Christoph Martin Wieland
Versuche den wahren Stand der Natur des Menschen zu entdecken
Christoph Martin Wieland

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14.

Ich weiß nicht, wie es zuging, – ein Fall, worin sich gewöhnlich alle Träumer befinden, – genug, ich befand mich plötzlich mitten auf einem hohen Gebirge, welches keine andere Einwohner als Löwen und Drachen zu haben schien, und dessen oberster Theil, mit ewigem Schnee bedeckt, seine Stirn in den Wolken verbarg.

»Das fängt zu poetisch an.« – Sie haben Recht! ich muß ein wenig niedriger stimmen.

Aechzende Töne, durch kleine Pausen unterbrochen, gleich dem Aechzen, welches die Heftigkeit des Schmerzens oder die lange Dauer eines mißbehaglichen Zustandes endlich der Geduld selbst auspreßt, drangen durch die schreckliche Stille in mein Ohr.

Ich folgte dem Tone, wiewohl mir das Herz pochte, und nun sah ich auf einmal – was Sie schwerlich errathen hätten, aber, sobald ich's Ihnen sage, sehr natürlich finden werden – den alten Menschenbildner Prometheus vor mir, in dem nämlichen jammervollen Zustande, wie ihn der Tragödiendichter Aeschylus an einen Felsen des Kaukasus angeschmiedet schildert.

223 Der lang entbehrte Anblick eines Menschengesichts schien etwas Linderndes für ihn zu haben. Er rief mir, näher herbeizukommen, und wir wurden, wie es in Träumen gebräuchlich ist, in einem Augenblick die besten Freunde.

Er fragte mich, wie es um die Menschen stehe, und wie sie sich das Daseyn zu Nutze machten, welches sie seiner plastischen Kunst und seiner Gutherzigkeit zu danken hätten?

Der Gott der Träume trieb hier eines seiner gewöhnlichen Spiele mit mir. Ich erinnerte mich nicht etwa blos der Fabel vom Ursprung der Menschen, wie ich sie in den alten Dichtern gelesen hatte; sie wurde in dem nämlichen Augenblicke zur Wahrheit für mich.

Ich glaubte wirklich den Urheber meiner Gattung vor mir zu sehen, diesen Prometheus, der aus Lehm und Wasser Menschen gemacht und Mittel gefunden hatte, ihnen, ich weiß nicht wie, dieses wundervolle ich weiß nicht was zu geben, das sie ihre Seele nennen. Kurz, ich fühlte mich gänzlich in die Fabelzeit versetzt, ohne darum weniger nach den Begriffen eines Menschen aus meinem Zeitalter zu sprechen.

Ich befriedigte seine Neugier durch Nachrichten – welche ich (aufrichtig zu reden) Bedenken trage öffentlich bekannt zu machen; und das aus der einfältigsten Ursache von der Welt. Es gibt übel gesinnte Leute. welche sie für eine Satyre ausrufen würden, – und gute, wohlmeinende Personen, welche fähig wären, mich wegen dessen, was ich im Traume gesagt hätte, zur Verantwortung zu ziehen; – wiewohl sie sich aus ihrem Montesquieu belehren könnten, daß dieß etwas sehr Unbilliges ist. Indessen wirft man sich doch nicht gern mit solchen Leuten ab.

224 Man wird mir also vergeben, daß ich weiter nichts davon sagen kann, als daß Prometheus den Kopf schüttelte und ich weiß nicht was in seinen Bart hinein murmelte, welches, denke ich, – keine Lobrede auf seinen Vetter Jupiter war, der ihm, wie er sagte, die Freude nicht gegönnt habe, seine Geschöpfe glücklich zu machen.

Ich sagte ihm, unsre Weisen gäben sich viele Mühe, der Sache abzuhelfen, und es wäre noch nicht lange, daß uns einer hätte bereden wollen, es würde nicht besser mit uns werden, bis wir uns entschlössen, in den Stand der Natur zurückzutreten.

Und was nennt dieser weise Meister den Stand der Natur? fragte Prometheus.

Nackend oder in eine Bärenhaut eingewickelt unter einem Baume liegen (versetzte ich), Eicheln oder Wurzeln fressen, Wasser aus einem Bach oder einer Pfütze dazu saufen und mit dem ersten besten Weibchen, das einem aufstößt, zusammenlaufen, ohne sich anfechten zu lassen, was aus ihr und ihren Jungen werden könne; den größten Theil seines Lebens verschlafen, nichts denken, nichts wünschen, nichts thun, sich nichts um Andre, wenig um sich selbst und am allerwenigsten um die Zukunft bekümmern; dieß nennt der Weise, von dem ich dir sagte, den Stand der Natur. In diesem seligen Stande, spricht er, hätten wir keine Künste, keine Wissenschaften, kein Eigenthum, keinen Unterschied der Stände, keine Gesetze, keine Obrigkeit, keine Priester, keine Philosophen vonnöthen; – und solange man dieser Dinge vonnöthen hat, ist, seiner Meinung nach, an keine Glückseligkeit zu denken.

Prometheus, – ungeachtet sein Zustand so elend war, daß nur ein Gott fähig seyn konnte, ihn erträglich zu 225 finden – erhob über die Einfälle der anmaßlichen Weisen ein so herzliches Gelächter, daß ich mich nicht entbrechen konnte, ihm Gesellschaft zu leisten.

Ich sehe, sagte er, eure Philosophen sind noch immer – was ihre Vorgänger waren – Grillenfänger, welche Wolken für Göttinnen, Abstractionen für Wahrheit umfangen und nie sehen, was vor ihrer Nase liegt, weil sie sich angewöhnt haben, immer wer weiß wie weit über ihre Nase hinauszusehen.

Nicht alle, sagte ich; denn wir haben ihrer manche, welche die ihrigen noch mit einem halben Duzend Brillen bewaffnen, womit sie zwar im Ganzen nichts, hingegen im Kleinen so scharf sehen, daß ein gewisser Präsident einer gewissen AkademieDer gewisse Präsident einer gewissen Akademie, welcher unter andern seltsamen Einfällen, die sein witziger Gegner Doctor Akakia (Voltaire) persiflirte, auch den hatte, das Gehirn von Riesen zu zergliedern, um die Natur der Seele zu ergründen, war der große Mathematiker Maupertuis, Präsident der Akademie der Wissenschaften zu Berlin. sich große Hoffnung machte, wenn er nur den Hirnschädel eines Patagonen von zwanzig bis dreißig Ellen in seine Gewalt bekommen könnte, die Seele selbst, so klein sie immer seyn möchte, über dem Ausbrüten ihrer Vorstellungen gewahr zu werden.

Eure Philosophen haben seltsame Einfälle, sagte Prometheus.

Zuweilen, erwiederte ich, und nicht alle. Dafür aber haben auch unsere großen Herren, seitdem sie Philosophen um sich haben, ihre Hofnarren abgeschafft; und, unparteiisch zu reden, ich denke, sie haben beim Tausche mehr – verloren als gewonnen.

Aber, wieder auf deinen Sophisten zu kommen, fuhr er fort; ich merke, er hat vom goldnen Alter reden gehört. Vielleicht kam ihm die Idee zu poetisch vor, und da streifte er, nach Gewohnheit dieser Herren, so lange an ihr ab, bis ihm vom Menschen nichts als das blose Thier übrig blieb; eine Arbeit, die ihn sehr leicht angekommen seyn mag! – Aber 226 ich denke doch, – ich, der die Menschen gemacht hat, sollte am besten wissen, wie ich sie gemacht habe.

Das denk' ich auch, versetzte ich: und du würdest mir keine geringe Wohlthat erweisen, wenn du mir Nachrichten geben wolltest, welche mich in den Stand setzen, gewisse Philosophen zu demüthigen –

Wenn du keinen andern Beweggrund hast, unterbrach mich der Menschenmacher, so kann ich mir die Mühe ersparen. Deine Philosophen scheinen mir die Leute nicht zu seyn, die sich von Prometheus belehren lassen; und je natürlicher das, was du ihnen aus meinem Munde sagtest, wäre, desto rascher würden sie seyn, auszurufen: Ist's nichts als dieß? – Jupiter sagte das Nämliche, da ich mit meinen Menschen fertig war. Das alberne Machwerk! rief er; ich wollte in einem Nektarrausche was Besseres gemacht haben! – Doch ich habe seit langer Zeit mit keinem Menschen geschwatzt; und du kannst dir einbilden, ob einem die Weile zuletzt lang wird, wenn man etliche tausend Jahre so allein an den Kaukasus angeschmiedet ist, ohne eine andere Gesellschaft zu sehen, als einen unsterblichen Geier, der einem die Leber aus dem Leibe pickt und, sobald er sie aufgegessen hat, sich empfiehlt, bis wieder eine neue gewachsen ist. Ich bin froh, daß du dich zu mir verirrt hast, und ich habe gute Lust, mich einmal wieder satt zu schwatzen, weil mir doch der verwünschte Geier eben Zeit dazu läßt.

Ich bezeugte ihm mein Mitleiden und meine Lernbegierde; und Prometheus fing seine Erzählung also an. 227



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