Christoph Martin Wieland
Bruchstücke von Psyche
Christoph Martin Wieland

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Christoph Martin Wieland

Bruchstücke von Psyche, einem unvollendet gebliebenen allegorischen Gedichte.

1767.

An Herrn Weisse.

Sie haben, liebster Freund, die Gründe nicht ganz mißbilligen können, welche mich bewegen, diese Psyche, deren Ausführung Sie zu wünschen die Gütigkeit hatten, unter andern unvollendeten Versuchen in meiner poetischen Werkstatt liegen zu lassen. Gleichwohl wollten Sie nicht zugeben, daß auch dasjenige, was davon schon seit langer Zeit fertig war, ganz verlohren seyn sollte. Warum, mein Theuerster, mußten Sie dem väterlichen Triebe noch zu Hülfe kommen, der nur gar zu geneigt ist, uns für die Kinder unsers Geistes einzunehmen? Sehen Sie nun selbst, was Sie gethan haben! Ich sende Ihnen hier das einzige Fragment von Psyche, welches gewisser maßen ein kleines Ganzes ausmacht, und worinn mir einige Stellen fähig geschienen haben, den Grazien zum Opfer dargebracht zu werden. Hab' ich mich geirret, so kann Ihnen dieses kleine Stück wenigstens zum Beweise dienen, wie gering der Verlust des Ganzen ist.

Vorbericht

Die bekannte Milesische Fabel von Amor und Psyche aus dem goldnen Esel des Apulejus, die schon in den frühesten Jahren unsers Dichters mit einem ganz eigenen Zauber auf seine Seele gewirkt hatte, bildete sich nach und nach in seiner Fantasie zu einem idealischen Traumgesicht einer Art von allegorischer Naturgeschichte der Seele, mit dessen Ausbildung er viele Jahre lang umging, ohne zu dieser besonderen feinen Stimmung des Gemüths und dieser äußeren Ruhe und Muße gelangen zu können, welche ihm zur Ausführung und wirklichen Darstellung des ihm vorschwebenden Ideals nothwendige zu seyn schienen. Die Idee dieser Psyche verfolgte ihn, so zu sagen, wie das Gespenst einer lieben Abgeschiedenen, das dem Geliebten mit offnen Armen entgegen schwebt, aber so bald er es zu erfassen glaubt, zwischen seinen Armen in Luft zerflossen ist. Vermuthlich lag es auch an den Hindernissen, welche die verschiedenen Lagen des Dichters in dem ganzen Zeitraume zwischen den Jahren 1758 und 75 der Ausarbeitung eines so zart gesponnenen psychologischen Feenmährchens entgegen setzten, daß er sogar über die Art der Einkleidung und den Hauptton, der durch das ganze Gemählde herrschen sollte, nie mit sich einig werden konnte.

Endlich brachte ihn ein zufälliges Zusammentreffen von Ideen auf den Einfall, diese Geschichte der Psyche einer liebenswürdigen und zur feinsten Art von Schwärmerey aufgelegten Priesterin, von einem – Platonischen Liebhaber in einer Reihe schöner Sommernächte erzählen zu lassen. Glücklicher Weise bot sich ihm hierzu die (aus dem Plutarch bekannte) zweyte Aspasia an, die aus einer Geliebten des jüngern Cyrus, nach dem tragischen Tode dieses Prinzen, Oberpriesterin der Diana zu Ekbatana geworden war. Zum Erzähler machte er nun einen schönen jungen Magier aus Zoroasters Schule; und, da ihm diese Form der Erzählung unter allen andern, die sich nach und nach dargestellt hatten, die schicklichste zu seyn däuchte, um alle Zwecke zu vereinigen, die er bey diesem poetischen Werke beabsichtigte: so beschloß er keine andre zu suchen, und machte sich an einigen heitern und geschäftfreyen Tagen, die ihm im Jahre 1767 zu Theil wurden, an die Ausführung.

Diese Spiele mit seiner Muse waren ihm in seiner damahligen Lage, im eigentlichen Verstande, curarum dulce lenimen; und wenn es allgemein wahr wäre, daß verstohlner Weise erzeugte Kinder schöner und geistreicher wären, als andre, so müßten seine in der Kanzley der Reichsstadt Biberach entstandenen Gedichte nicht geringe Vorzüge vor den übrigen haben.

Aber das angefangene Werk war von einem zu großen Umfange, – die günstigen Stunden, die er dazu stehlen mußte, zu selten – und, die Wahrheit zu sagen, das Gefühl der Geisteskraft, die zu seiner Ausführung erfordert wurde, nicht stark und anhaltend genug, als daß er die Lust fortzufahren nicht ziemlich bald verloren hätte. Er vertröstete sich selbst mehrere Jahre durch auf gelegnere Zeiten: aber sie kamen nicht; andere Plane, andere Arbeiten bemächtigten sich seiner Einbildungskraft; ein Theil des Stoffes, woraus jenes Werk hätte gewebt werden sollen, wurde nach und nach im Idris, im Neuen Amadis und in den Grazien verarbeitet; aus einem andern Theil entstand die Erzählung Aspasia, und von dem, was das erste, zweyte, dritte und vierte Buch von Psyche ausgemacht haben sollte, erhielten sich bloß die Bruchstücke, welche theils in der Vorrede zur ersten Ausgabe der Musarion, theils als Anhang zur ersten Ausgabe der Grazien (1770) theils im Deutschen Merkur (May 1774) bereits abgedruckt worden sind, und damahls eine so günstige Aufnahme gefunden haben, daß sie hoffentlich des wenigen Raums, den sie in gegenwärtiger Sammlung einnehmen, auch itzt nicht ganz unwürdig scheinen werden.


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