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Es war an einem Abend, der vielleicht so schön war als der heutige, als die Perise Mahadufa, aus der dritten Ordnung der weiblichen Schutzgeister, sich auf einer aus den süßesten Düften des Frühlings zusammengeronnenen, leichtschwebenden Wolke niederließ, um einige Augenblicke von einem langen Flug auszuruhen und die Sorgen, die ihr Gemüt verdüsterten, im Anblick der prächtig untergehenden Sonne aufzulösen.
»Verzeihung«, sagte Nadine, mit einer Verneigung gegen die ganze Gesellschaft, »daß ich die Erzählung gleich anfangs unterbrechen muß, um mir einen kleinen Unterricht auszubitten, was eine Perise ist und was ich mir bei der dritten Ordnung der weiblichen Schutzgeister zu denken habe.«
»Kommen Sie mir zu Hülfe, lieber Wunibald«, sagte Rosalinde, sich gegen den jungen P., ihren Verwandten und erklärten Liebhaber, wendend; »ich muß zu meiner Beschämung gestehen, daß ich auf diese Frage nicht vorbereitet bin, und ich fürchte sehr ...«
»Fürchten Sie nichts«, fiel ihr Wunibald ins Wort; »meine Kenntnis der innern Verfassung der Geisterwelt ist zwar auch nicht weit her, denn ich habe sie größtenteils nicht tiefer als aus Tausendundeiner Nacht geschöpft; aber Nadine wird sich auch genügen lassen, wenn ich ihr mit zwei Worten alles sage, was ich selbst davon weiß, nämlich daß unter den Peris oder guten Genien ein Geschlechtsunterschied stattfindet und daß sie größtenteils Schutzgeister der Menschen und, je nachdem sie entweder ganzen Völkern und Ländern oder regierenden Königen und Fürsten oder andern durch große persönliche Vorzüge und eine höhere Bestimmung über die gemeinen Menschenkinder emporragenden Personen zu Beschützern gegeben sind, in ebenso viele besondere Ordnungen abgeteilt werden. Diese Peris heißen auch Dschinnen, und das Reich, wo sie zu Hause sind und von einem unumschränkten Monarchen ihres Geisterstammes beherrscht werden, wird Dschinnistan genannt. Daß sie übrigens mit den Elementgeistern des Grafen Gabatis, den Sylphen, Gnomen, Ondinen und Salamandern, nicht zu verwechseln sind, will ich nur im Vorbeigehen bemerkt haben.«
Rosalinde nickte Wunibalden ihren Dank mit einem etwas schalkhaften Lächeln zu und fuhr fort: »Wenn Herr von P. nicht durch die alberne Art, wie ich meine Erzählung anfing, Gelegenheit bekommen hätte, sich um uns alle durch Mitteilung seiner Kenntnisse in diesem wichtigen Teil der Geisterlehre verdient zu machen, so könnt ich mir selbst gram deswegen sein, daß ich – was doch so leicht gewesen wäre – den Anlaß zu dieser Unterbrechung nicht vermieden habe. Denn wozu hatte ich denn nötig, die Perisen und die dritte Ordnung ins Spiel zu mengen? Brauchte ich doch nur zu sagen: der Schutzgeist Mahadufa habe sich auf die Wolke niedergelassen, so war jedermann zufrieden.« – »Das sind wir auch jetzt«, sagte Frau von P., »wenn Sie so gut sein wollen fortzufahren, ehe jemand in Versuchung gerät, Sie durch eine neue Frage zu unterbrechen.«
»Wenn die Rede von Geistern ist«, sagte der Philosoph M., »muß man nicht fragen, sondern hören und glauben. Durch Fragen kommt man zwar, wie das Sprüchwort sagt, nach Rom; aber das gilt nur von diesem groben planetarischen Erdklumpen; in der Geisterwelt kommt man durch Fragen um kein Haarbreit vorwärts. Also wieder auf Ihre duftreiche Abendwolke, zur Schutzgeistin Mahadufa, wenn ich bitten darf, mein Fräulein!« – »Und ich«, sagte der alte Herr von P., »verspreche Ihnen für uns alle, Sie sollen nicht wieder unterbrochen werden.«
Mahadufa hatte kaum einige Minuten von der Wolke Besitz genommen, als Zelolo, ein männlicher Genius aus derselben Ordnung, sie im Vorüberfliegen gewahr wurde. Wiewohl sie sich lange nicht gesehen hatten, erkannte er doch Mahadufen auf den ersten Blick und steuerte sogleich auf die Wolke zu, in der Absicht, die alte Bekanntschaft wieder aufzufrischen. Nach den ersten Begrüßungen fragte Mahadufa, wohin sein Weg ginge. – »Wohin mein Amt mich ruft«, war seine Antwort; »ich habe das Unglück, der Schutzgeist eines jungen Menschen zu sein.«
»Du gibst der Sache ihren rechten Namen, Zelolo; ich weiß auch ein Wort davon zu sprechen.«
»Zwischen dir und mir gesagt, Mahadufa, ich glaube nicht, daß es in allen Planeten und Kometen, Sonnenwirbeln und Milchstraßen des unermeßlichen Weltalls ein schnöderes Handwerk gibt als das unsrige. Ich begreife nicht, was der Geisterkönig für ein Vergnügen daran finden kann, uns unter dem vornehmen Titel von Beschützern zu bloßen Zuschauern und Zeugen der unergründlichen Torheit und des ewigen Selbstwiderspruchs dieser närrischen Adamskinder zu machen. Ja, wenn uns noch erlaubt wäre, als mithandelnde Personen im Spiel aufzutreten; wenn wir ihnen in unsrer eigenen Gestalt erscheinen oder eine menschliche annehmen dürften, um ihnen zu raten, wo sie sich nicht zu helfen wissen, sie zu warnen, wenn sie etwas Dummes, und zurückzuhalten, wenn sie etwas Schlechtes begehen wollen! Aber dürfen wir das? Ist uns doch beinahe alle geistige Einwirkung auf ihr Gemüt untersagt; wenn wir ihnen ja noch einen Gedanken eingeistern dürfen, so ist es unter dem Beding, ihm eine so völlige Ähnlichkeit mit ihren eigenen zu geben, daß sie ihn aus sich selbst gedacht zu haben glauben sollen. Was ist die Folge dieses weisen Gesetzes? Sooft ich meinem Zögling einen wirklich klugen Gedanken einhauche, bin ich sicher, daß er ihn als einen törichten Einfall, der ihm so von ungefähr angeflogen komme, verlachen wird. Ehmals gaben uns wenigstens ihre Träume einen großen und freien Spielraum; aber auch diese Befugnis ist uns neuerlich durch so viele Anhängsel und Einschränkungen erschwert und beschnitten worden, daß entweder wir nichts Gescheites aus ihren eignen Träumen zu machen wissen oder sie aus denen, die wir ihnen zuschicken, nicht klug werden können.«
»Nur allzuwahr«, sagte Mahadufa. »Unser Dienst, der so ehrenvoll scheint, ist im Grund eine bloße Art, zur Frone müßigzugehen. Wie oft hab ich mich's schon reuen lassen, daß wir aus einem unzeitigen Übermaß von Mitleiden und Großmut das alte Reich der Feen zerstören halfen, die uns ehmals durch ihre unverdrossene Geschäftigkeit, Böses, und ihre unverständige Art, Gutes zu tun, so viel zu schaffen machten, daß wir über keine Langeweile zu klagen hatten.«
»Diese Hülfsquelle ist nun einmal abgegraben«, versetzte Zelolo. »Das schale Vergnügen, über unsre sich klug dünkende Narren und Kindsköpfe zu lächeln, oder das bißchen Schadenfreude, sie für ihr ewiges starrsinniges Sträuben und Anstreben gegen alle Eingebungen der Vernunft durch die Folgen ihrer eigenen weisen Maßnehmungen gestraft zu sehen, ist am Ende alles, was uns Schutzgeistern dafür wird, daß wir das herrliche Amt übernommen haben, Mohren zu bleiben und Wasser mit einem Siebe in ein Faß ohne Boden zu schöpfen.«
»Und sogar dieses schale Vergnügen«, fuhr Mahadufa fort, »kann uns nur dann werden, wenn wir keinen Anteil an unsern Zöglingen nehmen, was bei mir wenigstens der Fall nicht ist; denn ich liebe den meinigen, und diese Liebe macht mich so unglücklich, als Geister unsrer Art zu sein fähig sind.«
Zelolo: »Darf man fragen, wer dein Zögling ist?«
Mahadufa: »Sie ist das einzige Kind eines der vornehmsten und reichsten Häuser in der Hauptstadt des Landes, über dessen westlicher Grenze wir itzt schweben; ein Mädchen, an welches die Natur ihre reichsten Gaben verschwendet hat, das schönste, reizendste, talentvollste, das je von der Sonne beschienen wurde; geboren mit den herrlichsten Anlagen zu allen Tugenden und zu allem, was ein Weib liebenswürdig machen kann.«
Zelolo: »Und mit allen diesen Vorzügen macht sie dich unglücklich, sagst du?«
Mahadufa: »Weil sie selbst das unseligste Geschöpf ist, das ich kenne.«
Zelolo: »Wie geht das zu?«
Mahadufa: »Stelle dir vor, Zelolo, daß die Unglückliche, die allen Liebe einflößt, nichts liebt und, wie ich besorge, nichts mehr lieben kann als sich selbst. Ich pflege sie deswegen nur meine Narcissa zu nennen, wiewohl ihr wahrer Name Heliane ist.«
Zelolo: »Ich würde vielleicht unglaublich finden, was du mir sagst, wenn dein Fall nicht von Wort zu Wort auch der meinige wäre. Der junge Dagobert, dessen Schutzgeist von seiner Geburt an zu sein ich das Unglück habe, ohne verhindern zu können, daß Aufwärterinnen und Aufwärter, Zofen, Schranzen, Schmeichler und Sklaven aller Gattung dem Vater, der Mutter und der ganzen Sippschaft das Werk der Natur in ihm, von seinem ersten Atemzug an, hemmen und zerstören halfen, dieser unglückliche Jüngling, der einzige Sohn eines der reichsten Großen des Landes, wo ich herkomme, ist alles, was du von deiner Narcissa sagst. Wenn je ein Menschenkind mit der Anlage, ein edler und guter Mann zu werden, in die Weit trat, so ist es er; aber der arme Mensch kann, gleich dem Narcissus der Fabel, nichts lieben als sich selbst, und ich nenne ihn daher, wenn zwischen mir und meinen Freunden die Rede von unsern Schützlingen ist, nur meinen Narcissus.«
Mahadufa (nachdenkend): »Eine sonderbare Übereinstimmung!«
Zelolo: »Du trauest mir zu, daß ich nichts von dem wenigen, was uns zu tun erlaubt ist, unversucht an ihm gelassen habe; aber gegen alle die Mächte, die sich wider seinen Verstand und sein Herz zusammen verschworen hatten, war keine Rettung. Wenn den scharfsinnigsten Köpfen auf dem ganzen Erdenrund ein ungeheurer Preis ausgesetzt worden wäre, einen Plan zu entwerfen, wie man es angehen müsse, um aus meinem jungen Fürstensohn den Erzkönig aller Gecken zu bilden, dieser edle Zweck hätte nicht vollständiger erreicht werden können als durch die Erziehung, die er im Palast seines Vaters und in der großen Welt erhielt, in welche seine Geburt und seine glänzenden Naturgaben ihm sehr früh den freiesten Zutritt und die schmeichelhafteste Aufnahme verschafften. Von seiner Kindheit an beeiferte sich jedes, ihm liebzukosen und aufzuwarten; seine unverständigsten und unbilligsten Wünsche mußten erfüllt, seine unartigsten Launen gefürchtet, seine wunderlichsten Grillen auf der Stelle befriedigt werden. Alles, was er sagte, wurde bewundert, alles, was er tat, war recht. Nun, da die Früchte einer solchen Aussaat in üppigster Fülle stehen, wehklagen sie, daß ihm nichts gefällt als er selbst, daß er nichts liebt noch achtet als sich selbst, von nichts spricht als von sich selbst, keinen Finger rührt als für sich selbst, kurz, sich nicht anders benimmt, als ob er das einzige Wesen in der Welt und alles übrige bloße Werkzeuge seines Vergnügens und Spielwerk für seine Launen wäre.«
Mahadufa: »Ich glaube die Geschichte meiner armen Narcissa zu hören. Diese Ähnlichkeit ist sehr sonderbar!«
Zelolo: »Das schlimmste für uns ist indessen, daß die Zeit immer näher rückt, wo wir dem König Rechenschaft von unsern Pfleglingen geben müssen; und du wirst sehen, Mahadufa, daß die Schuld, warum nichts Besseres aus ihnen geworden ist, zuletzt doch auf uns ersitzen bleiben wird.«
Mahadufa: »Sei ohne Sorge, Zelolo! Ich hoffe ein Mittel gefunden zu haben, das alles wiedergutmachen soll.«
Zelolo: »Kannst du Wunder tun? Oder, wenn du es könntest, darfst du es?«
Mahadufa: »Es soll ganz natürlich zugehen. – Rate doch ein wenig! – Es ist das einfachste Mittel von der Welt.«
Zelolo: »Ah! Nun versteh ich dich! – Sie sollen zusammengebracht werden, sollen sich sehen, und der Erfolg, hoffst du ...«
Mahadufa: »Der Erfolg kann nicht fehlen.«
Zelolo: »Aber bedenke, gute Mahadufa, daß ich meinen Narcissus bereits mit allem, was auf dreihundert Meilen im Umkreis das Schönste und Liebenswürdigste ist, umgeben habe, ohne mehr damit zu gewinnen, als daß er noch verliebter in sich selbst geworden ist als jemals.«
Mahadufa: »Das nämliche ist mir mit Narcissa begegnet. Aber das schreckt mich nicht, seitdem ich weiß, daß es einen Narcissus in der Welt gibt. Sie müssen zusammengebracht werden, Zelolo! Sie sind füreinander geschaffen; zwei Hälften, die ganz ineinanderpassen und sich unversehens so zusammenschrauben werden, daß du deine Freude daran sehen sollst. Niemand als Narcissus kann meine Narcissa, keine als Narcissa kann deinen Narcissus heilen.«
Zelolo (sich vor die Stirne schlagend): »Du hast recht, Mahadufa. Laß dich umarmen für den glücklichen Einfall! Du hast recht! Wie konnt ich so dumpf sein, das nicht auf den ersten Blick zu sehen? Aber bei euch andern ist der erste Blick immer der entscheidende. Laß uns nun keine Zeit verlieren. Mache du deine Anstalten auf deiner Seite; und bevor der Mond sein Gesicht zweimal verändert hat, soll mein Narcissus, flimmernd und strahlend wie eine Sonne, an eurem Hofe aufgegangen sein.«
Nach dieser Abrede trennten sich die Schutzgeister wieder, vergnügt über ihr unverhofftes Zusammentreffen und ungeduldig, ihr Vorhaben aufs schleunigste ins Werk zu richten.
Hier unterbricht der Verfasser der Handschrift die Erzählung auf einige Augenblicke.
Wir hätten sehr gewünscht (sagt er), aber es stand nicht in unserm Vermögen, dieses Gespräch der beiden Schutzgeister für die Leser so unterhaltend zu machen, als es für Rosalindens Zuhörer durch die Anmut und Lebhaftigkeit ihres mündlichen Vortrags war; zumal da sie vermittelst einer seltnen Biegsamkeit der Stimme jeder redenden Person einen besondern, von ihrer eigenen verschiedenen Ton zu geben wußte und sie dadurch so fest und richtig bezeichnete, daß sie, um die Personen anzugeben, keinen Namen zu nennen brauchte. Da dieser Mangel weder den Augen noch den Ohren unsrer Leser zu ersetzen ist, so wollen wir uns auch keinen Kummer deswegen machen und laden sie ein, mit uns in die Rosenlaube zurückzukehren und, so gut als ihre eigene Einbildungskraft sie darin unterstützen will, der schönen Erzählerin zuzuhören, die, von der Zufriedenheit ihrer Zuhörer nicht wenig aufgemuntert, in der Geschichte der beiden Selbstliebhaber folgendermaßen fortfuhr.