Christoph Martin Wieland
Alceste
Christoph Martin Wieland

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Fünfter Aufzug

Der Schauplatz stellt einen Haustempel im Palast Admets vor.

Ein Totenopfer.

Erste Szene

Admet, Parthenia, Ein Chor von Hausgenossen des Admet, um den Altar kniend.

Admet
Ihr heilgen unnennbaren Mächte,
    In deren grauenvolle Nächte
        Kein sterblich Auge dringen kann!
Parthenia
Du, Hekate! und Ihr,
    Gewogne Eumeniden!
Euch flehen wir,
    O seht zufrieden,
        Seht gnädig unser Opfer an!
Chor
Euch flehen wir, o seht zufrieden,
    Seht gnädig unser Opfer an!
Sie stehen alle wieder auf.
Admet
Zürnet nicht der frommen Zähre
    Die auf ihre Urne fällt!
Ach! was ich mit Ihr entbehre,
Ersetzt mir nicht der Götter Sphäre,
    Ersetzt mir nicht die ganze Welt!
Parthenia
Ihr selbst im Olympus gefürchtete Mächte,
Die tief im Heiligtum geheimnisvoller Nächte
    Des Tages Fackel nie erhellt!
Admet, Parthenia,
zusammen.
O daß dies Opfer euch versöhne!
O zürnet nicht der frommen Träne
    Die auf Alcestens Urne fällt!
Alle
O daß dies Opfer euch versöhne!
Verzeiht, verzeiht der frommen Träne
    Die auf Alcestens Urne fällt!

Admet:
Und du, wenn noch im Reich der Wonne, in den Kreisen
Der schönen Seelen, wenn im stillen Schoß
Des ewgen Friedens ein Gedanke noch
An deine Hinterlaßnen dich erinnert,
Wenn unsre Tränen, unsre Sehnsucht, unser nie
Ermüdendes Gespräch von deiner Tugend
Und unserm Glück in dir
Dich noch erreichen kann,
Geliebter Schatten,
So hör uns! – Fühle, fühle wie wir unaussprechlich
Dich noch im Grabe lieben,
Und möchte dies Gefühl
Selbst in Elysium deine Wonne mehren!

 
Zweite Szene

Herkules, die Vorigen.
Der Chor entfernt sich.

Parthenia:
Wie? – Seh ich, oder blendet mich der Schein
Der Opferflamme? Herkules schon wieder
Zurück? – Admet, sieh deinen Freund!
Und Freude blitzt aus seinen Augen!

Admet:
        – Freude?
Er sprach von Hülfe, da er ging!

Herkules:
Und kommt zu halten was er dir versprach.

Admet:
O Herkules, ich wähnte
Du seist mein Freund –
Ists möglich, kannst du meiner Schmerzen spotten?

Herkules:
Dein Unglück macht dich ungerecht, Admet.
Ich tadle nicht daß du in seinem ganzen Umfang
Es fühlst. Du traurst mit Recht. Alceste
Ist deiner Tränen wert. Sie ist die Zierde ihres
Geschlechts, verdient es daß ihr Bild in Marmor
Den Enkeln heilig sei; verdient, so oft der Tag,
An dem sie sich für ihren Gatten hingab,
Zurück kommt, daß Thessaliens fromme Töchter
Der Heldin Grab mit Blumenkränzen schmücken.
Man soll den Frauen sie zum Beispiel nennen!
Sei wie Alceste – soll der Segen sein
Der künftig jede Braut zur Gattin weihe!
Wir sind ihrs schuldig! Mehr, Admet,
Verlangt ihr Schatten nicht.

Admet:
Du sprichst wie einer der das Glück
Nie kannte, das die Götter mir
Zu Neidern machte. Du verlorest keine
Alceste –

Herkules:
        Diesseits des Olymps, Admet,
Ist kein Verlust, den uns die Götter nicht
Ersetzen könnten.

Admet:
        O Alcid, ermüde die Geduld
Von deinem Freunde nicht! – Der hat
Sie nie gekannt, dem ihr Verlust
Ersetzlich scheint!

Herkules:
        Nicht ohne Grund spricht Herkules
So zuversichtlich. Höre mehr, Admet!
Was dir unmöglich scheint, ist schon gefunden.
Ich bringe den Ersatz. Die liebenswürdigste
Der Töchter Gräciens begleitet mich.

Admet, mit mühsam zurück gehaltnem Zorn:
Dies nennst du dein Versprechen halten?

Parthenia:
Erkläre mir dein Rätsel, Herkules.
Du sprichst von einer Schönen die dir folge?
Wie nennst du sie? Von wannen kommt sie uns?
Was kann sie wollen?

Herkules:
        Euer Leid ersetzen,
Parthenia; diese traurigen Cypressen
In Rosen wandeln; diesen Tempel wieder
Den Liebesgöttern weihen. – Starre mich
Nicht so aus Augen an, Admet, worin Verachtung
Und Wut sich mit Erstaunen mischen!

Admet:
Unfreundlicher, auf deines Vaters Namen
Zu stolzer Freund! Hör auf! Ich will nicht länger
Alcestens Ruhm
Und meine Liebe lästern hören!
Mich prüfen willst du? – Spare deine Mühe!
Mein Herz verschmäht sie!

Herkules:
        Du mißkennest mich!
Ich will dein Glück, und du,
Du stößests von dir. Hast du denn die Schöne
Gesehn, die mich begleitet? – Sieh sie erst!
Und traun! du wirst die Gabe mit Entzücken
Mir danken, die du itzt verschmähst.

Admet:
Nicht meine Treue – die ist ewig, ewig
Alcesten heilig! – Unsre Freundschaft setzest du
Auf eine Probe, – der sie unterliegt.
Ich geh – und du – hast einen Freund verloren!

Ihr sollt ich untreu werden können?
Dir ungetreu, Alceste? Dir?
Von fremder Flamme sollt ich brennen?
O! wenn ich dessen fähig werde,
So öffne sich vor mir die Erde!
Der Eumeniden Fackel blitze
Mir ins Gesicht, und aus dem Sitze
    Der Wonne fluch' Alceste mir!

Er geht ab.

 
Dritte Szene

Parthenia, Herkules.

Parthenia:
Alkmenens Sohn, bei den Göttinnen!
Du gehst zu weit –
Was konnte dich bewegen, deinen Freund
So grausam, vor der Urne einer
Geliebten Gattin, an dem Tage selbst
Der sie geraubt,
In ihres Schattens heilger Gegenwart,
Durch einen Antrag, der sein Herz
Zerreißen muß, zu kränken?

Herkules:
Zu kränken? Ferne sei es! Glücklich
Will ich ihn machen, ihn und dich, Parthenia.
Der nächste Augenblick soll für mich reden.

 
Vierte Szene

Parthenia allein:
Was kann er meinen? – Sollt es möglich sein?
Welch ein Gedanke! – Nein! es ist unmöglich!
Von da, wo sie in diamantnen Mauern
Die Ewigkeit gefangen hält,
Ist keine Wiederkunft!

 
Fünfte Szene

Herkules, Alceste, Parthenia.

Parthenia, Alcesten erblickend:
Allmächtge Götter!
Was seh ich? – ja, sie ists! Sie ists!
O teurer Schatten –

Sie geht mit ausgebreiteten Armen auf Alcesten zu, aber schaudert wieder zurück, da sie ihr nahe kommt.

Herkules:
        Fürchte nichts!
Es ist kein Schatten, der aus deinen Armen
In Luft zerfließt. Sie lebt. Es ist
Alceste selbst, die ich vom Ufer
Des Styx zurück gebracht.

Alceste:
O Schwester! Schließ ich dich in meine Arme wieder?
Aus welchem Traum erwach ich!

Parthenia:
        – O Entzücken!
O Wunder! – Darf ich meinen Sinnen glauben,
Du Göttersohn? – Ich seh sie, halte sie
In meinem Arm, Ihr Busen schlägt an meinem Busen,
Und doch besorg ich daß es Täuschung sei.

Herkules:
Besorge nichts! Die Götter schenken sie
Dir wieder.

Alceste:
        Lies in meinen Augen,
Wie glücklich mich dein Wiedersehen macht.
Gewiß sie sagen dir daß ich Alceste bin!

Parthenia:
Ja, Schwester, ja, du bists! – O welche Wonne!
Laß mich eilen – Dein Admet
Kann nicht zu schnell erfahren
Wie viel er seinem Freund zu danken hat.

Herkules:
Ruf ihn zurück, Prinzessin, red ihm freundlich zu,
Besänftge seinen Zorn; doch sage ihm
Nicht Alles. Laß Alcesten
Und mir die Freude, ihn mit seinem Glücke
Da ers am mindsten hofft zu überraschen.

Parthenia:
Wenn nur Gesicht und Ton mich nicht verrät,
Dem Mund soll nichts entschlüpfen!

Sie geht ab.

 
Sechste Szene

Herkules, Alceste.

Herkules:
Hülle, Königin,
In deinen Schleier dich, und tritt
Bei Seite. Sein Entzücken, in der Fremden,
Die seinen Zorn mir zuzog, dich zu finden,
Sei die Belohnung dessen was ich heute
Für euch gewagt!

Alceste:
O Göttersohn! noch immer scheint mir Alles
Was mir begegnet ist ein Traum,
Ein wunderbarer Traum!
Ich frage mich erstaunt, ob ich es bin.
Die Erde, die ich wieder
Betrete, diese Wohnung, die ich kaum auf ewig
Verlassen, dieser Tempel – Alles ist
Mir fremd. Elysium schwebt
Mit allen seinen unnennbaren Freuden
Vor meinen Augen noch.
Wie selig war ich! – Ach! mit meinem Glücke
Verlor ich auch die Macht es auszusprechen.
Dies weiß ich nur, dies fühl ich – o im Grunde
Der Seele fühl ich es – es war kein Traum.
Noch atmet mir aus ewig blühenden Gefilden
Der Geist der Unvergänglichkeit entgegen.
Noch saugt mein Ohr
Die Wollust eurer Lieder, o ihr Söhne
Des Musengottes! –

Herkules:
Still! – ich hör Admetens Tritte –
Entferne dich!

Alceste zieht sich in den Grund des Schauplatzes zurück.

 
Siebente Szene

Die Vorigen, Parthenia, Admet, der ihr in einiger Entfernung mit düstern niedergeschlagenen Blicken folgt. Am Schluß der Szene finden sich auch alle Hausgenossen wieder ein.

Herkules:
Admet, vergib mir! Zürne nicht
Auf deinen Freund! Er fehlte bloß
Aus gutem Willen. Der Gedanke, wieder glücklich dich
Zu machen, riß mich hin. Vergib mir, Freund!

Admet:
Vergib dir selbst! Unzärtlich, Herkules,
War dein Betragen –

Herkules:
        Hebe deine Augen,
Und sieh, was mich entschuldigt!

Admet:
O ihr Mächte des Olymps!
Was seh ich! – Nein, ich sehe nichts! – Mich täuscht
Ein Gott, der meiner spottet. Liebe, Sehnsucht, höhnen
Mein gern betrognes Herz. Es ist ein Blendwerk!

Alceste nähert sich ihm mit offnen Armen.

– Wie? Es nähert sich? – Bist dus,
Geliebter Schatten, der zum Troste mir erscheint?

Alceste:
O mein Admet!

Sie eilt auf ihn zu und umarmt ihn.

Admet:
O Götter, laßt ihn ewig, ewig dauern
Den süßen Wahn! –

Er umarmt sie von neuem.

Ists möglich, gute Götter! O ists möglich?
Umfaß ich dich, Alceste, keinen Schatten?

Alceste:
Ich bin es selbst, Admet,
Die den Ersatz für ein verlorenes
Elysium in deinen Armen findet.

Admet:
O! einmal noch und abermals Geliebte,
Umarme mich! – Ich kann nicht oft genug
Mich überzeugen, daß ich glücklich bin.
Dich selbst, dich selbst, Alceste, neu belebt
Umfaß ich! – Götter, welch Entzücken!

Alceste:
Den allvermögenden Belohnern
Der Tugend, mein Admet, – und deinem Freunde
Dank' es mit mir! Er wagte sich für uns,
Stieg unerschrocken in den furchtbarn Abgrund
Der ewgen Nacht hinab, erkämpfte mich
Vom Thanatos.

Admet:
O Sohn des Donnergottes! welch ein Dank
Kann meiner unbegrenzten Schuld
Mich gegen dich entbinden? – Sage,
Den Göttern gleicher Freund, wie konntest du
Lebendig in den unzugangbarn Sitz
Der Schatten dringen? – O erkläre mir
Ein Wunder, das mir noch, in diesem Augenblicke
Da ichs mit Augen seh, mit Händen fühl,
Unglaublich ist.

Herkules:
        Begehr es nicht zu wissen!
Ein heilger Schleier, den die Götter selbst
Nicht wegzuziehen wagen, liegt
Auf den Geheimnissen des Geisterreichs.
Der Eumeniden Hand schließt meinen Mund!
Genug für dich, daß dir Alceste wieder
Gegeben ist. Geneuß der wundervollen Wohltat
Der Götter, Freund, und feßle deinen Vorwitz.

Admet:
Allgütge Mächte, seht mit Wohlgefallen
Die Freudentränen an, die meinem Aug entströmen!
Was hat ein Sterblicher, um euch zu danken,
Als Freudentränen? als sein Unvermögen
Die Größe seines Dankes auszudrücken?

Alceste:
Wie glücklich sind wir! Wie empfind ich es
Für dich und mich! – Es ist kein Blendwerk, mein Admet!
Ich leb, ich lebe wieder
Für dich, und fühl erst itzt
Den ganzen Wert des Glücks für dich zu leben!

Schon wandelt ich
    Im Chor der schönen Seelen,
Schon grüßte mich
    Aus tausend Wunderkehlen
Elysiums schönster Hain;

Ich fühlte Götterfrieden
    Tief in der Brust:
    Doch, konnte meine Lust
Vollkommen sein?
    Geliebter, war ich nicht
Von dir geschieden?

Itzt findt Alceste sich in deinen Armen wieder.
    Elysium war ein Traumgesicht!
O nun erst lebt sie wieder!
    Ist wieder dein!
Vermißt nicht mehr der Amphionen Lieder,
    Nicht ihren schönsten Hain!

Admet
Du hast Elysiums Glück empfunden!
    Sprich, ist es unsrer Wonne gleich?
Alceste
Ich hab Elysiums Glück empfunden!
Allein dem Augenblick, wo ich Dich wiederfunden,
    Ist keine andre Wonne gleich.
Admet zu Herkules.
O Freund! wie kann ich dir vergelten?
    Was ist ein Königreich?
    Sind ganze Welten
Dem Werte deiner Wohltat gleich?
Herkules
Ich bin belohnt an euern Freuden
Mein mitempfindend Herz zu weiden,
Ich bin der glücklichste von euch!
Parthenia
Ihr Götter, die uns zu beglücken
Dies Wunderwerk getan,
Nehmt unser dankendes Entzücken
    Zum Opfer an!
Admet, Alceste
Ihr Götter, die uns zu beglücken
    Dies Wunderwerk getan,
Alle
Nehmt unser dankendes Entzücken
    Zum Opfer an!

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