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Dritter Akt

Lord Gorings Bibliothekszimmer. Meublement im Stile Adams. Rechts eine Tür zur Halle, links zum Rauchzimmer. Eine Flügeltür im Hintergrund führt in den Salon. Im Kamin brennt Feuer. Phipps, der Haushofmeister, legt einige Zeitungen auf dem Schreibtisch zurecht. Phipps' Charakteristikum ist seine unerschütterliche Ruhe. Enthusiastische Beurteiler nennen ihn den idealen Haushofmeister. Die Sphinx ist weniger geheimnisvoll. Marionettenhafte Ruhe in seinem Benehmen. Die Historie weiß von seinem innern Seelenleben nichts zu berichten. Phipps ist eine Verkörperung der äußeren Form.

Lord Goring tritt ein. Frack, Blume im Knopfloch, Zylinder, Inverneßmantel, weiße Handschuhe, Stock Louis XVI. Der Lord läßt keine Narretei der eleganten Mode aus. Man merkt an ihm, daß er mitten im fashionablen Leben schwimmt und den Ton angibt. Er ist der erste gut gekleidete Denker in der Geschichte der Philosophie.

Lord Goring: Haben Sie eine andere Blume für mein Knopfloch, Phipps?

Phipps: Sehr wohl, Mylord. ( Nimmt Hut, Stock und Mantel und reicht auf einem Tablett eine frische Knopflochblume.)

Lord Goring: Höchst merkwürdige Sache das, Phipps. Bin jetzt der einzige unbedeutende Mensch in London, der eine Blume im Knopfloch trägt.

Phipps: Sehr wohl, Mylord, ich habe es bemerkt.

Lord Goring ( nimmt die alte Blume aus dem Knopfloch): Verstehen Sie, Phipps, Mode ist nur das, was man selbst trägt. Was andere tragen, ist nicht modern.

Phipps: Sehr wohl, Mylord.

Lord Goring: So wie das Benehmen der anderen stets Unkultur ist.

Phipps: Sehr wohl, Mylord!

Lord Goring ( die frische Blume ins Knopfloch steckend): Und Lüge das, was andere Wahrheit nennen.

Phipps: Sehr wohl, Mylord.

Lord Goring: Die anderen sind überhaupt schauderhaft. Die einzige Gesellschaft, in der man es aushalten kann, ist man selbst.

Phipps: Sehr wohl, Mylord!

Lord Goring: Wenn man in sich selbst vernarrt ist, so ist das der Anfang zu einem Roman, Phipps, der das ganze Leben lang dauert.

Phipps: Sehr wohl, Mylord!

Lord Goring ( sich im Spiegel betrachtend): Diese Blume gefällt mir nicht besonders, Phipps. Macht mich ein bißchen zu alt. Fast schon zum Jüngling, he, Phipps?

Phipps: Ich bemerke keine Veränderung in Eurer Lordschaft Aussehen.

Lord Goring: Wirklich nicht, Phipps?

Phipps: Nein, Mylord!

Lord Goring: Ich bin meiner Sache nicht ganz sicher. In Zukunft eine trivialere Blume für Donnerstag abend, Phipps!

Phipps: Ich werde der Blumenhändlerin Auftrag geben, Mylord. In ihrer Familie war kürzlich ein Todesfall; vielleicht rührt daher das Auffallende der Blume, das Eure Lordschaft tadelt.

Lord Goring: Merkwürdige Sache um die unteren Klassen in England – ununterbrochen stirbt einer aus der Verwandtschaft.

Phipps: Sehr wohl, Mylord! In dieser Beziehung geht es ihnen außergewöhnlich gut.

Lord Goring ( dreht sich um und schaut ihn an. Phipps zuckt mit keiner Muskel): Hm! Sind Briefe da, Phipps?

Phipps: Drei, Mylord. ( Reicht auf einem Tablett die Briefe.)

Lord Goring ( nimmt die Briefe): Mein Wagen soll in zwanzig Minuten da sein.

Phipps: Sehr wohl, Mylord. ( Geht zur Tür.)

Lord Goring ( einen Brief mit einem rosa Umschlag betrachtend): Hm! Phipps, wann ist dieser Brief gekommen?

Phipps: Er ist sofort, nachdem Eure Lordschaft in den Klub gefahren war, abgegeben worden.

Lord Goring: Es ist gut. ( Phipps ab.) Lady Chilterns Schrift auf Lady Chilterns rosa Briefpapier. Sehr merkwürdig. Ich dachte, Robert würde schreiben. Was kann mir Lady Chiltern zu sagen haben? ( Setzt sich an den Schreibtisch, öffnet den Brief und liest darin.) Gertrud muß mich sprechen ... vertraut mir ... wird zu mir kommen ...? ( Legt den Brief mit verwirrter Miene nieder, nimmt ihn wieder auf und liest ihn langsam noch einmal.) Sie muß mich sprechen ... vertraut mir ... wird zu mir kommen ...? So hat sie alles entdeckt. Arme Frau! Arme Frau! ( Zieht die Uhr heraus und sieht nach.) Welche Stunde für einen Besuch! Zehn Uhr! Ich werde Berkshires sein lassen müssen. Immerhin angenehmer, erwartet zu werden und nicht zu kommen. Im Junggesellenklub erwarten sie mich nicht, ergo will ich hingehen. Ich will ihr zureden, ihrem Mann beizustehen. Das einzige, was sie tun kann, die einzige Pflicht jeder Frau. Nur die gesteigerte Sensibilität des moralischen Empfindens der Frau ist schuld daran, wenn die Ehe eine so hoffnungslos einseitige Institution wird. Zehn Uhr. Sie muß bald hier sein. Ich muß Phipps sagen, daß ich für niemand anders zu Hause bin. ( Geht zur Glocke.)

( Phipps tritt ein.)

Phipps: Lord Caversham.

Lord Goring: Ich möchte nur wissen, warum Eltern immer gerade im unrechten Augenblick kommen müssen? Wahrscheinlich ein spezieller Geburtsfehler. ( Lord Caversham tritt ein.) Entzückt, dich zu sehen, lieber Papa. ( Geht ihm entgegen.)

Lord Caversham: Nimm mir den Rock ab.

Lord Goring: Ist es der Mühe wert, Papa?

Lord Caversham: Gewiß. Wo ist der bequemste Stuhl?

Lord Goring: Der hier, Papa. Es ist der Sessel, den ich selbst okkupiere, wenn Besuch bei mir ist.

Lord Caversham: Ich danke. Es zieht hier hoffentlich nicht?

Lord Goring: Nein, Papa.

Lord Caversham ( Platz nehmend): Freut mich, zu hören. Kann Zug nicht vertragen. Bei mir zu Hause ist nie Zug.

Lord Goring: Aber oft recht kühles Wetter.

Lord Caversham: Eh? Eh? Verstehe nicht, was du meinst. Habe ernstlich mit dir zu sprechen.

Lord Goring: Lieber Papa! Jetzt?

Lord Caversham: Es ist erst zehn Uhr. Was hast du gegen diese Stunde einzuwenden? Ich finde, es ist eine ausgezeichnete Stunde!

Lord Goring: Ja, Papa, die Sache ist aber die, daß heute für mich nicht der Tag für seriöse Unterhaltung ist. Tut mir aufrichtig leid, aber es ist nicht der richtige Tag.

Lord Caversham: Was meinst du damit?

Lord Goring: Während der Saison bin ich nur jeden ersten Dienstag des Monats von vier bis sieben für seriöse Dinge zu sprechen, Papa.

Lord Caversham: Dann laß heute Dienstag sein.

Lord Goring: Es ist aber schon sieben Uhr vorbei, Papa, und mein Arzt sagt, daß ich nach sieben Uhr keine seriöse Konversation mehr führen darf. Ich spreche sonst im Schlaf.

Lord Caversham: Du sprichst im Schlaf? Macht nichts, bist ja nicht verheiratet.

Lord Goring: Nein, Papa, verheiratet bin ich nicht.

Lord Caversham: Hm! Das ist es gerade, worüber ich mit dir zu sprechen habe. Du sollst heiraten, und zwar baldigst. In deinem Alter war ich schon drei Monate lang untröstlicher Witwer und machte bereits deiner reizenden Mama den Hof. Zum Kuckuck, es ist deine Pflicht, zu heiraten. Du kannst nicht immer dem Vergnügen leben. Heutzutage ist jeder Mann von Stellung verheiratet. Junggesellen werden unmodern. Sie sind eine gottverlassene Gesellschaft. Man kennt sie schon zu gut. Du mußt eine Frau haben. Schau, wie weit es dein Freund Robert Chiltern durch honettes Wesen, ernstes Arbeiten und eine raisonable Heirat mit einer ordentlichen Frau gebracht hat. Warum ahmst du ihm nicht nach? Warum nimmst du dir ihn nicht zum Vorbild?

Lord Goring: Ich glaube, ich werde es schon tun, Papa.

Lord Caversham: Ich wollte, du tätest es. Dann wäre ich glücklich. Jetzt verbittere ich nur deiner armen Mutter das Leben mit dir. Du bist gefühllos, total gefühllos.

Lord Goring: Ich hoffe nicht, Papa.

Lord Caversham: Und es ist die höchste Zeit für dich, zu heiraten. Du bist vierunddreißig Jahre alt.

Lord Goring: Ja, Papa, aber ich gebe nur zweiunddreißig zu – wenn ich die richtige Blume im Knopfloch habe, nur einunddreißig. Meine Blume ist heute nicht trivial genug.

Lord Caversham: Ich sage dir, daß du vierunddreißig Jahr alt bist. Und im übrigen zieht es hier im Zimmer, was dein Benehmen nur noch schlimmer macht. Warum hast du behauptet, daß es nicht zieht? Ich spüre den Zug, ich spüre ihn ganz deutlich.

Lord Goring: Ich auch, Papa, es zieht schrecklich. Ich komme morgen zu dir, Papa. Wir können dann über alles sprechen, was dir genehm ist. Laß mich dir in deinen Rock helfen, Papa.

Lord Caversham: Nein, ich bin heute mit einer bestimmten Absicht hergekommen, und werde sie ausführen, mag es auch meiner oder deiner Gesundheit schaden. Lege meinen Rock wieder hin.

Lord Goring: Gerne, Papa. Aber gehen wir in ein anderes Zimmer. ( Läutet.) Hier ist gräßlicher Zug. ( Phipps tritt ein.) Phipps, ist im Rauchzimmer gut geheizt?

Phipps: Sehr wohl, Mylord.

Lord Goring: Komm da hinein, Papa. Dein Niesen schneidet mir ins Herz.

Lord Caversham: Ich werde doch hoffentlich noch das Recht haben, zu niesen, wann es mir beliebt?

Lord Goring ( entschuldigend): Gewiß, Papa. Ich wollte dir nur mein Mitgefühl ausdrücken.

Lord Caversham: Zum Satan mit deinem Mitgefühl. Heutzutage treibt man es schon zu arg damit.

Lord Goring: Ich bin ganz deiner Meinung, Papa. Gäbe es weniger Mitgefühl, so gäbe es auch weniger Elend auf der Welt.

Lord Caversham ( ins Rauchzimmer gehend): Das ist ein Paradox, ich bin ein Feind von Paradoxen.

Lord Goring: Ich genau so, Papa. Jeder Mensch, den man heutzutage trifft, ist ein Paradoxon. Sehr langweilig. Es macht die Leute so sonnenklar.

Lord Caversham ( wendet sich um und sieht seinen Sohn, die buschigen Brauen zusammenziehend, an): Verstehst du auch immer selbst, was du sagst?

Lord Goring ( nach kurzem Zögern): Ja, Papa, wenn ich genau zuhöre.

Lord Caversham ( indigniert): Wenn du genau zuhörst! Überspannter Narr! ( Geht brummend ins Rauchzimmer. Phipps tritt ein.)

Lord Goring: Phipps, heute abend wird eine Dame kommen, die mich in einer Angelegenheit zu sprechen wünscht. Führen Sie sie in den Salon, wenn sie kommt. Verstanden?

Phipps: Sehr wohl, Mylord.

Lord Goring: Es handelt sich um eine besonders wichtige Angelegenheit, Phipps.

Phipps: Ich verstehe, Mylord.

Lord Goring: Unter keiner Bedingung darf jemand anders vorgelassen werden.

Phipps: Ich verstehe, Mylord. ( Es läutet.)

Lord Goring: Ah, das ist wahrscheinlich die Dame. Ich will sie selbst empfangen. ( Gerade wie er zur Türe geht, kommt Lord Caversham aus dem Herrenzimmer herein.)

Lord Caversham: Nun, soll ich etwa auf dich warten?

Lord Goring ( sichtlich verlegen): Entschuldige mich einen Moment, Papa. ( Lord Caversham geht zurück.) Also, merken Sie sich meinen Auftrag gut, Phipps –in dieses Zimmer.

Phipps: Sehr wohl, Mylord. ( Lord Goring geht ins Rauchzimmer. Harold, der Diener, führt Mrs. Cheveley herein. Sie trägt eine Phantasie von Grün und Silber. Mantel aus schwarzem Atlas mit Seidenfutter in der Farbe welker Rosenblätter.)

Harold: Wen darf ich melden, Madame?

Mrs. Cheveley ( zu Phipps, der auf sie zukommt): Ist Lord Goring nicht hier? Man hat mir gesagt, daß er zu Hause ist.

Phipps: Seine Lordschaft spricht momentan mit Lord Caversham, Madame. ( Wirft Harold einen kalten, glasigen Blick zu, worauf sich Harold sogleich zurückzieht.)

Mrs. Cheveley ( für sich): Der gute Sohn!

Phipps: Seine Lordschaft hat mir Auftrag gegeben, Madame zu bitten, freundlichst im Salon auf ihn zu warten. Seine Lordschaft wird sofort kommen.

Mrs. Cheveley ( verwundert): Lord Goring erwartet mich?

Phipps: Jawohl, gnädige Frau.

Mrs. Cheveley: Wissen Sie das sicher?

Phipps: Seine Lordschaft hat mir aufgetragen, wenn eine Dame kommt, sie zu ersuchen, im Salon auf ihn zu warten. ( Geht zur Salontüre und öffnet sie.) Die Befehle seiner Lordschaft waren sehr präzise.

Mrs. Cheveley ( für sich): Wie zartfühlend! Das Unerwartete erwarten – ein Beweis für einen durchaus kultivierten Verstand. ( Geht zur Salontür und schaut hinein.) Uff! Wie unfreundlich Salons in Junggesellenwohnungen immer aussehen. Das werde ich alles ändern müssen. ( Phipps bringt die Lampe vom Schreibtisch.) Nein, ich brauche diese Lampe nicht. Sie leuchtet viel zu hell. Zünden Sie einige Kerzen an.

Phipps ( stellt die Lampe zurück): Bitte, Madame.

Mrs. Cheveley: Ich hoffe, daß die Kerzen Schirme haben, die das Licht vorteilhaft dämpfen.

Phipps: Es sind bisher keine Klagen unterlaufen, Madame. ( Geht in den Salon und fängt an, die Kerzen anzuzünden.)

Mrs. Cheveley ( für sich): Ich möchte wissen, wer die Frau ist, die er heute abend erwartet. Es wird köstlich sein, ihn zu ertappen. Die Männer schauen immer so albern aus, wenn sie ertappt werden. Und sie lassen sich immer ertappen. ( Sieht sich im Zimmer um und nähert sich dem Schreibtisch.) Wie interessant das Zimmer ist! Ein interessantes Bild! Ich möchte seine Korrespondenz sehen. ( Stöbert in den Briefen herum.) Eine uninteressante Korrespondenz! Zettel und Visitenkarten, Rechnungen und Parten. Wer mag ihm nur auf rosa Briefpapier schreiben? Zu läppisch, auf rosa Papier zu schreiben. So beginnen gewöhnlich Romane aus den bürgerlichen Klassen. Romane sollten nie mit Gefühlsergüssen beginnen, ihr Anfang sollte Logik, ihr Ende die Ehe sein. ( Legt den Brief nieder, hebt ihn aber wieder auf.) Ich kenne diese Schrift. Es ist Gertrud Chilterns Schrift. Ich erinnere mich genau daran. In jedem Federstrich die zehn Gebote, Moral über die ganze Seite. Was mag ihm Gertrud nur schreiben? Gewiß irgend etwas Niederträchtiges über mich. Wie ich dieses Weib hasse! ( Liest.) Sie muß ihn sprechen ... vertraut ihm ... will zu ihm kommen ...! ( Langsam wiederholend.) Sie muß ihn sprechen ... vertraut ihm ... will zu ihm kommen ... ( Ihre Augen leuchten triumphierend auf. Im Moment, wo sie den Brief entwenden will, kommt Phipps herein.) .

Phipps: Die Kerzen brennen im Salon, wie Madame gewünscht haben.

Mrs. Cheveley: Danke. ( Erhebt sich hastig und steckt den Brief unter eine große, mit Silber montierte Schreibmappe, die auf dem Tische liegt.)

Phipps: Ich glaube, daß die Schirme Madames Geschmack entsprechen werden; es sind die besten, die wir haben. Seine Lordschaft verwendet die gleichen, wenn er zum Diner Toilette macht.

Mrs. Cheveley ( lächelnd): Dann werden es gewiß die richtigen sein.

Phipps ( ernst): Danke, Madame. ( Mrs. Cheveley geht in den Salon. Phipps schließt die Türe und zieht sich zurück. Dann wird die Türe leise wieder geöffnet, und Mrs. Cheveley schleicht langsam auf den Schreibtisch zu. Plötzlich hört man Stimmen aus dem Rauchzimmer. Mrs. Cheveley erbleicht und bleibt stehen. Die Stimmen werden lauter, sie geht, sich die Lippen beißend, in den Salon zurück. Lord Goring und Lord Caversham treten ein.)

Lord Goring ( in dezidiertem Tone): Mein lieber Papa, wenn ich heiraten soll, so wirst du mir wohl gestatten, Zeit, Ort und Person selbst zu bestimmen? Besonders die Person.

Lord Caversham ( eigensinnig): Das ist meine Sache, du würdest wahrscheinlich eine sehr schlechte Wahl treffen. Ich muß zu Rat gezogen werden, nicht du. Vorerst handelt es sich um Geld und Geldeswert, nicht um Zuneigung. Zuneigung kommt dann schon später in der Ehe.

Lord Goring: Jawohl, Zuneigung kommt in der Ehe dann, wenn die Leute einander gründlich satt haben, nicht wahr, Papa? ( Hilft Lord Caversham, den Rock anzuziehen.)

Lord Caversham: Gewiß. Gewiß nicht, will ich sagen. Du sprichst heute lauter Unsinn. Was ich sagen will, ist, daß die Ehe eine Sache der Vernunft ist.

Lord Goring: Aber vernünftige Frauen sind so besonders häßlich, findest du nicht, Papa? Ich spreche natürlich nur vom Hörensagen.

Lord Caversham: Alle Frauen zusammen, ob hübsch oder häßlich, besitzen überhaupt keine Vernunft. Vernunft ist das Privileg unseres Geschlechtes.

Lord Goring: Ganz richtig. Und wir Männer sind so altruistisch, nie Gebrauch davon zu machen, nicht wahr, Papa?

Lord Caversham: Ich immer, ohne Ausnahme.

Lord Goring: Das hörte ich auch Mama sagen.

Lord Caversham: Darin liegt auch das Geheimnis, warum deine Mutter so glücklich ist. Du bist gefühllos, total gefühllos.

Lord Goring: Hoffentlich nicht, Papa. ( Verläßt mit Lord Caversham das Zimmer und kommt dann, ziemlich verstimmt aussehend, mit Sir Robert Chiltern wieder zurück.)

Sir Robert Chiltern: Welch glücklicher Zufall, lieber Artur, dich gerade auf der Schwelle zu finden! Dein Diener hat mir eben gesagt, du wärest nicht zu Hause. Wie merkwürdig!

Lord Goring: Die Sache ist die, daß ich heute abend furchtbar beschäftigt bin, Robert, und deshalb Auftrag gegeben habe, niemand vorzulassen. Sogar meinen Papa habe ich verhältnismäßig kühl aufgenommen. Er hat auch die ganze Zeit über Zug geklagt.

Sir Robert Chiltern: Oh, für mich mußt du zu Hause sein, Artur. Du bist mein bester Freund, morgen vielleicht sogar mein einziger. Meine Frau weiß alles.

Lord Goring: Das habe ich gleich erraten.

Sir Robert Chiltern ( ihn ansehend): Wirklich? Woraus?

Lord Goring ( nach kurzem Zögern): Oh, bloß aus einem Zuge in deinem Gesichte, wie du hereinkamst. Wer hat es ihr gesagt?

Sir Robert Chiltern: Mrs. Cheveley selbst. Und jetzt weiß die Frau, die ich liebe, daß ich meine Karriere mit einer Schurkerei begonnen, daß ich mein Leben auf eine Sandbank der Schande aufgebaut – daß ich wie ein gemeiner Lump das Geheimnis verkauft habe, das man mir als Ehrenmanne anvertraute. Ich danke dem Himmel, daß der arme Lord Radley gestorben ist, ohne zu wissen, daß ich ihn verraten habe. Wollte Gott, ich wäre selbst gestorben, bevor ich in diese schreckliche Versuchung geraten, ehe ich so tief gefallen war. ( Verdeckt sein Gesicht mit den Händen.)

Lord Goring ( nach einer Pause): Ist aus Wien noch keine Antwort auf dein Telegramm da?

Sir Robert Chiltern ( aufschauend): Ja, ich erhielt heute abend um acht Uhr ein Telegramm vom ersten Sekretär.

Lord Goring: Nun?

Sir Robert Chiltern: Es ist absolut nichts bekannt, was gegen sie spräche. Im Gegenteil, sie nimmt eine ziemlich hervorragende Position in der Gesellschaft ein. Eine Art offenen Geheimnisses ist es, daß ihr Baron Arnheim den größten Teil seines enormen Vermögens hinterlassen hat. Sonst konnte ich nichts in Erfahrung bringen.

Lord Goring: So hat sie sich nicht als Spion entpuppt?

Sir Robert Chiltern: Ach, Spione haben heutzutage keinen Wert. Ihre Zeit ist um. An ihrer Statt arbeiten die Zeitungen.

Lord Goring: Und noch dazu verteufelt gut.

Sir Robert Chiltern: Artur, ich verschmachte vor Durst. Kann ich etwas zu trinken haben, vielleicht ein wenig Wein mit Sodawasser?

Lord Goring: Gewiß, ich werde sofort lauten. ( Läutet.)

Sir Robert Chiltern: Danke! Ich weiß nicht, was ich tun soll, Artur, ich weiß nicht, was ich tun soll. Du bist mein einziger Freund. Und was für ein Freund – der einzige, dem ich vertrauen kann. Ich kann dir doch unbedingt vertrauen, nicht wahr? ( Phipps tritt ein.)

Lord Goring: Gewiß, Robert. ( Zu Phipps): Bringen Sie Rheinwein und Sodawasser.

Phipps: Sehr wohl, Mylord.

Lord Goring: Und noch eins, Phipps!

Phipps: Sehr wohl, Mylord.

Lord Goring: Entschuldige mich einen Augenblick, Robert. Ich will meinem Diener nur einige Aufträge geben.

Sir Robert Chiltern: Aber bitte.

Lord Goring: Wenn die Dame kommt, so sagen Sie ihr, daß man mich heute abend nicht zu Hause erwartet. Sagen Sie ihr, daß ich plötzlich abreisen mußte. Verstanden?

Phipps: Die Dame ist dort im Zimmer, Mylord. Mylord befahl mir, sie ins Zimmer zu führen.

Lord Goring: Es war ganz in Ordnung. ( Phipps ab.) Jetzt sitze ich schön in der Patsche. Ich werde mich aber schon herauswinden, werde ihr durch die Türe eine Lektion erteilen. Die Sache ist aber nicht leicht.

Sir Robert Chiltern: Artur, sag' mir, was ich tun soll. Mein Leben scheint unter mir zusammenzusinken. Ich bin ein Schiff, dem in sternenloser Nacht das Steuer fehlt.

Lord Goring: Robert, du liebst deine Frau, nicht wahr?

Sir Robert Chiltern: Ich liebe sie mehr als irgend etwas auf der Welt. Ich glaubte, daß Ehrgeiz das Höchste wäre, er ist es aber nicht. Liebe ist das Höchste in der Welt. Nichts gleicht der Liebe, und ich liebe Gertrud. Aber in ihren Augen bin ich entehrt, unwürdig, eine tiefe Kluft liegt jetzt zwischen uns. Sie hat entdeckt, was ich bin, Artur, sie hat es entdeckt.

Lord Goring: Hat denn sie im Leben keine Torheit begangen – keine Unbesonnenheit – daß sie dir die Sünde nicht vergeben könnte?

Sir Robert Chiltern: Meine Frau? Niemals! Sie weiß nicht, was Schwachheit oder Versuchung ist. Ich bin nur von dieser Welt, wie alle anderen Männer. Sie aber steht über dieser Welt, wie alle edeln Frauen – erbarmungslos in ihrer Vollkommenheit – kalt und streng und ohne Mitleid. Aber ich liebe sie, Artur. Wir sind kinderlos, und ich habe niemand sonst, den ich lieben, niemand, der mich lieben könnte. Vielleicht wäre sie nachsichtiger gegen mich gewesen, wenn uns Gott Kinder geschenkt hätte, aber Gott hat unser Haus einsam gelassen. Sie hat mir das Herz zerrissen. Laß uns lieber nicht mehr davon sprechen. Ich war heute abend brutal gegen sie. Vielleicht sind Sünder immer roh, wenn sie mit Heiligen sprechen. Ich habe ihr in rücksichtslosester Weise die Wahrheit gesagt, die Wahrheit von meinem Standpunkte aus, vom Standpunkte der Männer. Sprechen wir lieber nicht mehr davon.

Lord Goring: Deine Frau wird dir verzeihen. Vielleicht verzeiht sie dir in diesem Augenblick. Sie liebt dich ja, Robert. Warum sollte sie dir nicht verzeihen?

Sir Robert Chiltern: Gott gebe es! Gott gebe es! ( Bedeckt sein Gesicht mit den Händen.) Aber ich habe dir noch etwas zu sagen, Artur. ( Phipps kommt mit den Getränken.)

Phipps ( zu Sir Robert Chiltern): Rheinwein und Sodawasser, Sir.

Sir Robert Chiltern: Danke.

Lord Goring: Ist dein Wagen hier, Robert?

Sir Robert Chiltern: Nein, ich bin zu Fuß vom Klub gekommen.

Lord Goring: Sir Robert wird meinen Wagen nehmen, Phipps.

Phipps: Sehr wohl, Mylord. ( Ab.)

Lord Goring: Robert, du bist nicht böse, wenn ich dich jetzt fortschicke?

Sir Robert Chiltern: Du mußt mich noch fünf Minuten hier lassen, Artur. Ich habe schon einen Entschluß gefaßt, was ich heute im Parlament tun will. Die Debatte über die Argentinische Angelegenheit beginnt um elf Uhr. ( Im Salon fällt ein Sessel um.) Was war das?

Lord Goring: Nichts.

Sir Robert Chiltern: Ich habe im Nebenzimmer einen Sessel fallen hören. Es hat jemand gehorcht.

Lord Goring: Nein, nein; es ist niemand drin.

Sir Robert Chiltern: O ja! Das Zimmer ist beleuchtet und die Türe offen. Jemand hat gehorcht, wie ich die tiefsten Geheimnisse meines Lebens verraten habe. Artur, was soll das heißen?

Lord Goring: Du bist nervös und aufgeregt, Robert. Ich wiederhole dir, daß niemand im Zimmer dort ist. Nimm Platz, Robert.

Sir Robert Chiltern: Gibst du mir dein Wort, daß niemand drin ist?

Lord Goring: Jawohl.

Sir Robert Chiltern: Dein Ehrenwort? ( Setzt sich.)

Lord Goring: Jawohl.

Sir Robert Chiltern ( steht auf): Laß mich selbst nachschauen, Artur.

Lord Goring: Nein, nein.

Sir Robert Chiltern: Warum sollte ich nicht in jenes Zimmer blicken, wenn niemand darin ist? Du mußt mich in das Zimmer lassen, damit ich darüber beruhigt bin. Ich muß wissen, daß kein Horcher das Geheimnis meines Lebens erlauscht hat. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich durchmache, Artur.

Lord Goring: Das muß ein Ende nehmen, Robert. Ich habe dir gesagt, daß niemand dort im Zimmer ist – das genügt wohl.

Sir Robert Chiltern ( eilt zur Salontüre): Nein, es genügt nicht. Ich bestehe darauf, in das Zimmer zu gehen. Du hast mir gesagt, daß niemand darin ist, welchen Grund also kannst du haben, mir es zu verweigern?

Lord Goring: Um Himmels willen, geh' nicht hinein. Es ist jemand drin, den du nicht sehen darfst.

Sir Robert Chiltern: Oh, ich hab's gewußt.

Lord Goring: Ich verbiete dir, das Zimmer zu betreten.

Sir Robert Chiltern: Zurück! Mein Leben steht auf dem Spiel, jetzt ist es mir gleich, wer drin ist. Ich will wissen, wem ich das Geheimnis meiner Schande verraten habe. ( Eilt hinein.)

Lord Goring: O Gott! Seine eigne Frau. ( Sir Robert Chiltern kommt mit verächtlichem und finsterem Gesicht zurück.)

Sir Robert Chiltern: Wie kannst du mir die Anwesenheit dieser Frau erklären?

Lord Goring: Ich schwöre dir bei meiner Ehre, Robert, daß diese Frau makellos und unschuldig an allen deinen Kränkungen ist.

Sir Robert Chiltern: Sie ist ein gemeines, schamloses Weib!

Lord Goring: Sprich nicht so, Robert! Für dich ist sie hierhergekommen, sie ist gekommen, um dich zu retten. Sie liebt dich und niemand anderen.

Sir Robert Chiltern: Du bist wohl verrückt. Was gehen mich eure Intrigen an? Sie soll nur deine Mätresse bleiben, ihr paßt gut zueinander. Sie, korrupt und verkommen – du falsch als Freund, mehr als das, ein hinterhältiger Feind –.

Lord Goring: Das ist nicht wahr, Robert, beim Himmel, das ist nicht wahr. Ich will alles in eurer beider Gegenwart aufklären.

Sir Robert Chiltern: Lassen Sie mich gehen, Sir. Sie haben Ihr Ehrenwort genügend gebrochen.

( Sir Robert Chiltern stürzt hinaus. Lord Goring eilt zur Salontüre, aus der Mrs. Cheveley soeben strahlend und höchlichst amüsiert heraustritt.)

Mrs. Cheveley ( mit höhnischer Verbeugung): Guten Abend, Lord Goring!

Lord Goring: Mrs. Cheveley! Großer Gott! ... Darf ich fragen, was Sie in meinem Salon getan haben?

Mrs. Cheveley: Bloß gehorcht. Ich horche für mein Leben gerne an Schlüssellöchern, man kann da immer die merkwürdigsten Dinge hören.

Lord Goring: Heißt das nicht mit der Vorsehung spielen?

Mrs. Cheveley: Ja, aber heute hat die Vorsehung das Spiel gewonnen. ( Winkt ihm, ihr den Mantel abzunehmen; er gehorcht.)

Lord Goring: Sehr erfreut über Ihr Kommen. Ich will Ihnen einen guten Rat geben.

Mrs. Cheveley: Oh, ich bitte, tun Sie es nicht. Man soll einer Frau nie etwas geben, was sie am Abend nicht tragen kann.

Lord Goring: Ich sehe, Sie sind noch immer so eigensinnig wie früher.

Mrs. Cheveley: Noch viel mehr! Ich habe darin große Fortschritte gemacht, seitdem ich mehr Erfahrungen besitze.

Lord Goring: Zu viel Erfahrung ist auch gefährlich. Bitte nehmen Sie eine Zigarette. Die Hälfte hübscher Frauen Londons raucht Zigaretten, ich für meine Person ziehe allerdings die andere Hälfte vor.

Mrs. Cheveley: Danke, ich rauche nie. Meine Schneiderin wäre nicht entzückt davon; und die erste Pflicht im Leben einer Frau ist, ihrer Schneiderin zu gehorchen, nicht wahr? Worin die zweite Pflicht besteht, hat bisher noch niemand herausgefunden.

Lord Goring: Sie sind also gekommen, um mir Robert Chilterns Brief zu verkaufen, nicht wahr?

Mrs. Cheveley: Um Ihnen den Brief unter gewissen Bedingungen zu offerieren. Wieso haben Sie das erraten können?

Lord Goring: Weil Sie die Sache nicht erwähnt haben. Haben Sie den Brief bei sich?

Mrs. Cheveley ( Platz nehmend): O nein! Ein Kleid aus guter Hand hat keine Taschen.

Lord Goring: Wieviel verlangen Sie?

Mrs. Cheveley: Was für ein schrecklicher Engländer Sie sind! Die Engländer glauben immer, ein Scheckbuch könne jedes Problem im Leben lösen. Mein lieber Artur, ich habe viel mehr Geld als Sie, und vielleicht genau so viel wie Robert Chiltern. Geld ist's also nicht, was ich will.

Lord Goring: Was wollen Sie also, Mrs. Cheveley?

Mrs. Cheveley: Warum nennen Sie mich nicht Laura?

Lord Goring: Mir mißfällt der Name.

Mrs. Cheveley: Sie waren einst vernarrt in ihn.

Lord Goring: Eben darum. ( Mrs. Cheveley winkt ihm, sich neben sie zu setzen; er gehorcht lächelnd.)

Mrs. Cheveley: Artur, Sie haben mich einst geliebt.

Lord Goring: Jawohl.

Mrs. Cheveley: Und wollten mich zu Ihrer Gattin machen.

Lord Goring: In natürlicher Konsequenz meiner Liebe.

Mrs. Cheveley: Und Sie haben mir den Laufpaß gegeben, weil Sie bemerkten oder wenigstens zu bemerken glaubten, daß der arme, alte Lord Mortlake Anstalten traf, im Wintergarten in Tenby sich mit mir des nähern einzulassen.

Lord Goring: Ich erinnere mich dunkel, daß mein Anwalt die Sache mit Ihnen unter gewissen Bedingungen, die Sie selbst stellten, geregelt hat.

Mrs. Cheveley: Zu jener Zeit war ich arm, und Sie waren reich.

Lord Goring: Stimmt. Deshalb spielten Sie mir auch die Komödie Ihrer Liebe vor.

Mrs. Cheveley ( achselzuckend): Der arme, alte Lord Mortlake, er hatte nur zwei Themen, seine Gicht und seine Frau! Ich konnte nie ordentlich unterscheiden, wovon er gerade sprach. Er gebrauchte für beides die schrecklichsten Ausdrücke. Nun, Artur, Sie waren töricht. Lord Mortlake war für mich nie etwas anderes als ein Amüsement, eines der schrecklich langweiligen Amüsements, die man nur an einem echt englischen Sonntag auf einem echt englischen Landsitz finden kann. Ich glaube, daß man weder Mann noch Weib moralisch dafür verantwortlich machen kann, was sie in einem englischen Landhause treiben.

Lord Goring: Ja ich weiß, daß eine Menge Leute genau so denken.

Mrs. Cheveley: Ich habe Sie geliebt, Artur.

Lord Goring: Meine liebe Mrs. Cheveley, für echte Liebe waren Sie immer viel zu klug.

Mrs. Cheveley: Ich habe Sie geliebt, Sie haben mich geliebt. Sie wissen, daß Sie mich geliebt haben – und Liebe ist etwas sehr Merkwürdiges. Ich glaube, wenn ein Mann einmal eine Frau geliebt hat, so kann er alles für sie tun, nur sie nicht wieder lieben. ( Legt ihre Hand auf die seine.)

Lord Goring ( seine Hand ruhig wegziehend): Ja, alles außer diesem einen.

Mrs. Cheveley ( nach einer Pause): Ich habe genug vom Leben in der Fremde, ich will wieder nach London zurück und hier ein vornehmes Haus führen. Ich will einen Salon haben. Wenn man nur die Engländer zum Reden und die Iren zum Zuhören bringen könnte, so wäre die Gesellschaft hier ganz zivilisiert. Im übrigen befinde ich mich jetzt in meiner romantischen Periode. Als ich Sie gestern abend bei Chilterns sah, wußte ich sofort, daß Sie der einzige Mensch sind, aus dem ich mir je etwas gemacht habe, wenn ich mir überhaupt je aus jemand etwas gemacht habe, Artur. Und deshalb will ich Ihnen an dem Tage, an dem Sie mich heiraten, Robert Chilterns Brief übergeben. Das ist meine Proposition. Ich gebe Ihnen den Brief sofort, wenn Sie mir versprechen, mich zu heiraten.

Lord Goring: Sofort?

Mrs. Cheveley ( lächelnd): Morgen.

Lord Goring: Ist das wirklich Ihr Ernst?

Mrs. Cheveley: Ja, mein voller Ernst.

Lord Goring: Ich würde einen schlechten Gatten für Sie abgeben.

Mrs. Cheveley: Dagegen habe ich nichts. Ich habe zwei schlechte Gatten gehabt, und sie haben mich brillant amüsiert.

Lord Goring: Sie meinen wohl, daß Sie sich brillant amüsiert haben?

Mrs. Cheveley: Was wissen denn Sie von meinem Eheleben?

Lord Goring: Nichts, aber ich kann darin lesen wie in einem Buch.

Mrs. Cheveley: Und das wäre?

Lord Goring ( aufstehend): Viertes Buch der Bibel ( mit einer bezeichnenden Geste) Numeri ...

Mrs. Cheveley: Finden Sie es korrekt, in Ihrem Hause einer Dame solche Sottisen zu sagen?

Lord Goring: Faszinierenden Frauen verleiht ihre Weiblichkeit nicht Schutz, sondern sie reizt zum Angriff.

Mrs. Cheveley: Ich nehme an, daß das ein Kompliment sein soll. Aber Frauen haben sich durch Komplimente noch nie entwaffnen lassen, mein lieber Artur, nur stets die Männer. Darin liegt auch der Unterschied der beiden Geschlechter.

Lord Goring: Soviel ich weiß, lassen sich Frauen überhaupt durch nichts entwaffnen.

Mrs. Cheveley ( nach einer Pause): Sie ziehen also vor, Robert Chiltern, Ihren besten Freund dem Untergange zu weihen, statt eine Frau zu heiraten, deren Reize noch lange nicht verblüht sind? Ich hätte gedacht, Sie könnten sich zu einer gewissen Höhe der Selbstverleugnung aufschwingen, Artur. Ich glaube, Sie sollten es tun. Sie könnten dann Ihr ganzes ferneres Leben in der Betrachtung Ihrer eigenen Vollkommenheit verbringen.

Lord Goring: Oh, das tue ich ohnehin. Und Selbstverleugnung sollte gesetzlich verboten werden. Sie demoralisiert nur die Leute, zu deren Gunsten man sich opfert; sie nehmen immer ein schlechtes Ende.

Mrs. Cheveley: Als ob Robert Chiltern noch demoralisiert werden könnte! Sie scheinen zu vergessen, daß ich seinen wahren Charakter kenne.

Lord Goring: Das hat mit seinem wahren Charakter nichts zu tun. Es war eine Jugendtorheit, zugegeben, es war unehrenhaft, zugegeben, schmutzig, zugegeben, seiner unwürdig, und deshalb – hat es nichts mit seinem wahren Charakter zu tun.

Mrs. Cheveley: Wie ihr Männer einander doch immer die Stange haltet!

Lord Goring: Und wie ihr Frauen einander doch immer bekämpft!

Mrs. Cheveley ( bitter): Ich bekämpfe nur eine einzige Frau – Gertrud Chiltern. Ich hasse sie, hasse sie jetzt mehr als je.

Lord Goring: Wohl deshalb, weil Sie ihr Leben durch und durch zur Tragödie gemacht haben?

Mrs. Cheveley ( mit spöttischem Lächeln): Oho, es gibt nur eine einzige wirkliche Tragödie im Leben der Frau – die Tatsache, daß ihre Vergangenheit stets ihr Geliebter und die Zukunft beständig ihr Gatte ist.

Lord Goring: Lady Chiltern kennt diese Art von Leben absolut nicht, auf die Sie da anspielen.

Mrs. Cheveley: Eine Frau, die Handschuhe Nummer siebendreiviertel trägt, weiß überhaupt nicht viel von irgend etwas. Sie wissen, Gertrud hat stets Nummer siebendreiviertel getragen. Das war einer der Gründe dafür, warum sich zwischen uns nie ein geistiger Kontakt herstellen konnte ... Nun, Artur, ich nehme an, daß diese romantische Begegnung jetzt als beendet angesehen werden muß. Sie geben doch zu, daß es romantisch war, nicht? Dafür, Ihre Gattin werden zu dürfen, war ich bereit, einen großen Preis zu bezahlen – die höchste Staffel meiner diplomatischen Karriere. Sie lehnen es ab. Gut. Wenn Sir Robert mein argentinisches Projekt nicht durchdrückt, so stelle ich ihn bloß. Voilà tout.

Lord Goring: Das dürfen Sie nicht tun, das wäre gemein, abscheulich, infam.

Mrs. Cheveley ( die Achsel zuckend): Oh, gebrauchen Sie doch nicht so große Worte, sie sagen so wenig. Es handelt sich um eine bloße Geschäftssache, das ist alles. Mit Sentimentalität hat die Angelegenheit nichts zu tun. Ich habe Robert Chiltern eine bestimmte Sache zum Kauf angeboten. Wenn er mir meinen Preis nicht zahlen will, so wird er eben der Welt einen höheren zu zahlen haben. Mehr habe ich nicht zu sagen. Jetzt muß ich gehen. Adieu. Wollen Sie mir nicht die Hand reichen?

Lord Goring: Ihnen? – Nein! Ihre Transaktion mit Robert Chiltern möge Ihnen als eine ekelhafte geschäftliche Transaktion eines ekelhaft geschäftlichen Zeitalters durchgehen. Aber Sie scheinen vergessen zu haben, daß Sie, die heute herkamen, um über Liebe zu sprechen, Sie, deren Lippen das Wort Liebe beschmutzten, Sie, für die dieses Ding ein Buch mit sieben Siegeln ist, heute nachmittag in das Haus einer der nobelsten und vornehmsten Frauen der Welt gegangen sind, um den Gatten in ihren Augen herunterzusetzen, um zu versuchen, ihre Liebe zu ihm zu töten, in ihr Herz Gift zu träufeln, ihr Leben mit Bitterkeit zu erfüllen, ihr Ideal zu zerstören und sogar ihre Seele zu verderben. Das war schrecklich, und dafür gibt es keine Verzeihung.

Mrs. Cheveley: Artur, Sie sind ungerecht gegen mich. Glauben Sie mir, Sie sind höchst ungerecht gegen mich. Ich bin absolut nicht hingegangen, um Gertrud zu reizen. Ich hatte dergleichen nicht im geringsten vor, als ich hinging. Ich habe sie einfach mit Lady Markby besucht, um nachzufragen, ob nicht ein Schmuckstück, ein Juwel, das ich am letzten Abend irgendwo verloren hatte, gefunden worden wäre. Wenn Sie mir nicht glauben, so können Sie Lady Markby fragen, sie wird Ihnen die Wahrheit meiner Aussage bestätigen. Die Szene, die sich dann abspielte, geschah, nachdem Lady Markby sich entfernt hatte und wurde mir einzig und allein durch Gertrudens hämisches und provokantes Wesen aufgezwungen. Ich habe sie – vielleicht auch ein wenig aus Malice, wenn Sie wollen – aber hauptsächlich darum besucht, um zu erfahren, ob sich nicht eine Brillantbrosche, die mir gehört, gefunden habe. Damit hat die ganze Affäre angefangen.

Lord Goring: Eine Schlangenbrosche aus Brillanten mit einem Rubin?

Mrs. Cheveley: Ja – wieso wissen Sie das?

Lord Goring: Weil sie gefunden wurde. Besser gesagt, ich habe sie gefunden und habe dummerweise vergessen, dem Diener etwas davon zu sagen, als ich mich empfahl. ( Er geht zum Schreibtisch und zieht die Laden auf.) Sie liegt in dieser Lade. Nein, in dieser, das ist die Brosche, nicht? ( Hält die Brosche in die Höhe.)

Mrs. Cheveley: Ja, ich bin so froh, sie wieder zurück zu bekommen. Sie war ... ein Geschenk.

Lord Goring: Wollen Sie sie nicht anlegen?

Mrs. Cheveley: O ja, wenn Sie mir sie anheften wollen. ( Lord Goring legt ihr den Schmuck plötzlich um den Arm.) Warum legen Sie mir sie wie ein Armband an? Ich habe nie gewußt, daß man sie auch als Armband tragen kann.

Lord Goring: Wirklich nicht?

Mrs. Cheveley ( ihren schöngeformten Arm ausstreckend): Nein, aber sie nimmt sich auch als Armband vorzüglich aus, nicht?

Lord Goring: Jawohl, bedeutend besser als damals, als ich den Schmuck zum letztenmal gesehen habe.

Mrs. Cheveley: Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?

Lord Goring ( ruhig): Oh, vor zehn Jahren bei Lady Berkshire, der Sie ihn gestohlen haben.

Mrs. Cheveley ( stutzig): Was meinen Sie damit?

Lord Goring: Ich meine damit, daß Sie dieses Schmuckstück meiner Cousine Mary Berkshire gestohlen haben, der ich es zu ihrer Hochzeit schenkte. Der Verdacht lenkte sich auf ein armes Dienstmädchen, das mit Schimpf und Schande entlassen wurde. Ich habe den Schmuck gestern abend wieder entdeckt. Ich beschloß, nichts davon verlauten zu lassen, bis ich den Dieb gefunden hätte. Jetzt habe ich den Dieb entdeckt und habe auch sein Geständnis mit eigenen Ohren gehört.

Mrs. Cheveley ( ihr Haupt schüttelnd): Das ist nicht wahr.

Lord Goring: Sie wissen, daß es wahr ist. Ja, die Diebsschuld ist jetzt in diesem Augenblicke auf Ihrem Gesichte eingegraben.

Mrs. Cheveley: Ich werde das Ganze vom Anfang bis zum Ende ableugnen. Ich werde sagen, daß ich das verdammte Zeug da nie gesehen habe, daß es mir nie gehört hat. ( Mrs. Cheveley versucht vergeblich, das Armband von ihrem Arm herabzuzerren. Lord Goring sieht ihr vergnügt zu. Ihre dünnen Finger zerren an dem Schmuck sinnlos herum. Ein Fluch entringt sich ihren Lippen.)

Lord Goring: Die Kehrseite des Stehlens, Mrs. Cheveley, ist, daß man nie weiß, was für Zauberkünste das Ding kann, das man gestohlen hat. Sie können das Armband nicht herunterbekommen, wenn Sie nicht wissen, wo die Feder ist. Und ich sehe, daß Sie das nicht wissen. Sie ist ziemlich schwer zu finden.

Mrs. Cheveley: Sie Elender! Sie Feigling! ( Sie versucht von neuem vergeblich, das Armband herunterzubringen.)

Lord Goring: Oh, gebrauchen Sie doch nicht so große Worte, sie sagen so wenig.

Mrs. Cheveley ( zerrt in einem Wutanfall an dem Armband und stößt dabei unartikulierte Laute aus. Dann hört sie auf und blickt Lord Goring an): Was wollen Sie tun?

Lord Goring: Ich will meinem Diener läuten. Er ist das Muster eines Dieners, kommt stets im Augenblick, wo man ihm läutet. Wenn er kommt, werde ich ihm befehlen, die Polizei zu holen.

Mrs. Cheveley ( zitternd): Die Polizei? Wozu?

Lord Goring: Morgen werden die Berkshires gegen Sie Anzeige erstatten, dazu brauche ich die Polizei.

Mrs. Cheveley ( in einem physischen Anfall von Entsetzen. Ihr Antlitz ist entstellt, ihr Mund verzerrt – jede Maske ist gefallen. Ihr Anblick ist in diesem Augenblick entsetzlich): Tun Sie's nicht, ich will alles tun, was Sie verlangen, alles in der Welt, was Sie verlangen.

Lord Goring: Geben Sie mir Robert Chilterns Brief!

Mrs. Cheveley: Halt, halt, geben Sie mir Zeit zum Überlegen.

Lord Goring: Geben Sie mir Robert Chilterns Brief.

Mrs. Cheveley: Ich habe ihn nicht bei mir, ich werde Ihnen den Brief morgen geben.

Lord Goring: Sie wissen am besten, daß Sie lügen, also geben Sie ihn sofort her. ( Mrs. Cheveley zieht den Brief hervor und reicht ihn dem Lord. Ihr Gesicht ist entsetzlich bleich.) Ist das der Brief?

Mrs. Cheveley ( mit heiserer Stimme): Ja.

Lord Goring ( nimmt den Brief, prüft ihn, seufzt und verbrennt ihn über der Lampe): Für eine so elegante Dame, Mrs. Cheveley, haben Sie Momente bewunderungswürdigen Verstandes. Ich gratuliere Ihnen.

Mrs. Cheveley ( erblickt den Brief der Lady Chiltern, dessen Kuvert eben unter der Schreibmappe hervorlugt): Bitte um ein Glas Wasser.

Lord Goring: Sofort. ( Geht in die Ecke des Zimmers und schenkt Wasser ins Glas. Während er mit dem Rücken gegen Mrs. Cheveley steht, stiehlt sie den Brief. Wie Lord Goring mit dem Glas zurückkommt, weist sie es mit einer Geste zurück.)

Mrs. Cheveley: Danke. Wollen Sie mir in meinen Mantel helfen?

Lord Goring: Mit Vergnügen. ( Legt ihr den Mantel um.)

Mrs. Cheveley: Ich danke Ihnen. Ich will es nie wieder versuchen, Robert Chiltern zu behelligen.

Lord Goring: Glücklicherweise haben Sie auch kein Mittel dazu, Mrs. Cheveley.

Mrs. Cheveley: Und auch wenn ich das Mittel hätte, möchte ich es nicht tun. Im Gegenteil, ich bin eben im Begriffe, ihm einen großen Dienst zu erweisen.

Lord Goring: Ich bin entzückt von dieser Kunde; das bedeutet ja einen völligen Wandel.

Mrs. Cheveley: Jawohl. Ich kann nicht zusehen, wie ein vollkommener Gentleman, ein so ehrenhafter englischer Gentleman, so schamlos getäuscht wird und so –

Lord Goring: Nun?

Mrs. Cheveley: Ich finde, daß sich Gertrud Chilterns Beichtzettel und Todesurteil auf irgendeine Weise in meine Tasche verirrt hat.

Lord Goring: Was meinen Sie damit?

Mrs. Cheveley ( mit einem bittern Tone des Triumphes in ihrer Stimme): Ich meine, daß ich Robert Chiltern den Liebesbrief schicken will, den Ihnen seine Frau heut abend geschrieben hat.

Lord Goring: Liebesbrief?

Mrs. Cheveley ( lachend): »Ich muß Sie sprechen – vertraue Ihnen – ich werde zu Ihnen kommen! Gertrud.« ( Lord Goring eilt zum Schreibtisch und hebt das Kuvert auf, findet es leer und wendet sich um.)

Lord Goring: Elende Kreatur, mußt du immer stehlen? Geben Sie mir den Brief zurück, ich nehme Ihnen sonst den Brief mit Gewalt weg. Sie verlassen das Zimmer nicht eher, als bis ich ihn habe. ( Er eilt auf sie zu, aber Mrs. Cheveley drückt rasch auf die elektrische Klingel, die auf dem Tische liegt. Die Klingel ertönt mit lautem Schall, Phipps tritt ein.)

Mrs. Cheveley ( nach einer Pause): Lord Goring hat geläutet, damit Sie mich hinaus begleiten. Gute Nacht, Lord Goring. ( Sie geht, von Phipps begleitet, hinaus. Ihr Gesicht erstrahlt in diabolischem Triumphe. Freude glänzt aus ihrem Auge, sie scheint ihre Jugend wieder gefunden zu haben. Ihr letzter Blick trifft wie ein Pfeil. Lord Goring beißt sich in die Lippen und steckt sich eine Zigarette an.)


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