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I

Er trug nicht seinen Scharlachrock,
Denn rot sind Blut und Wein.
Und Blut und Wein waren an seiner Hand,
Als sie ihn fanden, allein
Mit der armen Toten, die er geliebt
Und ermordet im Bett-Schrein.

Er machte in schäbig grauer Tracht
In der Häftlinge Ring seinen Gang;
Eine Kricketmütze war auf seinem Kopf,
Und sein Schritt schien leicht und frank;
Doch ich sah nie einen Mann, der geschaut
In den Tag so sehnsuchtskrank.

Ja, ich sah nie einen Mann, der geschaut
Mit Augen so sehnsuchtentbrannt
Hinauf in das winzige Zelt von Blau
– Von Sträflingen Himmel genannt –
Und zu jeglicher Wolke, treibend vorbei,
Mit Segeln von Silber bespannt.

—————

Ich wandert mit anderen Seelen in Pein
In einem andern Ring
Und fragte mich, was der Mensch getan,
Ein groß oder kleines Ding?
»Der Bursch muß baumeln!« hinter mir leis
Eine wispernde Stimme da ging.

Oh Jesus! jäh zu taumeln schien
Des Kerkers Wand und Wall,
Und überm Haupt der Himmel mir ward
Ein Helm von glühendem Stahl,
Und ob ich in Qual eine Seele war,
Ich fühlte nicht meine Qual.

Ich wußte nur, welches Gedankengejag
Seinen Schritten zu eilen gebot,
Und weshalb er sah in den strahlenden Tag
Mit Augen so sehnsuchtumloht;
Er hatte getötet, was er geliebt,
Und also hatt' er den Tod.

—————

Doch jeder tötet, was er liebt,
Das hört nur allzumal!
Der tuts mit einem giftigen Blick,
Und der mit dem Schmeichelwort schmal.
Der Feigling tut es mit dem Kuß,
Der Tapfre mit dem Stahl.

Die einen töten ihr Lieb, wenn sie jung,
Die andern, wenn sie alt;
Der drosselt mit den Händen der Lust,
Mit den Händen von Golde der krallt:
Der Beste braucht ein Messer, denn so
Wird bald der Tote kalt.

Der liebt zu leicht, und der zu lang,
Der kauft, verkaufen tut der.
Der tut die Tat mit Zähren viel,
Der hat keinen Seufzer mehr:
Denn jeder tötet, was er liebt,
Doch nicht jeder stirbt nachher.

—————

Er stirbt nicht einen Tod der Schmach,
Zur Stunde dunkel verrucht,
Und hat kein Halfter um den Hals
Und vorm Gesicht ein Tuch,
Und macht, die Füße voran, durch ein Loch
Hinunter ins Leere den Flug.

Der sitzt bei schweigsamen Männern nicht,
Aufpassend, obs nachtet, obs tagt,
Aufpassend, wenn er zu weinen verlangt,
Und wenn er zu beten wagt;
Aufpassend, daß er selber nicht gar
Dem Gefängnis den Fang abjagt.

Der erwacht nicht im Zwielicht und sieht: in den Raum
Von Angstgestalten brichts:
Kaplan, frostklappernd, gekleidet in Weiß,
Und Richter, finstern Gesichts,
Und der Kerkerherr ganz in glänzendem Schwarz,
Mit dem gelben Gesicht des Gerichts.

Der steht nicht auf in Jammerhast,
Zieht an die Sträflingstracht,
Und jede Bewegung, nervengezerrt,
Ein Doktorsmaul glotzend bewacht,
Befingernd die Uhr, deren kleines Getick
Wie Hammerschlag fürchterlich kracht.

Der kennt nicht den Kitzel, den kranken Durst,
Der die Kehle versandet, bevor
Der Henker mit seinen Gartenhandschuhn
Schlüpft durch das gepolsterte Tor
Und legt ihm drei lederne Riemen an,
Daß die Kehle den Kitzel verlor.

Der hört die Begräbnisordnung nicht
Verlesen, den Kopf gebeugt.
Nicht kreuzt, derweil ihm ein Herzensschreck
»Du bist nicht tot!« bezeugt,
Sein eigner Sarg den Weg, den er hin
In den scheußlichen Schuppen keucht

Der starrt nicht hinauf in die Luft, in den Hauch,
Durch ein kleines Loch von Glas.
Der fleht nicht: Geh, oh Todesweh!
Mit Lippen wie Lehm so blaß.
Der fühlt auf der schaudernden Wange nicht
Den Kuß des Kajafas.

II

Sechs Wochen machte im schäbigen Grau
Unser Gardesoldat seinen Gang.
Die Kricketmütze war auf seinem Kopf,
Und sein Schritt schien leicht und frank,
Doch ich sah nie einen Mann, der geschaut
In den Tag so sehnsuchtskrank.

Ja, ich sah nie einen Mann, der geschaut
Mit Augen so sehnsuchtentbrannt
Hinauf in das winzige Zelt von Blau
– Von Sträflingen Himmel genannt –
Und zu jeglicher Wolke, die wandert und schleppt
Ihr flattriges Vließgewand.

Er rang nicht die Hände, – der Sinnlose tuts
Und wills und begehrts und beganns
Und nährt im schwarzen Verzweiflungsloch
Einen schillernden Hoffnungspopanz;
Er trank die Morgenlüfte nur
Und sah in den Sonnenglanz.

Er rang nicht die Hände, er weinte nicht
Mit Grübeln, Grimm und Gram,
Doch er trank die Luft, als wär sie erfüllt
Mit schmeichelndem Heilbalsam;
Die Sonne trank er mit offenem Mund,
Wie wenn er Wein bekam.

Und ich und all die Seelen in Pein,
Hintrappend im andern Ring,
Vergaßen, was wir selbst getan,
Ein groß oder kleines Ding,
Und paßten stumpf, mit Staunen dumpf,
Auf den Mann, der zum Galgen ging.

Und ihn gehen zu sehn so leicht und frank,
Das war so sonderlich …
Und ihn schauen zu sehn so sehnsuchtskrank,
Das war so sonderlich …
Und zu denken die Schuld, und die Zahlung der Schuld,
Das war so sonderlich …

—————

Denn Eiche und Ulm' haben liebliches Laub,
Das auf im Frühjahr schießt,
Aber grimmig zu schaun ist der Galgenbaum,
Dess Wurzel die Viper zerfrißt,
Und dürr oder grün, der Mensch muß dahin
Vor seiner Früchtefrist.

Der höchste der hoh'n ist der Gnadenthron,
Aller Irdischen einzig Gelüst!
Doch wer wünscht seinen Stand in dem hanfenen Band,
Auf der Höhe vom Galgengerüst,
Und daß durch Mörders Manschette sein Aug
Zuletzt den Himmel küßt?

Zu tanzen ist schön bei dem Geigengetön,
Stehn Liebe und Leben im Duft, –
Der Tanz, der ist zart und von seltener Art,
Wenn Flöte und Laute da ruft, –
Doch nicht süß, nicht Genuß ists, mit hurtigem Fuß
Zu tanzen in der Luft.

Mit ergebnem Genick und mit spähendem Blick
Haben Tag wir um Tag ihn umklirrt
Und fragten uns wohl, ob ein jeder von uns
Den gleichen Weg gehen wird,
Weil das keiner bedacht, in welch höllische Nacht
Sich blindlings die Seele verirrt.

—————

Und endlich machte der Tote nicht mehr
Seinen Gang, den andern gesellt,
Und ich wußte, er war vor die Anklagebank
In den schwarzen Verschlag gestellt,
Und ich würde nicht wieder sein Antlitz sehn
In Gottes süßer Welt.

Wie zwei verdammte Schiffe im Sturm
So kreuzten wir Bord an Bord:
Wir gaben kein Zeichen, kein Wort ist gesagt,
Wir hatten zu sagen kein Wort;
Denn wir trafen nicht, ach, uns in heiliger Nacht,
Nein, schandbar war Tag und der Ort.

Gefängniswand war um uns rund,
Verstoßen waren wir Zwei:
Aus ihrem Herzen stieß die Welt
Und Gott aus der Obhut uns Zwei:
Und die Falle gestählt, die den Sünder nicht fehlt,
Schnappte ins Eisen uns Zwei.

III

In Schuldners Hof die Mauer troff,
Und hart war das Pflaster voll Kot.
Dort wars ihm erlaubt, daß er Lunge und Haupt
Dem bleiernen Himmel bot.
Ein Wärter trabte ihm links und rechts,
Argwöhnisch, der Mann ginge tot.

Sonst sitzt er mit ihnen, die passen auf
Seinen Ängsten früh und spät,
Die passen, wenn er zum Beten sich krümmt,
Und wenn er zu weinen aufsteht,
Die passen, daß durch ihn selber nicht gar
Dem Galgen die Beute entgeht. –

Der Kerkerherr war strenge aus
Auf Regeln und auf Takt.
Der Doktor sagte, der Tod sei bloß
Ein naturwissenschaftlicher Akt,
Kaplan kam zweimal am Tag und beließ
Einen kleinen geistlichen Trakt.

Und zweimal am Tag hat er Pfeife geraucht
Und getrunken sein Bier dabei.
Entschlossen war seine Seele und hielt
Keine Furt dem Fürchten frei.
Oft sagte er so, er wäre froh,
Daß nahe der Henker sei.

Warum er sprach so fremdes Zeug,
Die Wärter wagten nicht
Weder Frage noch Blick, – wem Wärters Geschick
Gegeben ist als Pflicht,
Der macht vor seinen Mund ein Schloß
Und zur Maske sein Gesicht.

Sonst wird er erweicht am Ende und reicht
Ein tröstliches: Du –, und: Nun – nun – –
Was sollte denn menschliches Mitleid, gepfercht
In die Höhle des Mörders, tun?
Welch gnädiges Wort gab an solch einem Ort
Der Seel eines Bruders zu ruhn?

—————

Mit Schlottern und krumm, wir trabten rundum,
Parade der Narretei.
Die Fragen laß fahrn! wir wußten, wir warn
– Kahlköpfig, die Stiefel von Blei –
Des Teufels Brigade und hatten Parade
Und lustige Maskerei.

Wir zupften zu Fasern die Taue voll Teer
Mit Nägeln blutend und krank.
Wir schruppten den Boden wohl unten und oben
Und putzten die Gitter blitzblank.
Wir seiften in Reihn die Dielen ein
Und machten mit Eimern klingklang.

Wir nähten die Säcke und brockten den Fels,
Wir drehten den staubigen Drill.
Wir schmissen das Zinn und brüllten die Hymn
Und schwitzten an dem Spill.
Aber im Herzen von jedem Mann
Lag das Grausen still.

So still es lag, daß jeder Tag
Schwer kroch wie die Woge voll Tang.
Wir dachten nicht groß an das bittere Los,
Das Narren und Schelme erlangt …
Da trafen wir einst, heimtrappend vom Werk,
Ein offenes Grab auf dem Gang.

Das gelbe Loch mit gähnendem Maul
Erlechzte lebendiges Ding.
Selbst Dreck und Sud schrie laut um Blut
Zu dem dürren Asphaltring.
Und da wußten wir: eh'r wieder Dämmrung war,
Einer der Häftlinge hing.

Wir gingen ins Haus, die Seele im Saus
Von Grausen und Grab und Gericht.
Der Henkerling mit dem kleinen Sack
Schlürfte durchs düstere Licht …
Und jeder in seine benummerte Gruft
Mit Zittern und Beben kriecht.

—————

Diese Nacht erfüllten Gestalten der Angst
Die leeren Flure dicht.
Und auf und ab die Eisenstadt
Schlichen Füße, – wir hörten sie nicht.
Durchs Stangenviereck, das die Sterne versteckt,
Spähte ein weißes Gesicht …

Er lag wie einer, der liegt und träumt
In lieblichem Wiesenland.
Die Wächter bewachten ihn, als er schlief, –
Keiner von ihnen verstand,
Daß einer schlief so süßen Schlaf
Mit dem Henker nahe zur Hand.

Doch kein Schlaf einzieht, wenn ins Weinen geriet,
Wer nie zum Weinen sich bog.
So jeder von uns, Gauch, Gauner und Schelm,
Auf endlose Nachtwache zog.
Und durch jedwedes Herz, auf Händen von Schmerz,
Die Angst des Anderen kroch.

—————

Ah fühls! es ist ein gräßlich Stück:
Schuldzins, auf Andern gehäuft!
Wenn der Sünden Schwert dich mitten durchfährt,
Mit giftigem Knauf beknäuft.
Und wie Blei schmolz in Glut, sind die Tränen fürs Blut,
Das nicht von deiner Hand träuft!

An den verriegelten Türen hin
In Filzschuhn der Wärter kroch,
Und guckt' und vernahm, in Scheu oder Scham,
Eine graue Gestalt in dem Loch,
Verwundert, Menschen knieen zu sehn,
Die nie gebetet noch.

Die ganze Nacht sind wir betend gewacht,
Wirrsinniger Leichenbesuch!
Gefieder der Mitternacht, struppig gesträubt,
Glich Büschen im Trauerzug.
Und bittrer Wein in einem Schwamm
War der Reue Geschmack und Geruch.

—————

Der graue Hahn kräht, und der rote Hahn kräht,
Aber der Tag kam nie.
Es hockten Gestalten angstverkrümmt,
Wo wir bogen im Winkel das Knie.
Jeder böse Geist, der die Nächte durchreist –
Vor uns spielten die!

Sie glitten geschwind, wie der Wind, wie der Wind,
Wie man Wandrer im Nebel gewahrt.
Sie taten wie Mond in dem Tanz Rigodon –
Umschlingung und Wendung gar zart!
Zu dem Stelldichein mit geziertem Gebein,
Mit verruchter Berückung geschart.

Das grinst und grimaßt und befühlt sich und faßt,
Schmale Schatten, sich Hand über Hand,
Im Kreis, im Kreis, nach Geisterweis
Zu treten Saraband.
Verfluchte Grotesken, sie ziehn Arabesken
Als wie der Wind im Sand!

In Posen und Gruppen wie Puppenspielpuppen
Sie trippelten spitzige Pas.
Die Pfeifen der Furcht bliesen durch und durch,
Ein gräßlicher Maskentanz das!
Und sie sangen laut, und sie sangen laut,
Die Toten zu wecken etwas.

»Ho!« schrien sie los, »die Welt ist groß,
Doch gekettete Glieder sind schwach!
Und einmal und zwei rollt der Würfel so frei,
Kavaliere, das gibt ein Gelach!
Aber zeigt, was erzielt, wer in Sünden verspielt,
In dem heimlichen Hause der Schmach!«

Aus Luft nicht gemacht waren Tänzer und Tracht,
Die so schäkerten scherzhaft im Drehn:
Der spürt es, der spürt, der in Fesseln geschnürt,
Nicht Freiheit hat zu gehn!
Oh Christi Leid, das war Wirklichkeit
Und fürchterlich zu sehn!

Sie schwenkten sich rund mit grinsendem Mund
Zu Paaren und walzten mit Lust.
Mit Gesten, geleckt, wie Hetären gereckt,
Chassierten sie Treppen im Schuß,
Und sie halfen mit Hohn und mit schmeichelndem Ton
Bei unsern Angelus!

—————

Der Morgenwind hub stöhnend an,
Die Nacht blieb dunkel genug.
Am riesigen Webstuhl die Webe der Nacht
Kroch durch, bis gesponnen das Tuch:
Uns, noch beim Gebet hat der Schauder umweht
Vor der Sonne Urteilsspruch.

Der stöhnende Wind strich wandernd entlang
Am weinenden Kerkerwall.
Minut' um Minute durchkroch unser Blut,
Wie ein eisernes Drehgatter bald.
Oh der stöhnende Wind! warum gab man uns denn
Solch einen Seneschall?

Jetzt bewegt sich der Schatten des Stangengevierts,
Wie ein bleiernes Gitter gespannt,
Gegenüber von meinem Dreibretterleinbett
An der weißgetünchten Wand.
Da begreif ich: es steht irgendwo in der Welt
Gottes furchtbarer Morgen in Brand. –

—————

Wir putzten die Zellen um sechs Uhr früh,
Um sieben ist alles still.
Doch mit mächtigem Saus durch das ganze Haus
Eine riesige Schwinge schwillt.
Denn der Herzog Tod, eisodem-umloht,
Trat ein, zu töten gewillt.

Er ritt nicht groß auf mondweißem Roß,
Kam nicht in purpurnem Staat.
Drei Ellen Schnur und ein Rutschbrett nur,
Die braucht der Galgen grad.
Mit der Schnur, mit der Schmach der Herold vorsprach,
Zu tun seine heimliche Tat.

Da glichen wir Dem, der sich tastet im Lehm
Durch den Sumpf einer kotigen Nacht.
Wir haben, obzwar keine Angst in uns war,
Kein Ave zu sprechen gedacht.
In unser jedem war etwas tot, –
Die Hoffnung war umgebracht.

Der grimmige Richter der Menschheit geht
Seinen Gang und weicht keinen Schritt.
Er schlägt die Schwäche, er schlägt die Kraft,
Er hat einen tödlichen Tritt.
Mit eisernem Absatz trifft er die Kraft,
Der wüste Parrizid.

—————

Wir warteten nur auf den Schlag acht Uhr, –
Von Durst war die Zunge uns dick.
Denn der Uhrschlag acht verdammt einen Mann,
Er ist der Schlag vom Geschick,
Und das wirft acht Uhr seine hanfene Schnur
Um das beste und böste Genick.

Wir hatten ja nichts als Warten zu tun,
Bis sich das Zeichen regt.
Wie Stücke von Stein sind in Öde allein,
Stumm saßen wir da, unbewegt.
Doch das Herz in dem Rumpf schlug so schnell und so dumpf,
Wie ein Irrer Trommel schlägt.

Jäh schüttelnd fuhr die Kerkeruhr
In die schaudernden Lüfte hinein.
Und Klagen fuhr aus im ganzen Haus
Von hilflos verzweifelter Pein.
So hören erschrockene Moore wohl
Den Leprosen vom Lagerplatz schrei'n.

Und wie sich grausige Dinge stelln
Im Kristall eines Traumes zur Schau,
So sahn wir gehakt an den Balken schwarz
Das fettige, hanfene Tau,
Und hörten von Henkerlings Strang das Gebet
Erdrosselt in würgendes Au …

Und von der Pein, die zu solchem Schrei'n
Die Seele da verdarb –
Von der Reue heiß und vom blutigen Schweiß –
Ich bins, der das Wissen erwarb!
Denn wer mehr Leben als eins gelebt,
Mehr Tode als einen starb.

IV

Kein Gottesdienst ist an dem Tag,
Wo einer starb durch den Strang.
Des Pfarrers Antlitz ist zu bleich –
Oder sein Herz ist ihm krank …
Oder gar eine Schrift, die keiner darf sehn,
Aus seinen Augen sprang.

So hielten sie uns bis Mittag fast,
Dann kam ein Glockenruf.
Und der Wärter mit seinem Geklimper kam
Und schloß auf jede lauernde Gruft.
Und die eisernen Treppen kam jeder getrappt
Aus gesonderter Höllenkluft.

Wir kamen an Gottes süße Luft,
Doch nicht im gewohnten Gang:
Denn dies Gesicht war weiß, und dies
War grau vom Grauenstrank.
Und nie sah ich Menschen, die geschaut
In den Tag so sehnsuchtskrank.

Ja, nie sah ich Menschen, die geschaut
Mit Augen so sehnsuchtentbrannt,
Hinauf in das winzige Zelt von Blau,
– Von Sträflingen Himmel genannt –
Und zu jedweder sorglosen Wolke, die zog
Durch glückliches Freiheitsland.

Doch welche gingen unter uns,
Den Nacken geduckt so krumm …
Die wußten: wenn jeder bekäme, was recht –
Sie müßten sterben darum:
Denn jener erschlug ein Lebendiges nur,
Sie brachten ein Totes um.

Denn wer zum zweiten Mal gefehlt,
Erweckt eine Seele zur Qual,
Zieht aus ihr fleckiges Totenhemd
Und macht sie bluten nochmal,
Ja, bluten große Tropfen Blut,
Und umsonst ist ihre Zahl!

—————

Wie Affen und Clowns in scheußlichem Kleid,
Mit verbogenen Bolzen besteckt,
So gingen wir schweigsam rund und rund
Im Asphalthof schmutzbefleckt.
Schweigsam gingen wir rund und rund,
Und ward kein Wort erweckt.

Schweigsam gingen wir rund und rund …
Durchs hohle Herzgebind
Graunvoller Dinge Gedächtnis zog
Und stürmte, ein furchtbarer Wind,
Und Grausen schlich vor jedem her,
Und Schauder kroch hinter ihm blind.

—————

Die Wärter hielten, stelzend umher,
Ihre Bestienschar an der Schnur;
Ihre Uniform war blink und blank,
Und sie trugen die Sonntagsmontur;
Aber wir merkten ihr heutiges Werk
An der kalkigen Stiefelspur.

Denn wo ein Grab weit offen war –
Keiner ein Grab mehr fand:
An der eklen Mauer des Kerkers war
Nur ein Streifen Dreck und Sand
Und ein kleiner Berg von gelöschtem Kalk –
Des Menschen Grabgewand.

Denn er hat ein Gewand, der elende Mensch,
Wie nicht für jeden bereit:
Tief unterm Zuchthaushof und nackt,
Für schlimmere Schändlichkeit,
Da liegt er, Fesseln an jedem Fuß,
In einem Flammenkleid.

Und immer nimmt der brennende Kalk
Gebein und Fleisch zum Fraß,
Er frißt das mürbe Bein bei Nacht,
Bei Tage süß Fleisch etwas, –
Er frißt abwechselnd Fleisch und Bein,
Doch das Herz ohn Unterlaß.

—————

Drei lange Jahre keiner sä'n
Oder Setzlinge senken mag:
Drei Jahre liegt der verfluchte Fleck
Unfruchtbar da und brach
Und starrt dem wandernden Himmelszelt
Ohne Vorwurf nach.

Man sagt, das Herz eines Mörders färbt
Jeden Samen, farblos gesenkt.
Es ist nicht wahr! Gottes Erde gut
Ist gütiger, als ihr denkt,
Und die rote Rose wird röter blühn,
Und weißer die weiße sich drängt.

Aus seinem Mund eine Rose rot,
Aus der Brust eine weiße bricht!
Ach, ahnt es denn wer, wie besonders der Herr
Seinen Willen bringt ans Licht,
Seit dürrer Stecken des Pilgrims geblüht
Vor des großen Papstes Gesicht?

Nicht Rose weiß, nicht Rose rot
In Zuchthausluft verweilt.
Flint, Scherbe und der Kieselstein
Wird da an uns verteilt:
Denn Blumen wüßtens, wie sich der Gram
Eines schlichten Mannes heilt.

Doch dort läßt fallen Blatt um Blatt
Nicht Rose weiß noch rot,
Dort an der eklen Kerkerwand
Auf den Flecken Sand und Kot,
Zu sagen Den', die umtrappen den Hof:
Christ litt für alle den Tod! –

—————

Doch ob die ekle Gefängniswand
Ihn rund und rund umringt –
Und ein Geist nicht umgehn darf bei Nacht,
Den eiserne Kette umschlingt –
Und ein Geist nicht weinen darf, der in solch
Unheiligen Grund versinkt –

Er ist in Frieden – der elende Mensch –
Oder bald in Friedens Hut.
Nichts verwirrt seinen Sinn, nicht Grausen geht
Nun um in Mittagsglut,
Denn weder Sonne hat noch Mond
Die Erde, drin er ruht.

—————

Sie henkten ihn, wie man ein Untier hängt:
Sie gaben kein Requiem zu,
Das seine Seele, so verstört,
Gebracht haben würde zur Ruh.
Sie schleppten hurtig ihn hinaus, –
Ein Loch barg ihn im Nu.

Die leinenen Kleider streiften sie weg
Und gaben ihn Fliegengetier,
Nachäffend den purpurn geschwollenen Hals
Und die Augen starr und stier.
Und mit Lachen laut ward gehäufelt die Haut,
In der er liegt allhier.

Der Pfarrer wollte nicht knien zum Gebet
An seinem ehrlosen Grab,
Noch zeichnen das gesegnete Kreuz,
Das Christus für Sünder gab,
Denn er war ja von jenen, für deren Heil
Christus stieg herab.

Doch laßts gut sein … Er gelangt' an das Ziel,
Das gesetzt ist dem Leben von weit.
Des Mitleids gesprungene Urne sind
Fremde Tränen zu füllen bereit,
Denn die ihn betrauern – Geächtete sinds,
Und Geächtete trauern allzeit.

V

Ich weiß nicht, welch Gesetz da gut
Und welches schlecht sein mag.
Die Mauer ist hart – sonst wissen wir nichts,
Die wir liegen im Kerkerverschlag, –
Und jeder Tag ist wie ein Jahr,
Ein Jahr – und lang ist sein Tag.

Doch weiß ich jetzt, daß jedes Gesetz,
Das der Mensch für die Menschen ersann,
Seit der erste Mensch seinen Bruder erschlug,
Und die traurige Welt begann,
In böser Schwinge die Spreu behält,
Derweil der Weizen zerrann.

Das weiß ich dazu – und weise wärs,
Ein jeder wüßte es mit:
In jedwedem Kerker, den Menschen gebaut,
Sitzt die Schande als Kitt,
Und Gitter sind dran, daß der Heiland nicht sieht,
Wie der Mensch seinen Bruder zertritt.

Sie verdunkeln den gütigen Mond und die Sonn,
Die liebe, mit Stangengefach.
Ja verbergt nur – 's ist gut! – die Höllenglut,
Denn Dinge geschehen drin, ach,
Daß Gottessohn und Menschensohn
Nicht hinsehn darf danach!

—————

Die schlimmsten Taten wie Giftkraut blühn
In Kerkerlüften dreist,
Und nur was gut im Menschen ist,
Vergrindet da und vergreist.
Das schwere Tor wahrt bleiche Angst,
Der Wärter Verzweiflung heißt.

Da hungert das kleine, erschrockene Kind,
Bis es wimmert ohn Unterlaß.
Sie peitschen den Schwachen, sie schlagen den Narrn,
Den Alten verspotten sie baß.
Und mancher wird toll, und schlecht werden all,
Doch keiner darf sagen etwas.

Jede Zelle schmal, drin wir hausen zumal,
Ist ein fauler und finstrer Abort.
An der Gitterwand hoch der Stinkodem kroch
Aus dem lebendigen Mord.
Oh Maschine der Menschlichkeit! bis auf die Lust,
Alles zu Staub drin verdorrt.

Das brackige Wasser, das du trinkst,
Kriecht eklig, verschleimt und verbreit;
Auf Waagen gewogen, das bittere Brot
Ist voll Kreide und Kalk und verklei't.
Schlaf liegt nicht hin, sondern wandert herum,
Wildäugig, und schreit nach der Zeit.

—————

Doch ob Hunger dürr und Dürsten grün
Wie Natter und Otter ficht,
Wir kümmern uns kaum um die Kerkerkost,
Denn das ists, was erstarrt und zerbricht:
Daß jeder Stein, den bei Tag du hobst,
Dein Herz wird im nächtlichen Licht.

Das Herz gefüllt mit Mitternacht,
Die Zelle mit Zwielichtschein;
Wir drehen das Schöpfrad, wir zupfen den Hanf,
In gesonderter Hölle allein,
Und grausiger das Schweigen schweigt,
Als eherne Glocken schrei'n.

Und nie kommt menschliche Stimme uns nah,
Mit sanftem Wort gesellt.
Das Auge ist hart und mitleidlos,
Das im Guckloch Wache hält.
Ohne Welt, ohne Trost, du verrohst, du verrohst!
An Leib und Seele entstellt.

So rosten wir, eiserne Kette des Seins –
Entehrt und ganz allein.
Der eine schluchzt, der andre flucht,
Der nennt keinen Seufzer mehr sein.
Doch Gottes ewge Gesetze sind lind
Und brechen das Herz von Stein.

—————

Und jedes Menschenherz, das brach,
In Zuchthauszell oder -hof,
Ist die Büchse, die brach und dem Heiland gab
Ihren kostbar edelen Stoff,
Von dem das unreine Aussatzhaus
Mit köstlichem Nardeduft troff.

Glücklich das Herz, das brechen kann
Und zum Frieden der Gnade gedeihn!
Wie glättet sich anders der Pfad, wie wird sonst
Die Seele von Sünde rein?
Wie anders als durch ein gebrochenes Herz
Zieht der Heiland ein?

—————

Und er mit dem purpurn geschwollenen Hals
Und Augen starr und verdreht,
Er weiß die heilige Hand, die den Dieb
Ins Paradies einlädt.
Und gebrochenes Herz, und bereuendes Herz,
Der Heiland nicht verschmäht.

Der Mann in Rot, der das Urteil verliest,
Gab ihm drei Wochen schmal,
Drei Wochen zu leben, – zu heilen das Herz
Von Herzenskampf und -qual,
Und zu waschen jeden Flecken Bluts
Von der Hand, die gehalten den Stahl.

Die Hand, die das Messer gehalten – er wusch
Sie in blutigen Tränen mit Fleiß.
Denn nur das Blut wischt ab das Blut,
Und die Träne nur Heilung verheißt.
Und der rote Fleck, der an Kain war,
Ward Christi Siegel schneeweiß.

VI

In Readingzuchthaus bei Readingstadt,
Da ist ein Schandeneck.
Drin liegt ein elender Mensch, – ihn frißt
Der Zahn der Flamme weg;
Er liegt gewickelt in brennendes Tuch, –
Keinen Namen hat der Fleck.

In Schweigen laßt ihn ruhn, – bis Christ
Den Toten zu kommen gebot.
Vergeudet nicht törichte Tränen! es ist
Kein windiger Seufzer not:
Er hatte getötet, was er geliebt,
Und also hatt er den Tod.

Und jeder tötet, was er liebt,
Das hört nur allzumal!
Der tuts mit einem giftigen Blick,
Und der mit dem Schmeichelwort schmal.
Der Feigling tut es mit dem Kuß,
Der Tapfre mit dem Stahl.

—————


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