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Zweiter Akt

(Szene: Salon in Hunstanton, nach dem Diner, Lampen brennen. Tür rechts, Tür links.)

(Die Damen sitzen auf Sofas.)

Mrs. Allonby: Wie angenehm, daß man die Männer ein wenig los geworden ist.

Lady Stutfield: Ja, die Männer verfolgen uns furchtbar, nicht wahr?

Mrs. Allonby: Verfolgen uns? Ich wollte, sie täten es.

Lady Hunstanton: Meine Liebe!

Mrs. Allonby: Das Ärgerliche ist, daß die Elenden ohne uns ganz glücklich sein können. Deshalb, meine ich, ist es die Pflicht der Frau, sie nie auch nur einen Augenblick allein zu lassen, außer während dieses kurzen Atemholens nach dem Diner; denn sonst, glaube ich, würden wir Frauen bald ganz zu Schatten.

( Diener treten ein mit dem Kaffee.)

Lady Hunstanton: Zu Schatten, Liebe?

Mrs. Allonby: Ja, Lady Hunstanton. Es ist eine solche Anstrengung, die Männer an ihre Pflicht zu fesseln. Sie versuchen immer, uns zu entschlüpfen.

Lady Stutfield: Mir scheint vielmehr, wir versuchen immer, ihnen zu entschlüpfen. Die Männer sind gar so herzlos. Sie kennen ihre Macht und machen Gebrauch davon.

Lady Caroline ( nimmt dem Diener den Kaffee ab): Was für dummes Zeug ist all dies Gerede über die Männer! Es kommt darauf an, daß man die Männer in Schranken hält.

Mrs. Allonby: Aber welches sind ihre Schranken, Lady Caroline?

Lady Caroline: Daß sie nach ihren Frauen sehen, Mrs. Allonby.

Mrs. Allonby ( nimmt dem Diener Kaffee ab): Wirklich? Und wenn sie nicht verheiratet sind?

Lady Caroline: Wenn sie nicht verheiratet sind, so sollten sie nach einer Frau ausschauen. Es ist einfach empörend, wie viele Junggesellen in der Gesellschaft herumlaufen. Es sollte ein Gesetz erlassen werden, das sie sämtlich zwingt, innerhalb zwölf Monaten zu heiraten.

Lady Stutfield ( lehnt Kaffee ab): Aber wenn sie eine lieben, die vielleicht an einen anderen gebunden ist?

Lady Caroline: In dem Falle, Lady Stutfield, sollte man sie innerhalb einer Woche zwangsweise mit einem achtbaren, häßlichen Mädchen verheiraten, um sie zu lehren, daß sie sich nicht um anderer Leute Eigentum zu kümmern haben.

Mrs. Allonby: Ich glaube, man sollte von uns nie als dem Eigentum anderer Leute sprechen. Alle Männer sind das Eigentum aller verheirateten Frauen. Das ist die einzig richtige Definition des Eigentums der verheirateten Frau überhaupt. Aber wir gehören niemand.

Lady Stutfield: Oh, ich bin so froh, das von Ihnen zu hören.

Lady Hunstanton: Aber meinst du wirklich, liebe Caroline, die Gesetzgebung könnte die Dinge irgendwie bessern? Ich höre, heutzutage leben alle verheirateten Männer wie Junggesellen und alle Junggesellen wie verheiratete Männer.

Mrs. Allonby: Ich jedenfalls kann sie nie unterscheiden.

Lady Stutfield: Oh, ich glaube, man kann immer gleich sehen, ob an das Leben eines Mannes von seiner Familie Ansprüche gestellt werden oder nicht. Ich habe einen so traurigen Ausdruck in den Augen manches verheirateten Mannes bemerkt.

Mrs. Allonby: Ah, ich habe nur bemerkt, daß sie furchtbar langweilig sind, wenn sie gute Ehemänner sind, und schrecklich eingebildet, wenn sie es nicht sind.

Lady Hunstanton: Nun, ich vermute, der Typus des Ehemanns hat sich seit den Tagen meiner Jugend vollständig geändert; aber ich muß konstatieren, daß der arme, liebe Hunstanton das entzückendste Geschöpf war und so gut wie Gold.

Mrs. Allonby: Ah, mein Mann ist eine Art Schuldschein; ich bin es müde, ihn zu honorieren.

Lady Caroline: Aber Sie erneuern ihn von Zeit zu Zeit, nicht wahr?

Mrs. Allonby: O nein, Lady Caroline. Ich habe bisher erst einen Mann gehabt. Mir scheint, Sie halten mich geradezu für eine Theaterliebhaberin.

Lady Caroline: Bei Ihren Ansichten über das Leben wundert es mich, daß Sie überhaupt geheiratet haben.

Mrs. Allonby: Mich auch.

Lady Hunstanton: Mein liebes Kind, ich glaube. Sie sind in Wirklichkeit sehr glücklich in Ihrem Eheleben, aber Sie verbergen Ihr Glück gern vor anderen.

Mrs. Allonby: Ich versichere Ihnen, Ernst hat mich sehr enttäuscht.

Lady Hunstanton: Oh, das hoffe ich nicht, Liebe. Ich kannte seine Mutter recht gut. Sie war eine Stratton, Caroline, eine der Töchter Lord Crowlands.

Lady Caroline: Victoria Stratton? Ich erinnere mich deutlich. Eine alberne, blonde Frau ohne Kinn.

Mrs. Allonby: Ah, Ernst hat ein Kinn. Er hat ein sehr starkes Kinn, ein massives Kinn. Ernsts Kinn ist viel zu massiv.

Lady Stutfield: Aber meinen Sie wirklich, das Kinn eines Mannes könne zu massiv sein? Ich meine, ein Mann sollte sehr, sehr stark aussehen, und sein Kinn sollte ganz, ganz massiv sein.

Mrs. Allonby: Dann sollten Sie wirklich Ernst kennen lernen, Lady Stutfield. Es ist freilich nur gerecht, wenn ich Ihnen von vornherein sage, daß er gar keine Unterhaltungsgabe besitzt.

Lady Stutfield: Ich schwärme für schweigsame Männer.

Mrs. Allonby: Oh, Ernst ist nicht schweigsam. Er redet fortwährend. Aber er kann sich nicht unterhalten. Worüber er redet, das weiß ich nicht. Ich höre ihm seit Jahren nicht mehr zu.

Lady Stutfield: Haben Sie ihm denn nie verziehen? Wie traurig das sein muß! Aber das ganze Leben ist sehr, sehr traurig, nicht wahr?

Mrs. Allonby: Das Leben, Lady Stutfield, ist einfach ein mauvais quart d'heure, das aus wundervollen Momenten besteht.

Lady Stutfield: Ja, natürlich, es gibt Momente. Aber hat Mr. Allonby etwas sehr Unrechtes getan? Ist er sehr zornig auf Sie geworden, und hat er etwas gesagt, was unfreundlich oder wahr war?

Mrs. Allonby: Ach Gott, nein. Ernst bleibt immer ruhig. Das ist ja gerade einer der Gründe, weshalb er mir immer so auf die Nerven fällt. Nichts ist so ärgerlich wie Ruhe. Es liegt etwas geradezu Brutales in der guten Laune der meisten modernen Männer. Ich wundere mich, daß wir Frauen es immer noch so gut ertragen.

Lady Stutfield: Ja, die gute Laune der Männer zeigt, daß sie nicht so empfindlich sind wie wir, nicht so fein besaitet. Das richtet oft eine große Schranke zwischen Mann und Frau auf, nicht wahr? Aber ich wüßte so gern, was für ein Unrecht Mr. Allonby begangen hat.

Mrs. Allonby: Nun, das will ich Ihnen sagen, wenn Sie mir feierlich versprechen, es jedermann wieder zu erzählen.

Lady Stutfield: Danke, danke. Ich will es mir angelegen sein lassen, es weiter zu sagen.

Mrs. Allonby: Als Ernst und ich verlobt waren, da schwor er mir positiv auf den Knien, er habe im ganzen Verlauf seines Lebens vor mir noch keine Frau geliebt. Ich war damals sehr jung, und so glaubte ich ihm nicht, das brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Zum Unglück aber stellte ich keinerlei Nachforschungen an, bis ich tatsächlich vier oder fünf Monate lang verheiratet war. Da bekam ich heraus, daß, was er mir gesagt hatte, wirklich wahr war. Und so etwas macht einen Mann so absolut uninteressant.

Lady Hunstanton: Aber meine Liebe!

Mrs. Allonby: Die Männer wollen immer die erste Liebe einer Frau sein. Das ist ihre plumpe Eitelkeit. Wir Frauen haben einen feineren Instinkt für die Dinge, wir sind gern der letzte Roman eines Mannes.

Lady Stutfield: Ich verstehe, was Sie sagen wollen. Es ist sehr, sehr schön.

Lady Hunstanton: Mein liebes Kind, Sie wollen uns doch nicht sagen, daß Sie Ihrem Mann nicht verzeihen, weil er nie eine andere geliebt hat? Hast du je so etwas gehört, Caroline? Ich bin ganz überrascht.

Lady Caroline: Oh, die Frauen sind so gebildet geworden, Jane, daß uns heutzutage nichts mehr überraschen sollte außer glücklichen Ehen. Die werden offenbar auffallend selten.

Mrs. Allonby: Oh, sie sind ganz veraltet.

Lady Stutfield: Außer in den Mittelklassen, wie man mir sagt.

Mrs. Allonby: Wie das den Mittelklassen ähnlich sieht!

Lady Stutfield: Ja – nicht wahr? – Sehr, sehr ähnlich.

Lady Caroline: Wenn das wahr ist, was Sie uns von den Mittelklassen sagen, Lady Stutfield, so gereicht es ihnen sehr zur Ehre. Es ist sehr zu bedauern, daß in unserer Lebenssphäre die Frau so ganz frivol wird; sie steht offenbar unter dem Eindruck, das sei fein. Dem schreibe ich das Unglück so vieler Ehen in der Gesellschaft zu, die wir alle kennen.

Mrs. Allonby: Wissen Sie, Lady Caroline, ich glaube nicht, daß die Frivolität der Frau jemals etwas damit zu tun hat. Heute werden mehr Ehen durch den gesunden Menschenverstand des Mannes unglücklich als durch irgend etwas sonst. Wie kann man von einer Frau erwarten, daß sie mit einem Manne glücklich wird, der sie durchaus als ein vollkommen vernünftiges Wesen behandeln will?

Lady Hunstanton: Meine Liebe!

Mrs. Allonby: Der Mann, der arme, linkische, verläßliche, notwendige Mann gehört einem Geschlecht an, das seit Millionen und Millionen von Jahren vernünftig gewesen ist. Er kann nichts dafür. Es liegt in seiner Rasse. Die Geschichte der Frau ist ganz andres. Wir sind stets ein glänzender Protest gegen das bloße Dasein des gesunden Menschenverstandes gewesen. Wir haben seine Gefahren von Anfang an erkannt.

Lady Stutfield: Ja, der gesunde Menschenverstand der Männer ist sicherlich sehr, sehr lästig. Sagen Sie mir, wie Sie sich den idealen Ehemann vorstellen. Ich denke mir, das wäre sehr, sehr nützlich.

Mrs. Allonby: Den idealen Ehemann? So etwas gibt es nicht. Der Begriff ist falsch.

Lady Stutfield: Den idealen Mann also in seiner Beziehung zu uns.

Lady Caroline: Er wäre wahrscheinlich äußerst realistisch.

Mrs. Allonby: Der ideale Mann? Oh, der ideale Mann sollte zu uns reden, als wären wir Göttinnen, und uns behandeln, als wären wir Kinder. Er sollte uns jede ernsthafte Bitte abschlagen und jede unserer Grillen befriedigen. Er sollte uns zu Launen ermutigen und uns ernste Aufgaben verbieten. Er sollte stets viel mehr sagen, als er meint, und viel mehr meinen, als er sagt.

Lady Hunstanton: Aber wie könnte er beides tun, Liebe?

Mrs. Allonby: Andere hübsche Frauen sollte er nie heruntermachen. Das würde zeigen, daß er keinen Geschmack hat, oder den Verdacht erregen, daß er zu viel hat. Nein, er sollte nett von allen reden, aber doch sagen, daß sie ihn nun einmal nicht reizen.

Lady Stutfield: Ja, es ist sehr, sehr angenehm, wenn man so etwas über andere Frauen hört.

Mrs. Allonby: Wenn wir ihn nach irgend etwas fragen, so sollte er uns eine Antwort geben, in der nur von uns die Rede ist. Er sollte uns immer nur wegen Tugenden loben, die wir, wie er weiß, nicht besitzen. Aber er sollte uns erbarmungslos, ganz erbarmungslos die Tugenden zum Vorwurf machen, die zu besitzen wir uns nie haben träumen lassen. Er sollte nie glauben, daß wir den Nutzen nützlicher Dinge kennen. Das wäre unverzeihlich. Aber er sollte uns mit allem überschütten, was wir nicht brauchen.

Lady Caroline: Soweit ich es erkennen kann, soll er nichts tun als Komplimente und Ausgaben machen.

Mrs. Allonby: Er sollte uns beharrlich öffentlich kompromittieren und uns mit absoluter Achtung behandeln, sobald wir allein sind. Und doch sollte er stets zu einer ganz furchtbaren Szene bereit sein, wenn wir eine nötig haben, und er sollte im Nu elend, absolut elend werden und uns in weniger als zwanzig Minuten mit gerechten Vorwürfen überwältigen und nach einer halben Stunde geradezu heftig werden, und uns ein Viertel vor acht, wenn wir uns zum Diner anziehen müssen, auf ewig verlassen. Und wenn man ihn dann zum wirklich letztenmal gesehen und er sich geweigert hat, die Kleinigkeiten zurückzunehmen, die er einem geschenkt hat, und wenn er versprochen hat, nie wieder mit einem zu sprechen und auch keine törichten Briefe zu schreiben, dann sollte er ganz gebrochenen Herzens sein und einem den ganzen Tag lang telegraphieren und einem jede halbe Stunde durch seinen Wagen kleine Briefe schicken und ganz allein im Klub dinieren, so daß jeder weiß, wie unglücklich er ist. Und nach einer ganzen furchtbaren Woche, während der man mit seinem Mann überall herumgegangen ist, nur um zu zeigen, wie vollständig einsam man ist, kann man ihm abends einen letzten dritten Abschied gewähren, und wenn dann sein Benehmen ganz einwandfrei gewesen ist und man sich wirklich schlecht gegen ihn benommen hat, so sollte man ihm erlauben, zuzugeben, daß er völlig im Unrecht war, und wenn er das zugegeben hat, so wird es zu einer Pflicht der Frau, zu verzeihen, und man kann das Ganze mit Variationen von neuem beginnen.

Lady Hunstanton: Wie gescheit Sie sind, meine Liebe! Sie meinen kein einziges Wort von dem, was Sie sagen.

Lady Stutfield: Danke, danke. Es war ganz, ganz entzückend. Ich muß versuchen, all das zu behalten. Es sind so viele Einzelheiten dabei, die so sehr wichtig sind.

Lady Caroline: Aber Sie haben uns nicht gesagt, welches der Lohn des idealen Mannes sein soll.

Mrs. Allonby: Sein Lohn? Oh, unendliche Erwartung! Das ist ganz genug für ihn.

Lady Stutfield: Aber die Männer sind so furchtbar, furchtbar anspruchsvoll, nicht wahr?

Mrs. Allonby: Das macht nichts aus. Man sollte ihnen nie nachgeben.

Lady Stutfield: Nicht einmal dem idealen Mann?

Mrs. Allonby: Ihm gewiß nicht. Es sei denn, natürlich, daß man seiner müde werden will.

Lady Stutfield: Oh! ... ja. Das begreife ich. Es ist sehr, sehr nützlich. Meinen Sie, Mrs. Allonby, daß ich dem idealen Mann je begegnen werde? Oder gibt es mehrere?

Mrs. Allonby: In London leben genau vier, Lady Stutfield.

Lady Hunstanton: Oh, meine Liebe!

Mrs. Allonby ( geht zu ihr hinüber): Was ist geschehen? Sagen Sie es mir!

Lady Hunstanton ( leise): Ich habe vollständig vergessen, daß die ganze Zeit hindurch die junge Amerikanerin im Zimmer war. Ich fürchte, einiges von diesem gescheiten Gespräch wird sie ein wenig entrüstet haben.

Mrs. Allonby: Ah, das wird ihr so gut tun!

Lady Hunstanton: Wir wollen hoffen, daß sie nicht viel verstanden hat. Ich glaube, ich täte besser daran, zu ihr zu gehen und mit ihr zu plaudern. ( Steht auf und geht zu Hester Worsley hinüber.) Nun, liebe Miß Worsley. ( Setzt sich neben ihr.) Wie ruhig Sie die ganze Zeit hindurch in Ihrem netten kleinen Winkel gewesen sind! Ich vermute, Sie haben ein Buch gelesen? Hier sind so viele Bücher in der Bibliothek.

Hester: Nein, ich habe der Unterhaltung zugehört.

Lady Hunstanton: Sie müssen nicht alles glauben, was geredet wurde, wissen Sie, Liebe?

Hester: Ich glaube nichts davon.

Lady Hunstanton: Das ist ganz recht, Liebe.

Hester ( fortfahrend): Ich kann nicht glauben, daß wirklich irgendeine Frau solche Ansichten über das Leben haben könnte, wie ich sie heute abend aus dem Munde einiger Ihrer Gäste gehört habe. ( Verlegene Pause.)

Lady Hunstanton: Ich höre, Sie haben so angenehme Gesellschaft in Amerika. Ganz wie unsere stellenweise. Mein Sohn hat es mir geschrieben.

Hester: Es gibt Cliquen in Amerika wie anderswo, Lady Hunstanton, aber die echte Gesellschaft besteht in Amerika einfach aus allen guten Frauen und guten Männern, die wir im Lande haben.

Lady Hunstanton: Was für ein verständiges System, und ich denke es mir auch sehr angenehm. Ich fürchte, wir haben in England zu viele künstliche soziale Schranken. Wir sehen von den mittleren und unteren Klassen nicht so viel, wie wir sollten.

Hester: In Amerika haben wir keine unteren Klassen.

Lady Hunstanton: Wirklich? Was für eine höchst, höchst merkwürdige Einrichtung!

Mrs. Allonby: Wovon redet dies furchtbare Mädchen?

Lady Stutfield: Sie ist von peinlicher Natürlichkeit, nicht?

Lady Caroline: Sie haben in Amerika sehr vieles nicht, höre ich. Miß Worsley. Man sagt. Sie haben keine Ruinen und keine Kuriositäten.

Mrs. Allonby ( zu Lady Stutfield): Was für ein Unsinn! Sie haben ihre Mütter und ihre Manieren.

Hester: Die englische Aristokratie liefert uns unsere Kuriositäten, Lady Caroline. Sie werden uns regelmäßig jeden Sommer in den Dampfern hinübergeschickt und machen uns am Tage nach der Landung ihren Antrag. Was die Ruinen betrifft, so versuchen wir etwas zu bauen, was länger dauern wird als Ziegel oder Stein. ( Steht auf, um ihren Fächer vom Tisch zu nehmen.)

Lady Hunstanton: Was ist das, Liebe? Ah, ja, eine Ausstellung aus Eisen nicht, in der Stadt mit dem sonderbaren Namen?

Hester ( steht am Tisch): Wir versuchen, das Leben, Lady Hunstanton, auf einer besseren, wahreren, reineren Grundlage aufzubauen als hier. Dies klingt Ihnen allen ohne Zweifel seltsam. Wie könnte es Ihnen anders als seltsam klingen? Sie, die reichen Leute in England, wissen nicht, wie Sie leben. Wie könnten Sie es wissen? Sie schließen die Edeln und Guten aus Ihrer Gesellschaft aus. Sie lachen über die Einfachen und Reinen. Da Sie alle durch andere und von anderen leben, so verhöhnen Sie die Selbstaufopferung, und wenn Sie den Armen Brot hinwerfen, so geschieht es nur, um sie für eine Zeitlang still zu halten. Trotz all Ihres Pomps und Reichtums und Ihrer Kunst wissen Sie nicht, wie man leben muß – nicht einmal das wissen Sie. Sie lieben die Schönheit, die Sie sehen und berühren und anfassen können, die Schönheit, die Sie vernichten können und vernichten, oder von der unsichtbaren Schönheit des Lebens, von der unsichtbaren Schönheit eines höheren Lebens wissen Sie nichts. Sie haben das Geheimnis des Lebens verloren. Oh, Ihre englische Gesellschaft scheint mir flach, selbstsüchtig und töricht. Sie hat ihre Augen blind gemacht und sich die Ohren verstopft. Sie lügt wie ein Aussätziger im Purpur. Sie sitzt da wie eine mit Gold übertünchte Leiche. Sie ist ganz falsch, ganz falsch.

Lady Stutfield: Ich glaube, von solchen Dingen sollte man nichts wissen. Es ist nicht sehr, sehr hübsch, wie?

Lady Hunstanton: Meine liebe Miß Worsley, ich glaubte, Ihnen gefiele die englische Gesellschaft so sehr. Sie haben soviel Erfolg in ihr gehabt. Und die besten Leute haben Sie so sehr bewundert. Ich habe ganz vergessen, was Lord Henry Weston von Ihnen sagte, aber es war höchst schmeichelhaft, und Sie wissen, wie sehr er in Dingen der Schönheit Autorität ist.

Hester: Lord Henry Weston! Ich entsinne mich seiner, Lady Hunstanton. Ein Mann mit einem scheußlichen Lächeln und einer scheußlichen Vergangenheit. Er wird überall eingeladen. Kein Diner ist ohne ihn vollzählig. Und die, die ihm ihren Ruin verdanken? Sie sind ausgestoßen. Man nennt sie nicht. Wenn Sie ihnen auf der Straße begegneten, Sie würden den Kopf abwenden. Ich beklage ihre Strafe nicht. Mögen alle Frauen, die gesündigt haben, bestraft werden.

( Mrs. Arbuthnot tritt von der Terrasse hinten ein; in einem Mantel, mit einem Spitzenschleier über dem Kopf. Sie hört die letzten Worte und schrickt zusammen.)

Lady Hunstanton: Meine liebe, junge Dame!

Hester: Es ist recht, daß sie bestraft werden, aber sie sollen nicht die einzigen sein, die leiden. Wenn ein Mann und eine Frau gesündigt haben, so mögen sie beide in die Wüste hinausziehen, um einander dort zu lieben oder zu verabscheuen. Mögen sie beide gebrandmarkt sein. Setzen Sie, wenn Sie wollen, das Zeichen auf beide, aber bestrafen Sie nicht die eine, während der andere frei ausgeht. Machen Sie nicht ein Gesetz für Männer und ein anderes für Frauen. Sie sind ungerecht gegen die Frauen in England. Und bis Sie das, was bei der Frau eine Schande ist, beim Mann als Verrat ansehen, werden Sie immer ungerecht sein, und das Recht, jene Feuersäule, und das Unrecht, jene Wolkensäule, werden vor Ihren Augen verschwimmen oder nicht zu sehen sein, oder, wenn sie zu sehen sind, nicht beachtet werden.

Lady Caroline: Da Sie gerade stehen, Miß Worsley, dürfte ich Sie um mein Garn bitten? Es liegt gerade hinter Ihnen. Danke sehr.

Lady Hunstanton: Meine liebe Mrs. Arbuthnot! Ich freue mich so, daß Sie gekommen sind. Aber ich hörte Sie gar nicht melden.

Mrs. Arbuthnot: Oh, ich komme direkt von der Terrasse herein, Lady Hunstanton, so wie ich war. Sie hatten mir nicht gesagt, daß Sie Gesellschaft haben.

Lady Hunstanton: Keine Gesellschaft. Nur ein paar Gäste, die im Hause wohnen und die Sie kennenlernen müssen. Erlauben Sie mir. ( Versucht, ihr zu helfen. Klingelt.) Caroline, dies ist Mrs. Arbuthnot, eine meiner liebsten Freundinnen. Lady Caroline Pontefract, Lady Stutfield, Mrs. Allonby und meine junge Freundin aus Amerika, Miß Worsley, die uns eben gerade gesagt hat, wie schlecht wir alle seien.

Hester: Ich fürchte, Sie finden, ich habe zu kräftig gesprochen, Lady Hunstanton, aber es gibt gewisse Dinge in England – –

Lady Hunstanton: Meine liebe, junge Dame, ich glaube gern, daß vieles wahr ist von dem, was Sie gesagt haben, und Sie sahen sehr hübsch aus, als Sie es sagten, und das ist weit wichtiger, wie Lord Illingworth uns versichern würde. Der einzige Punkt, in dem ich Sie ein wenig hart fand, war die Bemerkung über Lady Carolines Bruder, den armen Lord Henry. Er ist wirklich so unterhaltend.

( Lakai tritt ein.)

Nehmen Sie Mrs. Arbuthnots Sachen

( Lakai mit den Sachen ab.)

Hester: Lady Caroline, ich hatte keine Ahnung, daß er Ihr Bruder war. Es tut mir leid, daß ich Ihnen Schmerz gemacht haben muß – Ich – –

Lady Caroline: Meine liebe Miß Worsley, der einzige Teil Ihrer kleinen Rede, wenn ich sie so nennen kann, mit dem ich ganz einverstanden war, das war eben der Teil über meinen Bruder. Nichts, was Sie über ihn nur sagen können, könnte zu schlimm sein. Ich sehe Henry als infam an, als einfach infam. Aber ich muß konstatieren, wie du schon bemerktest, Jane, daß er äußerst unterhaltend ist, und er hat einen der besten Köche in London; und nach einem guten Diener kann man jedermann verzeihen, selbst den eigenen Verwandten.

Lady Hunstanton ( zu Miß Worsley): Jetzt kommen Sie, Liebe, und schließen Sie Freundschaft mit Mrs. Arbuthnot. Sie gehört zu den guten, liebreichen, einfachen Leuten, die wir, wie Sie sagten, nie in die Gesellschaft einlassen. Leider kommt Mrs. Arbuthnot sehr selten zu mir. Aber das ist nicht meine Schuld.

Mrs. Allonby: Wie langweilig, daß die Männer nach Tisch so lange fortbleiben! Ich denke mir, sie sagen die furchtbarsten Dinge über uns.

Lady Stutfield: Meinen Sie wirklich?

Mrs. Allonby: Ich bin überzeugt davon.

Lady Stutfield: Wie sehr, sehr abscheulich von ihnen! Sollen wir auf die Terrasse hinausgehen?

Mrs. Allonby: Oh, alles, um nur von den alten Damen und jungen Gänsen fortzukommen. ( Steht auf und geht mit Lady Stutfield zur Tür links.) Wir wollen uns nur ein wenig die Sterne ansehen, Lady Hunstanton.

Lady Hunstanton: Sie werden viele sehen, Liebe, sehr viele. Aber erkälten Sie sich nicht. ( Zu Mrs. Arbuthnot.) Wir werden alle Gerald so sehr vermissen, liebe Mrs. Arbuthnot.

Mrs. Arbuthnot: Aber hat Lord Illingworth sich wirklich erboten, Gerald zu seinem Sekretär zu machen?

Lady Hunstanton: O ja! Es war wirklich so nett von ihm! Er hat die höchste Meinung von Ihrem Jungen. Sie kennen Lord Illingworth nicht, Liebe, glaube ich.

Mrs. Arbuthnot: Ich bin ihm nie begegnet.

Lady Hunstanton: Sie kennen ihn ohne Zweifel dem Namen nach?

Mrs. Arbuthnot: Ich fürchte, nein. Ich lebe so außerhalb der Welt und sehe so wenig Leute. Ich entsinne mich, daß ich vor Jahren von einem alten Lord Illingworth gehört habe, der in Yorkshire lebte, glaube ich.

Lady Hunstanton: Ah ja, das wird der vorletzte Graf gewesen sein. Das war ein sehr merkwürdiger Mann. Er wollte unter seinem Stande heiraten. Oder er wollte es nicht, glaube ich. Es war irgendein Skandal. Der jetzige Lord Illingworth ist ganz anders. Er ist sehr distinguiert. Er – nun, er tut nichts, und ich fürchte, unser hübscher Besuch aus Amerika hier findet das bei jedermann sehr unrecht, und ich wüßte nicht, daß er sich viel aus den Dingen machte, für die Sie sich so sehr interessieren, liebe Mrs. Arbuthnot. Meinst du, Caroline, daß Lord Illingworth sich für die Wohnungsfrage der Armen interessiert?

Lady Caroline: Ich sollte denken, durchaus nicht, Jane.

Lady Hunstanton: Wir haben alle unseren eigenen Geschmack, nicht wahr? Aber Lord Illingworth nimmt eine sehr hohe Stellung ein, und ihm wäre nichts unerreichbar, wenn er nur darum bitten wollte. Natürlich ist er noch ein verhältnismäßig junger Mann, und seinen Titel hat er erst seit – wie lange ist es doch genau her, Caroline, seit Lord Illingworth geerbt hat?

Lady Caroline: Etwa vier Jahre, glaube ich, Jane. Ich weiß, es war dasselbe Jahr, in dem mein Bruder zum letztenmal in den Abendzeitungen bloßgestellt wurde.

Lady Hunstanton: Ah, ich entsinne mich. Das wäre etwa vier Jahre her. Natürlich standen eine Menge Leute zwischen dem gegenwärtigen Lord Illingworth und dem Titel, Mrs. Arbuthnot. Da war – wer war es doch, Caroline?

Lady Caroline: Das Baby der armen Margaret. Du entsinnst dich, wie gern sie einen Knaben haben wollte, und es war ein Knabe, aber er starb, und ihr Mann starb bald darauf, aber sie heiratete fast sofort einen der Söhne Lord Ascots, der sie schlägt, wie ich höre.

Lady Hunstanton: Ah, das liegt in der Familie, Liebe. Und dann war noch ein Geistlicher da, entsinne ich mich, der wollte wahnsinnig werden – oder ein Wahnsinniger, der Geistlicher werden wollte, das weiß ich nicht mehr; aber ich weiß, das Kanzleigericht untersuchte die Sache, und entschied, er sei ganz bei Verstand. Und später habe ich ihn bei dem armen Lord Plumstead mit Stroh im Haar gesehen, oder sonst mit etwas sehr Merkwürdigem an sich. Was es war, weiß ich nicht mehr. Ich bedaure oft, Caroline, daß die gute Lady Cecilia es nicht mehr erlebt hat, wie ihr Sohn den Titel erhielt.

Mrs. Arbuthnot: Lady Cecilia?

Lady Hunstanton: Lord Illingworths Mutter, liebe Mrs. Arbuthnot, war eine der hübschen Töchter der Herzogin von Jerningham, und sie heiratete Sir Thomas Harford, den man damals nicht für eine sehr gute Partie für sie hielt, obgleich er für den hübschesten Mann in London galt. Ich habe sie alle sehr intim gekannt, auch die beiden Söhne, Artur und George.

Mrs. Arbuthnot: Es war natürlich der ältere Sohn, der erbte, Lady Hunstanton?

Lady Hunstanton: Nein, Liebe, der wurde auf dem Jagdfeld getötet. Oder war es beim Fischen, Caroline? Ich weiß es nicht mehr, aber George erbte alles. Ich sage ihm immer, kein jüngerer Sohn hat je so viel Glück gehabt, wie er.

Mrs. Arbuthnot: Lady Hunstanton, ich muß sofort mit Gerald sprechen. Könnte ich ihn sehen? Kann man ihn holen lassen?

Lady Hunstanton: Gewiß, Liebe. Ich will einen der Diener ins Eßzimmer schicken, um ihn zu holen. Ich weiß nicht, was die Herren so lange fesselt. ( Klingelt.) Als ich Lord Illingworth erst als den einfachen George Harford kennenlernte, da war er nichts als ein sehr glänzender junger Lebemann, der keinen Pfennig hatte außer dem, was die gute Lady Cecilia ihm gab. Sie liebte ihn sehr. Hauptsächlich, glaube ich, weil er mit seinem Vater schlecht stand. Oh, da kommt der liebe Erzdiakon! ( Zum Diener): Es ist gut.

( Es treten ein Sir John und Doktor Daubeney. Sir John geht zu Lady Stutfield hinüber, Doktor Daubeney zu Lady Hunstanton.)

Der Erzdiakon: Lord Illingworth ist sehr unterhaltend gewesen. Ich habe mich nie besser amüsiert. ( Sieht Mrs. Arbuthnot.) Ah, Mrs. Arbuthnot!

Lady Hunstanton ( zu Doktor Daubeney): Sie sehen, ich habe Mrs. Arbuthnot endlich dazu gebracht, zu mir zu kommen.

Erzdiakon: Das ist eine große Ehre, Lady Hunstanton. Mrs. Daubeney wird ganz eifersüchtig auf Sie sein.

Lady Hunstanton: Ah, es tut mir so leid, daß Mrs. Daubeney heute abend nicht mitkommen konnte. Kopfschmerzen, wie gewöhnlich, vermutlich?

Erzdiakon: Ja, Lady Hunstanton, eine wirkliche Märtyrerin. Aber sie ist am glücklichsten allein. Sie ist am glücklichsten allein.

Lady Caroline ( zu ihrem Mann): John! ( Sir John geht zu seiner Frau hinüber. Doktor Daubeney spricht mit Lady Hunstanton und Mrs. Arbuthnot.)

( Mrs. Arbuthnot beobachtet die ganze Zeit hindurch Lord Illingworth. Er ist durchs Zimmer gegangen, ohne sie zu bemerken, und nähert sich Mrs. Allonby, die mit Lady Stutfield an der Tür steht, die auf die Terrasse geht.)

Lord Illingworth: Wie geht es der reizendsten Frau der Welt?

Mrs. Allondy ( nimmt Lady Stutfield an der Hand): Es geht uns beiden ganz gut, danke, Lord Illingworth. Aber wie kurze Zeit Sie im Eßzimmer geblieben sind! Es ist, als wären wir erst gerade aufgestanden.

Lord Illingworth: Ich habe mich zu Tode gelangweilt. Die ganze Zeit nicht einmal die Lippen aufgetan. Mich einfach gesehnt, zu Ihnen zu kommen.

Mrs. Allonby: Sie hätten es tun sollen. Die Amerikanerin hat uns eine Vorlesung gehalten.

Lord Illingworth: Wirklich? Alle Amerikaner predigen, glaube ich. Ich vermute, das liegt an ihrem Klima. Worüber hat sie gelesen?

Mrs. Allonby: Oh, über das Puritanertum natürlich.

Lord Illingworth: Ich werde sie bekehren, nicht? Wie lange geben Sie mir Zeit?

Mrs. Allonby: Eine Woche.

Lord Illingworth: Eine Woche ist mehr als genug.

( Es treten ein: Gerald und Lord Alfred.)

Gerald ( geht zu Mrs. Arbuthnot): Liebe Mutter!

Mrs. Arbuthnot: Gerald, ich fühle mich durchaus nicht wohl. Bringe mich nach Hause, Gerald. Ich hätte nicht kommen sollen.

Gerald: Das tut mir leid, Mutter. Gewiß. Aber du mußt erst Lord Illingworth kennenlernen. ( Geht durchs Zimmer.)

Mrs. Arbuthnot: Nicht heute abend, Gerald.

Gerald: Lord Illingworth, ich möchte so gern, daß Sie meine Mutter kennenlernten.

Lord Illingworth: Mit dem größten Vergnügen. ( Zu Mrs. Allonby.) Ich bin im Augenblick zurück. Die Mütter der Leute langweilen mich immer zu Tode. Alle Frauen werden wie ihre Mütter. Das ist ihre Tragödie.

Mrs. Allonby: Und kein Mann wird so. Das ist seine.

Lord Illingworth: In was für einer reizenden Stimmung Sie heute abend sind! ( Wendet sich und geht mit Gerald zu Mrs. Arbuthnot hinüber. Als er sie sieht, fährt er erstaunt zurück. Dann richten sich seine Augen langsam auf Gerald.)

Gerald: Mutter, dies ist Lord Illingworth, der mir angeboten hat, mich zu seinem Privatsekretär zu machen. ( Mrs. Arbuthnot verneigt sich kühl.) Das bedeutet wundervolle Aussichten für mich, nicht wahr? Ich hoffe nur, er wird sich in mir nicht enttäuscht sehen. Du wirst Lord Illingworth danken, Mutter, nicht wahr?

Mrs. Arbuthnot: Es ist gewiß sehr gut von Lord Illingworth, daß er sich augenblicklich für dich interessiert.

Lord Illingworth ( legt die Hand auf Geralds Schulter): Oh, Gerald und ich, wir sind schon große Freunde, Mrs. ... Arbuthnot.

Mrs. Arbuthnot: Zwischen Ihnen und meinem Sohn kann es nichts Gemeinsames geben, Lord Illingworth.

Gerald: Liebe Mutter, wie kannst du das sagen? Natürlich ist Lord Illingworth furchtbar gescheit und so weiter. Es gibt nichts, was Lord Illingworth nicht wüßte.

Lord Illingworth: Mein lieber Junge!

Gerald: Er weiß mehr vom Leben, als irgend jemand, dem ich je begegnet bin. Ich fühle mich schrecklich dumm, wenn ich bei Ihnen bin, Lord Illingworth. Natürlich habe ich so wenig Fortbildungsmöglichkeiten gehabt. Ich bin nicht wie andere Jungen in Eton oder Oxford gewesen, aber es scheint, daß Lord Illingworth daran keinen Anstoß nimmt. Er ist furchtbar gut zu mir gewesen, Mutter.

Mrs. Arbuthnot: Lord Illingworth kann anderer Ansicht werden. Vielleicht braucht er dich in Wirklichkeit nicht als Sekretär.

Gerald: Mutter!

Mrs. Arbuthnot: Du darfst nicht vergessen, wie du selbst sagtest, daß du so wenig Fortbildungsmöglichkeiten gehabt hast.

Mrs. Allonby: Lord Illingworth, ich möchte Sie einen Augenblick sprechen. Bitte, kommen Sie einmal her.

Lord Illingworth: Wollen Sie mich entschuldigen, Mrs. Arbuthnot? Also lassen Sie Ihre reizende Mutter Ihnen weiter keine Schwierigkeiten machen, Gerald. Die Sache ist abgemacht, nicht wahr?

Gerald: Ich hoffe es. ( Lord Illingworth geht zu Mrs. Allonby hinüber.)

Mrs. Allonby: Ich glaubte schon, Sie würden die Dame in schwarzem Samt nie mehr verlassen.

Lord Illingworth: Sie ist außerordentlich hübsch. ( Sieht Mrs. Arbuthnot an.)

Lady Hunstanton: Caroline, sollen wir alle ins Musikzimmer hinüberziehen? Miß Worsley will spielen. Sie kommen auch, liebe Mrs. Arbuthnot, nicht wahr? Sie wissen nicht, was für ein Genuß Ihnen bevorsteht. ( Zu Doktor Daubeney.) Ich muß Miß Worsley wirklich nachmittags einmal zu Ihnen hinunterbringen. Ich möchte so gern, daß Mrs. Daubeney sie auf der Violine hört. Ah, ich vergaß. Die liebe Mrs. Daubeney hört ein wenig schwer, nicht wahr?

Erzdiakon: Ihre Taubheit ist eine rechte Entbehrung für sie. Sie kann jetzt nicht einmal meine Predigten mehr hören. Sie liest sie zu Hause. Aber sie hat viele innere Hilfsquellen – viele Hilfsquellen.

Lady Hunstanton: Sie liest vermutlich sehr viel!

Erzdiakon: Nur den allergrößten Druck. Die Sehkraft nimmt rapid ab. Aber sie klagt nie, niemals.

Gerald ( zu Lord Illingworth): Bitte, sprechen Sie mit meiner Mutter, Lord Illingworth, ehe Sie ins Musikzimmer gehen. Sie scheint nun einmal zu glauben, Sie meinten nicht, was Sie sagen.

Mrs. Allonby: Kommen Sie nicht mit?

Lord Illingworth: In ein paar Minuten. Lady Hunstanton, wenn Mrs. Arbuthnot es mir erlauben wollte, so möchte ich gern ein paar Worte mit ihr sprechen, und wir kommen später nach.

Lady Hunstanton: Ah, natürlich. Sie werden ihr eine Menge zu sagen haben, und sie wird Ihnen für vieles zu danken haben. Nicht jedem Sohn wird solch ein Angebot gemacht, Mrs. Arbuthnot. Aber ich weiß, Sie wissen es zu würdigen, Liebe.

Lady Caroline: John!

Lady Hunstanton: Und halten Sie Mrs. Arbuthnot nicht zu lange auf, Lord Illingworth. Wir können sie nicht entbehren.

( Ab mit den anderen Gästen. Aus dem Musikzimmer hört man die Violine.)

Lord Illingworth: Also, das ist dein Sohn, Rachel! Nun, ich bin sehr stolz auf ihn. Er ist in jedem Zoll ein Harford. Nebenbei, weshalb Arbuthnot, Rachel?

Mrs. Arbuthnot: Ein Name ist so gut wie der andere, wenn man kein Recht auf irgendeinen Namen hat.

Lord Illingworth: Vermutlich. – Aber weshalb Gerald?

Mrs. Arbuthnot: Nach einem Manne, dem ich das Herz gebrochen habe –, meinem Vater.

Lord Illingworth: Nun, Rachel, was vergangen ist, ist vergangen. Ich habe dir nur zu sagen, daß ich sehr, sehr zufrieden bin mit unserem Jungen. Die Welt wird ihn nur als meinen Privatsekretär kennen, aber mir wird er sehr nah und sehr teuer sein. Es ist merkwürdig, Rachel; mein Leben schien ganz vollkommen zu sein. Es war es nicht, mir fehlte ein Sohn. Jetzt habe ich meinen Sohn gefunden. Ich bin froh, daß ich ihn gefunden habe.

Mrs. Arbuthnot: Sie haben kein Recht auf ihn oder auf den geringsten Teil von ihm. Der Junge gehört ganz mir, und er soll mir bleiben.

Lord Illingworth: Meine liebe Rachel, du hast ihn mehr als zwanzig Jahre für dich gehabt. Warum willst du ihn mir jetzt nicht ein wenig lassen? Er gehört mir so gut wie dir.

Mrs. Arbuthnot: Sprechen Sie von dem Kind, das Sie im Stich gelassen haben? Von dem Kind, das, soweit Sie in Frage kamen, hätte in Hunger und Entbehrung sterben können?

Lord Illingworth: Du vergißt, Rachel, daß du mich, nicht ich dich verlassen habe.

Mrs. Arbuthnot: Ich habe Sie verlassen, weil Sie sich weigerten, dem Kind einen Namen zu geben. Ehe mein Sohn geboren wurde, flehte ich Sie an, mich zu heiraten.

Lord Illingworth: Ich hatte damals keine Aussichten. Und außerdem, Rachel, war ich nicht viel älter als du. Ich war erst zweiundzwanzig. Ich war einundzwanzig, glaube ich, als die ganze Geschichte in deines Vaters Garten begann.

Mrs. Arbuthnot: Wenn ein Mann alt genug ist, um unrecht zu tun, so sollte er alt genug sein, um recht zu tun.

Lord Illingworth: Meine liebe Rachel, intellektuelle Allgemeinheiten sind immer interessant, aber moralische Allgemeinheiten besagen absolut nichts. Wenn du sagst, ich habe unser Kind dem Hunger überlassen, so ist das natürlich unwahr und töricht. Meine Mutter bot dir sechshundert Pfund im Jahr. Aber du wolltest nichts nehmen. Du verschwandst ganz einfach und nahmst das Kind mit.

Mrs. Arbuthnot: Ich hätte keinen Pfennig von ihr genommen. Ihr Vater war anders. Er sagte Ihnen in meiner Gegenwart, als wir in Paris waren, es sei Ihre Pflicht, mich zu heiraten.

Lord Illingworth: Oh, die Pflicht ist das, was man von anderen erwartet, nicht, was man selbst tut. Natürlich stand ich unter dem Einfluß meiner Mutter. Das tut jeder, wenn er jung ist.

Mrs. Arbuthnot: Ich freue mich, das von Ihnen zu hören. Gerald soll sicherlich nicht mit Ihnen fortgehen.

Lord Illingworth: Was für ein Unsinn, Rachel!

Mrs. Arbuthnot: Meinen Sie, ich würde meinem Sohn erlauben – –?

Lord Illingworth: Unserem Sohn!

Mrs. Arbuthnot: Meinem Sohn ( Lord Illingworth zuckt die Achseln) erlauben, mit dem Mann davonzugehen, der mir die Jugend verdorben hat, der mein Leben vernichtet, der jeden Augenblick meiner Tage vergiftet hat? Sie machen sich nicht klar, wieviel Leiden und Schmach mir die Vergangenheit gebracht hat.

Lord Illingworth: Meine liebe Rachel, ich muß offen sagen, daß ich Geralds Zukunft für weit wichtiger halte, als deine Vergangenheit.

Mrs. Arbuthnot: Gerald kann seine Zukunft von meiner Vergangenheit nicht trennen.

Lord Illingworth: Aber eben das sollte er tun. Gerade dazu solltest du ihm verhelfen. Wie typisch weiblich du bist! Du redest sentimental und bist dabei die ganze Zeit hindurch von Grund aus selbstsüchtig. Aber laß uns keine Szene machen. Rachel, ich bitte dich, die Sache vom Standpunkt des gesunden Menschenverstandes zu betrachten, von dem Standpunkt aus, der da fragt, was für unseren Sohn das beste ist, und der dich und mich aus dem Spiel läßt. Was ist unser Sohn gegenwärtig? Ein schlecht bezahlter Schreiber in der kleinen Provinzbank einer englischen Stadt dritten Ranges. Wenn du meinst, er sei in einer solchen Stellung ganz glücklich, so irrst du. Er ist gründlich unzufrieden.

Mrs. Arbuthnot: Er war nicht unzufrieden, ehe er Ihnen begegnete. Sie haben ihn dazu gemacht.

Lord Illingworth: Natürlich habe ich ihn dazu gemacht. Die Unzufriedenheit ist der erste Schritt zum Fortschritt für den einzelnen wie die Nation. Aber ich habe ihm nicht die bloße Sehnsucht nach Dingen eingeflößt, die er nicht erreichen konnte. Nein, ich habe ihm ein glänzendes Angebot gemacht. Er griff zu, das brauche ich kaum zu sagen. Das täte jeder junge Mann. Und weil sich jetzt herausstellt, daß ich der Vater des Jungen bin und er mein Sohn, da willst du ihm tatsächlich die Karriere verderben. Das heißt, wenn ich ein Fremder wäre, so würdest du Gerald mit mir gehen lassen, aber, da er mein eigen Fleisch und Blut ist, nicht. Wie absolut unlogisch du bist!

Mrs. Arbuthnot: Ich werde ihn nicht fortlassen.

Lord Illingworth: Wie kannst du es hindern? Welche Entschuldigung kannst du ihm angeben, damit er ein Angebot, wie meins, ablehnt? Ich werde ihm nicht sagen, in welcher Beziehung er zu mir steht, das brauche ich kaum zu sagen. Du aber wagst es ihm nicht zu sagen. Das weißt du. Sieh, wie du ihn erzogen hast.

Mrs. Arbuthnot: Ich habe ihn zu einem guten Mann erzogen.

Lord Illingworth: Gewiß. Und welches ist das Ergebnis? Du hast ihn dir zum Richter erzogen, wenn er je dein Geheimnis erfährt. Und er wird dir ein bitterer, ungerechter Richter sein. Täusche dich nicht, Rachel. Kinder lieben ihre Eltern zuerst. Nach einer Weile beurteilen sie sie. Selten, wenn je, verzeihen sie ihnen.

Mrs. Arbuthnot: George, nimm meinen Sohn nicht von mir. Ich habe zwanzig Jahre des Kummers gehabt, und ich hatte nur eins, was mich liebte, nur eins, was ich lieben konnte. Du hast ein Leben der Freude und des Genusses und des Erfolges geführt. Du bist ganz glücklich gewesen. Du hast nie an uns gedacht. Nach deinen Lebensanschauungen war kein Grund vorhanden, weshalb du überhaupt noch an uns denken solltest. Es war ein reiner Zufall, daß du uns begegnet bist, ein furchtbarer Zufall. Vergiß ihn. Komm nicht jetzt und raube mir ... alles, was ich habe, alles, was ich in der Welt besitze. Du bist so reich an anderen Dingen. Laß mir den kleinen Weingarten meines Lebens; laß mir den ummauerten Garten und den Wasserquell; das Lamm, das Gott mir sandte, aus Mitleid oder aus Zorn, oh! laß mir das. George, nimm Gerald nicht von mir.

Lord Illingworth: Rachel, in diesem Augenblick bist du für Geralds Karriere nicht nötig. Aber ich bin es. Mehr ist darüber nicht zu sagen.

Mrs. Arbuthnot: Ich will ihn nicht fortlassen.

Lord Illingworth: Hier kommt Gerald. Er hat ein Recht, für sich selbst zu entscheiden.

( Gerald tritt auf.)

Gerald: Nun, liebe Mutter, ich hoffe, du hast alles mit Lord Illingworth geordnet?

Mrs. Arbuthnot: Nein, Gerald.

Lord Illingworth: Ihre Mutter scheint es aus irgendeinem Grunde nicht gern zu sehen, wenn Sie mit mir kommen.

Gerald: Weshalb nicht, Mutter?

Mrs. Arbuthnot: Ich glaubte, du wärest hier bei mir ganz glücklich, Gerald. Ich wußte nicht, daß du so sehr wünschtest, mich zu verlassen.

Gerald: Mutter, wie kannst du so reden! Natürlich bin ich bei dir glücklich gewesen. Aber ein Mann kann nicht immer bei seiner Mutter bleiben. Das tut kein Junge. Ich möchte mir eine Stellung schaffen, etwas leisten. Ich dachte, du würdest stolz darauf sein, mich als Lord Illingworths Sekretär zu sehen.

Mrs. Arbuthnot: Ich glaube nicht, daß du dich für Lord Illingworths Sekretär eignen würdest. Du hast dazu keine Befähigung.

Lord Illingworth: Ich wünsche nicht einen Augenblick, daß es scheint, als wolle ich mich einmischen, Mrs. Arbuthnot, aber was Ihren letzten Einwand angeht, so bin ich doch gewiß der beste Richter. Und ich kann nur sagen, Ihr Sohn hat jede Befähigung, auf die ich gehofft hatte. Ja, er hat mehr, als ich erwarten konnte. Weit mehr. ( Mrs. Arbuthnot schweigt.) Haben Sie noch einen anderen Grund, Mrs. Arbuthnot, weshalb Sie nicht wünschen, daß Ihr Sohn die Stellung annimmt?

Gerald: Sag', Mutter. Antworte.

Lord Illingworth: Wenn ja, Mrs. Arbuthnot, bitte, bitte, sagen Sie ihn. Wir sind hier ganz unter uns. Welcher es auch sei, ich brauche nicht erst zu sagen, daß ich nicht darüber reden werde.

Gerald: Mutter?

Lord Illingworth: Wenn Sie gern mit Ihrem Sohn allein wären, so will ich Sie verlassen. Sie haben irgendeinen anderen Grund, den ich nicht hören soll.

Mrs. Arbuthnot: Ich habe keinen anderen Grund.

Lord Illingworth: Dann, mein lieber Junge, können wir die Sache als abgemacht ansehen. Kommen Sie. Sie und ich, wir wollen auf der Terrasse zusammen eine Zigarette rauchen. Und Mrs. Arbuthnot, bitte, lassen Sie mich Ihnen sagen, daß Sie sehr, sehr klug gehandelt haben.

( Ab mit Gerald. Mrs. Arbuthnot bleibt allein. Sie steht regungslos da, mit dem Ausdruck unsagbaren Kummers auf dem Gesicht.)

( Vorhang.)


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