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Allein diese Zeit kommt nicht auf einmal; die Ausartung kann nicht anders erfolgen als stufenweise. Die nächsten 325 zwei oder drei Menschenalter auf jene Heroen müssen natürlich, in Vergleichung mit viel spätern noch weit mehr ausgearteten Nachkömmlingen, noch sehr große Menschen hervorbringen. Aber, wer in solchen Zeiten etliche Generationen überlebt hat, muß den Unterschied schon merklich finden.
Die Ritter der Tafelrunde des Königs Artus waren gewaltige Männer in Ritterschaft, hatten noch viel von dem hohen Muthe, ja selbst noch einen Ueberrest von der Treue und Biederherzigkeit ihrer Vorfahren. Aber was für eine Figur machen sie mit Allem dem gegen den alten Branor, der in einem Alter von mehr als hundert Jahren noch Stärke genug hatte, sie Alle aus dem Sattel zu werfen! Und wie noch armseliger stehen sie vor ihm da, nachdem er ihnen an seinem Freunde, Geron dem Adeligen, ein Muster von Treue und Aufrichtigkeit und Großherzigkeit vor die Stirne gestellt hat, dessen Anblick und stille Vergleichung mit sich selbst (die er, wie billig, ihrem eigenen Gewissen überläßt) ihnen das beschämendste Gefühl, wie klein sie gegen ihn sind, geben muß!
Eine ganz ähnliche Bewandtniß hat es mit den Helden und Menschen, die uns Homer in seiner Ilias und Odyssee schildert. Was für Männer gegen die spätern, durch ihre geschwätzige Philosophie, schönen Künste, Handelschaft und Reichthümer verfeinerten Griechen! Keiner, bis auf den göttlichen Schweinhirten Eumäus, den der Dichter nicht durch dieß hohe Beiwort (der göttliche) über die Menschen vom gemeinen Schlage seiner Zeit erheben mußte, um ihm sein Recht anzuthun.
Aber wie mit ganz anderen Augen sieht die Helden der Ilias der alte Nestor an, dem seine hohen Jahre das Recht geben, einem Agamemnon und Achilles und Diomedes und 326 Ajax ins Gesicht zu sagen: »Ich habe mit anderen und besseren Männern gelebt, als ihr seyd – Nein, solche Männer habe ich nie wieder gesehen und werde keine solche wieder sehen, wie Peirithoos und Dryas, der Hirt der Völker, und Käneus und Exadios und der göttliche Polyphemos und Theseus der Aegeide, der wie der Unsterblichen einer war.« –
Man sieht, Homer und Nestor hatten schon einen sehr verschiedenen Maßstab. Die Männer, die Homer göttlich nennt, sind in Nestors Augen gegen jene, die er dieses Beinamens würdig hält, nur gewöhnliche Menschen. Und ganz natürlich, da sie zu den Helden des Jahrhunderts vor dem trojanischen Kriege sich ungefähr eben so verhielten, wie die Griechen zu Homers Zeiten gegen die Zerstörer von Troja.
Dieser selbst so große Mann hatte in einem Zeitpunkt, der in unsern Augen noch heroisch genug ist, schon ein starkes Gefühl von der Abnahme der Menschheit in seinen Tagen. Diomedes hebt (im fünften Buche der Ilias) einen Stein auf und schleudert ihn unter die Feinde, der so schwer war (sagt Homer), »daß ihn zwei Männer, wie die Menschen jetzt sind, nicht tragen könnten.«
Virgil – der ungefähr neun Jahrhunderte nach Homer lebte, in einer Zeit, da die Ueppigkeit und die Ausartung in Rom der höchsten Stufe schon nahe waren – fühlte die Menschen seiner Zeit gegen die Helden der trojanischen so klein und schwach, daß er, um im gehörigen Verhältnisse zu bleiben, aus Homers zweien zwölf solcher Männerchen, wie man sie im goldnen Jahrhundert Augusts sah, machen mußte. Freilich mag er wohl daran zu viel gethan haben, da hier blos von der körperlichen Kraft, eine gewisse Last aufzuheben, die Rede ist, aber wenn seine Absicht war, das Verhältniß jener Helden gegen die gewöhnlichen Menschen seiner Zeit 327 überhaupt oder nach der ganzen Summe der Naturkräfte, so weit sie in einem Menschen gehen können, anzudeuten, so möchte sich wohl behaupten lassen, daß er nicht zu viel gesagt habe, und daß zum Beispiel ein Mann wie Diomedes, nackend und ohne Waffen, gegen zwölf junge Herren vom Hofe Augusts, ebenfalls in Naturalibus kämpfend, die artigen Herren mit eben so weniger Mühe nach einander ins Gras hingestreckt hätte, als es ihm leicht war, den Stein aufzuheben und fortzuschleudern, den keiner von ihnen nur von der Stelle hätte rücken können.