Christoph Martin Wieland
Sendschreiben an einen jungen Dichter
Christoph Martin Wieland

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Ich würde nie fertig werden, wenn ich Ihnen alle Arten von Verdruß und Ungemach vorzählen wollte, welche jenseits der Aganippe, die für Sie der gefährliche Rubikon ist, auf Sie warten. Ich zweifle nicht, daß ich Ihnen mit einem guten Teile davon nichts sagen würde, als was Sie schon wissen. Aber vergessen Sie nicht, auch die ganze zarte Empfindlichkeit und Reizbarkeit einer poetischen Organisation mit dabei in Anschlag zu bringen. Tausend Dinge die Ihr Leben verbittern werden, sind, an sich betrachtet, Kleinigkeiten: aber für den Nervenbau, für die Einbildung, für das Herz eines Dichters werden es schwere Leiden sein. Ein einziges schiefes oder hämisches Urteil, ein einziger dummer Blick eines Zuhörers bei einer Stelle die ihm einen elektrischen Schlag hätte geben sollen, oder die Frage: Was meinen Sie damit? bei einer feinen Ironie – wird Sie gegen den Beifall von Tausenden unempfindlich machen; und um einer einzigen solchen Zitation willen, wie Sie eine ganz jungfräuliche Stanze eines Gedichtes das Sie lieben, in einem Buche wo Sie es gewiß nicht erwarteten, und von einem harmlosen akademischen Philosophen, der den Dichter ehren wollte, zitiert oder vielmehr stupriert gesehen haben, werden Sie wünschen Ihr bestes Werk vernichten zu können.

Ich sage nichts von den Begegnungen, die Sie von Autoren, Kunstverwandten, Kennern, Kunstrichtern, Rezensenten usw. zu gewarten haben. Sie werden, wenn ich mich nicht sehr an Ihnen irre, in Absicht aller dieser Herren Horazens Methode

Non ego ventosae plebis suffragia venor etc.
Non ego nobilium scriptorum auditor et ultor
Grammaticas ambire tribus et pulpita dignor.
Epist. I 19.
einschlagen: erwarten Sie also auch Horazens Schicksal, das ist in geheim mit Vergnügen gelesen, ins Angesicht mit Lob überschüttet, und öffentlich bei jeder Gelegenheit mit kritischem Achselzucken oder, wenns am besten geht, mit Stillschweigen beehrt zu werden. – Ein gemeiner Soldat, der bloß durch Talente und Verdienste bis zum Feldmarschall empor stiege, wäre eine große Seltenheit: aber ein Schriftsteller, der, ohne von einer Clique zu sein, ohne Schüler gemacht, ohne seinen Ruhm den dermaligen Potentaten in der Gelehrten-Republik zu Leben aufgetragen, ohne hinwieder angehende Schriftstellerchen in seine Klientel genommen und sich in ihnen einen rüstigen Anhang gemacht zu haben, welcher immer bereit ist, auf jeden, der sich des Patrons Ungnade zugezogen hat, mit Faust und Ferse los zu schlagen – ein Autor, sage ich, der ohne alle diese Hülfsmittel, und (was ich nicht vergessen muß) ohne von der Aegide der goldnen Mittelmäßigkeit bedeckt zu sein, bloß durch eigenes Verdienst zum ruhigen Besitz eines unangefochtnen Eigentums von Ruhm und Ansehen unter seinen Zeitgenossen gelangte, wäre eine noch viel größre Seltenheit. Es tragen sich wohl zuweilen seltsame Dinge in der Welt zu, und einer gewinnt ja wohl das große Los: aber wer kann darauf rechnen daß Er dieser Eine sein werde?

Überhaupt, wenn ein ausgebreiteter entschiedner Ruhm und die damit verbundnen Vorteile das Ziel sind wornach Sie laufen: so machen Sie sich in Zeiten gefaßt, alle nur ersinnlichen Hindernisse in Ihrem Wege zu finden; und am Ende doch vielleicht zu sehen, wie Ihnen Leute zuvor kommen, die, anstatt in der vorgesteckten Bahn zu laufen, querfeld über die Schranken wegsetzen, und durch eine glückliche Verwegenheit den Preis an sich reißen, den sie in einem ordentlichen Wettlaufe nicht erhalten hätten. »Zum Laufen hilft nicht schnell sein«, sagt Salomon, »und daß einer angenehm sei, dazu hilft nicht daß er ein Ding wohl könne; sondern alles liegt an der Zeit und am Glücke.«

Sie wissen, mein Lieber, aus wie vielen Ursachen ich den lebhaftesten Anteil an Ihnen nehme. Ich sehe Sie auf einem Wege, der Sie wahrscheinlicher Weise – nicht zum Tempel des Glücks führen wird; und doch habe ich nicht das Herz Sie zurück zu halten. Ich selbst liebe die Kunst, welcher Sie sich mit einer so entschiednen Fähigkeit widmen wollen, zu sehr, als daß ich ohne eine Art von innerlicher Bestrafung wünschen könnte, Sie von ihr abzuschrecken. Und wie sollte ich die Antwort nicht voraus sehen, mit der Sie alles was ich Ihrem Entschluß entgegen setzen könnte auf einmal zu Boden werfen werden? Auch ist meine Absicht nicht Sie abzuschrecken; ich möchte Sie nur nötigen, ehe Sie Ihre Partei auf immer nehmen, auch die Fährlichkeiten und Unlusten des Weges, der Ihnen so reizend vorkommt, in Betrachtung zu ziehen.

Zu Horazens Zeiten war die Poesie zufälliger Weise der Weg eine Art von Glück zu machen. Ihn trieb, wie er sagt, die Dürftigkeit, die alles zu wagen fähig ist, zum Versemachen.

Ibit eo quo vis qui zonam perdidit –

Bei uns, fürchte ich, ists just umgekehrt: der schmale Pfad über den Helikon ist ordentlicher Weise der gerade Weg in die Arme der lumpigen Göttin welcher Horaz entfliehen wollte. Vielleicht erleben Sie eine glücklichere Zeit für die Deutschen Musen. Vielleicht ist einem andern Fürsten der Nachruhm bestimmt, den der große König verschmähte, der, nachdem er in vierzig mit jedem andern Ruhme beladnen Jahren nichts für unsre ihm völlig unbekannte Literatur getan hatte, sich endlich an dem Verdienste begnügte, uns die Dürftigkeit und die Mängel derselben öffentlich vorzurücken. Vielleicht – Aber, nein! – weil doch diese hoffnungsvollen Vielleichts sehr ungewiß, und in der Tat weit unwahrscheinlicher sind als itzt manche sich träumen lassen; so stellen Sie sich lieber das ärgste vor: und da Sie ohnehin keine große Anlage zur Philosophie des Aristippus haben, und nicht sehr geneigt scheinen, was auch dabei zu gewinnen wäre, viel Weihrauch an die Götter der Erde, oder diejenigen die ihre Gnaden austeilen, zu verschwenden; so untersuchen Sie sich selbst genau, ob Sie im Schoße Ihrer lieben Muse allenfalls auch bei einer Mahlzeit von Kartoffeln und Brunnenwasser glücklich sein können.

Und wenn Sie dann, mein Freund, alles wohl überlegt, entschlossen sind es darauf ankommen zu lassen: so versprechen Sie mir mit Mund und Hand – weil ich Ihnen doch das schlimmste was begegnen kann voraus gesagt habe – niemals in Ihrem Leben, wie es Ihnen auch ergehen mag, sich über den Neid Ihrer Nebenbuhler und Zunftgenossen, über die Gleichgültigkeit der Großen, und über den Undank des Publikums zu beschweren.

Nichts ist zugleich unbilliger und alberner, als darüber wimmern, daß die Dinge sind wie sie immer gewesen sind; und daß die Welt, anstatt sich um unser liebes kleines Selbst herum zu drehen, in ihrem ewigen Fortschwung, uns, wie ein unmerkliches Atom, ohne es gewahr zu werden mit sich nimmt.

Die Menschen um uns her, vom größten bis zum kleinsten, haben so viel mit sich selbst und ihrer eignen Not, so viel mit ihren eignen Planen, Bedürfnissen, Leidenschaften, und momentanen Eingebungen des guten und bösen Dämons, den jeder gern oder ungern auf den Schultern tragen muß, zu tun, daß es kein Wunder ist, wenn sie sich nicht viel um die unsrigen bekümmern können. Und dennoch – helfen Sie einem Menschen aus einer Not, oder machen Sie ihm Vergnügenwann, wo und wie ers bedarf, und er wird Ihnen in diesem Augenblicke aufrichtig dafür danken. Aber wie können wir von ihm fordern, daß er uns auch für ungebetene und unbrauchbare Dienste Dank wisse, oder, wenn wir ihm zur Unzeit die Ohren voll gesungen haben, sich uns noch dafür verbunden halte? Wie können wir verlangen, daß andern Menschen, mitten im Gedränge ihrer Verhältnisse, Geschäfte, Sorgen, Zerstreuungen, Ergetzlichkeiten, die Kunst die wir treiben, die Gegenstände wovon unsre Seele voll ist, das Werk womit wir uns beschäftigt haben, und womit sie vielleicht auf der Gottes-Welt nichts anzufangen wissen, eben so wichtig sein sollen als uns selbst? Wie können wir billiger Weise verlangen, daß sie ein eben so geübtes Ohr für die Musik unsrer Verse haben, die feinern Schönheiten eines poetischen Gemäldes eben so genau bemerken, eben so hoch in Anschlag bringen sollen, als ob sie viele Jahre lang ein besonderes Studium von solchen Dingen gemacht hätten?

Die Natur der Sache bringt es mit sich, daß für den bloßen Liebhaber, in Werken des Witzes, des Geschmacks und der Kunst, immer viel verloren geht. Aber darum ist doch das Publikum weder ungerecht gegen vorzügliche Schriftsteller, noch ohne Gefühl für den Wert der Meisterstücke der Musenkunst. Sehen Sie, wie gut öfters auch sehr alltägliche Machwerke, sine pondere et arte, wenn nur irgend etwas daran gefallen kann, aufgenommen werden! Die lesende Welt will auf allerlei Art ergetzt und unterhalten sein; und sie liebt die Mannigfaltigkeit so sehr, daß ein Autor ganz und gar ungenießbar sein müßte, dem es nicht glücken sollte bemerkt und (wenigstens eine Zeit lang) aus dem Gedränge der täglich zunehmenden Mitwerber hervorgezogen zu werden. Auch in der leichtesten und kunstlosesten Gattung, die kaum etwas andres Poetisches hat als die Lebhaftigkeit des Ausdrucks und den Reim, ist Witz oder Laune oder glückliche Ejakulation eines augenblicklichen Gefühls genug, einen Verfasser der Nation lieb und schätzbar zu machen. Lassen Sie es also nur nicht an sich selbst fehlen, mein junger Freund! Verdienen Sie den öffentlichen Beifall, er wird Ihnen nicht versagt werden. Spannen Sie alle Ihre Segel auf, erheben Sie sich über die Menge, und bereichern Sie, unzufrieden mit einem gemeinen Preise, unsre Literatur durch Werke, die, anstatt nur auf einen Augenblick zu ergetzen, sich der ganzen Seele des Lesers bemächtigen, alle Organen seiner Empfindung ins Spiel setzen, seine Einbildungskraft erwärmen, bezaubern, und in ununterbrochner Täuschung erhalten, seinem Geiste Nahrung, und seinem Herzen den süßen Genuß seiner besten Gefühle, seines moralischen Sinnes, seiner Teilnehmung an andrer Leiden und Freuden, seiner Bewundrung für alles was edel, schön und groß in der Menschheit ist, gewähren – und verlassen Sie sich darauf, das Publikum wird Ihnen so viel Dank dafür wissen als Sie billiger Weise nur immer verlangen können.

Ich setze diese Klausel hinzu, weil es Unsinn wäre, von den Menschen mehr zu erwarten als sie zu geben haben. Und mit welchem Rechte wollten die Schriftsteller allein von ihrer Nation mehr Gerechtigkeit, mehr Dankbarkeit, mehr Gleichheit und Beständigkeit fordern, als irgend ein andrer Mann von Verdienste, in welcher Kategorie er immer sein mag, von ihr zu gewarten hat?

Ich habe diese kleine Abschweifung für nötig gehalten, damit Sie das, was ich Ihnen von den mancherlei Unannehmlichkeiten des poetischen Lebens bloß als Tatsache gesagt, nicht für Klagelieder aufnehmen, die mir das Gefühl oder Andenken eigener Erfahrungen ausgepreßt habe. In allen nur ersinnlichen Lebensarten und Umständen ist das menschliche Leben mit mancherlei wirklichen, eingebildeten, natürlichen und selbstgemachten Plagen umfangen; und im Augenblicke der Überraschung kann uns oft auch ein kleiner Schmerz einen lauten Schrei abnötigen: aber wer wollte über unvermeidliche, allgemeine, und eben darum sehr erträgliche Übel sich ungebärdig stellen? Quisque suos patimur manes. – Indessen bedurfte es keiner Rücksicht auf die meinigen, um Ihnen von allgemeinen Erfahrungen zu sprechen, die in allen Zeiten und bei allen Völkern, wo Literatur blühte, Statt gefunden haben.

Sie, mein Lieber, kennen mich gut genug, um zu wissen daß ich mit meinem Lose in jeder Betrachtung zufrieden bin. Von meiner Jugend an habe ich die Kunst mehr geliebt als was man Ruhm und Glück nennt; und immer ist mir die unverfälschte Empfindung einzelner edler Seelen, der unerwartete gutherzige Dank irgend eines wackern Biedermannes der keine Nebenabsichten dabei haben konnte, mehr gewesen, als der ruhige Beifall des kalten Kenners oder das laute Zuklatschen der Menge, – wiewohl es mir in einem Laufe von mehr als dreißig Jahren auch an diesen nicht gefehlt hat. Aber ich würde mir ein Verdienst beilegen, an welches ich keinen Anspruch zu machen habe, wenn ich leugnen wollte: daß ich, indem ich den größten Teil meines Lebens im Dienste der Musen zugebracht, mehr für mich selbst als für andere getan habe; und daß es die reinste Wahrheit war, und vermutlich bis an mein Ende wahr bleiben wird, was ich schon vor funfzehn Jahren (zu einer Zeit, da ich am äußersten Ende des südlichen Deutschlandes in gänzlicher Abgeschiedenheit von unserm Parnaß und ohne alle literarische Verbindung lebte) aus vollem Herzen zu meiner Muse sagte:

Gefällst du nicht, stimmt Welt und Kenner ein
Dich deines Diensts zu überheben,
So mag dein Trost in diesem Unfall sein,
Daß du bei süßer Müh mir viele Lust gegeben:
Du machst, o Muse, doch das Glück von meinem Leben,
Und hört dir niemand zu, so singst du mir allein.

Ich müßte mich sehr irren, wenn diese Gesinnung nicht im Fortgang Ihres Lebens auch die Ihrige sein sollte; und so bleibt mir (was für Wege auch übrigens das Schicksal mit Ihnen gehen mag) doch immer der Trost: daß eine Quelle von Glückseligkeit in Ihrem Innern springt, die Ihnen jeden Kummer des Lebens versüßen, den Genuß seiner besten Freuden verdoppeln, und, auch wenn sie zu versiegen anfängt, zum Labsal in den Tagen die uns nicht gefallen, wenigstens noch einzelne Nektartropfen für Sie übrig haben wird.


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