Johann Karl Wezel
Kakerlak
Johann Karl Wezel

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Erstes Buch

Hinweg mit euch, ihr sogenannten Weisen!
Ihr wollt mit dreistem Flug der Spekulation
Von Welt zu Welt bis zu des Chaos Thron,
Bis ins Gebiet des Nichts und wohl noch weiter reisen,
Mit euerm Maulwurfsblick das Rädchen auszuspähn,
Durch dessen Trieb sich unsre Sterne drehn.
Ihr wollt bis in die Werkstatt dringen,
Wo die Natur mit nie erschöpfter Kraft
Den Dingen Form, den Geistern Leiber schafft.
Ihr wollt mit schweren Gänseschwingen
Bis über Sonn und Mond ins Reich der Wahrheit dringen,
Und fragt man euch: »Was habt ihr dort gesehn?«,
Dann wißt ihr ebendas zu sagen,
Als die der Dummheit Los ganz philosophisch tragen
Und keinen Schritt nach eurer Wahrheit gehn.

So rief, voll Unwillen, der große Kakerlak, der berühmteste Rosenkreuzer zu der Zeit, da Rosenkreuzer noch berühmt waren; er schleuderte alle Weisen in Folio und Quart, die seinen Hofstaat ausmachten, in die vier Winkel seiner Stube. Sein Bruch mit der menschlichen Weisheit war so ernstlich gemeint, daß er sogar die Geheimnisse nicht verschonte, die ihm den Stein der Weisen hatten verschaffen sollen; er trat seine Spekulationen mit Füßen und schwur, nicht länger etwas zu suchen, das sich nicht finden lassen wollte. Die Galle war über seine Philosophie Herr geworden, und es ließ sich nichts Besseres tun, als daß er geduldig stillhielt, bis die Philosophie wieder Herr über die Galle wurde; er ging in den Garten, setzte sich unter einen alten Apfelbaum und rief mit erhabnen Händen:

Ach, welche Gottheit nimmt den traur'gen Überdruß
Aus diesem Leben weg! Man seufzet nach Genuß,
Solang man ihn entbehrt; man wünscht, ihn zu entbehren,
Wenn man gekostet hat. Die Sättigung
Schwebt über jeder Lust und schießt mit schnellem Schwung,
Dem Geier gleich, herab, das Täubchen zu verzehren.
Nur der genießt, wer bloß den Sinnen lebt,
Vergnügen sucht und nie nach leerer Weisheit strebt;
Ein stetes Gastmahl ist für ihn das Leben;
Er eilt von Lust zu Lust, fühlt nie das Einerlei.
Ihr Mächte dieser Lust, steht meinen Wünschen bei!
Auf Zauberflügeln laßt in eine Welt mich schweben,
Wo ins Vergnügen nicht, sobald sein Keim sich hebt,
Der Überdruß den gift'gen Stachel gräbt.

Kaum hatte er seine Ausrufung geschlossen, so hüpfte ein Vögelchen, klein und schönfarbig wie ein Kolibri, im Grase daher, hub die kleine rote Brust und rief mit sanftem gutherzigen Tone: »Kakerlak!«

Ich bin die Hexe Tausendschön
Und ließ vom hohen BrockenDer Brocken ist bekanntermaßen der höchste Berg auf dem Harze und der Versammlungsort der Hexen, die am Walpurgistage aus der ganzen Welt dort zusammenkommen, um sich über ihre Reichsangelegenheiten zu besprechen.
Mich durch dein philosoph'sches Flehn
Zu dir herniederlocken.
Mich plagt die Neigung, wohlzutun
Zu allen Tagesstunden,
Und läßt mein Herz nicht eher ruhn,
Als ich den Mann gefunden,
Den nie der Überdruß beschwert,
Der niemals im Vergnügen
Nach Wechsel gähnt, solang es währt.

In einem von den Kriegen,
Die ewig unsern Staat entzwein,
Wo nur Kabalen siegen,
Ward ich verdammt, daß mir zur Pein
Das Wohltun werden sollte.
Du fragst, für welch Vergehn man mich
So hart bestrafen wollte?
Nein, frage lieber, wie man sich
So leicht begnügen wollte.

Ich hab ein weiches Herz, gemacht
Aus Mitleid, Lieb und Tränen:
Nur wohlzutun war Tag und Nacht
Von Jugend auf mein Sehnen.
Aus Tigerblut und Eisen sind
Die Herzen meiner Schwestern:
Zum Guten tölpisch wie ein Kind
Und voller Witz zum Lästern,
Läßt keine sich Gelegenheit
Zu schaden leicht entgehen.

Nun hörten wir vor kurzer Zeit
Den Fürst Omega flehen.
Er wurde der Mätressen sehr
Auf einmal überdrüssig;
Für ihn war keine Freude mehr,
Sein armes Herzchen müßig.
Mein Mitleid ward von ihm erweicht:
Ich riet, ihn zu verjüngen;
Doch meine Schwestern sind nicht leicht
Durch Mitleid zu bezwingen.
Ihr schadenfroher Rat beschloß,
Des Fürsten Qual zu mehren;
Durch ihre List kam in sein Schloß
Ein Mädchen, warf mit Zähren
Sich auf die Kniee hin und bat
Um Gnade für den Bruder:
Er war für eine Freveltat
Verdammt zum schweren Ruder.
Sie gossen in des Fürsten Blut
Schnell jugendliche Flammen,
Und lodernd schlug der Liebe Glut
Ihm überm grauen Haupt zusammen.
Er liebt seitdem das Mädchen – ach!
Was soll ich dir's erzählen?
Mich rührt sein hartes Ungemach:
Sein Herzchen brennt, die Kräfte fehlen.
Durch einen Zaubertrunk gelang
Es mir, die Qual zu lindern;
Doch meiner Schwestern Bosheit drang
Hindurch, die Bosheit zu verhindern.
Wie stürmte dann auf mich ihr Grimm!
Ich floh voll Angst und Schrecken,
Um mich vor ihrem Ungestüm
In diesen Vogel zu verstecken.
Sie sprachen drauf das Urteil aus,
Das meine Flucht verbittert:
»Wir stoßen sie zu unserm Reich hinaus,
Sie hat des Schicksals Schluß erschüttert,
Das zum Gefährten jeder Lust
Dem Sterblichen den Überdruß bestimmte,
Damit in seiner kühnen Brust
Die stolze Meinung nie entglimmte,
Er sei der Herrscher seines Glücks,
Zu träger Sinnlichkeit geboren,
Zum einz'gen Liebling des Geschicks
Vor allen andern auserkoren.
Drum irre sie, die dies Gesetz
Aus schwachem Mitleid störte,
In steter Furcht vor Flint und Netz;
Sie, die ihr weiches Herz betörte,
Sie hab ein weiches Herz zur Pein.
Sie soll zu den Betrübten eilen,
Die nur mit sich den stillen Kummer teilen
Und die mit lautem Schmerz um Hülfe schrein,
Soll immer vor Begier zu helfen brennen,
Stets helfen wollen und nicht können.
Bis sie den Mann, den nie der Überdruß beschwert,
Gefunden hat, den Mann, der niemals im Vergnügen
Nach Wechsel gähnt, solang es währt,
Bis dahin soll auf ihr dies unser Urteil liegen.«

Ich komme dann nach diesem Schluß,
Mit Trost dir beizustehen.
Dich quält der Weisheit Überdruß;
Doch hab ich dich ersehen,
Mich von der Strafe zu befrein.
Dir schenkt von nun an das Vergnügen
Stets Becher über Becher ein;
Bist du nach wenig Zügen
Des einen satt, so rufe »Kak«;
Gleich lad ich dich auf meine Flügel
Und trage dich, Freund Kakerlak,
Weit über Tal und Hügel
Zu einer neuen Wonne hin,
Bis ich erlöset bin.

»Du armseliges Vögelchen!« antwortete der Schwermütige. »Du willst mich auf den kleinen Schwingen, wo eine Milbe eben Platz hätte, zur Freude tragen? – Geh! Mich betrügst du nicht; meine Lippen sprechen nie dein elendes ›Kak‹.«

Kaum hatte er's gesprochen, so schwebte er schon auf dem Rücken des Vögelchen in den Lüften; dort flog es hin mit dem ganzen Philosophen und schüttelte ihn auf einen samtnen Stuhl im Vorgemache der Königin Ypsilon. Die schnelle Fahrt durch die Luft hatte ihm den Kopf schwindlich gemacht: Er schlief ein.

Auf der Ottomane saß die Königin Ypsilon und gähnte; am Fenster saß Prinzessin Friß-mich-nicht und brummte; auf dem Taburett saß Prinz Lamdaminiro und lachte, alle drei aus gutem Grunde: Die erste hatte Langeweile; die zweite war böse; der dritte spielte mit einem Gaukelmanne.

Das Vögelchen, in welchem die Hexe Tausendschön wohnte, hüpfte auf das Fensterbrett und pickte ein Stückchen Biskuit auf. »Ein schönes Vögelchen!« rief die Königin. »Der abscheuliche Mistfinke!« sprach die Prinzessin. »Das allerliebste Tierchen!« schrie der Prinz und ließ vor Entzücken den Gaukelmann fallen.

»Du hast Langeweile, große Königin?« fing das Vögelchen an. »Ich schaffe dir Zeitvertreib.«

»Du mir?« antwortete die Königin. »Närrchen, wie machtest du das?«

Das Vögelchen: »Ich schaffte dir einen Gemahl.«

Die Königin: »Schlecht getroffen! Ich hatte einen und ward des Lebens nicht froh.«

Das Vögelchen: »Du hattest keinen; denn dein Gemahl liebte dich nicht.«

Die Königin: »Wird mich ein andrer mehr lieben? Männer sind langweilig. – Kannst du nicht singen?«

Das Vögelchen sang:

Ohne Liebe sucht vergebens
Auf dem düstern Pfad des Lebens
Der verlaßne Wandrer Licht;
Zwischen Alpen muß er schmachten,
Wo des Eises tiefe Schachten
Nie ein Frühlingslüftchen bricht.

Die Königin befahl, einen goldnen Käfig herbeizubringen; der Prinz holte ihn, und das Vögelchen hüpfte munter durch die enge Türe hinein. Beide waren vergnügt, gaben dem sanften Geschöpfe Zuckerkörner und Zwieback und foderten jede Minute ein Liedchen, der Prinz ein lustiges und die Königin ein verliebtes. Je mehr ihm geschmeichelt wurde und je mehr es sang, desto erbitterter wurde die Prinzessin; wer ihr nicht schmeichelte, war ihr verhaßt, und sie schwur bei sich dem Vögelchen den Tod, weil es andern Freude machte. Man merkt wohl, daß ihre Gesellschaft nicht die beste sein konnte, und es ist daher sehr gut, daß sie vor Ärger zum Zimmer hinausging, damit wir nicht weiter von ihr sprechen dürfen.

Kaum näherte sich die Nacht, so schlüpfte das Vögelchen durch die goldnen Stäbe des Käfigs, setzte sich dem schnarchenden Kakerlak auf die Stirn und pickte ihn mit dem kleinen Schnabel dreimal in die Nase, um ihn zu wecken. – »Kak, kak, kak«, rief er träumend, fuhr in die Höhe und wollte sich die Augen reiben, aber er hatte nicht Zeit dazu; denn das erste »Kak« war eben über die Lippen, als er schon dem Vögelchen auf dem Rücken saß; dort flog es mit ihm hin in die schöne Garderobe des Fürsten Omega.

»Suche dir zwölf der schönsten Kleider aus«, sprach zu ihm das Vögelchen, »daß du jede Stunde des Tages ein andres tragen kannst. Morgen abend bist du König in Butam.« – Er suchte sie aus. Darauf zog die Hexe dem jüngsten Bruder des Fürsten im Schlafe sehr sanft die Physiognomie vom Kopfe und befestigte sie sauber auf dem Gesichte des künftigen Königs; dieser steckte kaum einen Augenblick unter der neuen Larve, so fing er an, gewaltig zu kommandieren, zu lärmen, zu fluchen und zu prügeln. Die goldne Staatskutsche des Fürsten mußte sogleich mit acht porzellänfarbnen Rossen bespannt werden, Stallmeister und Jägermeister sich zu Pferde setzen, die Laufer voranrennen und die Bedienten nachfahren; der Zug ging so schnell, daß bei Tagsanbruche die erste Kutsche schon auf dem Schloßhofe der Königin Ypsilon war, und die Sonne stand noch nicht über dem Horizont, als sich schon die Kammerjunker pudern ließen.

Kakerlak mit seiner gestohlnen Physiognomie wurde überaus gnädig empfangen und eroberte das Herz der Königin mit dem ersten Komplimente, als er ins Zimmer trat; so geschwind ging es vermutlich nicht zu, wenn nicht eine Hexe die Hand im Spiele hatte. Die Königin wurde bei jedem Worte verliebter und fiel schon bei dem Handkuß ihres Gastes in Ohnmacht; nach der Tafel warb er um sie, wurde noch vor Einbruch der Nacht ihr Gemahl und des Morgens darauf zum König in Butam ausgerufen. Jedermann glaubte, es wäre der Prinz Alfabeta, da es doch eigentlich nur seine Physiognomie war.

Als der neue König am zweiten Morgen auf der Bergere lag und über den Plan seiner Regierung nachdachte, setzte sich ihm das Vögelchen auf die Schulter und flisterte ihm in die Ohren: »Hast du noch Langeweile wie bei deinen großen Büchern, als du den Stein der Weisen suchtest?« – »Nein«, antwortete der König, »aber Sorgen. Ich möchte nicht gern bloß ein König sein; ich wünschte, ein großer König zu werden, und habe die ganze Nacht gesonnen, wie ich's werden soll.« – Das Vögelchen unterbrach ihn: »Geruhen Ihre Majestät, sich ins Nebenzimmer zu begeben und dreimal die letzte Silbe Ihres vorigen Namens auszusprechen, und Sie können ein großer König werden.«

Der König stand auf, ging ins Nebenzimmer und rief dreimal »Lak«, und plötzlich lag vor seinen Füßen ein grünes Säckchen, eine goldne Büchse und ein roter Nachtstuhl. »Was soll mir dieser Plunder?« fuhr der König unwillig auf, der seinen neuen Stand schon ein wenig fühlte. »Verzeihn Sie in Gnaden«, erwiderte das Vögelchen, »mit diesen drei Möbeln sollen Sie ein großer König werden. Sobald Sie eine Anstalt machen wollen, die Geld erfodert, es sei, soviel es will, so greifen Sie in diesen grünen Sack: Je tiefer Sie greifen, desto größer wird er; je mehr Sie Gold herausnehmen, desto mehr wird darinne sein. Sobald ein neidischer Nachbar Ihnen den Krieg ankündigt, so öffnen Sie Ihre goldne Büchse: Wo Ihre Majestät die goldnen Körner darinne hinstreuen, werden Soldaten aus der Erde hervorwachsen, Reiter und Fußvolk, völlig bewaffnet, montiert und equipiert, ohne daß Sie ihnen einen Knopf auf den Rock oder ein Hufeisen ans Pferd zu kaufen brauchen. – Aber«, setzte das Vögelchen warnend hinzu, »gebrauche beides mit Überlegung; trage beides beständig bei dir, und laß keine Hand außer deiner in den Sack greifen oder die Büchse öffnen, denn –«

»Glaubst du, daß ich so schwer begreife?« unterbrach sie der König mit Empfindlichkeit. »Fast sollte man glauben, daß du der Philosoph gewesen wärst und nicht ich; denn du willst beweisen, daß am Mittage Tag ist. Ich verstehe deine Warnung und werd ihr folgen. Ich danke dir für beide Geschenke; aber hier diesen roten Nachtstuhl schaff mir augenblicklich aus den Augen; es ist ja ganz wider den guten Geschmack, so eine Möbel im Zimmer zu haben.«

Das Vögelchen: »Hier irren sich Ihre Majestät während Ihrer zweitägigen Regierung zum ersten Male!«

Der König: »Unverschämte! Wofür wär ich denn König, wenn ich mich irrte?«

Das Vögelchen: »Dies verächtlichste Bedürfnis unter allen menschlichen Bedürfnissen soll die Grundfeste deines Throns werden. Sooft du jemand einen Dienst anvertrauen willst, so laß ihn vor allen Dingen zur Probe auf diesem Stuhle sitzen; bleibt er ohne Schmerzen, so ist er ein ehrlicher Mann; krümmt und windet er sich, als wenn ihn die Kolik plagte, so ist er ein Schurke, und du kannst ihn auf der Stelle hängen lassen. Ich verlasse dich, und wenn ich zu dir zurückkomme, so ist es ein Zeichen, daß du einen Fehler machtest.«

Der König wollte seiner Beschützerin danken, aber sie war verschwunden, eh er die Lippen öffnete. »Gut«, sagte er zu sich, »mit dem Stuhle mußt du die erste Probe machen.«

Er ließ augenblicklich alle seine Räte und Beamte an den Hof berufen, und jeder mußte in seiner Gegenwart Probe sitzen. Sein Schatzmeister hatte kaum den Stuhl berührt, so schrie er wie ein Beseßner; sein Justizaufseher sank vor Schmerzen mit dem Kopf in den Schoß, und die Kammerbedienten bekamen Konvulsionen; allen ohne Ausnahme machte der verdammte rote Stuhl eine Kolik.

»Soll ich denn die Leute alle hängen lassen?« sagte der König betrübt zu sich. »So muß die eine Hälfte meines Reichs zu Scharfrichtern und Seilern werden, damit es der andern nicht an Stricken und Henkern fehlt.«

Indem er traurig so klagte, saß ihm unbemerkt das Vögelchen auf der linken Schulter und flisterte ihm ins Ohr: »Ihre Majestät haben während Ihrer dreitägigen Regierung den ersten Fehler gemacht.«

»Was?« rief der König erzürnt. »Du willst mich eines Fehlers beschuldigen, nachdem du mich mit deinem verwünschten roten Stuhle unglücklich machtest? – Er hat mir die traurige Überzeugung verschafft, daß mich lauter Schurken umgeben; möchten sie es doch sein, wenn ich's nur nicht glauben müßte! Ich bin ein unglücklicher König, denn ich muß mißtrauisch sein. Schaff mir den roten Stuhl aus den Augen, damit ich nicht versucht werde, ihn noch einmal zu brauchen.«

»Nein«, sprach das Vögelchen, »du sollst ihn brauchen, aber mit mehr Klugheit. Sagt ich dir, daß du Leute darauf sitzen lassen solltest, die schon in deinem Dienste sind? Sagt ich nicht ausdrücklich: Laß jeden, dem du einen Dienst anvertrauen willst, zur Probe auf diesem Stuhle sitzen? Niemand kann dir nur fünf Jahre dienen, ohne wider sein Wissen und Wollen seine Pflicht zu verletzen; der ehrlichste Mann muß oft wider seine Neigung dir schaden, um sich nicht von einem Mächtigern schaden zu lassen; er muß die Pflicht seinem Wohlsein aufopfern, wenn er nicht verhaßt und unglücklich werden will. Drum befreie dich nur von den wenigen, denen der Stuhl die größten Schmerzen verursachte; die übrigen halte für ehrliche Leute und traue jedem so lange, bis du ihn ertappst; aber nimm keinen an, der nicht ohne Kolik vom roten Stuhle aufsteht.«

»Dein Rat ist nicht übel«, antwortete der König. »Das Mißtrauen machte mich so unglücklich, als ich in meinem Leben noch nicht war. In Zukunft will ich's schon besser machen.«

»Ich verlasse dich«, sprach das Vögelchen, »und komme nicht eher zurück, als bis du den zweiten Fehler gemacht hast«, und sogleich verschwand es.

Der König entfernte alle, denen der Stuhl die größten Konvulsionen machte, und fand ohne Schwierigkeit soviel andre, die ohne Schmerzen vom Probesitze aufstanden. »Das Vögelchen ist wahrhaftig nicht dumm«, sprach er voll Freuden, da die Proben so gut abliefen. »Die Menschen sind herzlich gern ehrliche Leute, aber Not, Gelegenheit und Interesse erlaubt den meisten nicht, es zu bleiben. Wie gut, wenn man ein wenig Philosoph ist und schließen gelernt hat!«

Er verwandelte seitdem sein Mißtraun so sehr in unbeschränktes Vertraun, daß er niemand für keinen ehrlichen Mann hielt, wenn man ihm gleich bewies, daß er's nicht war, und um sein Vertrauen und seine milden Gesinnungen recht durch die Tat zu zeigen, steckte er seine gnädige Hand in den grünen Sack und beschenkte jeden, der beschenkt sein wollte. Die Zahl der Liebhaber wuchs mit jeder Stunde: Sie krochen, schmeichelten, bettelten, rühmten ihre Verdienste, ihre Treue, ihren alleruntertänigsten Gehorsam, keiner ging mit leerer Hand hinweg.

Der König wollte sich eben über seine Milde und seinen unerschöpflichen Sack freuen, als er das Vögelchen auf der Schulter erblickte; er erschrak, daß er den grünen Sack aus der Hand fallen ließ. »Du Freudenstörerin!« rief er, »willst du mir nicht schon wieder einen Fehler aufbürden? Komm und tadle mich! Hab ich nicht mit wahrer königlicher Freigebigkeit gehandelt?«

Das Vögelchen: »Ihre Majestät haben während Ihrer viertägigen Regierung den zweiten Fehler begangen.«

Der König: »Sage mir, welchen! Ich fodre dich auf.«

Das Vögelchen: »Sieh nur, wen du beschenkt hast, und dann wird dir dein erleuchteter Verstand statt meiner antworten. Die Elendesten, Verächtlichsten, Verdienstlosesten im ganzen Reiche genossen deine Freigebigkeit, kriechende Bettler, niederträchtige Schmeichler. Das wahre Verdienst fühlt zu sehr seinen Wert, um dir deine Gnade abzuschmeicheln oder abzubetteln; du bist sie ihm als einen Tribut schuldig, und es mahnt dich nicht, wenn du ihn nicht freiwillig entrichtest.«

Der König: »Du magst wohl recht haben, aber du machst mir's wahrhaftig ein wenig zu sauer, Regent zu sein. Du mußt in der Geschichte so unwissend sein wie ein neugebornes Kind, wenn du verlangst, daß man alles so genau nehmen soll.«

Das Vögelchen: »Ich verlasse dich und komme nicht eher wieder, als bis du das erste Lob verdient hast.«

»Ich wollte, daß du nie wiederkämst«, rief ihm der König nach, als es verschwunden war. »Man wird eines solchen Hofmeisters überdrüssig, der den ganzen Tag moralisiert und dem man keinen Schritt nach seinem wunderlichen Kopfe recht machen kann. Ich will einen andern Weg einschlagen, um groß zu werden; ewig still zu Hause zu sitzen und in der besten Absicht die größten Fehler zu begehn, das führt zu nichts. Du sollst mich schon loben müssen, wenn ich den halben Erdboden erobert habe; wag es alsdann jemand, mir einen einzigen Fehler vorzuhalten! Ich will Krieg anfangen und die eine Hälfte der Erde zur Wüste machen, damit die andre vor mir zittert.«

Sogleich ließ der König alle Bauern mit Pflügen aufbieten und alle Felder seines Reiches umackern; er reiste in eigener Person herum und streute aus der goldnen Büchse den goldnen Samen aus; wohin ein Korn fiel, da wuchs ein bewaffneter Krieger hervor. Das Schauspiel war ungemein belustigend, als ganze Regimenter mit klingendem Spiele und unter Abfeurung des groben Geschützes hervorsprangen. »Halt, richtet euch!« – »Rechts um schwenkt euch!« – »Das Gewehr auf die Schulter! Marsch!« – so brüllten auf allen Seiten die fürchterlichsten Stimmen durchs ganze Land; die halbe Erde hätte schon vor dem bloßen Geschrei zittern mögen.

Mit rotem Federhut und aufgeblasnen Backen
Hebt ein Trompeter hier Trompet und Nacken,
Lautschnatternd »Treng, Treng, Treng« aus einer Furch empor;
Dort fahren hoch in die Luft zwei Paukenklöppel hervor
Und schlagen den klanglosen Acker mit ungeduldiger Hitze,
Bis daß der schwere Gaul mit der tönenden Pauke sich hebt.
Durch aufgeworfnes Erdreich gräbt
Sich hier des Grenadiers getürmte Mütze;
Er steigt, und steigend streicht er sich den schwarzen Bart.
»Blitz-Höllen-Sapperment«, flucht einer in der Erde,
Und auf den Fluch erscheint ein Kinn, sehr schwach behaart.
Mit Brausen drängen sich bäumende Pferde
Und blinkende Reuter durch staubende Wolken herauf;
Sie fliehn in fest geschloßnen Gliedern
Durch Stoppeln und Graben und Sumpf mit geflügeltem Lauf.
Gehorsam ihres Führers Rufe,
Stehn alle, stampfen, und unter jedem Hufe
Erhebt sich ein Zelt. Kein Brot noch Fleisch wird zugeführt;
Es flucht kein Koch, es knarrt kein Bratenwender.
Kein Topf wird angesetzt, kein Feuer angeschürt,
Gefälschten Wein verkauft kein Marketender.
Die Krippe füllt sich selbst, der Tisch ist stets besetzt
Und jede Zunge stets mit Zyperwein genetzt.

Das Schauspiel war so unterhaltend für den König, daß er ganze Tage säete und Essen und Trinken darüber vergaß; er hörte nicht eher auf, als bis ihm der Raum fehlte. Einer seiner Mandarinen arbeitete indessen an einer Deduktion, worinne sonnenklar bewiesen wurde, daß vor zwölf Jahrhunderten der Marktflecken Quinquina zum Königreiche Butam gehört habe, und sobald der Beweis fertig war, zog der König mit seinem Heer aus, dem Könige der kalten Inseln die unrechtmäßige Besitzung abzunehmen. Die Märsche gingen übermäßig schnell; da Menschen und Pferde aus ganz anderm Stoffe gemacht waren als sterbliche Soldaten, so marschierten sie Tag und Nacht in vollem Galopp und liefen gewiß über den Nordpol hinaus, wenn die Offiziere nicht »halt« schrien. Der König ritt jede Viertelstunde ein Pferd tot und konnte doch nicht nachkommen; man merkte wohl, daß ihr Laufen nicht mit rechten Dingen zuging. Sobald er sie eingeholt hatte, gab er Befehl zur Schlacht; der König der kalten Inseln führte wohl seine Truppen auch ins Feld; aber was für eine Armee war das! als wenn ein Häufchen Maikäfer sich gegen einen Schwarm Kraniche wehren wollte, der die Sonne verfinsterte! Ihre Pferde sahen klein aus wie Katzen und die Reuter, als wenn sie aus Kartenblättern geschnitten wären; einer von den Riesen aus der goldnen Büchse konnte ein halbes Dutzend davon auf der flachen Hand halten, und wenn eins von den Pferden aus der goldnen Büchse wieherte, fiel ein ganzes Glied im feindlichen Heere zu Boden. Der König war in Gedanken schon Herr von den sämtlichen kalten Inseln und ließ das Zeichen zum Angriffe geben; plötzlich erhub sich ein Nordwind, so scharf und schneidend, als wenn er mit allem Eise des Nordpols beschwängert wäre; die Riesen froren steif, konnten kein Glied rühren, und die Pferde erfroren ihnen unter dem Leibe, weil sie in einem warmen Lande gewachsen waren, wo man von dergleichen naseweisen Winden nichts wußte. Die kleinen Zwerge hingegen, die ein solches unfreundliches Lüftchen nicht übelnahmen, weil sie in ihrem Lande keinen bessern Wind hatten, hieben mit Löwenstärke in die erfrornen Riesen hinein und brachten sie doch wahrhaftig alle um; wer kein Blut sehn konnte, war nichts dabei nütze; wenn es nicht gleich gefroren wäre, so ertranken die Zwerge mit ihren Katzenpferden insgesamt darinne. Glücklicherweise versteckte sich der Eroberer in einen hohlen Baum, als der Wind so unverschämt zu blasen anfing, und errettete sich dadurch vom Frost und vom Schwerte der Feinde. Es war kein Spaß, so weit von seiner Heimat, ganz allein in einem hohlen Baume zu stecken; wenn es nur wenigstens ein schönes warmes Land gewesen wäre! Aber bei so einer barbarischen Luft konnte er den Kopf nicht sicher aus dem Loche herauswagen, ohne daß ihm nicht die Nase erfror. Er vertröstete sich auf die Nacht, wo er aus dem Baume steigen und den Feinden ungesehn entlaufen wollte, solange seine Beine hielten; ja, gut getroffen! In solchen verkehrten Ländern gibt's wohl Nacht; er wartete ewig, und es kam keine.Die Leser werden sich erinnern, daß in den Ländern des Nordpols das ganze Jahr nur aus einem Tage und einer Nacht besteht und daß jedes von beiden ein halbes Jahr dauert. Du guter Kakerlak! Wenn du ein halbes Jahr warten willst, so wird Nacht genug kommen; hier ist's nicht so wie bei dir zu Hause, wo man Licht ansteckt, wenn die Sonne zwölf oder sechzehn Stunden geschienen hat.

»Wehe mir!« seufzte der unglückliche Eroberer im hohlen Baume, da die Nacht nimmermehr kommen wollte. »Wie wohl war mir auf meiner Ottomane! Wie schmeckte mir der persische Wein aus dem goldnen Becher und das Vogelnest aus der silbernen Schüssel so wohl! Wie wickelte ich mich so warm ins seidne Bettchen und drückte mich an meine Gemahlin Ypsilon! Ach, säß ich noch in meiner philosophischen Zelle und suchte mit dem Eifer eines echten Rosenkreuzers den Stein der Weisen! Fänd ich ihn auch nicht, so wär ich doch in der warmen Stube. Du Tor! Was tatest du, als du dich mit Hexen einließest und durch sie ein großer Mann werden wolltest? Ach, Kak . . .«

Die erste Silbe seines vorigen Namens war noch nicht völlig über die Lippen, so schwebte er schon auf dem Rücken des Vögelchen in der Luft; da es sich bei so schneller Fahrt und so scharfer Luft nicht gut sprechen läßt, so blieb die übrige Hälfte des Namens im Schlunde zurück. Das Vögelchen trug ihn soviel tausend Meilen weit nach Hause und setzte ihn ohne Schnupfen und Katarrh auf seine weiche Ottomane; er wollte ihm danken und Abbitte tun, aber es verschwand, eh er den Mund öffnete.

»Ich komm euch gewiß nicht wieder in euer Land ohne Nacht«, fing er an, als er sich ein wenig ausgewärmt hatte, »und wenn auf den kalten Inseln alles Eis zu Diamanten würde, so mag ich sie nicht erobern. Hätte ich doch bei der Eroberung meine gesunden Gliedmaßen einbüßen können; nein, besser ist's, ich bleibe zu Hause und beschenke aus meinem grünen Sacke jeden, der etwas braucht.«

Diesem Entschlusse gemäß wollte er künftig seine Größe auf einem andern Wege suchen, und um die Erinnerungen seiner Beschützerin zu nützen, nahm er sich vor, nur das Verdienst seine Freigebigkeit empfinden zu lassen. Er gab also allen seinen Räten und Beamten Befehl, auf Personen achtzuhaben, die durch ihr Talent oder ihren Fleiß dem Reiche Nutzen oder Ehre schaffen könnten und ohne Unterstützung keins von beiden zu tun vermöchten; sein Befehl wurde treulich erfüllt, und kein Tag verging, wo er nicht in den grünen Sack griff und ein gut angewandtes Geschenk machte.

Ein Landmann kam, der Vorschuß brauchte, weil ihm Überschwemmung und Hagelwetter Ernte und Winterfutter geraubt hatte, ein andrer, der sich in einer Heide anbaun und aus unfruchtbarem Sande fruchtbare Felder machen wollte; der König griff in seinen grünen Sack und gab ihnen.

Ein Fabrikant kam, der im Lande eine Ware verfertigen wollte, die man wegen ihrer Unentbehrlichkeit dem Fremden abkaufen mußte und dem die erste Auslage fehlte; ein Künstler kam, der aus Mangel, um das Brot zu gewinnen, seine Kunst an schlechte Arbeiten verschwenden und sein großes Talent vernachlässigen mußte; der König griff in seinen grünen Sack und gab ihnen.

Ein junger Mann, dessen Talente viel versprachen, wurde dem Könige bekannt gemacht; er mußte sich um des Unterhalts willen zu Beschäftigungen herablassen, die weit unter seinen Fähigkeiten waren und ihn an wichtigern Arbeiten hinderten, wodurch er sich und dem Reiche mehr Nutzen und Ehre hätte schaffen können; der König griff in seinen grünen Sack und gab ihm, daß er in Zukunft bloß für die Wissenschaften, für sein Talent und die Ehre der Nation leben konnte.

Tat jemand einen Vorschlag zur Verbesserung des Nahrungsstandes, zur Vergrößerung des Handels, zur Ausbreitung der guten Erziehung oder der Wissenschaften, zur Aufnahme der Künste, er mochte den Nutzen, die Verschönerung oder die Ehre des Reichs betreffen, der König griff in seinen grünen Sack, und wenn gleich die Ausführung nicht allemal den gehofften Vorteil verschaffte, so gewährten sie doch wenigstens den Nutzen, daß man nun wußte, von welchen Unternehmungen man sich nichts zu versprechen hatte.

Der König hoffte täglich, daß sein Vögelchen wiederkommen und ihn loben sollte; aber es ließ ihn ein ganzes halbes Jahr in der Ungewißheit. Endlich kam es, hüpfte ihm flatternd auf die Schulter und rief: »Großer König, ich lobe dich: Itzt bist du auf dem wahren Wege zur Größe. Du unterstützest das wachsende Verdienst; du flickst nicht am Alten, du schaffst etwas Neues. Aufhelfen ist das erste Geschäfte des Regenten: Durch Unterstützung nützt er mehr als durch Belohnung. Großer König, ich lobe dich. Bist du bald deines Glücks überdrüssig?«

»Überdrüssig?« antwortete der König voll Verwunderung. »Da ich erst anfange, mein Glück zu genießen? – Nein, meines gegenwärtigen Vergnügens werd ich nicht überdrüssig, und wenn ich Jahrhunderte lebte. Hätt ich mir doch nicht eingebildet, daß es so schön wäre, König zu sein.«

»Möge doch Ihrer Majestät keine Bitterkeit diesen königlichen Geschmack verderben!« sprach das Vögelchen. »Wenn Allerhöchstdieselben ihn in einem Jahre nicht zu verändern geruhen, so bin ich von meiner Strafe befreit; ich kehre dann in meiner vorigen Gestalt zum erhabnen Brocken in die Versammlung meiner Schwestern zurück. Heil dem großen Könige, der des Vergnügens an guten Handlungen nicht satt wird! – Ich verlasse dich und erscheine dir nicht eher wieder, als bis du mich von meiner Strafe befreit hast.«

Der König tat täglich mehr Gutes und Großes und ward täglich vergnügter; sein Reich blühte, seine Untertanen liebten ihn, und alle Zeitungsschreiber in Butam nannten ihn den großen König. Wenn er nicht die Physiognomie des Prinzen Alfabeta hatte, so blieb er bis an sein Ende im ruhigen Genusse seiner Größe. Der Bestohlne wurde zwar gleich den Morgen darauf, als er in den Spiegel sah, einen Mangel an sich gewahr und versprach Belohnungen über Belohnungen, wenn ihm jemand seine Physiognomie wieder schaffte oder den Dieb anzeigte, der sich so gottloserweise an ihm vergriffen hatte; allein niemand konnte das Verlorne wiederfinden, niemand den Dieb entdecken. Noch mehr ergrimmte der Fürst Omega, sein Bruder, als er merkte, daß ihm sein ganzer Hofstaat gestohlen war, nicht einmal einen Bedienten hatte er übrigbehalten, der ihm den Tee auftragen konnte. Beide Brüder urteilten mit vieler Einsicht, daß es nicht mit rechten Dingen zuging. Omega starb, und sein Bruder mußte sich immer noch ohne Physiognomie behelfen.

Ein Page, der zu dem gestohlnen Hofstaat gehörte, bekam einmal den sauern Dienst, der Prinzessin Friß-mich-nicht die Schleppe zu tragen; sauer war der Dienst gewiß, so wenig Talent außerdem dazu gehören mag, eine Schleppe zu tragen, denn sie hatte die Gewohnheit, im Gehen beständig zu taumeln, wie die hamburgischen Leichenträger, und sich oft so schnell herumzudrehn, daß der arme Schleppenträger sehr fest auf seinen Füßen sein mußte, wenn er nicht an die Wand geschleudert sein wollte. Alle hatten den Dienst, seiner großen Schwierigkeiten ungeachtet, mit vielem Verstand und Klugheit ohne Leibesschaden verrichtet; nur dieser einzige, der von etwas melancholischem Temperamente war, wollte Gewalt brauchen, wo andre kaum mit Klugheit auskamen. Er hatte die Verwegenheit, daß er die Prinzessin mit der Schleppe (in allen Ehren gesprochen) wie ein Pferd mit dem Zügel lenkte; sooft sie von der geraden Linie abweichen wollte, zog er sie so unsanft von der Abweichung zurück, daß es keine Naht am Kleide bei ihm aushalten konnte. Wegen ihrer ungemeinen Lebhaftigkeit bemerkte die Prinzessin die Bosheit nicht eher als eines Nachmittags, da sie von der Tafel ging; sie wollte plötzlich eine von ihren Pirouetten machen; krack! schleuderte sie der misanthropische Schleppenträger in einem Wirbel herum, daß sie gerade wieder auf den Fleck sah, wohin sie vorher gesehn hatte. Die Dame war eben nicht in ihrer Festtagslaune und überhaupt ein wenig griesgramig, wie schon ihr Name beweist; sie versetzte also dem Verwegnen rückwärts mit dem spitzen Absatze ihrer gestickten Schuhe einen Stoß, daß er zu Boden stürzte und vor Schrecken nicht einmal ach und weh schreien konnte; sie hatte den empfindlichsten Teil seines Leibes und seiner Ehre getroffen, und er mußte also aus einem doppelten Grunde beleidigt sein. Er verließ den Hof und schwur, die Beleidigung nicht anders als mit Blute zu rächen; indem er an der Grenze des Reichs überlegte, wie er das machen sollte, hörte er von dem Verluste des Prinzen Alfabeta. »Was?« sagte der Rachsüchtige. »Wäre der Prinz Alfabeta nicht König von Butam? Hätte er sich nicht vor drei viertel Jahren mit der Königin Ypsilon vermählt?« – Man lachte ihm ins Gesicht über seine Fragen und hielt ihn für einen Verrückten, der dem Tollhause entlaufen wäre; der Page versicherte sie mit vieler Hitze, daß er selbst bei der Vermählung gewesen wäre; nun ging erst das Gelächter recht an; da er aber hartnäckig auf seiner Meinung bestand, so ließ man ihn gehn und bedauerte, daß ein so hübscher Mensch so frühzeitig um seinen Menschenverstand gekommen wäre.

Dem Pagen schien gleichwohl die Sache verdächtig, und er ging daher an den Hof des Prinzen, um sich genauer zu unterrichten; hatte er sich jemals gewundert, so tat er's itzt, da er den Prinzen Alfabeta hier erblickte, den er bisher alle Tage als König von Butam gesehn zu haben glaubte. Er entdeckte den Diebstahl um soviel lieber, weil es ihm eine Gelegenheit zur Befriedigung seiner Rachbegierde zu sein schien. Der Prinz war von sanftem Gemüt und wollte erst die Güte versuchen; er schickte zwei Gesandte zum Könige von Butam, ließ ihn manierlich grüßen und geziemend um die Auslieferung seiner Physiognomie ersuchen. »Was?« fuhr der König von Butam bei der Audienz der Gesandten zornig auf. »Ich hätte des Prinzen Alfabeta Physiognomie entwendet? – Himmel und Erde! Als wenn wir hierzulande nicht selbst Physiognomien hätten, daß wir erst dem Herrn Prinzen seine stehlen müßten, um wie rechtschaffene Menschen auszusehn.«

Die Gesandten, da sie durch Güte nichts ausrichteten, entschuldigten sich sehr höflich, daß sie also dem Befehl ihres Herrn nachleben und den Krieg ankündigen müßten. »Mir, dem Könige von Butam, mir kündigt der Prinz Alfabeta den Krieg an?« rief der König, zog aus der Tasche seine goldne Dose und schlug darauf. »Er komme, der Herr Prinz! er komme! Es wird mir viel Ehre sein, ihm und seinen Soldaten die Kehlen abschneiden zu lassen.« Um die Gesandten, die er für nichts Besseres als Betrüger hielt, wegen ihrer Dreistigkeit zu bestrafen, ließ er sie bis an die Grenze führen und ihnen bei jedem Dorfe, durch welches sie gingen, fünfundzwanzig Rutenhiebe auf das bloße Hintergebäude ihres Leibes geben; beide litten Schmerz und Beschimpfung mit der wahren Standhaftigkeit eines Weisen und machten bei den Hieben eine Miene, als wenn sie Konfekt äßen.

Der Prinz erzürnte sich gewaltig über eine so offenbare Verletzung des Völkerrechts, die allein schon einen Krieg wert gewesen wäre, und machte sogleich Anstalt, seine Physiognomie mit Feuer und Schwert wiederzuerobern, und dreist durch die Gerechtigkeit seiner Sache, zog er mit seinem Heer aus.

Der König von Butam besäete indessen alle Äcker seines Reichs aus der goldnen Büchse; die Saat ging gut auf und trug recht brave Riesen. Als der Prinz Alfabeta die unmenschlichen Kerle und die ungeheure Menge Truppen erblickte, sank ihm der Mut, und er wurde gewiß vor Schrecken blaß, wenn er seine Physiognomie schon wieder hatte. Was wollt er gleichwohl tun? Er nahm seinen ganzen Rest von Mut zusammen, hielt eine wohlgesetzte Rede an seine Soldaten, denen vor Angst die Zähne klapperten, daß sie wegen des Geräusches kein Wort von der Rede hören konnten, und ob sie gleich nichts verstanden hatten, so fand er doch zu seiner Beruhigung, daß ihre Tapferkeit und Streitbegierde auf seine Ermunterung sichtbar zunahm. Die Schlacht ging an; ach, ihr armen Soldaten des Prinzen Alfabeta, wie ging es euch! Die Riesen zogen nicht einmal die Säbel, taten nicht einmal einen Schuß, sondern fingen die Feinde mit den Zähnen, wie die Katze die Mäuse, zerbrachen ihnen das Genick und speisten sie lebendig auf, wie ein Hecht einen Weißfisch verschluckt. Der Prinz merkte bei guter Zeit, daß man bei solchen Leuten seines Lebens nicht sicher war, machte rechtsum und entkam den Barbaren, die sich kein Gewissen machten, ihre Nebenmenschen lebendig zu verschlingen; er kam zwar ziemlich erschrocken und abgemattet, aber doch glücklich mit allen seinen gesunden Gliedmaßen im Schlosse an und ließ gern seine Physiognomie unerobert.

Aufgemuntert durch das Glück seiner Waffen, verfolgte der König von Butam seinen Sieg, nahm das ganze Land des Prinzen ein und ihn selbst gefangen; er hielt einen Siegseinzug in seiner Residenz und wurde mit allgemeinem Frohlocken bewillkommt. Er war zwar nicht wenig besorgt, daß eine so große Armee allen Raum in seinem Reiche wegnehmen, Ackerbau und Viehweide hindern und dadurch Teurung und endlich gar Hungersnot erzeugen würde, allein das Schicksal endigte seine Sorge in wenigen Wochen. Diese Karaiben, die ohne Grausamkeit keine Minute hinbringen konnten, rieben sich untereinander selbst auf, da ihnen die Feinde fehlten; einer fraß den andern, und der letzte starb an einer tiefen Wunde, die ihm ein solches Ungeheuer mit seinen scharfen Zähnen in die rechte Brust versetzt hatte.


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