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Wohnzimmer.
Ein weitläufiger, gemütlicher Raum, mit Biedermeiermöbeln eingerichtet. In der Mitte der runde Speisetisch, um ihn herum vier Sessel mit Polstersitzen. Darüber eine einfache Hängelampe. Die Mitte der Hintergrundwand nimmt eine breite, mehrflügelige Glastür ein, durch die man auf die mit Efeu und wildem Wein dicht umrankte Veranda und, über ein paar Stufen hinab, in den Garten blickt. (Diese Veranda trägt den Balkon von Huberts Mansarde.) Links und rechts von der Tür je ein Fenster mit weißen Mullgardinen. In der Nische des rechten eine kleine Treppe, auf dieser ein Nähtisch mit Sessel. An dem Wandpfeiler zwischen Tür und rechtem Fenster eine hohe Standuhr. Zu ihr als Gegenstück links ein altertümlicher Pfeifenständer. In der Mitte der beiden Seitenwände je eine weiße, einflügelige aber behäbige Tür. Links vorne ein mit kleingeblümtem Stoff überzogenes Sofa. Darüber ein verdunkeltes Ölgemälde. Rechts und links davon je ein zweikerziger Wandleuchter. Unter dem Bild drei Miniaturen in ovalen Goldrahmen. Links rückwärts eine Kredenz. Rechts vorne ein Konsoltischchen mit einer Stehuhr und zwei Leuchtern. Rückwärts ein niederer Glaskasten, darin reichlich Silberzeug, Porzellan und Gläser. Sonst noch, an die Wände verteilt, eine Anzahl alter Stiche.
Wenn der Vorhang aufgeht, ist Abend; die Lampe brennt in dem stark dämmerigen Raum, während es draußen im Garten noch verhältnismäßig licht ist. Der Tisch ist bereits aufgedeckt, einfach aber doch mit bürgerlicher Festlichkeit.
Rosl im Zimmer allein, in weißer Schürze und lichtem Kleid beim Tisch mit Putzen von Silberzeug und Wischen von Gläsern beschäftigt. Ein stilles, glückseliges Lächeln ist in ihrer vollkommenen Versunkenheit.
Die Tür links, der Rosl den Rücken kehrt, öffnet sich unhörbar und
die alte Babúsch
steckt den Kopf mehrmals rasch herein, dann tritt sie lautlos ins Zimmer. Sie ist eine kleine Person mit dürftigem Oberkörper und weitausladenden Hüften. Ihr Uhugesicht ist abenteuerlich aufgeschminkt: grelle Wangenröschen und Lippen, die zur fahlen Farbe der übrigen Gesichtshaut kontrastieren. Hinter den mächtigen Hornbrillen zwei scharfe, falsche, boshafte Augen. Über einer weißgestärkten, altertümlichen Haube trägt sie ein schwarzes Spitzentuch, um die Schultern ein buntseidenes türkisches Umhängetuch, darunter eine schwarze Bluse, dazu einen altmodisch gerafften Rock aus grünem Tuch. Vom Gürtel herab baumelt ihr ein großer Fächer aus Pfauenfedern. Ihre knochigen Spinnenhände tragen alle möglichen Ringe und Bracelets. Sie sieht aus, als wäre eine uralte Traumbuch- oder Spielkartenfigur lebendig geworden, und steigert ihre geheimnisvolle Komik durch allerhand Knixen, Fächeln, Augenspiel sowie durch das verjährte und wohlfeile Pathos ihrer Phrasen und Sprüche.
Babúsch die leist ganz nahe an Rosl herangekommen, räuspert sich
Rosl sich rasch umwendend, erschrocken, befremdet
Herr Jesus! – Wer sind, was wünschen Sie?
Babúsch mit Knix
Die Karten-Babúsch wünscht einen gesegneten – Ausgang.
Rosl angewidert, kurz Hier, durch den Garten gradaus!
Babúsch mit falscher, giftiger Freundlichkeit
So ungewogen, Jungfrau Putzlappen? Ihre Gnädige war gnädiger. Mürb war der Baumkuchen, süß der Kaffee! Schmatzt und kichert.
Rosl abgestoßen
Daher weht der Wind!
Babúsch widerlich lachend
Vom Himmel nicht, aus der Höllen auch nicht. An allen Lebenswenden läßt die Dame nach mir senden! Heute galt's dem jungen Herrn; ist geboren unter einem Glücksstern! Wispernd Ich verrate kein Geheimnis, die Spatzen pfeifen's vom Sims: wird ein großer Herr, wenn, ja, wenn ihm der größere die Luft läßt!
Rosl geringschätzig
Haben's wohl schriftlich!
Babúsch
In den Karten steht's geschrieben! Die Karten lügen nicht!
Rosl Alte Hexen um so dicker!
Babúsch mit unterdrückter Bosheit
Alte Hexen, noch so dick, triffst du sie, so hast du Glück!
Den Vers kenn' ich anders: Alte Hexe übern Weg, rennst dem Teufel ins Geheg!
Babúsch lacht boshaft
Zwei Seiten hat jedes Ding, warum nicht die Hex'? Raunend Weiß noch andere Sprüchlein, auch nicht übel: Junges Herzchen, loses Blut, möcht' gern wissen, wie – es tut. Züngelt und kichert.
Rosl rasch
Bin nicht neugierig.
Babúsch immer eindringlicher I
st der Schatz auch noch so fern, Karte zeigt ihn nah und gern!
Rosl sich innerlich erwehrend
Brauch' keinen!
Babúsch
Kommt auf den Fall an, muß just nicht ein Sündenfall sein! Lacht anzüglich Wollen's probieren, gratis, um der schönen Augen willen! Zieht blitzschnell die Karten, mischt, hebt ab Hocuspocus primatius
Eine nahe Glocke läutet zum englischen Gruß.
Rosl die sich bekreuzt hat, wie auf einer Sünde ertappt
Lästerlich Zeug, taugt nichts zum Aveläuten!
Babúsch darüber hinweglachend, mit leiernder Hast, indem sie acht Päckchen auflegt
Ins Haus, ins Zimmer, in der nächsten Zeit, für Sie selbst, was gewiß geschieht, was man noch nicht weiß, was die Zukunft bringt, was der Jud' sagt.
Rosl nicht ohne Spannung
Rasch aber!
Babúsch geheimnistuerisch mit dem Zeigefinger die Karten betastend und auszählend
Eine Person von höherem Stand ist für Sie in heimlicher Liebe entbrannt ...
Rosl nicht unbetroffen, sich abwendend
Weiß keine solche.
Babúsch anzüglich, boshaft lachend
Schnappt das Fischlein bereits? Sitzt's Vöglein am Leim? Wüßt ich's doch!
Rosl sich unbefangen machend, rauh
Weiter!
Babúsch lauernd
Heimlich küßt man, wo man sich trifft, leider fehlt der Braut die Mitgift. Was aber gewiß geschieht, das ist: ein Brief oder Bote in naher Frist!
Kenn' keine Botenschicker.
Babúsch
Brief oder Bote ist einerlei. Eifersucht ist auch dabei – von einer Dame; die ist zwar alt und hat den Geliebten in ihrer Gewalt. Doch eine Erbschaft macht ihn wieder frei, und auf Lustbarkeit folgt Kindsgeschrei! Lacht schadenfroh.
Rosl
Still jetzt!
Babúsch mit Triumph
Eine Gerichtsperson nimmt sich um das Kind an, weil's der leibliche Vater nicht versorgen kann!
Rosl wild
Ein End' jetzt mit dem Unfug!
Babúsch die Karten einsteckend, bös lachend
Was der Jud' sagt zum Schluß: Falschheit endigt mit Verdruß! Unter Knixen und Kichern sich verziehend Euere Exzellenz, meine Reverenz! Stehe mit meinen Künsten jederzeit zu Diensten, Briefchen genügt, komme ins Haus. Gehorsamster Diener, das Orakel ist aus!
Verliert sich über die Veranda in den Dämmer des Gartens. Die nahe Glocke hat aufgehört und eine entferntere begonnen.
Rosl die der Karten-Babúsch mit widerwillig-scheuen Blicken aus dem Hintergrunde des Zimmers nachgesehen, kommt nun mit ein paar erregten Schritten wieder zum Tisch. Steht einige Augenblicke versunken da, faßt sich, beruhigt sich dann, streicht sich, als wollte sie einen bösen Traum wegwischen, einmal über Haar und Stirne und fängt wieder zu arbeiten an. Dann leise singend:
Was will denn so ein armes Ding
Auf Gottes fremder Erden?
Zu allem linkisch und gering,
Muß halt ein Dienstbot' werden.
Und ist der Wuchs auch noch so fein,
Die Haut so frisch wie Seide,
Man nimmt es hin, man läßt es sein,
Wird doch nur Herzeleide.
Doch heute nacht hat mir geträumt
Von einem stolzen Buben!
Trat ein und hat es nicht versäumt
Bei mir in dunkler Stuben.
Und war kein loser Schmetterling,
Der nur so naschen wollte,
Denn als er ging, da hing ein Ring
Am Finger mir geringem Ding –
Der war aus eitel Golde.
Hubert ist während der letzten Strophe im Rahmen der offenstehenden Tür rechts, vom unbeleuchteten Nebenzimmer her, erschienen und hat, an den Türstock gelehnt, zugehört. Von dort her gedämpft und bewegt
Wo hast du dieses Lied her, Rosl?
Rosl glücklich und schamvoll verwirrt, senkt nach einem kurzen Blick auf Hubert den Kopf und schweigt.
Hubert traurig-zärtlich
Wo hast du dies – schöne Lied her, Rosl?
Rosl
Meine Mutter selig hat's immer gesungen –
Hubert vor sich hin
»Der war aus eitel Golde.« – Der Traum ist ewig...
Rosl
Bist so trübsinnig, wo jetzt alles glücklich vorüber –
Hubert ins Zimmer tretend
Vorüber? – Mir geht der arme Rabanser nicht aus dem Kopf. Gefallen mit Schand' und Spott. Wie muß dem heut' zumute sein?
Rosl
Hat er's anders gehofft?
In irgend einem Winkel seines Herzens hofft auch der Hoffnungslose.
Rosl
Wohl wahr.
Hubert
Wann geht mein – Ehrenmahl heut an?
Rosl
Warten nur auf Vater und Onkel.
Hubert unruhig
Hast du die Mutter seit vorgestern mit dem Onkel sprechen sehen?
Rosl
Gestern.
Hubert nervös
Nun und?
Rosl
Um was es ging, weiß ich nicht. Scheinen sich aber verstanden zu haben.
Hubert erleichtert
Wär' immerhin ein – Lichtblick.
Rosl behutsam-zärtlich
Jetzt ist überhaupt nur mehr – Licht, Hubert.
Glaubst du wirklich, Rosl?
Rosl
Bist ja nun frei!
Hubert
Solange eins – fremdes Brot ißt, gibt's keine Freiheit.
Rosl
Ist ja – Elternbrot.
Hubert
Mitunter das bitterste.
Rosl gütig verweisend
Versündig' dich nicht!
Hubert nach einer Pause
Und soll ich dir noch ein Gleichnis geben, daß ich nicht frei bin?
Rosl
Findest ja immer einen Schatten in allem!
Hubert
Wie ist doch das Lied gegangen? »Doch heute nacht, da träumte mir –«
Rosl
Ach, laß das töricht Lied sein!
Die letzte Strophe, wie ging sie?
Rosl nach einigem Zögern
Der war kein loser Schmetterling –
Hubert
Der nur so naschen wollte. Weiter!
Rosl
Und als er ging, da hing ein Ring
Am Finger mir geringem Ding.
Der war von eitel Golde.
Hubert sehr verhalten
Wenn ich der stolze Bub schon wär', Rosl, auf den – Ring müßtest wohl lang noch warten.
Rosl errötend
Wer denkt denn daran bei uns zweien?
Hubert
Warum sollte – ich nicht daran denken?
Rosl ohne ihn anzusehen
Muß jetzt in die Küche.
Hubert
Du wärest schon eine, in der man – ruhen könnte ...
Er reicht ihr die Hand hin, die sie ergreift. Nach einigen Augenblicken, während derer sie mehr als die Hand erwartet hat, macht sie sich plötzlich los und läuft zur Tür. Dort wirft sie noch einen Blick zurück und verschwindet mit einem leisen, dunklen Lachen. Hubert schüttelt den Kopf und geht dann zögernd, als erwarte er, daß sie wiederkommen könnte, rechts ab.
Die Bühne bleibt einige Augenblicke leer. Man hört noch immer ferne und fernste Glocken, die allmählich verstummen. Amselschlagen durch die Stille. Dann sich nähernde Schritte und Stimmen von draußen her.
Doktor Fallmer und Professor Wohlgemut kommen durch den Garten.
Remigius mit gedämpftem Enthusiasmus
Das war ein schöner Gang heute. Aber müde bin ich geworden, rechtschaffen müde. Lächelnd Das sind eben doch schon die Jahre. Er kommt nach vorne links und läßt sich auf dem Sofa nieder. Sein Gesicht trägt bei aller Müdigkeit den Ausdruck einer stillen, in sich gekehrten Seligkeit.
Vater mit gütigem Anteil
Wird eher der Südwind sein als das knappe Jahrzehnt, um das du mir vor bist.
Remigius
Mir sind, bei aller Lebendigkeit der Sinne, die Glieder wie trunken schwer.
Vater
Ist auch eine Trunkenheit, wirkt nur verschieden. Dich schlägt sie ab und mir tief aufatmend und sich mächtig dehnend strömt es wie heißer Wein durch Adern und Nerven! – Wenn ich ein Dichter wäre, meine höchsten Schöpferaugenblicke, die hätt' ich bei Föhnwind sicherlich. Er geht ein paarmal, mit sich beschäftigt, auf und ab.
Remigius der ihn angesehen und unruhig geworden
Du Vinzenz, was ich sagen wollte –
Vater in sich hinein, abwesend
Nun?
Remigius behutsam
Was wir gestern mitsammen gesprochen haben, das hast du doch nicht vergessen, nicht wahr?
Vater immer noch wie oben
Wir haben gestern vielerlei miteinander besprochen.
Remigius
Am meisten aber, was Hubert betraf –
Vater aufhorchend
Seine Berufswahl – ?
Remigius
Ihre Verschiebung auf den Herbst –
Vater ihn mit einem kurzen, prüfenden Blick streifend
Sonderbar.
Das hast du mir doch zugesagt, nicht wahr?
Vater ihn voll ansehend
Remigius, war zwischen uns bisher nicht immer die Rede: ja, ja und nein, nein? Ist nicht, was darüber ist, vom Bösen?
Remigius unsicher lächelnd
Bin ich eine Judasnatur, Vinzenz?
Vater
Eben nicht. Ich fürchte bloß, man hat dir etwas eingeblasen. Ein gewisses Weib steckt da dahinter.
Remigius freimütig und sicher
Ein gewisses? Das verstehe ich nicht. Deine Frau ist allerdings in dieser Sache mit mir eines Sinnes. Was ist dabei?
Vater
Dacht' ich es doch! In sich arbeitend, erregt Da muß ich freilich meine Zusage von gestern zurücknehmen. Ich hatte geglaubt, sie dir zu geben, und gab sie einer andern, Error in persona – das Geschäft ist ungültig. Da Remigius erwidern will Laß gut sein! Ich weiß, was ich sage! Immer erregter Es wollen Mächte ans Werk, denen ich um jeden Preis zuvorkommen muß.
Kannst du die Mutter in so wichtigen Dingen ausschalten?
Vater
Darum handelt es sich nicht, Remigius! Hier gilt es nicht bloß, ob Doktor oder Seifensieder, sondern ob mein Leben Sinn gewesen ist oder Unsinn.
Remigius
Das kann doch die Frage nicht sein.
Vater immer erregter
Es ist die Frage! Denn uns, die wir nicht in Werken dauern, bleibt nur: das Auge zu vererben, das uns die Herrlichkeit der Welt erbaut hat. Sie soll mir nicht in Trümmer gehen, wenn ich das meine schließe. Ich war nicht erpicht darauf, dies heute oder morgen aufzurühren; jetzt aber bin ich erpicht darauf!
Remigius einem ihm Unverständlichen gegenüber, beklommen
Nun kann ich mir schon denken, wie das ist, wenn du's wie heißen Wein in Nerven und Adern hast.
Vater schwer, wund
Und möchte doch auch lieber einmal müde sein und freundlich entspannt. Aber bei mir heißt es immer: auf Horchposten stehen, Flinte im Arm, die Finger am Schloß vom Gewehr... Wie Gott will.
Die Mutter tritt von links auf.
Remigius sich erhebend Schönen guten Abend, gnädige Frau!
Mutter hausfraulich angeregt
Da seid ihr ja endlich! Da kann also endlich aufgetragen werden! Zur Tür hinaus Rosl! Hubert!
Remigius um gute Stimmung sich bemühend
Wir haben heute einen ganz einzig-schönen Spaziergang erlebt.
Mutter unterm letzten Ordnen des Tisches
Und zumeist gelesen dabei, nicht wahr?
Remigius förmlich entschuldigend
Bisweilen allerdings. Die Landschaft war heute wieder einmal so klassisch, so italisch, daß es unsereinem schwer gefallen wäre, die Oden des Horaz, die man ja sowieso immer bei sich trägt, nicht aufzuschlagen.
Vater mit verständnisinniger Betonung zu Remigius
Vides, ut alta stet nive candidum Sorakte ...?
Ja, ja, das war besonders überwältigend: urplötzlich, an einer Straßenbiegung, ganz fern am Wellenrand des Rebenlandes, die Berge im Schnee!
Mutter
Und die Nase im Buch! Setzt sich links zum Tisch.
Vater
Man soll vom Dornenstrauch nicht Feigen ernten wollen, Remigius! Rechts zum Tisch.
Remigius macht eine verlegen begütigende Geste und nimmt vorne Platz.
Hubert von rechts; Rosl von links, das Essen auftragend.
Hubert
Guten Abend!
Vater aufleuchtend
Guten Abend, Hubert!
Remigius
Nun, wie waren die ersten Züge aus dem Becher der Freiheit, junger Maturus?
Hubert
Eigentlich ein wenig enttäuschend, guter Onkel. Setzt sich rückwärts zum Tisch.
Katzenjammer des Glückes!
Vater freundlich, aufgeräumt
Das hat er von mir! Erst alle Kraft und Sehnsucht aufs Ziel gerichtet und dann, ist's erreicht, die Empfindung: ein Neues, ein Eigentliches müsse beginnen. Und das ist gut so, bewahrt die Seele vor Schläfrigkeit.
Mutter
Eine unglückselige Veranlagung, die ich meinem Kinde nicht wünschen möchte.
Remigius
Ich kann da nicht mitreden. In meinem Leben hat es keine eigentlichen Abschnitte gegeben. Manches war schwer, das andere leichter. Doch eins ist ins andere hinübergeglitten. Ich hab's kaum bemerkt, und eines Tages war ich ein alter Mann.
Vater
So ist es freilich vielleicht am schönsten.
Mutter
Wie man's nimmt, und nicht für jeden! Du hättest es so nicht ausgehalten.
Vater vor sich hin, geringschätzig
Was weißt du davon?
Von dir weiß ich ein Lied zu singen.
Vater mit sarkastischem Humor
Laß es ungesungen, du Traute. Im übrigen schlage ich vor, uns einmal ganz ohne persönliche Apostrophen zu unterhalten!
Remigius froh und befreit
Darauf erhebe ich mein Glas!
Vater mit dem Willen zur Unbefangenheit
Nein, Alter! Das erste Glas, das wir heute trinken, das gelte der Jugend und ihrer Zukunft! Schenk dir ein, Hubert!
Mutter
Das ist einmal ein Wort, da halte ich mit!
Vater
Gestern, da wir gerne mit dir angestoßen hätten, bist du uns durchgebrannt zu deiner Kneipe! So holen wir's heute nach – um so freudiger!
Hubert hat sich erhoben und steht, das Glas in der Hand, unschlüssig, mit wem er zuerst anstoßen soll.
Remigius die Situation erfassend
Vivas, crescas, floreas – vom ganzen Herzen!
Stoß nur beruhigt zuerst mit mir an! Glück auf den Weg!
Hubert unsicher, befangen
Wer den nur wüßte, Vater!
Mutter ostentativ, anklingend
Dazu hast du ja eine Mutter, damit sie dir ihn zeige!
Vater stellt das Glas hart auf den Tisch
Die Arena ist geöffnet, das Spiel kann beginnen. Ave Caesar!
Remigius fast flehentlich, leise
Vinzenz!
Vater zurückgelehnt, mit grimmigem Behagen
Warum siehst du mich denn so aufgescheucht an, Und du, liebe Frau, was spießest du denn den armen Philologen auf deine schönen Glutblicke?
Mutter in Wut und Verwirrung
Ich will nicht, daß die Frage der Berufswahl –
Vater
Bravissimo! Das Kampfziel ist genannt, die Gegner treten in die Schranken! Aug' in Aug', so lieb' ich es!
Mutter in ohnmächtiger Erregung
Ich will aber nicht, ich, die Mutter!
Vater unausweichlich
Und ich, der Vater, will !!
Hubert innerlich bebend
Warum du dich so sehr dagegen sträubst, Mutter! Einmal muß es ja doch besprochen werden.
Mutter mit der Furiosität der Schwäche
Gut! Auch gut!
Remigius mit vor Erregung fast versagender, begütigender Stimme
Ich glaube, liebe Freunde, daß sich diese Frage ganz sine ira et studio lösen läßt –!
Vater
Ließe!
Remigius schon sicherer
Verzeiht mir, ich meine nämlich ganz bescheiden: das erste Wort hat da weder Vater noch Mutter, sondern jener, um dessen Wohl und Wehe es doch einzig geht!
Vater
Angenommen! Hubert hat das erste Wort!
Aber sprich so, wie es dir ums Herz ist! Deine Mutter steht dir zur Seite!
Vater wetterleuchtend
Hubert hat das Wort!
Hubert über alle hinweg ins Leere, leidend
Könnt ihr denn nicht – gut sein zueinander?
Vater aufzuckend, zutiefst erschüttert
Hast du es gehört, Remigius?
Remigius nach einer Pause allgemeiner seelischer Betretenheit, mit großer Güte
Ich will dir helfen, Hubert!
Hubert wie oben
Jetzt kann mir niemand helfen, guter Onkel.
Remigius
So sprich jetzt, Hubert, frei aus dir heraus! Denk gar nicht daran, daß wir dir zuhören! Als wenn du zu dir selbst redetest, sprich!
Vater auch mit ermunternder Milde, gedämpft
Ja Hubert! Hör auf ihn! Dein Freund ist er nicht weniger als der meine! – Wovor bangt dir denn, Kind? Hab' ich dich jemals gebogen? Hab' ich dich nicht wachsen lassen, wie es kam? Oder hab' ich jemals ein Wort zu dir gesprochen von dem, was ich wünschte, daß aus dir würde?
Hubert gequält, mit unwillkürlicher Betonung
Du nicht, Vater!
Mutter eifrig
Und ich, wenn ich es getan habe, so war es nur, damit du nicht wider deinen Willen in eine Bahn gedrängt wirst –
Vater aufblitzend
Von wem?
Mutter
Von dir! Von wem sonst?
Vater eisern
Schön! Wenn du so anfängst, werde ich das Verfahren abkürzen!
Mutter wild
Jetzt nimm dich in acht, Hubert!
Vater aufbrausend
Warnst du ihn vor seinem eigenen Vater?!
Mutter voll Haß
Du bist nicht wie ein Vater zu ihm!
Weib!!
Remigius beschwörend
Sei ein Römer, Vinzenz! Was tat Lucius Ämilianus, als sie im Senat über ihn herfielen mit falscher Anklage?
Vater vor Kraft der Beherrschung bebend
Lucius Ämilianus – schwieg. Aber in den Falten seiner Toga brach er mit seiner Rechten die Finger seiner Linken aus dem Gelenk.
Remigius leise
Und schrie er in seinem Schmerz?
Vater vor Beherrschung bebend
Lucius Ämilianus – schrie nicht. – Auch ich schreie nicht mehr, Remigius. Die beiden Freunde wechseln einen stummen Blick tiefsten seelischen Einverstehens.
Bange Pause.
Hubert der sich mühsam erhoben hat, mit verstörtem Entschluß
Vater und Mutter – ich will nicht, daß ihr euch länger um meinetwillen quält. Ein ganzes Leben lang war ich zwischen euch der Zankapfel. Glaubt ihr, daß das meine Kindheit verschönt hat?
Sprich weiter, Hubert!
Mutter blickt beschämt, gefoltert, stumm vor sich hin.
Hubert sich immer mehr fassend
Wäre ich stark, Vater, wäre mir – Freude mitgegeben, vielleicht – ich weiß es ja nicht – vielleicht könnte ich dann ein Leben ganz aus eigenem beginnen.
Vater tief, behutsam grollend
Woher hast du es denn, daß du nicht stark und freudig bist, Hubert?
Hubert darüber hinweg
Aber so! – Irgendwas ist nicht ganz heil mehr in mir. Ist es der Wille? Oder überhaupt die Kraft, von selbst irgendwie hinaufzukommen? Ich weiß es nicht.
Vater mit beginnender Gegensätzlichkeit Was soll das heißen?
Hubert
Es ziemt mir ja nicht, mit euch zu rechten, Vater und Mutter, aber es ist schon so geworden mit mir, wie ich sage. Ich kann nicht mehr aus mir allein –
Was kannst du nicht mehr?
Hubert
Beruhige dich, Mutter! Sei doch ruhig, Mutter! Ich meine ja nur: ich kann nicht aus mir allein, ohne eine Hilfe von zu Hause, draußen in der Welt –
Vater tief
Hast du denn kein Vaterhaus, Hubert?
Hubert
Ein Vaterhaus gewiß – Rein wörtlich genommen, ein Haus, in dem mein Vater und meine Mutter wohnen – Ein Haus gewiß, in dem ich – Kind war und Knabe und –
Vater schmerzvoll
Aus dem es dich aber hinausdrängt – in die Welt!
Hubert sehr behutsam
Nicht so sehr in die Welt –
Vater
Nur fort, nur hinaus aus dieser Hölle!
Mutter
Wer hat denn dieses Haus zur Hölle gemacht? Wer?!
Vater tieferschüttert
Hörst du, Remigius, lieber vielleicht zugrunde gehn draußen irgendwo, als –
Mutter streitbar auf Huberts Seite
Er wird nicht zugrunde gehn! Solange ich lebe, nicht!
Hubert
Nein, Vater, ich glaube auch, ich würde nicht zugrunde gehn, wenn ich nur von euch nicht ganz verlassen würde –
Vater überlegen
Ach so! Jetzt versteh' ich! Hart Hat dir das deine Mutter eingeflüstert?
Hubert erschrocken sich verwahrend
O nein! Es ist mein eigener ...!
Vater jäh
Oder Rabansers Gespinst?!
Hubert
Mein eigener Gedanke!
Mutter
Den ich unterstützen werde mit allen meinen Mitteln!
Vater höhnisch
Deinen Mitteln?
Mutter mit Triumph
Das Vermögen gehört mir!
Das Heiratsgut eignet dem Manne! Darüber verfüge ich!
Mutter furios
Du?! Nicht einen Kreuzer hast du besessen! Folglich –!
Vater in letzter Beherrschung
Folglich?! – Hörst du, Remigius?!
Remigius in die Erregung mitgerissen
Das ist doch jetzt nicht die Frage!
Mutter ihn anfahrend
Wohl ist es die Frage! Ich werde doch von meinem Gelde mein Kind unterstützen dürfen!
Hubert dringend
Es braucht ja nur ganz wenig zu sein, was du mir gibst, Vater. Ich will ja meinetwegen hungern im Anfang.
Vater
Wenig oder viel! Und wenn ich dir den ganzen Bettel in dein Bündel packe! Was aber dann? Was willst du damit anfangen?
Mutter
Das ist seine Sache!
Vater mächtig
Es ist die meine!! – Nein, nein, nein, nein! So kommen wir nicht zum Ziel! Masken ab! Wahrheit! Sich mit höchster Anstrengung fassend Hubert! Hör mich an! Wir zwei sprechen jetzt miteinander! Wir zwei! Niemand dritter! Du und ich! Mensch zu Mensch, Freund zu Freund! Weihe mich doch ein in deine Pläne! Verstehst du mich?
Hubert paralysiert
Ja, Vater!
Vater darüber hinweg
Weihe mich doch ein in deine Pläne! Irgend etwas muß dir doch vorschweben, irgendwas! Sonst kommt man doch nicht daher und kündigt einem sozusagen die Hausgenossenschaft, wie einem Aftermieter, wie einem Dienstboten! Das haben – wir beide nicht verdient um dich! Macht eine abwehrende Geste Ich weiß ja, daß du es nicht so gemeint hast, aber immerhin! Mach mir doch einen brauchbaren Vorschlag, irgendeinen! Ich will ihn prüfen, dir raten und helfen! Und noch eins! Ich will auch meine Träume zum alten Eisen werfen! Um meine Träume handelt es sich ja nicht – die sind ja verblasen, wenn ich die Augen schließe, aber du! Du mußt ja dann noch leben! Also, was willst du denn eigentlich? Bloß von zu Hause fort – ich begreife es ja – aber das ist doch kein Ziel, kein Beruf, kein Gedanke!
Hubert verloren
Vater, ich –
Vater in vollem Sturm echter Vaterinbrunst
Gut, gut, gut! Laß gut sein! Du bist jetzt befangen, das läßt sich ja denken! Vom Gaukelspiel der Möglichkeiten bis zum festumrissenen Plane, der Weg ist weit; wir wollen ihn Schritt für Schritt miteinander gehn! Also! Zunächst was du nicht willst! Zum Beispiel dein Geld in die Bank legen und von den Zinsen leben – das willst du doch sicher nicht, dazu bist du zu fleißig, zu tätig! Auch trüg' es zu wenig! So willst du vielleicht nebstbei Stunden geben und einen Beruf ergreifen, irgendeinen, von dem du glaubst, daß ich dawider wäre! Du irrst, Hubert, du kennst deinen Vater nicht! Alle vier Fakultäten stelle ich dir frei!
Mutter wild
Merkst du schon, wo das hinauswill, Hubert?! Ins brotlose Büffeln, bis deine Jugend dahin ist!
Vater zur Mutter
Apage Satanas! – Hubert, mein Kind, mein Sohn! Du brauchst auch meinetwegen nicht zu studieren! Obwohl –! Aber nein, nein, nein! Ich und meine Träume kommen nicht in Betracht! Es gibt ja auch noch andere Berufe, bei denen man ein gebildeter Mensch sein kann! Allerdings nur so nebenbei, in jenen gewissen Pausen, die freilich fast niemals kommen! Wähle in Gottes Namen einen solchen Beruf! Aber du, aus eigenem heraus, wähle! – Gut, auch das nicht! So fühlst du vielleicht irgendeine Sendung in dir: zum Maler, zum Musiker, zum Dichter! Das wäre ja ein großes Glück, ein Stolz, ein Emporstieg! Habe freilich an dir dergleichen noch nicht bemerkt! Kann mir aber entgangen sein, aus eigener Schuld! Was wissen wir schließlich von unseren Kindern?! Oder du hast es mit Absicht verborgen, hast dich dessen geschämt vor mir! Das gibt es ja, wäre begreifliche Keuschheit! Ist es also das? Planst du dergleichen?
Hubert in verzweifelter Dumpfheit
Ich plane nichts mehr, Vater! Du kannst mit mir machen, was du willst.
Mutter wild, empört
Wirfst du die Flinte ins Korn, Hubert?!
Vater seinen zunehmenden Widerwillen noch unterdrückend
Ich habe das nicht gehört! Ich will es nicht gehört haben, Hubert! Gott behüte mich, daß ich aus dir mache, was ich will! Dein Leben sollst du leben, nicht das meine! Laß dir das gesagt sein! Oder hast du mich je anders kennengelernt?! Mit wachsender Bitterkeit Daß ich Leute nicht liebe, die sich im Perzentrechnen besser auskennen als im Schiller und Goethe, das ist eine Marotte von mir altem und altmodischem Manne! Ich lasse sie niemand entgelten! Immer grimmiger Daß ich Menschen von Geist und Kultur vorziehe dem Gelichter, das stumpf von der Hand in den Mund, von Geschäft zu Geschäft lebt, das wirst du mir doch nicht verübeln! Daß ich vererben möchte an einen, der meine Sprache spricht, was ich erlernt, erfahren, erlitten – das sind doch nur so Gedanken! Die kannst du mir doch nicht verbieten! Ich würg' sie ja ohnehin nieder! Oder hab' ich dich je mit ihnen beeinflußt, geknechtet, geknebelt?! So wirst du doch hoffentlich frei sein in deinen Entschlüssen! Kannst ehrlich sagen, was immer du planst, möchtest und vorhast? Nur sag es, um Gottes Willen, sag es endlich!
Hubert aufklagend aus höchster Not
Vater, ich kann es nicht sagen! – Ich weiß nichts! Zerbrochen, ohne Sinn und Gedanken – ein Nichts!!
Vater aufflammend
So?! Ein Nichts bist du?! Woher bist du denn das?! Von wannen kommt dir denn dieses Nichtssein?! Hast du's gehört, Remigius?! Als ein Nichts bekennt er sich! Entfesselt Wer unterfängt sich, meinen Sohn ein Nichts zu schmähen?! Nicht einmal meinem Sohne gestatte ich das! Verstehst du?! Mein Fleisch und Blut, das lass' ich mir nicht beschimpfen! Von niemandem! Auch von dir nicht! Oder du bist nicht mein Fleisch und Blut!
Mutter stößt einen erstickten Schrei der Wut aus, ringt nach Luft
Hubert schreit auf
Vater!
Remigius totenbleich
Vinzenz, um Gottes Barmherzigkeit willen!
Vater über sie hinweg, in der Ekstase der Qual, gewaltig
Wer hat mir mein Blut verseucht, den Samen meiner Lenden verdorben, daß er ein Nichts wurde, da er aufging?!
Mutter in Raserei
Er ist wahnsinnig geworden!
Vater immer gesteigerter
Männer waren meine Väter hinauf bis ins zehnte Glied! Weiber meine Mütter, geduldig, sicher und stark! Wer hat mir mein Blut verseucht, den Samen meiner Lenden verdorben?!
Mutter ihn übertönend
Wer hat dieses Kind gewollt?! Nicht ich war es, du!!
Vater
Sie lügt! Sei du jetzt mein Zeuge, Herr Gott! Sie lügt! Als sie zum Ekel sich ward in ihrer trostlosen Leerheit, zu mir bettelte sie: Ein Kind will mein Schoß jetzt, ein Kind! Als Füllsel für ihre Leere! Nicht ich hab's gewollt! Aus der Ekstase des Schmerzes zu irdischer Wut erwachend auf Hubert zu Und jetzt ein Nichts?!! Dein Gesicht sieht in die Sippschaft deiner Mutter! – Geh fort, du Mensch, du Nichts von einem Menschen!
Hubert in lebloser Erstarrung zurückgewichen, von Remigius schützend umfangen, hinaus auf die Veranda, wo man ihn sich losreißen und davonstürzen sieht.
Remigius' Stimme von der Veranda
Du bist fürchterlich, Vinzenz! Furchtbar bist du! Auch er verschwindet.
Vater währenddessen, heiser
Jetzt nur du und ich! Jetzt die Abrechnung!
Mutter wild, bewegt J
a, abrechnen wir zwei – endlich!
Vater
Für ein ganzes, langes, verstümmeltes Leben!
Im Augenblick, da sie sich Aug' in Aug' einander zuwenden, fällt der