesicht klar und deutlich zu sehen, trotzdem Sie die Augen nur auf die Nasenwurzel richten.
Später, nachdem Sie eine gewisse Fertigkeit im zentralen Schauen erlangt haben, können Sie das Spiegelbild entbehren und den Blick bei Personen gebrauchen, mit denen Sie in Berührung kommen. Zur Uebung finden Sie reichlich Gelegenheit im täglichen Leben.
Die Macht dieses Blickes ist eine geradezu großartige, wie sich der angehende Magier bald genug überzeugen wird. Besonders dann wird der zentrale Blick Ihnen gute Dienste leisten, wenn Sie die Absicht haben, einen bestimmten Wunsch bei Ihrer Umgebung durchzusetzen. Sie können viel eher auf die Erfüllung Ihres Wunsches rechnen, wenn Sie denselben durch Anwendung des zentralen Blicks unterstützen und ihm damit eine zwingende Gewalt geben. Bei Personen, die zum Lügen neigen, ist dieser Blick ein Zwang zur Wahrheit.
Im Verkehr mit anderen Menschen wollen Sie nun folgendes beobachten. Wenn jemand aus Sie einspricht und sieht Ihnen in die Augen und Sie sehen ihm wieder in seine Augen, schalten Sie Ihren Verstand, je aufmerksamer Sie Ihr Gegenüber anblicken, mehr und mehr aus. Wer sprechenden Personen in die Augen sieht, läßt sich hypnotische Suggestionen auszwingen, über deren Qualität er im Ungewissen ist. Es findet stets eine mehr oder minder starke Beeinflussung statt, welche zu vermeiden ist.
Gewöhnen Sie sich also daran, niemandem, der auf Sie einredet, in die Augen zu sehen, damit Sie Herr über Ihre Sympathien und Antipathien bleiben. Wenn Sie dagegen sprechen, richten Sie Ihren Blick fest und ohne zu blinzeln aus das Organ der Individualität Ihres Gegenüber, zwischen dessen Augen. Sie werden Eindruck machen. Ihre Worte werden nicht vergebens gesprochen sein, sondern im Zuhörer haften bleiben und wirken.
Dieser Blick wird besonders dann eine vollendete Wirkung erzielen, wenn er mit einer ruhigen, festen Sprache verbunden wird. Eine hastige und unruhige Sprechweise kann die Kraft Ihres Blickes sehr beeinträchtigen. Gewöhnen Sie sich deshalb daran, Ihre Gedanken in ruhiger, einfacher, aber bestimmter Form zum Ausdruck zu bringen.
Sollten in der ersten Zeit der Uebungen die Augen tränen oder brennen, so denken Sie nicht, daß dieselben unter den Uebungen leiden könnten. Diese kleinen Uebel im Anfang sind zu überwinden, sie verlieren sich im vorgeschrittenen Stadium von selbst durch die erreichte Kräftigung der Augen.
Augenbäder sind sehr wohltuend und ungemein stärkend, sie sollten täglich vorgenommen werden. Des Morgens beim Waschen, sowie zu Beginn der Uebungen stecken Sie das Gesicht in ein vollgefülltes Waschbecken und halten es mindestens zehn Sekunden unter Wasser. Es kommt hauptsächlich darauf an, daß Augenlider und Schläfe vom kühlen Wasser umspült werden, was ungemein stärkend wirkt und die Augen den ihnen gestellten Anforderungen vollkommen anpaßt.
Das Wasser muß kühl, darf jedoch nicht allzukalt sein. Versuchen Sie, unter Wasser die Augen zu öffnen. Schwimmern wird dies ohne weiteres gelingen. Nichtschwimmer und Kurzsichtige wollen zu den ersten Versuchen lauwarmes Wasser nehmen. Wir möchten hier nur einfügen, daß erste Autoritäten auf dem Gebiete der Augenheilkunde derartige Bäder eindringlichst empfehlen.
Augengymnastik und Augenmassage sind ebenfalls von ganz besonderer Wirkung, wenn dieselben nicht bloß mechanisch, sondern mit Bewußtsein und Konzentration vorgenommen werden.
Eine gute Gymnastik der Augen ist folgende: Blicken Sie nach rechts und nach links, nach oben und nach unten, schräg auswärts und schräg einwärts so weit wie möglich. Die Augen dann von rechts nach links und von links nach rechts rollen usw. Sie können sich selbst noch weitere Uebungen konstruieren, die Ihrer Natur besser angepaßt scheinen.
Nach einiger Zeit können Sie z. B. diese Gymnastik mit dem Augenbad verbinden und unter Wasser vornehmen. Ebenso ist eine gelinde und sanfte Massage der Augen in Verbindung mit dem Bade sehr vorteilhaft.
Wenn Sie diese Vorschriften getreu befolgen, werden Sie nach Ablauf eines Monats wunderbar glänzende Augen besitzen. Sie werden mit denselben mühelos Leute verwirrt und verlegen machen können.
Niemand wird Ihren Blick auszuhalten vermögen, und Ihre Beleidiger werden eingeschüchtert vor Ihnen zurückweichen. Im Besitze des zentralen Blicks brauchen Sie nichts zu fürchten.
Es besitzen diesen trainierten Blick nur wenige von uns. Wer ihn aber einmal besitzt, will ihn um keinen Preis der Welt mehr missen. –
Zum Schluß dieser Lektion wollen wir noch einmal darauf hinweisen, daß durch diese Augenübungen, so einfach sie Ihnen vielleicht erscheinen mögen, gerade auch der Wille, die höchste Kraft des Menschen, gestärkt wird, und zwar ungemein schnell. Nur das trainierte Auge ermöglicht es, die ganze Kraft des Willens durch den Blick auszustrahlen. Dies wird Ihnen um so stärker zum Bewußtsein kommen, je länger Sie üben.
Aus dem schüchtern und demütig Dreinschauenden muß eine selbstbewußte, energische Persönlichkeit werden, die machtvoll in die Welt hinausblickt, geistige Kraft erzeugend und ausstrahlend!
Es gibt Menschen, die mit ihrer Stimme allein bezaubern können, in deren Stimme ein eigenartiger Charme liegt, welcher alle Herzen im Fluge erobert. Der Wohlklang der Stimme ist allerdings bis zu einem gewissen Grade ein Geschenk der Natur. Es läßt sich jedoch jede Stimme, auch wenn sie von Natur diesen eigentümlichen Zauber nicht besitzt, soweit bilden, daß ihr Wohlklang erhöht wird. Jeder kann eine schöne, volle Stimme bekommen, indem er sie beherrscht und nur selten in die Höhe gehen läßt. Je ungekünstelter sie ist, desto wirkungsvoller wird sie sein.
Damit die Stimme an Volltönigkeit und Umfang gewinnt, vermeiden Sie alle Kopf-, Gurgel- und Nasentöne. Viele Menschen, besonders Frauen, sprechen sozusagen immer in Kursivschrift. Darin liegt kein Zauber, sondern jede Art von Anziehung wird dadurch verhindert. Die Ursache einer solchen Stimme ist fast immer ein schlecht erzogenes, nervöses Temperament.
Die Erziehung der Stimme zu einem gedämpften Zustand oder zu vollen tiefen Tönen hat, auch wenn es künstlich geschieht, einen außerordentlichen Einfluß auf den Charakter. Solche tiefe Stimme zeugt von einem gut erzogenen Geist und von Selbstbeherrschung.
Es ist gar nicht sehr schwer, eine zu hohe Stimme durch Uebung zu vertiefen. Diese Hebungen bestehen einfach darin, daß Sie täglich laut in einem absichtlich tieferen Tone sprechen, als Sie es gewohnt sind. Falls sich im Anfang dieser Uebungen Heiserkeit und Rauheit einstellen sollten, dürfen Sie sich dadurch nicht abschrecken lassen, nur müssen Sie sich hüten, die Stimmorgane zu übermüden, und aufhören, sobald der Ton unrein klingt.
Gehen Sie allein in ein Zimmer und unterhalten Sie sich selbst, oder üben Sie sich, einer imaginären Person Befehle zu geben. Tun Sie das, bis Sie in einem absichtlich tieferen Tone ruhig und positiv im Brustton der Ueberzeugung sprechen können.
Um eine magnetische Stimme zu kultivieren, sprechen Sie stets klar und bestimmt, so daß man Sie nicht mißverstehen kann. Sprechen Sie nicht übermäßig laut und in krampfhafter Manier. Lassen Sie Ihre Stimme nicht zittern, da das Nervosität ausdrückt. Konzentrieren Sie Ihren Geist stets auf das, was Sie mitzuteilen wünschen. Eine Stimme, auf welche Sie sich konzentrieren, ist eine magnetische.
Sprechen ist Ausgabe und Verwertung von Nervenkraft. Behalten Sie das im Auge und vergeuden Sie die Worte nicht. Sprechen Sie nie nutzlos, sondern machen Sie Ihre Worte Ihren Zwecken dienstbar.
Pflegen Sie die Gewohnheit, eine einfache und wirksame Sprache zu gebrauchen. Machen Sie Ihre Behauptungen stets mit fester und entschiedener Stimme im Brustton der Ueberzeugung. Lassen Sie die Stimme in Harmonie mit den Augen wirken, beide durchdringend, ruhig und fest. Hegen Sie ein unbegrenztes Vertrauen zu Ihrer Kraft, Ihre Mitmenschen zu überzeugen.
Bereits Jahrhunderte vor der christlichen Aera übte der reisende Yogi oder hypnotische Priester an den Ufern des heiligen Ganges die subtile Kraft des persönlichen Einflusses aus. Die Geschichte erzählt uns von der Ehrfurcht, mit der die Orientalen diesen Priestern begegneten. Sie hielten das Volk in einer solchen Furcht, daß dieses den Göttern opferte, um sie gnädig zu stimmen.
Der dunkelfarbige Yogi, gekleidet in der einfachen Anmut seines Geburtslandes, verfehlt niemals, durch die Macht seiner Persönlichkeit die Aufmerksamkeit seiner Umgebung zu fesseln. Sein Einfluß ist so positiv und weit reichend, daß es für ihn nichts Außergewöhnliches ist, eine große Zuschauermenge so zu beeinflussen, daß sie denkt und sieht, was er wünscht. Den Europäern, die unter solchen Einfluß gelangen, erscheint ein derartiges Schauspiel tief und geheimnisvoll.
Es ist wohl sicher, daß viele der unter dem allgemeinen Begriff Hypnotismus zusammengefaßten Phänomene seit altersgrauen Zeiten den Indern bekannt waren, und daß die Frommen unter ihnen, von mächtigen neurotischen Impulsen angetrieben, die unbeschreiblichen Freuden des ekstatischen Zustandes versuchten. Lange, oft wohl allzulange, verweilten die Heiligen in der wundersamen Welt, die sie in ihren Visionen hervorzaubern.
Aus der tiefen Meditation, sowie dem monotonen Sprechen mystischer Silben ergibt sich dann unschwer jener Zustand der Selbst-Hypnotisierung und Ekstase, welcher von den beseligenden Visionen und einer rauschartigen Glückseligkeit begleitet ist, wie das z. B. auch von christlichen Heiligen zur Genüge bekannt ist.
Fast alle Wundertaten der Yogis sind zweifellos auf Beeinflussung mittels persönlichem Magnetismus zurückzuführen. Persönlicher Magnetismus wird erreicht durch Willensschulung einerseits und Atemtechnik andererseits. Ist der Wille erst richtig entwickelt, ist er mächtiger als manche feste Substanz. Mit einem solchen Willen ist es dem Yogi ein Leichtes, die von ihm gewollten Bilder und Eindrücke in das Gehirn seiner Umgebung hineinzupflanzen.
Es ist sehr interessant, in dieser Beziehung das Urteil eines Hindu-Gelehrten Vairagyananda, der selbst Yogi ist; selbiger war bis vor kurzem Professor der Mathematik an der Universität Lahore. Bei Vairagyananda, Hindu-Hypnotismus, lesen wir in der Uebersetzung von Bondegger, S. 22, wie folgt:
Alle Wunder der Fakire sind darauf zurückzuführen, daß der betr. Operateur seinen Willen auf die hier angedeutete Weise erzogen hatte und so imstande war, die angestaunten Phänomene seinem atemlos lauschenden Publikum nur vorzugaukeln. Die Menschen nehmen eine gewaltige Willenskraft sofort instinktiv wahr und verhalten sich zu dem Besitzer einer solchen einer langen Gewohnheit zufolge nachgiebig, so daß es einem willensstarken Yogi nicht schwer fällt, die Imagination seiner Zuhörer und Zuschauer zur intensivsten Tätigkeit zu reizen. Deren astrale Sinne öffnen sich momentan, und sie nehmen die suggerierten Bilder ihrer Phantasie oder Aura wahr, die sie in ihrer Unkenntnis mit den Dingen der physischen Welt verwechseln.
Der Yogi hypnotisiert sein Publikum ohne dessen Einwilligung und Wissen. Voll neugieriger und abergläubischer Scheu sehen die Zuschauer aus ihn. Sie versetzen sich durch ihre gespannte Aufmerksamkeit, die auf ihn gerichtet ist, in seelischen Rapport mit ihm. Unwillkürlich machen sie sich im Zustand der Spannung gedankenleer, und es fällt dann dem Yogi leicht, in ihnen Illusionen hervorzurufen. Der Umstand, daß das Publikum aus vielen Personen besteht, die alle dasselbe denken und erwarten, erzeugt einen kraftvollen psychischen Strom, der dem Fakir die Arbeit wesentlich erleichtert.
Der Verfasser behauptet nicht, daß alle physiologischen Kunststücke der indischen Fakire auf Sinnestäuschungen beruhen. Er weiß selbst, bis zu welchem wunderbaren Grade der Mensch durch Hatha Yoga den Leib und dessen Funktionen beherrschen kann. Aber fast alle Phänomene, die den mechanischen Gesetzen der Natur widersprechen, existieren nur als Trugbilder in der Aura des visionierenden Publikums, dessen Kraft der Phantasie oder Imagination effektvoll arbeitet.
Die phänomenale Echtheit der Fakir-Vorführungen wird dem Leser durch zahlreiche Protokolle bewiesen, welche die notariell beglaubigten Unterschriften zahlreicher Mitglieder der britischen Aristokratie, vieler Offiziere der Armee und anderer angesehener Personen tragen.
Wir kommen jetzt zu den geheimnisvollsten, aber auch unheilvollsten Mysterium der Fakire, nämlich zu der Fähigkeit, sich als Scheintote begraben zu lassen und – oft nach recht langer Zeit – in das Leben zurückzukehren. Es muß dagegen Einspruch erhoben werden, wenn Spiritisten und Theosophen so tun, als wäre dieses in Indien ein alltägliches Geschehnis. Die einwandfreien Zeugnisse dafür sind recht knapp. Es ist ein nicht hoch genug zu bewertendes Verdienst der beiden deutschen Gelehrten Kuhn und Garbe, den Gegenstand eingehend geprüft zu haben, ohne mit der Stange im spiritistischen Nebel herumzufahren. Diese beiden hervorragenden Männer der Wissenschaft sind zu dem selbstverständlichen Ergebnis gelangt. das; bei dem willkürlichen Scheintod an sich nichts Uebernatürliches im Spiele ist. Daß ein besonders gut trainierter Fakir die Lebenstätigkeit aussetzen kann, ist durch Zeugnisse ganz unverdächtiger hoher Beamter und Offiziere der indischen Regierung sicher bezeugt.
Aehnlich so lauten auch die Untersuchungsergebnisse des bekannten Orientalisten Dr. Rich. Schmidt, jetzt Professor für Sanskrit an der Universität Münster. Dieser klarblickende Gelehrte hat die Sache objektiv im Kamasutram, Barsdorf Verlag, Berlin 1915. sowie in einem Buche über Fakirtum behandelt. Ersteres hat die Unterstützung seitens der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gefunden und ist mit ihrer pekuniären Hilfe gedruckt worden.
Die Berichte der neuesten Zeit konzentrieren sich vielfach um den Fakir Haridas, der durch mühsames Trainieren, besonders in der Atemtechnik, die Fähigkeit erwarb, seine Lebenstätigkeit bis auf 40 Tage auszusetzen und sich während dieser Zeit in der Erde begraben zu lassen. Niemand kann es diesem Sterbekünstler verargen, wenn er sich auf seinen Wanderungen durch Rajputana, dem Heiligtum Wischnus, nur gegen Kassa begraben liest. Es ist schließlich nichts Geringes, 40 Tage den Toten zu markieren!
Wir werden am Schluß noch diese Paradeleistung der Fakire näher auseinandersetzen. Zunächst wollen wir einen durchaus glaubwürdig bezeugten Bericht des Generals Ventura über das Begräbnis eines Fakirs zur Kenntnis bringen. Der General Ventura war früher Kapitän der französischen Armee, seit 1822 stand er in Diensten des berühmten Maharadja Runjit-Singh im Penschab. Der Bericht wurde von Dr. Honigberger veröffentlicht und lautet wie folgt:
Es war in Amritsar, als ein Hindostaner, ein Fakir, etwa 40 Jahre alt, bei Maharadja Runjit-Singh im Palast sich einfand und erklärte, daß er sich auf Wunsch begraben lassen wolle und nach 40 Tagen bei der Oeffnung des Grabes in das Leben zurückkehren würde. Runjit-Singh nahm den Vorschlag an und ließ zwischen seinem Gartenhause und dem Fort von Amritsar, auf einer freien Ebene, ein Haus bauen mit nur einem Tor als Eingang, das vorzüglich fest gebaut war. Der festgesetzte Tag erschien, der Fakir stellte sich ein und bat, daß man ihn bei seinem beabsichtigten Todesschlafe, sowie bei seinem Erwachen von seinem Diener behandeln lassen möge, da dieser von ihm in der nötigen Behandlungsweise unterrichtet worden sei. Die Gewährung dieser Bitte wurde ihm zugesagt. Der Fakir hatte eine Vorbereitung von 20 Tagen nötig gehabt, um sich zu dem Todesschlafe fähig zu machen, und während dieser Zeit hatte Runjit ihn stets beobachten lassen. Er hatte in diesen 20 Tagen nur Milch genossen und angeblich so viele Abführmittel zu sich genommen, daß nichts in seinen Eingeweiden zurückgeblieben sei. Als er im offenen Derbar erschien, um sein Vorhaben zu beginnen, waren alle die ersten Sidars des Hofes zugegen, welche sämtlich mit gleichem Interesse das wunderbare Vorkommnis zu sehen wünschten. Der Fakir schritt zur Ausführung, indem alle Oeffnungen des Körpers, an Ohren, Nase u. dgl., mit Wachs geschlossen wurden; von dem Munde wußte General Ventura sich nichts zu erinnern, und begann daraus seinen Atem nach innen zu ziehen. Nachdem er dies mehr als einmal wiederholt, fiel er um und lag nun mit geschlossenen Augen wie ein Toter da. Alle Symptome eines Verstorbenen zeigten sich an ihm; nur aus der Mitte des Kopfes war es brennend heiß anzufühlen, und das Blut schien so heftig daselbst zu schlagen, daß es der aufgelegten Hand gleichsam widerstand, und gleichwohl war der übrige Körper kalt.
Man legte den Fakir darauf in den Sarg, befestigte den Deckel darauf und brachte den Sarg in ein zu diesem Zwecke in der Mitte des erwähnten Hauses bereitetes Grab. Auf den Sarg wurden Bretter gelegt, das Grab mit Erde zugeschüttet, die Erde gleichgemacht und Weizen und Reis aus das Grab gesät. Darauf wurde die Tür des Hauses verschlossen mit zwei Schlössern, von welchen der eine Schlüssel dem Großschatzmeister, der andere dem General Ventura übergeben wurde. Von Zeit zu Zeit, d. h. von 8 zu 14 Tagen, wurde der Zustand des Grabes in Runjit-Singh's Gegenwart untersucht, der durchaus keine Annäherung an das Grab erlaubte, da er in Dingen, wo er hintergangen zu werden fürchtete, äußerst scharf und vorsichtig war. An dem Gebäude wie an dem Grabe zeigte sich nicht die geringste Veränderung, alles war unberührt geblieben.
Der vierzigste Tag erschien, man öffnete das Grab und den Sarg und fand den Fakir ganz so, wie er hineingelegt worden war, nur etwas gelber vielleicht. Der Diener desselben begann nun seine Behandlung; er buk ein zwei Finger dickes Rutibrot nach der Landessitte und legte es dem Fakir brennend heiß auf den Scheitel des Kopfes, der noch dieselbe Wärme zeigte, wie am Tage des Begrabens. Hierauf begann der Diener den Fakir zu reiben an allen Gliedern, darauf öffnete er die verstopft gewesenen Oeffnungen des Körpers. Der Fakir schlug die Augen auf, jedoch, wie es schien, ohne seiner Besinnung mächtig zu sein. Man bereitete nun ein heißes Bad; währenddem war der Fakir so weit wieder zur Besinnung gekommen, daß er sich aufrichtete. Runjit verließ nun den Schauplatz der wunderbaren Begebenheit, und am Abend erschien der Fakir im Derbar, vollkommen in demselben Ansehen, wie er sich zuerst hier vorgestellt hatte.
Der Fakir soll dasselbe Experiment in einer englischen Garnison gemacht haben, wo man aber andere Vorsichtsmaßregeln anwendete, um vor Betrug gesichert zu sein. Man soll ihn in einen Sarg verschlossen und diesen an vier Seilen inmitten der Wachstube, wo zwei wachhabende Offiziere waren, aufgehängt haben. Die Dauer dieses freiwilligen Scheintodes soll sich ebenfalls auf 40 Tage erstreckt haben.
Es ist klar, daß es nicht jedem Fakir gegeben ist, dieses Kunststück auszuführen. Es gehört vielmehr ein langjähriges Training und auch wohl eine gewisse Veranlagung dazu. Der Fakir erlangt durch langes Trainieren in der Hatha-Yoga-Atemtechnik die Fähigkeit, die Luft sehr lange anzuhalten und die Luftröhre mit der verlängerten Zunge abzuschließen. Eine besondere Spezialität dieser Asketen ist Pranayam, ein wechselseitiger Atem, verbunden mit Rumbaka, dem Anhalten des Atems, welch letzteres nach längerem Training über zwei Stunden ausgedehnt wird.
Bei den Experimenten der Erstickung für den Scheintod halten sich die Anfänger die Augen, wie auch die Nasen- und Ohrenlöcher mit den Fingern beider Hände fest zugedrückt, weil die natürliche Hitze die im Kopfe eingesperrte Luft so gewaltsam herauszutreiben sucht, daß die Teile, welche an den Druck noch nicht gewöhnt sind, leicht zerplatzen können, am häufigsten das Trommelfell. Zur Uebung in dieser Kunst soll gehören: 1. ein langes Anhalten des Atems; 2. das Hinabschlingen eines schmalen Leinwandstreifens, womit der Magen ausgeputzt wird, und 3. das Aufziehen einer beliebigen Menge Wassers durch den After, womit die Gedärme gereinigt werden. Dieses Aufziehen geschieht durch Willensanstrengung mittels einer unten angebrachten Bambusrohres. Ferner wird einer eigenartigen Diät, nur aus Milch und Früchten bestehend, eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Natürlich wird auch das Fasten nicht vergessen. Wie könnte von dem Sohn Siwas wohl diese bekannte Kasteiung zur Abtötung des Leibes übersehen werden! Fasten und Meditation, übertrieben angewendet, werden in vielen Fällen schon allein zu jenen Halluzinationen und Ekstasen einer geschwächten Konstitution führen, die in der Geschichte des Christentums ebenso bekannt sind, wie in derjenigen anderer Religionen.
So wunderbar und vielleicht auch lächerlich so manchem diese Operationen scheinen mögen, so müssen doch solche Leute vollkommen Herr über die verschiedenen Organe ihres Körpers sein und jeden Muskel, sowie die Funktionen von Herz und Lunge in ihrer Gewalt haben. Eins müssen sie alle gemein haben, jenen ungeheuerlichen Willen, eine grandiose Ueberwindung aller Regungen des Leibes. Es ist uns tatsächlich noch nicht ein einziger Fall zu Gehör gekommen, daß ein solcher Hindu-Heiliger bei seinen Begräbnissen wirklich gestorben ist; sie sollen sogar bedeutend länger leben, als gewöhnliche Sterbliche.
Wenn es nun auch mit unseren physiologischen Kenntnissen unvereinbar erscheint, daß jemand lebendig begraben werde und die Probe so und so lange überstehen könne, so müssen wir gleichwohl erklären, daß kein erkennbarer Grund für das Gegenteil vorliegt, so unglaublich die Sache auch erscheinen mag.
Liefert nicht auch das Tierreich ähnliche Beispiele? Werden nicht bekanntermaßen in Felsengestein Tiere gefunden, unter anderen Kröten, die nach einer mäßigen Berechnung vielleicht drei bis vier Jahrtausend oder noch länger in diesem Grabe mochten geschlummert haben, und dennoch bei ihrer Befreiung aus demselben wieder zum Leben erwachten? Wir glauben kaum, daß es für Kenner der Naturgeschichte nötig sein dürfte, an jene Tiergattungen zu erinnern, welche die strenge Winterzeit in einem todesähnlichen Schlafe zubringen, ohne doch dem wirklichen Tode zu verfallen.