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»Da erwiderte Abel und sprach: Wahrlich, es gibt ein Gericht, es gibt einen Richter, es gibt jenseits dieser eine andere Welt.«
»Alsdann sprach Kain zu Abel: Du sprichst, es gibt noch eine andere Welt, wohlan, wir wollen alles untereinander teilen; ich für mein Teil nehme das Diesseits und du für dein Teil bekommst das Jenseits. So entspann sich aus der Mitte dieser Worte eine Fehde und es erhub sich Kain und tötete seinen Bruder Abel.«
»Denn er (Thubal-Kain) war es, der das Werk Kains fortsetzte, und alles Tun Kains führte zum Sterben.«
Schauplatz der ersten Szene.
Heller Mittag. Wo sich das rieselnde Wasser der Quelle mit dem Bach vereinigt, liegt Kain, auf die Ellenbogen gestützt, und starrt in das Fließen unbewegt. Das Beil neben ihm auf einem Stein.
Kain
He, Schuppiges! Nicht gar so frech geschnellt,
Als wär' der Kain nicht da! Kains Blick ist längst
In dich gebohrt, und das heißt: Tod! –
Wo immer mir Lebendiges begegnet,
Steht es erstarrt, die Kniee weichen ihm,
Flucht ist vergessen, und es tritt die Nacht
Von innen ihm ins Auge ahnungsvoll. –
An Elch und Eber, Bären, Ur und Leu
Hat meine Axt geprüft, was Leben ist,
Und fand ein schwächlich Ding, das rasch ersäuft
In einer Pfütze Bluts! – Wie, wenn mich Gier
Anwandelte, es auch an dir zu proben, Fisch?!
Aus Wollust bloß des Würgens! Und wie Mist
Schmiss' ich dich fort, hätt' ich dein Blut geleckt
Und wieder ausgespien! – Hab' ich dich?!
Hält einen Fisch in der Faust
Wie's schlüpft, sich windet, zappelt, jappt und schnappt!
Bleckst du die Zähne?! Beißt du?! Pack' ich dich
Beim Schwanz und klopf' den Stein mit deinem Kopf!
Tut's mit einem leichten Hieb
Noch immer atmet's, zuckt's und klammert sich
An dieses Krötendasein an! – Glotzaug,
Wie blöd und rund! Zu stumpf sogar, um Angst
Zu spiegeln. – Werf' ich dich zurück, so weißt
Du nicht einmal, wes Faust dich schon gepackt!
Und töt' ich dich, so warst du eben Fisch,
Wohlfeil Geschöpf, von ungezählten eins,
Einander gleich wie Körner schlechten Sands! –
Doch jener, der sich Mensch nennt,
einer ist's!
Zwar ähnlich andern Menschen, aber doch
Eins, das nur einmal da ist wie der Gott,
Der einzig ihm, so heißt's, den Tod verhängt! –
In dies Gesetz,
wenn's eines ist, bricht Kain,
Der Werwolf, ein und reißt's in Fetzen! Gott zum Hohn!
Schleudert den Fisch ins Wasser zurück.
Leb, Fisch! Mich lüstet's nicht nach deinem Aasgestank:
Erhabenere Fäulnis wittre ich!
Nicht zahllos wimmelndes Geschmeiß, den Menschen
Sterben zu lehren, bin ich da, der Kain!
Geläute einzelner Herdenglocken jenseits des Felsens, immer näher.
Abel erscheint oben, blickt einige Augenblicke in den Hintergrund, läßt sich dann nieder und liegt, die Arme unter dem Nacken verschränkt, in den Himmel schauend. Hochferne Raubvogelschrei.
Kain
Da ist er!
Gut hab' ich seine Fährte abgepaßt!
Das Beil versteck' ich, eh ich ihn mir lock'.
Verbirgt das Bell im Gebüsch hinter sich, späht zusammengekauert.
Abel hebt an zu singen
Unter den Wolken wiegt ihn der dunkle Flügel.
Licht der Sonne trägt er auf seinem Rücken.
Aber der Hunger zieht ihn zur Erde nieder,
Den hohen Geier!
Dem Maulwurf stellet er nach, der Maus und dem Wiesel.
Jungbrut der Raben zittert vor ihm im Neste.
Selbst die Fische im Wasser fürchten
Den spitzen Schnabel!
Kain tief
Schön ist Gesang. Die Welt wird ärmer sein,
Wenn kein Gesang mehr ist.
Aber die Lämmer hütet der wachsame Hirte,
Richtet die Schleuder, wenn sie sich ängstlich drängen.
Aber die Menschen hütet, der auch die Geister werdet
Über den Sternen!
Kain
Der auch die Geister weidet über den Sternen –
Ob er auch ihn behütet?
Mich dauert fast der Knabe. –
Hahoia, Abel!
Abel
Hoiah! Abel hier!
Was will der Kain?
Kain
Noch einmal dieses Lied!
Abel
Welch Lied?
Kain
Das eben du gesungen! Es
Gefiel dem Kain!
Abel zart lachend
Wüßt' ich's nur noch!
Wie nicht?
Abel
Das kam nur so.
Kain
Und sängest du ein andermal,
Käm' anders Wort und Weise?
Abel
Immer anders!
Vorbeigetragen wie auf Baches Wellen,
Entfallne Blüten eines fremden Strauchs –
Und ehe du sie festhältst, längst vorüber.
Kain
Und rufst du es?
Abel
Nur ungerufen kommt's!
Dann übermächtig: Bilderwogendrang
Und viele Stimmen! Bis die
eine sich
Aus ihnen sammelt und die Kehle füllt,
Die sich verströmt in Wohllaut und Bedeuten.
Kain
Seltsam! Mich dünkt: ein Lied zu finden, müßt'
Man lange sinnen erst, und fand' man's dann,
Es sich beschwerlich merken, eh man's sang';
Und hüb' man an, so war' es längst vergessen.
Abel harmlos erheitert
Zuviel der Mühe wär' dies um Gesang!
Kain
Recht hat dein Lachen, Bruder! Unsinn war's.
Dein Spott bringt wieder Kain dem Kain zurück,
Der nur ein stumpfer Knecht und viel zu plump
Zu Worten und Gesang. Dem Abel freilich
Naht es wie Blüten eines fremden Strauchs,
Wie Bilder, Stimmen, Wohllaut, was weiß ich!
Das rührt vom vielen Liegen auf dem Rücken
Und müßigen Geträum ins leere Blau! –
Ich helf ihm bald, daß er für immer liegt
Und in den Himmel starrt mit Augen, die
Sich nicht mehr schließen! Ob er dann
Wohl auch noch singt? – Abel!
Abel
Was gibt's?
Kain immer ohne Abel anzusehn
Steig doch
Herab und sieh, wie Kain gelernt vom Brauch
Der Hirten! Lang schon lieg' ich hier und zähl'
Die Morgenwölkchen, doch der Ort hat Schauder,
Als heulten Eulen durch den grellen Glast.
So komm und scheuche mir das Nachtgeschmeiß!
Abel hell auflachend
Den Kain schreckt tags, was ihn des Nachts vergnügt!
Kain
Hab' nicht recht ausgeschlafen. Allzufrüh
Trieb es mich auf zu einer Tat, die eilt.
So eil auch du!
Abel hat sich erhoben und beginnt, den Felshang herabzusteigen
Gerne. Schon rüst' ich mich.
Kain
So brüderlich fand ich dich gestern nicht.
Das Bett im Wald war des Versuches wert.
Abel
Man trug's nicht fort, es steht auch heut bereit,
Morgen und übermorgen!
Kain
Wenn es dich
Dann nur noch schläfert! – Kommst du bald?
Abel eben im Begriff das Gebüsch hinter Kain auseinanderzubiegen und durchzukommen
Bin schon
Bei dir!
Kain in jäher Bestürzung, daß Abel die Axt finden könnte
Halt! Nicht durch das Gebüsch!
Abel heiter befremdet
Warum?
Kain
Es könnte Schlangen bergen oder sonst
Ein Ding, das scharf in Nacktes beißt.
Abel
Ein wenig Blut, was tut's?
Kain
Ich seh's nicht gern.
Abel lagert sich Kain gegenüber
Der grimme Jäger Kain so taubensanft?!
Ist Blut nicht schön? Ich weiß nichts Röteres,
Und schmeckst du's, ist es süß!
Kain
Trankst du es schon?
In Zügen nicht. Doch hab' ich oft genug
Die Lippen mir genetzt mit Opferschweiß,
Dem Gotte zuzukosten seinen Trunk.
Kain
Und schauderte dich's nicht?
Abel
Nicht mehr als Milch!
Kain
Der Saft, der eben noch in straffer Brust
Ein Herz geregt, nun ausgeronnen, schal –
Ihn denk' ich mir nur süß, eh noch verkühlt,
Vom heißen Wundrand eilig eingeschlürft.
Abel
Trank so der Kain?
Kain zusammenschreckend
Was fragst du? Ob der Kain –?
heiser auflachend
Bin ich ein Raubtier, das mit Nackensprung
Zahmwild befällt und sich daran besäuft?! –
Nur wo's mich feindlich angeht, hau' ich zu.
Und spritzt es dann in schwarzem Bogen aus,
So ist es mir bloß Zeichen, daß ich traf,
Nicht Wollust! Eher Gram, daß Wehrens Not,
Damit man selber lebe, Töten heischt.
Abel
Solch zärtliches Bedauern kam mir nie.
Kain immer verbissener
Wohl wahr, dir nie! Hab's oft bedacht, wenn ich
Mit Lamm und Zicklein dich verfahren sah,
Grausam und nicht sehr würdig eines Manns.
Abel
Würdig genug durch Brauch!
Kain mit immer wilderer Heiterkeit
Ein frommer Brauch,
Der selbst besorgt, was man dem Wolf verwehrt!
Ein Hirtenbrauch, ein Brauch für sanfte Sänger!
Erst zieht man's auf, freut sich, wie es gedeiht,
Dann kommt's gesprungen, leckt die Finger, schmiegt
Sich an die Knie', und eines Frühtags, wenn
Die Hand, die's kost, es fett genug befand,
Mit zartem Futter schmeichelnd angelockt,
Mit einem Blutblick, der zu lächeln weiß –
Mich ekelt solche Schlächterzärtlichkeit! –
Sitzt jählings ihm das Messer im Genick!
Weil so zwar Tod ihm, doch nicht Leid geschieht.
Kain
Tod ist wohl Lust!? Mag sein, dem Tötenden
Und jenem Gott, dem Töten wohlgefällt! –
Genug, schon längst ist ihm erlesner Art
Ein Bluttrunk zugedacht, da er mir Frucht
Verschmäht!
Abel gereizt
Nur dürre Frucht verschmäht der Gott
Kain erbleichend
Wie das, mein Bruder?
Abel anzüglich, scharf
Gottverhaßt der Geiz,
Der statt der Erstlinge des Feldes Abhub
Opfert.
Kain
Ist jemand, der dies wagt?
Abel
Kann sein!
Kain
Wer, der nicht müd des Lichts, behauptet dies?
Einer, der's sah!
Kain
Der's sah?
Losbrechend
So will ich dir
Die dreisten Augen und das tolle Maul –!
Tappt hinter sich ins Gebüsch.
Abel aufschnellend
He, Kain! Nicht selber allzu dreist und toll!
Was tappst du ins Gebüsch?! Was birgst du dort?!
Kain die Axt hinter sich haltend
In dem Gebüsch? Ich? – Nichts.
Abel mit großer, bedeutsamer Ruhe, aber zwingend
Gib mir – das Beil.
Kain reicht es ihm zögernd, vor gewaltiger Erregung bebend, hin.
Abel besieht es lange versunken, dann erschüttert
Und damit wollte Kain den Abel –?
Kain stürzt zu Abels Füßen, aufheulend
Bruder!
Meint denn der Kain, des Menschen Leben sei,
Ein Ding zum Spiel, das ungefähr zerbricht,
In anderer Geschöpfe Hand gelegt?
Nur der's entbrannte, bläst es aus – wie Licht.
Kain aufgewühlt
Er! Immer er! Ich sah ihn nie. – Komm doch,
Du starker Bauer, der den Pflug versteht!
Belehr mich, zeig mir, was der Kain verfehlt!
Fang auf ins Hohle deiner Hand den Schweiß
Von meinem Nacken, schöpf ihn in dein Maß!
Und wenn's nicht überfließt, so schlage mich,
Mich trägen Knecht, zerbrich mich stumpfe Schar!
Doch wenn dein Eimer voll wird, tausendfach
Ist's mehr denn alle Opfer! Oder du
Bist nur ein Geier, den nach Fraß verlangt,
Ein geiler Schlauch, dem ausrinnt, was er schluckt,
Unstillend Durst nach Blut und Blut und Blut! –
Abel!
Abel fernhin
Was willst du?
Kain in steigender Raserei des Verstoßenseins
Wie sieht er aus, wenn seine Fratze sich
In deine Glut wühlt, schnaubend, qualmgeschwärzt?
Ist's nicht ein Schakalsschlund, ein Wolfsgebiß,
Ein Hakenschnabel, der Gedärm einschlürft
Wie Regenwürmer? Nicht ein Affenmaul,
Das grinsend Jauche leckt? Wie sieht er aus?!
Abel
Wen meinst du?
Kain
Ihn, den Gott! Du sahst ihn doch!
Zu Hirten läßt er gnädig sich herab.
Abel aufblühend
Ich sah ihn nie! So nicht, mit Augen nie!
Kain
Wie sonst, wenn nicht mit Augen? Welchen Sinn
Hast du voraus, zu sehn, was sich nicht zeigt?
Mit diesen Fäusten rauf' ich ihn dir aus!
Abel himmelan, groß
Sehnsucht!
Kain in Qual und Haß
Mir Sehnsucht Flamme, Brunst,
Die Eingeweid zerreißt, Gehirn verbrennt!
Aufwirbelnd Rauch, ins Antlitz beißend Nichts!
Ich
will nicht Sehnsucht! Tret' die Flamme aus!
Abel immer entrückter
So bist du trüb, mein Bruder! Wuchs dir nie
Gefühl, aus seliger Berührung eingeschöpft
Mit Erde, wuchs es nie dir flügelgleich
An deine Last? Und wähntest nie von Sternen
Umwittert deinen Scheitel, während schaudernd
An festem Grunde haftete dein Fuß?!
Kain
Gefühl mir Qual, wühlende Leere Brust,
Abgrund, aus dem der rote Brodem schwelt:
Gesichte, furchtbar in den Traum der Nacht!
Es
sind nicht Flügel, Haupt
rührt nicht Gestirn,
Fuß schwer am Staub, Keuchen die Erde, Schweiß!
Abel jenseitig, noch verhaltenen Jubels
Urkraft, die stromgleich aller Säfte Lauf
Durstig in sich nimmt! Quellen, steigendes,
Aus Gras und Kräutern! Wärme aus Gestein,
Zärtlich besonntem!
Aufdrängt es durch die Sohlen, schießt empor,
Durch Fibernzweigespiel zum Wipfel auf!
Der rauscht vom Föhnwind herrlichen Geschehns!
Und brausend reißt der Augen Flammenpaar
Die Welt in sich, die gottgeschaffene!
O, Leben! Leben!
Endlich kann's nicht sein!
Kain erst aufbäumend, dann wie zum Sprunge geduckt, wild
Unendlich bis ein End', das Kain dem Gott
Aus Fängen reißt und dir verhängt, du Narr!
Er rafft das Beil, das Abel fallengelassen, an sich.
Abel trunken von Leben und Entzücken
Und Purpurflut, Himmel umwallende!
Die Sonne, Sonne! Trunkne Wiederkehr
Der Dinge zur Gestalt, die Nacht verschlang!
Taumeln die Felsen nicht im Tanz des Lichts?!
Erwachen, Glut! Ihr singend Blut empor
Schleudert die Erde, Stimmentausendfalt,
Fittichgehoben, schwerelos, hinauf!
Wem gilt der Jubel, Wolken zu gesprüht?!
Wem gilt die Antwort, wolkenher gestürzt?!
O Gott! O Mensch! O Leben, ewig, ewig! –
Mit Sonnenfäden, funkelnden, geseilt
An die Gestirne!
Durch goldnen Lichtbluts Adernstrang vereint
Mit Gottes
Sturmlunge, ich, der Mensch!
Wo ist die Faust, die Sonnenfäden trennt?!
Wo ist die Axt, die Lichtes Strang zerhaut?!
Wär' sie, es stürzte
Der Himmel auf die Welt, und eine Nacht
Begrübe Mensch und Gott!
Kain mit Raubtiersprung
So sei's!
Er haut Abel mit einem einzigen Hiebe nieder. Dieser sinkt lautlos zusammen. – Kain bleibt in der Stellung des Hauenden über ihn gebeugt stehn, dann mit heiser-vertierter Stimme
Tot? – Tot. – Tot!!
Mächtig gereckt, zum Himmel auf
Gott, wo bist du?! Hier steh' ich,
Der Kain!
In die tiefe antwortlose Stille nahendes Geläute einzelner Herdenglocken, hell und friedlich. Weidende Lämmer grasen von jenseits zur Höhe des Felsens herauf, drängen sich zum Rande des Abhangs, scheinen mit ahnungsvollen Tieraugen auf das Geschehene herabzublicken. Kain schrickt aus seiner nach aufwärts gerichteten Starre zusammen, findet sich allmählich zur Wirklichkeit einer ungeheueren Gier. Dann mit einer weiten, an sich raffenden Gebärde
Die Herden! – Mein!