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Wanagischken war einmal vor Jahren ein sehr ansehnliches litauisches Dorf mit zwölf oder fünfzehn Bauernhöfen, einer Anzahl Eigenkaten, großer Feldmark, ausgedehnten Wiesen am Fluß, Torfstich in der Nähe des Kurischen Haffs und beträchtlichem Anteil an der Heide gegen die Grenze hin, die als Weide benutzt wurde. Daß gleichwohl die dort angesessenen litauischen Bauern zu wenig Wohlstand kamen und zuletzt größtenteils ihr Erbe ganz einbüßten, lag an ihrer Wirtschaftsweise, die auch unter veränderten Verhältnissen von alten Gewohnheiten nicht lassen konnte. Wie die Großeltern gehaust hatten, als die Dorfschaft noch ungeteilt war, so ähnlich meinten auch die Enkel auf ihren separierten Grundstücken hausen zu müssen, um sich als gute Litauer zu beweisen. Aber die Bedürfnisse waren gewachsen, bares Geld konnte nicht mehr entbehrt werden, Erbteilungen verschuldeten den Besitz, fortwährende Pfändungsprozesse der Nachbarn untereinander verzehrten die geringen Einnahmen aus dem Verkauf von Naturalien, das Inventar verschlechterte sich von Winter zu Winter, und zuletzt blieb weiter nichts übrig, als es zu machen, wie die Landsleute näher nach den Städten hin: Haus und Hof an die Deutschen zu verkaufen und mit dem geringen Rest des Kaufgeldes weiter nach der Grenze hin eine neue Ansiedlung zu versuchen oder das Schmuggelgeschäft zu betreiben.
Als ich vor längerer Zeit in jene Gegend kam, sagten die älteren Leute mir, daß Wanagischken kaum noch zu erkennen sei. Ich fand zwar ein Dorf vor, aber es hatte außer einem stattlichen Hause von Ziegeln, an das sich im weiten Viereck Scheunen und Stallungen anschlossen, nur noch drei Höfe, und dieselben zeigten den größten Verfall. Wanagischken war, – so konnte man wohl sagen – ein Gut geworden, dem noch aus alter Zeit ein paar Bauernhöfe anklebten, und diese Umwandlung hatte sich in etwa zwanzig Jahren vollzogen. Herr Friedrich Geelhaar, der Gutsbesitzer, jetzt ein rüstiger Sechziger – man hätte ihm glauben können, wenn er schon seit längerer Zeit lachend an jedem neuen Geburtstage versicherte, erst fünfundfünfzig zu sein – war ein Mann, der sich »durch eigene Kraft heraufgearbeitet« hatte und mit einem gewissen nicht unberechtigten Stolz auf seine »Errungenschaften« zurücksah. Er hatte eine städtische Mittelschule nur zur Hälfte durchgemacht und dann als Inspektor auf einem großen Gut, eine Meile von der Stadt, wie er sagte, »leben gelernt«. Von Hause aus ganz mittellos und lange auf ein mäßiges Gehalt angewiesen, hatte seine Beharrlichkeit und Bedürfnislosigkeit es doch zu Ersparnissen gebracht, die er fruchtbringend zu verwerten wußte, indem er mit den Litauern, deren Sprache ihm geläufig war, kleine Geschäfte machte. Er spielte in der Lotterie und gewann nach und nach ein paar hundert Taler, die er dann sofort in seiner Weise »auf die hohe Kante legte«, nicht um sie liegen, sondern um sie rollen zu lassen. Als er vierzig Jahre alt geworden war, konnte er sich im Lande umsehen, ob es etwas selbständig zu erwerben gebe. Eine Pacht war nicht nach seinem Sinn. Warum für andere arbeiten? meinte er; lieber für sich selbst anfangen, sich eine Weile »durchquälen« und am Ende »glatt abschließen«. Damals standen gerade in Wanagischken zwei verfallene Bauernhöfe zum Verkaufe. Der Erwerb wäre für keinen andern einladend gewesen, aber der Inspektor Friedrich Geelhaar kalkulierte: er ist dafür auch billig, und ich behalte noch ein Stück Geld in der Tasche. Wer ihm abriet, sich in die litauische Wirtschaft zu wagen, dem lachte er ins Gesicht. »Nur erst den Fuß hineinsetzen«, sagte er, »mit dem Aufräumen werd' ich schon fertig werden.« Er hatte so seine Redensarten, der kleine breitschultrige Mann, aber es war auch meist etwas dahinter.
Zwei Jahre lang wohnte er in seinem litauischen Bauernhause; freilich sah es bald nur noch von außen wie ein litauisches Bauernhaus aus. Als er heiratete, meinte man allgemein, er werde nun für ein besseres Logis sorgen, zumal es ihm schon an Mitteln gar nicht mehr fehlen konnte. Aber er lachte wieder und sagte: »Ich bin Bauernwirt und kann kein Gutshaus brauchen; wenn ich ein Gut haben werde, will ich den Baumeister rufen, und das Ding soll ansehnlich werden. Erst aufräumen!« Er räumte denn auch wirklich auf, schneller, als man's für möglich gehalten hätte, das heißt: er kaufte einen Bauernhof nach dem andern fort, riß die alten Holzhäuser nieder, schlug in den Gärten die Bäume herunter, ließ den Pflug über die alten Hofstellen gehen und sorgte dafür, daß bald nicht einmal mehr die Dorfkinder selbst sagen konnten, wo des Kristups Posingis oder des Jurgis Laurus Brunnen gestanden hatte. Dafür richtete er neben dem bescheidenen Wohnhäuschen nach und nach einen stattlichen Wirtschaftshof nach deutscher Ordnung ein, baute Scheunen und Ställe, wie sie einem Rittergut zum Schmuck gereichen konnten, legte die Wege gerade und bepflanzte sie mit Bäumen, sorgte für Abzugsgräben auf den Wiesen und machte ein Stück Heide nach dem andern urbar. Ganz zuletzt erst kam das neue Wohnhaus, für das die Stelle freigehalten war, und seine Versicherung, daß er es »ohne Kopfschmerzen« baue, fand vollen Glauben. Er war nun ein »Gutsbesitzer« geworden, der mit den andern Gutsbesitzern des Kreises auf gleichem Fuße verkehrte. Sein Wohlstand mehrte sich noch immer, und der einzige Verlust, den er zu beklagen hatte, betraf nicht seine Wirtschaft, sondern seine Familie. Seine Frau starb nicht lange nach dem Umzug in das neue Haus, und er blieb seitdem Witwer, vielleicht weniger aus Anhänglichkeit an die Verstorbene, als weil er praktische Bedenken trug, sich in seinem Alter in eine neue Verbindung einzulassen, die üble Folgen haben konnte.
Daß er nun zwar tüchtig, aber doch nicht vollständig in Wanagischken »aufgeräumt« hatte, konnte bei seiner sonst bewiesenen Energie wundernehmen. Aber es hatte seinen guten Grund, daß die drei litauischen Höfe noch standen und ihm die Aussicht nach dem Flusse sperrten. Die zwei hinteren freilich hatte er »so gut wie in der Tasche«; die dazugehörigen Wiesen und Heideanteile waren längst sein. Den einen mochte er nur nicht an sich bringen, weil er zur Zeit noch mit mehreren sehr lästigen Ausgedingen (Altenteilen) belastet war, die ihm den Kaufpreis übermäßig verteuert hätten, und den zweiten hatte er für einen anderen Besitzer eingetauscht, der auf andere Weise nicht zu vermögen gewesen war, einen Hof aufzugeben, dessen Ackerzubehör seine Grenzen durchschnitt; er konnte ihn spätestens nach dem Tode des schon alten Mannes haben. Anders stand es aber mit dem dritten Grundstück, das ihm lange schon ein Dorn im Auge war, den er doch nicht auszureißen vermochte. Der Hof gehörte Ansas Wanags, und er war in dessen Familie gewesen, solange auch die ältesten Leute zurückdenken konnten und soweit die auf dem Gericht aufbewahrten Urkunden reichten; wahrscheinlich hatte einmal ein Wanags (Habicht) dem Dorfe den Namen gegeben.
Einmal war allerdings Gelegenheit gewesen, auch diesen Hof zu kaufen, aber Herr Geelhaar hatte sie verpaßt. Die Eltern des jetzigen Besitzers hatten, wie gewöhnlich die Litauer in einem gewissen Alter, die Lust verspürt, sich zur Ruhe zu setzen und ohne Arbeit von einem reichlichen Ausgedinge zu leben. Sie hatten deshalb ihr hübsches Grundstück zum Verkauf ausgeboten. Aber Geelhaar war gerade damals nach anderer Seite hin so sehr beschäftigt, daß er als vorsichtiger Wirt seine Mittel nicht meinte schwächen zu dürfen, und der Preis schien ihm auch zu hoch. »Läuft ja nicht fort«, tröstete er sich in seiner trockenen Weise; »man muß nicht mehr speisen, als man verdauen kann. Eins zum andern – das ist meine Weisheit.« Das Grundstück kaufte also ein Litauer namens Karalus für eine nicht unbedeutende Summe, die natürlich nur zum allerkleinsten Teile bar bezahlt wurde, und nebenher für ein sehr namhaftes an die Wanagsschen Eheleute zeitlebens zu entrichtendes Ausgedinge, das auch der beste Wirt nur mit Mühe aus dem Lande hätte herauswirtschaften können. Der Tag, an welchem auf dem nahen Gericht die Verschreibung erfolgte, war ein Festtag, an dem die drei Krüge des Marktfleckens ihren guten Verdienst hatten. Was aber darauf folgte, war nur Not und Plage. Karalus war ein Säufer und Faulenzer, die Karalene, seine Frau, eine zanksüchtige Person, die das Hauswesen vollends in Unordnung brachte. Das Ausgedinge wurde nicht entrichtet, die Zinsen blieben unbezahlt und das Wanagssche Ehepaar mußte froh sein, auf dem alten Erbe das nackte Leben zu haben. Als nach einigen Jahren Karalus einmal spät in der Nacht betrunken aus der Stadt zurückkam, mit seinem Fuhrwerk die Brücke verfehlte, vom hohen Ufer in den gerade hoch angestauten Fluß rollte und jämmerlich ertrank, war das Bauerngütchen schon so in Verfall, daß Wanags als Bettler hätte ausziehen müssen, wenn er einen fremden Abnehmer suchen wollte. Es blieb ihm nichts übrig, als wieder selbst den Wirt zu spielen. Natürlich mußte bei dieser Rücknahme nun der alten Urte Karalene ein großes Ausgedinge verschrieben werden, um sie abzufinden. Wanags und seine Frau hatten seitdem nur den einen Gedanken: wäre unser Ansas erst so weit, das Grundstück zu übernehmen, damit wir uns zur Ruhe setzen könnten!
Ansas war damals noch sehr jung. Er hatte sich, da seine Eltern als Altsitzer lebten, auswärts verdingen müssen und schließlich beim Nachbar Geelhaar ein Unterkommen gefunden, das ihn zufriedenstellte. Für den jungen kräftigen Menschen konnte es ein Glück scheinen, schon früh dem Einfluß seiner Angehörigen entzogen zu sein und zu regelmäßiger und angespannter Tätigkeit genötigt zu werden, und Herr Geelhaar war ganz der Mann dazu, seine Knechte und Mägde in Atem zu halten. Anfangs freilich behagte ihm dieses Drängen und Treiben wenig; er dachte sehnsüchtig zurück an die glückliche Zeit, wo er mit den Pferden seines Vaters als Hütejunge mit der anderen Dorfjugend über die Heide gestrichen war, unten am Fluß von den saftigen Weiden Pfeifen geschnitten oder Peitschen gedreht hatte, oder lang im Kahn ausgestreckt und den blauen Himmel mit den ziehenden Wolkenschäfchen über sich, den Fluß hinabgeglitten war bis zu den Wiesen am Haff, wo das gemähte Heu schon lange auf die Abfuhr wartete. Es hatte immer geheißen: kommst du nicht heute, so kommst du doch morgen, so beim Ackern und Säen im Frühjahr, wie beim Ernten im Herbst, und war dann auch ein Teil des Landes unbestellt geblieben und ein Teil der Frucht verdorben, so blieb doch genug, daß man sich allenfalls durchwintern konnte, und was verlangte man mehr? Hier in der deutschen Wirtschaft sah es ganz anders aus; da hatte jedes Geschäft seine bestimmte Zeit, die Arbeit ging stetig fort und die Ruhe war knapp bemessen; da durfte kein Quadratfuß Land unbenutzt liegenbleiben, und jeder Strohholm, der vom Erntewagen herabgefallen war, wurde aufgeharkt und eingebracht. Der Herr mühte sich ab, als ob er nicht das liebe Leben hätte, und die Scheuern waren doch bis über den Dachbalken voll und die Ställe so gut versorgt mit allerhand Vieh, daß eine ganze Dorfschaft daran übergenug gehabt hätte. Ansas hatte einen offenen Kopf; er stellte seine Vergleiche an und legte sich Fragen vor. Es mußte wohl seinen Grund haben, daß einer nach dem andern von den litauischen Höfen verschwand und daß der Deutsche sich immer mehr ausbreitete. Sollte man ihm nicht etwas ablernen können, wenn man genau acht gab, wie er's machte? und wenn man seine Wirtschaftsweise nachahmte, sollte nicht auch ein litauischer Bauer zu Wohlstand kommen können?
Von dem Augenblick ab, wo unserm Ansas Wanags über diese Dinge, wie man sagt, die Augen aufgingen, behielt er sie auch offen und er beobachtete seinen Herrn genau. Für ihn war es ja gewiß, daß er über kurz oder lang sein Väterliches werde übernehmen müssen, und daß es sich dann ausweisen werde, ob er es zu halten vermöge. Mit der den Litauern eigenen Verstecktheit hielt er seine Pläne geheim und sprach am wenigsten dem Gutsherrn davon, der ihm, je mehr er sein größeres Wissen und Können anstaunen mußte, ein desto gefährlicherer Feind schien. Wenn er wüßte, daß ich's ihm nachtun will, dachte Ansas bei sich, wird er mir sofort den Dienst kündigen. Er war daher sehr fleißig hinter jeder Arbeit her, gewöhnte sich aber ein wortkarges, verdrießliches Wesen an, das zu seinen jungen Jahren wenig paßte. Geelhaar, dem jede tüchtige Leistung imponierte und der keine Ahnung hatte, was in diesem Kopf umging, behandelte ihn mit aller Freundlichkeit, aber nun war's dem Litauer erst recht gewiß, daß er geheime Absichten habe. Was Ansas nämlich geheime Absichten nannte; denn übrigens sprach der Herr sich offen und deutlich genug aus. »Lerne fleißig, mein Junge«, rief er ihm oft zu, »du wirst's einmal brauchen können. Dein Vater sorgt dafür, daß dir nichts übrigbleibt, als seine Schulden. Pfui! Ist das eine lustige Wirtschaft nebenan! Da ist alle Tage Sonntag und die Feiertage sind noch obendrein. Nur zu – nur zu!« – »Es kann wohl auch einmal anders werden«, knurrte der Knecht. – »Wird aber schwerlich«, meinte Herr Geelhaar und warf den Kopf auf, »bei euch Litauern sieht's heute noch so aus, wie vor hundert Jahren, und nach wieder hundert Jahren – pah! da wird man sich diesseits der Grenze erzählen, daß mal so ein wunderliches Volk hier in der Gegend herum gehaust hat. Eure Schuld, Kinder, eure Schuld! Wir nehmen euch nichts weg, ihr bringt's uns entgegen. Was nicht leben kann, muß sterben – basta! Das ist meine Meinung.« Ansas fühlte, daß er recht behalten könnte, aber er hätte bei solcher Gelegenheit den Spaten oder den Dreschflegel aufheben und ihm über den Kopf schlagen mögen. Einmal, als sie nicht weit von einem zum Wanagsschen Grundstück gehörigen Ackerstück arbeiteten, das nun schon mitten im Gutslande lag, ging der Alte auch gerade mit der Sprache heraus auf den Hauptpunkt. »Ist's nicht eine Schande, das anzusehen?« sagte er, sich im Sattel aufrichtend. »Da läßt nun der liebe Herrgott auf den Plan genau ebenso seine Sonne scheinen und seinen Regen fallen, wie auf unser Feld, und man kann deines Vaters Halme zählen. Mir tut das Herz weh, wenn ich so etwas sehe. Gib acht, das soll bald anders werden, wenn der Strich erst mir gehört!« – »Stehst du schon in Unterhandlung, Herr?« fragte Ansas grinsend zurück. »Kommt doch nur auf mich an, ob ich zugreifen will oder nicht«, lachte Geelhaar; »für jetzt hat's noch keine Not, wirst aber vielleicht noch einmal selbst hinter meinem deutschen Pfluge hergehn, wenn er da Furchen schneidet.« Ansas antwortete nicht, aber er ballte die Faust in der Tasche und tat sich einen Schwur, daß der Deutsche sein Vatererbe nicht haben sollte, was er auch für Künste anwende. Ich weiß, weshalb ich dir diene, dachte er bei sich; wenn ich mein Herr sein werde, sollst du dich verwundern, was ich von dir gelernt habe.
Als Ansas Wanags einundzwanzig Jahre alt geworden war, wurde er zum Militär eingezogen. Da ihm zu sechs Fuß nur wenige Zoll fehlten, bezeichnete man den hoch- und schlankgewachsenen Bauernsohn für die Garde. Sein Hauptmann, ein Herr aus alter gräflicher Familie, fand Gefallen an ihm und wählte ihn zu seinem Burschen. So konnte es ihm an hohen Bekanntschaften nicht fehlen, da sein Herr ein großes Haus machte und seine Gäste sich gern mit dem Litauer unterhielten, dessen gebrochenes Deutsch so spaßig klang und der das Privileg hatte, seiner Landessitte gemäß jedermann, auch seinen hohen Vorgesetzten »du« zu nennen. Selbst die Prinzen kannten seinen Namen und versäumten selten bei Vorstellungen der Kompanie ihn anzusprechen. Er wurde auch Gefreiter, und man versprach ihm sogar die Tressen, wenn er Soldat bleiben wolle. Aber er hielt's nur ein Jahr über seine Dienstzeit aus; dann trieb ihn die Sehnsucht nach der litauischen Heimat zurück. Er nahm die Überzeugung mit, daß all die hohen Herren seine besten Freunde seien, und daß die Litauer da oben einen Stein im Brett hätten. Für seinen König wäre er durch Feuer und Wasser gegangen.
Er fand zu Hause nach diesen vier Jahren manches verändert. Nur noch die drei Höfe am Flusse hatten standgehalten, und drüben war das große Gutshaus aufgebaut und ein Garten angelegt. Seine Eltern, die auf den stattlichen Sohn nicht wenig stolz waren, wünschten dringend, daß er nun sofort die Wirtschaft übernehme. Aber Ansas wich vorsichtig aus. Er habe wohl exerzieren gelernt, meinte er, und wisse mit den Waffen gut Bescheid; aber die ländlichen Arbeiten seien ihm ungewohnt geworden und er müsse erst nochmals in die Lehre. Seine Schwester Mare diente damals auf dem Gutshof als Magd, und Geelhaar ließ durch sie sagen, daß er wieder bei ihm eintreten könne. Das war gerade, was er gewünscht hatte.
Noch zwei Jahre blieb er im Knechtsdienst; dann starb seine alte Mutter, und sein Vater verlangte nun allen Ernstes, daß er sich entscheiden solle. Ansas sah ihn fast nie mehr nüchtern; von dem lebenden Inventar holte der Fleischer ein Stück nach dem andern ab. Zuletzt kam schon die Reihe an die schönen schlanken Birken vor dem Hause. Als die ersten von den hohen Kronen sanken, schnitt es Ansas tief ins Herz. Er hatte die Bäume lieb, die schon seine Wiege beschattet hatten, und konnte sie nicht ohne heimliche Tränen fallen sehen. Das Haus ohne die grünen Bäume – das war ja undenkbar! Er sagte seinem Vater zu, daß er nächsten Mittwoch mit ihm aufs Gericht gehen wollte, um die Verschreibung machen zu lassen.
Kristups Wanags wartete den Tag nicht ab, sondern suchte schon vorher, ohne seinem Sohn etwas davon zu sagen, den alten Sekretär auf, der zugleich litauischer Dolmetscher war und ohne den deshalb vor dem Richter kein Geschäft besorgt werden konnte. In der Klete (Vorratskammer) fand sich noch ein Gebinde Flachs vor, das eigentlich die alte Karalene zu Martini auf ihr Ausgedinge bekommen sollte; er nahm es aber unbedenklich mit und gab es bei der Frau Sekretär ab. Und dann sagte er, daß er ihren Mann zu sprechen habe, und daß er gar nichts Unrechtes wolle. In Wirklichkeit war es ihm aber darum zu tun, Ansas möglichst lästige Bedingungen aufzubürden. Man war es so gewöhnt, daß auf dem Gericht nicht viel über die Sache verhandelt wurde; der alte Sekretär schrieb nach seinem Ermessen das Protokoll, und was geschrieben war, ließ sich nicht mehr ausstreichen.
Ansas seinerseits kündigte seinem Herrn den Dienst. Er wolle sich nicht alle Birken vor der Tür fortschlagen lassen, sagte er, daß seine Kinder auch eine Sommerfreude hätten. Herr Geelhaar zog die Augenbrauen auf und schüttelte unmutig den Kopf. »Das ist eine rechte Dummheit, Ansas«, meinte er. »Wovon willst du kaufen und wirtschaften? Sieh's noch ein paar Jahre ruhig mit an, bis ich selbst so weit bin, daß mir der Hof passen kann. Wenn die Karalene merkt, daß sie auf dem Grundstück doch kaum das Hungerbrot hat, wird sie sich abfinden lassen, jetzt trägt sie mir die Nase noch zu hoch. Die Birken müssen ja doch fallen, wenn ich dort wirtschafte, und das ganze Haus mit; den Weg bring ich näher nach dem Flusse hin, wo doch nichts Vernünftiges wächst. Was das Land und die Wiesen wert sind, sollst du in blankem Gelde von mir bezahlt bekommen, und an der Grenze hast du dafür einen Hof nach deinem Wunsch. Abwarten, Ansas, abwarten!« Der Litauer zwinkerte listig mit den Augen. »Glaube nicht«, sagte er in seiner Sprache, »daß du's mit mir so machen wirst, wie mit den andern. Den Hof da wirst du nicht einziehen – so lang' ich lebe, nicht!« – »Pah!« lachte Herr Geelhaar laut auf, »das wollen wir sehen. Keine fünf Jahre dauert's! Dummheiten, Ansas! Es fragt sich nur, ob du als Bettler davongehst, oder blankes Geld mitnimmst. Ich mein's gut mit dir, weil du mir lange treu gedient hast und ein ganz sauberer Bursch bist, und weil ich auch deiner Schwester Mare eine Ausstattung sichern möchte. Aber wenn du einen eigensinnigen Kopf hast und nicht Vernunft annehmen willst, so trag auch die Kosten davon.«
Ansas traute nicht. Es verstand sich für ihn ganz von selbst, daß der Deutsche ihn überlisten wolle, und es war ihm Ernst damit, sein Erbe, das er lieb hatte, nicht in fremde Hände kommen zu lassen. »Ich habe bei dir gelernt, wie man wirtschaftet«, antwortete er verbissen, »und ich will's bei mir gerade so machen, wie du hier.«
»Das will ich loben!« rief der Gutsherr. »Will dir auch nicht entgegen sein – nicht im mindesten. Komm zu mir und frage, wenn du guten Rat brauchst; du sollst jederzeit so gute Antwort haben, als ich sie mir selbst nur geben könnte. Ich will dir auch gern zum Anfange mit Saat und Futter aushelfen und mein Angespann leihen, damit du nicht denkst, daß ich deine Verlegenheit ausnutzen wolle. Soll mir lieb sein, wenn dir's gelingt.« Das werde ich bleibenlassen, überlegte Ansas im stillen. Rat von dem –? Da wär's bald aus mit mir. Und annehmen erst recht nichts; bin ich sein Schuldner, so komm ich nicht los von ihm. »Aber es hilft dir wenig«, fuhr Geelhaar lachend fort, »ich sage dir's im voraus. Mit der litauischen Wirtschaft muß gründlich aufgeräumt werden, daß kein Stück auf dem andern bleibt; Flickarbeit tut's nicht. Und vor allem müssen die Schmarotzer fort, die ernten wollen, ohne zu säen. Versuch's doch, ob du mit ihnen leben kannst. Und dann, Ansas – zur deutschen Wirtschaft gehört eine deutsche Frau. Es gibt schmucke Mädel unter den Litauerinnen, und wenn sie im Sonntagsstaat zur Kirche gehen, mag man die Augen in acht nehmen; aber zum Wirtschaften taugen sie nichts, außer wenn's auf eure Art hergeht. Das ist meine schlichte Meinung.«
Sie wollte dem jungen Litauer nicht in den Sinn. Er hatte andere Pläne. In Szudargen, eine Meile entfernt, gab es einen Wirt Krupat, der nur zwei Töchter hatte. Die ältere mußte ihrem Mann das Grundstück mitbringen, die jüngere aber eine namhafte Ausstattung erhalten. Hier dachte er anzubinden, wenn das Mädchen erwachsen sein würde; es hatte noch einige Jahre Zeit, und inzwischen konnte er seinen Hof in Ordnung gebracht haben. Bei Krupat hatte er schon durch einen Freund anfragen lassen und war nicht abschlägig beschieden worden.
Die Verschreibung erfolgte auf dem Gericht in der gewöhnlichen Form. Ansas Wanags erwarb das väterliche Grundstück, Wanagischken Nr. 1 zum Eigentum, verrechnete auf den Kaufpreis außer den eingetragenen Schulden sein Mutter- und Vatererbteil, versprach dieselbe Summe seiner Schwester Mare bei deren Verheiratung auszuzahlen, ihr auch eine Kuh, ein Schaf, ein aufgemachtes Bett und einen Kasten zu verabfolgen und die Hochzeit auf seine Kosten auszurichten, übernahm das Ausgedinge der Urte Karalene und verpflichtete sich außerdem, seinem Vater ein Ausgedinge bis an sein Lebensende zu verabfolgen. Kristups war überzeugt, daß sein Gebinde Flachs gut gewirkt hatte. Wie's auf dem Papier steht, geschieht's ja doch nicht, kalkulierte Ansas. Hätte er gewußt, daß sein eigener Vater bemüht gewesen war, ihn zu überlisten, er hätte sich nicht einmal darüber gewundert: verstand es sich doch von selbst, daß er jede Hintertür benutzen würde, die der Kontrakt etwa offen ließ, um seinen Verpflichtungen möglichst aus dem Wege zu gehen.
Am nächsten Sonntag besuchte er vor- und nachmittags die Kirche, nahm auch das heilige Abendmahl und tat sich »auf der schwarzen Decke« und »bei brennendem Kirchenlicht« den Schwur, daß Geelhaar den Hof Wanagischken Nr. 1 nicht bekommen solle, was er auch dafür biete. Dann kehrte er ganz gegen sonstige Gewohnheit im Krug ein und ließ vor aller Leute Augen etwas draufgehen. Er war nun der Wirt und das sollte man wissen. In seiner blauen Tuchjacke mit dichten kleinen Knöpfen und der Soldatenmütze mit blankem Schirm und roter Einfassung sah er schmuck genug aus, und Kristups, der auf des Sohnes Rechnung mittrank, schlug ihm auf die Schulter und meinte, nun sehe man doch, daß er noch ein guter Litauer sei. Beim Nachhausefahren – natürlich ging's Karriere über die Landstraße hin – brach dem Wagen an der Brücke ein Rad. Urte kam ihnen fluchend entgegen; sie war erbost darüber, daß sie nicht auch zum Margritsch (Freitrunk) aufgefordert war.
So liederlich dachte Ansas es nun allerdings nicht weiterzutreiben. Herr Geelhaar selbst, der ihn aus der Ferne beobachtete, mußte ihm nach einiger Zeit das Zeugnis geben, daß er redlich bestrebt sei, die ganze verkommene Wirtschaft in Gang zu bringen. Aber es fehlte überall am Notwendigsten, und das Resultat der ersten Ernte war deshalb dürftig genug. Er hatte kaum so viel gewonnen, um den Winter überstehen zu können und die Saat zu erübrigen. Die beiden Ausgedinger sollten an seinem Tische mitessen, aber ihre sonstigen Forderungen zurückhalten.
Sein Vater ließ sich dazu bestimmen, nahm's nun aber mit dem Eigentum seines Sohnes nicht genau. Mit der alten Urte war gar nicht zu reden. Sie verlangte stürmisch ihr Getreide, ihren Flachs, ihr halbes Schwein, ihre Gänse, ihren Honig und was ihr sonst gebührte, knüpfte, als Ansas ihr Gegenvorstellungen machte, ihre Verschreibungen in ein rotbuntes Tuch, das schon ihrem Manne zu gleichem Zwecke gedient hatte, und eilte aufs Gericht, um Klage zu erheben. Ansas wußte, daß sie Recht bekommen müßte, und ließ der Sache ihren Gang. Erst als der Exekutor anklopfte, öffnete er seinen Vorratsraum. Nun war es schon gewiß, daß er im Frühjahr sein Feld mangelhaft werde bestellen müssen.
Das war der erste Prozeß, aber leider nicht der letzte. Urte hatte ein Erkenntnis bekommen mit einem großen schwarzen Adler obenan, und der alte Sekretär hatte dabei gesagt: Das sei so gut als wie vom König selbst. Nun wußte sie, daß ihr der König Beistand leiste, und an Nachgiebigkeit war nicht mehr zu denken. Die Veranlassung zum zweiten Prozeß gab die sogenannte eiserne Kuh, die der Wirt für den Altsitzer zu dessen Milchnutzung einzustellen und zu unterhalten hat. Urte verfügte über eine solche, aber sie war alt, wurde schlecht gefüttert und gab spärliche Nahrung. Sie behauptete, mindestens drei Maß für den Tag gewinnen zu müssen. Ansas ließ sich diesmal nicht so ohne weiteres verurteilen; er wendete ein, daß er diese eiserne Kuh mit dem Grundstück übernommen habe und daß die Altsitzerin erst nach deren Ableben eine andere beanspruchen dürfe. Es wurde Beweis erhoben über allerhand Fragen, Sachverständige und Zeugen erhielten ihre Reiseentschädigungen, zuletzt wurde gegen den Wirt entschieden, und die Kosten, die ihm natürlich zur Last fielen, betrugen mehr, als das Kaufgeld für eine gute Kuh auf dem Markte. Daß er klüger gehandelt hätte, den Prozeß zu vermeiden, sagte er sich gleichwohl keineswegs; es sei mit unrechten Dingen zugegangen, meinte er, und künftig müsse er sich auf dem Gericht besser vorsehen.
Seine älteren Ersparnisse gingen bis auf den letzten Pfennig drauf und reichten doch nicht zu, ihm die Anschaffung einer anderen Kuh zu ermöglichen. Dafür nahm er der Altsitzerin die ihrige fort und verkaufte sie trotz aller Lamentationen. Sie habe ja den Prozeß darauf geführt, daß die Kuh ganz unbrauchbar sei, meinte er; wie wolle sie sich darüber beklagen, daß er sie veräußere? Dann müsse er ihr aber eine andere Kuh anweisen nach dem gerichtlichen Erkenntnis. Das wolle er bei dem nächsten Viehhandel, antwortete er, früher habe er's nicht nötig. Es sei in Wanagischken seit Menschengedenken nicht anders Sitte gewesen, als daß der Markt abgewartet würde, wo man sich aussuchen könne, was man brauche. – Ob sie denn so lange hungern solle? – Seinetwegen auch verhungern, entgegnete er; aber er wolle schon ein Übriges tun und ihr von seiner eigenen Kuh täglich drei Maß Milch abgeben. Damit wollte sie nicht zufrieden sein; nach dem Kontrakt habe sie eine Kuh für sich, und wenn dieselbe täglich zehn Maß gebe, sei's eben ihr Vorteil. – Das rotbunte Tuch mit der Verschreibung wurde wieder hervorgesucht, der alte Sekretär bekam Arbeit.
Diesmal spannte Ansas die beiden mageren Pferde an den geflickten Wagen, lud einen halben Scheffel Getreide auf und fuhr nach der einige Meilen entfernten Stadt, um einen Rechtsanwalt anzunehmen. Er glaubte bemerkt zu haben, daß der Sekretär der Karalene beistehe und seine Zeugen schlecht vernehme, und sein eigener Vater, der solche Winkelzüge machte, behauptete wirklich, die Alte einmal vor einem Termine mit einem Stück Butter um dessen Wohnung herumschleichen gesehen zu haben. Der Rechtsanwalt versteht's doch noch besser, tröstete er sich, und darum die Reise. Die Karalene merkte sogleich, was er im Sinne hatte. Sie konnte freilich kein Fuhrwerk zur Fahrt erschwingen; aber als Ansas siegesfroh und mit leerem Wagen aus der Stadt zurückkehrte, kam sie ihm schon zu Fuß entgegen. Unter dem weißen Laken, das sie um die Schultern geschlagen hatte, hingen die Schwanzfedern eines Hahnes hervor. Ansas hielt erschrocken an. »Wohin willst du?« fragte er. – »Nach der Stadt.« – »Hast du Geschäfte?« – »Soviel wie du.« – »Für wen ist der Hahn, den du da trägst?« – »Für wen war das Getreide, das du nach der Stadt gefahren hast?« – »Also du willst es auch mit dem Rechtsanwalt versuchen? Diesmal steht deine Sache schlecht.« – »Der König wird mir schon beistehen. Guten Abend!« Er sah ihr verärgert nach. »Warte doch einmal! Das ist ja mein Hahn.« Sie schlug das Tuch zurück. »Das lügst du!« – »Was? Du willst bestreiten, daß du den Hahn von meinem Hof gegriffen hast?« – »Er ist von meiner eigenen Zuzucht«, antwortete sie gelassen. »Du hast keine Zuzucht frei«, schrie er sie an, »und der Hahn hat sich auf meinem Hofe genährt.« – »Dann fordere doch das Futter zurück«, höhnte sie ihn; »es wird nicht so viel ausmachen, als was du mir noch schuldig bist. Aber der Hahn gehört mir.« Er schlug ergrimmt mit der Peitsche nach ihr, traf sie aber nicht, da sie zur Seite sprang. Ein neuer Prozeß war fertig, und diesmal Ansas der Kläger. Ein Winkelkonsulent im Marktflecken, wo er ankehrte, der Schneider Jurgis Patols, der Deutsch schreiben konnte, riet ihm, zugleich ans Gericht und an den Herrn Staatsanwalt zu gehen. Der Prozeß wegen der Kuh gelangte ans Hauptgericht. Vor jedem Termin wanderte ein Geschenk in die Küchen der beiden Rechtsgelehrten; die Parteien waren mehr auf der Landstraße, als zu Hause.
Indessen brach Kristups Wanags die Zäune ab, verkaufte sie im Marktflecken und verjubilierte den Erlös. Solange er Branntwein hatte, war er zufrieden. Ansas, der sich seinen Schuldner wußte, ließ alles schweigend geschehen. Nur als der Alte sich auch einmal an einen Baum wagte, gab es Lärm. »Die Bäume werden nicht berührt«, befahl er zornig; »der Herr Geelhaar soll sich nicht einbilden, daß ich ihm den Platz freimache!«
Der Prozeß wurde in der ersten und dann auch in der zweiten Instanz verloren. Die Richter entschieden, daß Urte Karalene Anspruch auf eine Kuh habe und nicht mit einem bestimmten Quantum Milch zufrieden sein müsse. Ansas Wanags hatte die Gerichtskosten zu zahlen, seinen Rechtsanwalt zu befriedigen und auch den Rechtsbeistand seiner verhaßten Gegnerin zu entschädigen. Mehr als hundert Taler wurden von ihm beansprucht, und er verfügte nicht über einen einzigen. Es war kaum Balsam auf die Wunde zu nennen, daß er in der andern Streitsache wegen des Hahnes gewann.
Nun mußte durchaus Geld beschafft werden, viel Geld. Der arme Litauer trieb sich in der Stadt umher bei allerhand Leuten, die dergleichen Geschäfte mit den Bauern zu machen pflegten. Aber selbst gegen den höchsten Wucherzins wollte diesmal niemand das Darlehn riskieren; die beiden Ausgedinge, die auf dem Grundstücke lasteten, entwerteten das sonst gar nicht üble Pfandobjekt. Traurig und halb verzweifelt kehrte er nach Hause zurück.
Es war da einer, der ihm wohl hätte helfen können, aber er war ihm der verhaßteste von allen. Aus seinen kleinen Fenstern sah er täglich den großen Wirtschaftshof vor sich, und manchmal kam auch Herr Geelhaar vorüber, wenn er auf das Feld ritt, grüßte ganz munter vom Pferde herab und lachte so verdächtig, als ob es ihn freute, daß der Zaun vor dem Hause wieder kürzer geworden sei. Ihn um Geld anzusprechen, dazu konnte Ansas sich lange nicht verstehen. Endlich blieb aber doch kein anderer Rat.
Ansas ging spät abends; man sollte nichts davon wissen, daß er sich so weit demütigte, den gefährlichen Nachbar aufzusuchen. Er hatte sich zu laut vor seinen Landsleuten verschworen, daß er ihm in keinem Stück nachgeben wolle. Herr Geelhaar kam ihm freundlich entgegen. »Dir geht es schlecht«, sagte er, »aber jeder verständige Mensch konnte das vorher wissen. Ein arbeitsamer Mann kann mit seiner Familie von der Hufe Bauernland leben, und ein alter Vater oder eine alte Mutter ißt allenfalls mit; aber zwei solche Ausgedinge herauszuwirtschaften, das möchte auch dem lieben Herrgott nur gelingen, wenn er Tag und Nacht die Sonne scheinen ließe.« – »Ging's nur in den Gerichten nach der Gerechtigkeit –« knurrte der Litauer. »Pah!« rief der Gutsherr, »das ist dummes Zeug. Der Richter hat gerade so geurteilt, wie er nach Lage der Sache und nach seinem Gesetz urteilen mußte. Wenn du mehr übernommen hast als du leisten kannst, so darf ihn das nicht kümmern. Nun? Wie kann ich dir helfen?« Ansas sagte ihm, daß er Geld brauche, um die Prozeßkosten zu bezahlen und die Wirtschaft in Ordnung zu bringen. Das wäre schon zu beschaffen, meinte Geelhaar; aber welche Sicherheit er bieten könne? »Laß eintragen!« antwortete Ansas verdrießlich. »Und übers Jahr bist du gerade so weit wie jetzt«, wandte der andere ein. »Ich will dir einen andern Vorschlag machen. Verkaufe mir deine Wiesen; das schöne Heu verkommt ja doch nur elend.« Der Litauer schüttelte energisch den Kopf. »Nein, Herr – auf keinen Fall.« – »Um so eher habe ich ja doch das Ganze«, lachte Geelhaar; »sei nicht dumm, Ansas, ich biete dir einen guten Preis.« Der Litauer blieb bei seiner Weigerung. »Gut«, sagte der Herr; »du sollst auch das Geld gegen Verschreibung erhalten; bring's auf dem Gericht in Ordnung, aber vergiß nicht, daß ich dein Gläubiger bin und auf den Tag meine Zinsen und Abschlagszahlungen haben muß. Erfüllst du nicht deine Verbindlichkeiten, so halte ich mich ans Gesetz.« Ansas nickte zustimmend und ging sehr erleichtert. Nun, meinte er, würde die Wirtschaft erst in rechten Zug kommen. Geelhaar lachte vergnügt hinter ihm her. –
Ansas Wanags hatte nun Geld. Er bezahlte damit die dringendsten Schulden und kaufte das notwendigste Inventar. Er arbeitete vom frühen Morgen bis zum späten Abend und gönnte sich am Sonntag kaum den Kirchenbesuch. Wenn er nur nicht immer hätte daran denken müssen, daß er sich doch eigentlich schwerer als der geringste Knecht nur für seinen Vater abmühte, der wie ein großer Herr spazieren ging, und für die Karalene, die im Hause betrunken lärmte. Der Alten das faule Leben möglichst sauer zu machen, das war doch ein Vergnügen. Nun sollte sie sehen, daß er sie auch schikanieren könne. Er stellte ihr die schlechteste Kuh ein, die er auftreiben konnte, und gab derselben das schlechteste Futter und die magerste Weide. Wenn sie darüber klagte, hieß es: weise doch deine Verschreibung, steht da, daß die Kuh viel Milch geben muß und wieviel Heu sie erhalten soll? Wehe der Altsitzerin, wenn ihr Huhn auf seine Saat gegangen war: es gab sofort eine Pfändung und einen Prozeß im Domänenrentamt. Dafür rächte sie sich durch heimliche Beschädigungen; sie ließ ihm den Kahn aufs Wasser treiben, wenn er gerade nach den Wiesen fahren wollte, oder pflockte die Pferde auf der Weide los, so daß er ihnen stundenlang auf der Heide nachlaufen mußte.
Völlig wild konnte sie ihn machen, wenn sie vor seinen Augen ihre Verschreibung aus dem Kasten nahm, sie in das bekannte rotbunte Tuch wickelte und höhnisch sagte, daß sie zum alten Sekretär gehen werde, um sich den Kontrakt lesen zu lassen; es sei am Ausgedinge noch etwas vergessen. Diese Verschreibung, eine Rolle Papier mit deutscher Schrift und großem Gerichtssiegel am Schlusse, war ihre Burg, von der sie jeden Ausfall glaubte wagen zu dürfen. Ansas fahndete daher heimlich schon lange darauf, fand sie aber immer wachsam. Eines Abends spät kam sie aus dem Krug nach Hause und blieb sinnlos betrunken vor der Haustür liegen. Als er hinaus wollte, um den Stall zu schließen, stolperte er über sie und stieß sie dann mit dem Fuß beiseite. Dabei bemerkte er, daß ihr etwas aus der Hand fiel. Er bückte sich danach und hob das rote Tuch mit dem Dokument auf. »Habe ich dich endlich?« grinste er in sich hinein. »Warte, du sollst den Gerichtsherren nicht mehr vor die Augen kommen!« Er steckte einen Stein unter den Knoten des Tuches und ließ das ganze Päckchen in den Brunnen fallen, der einige Schritte außerhalb des Hofes unter einer alten Linde stand. Als er das Wasser darüber zusammenschlagen hörte, war ihm so wohl, als ob er das Ausgedinge selbst losgeworden wäre. Wie er vom Brunnen nach dem Hause zurückkehrte und auf das Trittbrett stieg, das den Übergang über den Zaun erleichterte, kam ihm plötzlich ein Gedanke, der ihn sehr froh machte. »Du sollst daran glauben«, knurrte er verbissen, als er an dem schnarchenden Weibe vorüberging.
Als Urte am Morgen aufwachte und ihr Tuch vermißte, gab es einen wahren Heidenlärm. Sie riß sich die Kleider vom Leibe und zerzauste ihr spärliches Haar, immer weinend und schreiend, daß ihr Schatz verschwunden sei. Sie lief den Weg, den sie gekommen war, zehnmal hin und her, suchte im Kruge nach, fragte bei jedem an, mit dem sie zusammen getrunken hatte – vergebens. »Das Dokument ist gestohlen!« schrie sie zuletzt den Wirt an, »und ich weiß, wer es gestohlen hat!« – »Sieh doch überall im Hause nach«, antwortete er ruhig mit den Augen blinzelnd. »Du kannst alle Schlüssel haben!« Sie lief zum alten Sekretär und klagte ihm ihre Not. Der lachte sie freilich aus und meinte, in den Gerichtsbüchern stände es ebensogut, und eine neue Abschrift koste nicht viel; aber Urte hatte keinen rechten Glauben, daß ein neues Papier gleich kräftig sei und daß Wanags sich damit würde bedrohen lassen.
Ihre Besorgnisse schienen sich auch sehr bald zu erfüllen. Als sie am nächsten Morgen an den Brunnen gehen wollte, um Wasser zu schöpfen, vertrat ihr Ansas, der schon auf sie gelauert haben mußte, den Weg. »Hier hast du kein Recht, zu gehen«, sagte er streng. »Hier bin ich jeden Tag gegangen«, entgegnete sie, »und werde auch ferner hier nach dem Brunnen gehen.« – »Das wirst du nicht!« herrschte er sie an. »Soll ich kein Wasser aus dem Brunnen mehr haben?« fragte sie giftig. Er lachte: »Soviel du daraus schöpfen kannst, ohne heranzutreten.« – »Was – was? Habe ich nicht nach meiner Verschreibung das Wasser aus dem Brunnen frei?« »Wo ist deine Verschreibung?« höhnte er. Sie brach in die heftigsten Schimpfreden aus und schlug nach ihm mit dem Kruge. »Willst du bestreiten, du Schuft und Lügner, du schändlicher Dieb, daß ich das Wasser aus deinem Brunnen frei habe?« Nun spielte Ansas den Trumpf aus, den er sich gestern abend schon zurechtgelegt hatte. »Ich bestreite es nicht«, sagte er pfiffig, »aber das bestreite ich, daß du dir auch den Weg zum Brunnen über meinen Hof und Zaun hast verschreiben lassen. Das Wasser aus dem Brunnen verweigere ich dir nicht, aber wo du einen Weg zum Brunnen findest, der nicht über mein Land führt, magst du zusehen. Treffe ich dich aber noch einmal hier auf dem Stege, so breche ich dir alle Knochen im Leib entzwei!« Die Urte mußte zum Nachbar, um Wasser zu bitten. Dann aber machte sie sofort Kirchentoilette und lief aufs Gericht.
Nun bekamen die Advokaten und Winkelschreiber wieder Arbeit, und als das Prozessieren erst bei einem Ende angefangen hatte, fanden sich Beschwerden und Klagen überall. Zu Martini forderte auch Kristups sein Ausgedinge nach dem Kontrakt. Ansas hatte die Ernte stark vernachlässigt. Was eingebracht war, reichte wieder nicht aus. Aber Ansas war lustig und guter Dinge. Er glaubte ja nun zu wissen, wie mit der Karalene fertig zu werden sei.
Daß Ansas lustig und guter Dinge war, hatte freilich auch noch einen andern Grund. Als er eines Morgens auf seinem Hof nahe dem Zaune Holz spaltete, bemerkte er, daß des Nachbars Kuh auf die Weide am Flusse geführt wurde. Das war an sich kaum bemerkenswert, aber daß nicht die alte Magd den Strick in der Hand hielt, sondern ein junges Mädchen, von dem er bisher nichts wußte, veranlaßte ihn doch, die Axt auf den Holzkloben zu stemmen, sich mit beiden Händen auf den Stiel zu lehnen und über den Zaun zu schauen. Das Mädchen hatte keinen weiten Weg bis zu der Stelle, wo die Kuh angepflockt werden mußte, aber die Weide schien ihr nicht zu gefallen. Sie schaute nach allen Seiten um und führte das Tier dann zwischen den Birken durch, welche die Grenze bezeichnen sollten. »Wo willst du hin?« rief ihr der Wirt nun zu, »ist meine Weide gut für fremde Leute?« Das Mädchen horchte auf, ohne gerade zu erschrecken, vergewisserte sich, von wo der Ruf kam, zog die Kuh, die sich's schon gut schmecken ließ, wieder zurück, pflockte sie fest und kam dann, statt geradeaus heimzukehren, auf den Litauer zu, der sein Geschäft nicht wieder aufgenommen hatte.
»Guten Morgen, Ansas Wanags«, redete die junge Magd ihn an, indem sie ihm über den Zaun hin die Hand reichte. »Du mußt mir nicht böse sein, daß ich hier noch nicht recht Bescheid weiß. Ich bin erst gestern abend angekommen.«
»Dienst du dem alten Petrick?« fragte er.
»Ich bin seine Enkelin, die Grita«, antwortete sie, »meine Mutter hast du ja doch gekannt.«
»Gewiß«, sagte er freundlicher, »die hab' ich gut gekannt. Wie kommt es, daß du zu deinem Großvater in Dienst gehst, da du noch jung bist und zu Hause helfen kannst?«
»Weil mein Vater gestorben ist«, entgegnete sie traurig. »Er hat in Rußland einen Schuß bekommen, als er Spiritus hinüberbrachte. Als die Nachbarn ihn auffanden, hatte er schon einen Tag und eine Nacht im Freien gelegen und viel Blut verloren. Es war ihm nicht mehr zu helfen. Meine Mutter will das Grundstück für die Schulden annehmen; da bleibt für uns Kinder nichts übrig.«
»So – so«, meinte Ansas. »Aber der alte Petrick hat auch nicht viel, und seine Magd ist eine böse Person.«
Grita zeigte lachend ihre weißen Zähne. »Ich fürchte mich nicht vor so einer«, sagte sie, »und zum Sattessen wird immer noch genug da sein.«
»Brauchst du nichts mehr?« fragte Ansas, dem die muntern Augen des jungen Dinges gefielen.
»Freilich!« rief sie. »Einen hübschen Anzug zur Kirche, aber den hab' ich von der Mutter mitbekommen, und bis er aufgetragen ist, vergehn ein paar Jahre. Man muß nicht zu weit in die Zukunft rechnen.«
Ansas nickte. Zu sagen wußte er darauf nichts. Er nahm die Axt auf und prüfte mit dem Daumen die Schärfe. Grita sah darin ganz richtig ein Zeichen, daß er wieder an die Arbeit gehen wollte, und verabschiedete sich, indem sie ihm nochmals die Hand zureichte. »Laß uns gute Freundschaft halten«, bat sie, »und wenn ich einmal vergesse, wo deine Grenze führt, pfände nicht sogleich.« Damit ging sie, ohne auf seine Antwort zu warten. Sie hätte auch vergeblich darauf gewartet, aber daß er freundlich schmunzelte, galt ihr als Beweis seiner Zustimmung. Ehe sie bei Petrick eintrat, hörte sie schon hinter sich die kräftigen Schläge der Axt.