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Der Spaziergang nach Troja.

Eine Biedermeiergeschichte.

Er: »Wollen wir nicht zum Teich gehen? der weidenumwachsene Teich ist meine Sehnsucht.«

Sie: ( senkt die seidenen Wimpern und schweigt).

Er: »Der Teich wird heute einsam sein; ganz einsam wird er sein, denn alle Welt ist auf dem Genußplatz. Dort spielt die Musikkapelle den Burenmarsch oder »Die kleine Witwe« und um die blanken Marmortischchen unter den Kastanienbäumen sitzen Frauen und Mädchen und sticken Sophaschoner oder lesen ihre Zeitung. – Wollen wir nicht die Schwäne füttern?«

Sie: ( leise) »Ach nein«.

Er: »Ganz einsam wird der Teich sein; niemand wird uns begegnen, auch Herr Eusebius Kupferroth nicht, denn der sitzt jetzt im dämmerdunklen Schreibgelaß, wo Hunderte von Brummfliegen sind und kein Sonnenschein und schreibt Briefe, die den Aufdruck tragen: »Baumwollwaren-Großhandlung und Wollhutstumpenexport«. – Herr Eusebius wird uns nicht begegnen«.

Sie: ( flüsternd): »Er ist so schrecklich! Hände hat er, die sind wie ein paar Filzpantoffel, und unmögliche Krawatten. Ich fürchte mich sehr vor ihm. Und jeden Abend kommt er mich küssen …«

Pause.

Er: »Wollen wir nicht zum Teiche gehen?«

Sie: ( zögernd): »Wenn es Ihnen Freude macht –«

Und so schritten denn die beiden durch die seltsamen Nadelhölzer, welche den Kiesweg einsäumen und von Japan erzählen, oder der Sierra Nevada, wo ihre Heimat ist. Am Teichrand, dort wo die schmalen Stufen ins Wasser führen, halten zwei uralte Weiden Wacht und sind sehr ernst und feierlich, wie zwei Soldaten sind sie, die vor dem Burgtor stehen, stundenlang, ohne sich zu rühren.

Sehr ernst sind diese Weiden und fast traurig und die kleinen weißgestrichenen Täfelchen mit dem lateinischen Ehrentitel und dem deutschen Werketagsnamen geben den alten Weiden nichts heiteres. Auch die drei Schwäne: Kaspar, Melchior und Balthasar sind stets ernst und machen Schnäbel, wie die Bauern am Sonntag in der Morgenmesse. Die feisten Spiegelkarpfen schwimmen schläfrig, weil keine Kinder da sind, die ihnen Brocken werfen und zujauchzen. Das Fräulein aber sagt: »Ich mag nicht dableiben, hier ist es traurig, wir wollen irgend wohin gehen, wo man lachen kann und Blumen pflücken.« Und das taten sie auch.

Als die beiden in die Nobelallee kamen, die voll von Equipagen ist und glänzenden Reitern und wo der Wind den schönen Frauen das Parfüm aus den Haaren nimmt und es den verblühten Linden schenkt, oder den Spaziergängern, da versteckte sich das Fräulein hinter ihren Sonnenschirm und der kleine kraushaarige Herr mußte drei Schritte hinter ihr hergehen. Als dann aber das große Tor kam, das große mächtige Parktor, und die verlassenen Wiesen, da schloß das Fräulein den Schirm und Thomas durfte ihn tragen.

Mitten im Felde steht dort eine mächtige Buche. Der Blitz hat sie vor Jahren gezeichnet und seitdem sieht sie wie ein alter Sonderling drein, der einen Bratenrock trägt und eine seltsame Halsbinde und Vatermörder, die ein verwittertes Gesicht umgrenzen. Hier küßten sich die beiden …

Niemand sah es; auch die Erdarbeiter nicht, die tausend Schritte davon ein neues Flußbett für die Getreidebarken graben. Bis an die Hüften stehen die Taglöhner im feuchten Schlamm und graben und graben. Vielleicht denken sie an den Abendschnaps und ihr Fabriksmädchen, vielleicht auch an das karge Dasein, das sie leben, oder an irgend einen Sonntag, der war oder kommen wird. – Eine Bretterbrücke führt über den leeren Flußgraben, dann kommen geborstene Mauern und ein bracher Acker, der voll von Schutt und Steinen ist, dann eine rohgezimmerte Holzhütte für den Wächter und eine Werkzeugbude. Dort wartet ein Fährmann mit seinem morschen Kahn, den zieht er, wenn Leute über die Moldau wollen, an einem Riemen durch das seichte, sacht klingende Wasser.

Auch das hübsche Fräulein und den Herrn brachte er an das andere Ufer.

»Ich habe Dich sehr lieb«, kicherte das schlanke Fräulein, als sie sich müde gespielt hatte und die flachen Kieselsteine, die auf dem Wasser tanzen mußten, alle versunken waren. »Ich hab Dich sehr lieb, sehr lieb und meine Lippen sind trocken geworden vom vielen Küssen.«

»Wir wollen einen Chateau Troja trinken«, schlug Thomas vor.

Das Schlößchen Troja hat ein rotes Ziegeldach und eine stolze Freitreppe. Und den dreißigjährigen Krieg sah es mit all' seinen wilden Wundern; die Schweden hatten hier genächtigt und die Franzosen; der alte Fritz soll dort sein Hauptquartier aufgeschlagen haben, als er vor Prag stand und ein König hielt sein Liebchen hier verborgen. Heute ist das Schloß zu einem Weinkeller geworden und im Park, wo einst in verborgenen Grotten süße Geheimnisse träumten und ein leises Lachen, stehen leere Fässer und Bottiche. Die Alabastervasen auf den Gartenmauern sind zerbrochen und den weißen Gottheiten fehlen Arme und Beine. In einer Felskluft steht ein Riese, der muß die Weltkugel tragen; aber irgend ein lustiger Weinknecht hat ihm eine Papierhaube aufgesetzt und das verdrießt den steinernen Mann. Auch die fürstliche Pappelallee, die Karossen und goldgezäumten Pferden den Weg wies, ist verschwunden, um mageren, verstaubten Obstbäumchen Platz zu machen. Im Erdgeschoß, wo einst die herrschaftliche Küche war, ist jetzt ein Weinschank. Wochentagsüber ist hier tiefe Stille und der Wirt verschläft die Stunden. Am Sonntag aber, wenn viel Wärme ist und Sonne, kommen die Menschen aus der Stadt, um sich satt zu freuen und satt zu tanzen, dann ist es lustig in Troja. Die kleinen Nähermädchen mit lichten Blusen und lichten Augen sind da und haben die volle Woche davon geträumt, wie es schön sein wird in Troja. Und lustige Studenten und ernste Lehramtskandidaten und Einjährige sind da, die fischen sich ein flottes Mädel aus dem bunten Schwarm.

Dann sitzt man draußen im Garten, der erfüllt ist von heiligen Vergangenheiten und einer sorglosen Gegenwart; unter alten Bäumen sitzt man, die Blüten schneien oder welke Blätter, je nach der Jahreszeit, und drückt einander die Hände und trinkt Chateau Troja. So ist es an Sonntagen, wenn Wärme ist und Sonne, aber heute ist ein Wochentag, und die kleinen Nähermädchen sitzen hinter geschlossenen Fenstern irgend eines finstern Vorstadthauses und die Studenten hinter staubigen Büchern im Lehrsaal.

»Wir werden die einzigen Gäste sein«, sagte das hübsche Fräulein.

Die hohe Hausflur ist verlassen und die verblichenen Fresken an den Wänden dämmern im Spätnachmittagsschimmer. Auch die Schenkstube ist leer, nur der Wirt schläft in der Ofenecke. Im Garten aber, wo die weinbegossenen Tische stehen und die rohgehobelten Bänke, sitzt ein einsamer Gast, der Hände hat, die plump und feist sind wie ein paar Filzpantoffeln, und eine unmögliche Krawatte.

Zu seinen Füßen steht eine Reihe leergesogener Flaschen, darin Sonnenstrahlen tanzen und der Einsame lächelt.

»Also hier find' ich Dich«, sagt das hübsche Fräulein und faßt Herrn Eusebius energisch beim Rockkragen. »Hier also! Und Deine Braut soll sich daheim wundsehnen; ich Unglückliche! – Aber ich dachte es mir gleich, wo mein Eusebius zu finden ist und dieser Herr hier hatte die Güte mich zu begleiten. Ich danke Ihnen, mein Herr, und nun helfen Sie mir meinen Bräutigam nach Hause führen.«

So endete das schöne Fest.

*


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