Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Berg und Wald.
Der Vordergrund ist als Aussichtsplatte zu denken; darauf einige Bänke. Weiter zurück steigt der Weg, sanft von rechts nach links, an (quer über die Bühne). Rechts auf der abgewendeten Seite des Weges eine Steinmauer, über welche man in ein Tal sieht. Weiter nach der Mitte hin dichter Wald, zu dem (seitwärts vom Wege) durch Vorsatzstücke ein Gang frei sein muß, der von der Bühne ab –, aber nicht, wie der Weg selbst, sichtbar hinter die Kulissen führt. Man hört in der Ferne von Zeit zu Zeit Herdengeläut.
Kurt v. Hageln, (junger Mann; leichteste Sommerkleidung, Bergstock), ein Führer, mit Tüchern und Taschen beladen, hinter ihm von rechts.
Kurt (noch außerhalb). Hoia – ho – o !
(Leises Echo in der Ferne): »ho – o !«
(Näher.) Hoia – ho – o !
(Echo noch leiser): »ho – o!«
(Eintretend). Ist das alles, lieber Freund?
Führer. Bewahre, gnädiger Herr; hier geht's erst los.
Kurt. Darum! Wenn dieses die berühmte Dame Echo wäre, die hier in euren Bergen hausen soll, wie ihr versichert, so müsste sie ein schwindsüchtiges Fräulein sein, das den Winter nicht erlebt. – Hoia – ho – o ! (Er horcht.) Das hat sie schon übel genommen; sie piepst nicht einmal mehr.
Führer. Eine Dame ist's nicht, gnädiger Herr; und wenn Sie ein schwindsüchtiges Fräulein suchen, das ist allenfalls zu finden, wenn Sie drüben nach Bad Kieferthal hinabsteigen wollen. Haben Sie aber noch zehn Minuten Geduld, so ist's mit dem siebenmaligen Echo schon richtig. Hier sperren die Tannen den Grund.
Kurt (zieht die Uhr). Zehn Minuten? Gut! Arbeiten wir uns noch weiter hinauf im Schweiße unseres Angesichts. Aber jeder edle Tropfen, der umsonst vergossen wird, brenne Eure Seele, Mann, daß sie durchlöchert werde wie ein Sieb. (Wischt mit dem Tuch die Stirn.) Wo sind wir denn hier?
Führer. Auf der Bellevue-Platte, gnädiger Herr.
Kurt. Wenn ich für jede französische Bellevue auf deutschem Boden einen preußischen Taler hätte, war' ich ein reicher Mann. Was sagst du dazu, mein Mentor?
Führer. Ich weiß nicht, gnädiger Herr – wenn ich gemeint bin. Aber man nennt's auch Schillerplatte, weil einmal unten in Bodenbach ein Schulrat gewohnt hat, der hier Gedichte gemacht haben soll.
Kurt. Lassen wir also diese heilige Stätte unentweiht. Wohin kommen wir nun?
Führer. Nach den Rabensteinen; da durch auf den Hockstein, der hart am Kessel liegt.
Kurt. Und in diesem Kessel werden wir völlig geschmort?
Führer. Nein, gnädiger Herr; da ist das siebenfache Echo!
Kurt. Aha! Ich bin begierig darauf. Meine Passion ist Echosuchen. Der Line reist auf schöne Aussichten, der Andere auf Bauwerke, der Dritte auf Ruinen, der Vierte auf berühmte Biere – ich reise auf Echos. Ich gedenke ein Buch herauszugeben: Echo in Deutschland, Schweiz und Italien. Wenn euer Hockstein am Kessel darin mit einem Stern gedruckt wird, seid ihr gemachte Leute. – Also vorwärts!
Führer. Wollen wir nicht auf die anderen Herrschaften warten, gnädiger Herr?
Kurt. Ah, die! – (Er tritt an die Steinmauer und sieht über dieselbe hinab.) Vorwärts, vorwärts! Habt ihr schon so schwer an eurem Ehejoch zu schleppen? Nicht so übel, vierzehn Tage nach Ablauf der Flitterwochen. (Kommt zurück.) Ein reizendes Vergnügen, mit einem jungen Ehepaar zu reisen. Nie wieder in meinem ganzen Leben! Erst waren sie sich selbst so interessant, daß ihnen die langweiligste Tour eine wahre Himmelfahrt schien, und dann hatten sie das Reisen so satt, daß ihnen das Interessanteste Gähnen verursachte. – Kommt ihr endlich?
Die Vorigen. Arthur von Schmettwitz (junger Mann Anfangs der Dreißiger, blonder Vollbart, gesetzt, etwas trocken); Ella (sehr jung, im modernsten Reisekostüm); von rechts.
Ella. Dieser entsetzliche Weg! Wie mit dem Zirkel abgesteckt. Fünfzig Schritte nach rechts und fünfzig Schritte nach links, und wenn man hundert Mal seinen Fuß inkommodiert hat, ist man glücklich zehn Ellen höher gekommen.
Arthur. Du solltest dankbar sein, liebes Kind, daß man's uns so bequem gemacht hat.
Ella. Bequem! Ein schreckliches Wort. Überall hat man's dem armen Reisenden so bequem gemacht, daß darüber das letzte Restchen Poesie verloren gegangen ist. Unten am Aufstiege stehen die üblichen Esel mit Herren- und Damensattel; denen mag's zu gönnen sein.
Arthur. Du bist auch mit Allem unzufrieden.
Ella. Was sich mir aufzwingen will.
Kurt. Wollt ihr ausruhen, oder können wir weiter?
Ella. Ich verzichte auf die Rabensteine; sie sehen wahrscheinlich genau so aus, wie alle die andern Rabensteine, die wir schon genossen haben.
Arthur. Mir ist's recht, wenn wir bleiben.
Kurt. So verzeiht, wenn ich euch den Führer entführe. Ich muß mein siebenfaches Echo haben.
Ella. Ich könnte für deine Lunge besorgt werden, Kurt, wenn's noch lange so weiter ginge. Daß sich doch endlich Fräulein Echo erbarmte und dich in leibhaftiger Gestalt abfinge. Daß du reif bist für die Ehe, habe ich dir längst gesagt.
Kurt. Willst du mir eine Frau wünschen, die mir beständig nachschreit?
Ella. Wie garstig: eine Frau, die immer deiner Meinung ist. Ich denke, das könnte dir gefallen – nicht wahr, Arthur?
Arthur. Da müsste sich freilich Echo selbst verkörpern.
Kurt. Ohne Scherz, ich rechne fest darauf, daß einmal so etwas passiert; und dann ohne Besinnen zugegriffen! Das arme Ding muß erlöst werden. Es erlag der Liebespein und wurde in eine Stimme verwandelt. Was anders kann ihm wieder Gestalt geben, als die Liebe?
Arthur. Hätte dich doch Ovid bei seinen Metamorphosen um Rat gefragt! Geh' nur, geh', du – Narziß der Zweite.
Kurt. Adieu denn so lange. (Zum Führer.) Dort weiter?
Führer. Immer den Weg grade aus. (Kurt und der Führer nach links ab; hinter der Kulisse ruft ersterer noch einmal sein »Hoia – ho – o!«).
Ella (sich umschauend). Natürlich wieder die üblichen Aussichtsbänkchen für gesittete Naturschwärmer. Ist da nicht ein Mann mit dem Fernrohr in der Nähe? Kein Krüppel, der die Photographie von der reizenden Aussicht feilbietet, die man genießen soll? Kein fliegender Restaurant mit Erquickungen? Nicht einmal ein Invalide mit Leierkasten? Also erst die Anfänge der Kultur, und doch schon unleidlich.
Arthur. Setzen wir uns?
Ella. Meinetwegen – aber mit dem Rücken nach der schönen Aussicht. Man muß doch einmal Abwechslung haben.
Arthur. Du bist übler Laune, Ella.
Ella. Im Gegenteil, ich bin bei bestem Humor.
Arthur (seufzt).
Ella. Hab' ich unrecht, Männchen? Ist's nicht abscheulich? In den deutschen Bergen, in der Schweiz, in Italien – überall, wo wir die schöne Welt suchten – derselbe langweilige Ausputz. Eisenbahnen, Telegraphenstangen, Wärterhäuschen, eins, zwei, drei – zwanzig, fünfzig, hundert; Hotels von vier Etagen mit Portier, Stubenkellner, Hausmädchen, Table d'hôte – einmal um zwei, einmal um drei Uhr – immer dieselben sechs oder acht Gänge; Droschken mit lahmen Pferden, Omnibus, Pferdebahn nach den Vergnügungsorten; geebnete Wege mit Tafeln an den Bäumen, auf jedem Hügel eine Restauration mit beleibrockten Kellnern, an jedem Berge Sänftenträger, Maultiere, Wegweiser – überall dasselbe Einerlei diesseits und jenseits der Alpen. Man reist Monate lang viele hundert Meilen weit, und doch eigentlich nur von Perron zu Perron, von Hotel zu Hotel; man wechselt die Nordbahn mit der Westbahn, die Post mit dem Dampfboot, das rote Ross mit dem schwarzen Adler – Bellevue mit Belvedere – aber nur der Name wird ein anderer, die Sache ist immer dieselbe, und Städte und Länder, die man zu sehen bekommt, ziehen vorbei, wie die Tableaux im Guckkasten, fern – fern, so nahe man ihnen auch zu kommen meint.
Arthur. Du überraschst mich auf unserer letzten Station durch ein sehr eigentümliches Resume deiner Reiseerfahrungen, Kind.
Ella. Nenne mich nicht immer Kind – ich bitte dich! Ich bin deine Frau und nach dieser großen Reise gar nicht mehr das kleine dumme Ding aus der Pension, das sich so wenig fühlte, dem Vetter Schmettwitz gleich an den Hals zu fliegen, als er gnädigst die Arme ausbreitete.
Arthur (versucht sie zu küssen). Du loser Schalk.
Ella (entzieht sich ihm). In den Flitterwochen nach unserer silbernen Hochzeit!
Arthur. Warte, wenn ich dich erst zu Hause habe! Dann soll das rechte Leben anfangen. Noch einmal auf die langweilige Eisenbahn, eine Nacht durch sich rädern lassen, eine kurze Postfahrt seitab, und wir sind auf unserm lieben Gute Schmettwitz. Ich muß gestehen, es geht mir ähnlich, wie dir; die Reise währt mir schon zu lange, und ich habe eine rechte Freude, die alte Wirtschaft so nahe zu wissen.
Ella. Als ob du nicht schon seit Wochen mit allen deinen Gedanken darin stecktest, bester Freund! Mit allen deinen Gedanken –! Ich kann dir nicht helfen. Für deine junge Frau ist nichts geblieben.
Arthur. Aber Ella –!
Ella. Haben wir ein Feld vorüberfliegen gesehen, ohne daß du an deinen Weizen gedacht hättest? Weidete irgendwo eine Herde, die du
nicht mit deinen Oldenburgern vergleichen mußtest? Weshalb hast du die Zeitungen zur Hand genommen, als nach den Wetterberichten und Wollpreisen zu suchen? Wovon hast du unterwegs gesprochen, als von Stallfutterung und Brache? Ach! Du bist ein entsetzlicher Philister geworden.
Arthur. Ist mir's zu verdenken? So viel Herrliches man auf Reisen sieht, man sehnt sich nach dem kleinen Fleckchen Erde, dem man durch seine Arbeit Gedeihen gibt.
Ella. Wenn ich dich immer so gekannt hätte – ! Aber zu meinem Unglück hatte ich als ganz kleines Mädchen den kreuzfidelen Studenten Arthur von Schmettwitz mit roter Mütze und Schnurrock zu Gesicht bekommen, und der hatte mir so ausnehmend gefallen, daß ich alle die Jahre in der Pension von ihm träumte. Und als er mich nun wirklich zur Frau haben wollte, da meinte ich, nun würde auch für mich das lustige Leben beginnen. (Mustert ihn.) Bist du denn wirklich derselbe? Bist du wirklich einmal jung und Student gewesen – wie?
Arthur (lachend). Vor zehn Jahren – freilich, und ein Bursch von echtem Schrot und Korn; davon wissen Greifswald und Heidelberg zu erzählen.
Ella (den Kopfschüttelnd). Ich glaub's nicht.
Arthur. Das flotte Leben muß doch einmal aufhören.
Ella. Und bei mir soll's gar nicht anfangen. Aus dem kindischen Mädchen hat gleich eine verständige Frau werden sollen. Wie anders hab' ich mir's gedacht! Auf dieser Reise schon. Und immer so spießbürgerlich fort auf der großen langweiligen Heerstraße aller Reisenden mit dem Baedeker in der Hand, immer dieselben blasierten Reisegesichter heute und morgen; und rechts und links ist's so schön, überall, wo man nicht sein kann. Und nun morgen zu Hause und eigentlich nichts erlebt –!
Arthur (bei Seite). Das sind ja reizende Erfahrungen! So dürfen wir nicht zurück.
Ella. Alle Romantik scheint aus der Welt verschwunden; sie ist für Geschäftsleute eingerichtet, die's zu Hause und auf Reisen bequem haben wollen. (Aufstehend.) Gehen wir hinab.
Arthur (nachdenklich). Es tut mir wirklich leid – – Höre, Ella, so dürfen wir nicht in unser Nest zurück; es würde uns schlecht darin behagen. Die Reise-Romantik – die ist leicht zu haben.
Ella. Ich zweifle.
Arthur. Was gibst du mir, und ich verschaffe dir zu guter Letzt noch die schönsten Abenteuer.
Ella. Einen Kuß, wie du ihn noch gar nicht bekommen hast. (Achselzuckend.) Aber du –? Wie solltest du das wohl anfangen?
Arthur. Ein Schritt vom Wege, und wir sind in der allerromantischsten Romantik mitten darin.
Ella. Ein Schritt vom Wege? Wer so leichtgläubig wäre.
Arthur. Wir werfen zum Beispiel von uns, was uns als Herr und Frau von Schmettwitz legitimiert – diese Brieftasche mit meiner Paß- und Visitenkarte. Die Reisekasse hat Kurt bei sich, sie beschwert uns also nicht. Diese kleine Börse geht auch über Bord, sie wird keinen Bettler zum Krösus machen, und ich habe schon so manches Mal mehr Geld fortgeworfen. Und dann – wie lustige Studenten ohne Gepäck und Barschaft – dort in den blauen Wald hinein! Willst Du?
Ella. Herrlich, herrlich! Das ist ein köstlicher Einfall. Da höre ich doch einmal wieder den Arthur von Schmettwitz, in den ich mich als Kind sterblich verliebt hatte. Ist's denn dein Ernst, Männchen?
Arthur. Mein voller Ernst. Aber du mußt versprechen, mindestens drei Tage lang inkognito auszuhalten, was auch kommen möge.
Ella. Ach! So lange du willst!
Arthur (hebt Brieftasche und Börse in die Höhe). Soll ich also? Überleg's wohl.
Ella. Ohne Bedenken! Du machst mich ganz glücklich.
Arthur (bei Seite, indem er nach der Steinmauer geht). Das Mittel ist gewagt, aber es kann fürs Leben helfen. (Dicht an der Mauer.) Nun?
Ella. Nur zu!
Arthur (wirft Brieftasche und Börse hinab). Du willst es.
Ella (klatscht in die Hände). Prächtig – prächtig!
Arthur (kommt zurück). Wir sind jetzt Vagabunden, also die richtigsten Romantiker von der Welt. Dort fuhrt der Weg links hinauf – also geradeaus in den Wald.
Ella. Und bevor Kurt von seinem Echo zurückkommt! Deinen Arm, Herzensmann.
Arthur. Mit Vergnügen. (Sie gehen.)
Ella. Und ins tiefste Dickicht –ja?
Arthur. Durch Dick und Dünn! Du sollst mit mir zufrieden sein.
Ella (macht sich von ihm los). Ich laufe dir voran.
Arthur. Nur zu! (Zurückgewandt.) Kurt wird sich wundern. (Beide ab quer über den Weg und geradeaus in den Wald hinauf.)
Egon (mit einem leichten Ränzel auf dem Rücken) von rechts.
Egon (singt vor sich hin).
»Als ich noch Prinz war von Arkadien,
wie lebte ich so frei und froh« –
von karger Apanage und Lieutenantsgehalt, vielleicht sorgenfreier und vergnüglicher als der Fürst von Sulzingen, der ein sehr reicher Mann ist und über reelle zehn Quadratmeilen deutscher Erde gebietet. (Wirft das Ränzel auf die Bank und setzt sich daneben.) Kurze Rast und weiter! – Daß mir's immer vor den Ohren schwirrt das dumme Lied vom Prinzen von Arkadien, seit jenem traurigen Theaterabend, an dem ich meine geliebte Eurydike zum letzten Mal singen hörte und dann ohne Abschied in das Schattenreich meiner Jugendtorheiten steigen ließ. Fahre hin – das Schicksal will's. Es gibt höhere Pflichten, als deinen kleinen Fuß zu bewundern und deine Doppeltriller zu beklatschen – (seufzt) schade, jammerschade. Warum mußte über Nacht der unbeachtete Nebenast des Sulzinger Stammbaumes das letzte grüne Reis werden, von dem Früchte zu hoffen sind? O vanitatum vanitas! Was ist der Mensch? Eine melancholische Betrachtung angesichts dieser lachenden Erde, die dem Leichtsinn der Sterblichen so hold ist. Ist's nicht größter Reichtum, sich des Leichtsinns zu entschlagen, ein mäßiges Glück in Freiheit zu genießen, und sich dafür die Lasten eines mediatisierten Großwürdenträgers der Schöpfung aufzubürden? In der kleinbürgerlichen Zehnquadratmeilenwelt die Rolle des geliebten Landesvaters spielen – grausiger Gedanke. Überlegen wir's noch; studieren wir der Sicherheit wegen erst Land und Leute in der unscheinbaren Hülle eines simplen Fußreisenden – es ist nützlich und erquicklich zugleich. Ah! Man fangt doch eigentlich erst an, Mensch zu sein, wenn man sich entschließen kann, einmal nichts zu sein, als – Mensch. Diese Wonne: bergauf, bergab – pah! Auch das muß ein Ende haben. ( Er zieht eine kleine Fotografie hervor und betrachtet sie.) Vielleicht begegnen wir zufällig auch der kleinen Prinzeß Amalie, mit der uns der dienstbeflissene Herr von Schwalbe bekannt zu machen für gut fand. Sollte auch die Sonne den Prinzessinnen schmeicheln können? Das Gesichtchen ist nicht übel. Verliebt sie sich in mich, ohne zu wissen, wer ich bin – (Steht auf.) Weiter! (Summt.) Als ich noch Prinz war von Arkadien – – (Wirft das Ränzel über.) Basta! Er soll mich in Ruhe lassen. (Geht nach dem Wege zurück.)
Egon. Ein Hirte (taucht hinter der Steinmauer auf und sieht sich um).
Hirt. Heda, Herr! Haben Sie etwas verloren?
Egon. Das ist schwer zu wissen. Vielleicht das Kostbarste, was ich besaß.
Hirt. Das kann sein, Herr. Ich hab's da unten gefunden, als ich der braunen Liese nachging, die sich hier hinauf verlief.
Egon. Wer ist die braune Liese?
Hirt. Meine Kuh, Herr, sie gehört zur Bodenbacher Herde. – Es muß Ihnen aus der Tasche gefallen sein, als Sie dort über die Mauer 'nausschauten. (Er zeigt das Taschenbuch und die Börse.)
Egon. Zeigt einmal. (Er öffnet das Buch und blättert in demselben.) Reisenotizen. Mailand – Bologna – Rom – Neapel – (liest) »die Pferde lange nicht das, was man sich von der berühmten Neapolitanischen Rasse verspricht« – Wer ist dieser Pferdezüchter? (Sucht in den Taschen.) Rechnungen – Frachtzettel – ah! Visitenkarten. »Arthur von Schmettwitz« – ein pommerscher Junker vermutlich – vielleicht auch Mecklenburg. – Auch gleich die Börse eingebüßt – hm – hm!
Hirt. Sind Sie nun der, lieber Herr?
Egon. Besser ich nehm's an mich. Vielleicht ist der Verlierer wenig voraus und noch einzuholen, oder man kann's in der nächsten Stadt abgeben. – Es ist richtig.
Hirt. Das ist wahr, Herr. Es fehlt wirklich nichts, wenn Sie nachzählen wollen.
Egon. Ist man so ehrlich in Bodenbach?
Hirt. Die armen Leute wenigstens sind's.
Egon. Gehört Bodenbach zum Fürstentum Sulzingen?
Hirt. Nein, Herr, aber es liegt an der Grenze. Wir sind auch froh, daß es nicht dazu gehört.
Egon. Weshalb?
Hirt. Da kann keiner wissen, was wird, seitdem der Erbprinz sich beim Sturz mit dem Pferde das Genick gebrochen hat, und die alte Durchlaucht aus Schreck gleich nachgestorben ist. Es war schon immer eine schlimme Wirtschaft dort, und das Wild in den Wäldern hat's besser gehabt, als die Menschen; aber jetzt weiß keiner so recht, wer der neue Herr ist. Soll aber nichts an ihm dran sein.
Egon. So – –?
Hirt. Man sagt, am liebsten möchte die gnädige Frau das Fürstentum für ihre Töchter haben. Das soll aber nicht gehen.
Egon. Warum?
Hirt. Es steht in den alten Briefen. Aber der neue Fürst kann ja allenfalls eine von den Prinzessinnen –Töchtern heiraten.
Egon. Sehr freundlich.
Hirt. Ihm soll freilich eine vom Theater besser gefallen.
Egon. Ihr wißt ja gut Bescheid.
Hirt. Es redet sich so herum, Herr. Atjes!
Egon. Kommt man hier nach Kieferthal?
Hirt. Ja, Herr! Aber tausend Schritte weiter, hinter den drei hohen Tannen, führt ein schmaler Fußsteig ab, auf dem erreichen Sie's ein paar Stunden früher. Sie kommen an der Jägerhütte vorbei.
Egon (gibt ihm Geld aus seinem Portemonnaie). Da ist Fundlohn, weil Ihr ehrlich seid. Bleibt dabei.
Hirt. Dank, Herr, Dank. Nun weiß ich doch gewiß, daß Sie der Rechte sind. (Über die Mauer ab.)
Egon. O Einfalt! – Also, so schlimm sieht's in Sulzingen aus, und so gut ist der neue Herr bekannt! Nicht übel. Wenn die Großen wüßten, wie die Kleinen über sie denken, vielleicht würden sie sich's gesagt sein lassen. – Wo nun diesen Schmettwitzer finden, der seinen Besitz so sorglos gehütet hat? – Da kommt Jemand die Höhe herunter. Ich will ihn so schlau inquirieren, wie der ehrliche Hirte mich.
Egon. Kurt und der Führer von links.
Egon. Guten Tag.
Kurt (will rasch vorbei). Guten Tag.
Egon. Haben Sie etwas verloren, Herr?
Kurt. Zeit und Mühe, Herr; denn das Echo war jämmerlich.
Egon (bei Seite). Der ist ein Narr. (Laut.) Fassen Sie einmal in Ihre Taschen.
Kurt (betastet seine Taschen; etwas verblüfft). Nun?
Egon. Geld und Brieftasche in Sicherheit?
Kurt. Alles in Ordnung.
Egon. Adieu! (Ab nach links.)
Kurt. Glückliche Reise. – (Umschauend.) Nicht mehr hier? Wird ihnen langweilig geworden sein, so lange zu warten. Der Henker hole eure Rabensteine.
Führer. Die Luft ist heute zu dick, Herr; es zieht ein schweres Gewitter
auf.
Kurt. Bald ist die Luft zu dick und bald zu dünn; Ihr habt immer Ausreden. – Kommen wir noch trocken hinab?
Führer. Wenn wir kräftig zugehen – – !
Kurt. Fort denn! Schmettwitz sitzt sicher schon beim Kaffee. Er ist doch immer der Kluge. Gehet nur voran.
(Beide ab nach rechts.)
Zwischenaktsvorhang fällt.
Schon während der Verwandlung ferner Donner, von Zeit zu Zeit heftiger. Bei einem besonders starken Schlage geht der Vorhang auf. Man sieht in eine Waldschlucht, die im Hintergrunde ganz mit Steinen und Bäumen verstellt ist (möglichst abweichend von der ersten Szene, deren Unterbau aber wird benutzt werden können). Rechts nach hinten zu ein großer Baum mit breiter Krone, darunter ein großer Stein. Sturm, Regen und Gewitter. Halbdunkel, zeitweise von Blitzen erhellt.
Arthur und Ella von rechts. Er hat seinen Rock ausgezogen und ihr denselben umgehängt.
Ella (stützt sich auf seinen Arm). Ich kann nicht weiter. Tu', was du willst mit mir, aber weiter kann ich nicht. Ich bin so erschöpft – zum Umsinken.
Arthur. Wir hätten unter dem Felsvorsprung bleiben sollen, der uns doch ein Dach gegen den Regen bot. Aber du hattest keine Ruhe und wolltest fort.
Ella. Sollte uns die Nacht da überraschen? Der Sturm heulte so schauerlich durch das zerklüftete Gestein. Die Angst trieb mich hinaus.
Arthur. Und ist's hier nun besser? Kein Weg, kein Steg. Wohin wir uns wenden, Regenbäche, dichtes Gestrüpp.
Ella. Eine wahre Wüstenei!
Arthur. Aber doch höchst romantisch.
Ella. Spotte nicht! Du bist an allem Unglück Schuld. Wie konntest du auch auf einen so verzweifelten Einfall – (Es blitzt.) Ah! Du mein gütiger Gott! Das muß in der Nähe eingeschlagen haben.
Arthur. Nun hab' ich noch Vorwürfe. (Donner.) Perdauz! Toller kann's nicht kommen. – Ich hätte doch darauf schwören mögen, daß ich in dieser Richtung sprechen hörte. Warte einmal, ich will eine Strecke nach dort –
Ella (klammert sich fest an ihn). Keinen Schritt ohne mich! Daß du dich gar noch verirrst und nicht mehr zu mir zurückfindest. Hier allein – ich wäre des Todes.
Arthur. Aber wir können doch nicht warten –
Ella. Und wer weiß, wen du gehört hast? Wenn gar Räuber –
Arthur. In tiefer superkultivierten Gegend? Aber um so besser! Dann wäre das Abenteuer vollständig. Nehmen können sie uns ja nichts, als das Leben.
Ella (verzweifelt). Nichts als das Leben! (ängstlich umherspähend.) Siehst du da nicht etwas?
Arthur. Wo?
Ella. Dort unten. Es sieht aus, wie zwei feurige Augen.
Arthur. Vielleicht ein bengalischer Tiger –
Ella. Nun ist's wieder fort. – Aber dort die Gestalt !
Arthur. Ein Baumstumpf. Courage, Liebchen.
Ella. Nein, nein – daneben! Ein spitzer Hut mit einer langen Feder –
Arthur. Da ist der Räuber fertig. Komm, treten wir unter den großen Baum.
Ella (nach rechts zeigend). Dort öffnet sich der Wald.
Arthur. Von dort sind wir ja gekommen.
Ella (nach links zeigend). Nein, von dort, wo es so finster ist.
Arthur. Ich versichere dich –
Ella. Ich weiß es ganz genau, wir müssen nach jener Richtung.
Arthur. Das sicherste ist, wir warten den Tag ab.
Ella. Auf keinen Fall. Lieber noch weiter gehen. Komm! (Sie zieht ihn fort nach links.)
Arthur (zeigt nach rechts). Du wolltest ja dort hinaus.
Ella. Nein, dort! (Gewitter.) Nur schnell.
Arthur (bei Seite). Das fängt gut an! (Beide ab nach links.)
Von hinten rechts her steigen zwischen den Bäumen und Felsstücken herunter: Geh. Registratur Schnepf und Kaufmann Blanknagel; dann Badekommissar Busch und Bertha Schnepf; endlich zuletzt Dr. Rathgeber, Frau Schnepf und Rosette Hasenklein am Arm führend.
Blanknagel (mit einem Regenschirm). Sehen Sie sich vor beim Herabsteigen; der Boden ist schlüpfrig, Herr Geheimer Rath.
Schnepf. Schadet nichts. – (In seiner Erzählung phlegmatisch fortfahrend.) Dieser störrische Büroapplikant Munkelsteiner also –
Blanknagel. Bekam eine Nase, das weiß ich schon.
Schnepf ( bleibt stehen und hält ihn am Arm fest). Ganz richtig. Aber wie er die Nase bekam, das muß ich Ihnen noch erzählen.
Blanknagel (will weiter). Ich glaube, Verehrtester, Sie haben mir die Geschichte schon neulich erzählt.
Schnepf (hält ihn fest). Habe ich das? Ja, es ist eine höchst interessante Geschichte; man kann sie sehr gut noch einmal hören. Also der Büroapplikant Munkelsteiner, nachdem er fünf Nummern – sage fünf Nummern im Journal übersprungen hatte –
Blanknagel. Aber ich bitte Sie, bei diesem Wetter – – ? Daß ich doch mit meinem verhärteten Rheumatismus in Kieferthal geblieben wäre und die Abendzeitung mit den Kursen abgewartet hätte!
Schnepf (zieht ihn am Knopfe fort). Nachdem er also fünf Nummern –
Busch (der mit Bertha folgt). Herr Blanknagel, wollen Sie wirklich nicht Ihren Schirm an das Fräulein abtreten? So viel Galanterie –
Blanknagel. Unmöglich! Bei meinem verhärteten – (Schnepf zieht ihn nach dem Baume fort.)
Bertha. Danke, danke! Es wäre wirklich zu hart, wenn Herr Blanknagel sich zwanzig Mal unnütz mit dem Schirme geschleppt haben sollte, um ihn das einige Mal, wo uns wirklich ein Regen überrascht, abzugeben.
Busch. Aber die Galanterie –
Bertha. Es kann nicht jeder ein Badekornmissarius Busch sein.
Busch. O! Sie machen mich durch diese Anerkennung sehr glücklich, mein Fräulein. Ja, ich qualifiziere mich zu diesem schwierigen Posten vielleicht besser, als mancher Andere, weil ich so zu sagen nicht ganz ungewohnt bin, bei Hofe zu verkehren. Die Frau Fürstin Witwe, leider Witwe –
Bertha. Ist Ihre gute Freundin.
Busch. Hm – hm! Das wäre nun vielleicht etwas zu viel gesagt. Aber ich schmeichle mir allerdings, bei den Damen einen Stein im Brett zu haben. (Süß.) Wenn ich auch bei Ihnen so glücklich wäre, Fräulein Bertha –
Bertha. Sehen Sie sich vor, da liegt ein Stein.
Busch (stolpernd). Es ist schon so dunkel – entschuldigen Sie!
(Dr. Rathgeber, Frau Schnepf und Rosette treten vor.)
Rosette. Halten Sie mich doch nur recht fest, Herr Doktor; es ist ein infernalischer Weg!
Frau Schnepf. Ich bin doch wirklich begierig, Herr Doktor, wohin Sie uns eigentlich führen werden? Sie behaupteten, des Weges ganz kundig zu sein, und jetzt geht's planlos die Kreuz und Quer – Rosette. Über Stock und Stein –
Dr. Rathgeber. Ja, meine Damen, meine Damen, machen Sie mir keine Vorwürfe. In Ihrer liebenswürdigen Gesellschaft vergißt man ganz, auf den Weg zu achten. Ich weiß bestimmt, daß die Jägerhütte in dieser Richtung liegt – ganz bestimmt, meine Damen, aber das Ungewitter und der Regen –
Frau Schnepf. Habe ich's nicht schon gesagt, als wir von Kieferthal ausgingen? Habe ich nicht gesagt, daß ein Gewitter aufziehe? Kenne ich nicht diese verdächtigen grauen Wolkenköpfe mit den weißen Hauben? Aber der Herr Doktor wollte es ja besser wissen. O, das zieht nach Bodenbach hin ab! Da haben wir's nun.
Rosette. Es ist Schicksalstücke. Mein neues Alpacca-Kleid – ein wahrer Jammer!
Dr. Rathgeber. Ja, meine Damen, auf dem Lande –
Frau Schnepf. Und wer wollte doch an der Schneidemühle umkehren? Wir wären noch trocken hinabgekommen. Aber da hatte niemand Augen. Höchstens ein Regenschauerchen, das man in der Jägerhütte abwarten könnte, um dann auf der Platte den herrlichsten Sonnenuntergang zu genießen. Und wo ist nun die Jägerhütte? Ich wette darauf, Sie finden gar nicht einmal mehr nach Kieferthal hinab.
Rosette. Das wäre schrecklich! Blanknagel ( sich von Schnepf losmachend). Ja, Herr Doktor, der Schirm leckt schon; wo ist die Jägerhütte?
Schnepf. Man kann nicht einmal eine Geschichte ins Trockne bringen.
Dr. Rathgeber. Steigern Sie nicht noch meine Verzweiflung. Ich muß gestehen, ganz konfus geworden zu sein, meine Herrschaften. Aber die Hütte ist sicher ganz in der Nähe. Nur noch wenige Minuten Geduld – (Geht nach links, die Andern folgen.)
Frau Schnepf. Nimm dein Kleid ordentlich auf, Bertha.
Busch. Kann ich noch mit einigen Stecknadeln aufwarten?
Bertha. Der Regen hat schon nachgelassen, und es ist nichts mehr daran zu verderben.
Schnepf (zu Blanknagel). Um also wieder auf den Büroapplikanten Munkelsteiner zurückzukommen –
Blanknagel (verzweifelt). Ist der noch immer störrisch? Ich wünschte, dieses Unwetter wäre ihm in den Leib gefahren! (Alle ab nach links, über eine Wasserpfütze springend.)
Arthur und Ella vom Hintergrunde her. (Ella hat ihn unter den Arm gefaßt und hinkt.)
Arthur. Langsam – langsam. Strenge den Fuß so wenig als möglich an. Schmerzt er noch sehr?
Ella. Ich kann nur mit Mühe auftreten.
Arthur. Die fatale Wurzel! Du mußt durchaus eine Weile ausruhen – durchaus.
Ella (sehr matt). Wie du willst, Arthur.
Arthur. Dort unter dem Baum liegt ein großer Stein, darauf kannst du sitzen.
Ella. Komm nur! (Er führt sie nach dem Baum und zum Stein.) Der Wald scheint hier doch etwas lichter und freundlicher.
Arthur. Ich möchte darauf schwören, daß wir kürzlich schon auf dieser Stelle gewesen sind.
Ella. Ach, wo denkst du hin? Wir sind ja immer geradeaus gegangen.
Arthur. Wenigstens bin ich ganz sicher, daß wir einen Fußpfad kreuzten – nicht zwanzig Schritte von hier. Trotz der Dämmerung war der schmale nasse Streifen im Grase zu erkennen.
Ella. Wir täuschten uns schon so oft.
Arthur. Diesmal nicht. Und mehr noch: Ich glaube auch in einiger Entfernung unter den Tannen das Dach einer Hütte bemerkt zu haben.
Ella. Wenn das wäre!
Arthur. Der Pfad führt gewiß dahin. Laß mich einmal ausschauen, Liebchen – sei verständig.
Ella. Du willst mich wirklich hier allein lassen?
Arthur. Wenige Minuten. Wenn ich auf dem Pfad bleibe, finde ich mich ja immer zu dir zurück.
Ella (resigniert). Gut – geh denn! Ich kann ja doch nicht mit dir.
Arthur. Armes Liebchen!
Ella (weinerlich). Es tropft recht unangenehm vom Baume, wenn ihn der Wind schüttelt; gib mir dein Taschentuch.
Arthur. Setze lieber meinen Hut auf; die breite Krempe wird einigermaßen schützen.
Ella. Ich füge mich schon in Alles. (Sie nimmt ihr kleines Hütchen ab.)
Arthur (setzt ihr seinen Hut auf). So – – ! Nun siehst du zur Not aus, wie ein Mann.
Ella. Daß ich doch über meine Maskerade lachen könnte! Du aber im bloßen Kopf –
Arthur. Was schadet's?
Ella. Beeile dich nur.
Arthur. So viel ich kann. (Er entfernt sich nach dem Hintergrunde und scheint etwas auf der Erde zu suchen.) Ich habe den Pfad schon. Ade so lange. (Ab nach links.)
Ella. Es ist doch eigentlich schrecklich dumm, daß ich mich fürchte. Wovor fürchte ich mich? Es ist nur, daß man nie wissen kann – (Sie reibt den Fuß mit der Hand.) Ich hätte doch lieber mit Arthur – der Schmerz läßt schon nach. (Seufzt.) Wenn wir jetzt trocken in Bodenbach säßen – oder im bequemen Waggon – – gut, daß er mich nicht hört! Das wäre gerade Wasser auf seine Mühle. Hasenherz! – Ob er schon weit fort ist? Wenn ich einmal rufen möchte – ? Aber nein! Wer weiß, wen ich herbeilocke. Eigentlich könnte er schon zurück sein. – Rührt sich da nicht etwas? Ich wage mich gar nicht umzusehen. Hier allein und in diesem Aufzuge – –
Ella. Egon von rechts, geht, immer zur Erde schauend, hinter dem Baum vorüber bis gegen den Vordergrund links.
Egon. Der Fußweg ist kaum noch zu erkennen. Hier oder dort? Ich glaube, ich bin schon abgekommen. Puh! Ein Wetter.
Ella. Wenn er vorbeiginge und mich verfehlte – – ! Bist du's, Arthur?
Egon. Da sprach Jemand. – Wer da?
Ella. Ach, mein Gott, eine fremde Stimme.
Egon (sich dem Baum zuwendend). Es kam von dort her. Wer da?
Ella (steht auf und schleicht um den Baum herum). Vielleicht bemerkt er mich nicht.
Egon. Aha! Der hat ein schlechtes Gewissen. Das Beste ist, man geht ihm zu Leibe. (Er folgt Ella, indem er in einiger Entfernung den Baum umstreift.)
Ella (huscht hinten herum und sucht sich hinter dem Baum zu verstecken). Er ist mir auf der Spur.
Egon (tritt links hinter dem Baum vor, immer in einiger Entfernung von demselben). Ich habe den Kerl ganz deutlich gesehen. Wahrscheinlich ein Wilddieb, der sich das Interregnum zu Nutzen macht. Warte, Bursch! Ich will meinen eigenen Förster spielen. (Er geht auf den Baum zu.) Zum letzten Mal: wer da?
Ella (schleicht rechts um den Baum herum).
Egon (folgt ihr und hebt seinen Stock wie eine Flinte auf). Antwort! Oder ich schieße.
Ella. Ach, du mein gütiger Gott! Schießen Sie nicht!
Egon. Eine Knabenstimme. Fängt man hier so früh an? Wirf das Gewehr fort, Bursche.
Ella. Aber ich habe ja keins.
Egon. Das werden wir sehn. (Er zieht Ella am Arm vor.) Einmal hier ins Freie! Ha – ha – ha – ha! Weiberröcke? Immer toller!
Ella (zitternd). Ich weiß nicht, wofür Sie mich halten, mein Herr, aber für das Richtige gewiß nicht. Ich bin im Walde verirrt und warte hier auf meinen Mann.
Egon (bei Seite.) Wahrhaftig, ein Dämchen! (Laut.) Aber in dieser Mummerei – – ?
Ella (setzt sich erschöpft auf den Stein). Zum Schutz gegen den Regen – mein Mann war so vorsorglich.
Egon. Wo ist er denn jetzt?
Ella. Er sucht den Weg.
Egon. Darf ich wissen, wohin?
Ella. Ja, das wissen wir eben selbst nicht.
Egon. Das wissen Sie selbst nicht. (Bei Seite.) Sehr wunderlich. (Laut.) Nach Kieferthal vielleicht?
Ella. Wahrscheinlich – ja, ja! Jedenfalls nach Kieferthal. (Bei Seite.) Was sage ich nur? (Laut.) Wir kommen aus Italien – unser Wagen blieb auf der Landstraße – wir meinten, einen angenehmen Fußweg nicht versäumen zu dürfen – verirrten – wurden vom Gewitter überfallen –
Egon. Und da hätte ich Sie nun halb aus Versehen als einen argen Wilddieb mit meinem Stocke erschossen – Pardon!
Ella. Mit Ihrem Stocke? Ha, ha, ha!
Egon. Ja, warum antworteten Sie denn nicht gleich?
Ella. Weil Sie mich so erschreckten. Sie sind also wirklich nur – ein ganz harmloser – Fußreisender? Gott sei Dank! Ist's denn weit bis Kieferthal?
Egon. Sicher nicht. Darf ich meine Begleitung dorthin anbieten?
Ella. Ach nein, mein Mann – – ! Aber wenn Sie die Güte haben wollten, hier so lange zu bleiben, bis er zurückkehrt – ich würde Ihnen sehr dankbar sein.
Egon (setzt sich zu ihr). O, mit dem größten Vergnügen. (Bei Seite.) Ein sympathisches Stimmchen!
Ella (steht auf). Aber ich versäume Sie gewiß.
Egon. Nicht im mindesten. Ich gehöre vorläufig noch zu den Leuten, die nichts zu tun haben, als sich zu amüsieren.
Ella (lachend). Dazu wird hier wenig Gelegenheit sein.
Egon. O, die schafft man sich leicht. Aber warum behalten Sie nicht ihren Platz? – Sie sind ganz fremde hier?
Ella (setzt sich wieder). Ganz fremde.
Egon. Dann war's doch wohl etwas gewagt, so spät Ihren Wagen zu verlassen und in den Wald – (Er bemüht sich, ihr unter den Hut zu sehen.) Schade, daß es schon so dunkel ist.
Ella (rückt weiter). Wo er nur bleibt? (Laut.) Es war freilich verwegen
Arthur (außerhalb). Ho – ho! El – la!
Ella (steht auf). Da ist er. (Sie will Arthur entgegen gehen, scheint sich aber anders zu besinnen.) Halt! Nicht voreilig. Das ist ein glücklicher Einfall – – ! Warte, ich will dir deinen Spott heimzahlen. (Kehrt zu rück.) Mein Herr, Sie waren so gütig – darf ich Sie um eine ganz kleine Gefälligkeit bitten?
Egon. O, um die größte.
Ella. Nur, daß Sie da noch eine Minute sitzen bleiben, während ich verschwinde. Wollen Sie? Aber rühren Sie sich nicht. ( Sie versteckt sich hinter dem Baum.)
Egon. Ein munteres Weibchen, wie's scheint. Was sie nur vorhat.
Die Vorigen. Arthur und Dr. Rathgeber von links; hinter ihnen nach und nach Schnepf und Frau, Busch, Bertha, Rosette, Blanknagel.
Arthur. Eilen wir! Meine Frau stirbt vor Angst. (Ruft.) Ella! Sie antwortet nicht.
Ella (bei Seite). Er soll sich wundern, wie munter ich bin.
Arthur. Ein Glück, daß ich Ihre Gesellschaft traf! Dr. Rathgeber. Ja, aber wie konnten Sie auch – Arthur (auf den Baum zueilend). Dort ist der Baum – Ella –! Mein armes Weib! (Er umarmt Egon und prallt zurück.) Was ist das –
Egon (aufstehend). Guten Abend.
Arthur. Mein Herr – ! Wo ist die Dame – ?
Egon. Welche Dame? (Grüßt und geht.) Auf Wiedersehn in Kieferthal, meine Herrschaften. (Bei Seite.) Man muß Niemand den Spaß verderben! (Ab.)
Arthur (in größter Unruhe). Gewiß mir nachgegangen – verirrt – allein im Walde – !
Ella (hinter dem Baum vor). Weinst du? Ha, ha, ha! Laß dich auslachen, Männchen.
Arthur. Ella – ! Dieser Herr – ?
Ella. Wir haben uns sehr gut unterhalten.
Arthur. Mich so zu ängstigen – ! Wer war – ?
Frau Schnepf. Eine recht angenehme Überraschung für den Herrn Gemahl.
Rosette. Sehr emanzipiert, das muß man sagen.
Schnepf. Daraus mag ein Anderer klug werden.
Dr. Rathgeber. Wenn's den Herrschaften jetzt gefällig ist, direkt nach Kieferthal – der Himmel hat sich völlig aufgeklärt.
Ella (zu Arthur). Du bringst ja große Gesellschaft mit? Darf man wissen – ?
Dr. Rathgeber. Kieferthaler Badegesellschaft, meine Gnädigste. Höre, daß Sie gleichfalls die Absicht haben – Sehr erfreulich! (Zieht ein Päckchen Druckschriften vor.) Darf ich mir erlauben, Ihnen meinen Führer durch Bad Kieferthal und Umgebungen – bitte!
Ella (ausgelassen munter). Sehr dankbar. Ihm fehlt nur eine Laterne, mit der er sich selbst beleuchtet und uns den Weg zeigt. Hier deinen Hut und Rock, Arthur. Ich möchte nicht zum zweiten Mal in Gefahr kommen, als Wilddieb angerufen zu werden.
Arthur (kleinlaut). Du bist ja wieder ganz lustig und guter Dinge.
Ella. Soll ich nicht? Wer hat nun recht gehabt? Ehe der Mond aufgeht, sind wir in einem zivilisierten Badeort und haben den Führer schon gedruckt in der Tasche!
Dr. Rathgeber (dienstfertig zu Ella). Ihren Arm, meine Gnädigste.
Rosette. Neue Badegäste – wir sind vergessen. Faßt eiligst Blanknagel unter. Der Zug setzt sich in Bewegung.)
Arthur (seufzend). Die Hilfe kam zu früh. Schade um das Biwak unter freiem Himmel.