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Zweiter Akt

Konferenzzimmer im kaiserlichen Schloß.

Tisch mit einem Thronsessel für den Zaren. Im Hintergrund ein Fenster, das auf einen Balkon führt. Die draußen herrschende Dunkelheit nimmt im Verlauf der Szene zu.

Fürst Petrowitsch: Unserem jungen, flatterhaften Zarewitsch ist also doch verziehen worden, und er soll seinen Platz hier wieder einnehmen?

Fürst Paul: Ja – sofern dies nicht eine Extrastrafe sein soll. Ich für meinen Teil finde wenigstens, daß einen diese Ministerratssitzungen unerhört erschöpfen.

Fürst Petrowitsch: Selbstverständlich – wenn Sie fortwährend das Wort führen.

Fürst Paul: Nein, weil ich hier und da auch zuhören muß.

Graf Ruvaloff: Immerhin ist das alles besser als sozusagen im Gefängnis zu sitzen, wie es der Zarewitsch mußte – als nie in die Welt gehen zu dürfen.

Fürst Paul: Mein lieber Graf, für romantisch angelegte junge Leute, wie ihn, sieht sich die Welt immer am besten aus der Entfernung an – und ein Gefängnis, in dem einem gestattet ist, sich seine eigenen Mahlzeiten zu bestellen, ist noch lange kein so schlimmer Aufenthalt. ( Der Zarewitsch tritt ein. Die Hofherren erheben sich.) Ah, guten Tag, mein Prinz! Hoheit sehen heute ein bißchen blaß aus.

Zarewitsch ( langsam, nach einer Pause): Ich hätte Luftveränderung nötig.

Fürst Paul ( lächelnd): Ein höchst revolutionärer Gedanke! Seine Majestät, Ihr Herr Vater, wäre jeder Reform des Thermometers höchst abgeneigt, soweit Rußland in Frage kommt.

Zarewitsch ( bitter): Mein Vater hat mich sechs Monate in dieses Schloß wie in einen Kerker eingesperrt. Heute morgen ließ er mich plötzlich wecken und mitansehen, wie einige elende Nihilisten gehängt wurden. Mir ist bei der blutigen Schlächterei übel geworden – wenn es auch erhebend war, zu sehen, wie ruhig diese Menschen zu sterben wissen.

Fürst Paul: Wenn Sie erst so alt sind wie ich, Prinz, so werden Sie verstehen, daß es kaum etwas Leichteres gibt, als wild zu leben und ruhig zu sterben.

Zarewitsch: Leicht, ruhig zu sterben! Die Erfahrung kann Sie das nicht gelehrt haben, soviel Sie auch sonst von einem wilden Leben verstehen mögen.

Fürst Paul ( die Achseln zuckend): Erfahrung – den Namen geben die Menschen ihren Torheiten. Ich begehe keine.

Zarewitsch ( bitter): Nein, Laster liegen mehr auf Ihrem Wege.

Fürst Petrowitsch ( zum Zarewitsch): Der Kaiser war gestern Nacht über Ihr spätes Erscheinen auf dem Ball sehr aufgebracht, mein Prinz.

Graf Ruvaloff ( lachend): Mir scheint, er hatte Angst, die Nihilisten wären ins Schloß gedrungen und hätten Sie entführt.

Baron Raff: Wäre es dazu gekommen, so hätten Sie einen entzückenden Ball versäumt.

Fürst Paul: Und ein großartiges Souper. Gringoire hat sich mit seinem Salat wirklich selbst übertroffen. Ja, lachen Sie nur, Baron – aber Salat richtig anzumachen, ist bedeutend schwerer, als Berichte zusammenzubrauen. Salat richtig anmachen, heißt ein brillanter Diplomat sein. Das Problem ist in beiden Fällen vollständig dasselbe: man muß verstehen, wieviel Öl man in den Essig tun soll.

Baron Raff: Koch und Diplomat! Eine wundervolle Parallele. Hätte ich einen Narren zum Sohn, ich würde ihn entweder das eine oder das andere werden lassen.

Fürst Paul: Wie ich sehe, hatte Ihr Papa nicht dieselbe Ansicht. Aber, glauben Sie mir, Sie setzen die Kochkunst zu Unrecht herab. Ich wünsche mir nur eine Unsterblichkeit: eine neue Sauce zu erfinden. Ich habe allerdings nie Zeit genug gehabt, darüber ernstlich nachzudenken, aber ich fühle, ich habe das Zeug dazu – ich habe das Zeug dazu.

Zarewitsch: Sie haben sicher Ihren Beruf verfehlt, Fürst Paul; der cordon bleu hätte viel besser zu Ihnen gepaßt als das große Verdienstkreuz. Aber Sie wissen ja auch, daß Sie die weiße Schürze nicht gut hätten tragen können – Sie hätten sie zu schnell beschmutzt, denn Ihre Hände sind nicht rein genug.

Fürst Paul ( sich verneigend): Que voulez-vous? Es sind die Geschäfte Ihres Vaters, die ich leite.

Zarewitsch ( bitter): Sie verleiten meinen Vater zu seinen Geschäften – wollen Sie wohl sagen, Sie, der böse Geist seines Lebens! Bevor Sie kamen, war noch etwas Liebe in ihm. Sie aber haben seine Natur verbittert, haben ihm das Gift verräterischen Rates ins Ohr geträufelt, haben ihn bei seinem ganzen Volke verhaßt und zu dem gemacht, was er jetzt ist – zum Tyrannen! ( Die Höflinge blicken einander bedeutungsvoll an.)

Fürst Paul ( ruhig): Ich sehe, Hoheit haben Luftveränderung nötig. Auch ich bin übrigens einmal ältester Sohn gewesen. ( Zündet eine Zigarette an.) Ich weiß daher, was es heißt, wenn ein Vater einem nicht den Gefallen tut, zu sterben. ( Der Zarewitsch geht zum Hintergrund der Bühne, lehnt sich gegen das Fenster und blickt hinaus.)

Fürst Petrowitsch ( zu Baron Raff): Toller Bursche! Er wird noch verbannt werden, oder es wird ihm noch schlimmer gehen, wenn er sich nicht zusammennimmt.

Baron Raff: So ist's. Wie unklug, aufrichtig zu sein.

Fürst Petrowitsch: Wohl die einzige Torheit, die Sie nie begangen haben, Baron.

Baron Raff: Sie wissen, Fürst, der Mensch hat nur einen Kopf.

Fürst Paul: Ihr Kopf, mein lieber Baron, wäre das letzte, was Ihnen jemand nehmen möchte. ( Zieht eine Schnupftabaksdose und bietet sie dem Fürsten Petrowitsch an.)

Fürst Petrowitsch: Danke, Fürst, danke!

Fürst Paul: Sehr fein, nicht? Ich beziehe ihn direkt aus Paris. Aber in dieser pöbelhaften Republik ist alles verkommen. » Cotelettes à l'impériale« – mit den Bourbonen natürlich verschwunden, und Omeletten sind mit den Orleans dahin. La belle France ist vollständig ruiniert, Fürst – durch schlechte Manieren und noch schlechtere Küche. ( Marquis de Poivrard tritt auf.) Ah, Marquis! Ich hoffe, Madame la Marquise ist wohlauf.

Marquis de Poivrard: Sie müssen das besser wissen als ich, Fürst Paul. Sie bekommen mehr von ihr zu sehen.

Fürst Paul ( mit einer Verbeugung): Vielleicht sehe ich mehr in ihr, Marquis. Ihre Gemahlin ist in der Tat eine entzückende Frau, voll Esprit und Satire. Sie spricht ununterbrochen von Ihnen, wenn ich ihr Gesellschaft leiste.

Fürst Petrowitsch ( auf die Uhr sehend): Seine Majestät hat sich heute etwas verspätet – nicht wahr?

Fürst Paul: Was ist Ihnen passiert, mein lieber Petrowitsch? Sie scheinen ja ganz verstimmt. Sie haben sich doch hoffentlich nicht mit Ihrem Koch gezankt? Das wäre die reine Tragödie für Sie. Alle Ihre Freunde würden Ihnen davonlaufen.

Fürst Petrowitsch: Ich fürchte, so glücklich wäre ich nicht. Sie vergessen, daß mir dann noch immer meine Börse bliebe, sie wiederzuholen. Aber diesmal sind Sie im Irrtum. Mein Koch und ich stehen ausgezeichnet miteinander.

Fürst Paul: Dann haben Sie entweder von Ihren Gläubigern oder von Mademoiselle Vera Saburoff einen Brief erhalten. Ich verehre beide Teile als ausgezeichnete Schriftsteller. Aber Sie brauchen sich ganz und gar nicht aufzuregen. Ich finde die bedrohlichsten Proklamationen des Exekutivkomitees, wie es sich nennt, an allen Ecken und Enden meines Hauses. Ich lese sie gar nicht mehr – sie sind in der Regel so voller Orthographiefehler.

Fürst Petrowitsch: Wieder daneben geschossen – die Nihilisten lassen mich aus – Gott weiß – welchem Grunde ungeschoren.

Fürst Paul ( beiseite): Ja, richtig. Ich vergaß, daß sich die Welt an Mittelmäßigkeit durch Mißachtung rächt.

Fürst Petrowitsch: Ich hab' das Leben satt, Fürst. Seitdem die Opernsaison vorbei ist, bin ich zum Märtyrer der Langeweile geworden.

Fürst Paul: La maladie du siècle! Sie brauchen neue Anregung, Fürst. Einen Augenblick – Sie waren schon zweimal verheiratet; vielleicht versuchen Sie es einmal damit – sich zu verlieben.

Baron Raff: Fürst, ich habe in letzter Zeit ernst darüber nachgedacht –

Fürst Paul ( ihn unterbrechend): Sie überraschen mich ganz außerordentlich, Baron.

Baron Raff: Ich kenne mich in Ihrem Charakter nicht aus.

Fürst Paul ( lächelnd): Wenn mein Charakter derart angelegt wäre, daß er Ihrem Fassungsvermögen mehr entspräche als meinen eigenen Anforderungen – ich fürchte, ich hätte der Welt gegenüber eine sehr traurige Figur abgegeben.

Graf Ruvaloff: Es scheint im Leben nichts zu geben, worüber Sie nicht spotten.

Fürst Paul: Mein lieber Graf, das Leben ist eine viel zu wichtige Sache, als daß man sich ernsthaft darüber unterhalten könnte.

Zarewitsch ( vom Fenster zurückkehrend): Ich glaubte nicht, daß der Charakter des Fürsten Paul ein solches Mysterium ist. Er würde seinen besten Freund kaltmachen, um ihm ein Epigramm auf den Grabstein zu setzen oder um eine neue Sensation kennenzulernen.

Fürst Paul: Parbleu! Ich möchte lieber meinen besten Freund als meinen ärgsten Feind verlieren. Um Freunde zu haben, braucht man bekanntlich nur ein bon homme zu sein; wenn aber jemand keinen Feind mehr hat, so muß etwas Gemeines an ihm sein.

Zarewitsch ( bitter): Wenn der Besitz an Feinden ein Maßstab für Größe ist, dann müssen Sie in der Tat ein Gigant sein, Fürst.

Fürst Paul: Jawohl, ich weiß, daß ich der bestgehaßte Mensch in Rußland bin – Ihren Vater ausgenommen, Ihren Vater allerdings ausgenommen, Prinz. Er übrigens scheint davon nicht sehr erbaut zu sein, ich bin es aber – das kann ich Ihnen versichern. ( Bitter): Ich liebe es, durch die Straßen zu fahren und zu sehen, wie mich die Canaillen aus jedem Winkel finster anstarren. Es weckt in mir das Gefühl, daß ich eine Macht in Rußland bin – ein Mensch gegen hundert Millionen! Außerdem habe ich nicht den Ehrgeiz, den beliebten Volksmann zu spielen – ein Jahr lang mit Lorbeer bekränzt und dann mit Steinen beworfen zu werden. Ich ziehe einen ruhigen Tod im eigenen Bette vor.

Zarewitsch: Und was kommt nach dem Tod?

Fürst Paul ( mit den Achseln zuckend): Der Himmel ist eine Despotie. Da bin ich zu Hause.

Zarewitsch: Denken Sie niemals an das Volk und seine Rechte?

Fürst Paul: Das Volk mitsamt seinen Rechten ennuyiert mich. Mir ekelt vor beiden. In unserer modernen Zeit braucht man nur pöbelhaft, ungebildet, gemein und verkommen zu sein – das scheint einem Menschen eine Unmenge Rechte zu verleihen, von denen sich sein verehrlicher Vater nie etwas hat träumen lassen. Glauben Sie mir, Prinz – in einer echten Demokratie sollte jeder – Aristokrat sein. Aber unser russisches Volk, das uns loszuwerden sucht, ist nicht besser als die Tiere im Wildpark, und die Mehrzahl ist nur zum Niederschießen da.

Zarewitsch ( erregt): Wenn es gemein, ungebildet und verkommen – wenn es nicht besser als das Vieh auf der Weide ist, wer hat es dazu gemacht? ( Ein Adjutant erscheint.)

Der Adjutant: Seine kaiserliche Hoheit, der Zar. ( Fürst Paul blickt lächelnd den Zarewitsch an. Der Zar erscheint, von seiner Garde umgeben.)

Zarewitsch ( eilt rasch auf ihn zu): Sire!

Zar ( nervös erschreckend): Komm mir nicht zu nahe, Junge. Komm mir nicht so nahe, sag' ich. Ein Thronfolger hat immer etwas Unerquickliches für seinen Vater. Wer ist das da drüben? Ich kenne den Mann nicht. Was treibt er? Ist's ein Verschwörer? Habt ihr ihn durchsucht? Gebt ihm bis morgen Zeit zum Geständnis – dann zum Galgen mit ihm! – Zum Galgen!

Fürst Paul: Sire, Sie eilen dem Gang der Ereignisse voraus! Es ist Graf Petuchoff, Ihr neuer Gesandter in Berlin. Er hat sich gemeldet, um den Handkuß für seine Ernennung zu leisten.

Zar: Um mir die Hand zu küssen? Dahinter steckt ein Komplott. Er will mich vergiften. Küßt meinem Sohn die Hand – das erfüllt ganz den gleichen Zweck. ( Fürst Paul gibt dem Grafen Petuchoff ein Zeichen, den Saal zu verlassen. Petuchoff und die Garde ab. Der Zar läßt sich in seinen Sessel fallen. Die Hofherren verharren in Schweigen.)

Fürst Paul ( nähertretend): Sire! Geruhen Eure Majestät –

Zar: Warum erschreckt Ihr mich so? Nein, ich geruhe nicht. ( Beobachtet nervös die Höflinge.) Warum rasselt ihr mit eurem Schwert? ( Zum Grafen Ruvaloff): Legt es ab. Ich will nicht, daß irgend jemand in meiner Gegenwart ein Schwert trage – ( den Zarewitsch beobachtend), am allerwenigsten mein Sohn. ( Zum Fürsten Paul): Ihr zürnt mir doch nicht, Fürst? Ihr werdet mich doch nicht verlassen? Sagt, daß Ihr es nicht tun wollt. Was wollt Ihr haben? Ihr könnt alles haben – alles.

Fürst Paul ( sich tief verneigend): Sire, es genügt mir, Eurer Majestät Vertrauen zu besitzen. ( Zu sich): Ich hatte schon Angst, er wollte Rache nehmen und mir noch einen Orden geben.

Zar ( in seinem Sessel wieder Platz nehmend): Nun, meine Herren.

Marquis de Poivrard: Sire, ich habe die Ehre, eine Loyalitätsadresse der Untertanen Eurer Majestät in der Provinz Archangelsk zu überreichen. Sie bringen ihr Entsetzen über das letzte Attentat auf das Leben Eurer Majestät zum Ausdruck.

Fürst Paul: Sie hätten das – vorletzte sagen sollen, Herr Marquis. Sehen Sie nicht, daß die Datierung schon drei Wochen alt ist?

Zar: Ein gutes Volk in der Provinz Archangelsk – ein braves, loyales Volk. Es liebt mich wirklich – einfaches loyales Volk. Gebt ihm einen neuen Heiligen, das kostet nichts. Richtig, Alexis ( sich an den Zarewitsch wendend), wieviele Verräter hat man heute früh gehängt?

Zarewitsch: Drei Mann wurden erdrosselt, Sire.

Zar: Es hätten dreitausend sein sollen. Wollte Gott, dieses Volk hätte nur einen Hals, daß ich die Kerle mit einem Strick erwürgen könnte. Haben sie etwas gesagt? Wen haben sie angegeben? Was haben sie gestanden?

Zarewitsch: Nichts, Sire.

Zar: Dann hätte man sie foltern sollen. Warum hat man sie nicht gefoltert? Muß ich immer im Dunkeln kämpfen? Soll ich nie erfahren, welcher Wurzel die Verräter entstammen?

Zarewitsch: Was sollte die Wurzel der Unzufriedenheit im Volke sein als die Tyrannei und Ungerechtigkeit seiner Herrscher!

Zar: Was sagst du da, Junge? Tyrannei! Tyrannei! Bin ich ein Tyrann? Ich bin keiner. Ich liebe das Volk, bin ihm ein Vater. So heiße ich doch in jedem amtlichen Erlaß. Nimm dich in acht, Junge, nimm dich in acht! Deine tolle Zunge scheint noch nicht kuriert zu sein. ( Er geht zum Fürsten Paul und legt ihm die Hand auf die Schulter.) Fürst Paul, sagt, hat viel Volk zugesehen, als die Nihilisten heute morgen gehängt wurden?

Fürst Paul: Das Hängen bietet heute natürlich eine weitaus geringere Sensation für Rußland, Sire, als vor drei oder vier Jahren. Und Eure Majestät wissen, wie rasch das Volk auch seine Lieblingsunterhaltungen satt bekommt. Aber die Richtstätte und die Dächer waren doch geradezu übersät mit Menschen – nicht, Prinz? ( Zum Zarewitsch, der keine Notiz von ihm nimmt.)

Zar: So ist's recht. Alle guten Bürger sollten dabei sein. Es zeigt ihnen, was sie zu erwarten haben. Wurde jemand aus der Menge festgenommen?

Fürst Paul: Ja, Sire, ein Frauenzimmer, das Eurer Majestät Namen verfluchte. ( Der Zarewitsch fährt erschrocken zusammen.) Die Mutter zweier Delinquenten.

Zar ( mit einem Blick auf den Zarewitsch): Sie hätte mich segnen sollen, weil ich ihr die Kinder vom Hals genommen habe. Schickt sie ins Gefängnis.

Zarewitsch: Die Kerker Rußlands sind schon überfüllt, Sire. Es ist kein Platz für weitere Opfer.

Zar: So sterben sie nicht schnell genug. Ihr solltet mehrere von ihnen in dieselbe Zelle sperren. Ihr haltet sie nicht lang genug in den Bergwerken. Dann würden sie rascher sterben. Ihr aber seid viel zu mild. Auch ich bin viel zu mild. Schickt das Weib nach Sibirien. Sie wird sicher unterwegs sterben. ( Ein Adjutant tritt ein.) Wer ist das? Wer ist das?

Adjutant: Ein Schreiben für Seine kaiserliche Hoheit.

Zar ( zum Fürsten Paul): Ich mag es nicht öffnen. Es könnte etwas drin sein.

Fürst Paul: Es wäre auch ein höchst merkwürdiger Brief, wenn nichts drin wäre. ( Er übernimmt das Schreiben und liest es.)

Fürst Petrowitsch ( zum Grafen Ruvaloff): Das müssen schlimme Nachrichten sein. Ich kenne dies Lächeln zu genau.

Fürst Paul: Vom Polizeichef in Archangelsk, Sire. »Der Statthalter der Provinz wurde heute morgen von einem Frauenzimmer in dem Augenblick niedergeschossen, als er den Hof seines Hauses betrat. Die Mörderin wurde verhaftet.«

Zar: Ich habe dem Volk in Archangelsk nie getraut. Es ist ein Nihilisten-, ein Verschwörernest. Nehmt ihm die Heiligen. Es verdient sie nicht.

Fürst Paul: Majestät würden das Volk vielleicht härter bestrafen, wenn Majestät ihm noch einen neuen dazu gäben. Drei Gouverneure im Laufe von zwei Monaten erschossen! ( Vor sich hinlächelnd.) Sire, gestatten Eure Majestät mir, Euren loyalen Diener, den Marquis de Poivrard, als neuen Statthalter für Eurer Majestät Provinz Archangelsk in Vorschlag zu bringen.

Marquis de Poivrard ( rasch): Sire, ich tauge nicht für diesen Posten.

Fürst Paul: Herr Marquis sind zu bescheiden. Glauben Sie mir: ich möchte keinen Menschen in Rußland lieber als Statthalter von Archangelsk sehen als gerade Sie. ( Flüstert mit dem Zaren.)

Zar: Ganz richtig, Fürst Paul. Ihr habt immer recht. Gebt Befehl, daß die Papiere für den Marquis sofort ausgefertigt werden.

Fürst Paul: Er kann noch heute nacht abreisen, Sire. Ich werde Sie wirklich sehr vermissen, Marquis. Ich war stets ein aufrichtiger Bewunderer Ihres Geschmacks bei Wein und Weibern.

Marquis de Poivrard ( zum Zaren): Ich soll heute nacht abreisen? ( Fürst Paul flüstert mit dem Zaren.)

Zar: Ja, Marquis – es ist besser, wenn Sie sofort abreisen.

Fürst Paul: Ich werde darauf achten, daß Madame la Marquise in Ihrer Abwesenheit nicht zu viel allein ist. Sie brauchen also nicht um sie besorgt zu sein.

Graf Ruvaloff ( zum Fürsten Petrowitsch): Ich wäre mehr um mich besorgt.

Zar: Der Statthalter von Archangelsk in seinem Hofe von einem Weib niedergeschossen! Ich bin hier nicht sicher. Ich bin nirgends sicher, solange dieser Satan der Revolution, Vera Saburoff, hier in Moskau ist. Fürst Paul, ist das Weib noch immer hier?

Fürst Paul: Man berichtet mir, sie sei gestern nacht auf dem Ball des Großfürsten gewesen. Ich kann's kaum glauben. Jedenfalls aber hatte sie vor, heute nach Nowgorod zu fahren, Sire. Die Polizei hat jeden Zug nach ihr abgesucht. Aber aus irgendeinem Grunde ist sie nicht abgereist. Ein Verräter muß sie gewarnt haben. Aber ich werde sie doch fassen. Die Jagd auf ein schönes Weib hat immer etwas Aufregendes.

Zar: Ihr müßt mit Bluthunden hinter ihr her sein; und wenn man sie abgefaßt hat, will ich ihr Knochen für Knochen zerhacken lassen. Sie soll auf den Block gespannt werden, bis ihr weißer Leib sich dreht und windet, wie Papier im Feuer.

Fürst Paul: Wir wollen sofort eine neue Jagd auf sie eröffnen. Prinz Alexis wird sicher mittun.

Zarewitsch: Sie verlangen doch sonst nie Beistand, wenn's gilt, eine Frau zu ruinieren, Fürst Paul.

Zar: Die Nihilistin Vera ist in Moskau! Mein Gott, wär' es nicht besser, den Hundetod, den sie mir geben wollen, mit einemmal zu sterben, statt weiterzuleben, wie ich jetzt lebe! Schlaflos – und wenn ich schlafe, von entsetzlichen Träumen gefoltert, daß die Hölle selbst dagegen ein Ort des Friedens scheint. Niemand vertrauen zu dürfen als denen, die ich gekauft – niemand kaufen zu können, auf den ich mich wirklich verlassen könnte! In jedem Lächeln Verrat, in jeder Speise Gift, in jeder Hand den Dolch zu sehen! Nachts wach zu liegen und Stunde für Stunde dem heimlichen Schleichen des Mörders zu lauschen, zu hören, wie sie die verfluchte Mine legen. Spione seid ihr alle! Spione! Du der allerschlimmste – – du, mein eigener Sohn! Wer von euch legt mir diese blutrünstigen Proklamationen unters Kissen – auf den Tisch, an dem ich sitze? Wer von euch ist der Judas, der mich verrät? Mein Gott, mein Gott! Einst hat es eine Zeit gegeben, als wir im Krieg mit England lagen, wo nichts mich fürchten machen konnte. ( Jetzt mit mehr Ruhe und Pathos.) Ich hab' mich in das blutigste Getümmel der Schlacht gestürzt, mit einem Adler bin ich zurückgekehrt, den das wilde Inselvolk uns schon geraubt hatte. Ja, damals hat man mir gesagt, ich wäre tapfer. Mein Vater schenkte mir das eiserne Verdienstkreuz. Ach, säh' er jetzt – die Blässe feiger Furcht auf meinen Wangen. ( Sinkt in seinen Sessel.) Liebe hat es für mich nicht gegeben, als ich noch ein Kind war. Durch Furcht nur hat man mich beherrscht – wie sollt' ich nunmehr anders herrschen? ( Aufspringend.) Doch meine Rache will ich – meine Rache! Für jede Stunde, die ich bei Nacht schlaflos daliege, in Furcht vor Strang und Dolch, sollen sie mir Jahre in Sibirien, Jahrhunderte in den Bergwerken schmachten. Ja, meine Rache will ich!

Zarewitsch: Vater, hab' Mitleid mit dem Volk! Gib ihm, was es verlangt.

Fürst Paul: Und machen Majestät den Anfang mit dem eignen Haupt. Danach herrscht ein besonderes Verlangen.

Zar: Das Volk, das Volk! Ein Tiger, den ich auf mich selbst losgelassen habe. Aber bis zum letzten Augenblick will ich mit ihm ringen. Ich hab' die halben Maßregeln satt. Mit einem Schlag will ich die Nihilisten zermalmen. Kein Mann, kein Weib unter ihnen soll in Rußland länger am Leben bleiben. Bin ich umsonst der Zar, daß mich ein Weib in Schach halten darf? Vera Saburoff soll – das schwör' ich – ehe eine Woche um ist, in meiner Gewalt sein, und müßte ich auch meine ganze Hauptstadt niederbrennen, um sie zu finden. Dann soll sie mit der Knute gepeitscht, in der Festung gestreckt, am Richtplatz gehängt werden.

Zarewitsch: O Gott!

Zar: Zwei Jahre lang halten ihre Hände meinen Hals umklammert. Zwei Jahre lang macht sie mir das Leben schon zur Hölle. Aber ich will mich dafür rächen. Standrecht, Fürst, Standrecht übers ganze Reich. Das wird mir Rache schaffen. Das richtige Mittel, Fürst, das richtige Mittel – nicht wahr?

Fürst Paul: Und auch ein ökonomisches, Sire! Es würde die überschüssige Bevölkerung in sechs Monaten dezimieren, und Eurer Majestät viele Auslagen für die Gerichtshöfe ersparen. Man wird sie dann nicht mehr brauchen.

Zar: Sehr gut. Es gibt zu viel Menschen in Rußland – zu viel Geld wird für sie, zu viel Geld für die Gerichtshöfe verschwendet. Ich will sie aufheben.

Zarewitsch: Sire, bedenken Sie, bevor –

Zar: Wann kann der Erlaß fertig sein, Fürst Paul?

Fürst Paul: Er ist schon vor einem halben Jahre gedruckt worden. Ich wußte, Eure Majestät würden ihn benötigen.

Zar: Gut! Ausgezeichnet! Fangen wir sofort an. Ja, Fürst, wenn jeder Herrscher in Europa einen solchen Minister hätte –

Zarewitsch: Dann gäb' es nicht so viel Herrscher in Europa, wie jetzt.

Zar ( dem Fürsten Paul erschrocken zuraunend): Was meint er damit? Traut Ihr ihm? Die Haft hat ihn noch nicht kirre gemacht. Soll ich ihn verbannen? Soll ich ihn ( ganz leise) …? Kaiser Paul hat's getan. Da, die Kaiserin Katharina ( auf das Bild an der Wand weisend) hat's getan. Warum soll ich es nicht tun?

Fürst Paul: Eure Majestät, hier liegt kein Grund zur Aufregung vor. Der Prinz ist ein geistreicher junger Mann. Er gibt vor, mit dem Herzen beim Volke zu sein, und lebt in einem Schloß. Er predigt soziale Reformen und bezieht eine Apanage, mit der eine Provinz auskommen könnte. Eines schönen Tages wird er herausfinden, daß die beste Medizin für republikanische Phantastereien die Kaiserkrone ist, und er wird die rote Mütze der Revolutionäre in Stücke schneiden, um daraus Dekorationen für seinen Premierminister zu machen.

Zar: Ihr habt recht. Wenn er das Volk aufrichtig liebte, könnt' er nicht mein Sohn sein.

Fürst Paul: Er braucht nur vierzehn Tage mit dem Volke zu leben, und das schlechte Essen würde ihn bald von seinen demokratischen Anwandlungen kurieren. Wollen wir beginnen, Sire?

Zar: Sofort. Verlest die Proklamation. Nehmt Platz, meine Herren. Alexis, Alexis, komm und hör' zu! Es wird für dich eine gute Lektion sein – eines Tages wirst du dann dasselbe tun.

Zarewitsch: Ich hab' schon zu viel davon gehört. ( Setzt sich an den Tisch. Graf Ruvaloff flüstert mit ihm.)

Zar: Was zischelt ihr da, Graf Ruvaloff?

Graf Ruvaloff: Ich habe Seiner königlichen Hoheit einen guten Rat gegeben, Majestät.

Fürst Paul: Graf Ruvaloff ist der Typus des Verschwenders, Sire; er verschleudert immer grade das, was er selbst am nötigsten braucht. ( Er breitet Papier vor dem Zaren aus.) Ich denke, Eure Majestät werden es gutheißen: – »Liebe des Volkes«, »Vater seines Volkes«, »Standrecht«, und schließlich der übliche Hinweis auf die Vorsehung. Das einzige, was noch fehlt, ist die Unterschrift Eurer kaiserlichen Majestät.

Zarewitsch: Sire!

Fürst Paul ( rasch): Ich gelobe Eurer Majestät, in sechs Monaten jeden Nihilisten in Rußland unschädlich zu machen, falls Eure Majestät diese Proklamation unterzeichnen – – jeden Nihilisten in Rußland.

Zar: Sagt es noch einmal! Jeden Nihilisten in Rußland unschädlich zu machen – auch dieses Weib, ihren Rädelsführer, das in meiner eigenen Hauptstadt auf mich Jagd macht. Fürst Paul Maraloffski, ich ernenne Euch zum Marschall des gesamten russischen Reiches. Das erleichtert Euch die Aufgabe, das Standrecht durchzuführen. Reicht mir die Proklamation. Ich will sie sofort zeichnen.

Fürst Paul ( überreicht das Papier): Hier, Sire.

Zarewitsch ( springt auf und legt die Hand auf das Papier): Halt! Halt, sag' ich! Die Popen haben dem Volk den Himmel genommen, und Ihr wollt ihm auch noch die Erde nehmen?

Fürst Paul: Wir haben keine Zeit, Prinz. Dieser Knabe verdirbt noch alles. Hier ist die Feder, Sire.

Zarewitsch: Ja, ist es denn so gar nichts, eine ganze Nation zu erwürgen, das Reich eines Königs, eines Kaisers zu zerstören? Was sind wir denn, daß wir es wagen dürfen, diesen Bann des Schreckens auf ein ganzes Volk zu legen? Haben wir denn weniger Fehler als sie, daß wir sie vor unsere Richterschranken bringen dürfen?

Fürst Paul: Wie kommunistisch der Prinz doch denkt! Er wäre für eine gleichmäßige Verteilung der Laster wie des Eigentums.

Zarewitsch: Sie, die die gleiche Sonne bestrahlt, die gleiche Luft labt, sie, die aus gleichem Fleisch und Blut gemacht sind, wie wir – wodurch unterscheiden sie sich denn von uns, als daß sie darben, während wir prassen, daß sie sich schinden, während wir lungern, daß sie hinsiechen, während wir Gift mischen, daß sie sterben, während wir morden?

Zar: Du wagst –?

Zarewitsch: Ich wage alles für das Volk. Du aber willst ihm die allgemeinen Menschenrechte rauben.

Zar: Das Volk hat keine Rechte.

Zarewitsch: Dann geschieht ihm schweres Unrecht. Vater, das Volk hat für dich die Schlachten gewonnen. Von den Fichtenwäldern der Ostsee bis zu den Palmenhainen Indiens ist es auf den mächtigen Schwingen des Sieges dahingeeilt, um Ruhm für dich zu holen. Bin ich auch noch jung, so habe ich doch gesehen, wie Woge auf Woge lebender Leiber die Höhen des Schlachtfeldes kühn erklomm, um in den sichern Tod hinabzustürzen. Ich hab' gesehen, wie unser Volk aus den Händen des Kriegsgotts des Sieges Todesbeute riß, wenn schon der Halbmond über unsern Adlern blutig anzusteigen schien.

Zar ( ein wenig bewegt): Die Männer sind tot. Was hab' ich mit ihnen zu schaffen?

Zarewitsch: Nichts. Die Toten schlafen ruhig; ihnen kannst du nicht mehr wehe tun. Sie schlafen den letzten langen Schlaf. Die einen in den Gewässern der Levante, die andern auf den windumwehten Bergen von Norwegen und Dänemark. Aber was hast du für die Lebenden, unsere Brüder, getan? Sie schrien zu dir um Brot und du hast ihnen Steine gegeben. Sie suchten die Freiheit, du hast sie mit Skorpionen gezüchtigt. Du selbst hast die Saat der Revolution gesät! –

Fürst Paul: Sind wir's aber nicht auch, die jetzt die Halme schneiden?

Zarewitsch: Oh, meine Brüder! Weit besser, ihr wäret unter dem Eisenhagel der dröhnenden Geschosse in der Schlacht gefallen, als daß euch jetzt in eurer Heimat ein solches Schicksal trifft. Die Tiere des Waldes haben ihre Lager, wilde Bestien ihren Käfig – aber Rußlands Volk, das die Welt erobert hat, hat keinen Platz, wo es sein Haupt in Ruhe niederlegen kann.

Fürst Paul: Es hat den Block des Henkers.

Zarewitsch: Den Block des Henkers! Ihr habt die Seele des Volkes nach Herzenslust gemordet – jetzt wollt ihr auch den Körper töten.

Zar: Frecher Knabe! Hast du vergessen, wer Rußlands Herrscher ist?

Zarewitsch: Nein! Durch Gottes Vorsehung herrscht jetzt das Volk, du hättest sein Hirte sein sollen – du bist geflohen, wie ein gedungener Knecht und hast die Wölfe auf sie gehetzt.

Zar: Fort mit ihm! Fort mit ihm, Fürst Paul!

Zarewitsch: Gott hat dem Volk eine Zunge gegeben, um zu reden; du möchtest sie ihm ausschneiden, damit es stumm im Todeskampf sei, schweigend seine Martern erdulde! Aber Gott hat ihm auch Hände gegeben, loszuschlagen, und es wird losschlagen. Ja, dem siechen und schwerringenden Schoße des unglücklichen Landes wird, gleich einem blutigen Kinde, die Revolution entsteigen, und euch vernichten.

Zar ( aufspringend): Satan! Mordbube! Du wagst, mir ins Gesicht zu trotzen?

Zarewitsch: Ja. Weil ich Nihilist bin! ( Die Minister springen auf; einige Minuten herrscht tödliches Schweigen.)

Zar: Ein Nihilist! Ein Nihilist! Du Schlange, die ich genährt – du Verräter, den ich geliebt – ist das dein düsteres Geheimnis? Fürst Paul Maraloffski, oberster Beamter des russischen Reiches, verhaftet den Zarewitsch!

Die Minister: Der Zarewitsch verhaftet!

Zar: Ein Nihilist! Hast du mit ihnen gesät, so sollst du auch mit ihnen ernten! Hast du mit ihnen verkehrt, so magst du mit ihnen faulen! Hast du mit ihnen gelebt, so sollst du mit ihnen sterben!

Fürst Petrowitsch: Sterben!

Zar: Die Pest auf jeden Sohn, sag' ich! Man sollte in Rußland das Heiraten verbieten, wenn Nattern wie du auskriechen können! Verhaftet den Zarewitsch – ich befehle es!

Fürst Paul: Zarewitsch! auf Befehl des Kaisers verlang' ich Euer Schwert. ( Der Zarewitsch übergibt ihm sein Schwert; Fürst Paul legt es auf den Tisch.) Wahnwitziger Knabe! Du taugst nicht zum Verschwörer – du hast nicht gelernt, deine Zunge zu beherrschen. Ein Palast ist nicht der rechte Platz für heroische Anwandlungen.

Zar ( sinkt, die Augen auf den Zarewitsch gerichtet, in seinen Sessel): O Gott!

Zarewitsch: Wenn ich fürs Volk sterben soll, ich bin bereit. Ein Nihilist mehr oder weniger in Rußland – was liegt daran?

Fürst Paul ( beiseite): Für den betreffenden Nihilisten recht viel, sollt' ich meinen.

Zarewitsch: Die mächtige Brüderschaft, der ich angehöre, hat Tausend wie mich, zehntausend Bessere als mich. ( Der Zar fährt von seinem Sessel auf.) Schon ist der Stern der Freiheit aufgegangen, und von ferne höre ich die Brandung der Demokratie mächtig an diese verfluchten Gestade schlagen.

Fürst Paul ( zum Fürsten Petrowitsch): Dann wär' es Zeit für uns, schwimmen zu lernen.

Zarewitsch: Mein Vater! Mein Herr und Kaiser – ich bitte nicht um mein Leben, sondern um das Leben meiner Brüder, des Volkes.

Fürst Paul ( bitter): Ihre Brüder, Prinz, das Volk begnügt sich nicht mit seinem Leben, es begehrt auch das seines Nächsten.

Zar ( erhebt sich): Ich bin des Schreckens und der Angst müde. Von heute an erkläre ich dem Volke Krieg – Krieg bis zur Vernichtung. Wie du mir, so ich dir. Ich will das Volk zu Staub zermalmen und seine Asche in die Winde zerstreuen. Ein Späher soll in jedem Hause, ein Verräter an jedem Herd, ein Henker in jedem Dorf, ein Galgen auf jedem Platz sein. Pest, Aussatz und Fieber sollen nicht so tödlich sein wie mein Haß. Ich will aus jedem Flecken Land einen Friedhof, aus jeder Provinz ein Siechenhaus machen, will die Seuche mit dem Schwerte heilen. Ich will Ruhe in Rußland schaffen, und wäre es auch die Ruhe eines Kirchhofs. Wer hat gesagt, ich wär ein Feigling? Wer hat gesagt, ich hätte Angst? Seht, so will ich das Volk unter meinen Füßen zertreten. ( Er ergreift das Schwert des Zarewitsch und stampft darauf.)

Zarewitsch: Vater, gib acht – das Schwert, auf das du trittst, könnte sich gegen dich kehren und dich verwunden. Das Volk duldet lange, doch schließlich kommt die Rache, die Rache mit blutiger Hand und mörderischen Gedanken.

Fürst Paul: Pah! Das Volk weiß nicht zu zielen; es verfehlt immer das Ziel.

Zarewitsch: Es gibt auch Zeiten, wo das Volk zum Werkzeug Gottes wird.

Zar: Ja, und wo die Herrscher zu Geißeln Gottes fürs Volk werden. Oh, mein leiblicher Sohn hier in meinem Hause, mein eigen Fleisch und Blut wider mich! Führt ihn hinweg! Laßt meine Garde herein. ( Die kaiserliche Garde erscheint. Der Zar deutet auf den Zarewitsch, der allein auf der einen Seite der Bühne steht.) In Moskaus tiefstes Verlies! Laßt mich ihn nie wieder sehen. ( Die Garde will den Zarewitsch abführen.) Nein, nein, laßt ihn! Ich traue der Garde nicht. Alle sind Nihilisten! Sie lassen ihn vielleicht entwischen, und er wird mich dann töten, mich töten. Nein, ich selbst will ihn ins Gefängnis schleppen, ich und Ihr. ( Zum Fürsten Paul.) Euch traue ich, Ihr kennt kein Erbarmen. Auch ich will kein Erbarmen kennen. Oh, mein eigener Sohn wider mich! Wie heiß es ist! Die Luft hier erstickt mich! Mir ist, als schwänden mir die Sinne, als säße mir etwas an der Kehle. Die Fenster auf! Aus meinen Augen! Aus meinen Augen! Ich kann den Blick nicht ertragen! Erwartet mich, erwartet mich! ( Er reißt das Fenster auf und geht auf den Balkon.)

Fürst Paul ( auf die Uhr sehend): Inzwischen wird das Diner gewiß kalt werden. Unangenehme Sachen das, Politik und Erstgeborene!

Eine Stimme ( von außen auf der Straße): Gott schütze das Volk! ( Eine Kugel trifft den Zaren, er taumelt zurück in den Saal.)

Zarewitsch ( reißt sich von der Wache los und stürzt vor): Vater!

Zar: Du Mörder! Du Mörder! Das war dein Werk! Du Mörder! ( Stirbt.)


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