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Erster Auftritt

Hekuba hockt grau und allein vor dem Zelte der Kriegsgefangenen.

Hekuba:
Unselige du, erhebe dein Haupt,
Und richte dich auf, und wende dich um
Nach Troja! Wo ist's, wo bist du dir selbst?
Die Königin bist du von Troja nicht mehr,
Doch wie sich's auch wandelte, halte dein Herz,
Nicht wirf in die Brandung des Schicksals den Kahn
Deines Lebens, und fahr du stromabwärts!
            O weh, o weh, was bleibt mir denn noch?
Das Reich und der Mann und die Kinder sind hin.
O gewaltiger Hochmut, gepriesener Stolz
Der Ahnen, hier liegst du am Boden.
            Mir ist nicht zum Schweigen, mir ist nicht zum Schrein,
Mir ist nicht zum Weinen. Wie hart ist der Stein
Meines Lagers. Wie schmerzt mich alles! Mein Kopf!
            Ach Gott, meine Schläfen! Wie spür ich mein Kreuz!
O jetzt den Körper zu werfen im Takt
Der Klage, zu neigen gleichmäßig den Leib,
Nach links und nach rechts, und hinauf und hinab,
Daß der Tränen erhabener Regen roll,
Unendlich begleitend den Klagegesang,
Die süßeste Muse des Unglücks!!
            Ihr Griechenschiffe, wie so schnell
Kamt ihr durchs Purpurmeer,
Vorbei an eurer Häfen Schutz
Vors heilige Ilion!
            Wie schrie die Pfeife schrecklich auf,
Wie johlte da die Flöte mit,
Als ausgeworfen euer Tau
Sich um die starken Pflöcke wand
In Trojas liebem Hafen.
            Wen kamt ihr zu finden,
Wen suchtet ihr auf?
Die Hündin, das Schwein,
Des Menelas Weib,
Die Schande der Brüder,
Die Schmach der Welt.
Sie raffte mir hin
Und mordete mir
Den Gatten, den alten,
Den Priamus mir!
Den Vater der Helden,
Der fünfzig Söhne!
Und warf mich selbst,
Warf, Hekuba, mich
Hinab in die Schluchten des Jammers!
            Hier vor des Agamemnon Zelt
Hock ich in Jammer eingehüllt. –
Wie bald führt man die Greisin fort
Als Magd in eine fremde Stadt.
Als Magd, wie schrecklich ist die Schur
Auf meinem alten, mürben Haupt ...
Hört mich, ihr Troerinnen, kommt,
Ihr Frauen kommt, ihr Mädchen kommt,
Hört ihr, zu mir, heran an mich,
Unendlich mit mir zu klagen!
Wie die Mutter ängstlich umflattert die Brut,
So sing ich auch heute ein mütterlich Lied,
Doch anders als einst, als an Priamus Stab
Ich herrlich gestützt erhub den Gesang
Zum Himmel empor, als ich phrygisch im Tanz,
Erhabenen Reigen voranschritt.

Der erste Chor
ist schon während Hekubas Gesang aus dem rechten Zelteingang eingetreten und nimmt nun, in strenger Ordnung gelagert, die rechte Bühnenseite ein:
Was ist denn? Was jammerst du, Hekuba?
Was soll deine Klage? Uns fuhr sie durchs Herz,
Uns Schwestern, gedrängt und zum Weinen geschart,
Was rufst du den Schwestern? Wir jammern ja selbst
Vor Angst verlöschend in Zelten ringsum,
Das Schicksal der Knechtschaft im Antlitz. –

Hekuba:
O Kinder seht, der Rudersmann
Löst schon das Tau! Die Fahrt beginnt.

Der erste Chor:
Unselige wir! Tanzt schon das Schiff,
Entführt es uns dem lieben Land?

Hekuba:
Weiß nicht. Doch ahnt mir's schwarz von fern.

Der erste Chor:
O bald, nur bald
Schallt wüster Ruf:
»Auf, auf, du Weibsvolk, troisches,
Zu Schiff an Bord – wir kehren heim.«

Hekuba:
Hört!
Kassandra führt mir nicht heraus,
Die Rasende, die Seherin!
Entehrt, geschändet, entheiligt, entweiht!
Schmerz über Schmerz, Weh über Weh!
Troja, Troja –
Oh –
Wie elend sind, die dich verlassen,
Elend die Lebenden,
Elend die Toten all!

Zweiter Chor
aus dem linken Zelteingang tretend, entwickelt sich wie der erste Chor über die linke Seite hin:
Wir kommen, wir kommen im Frost unsrer Angst.
O Mutter, so künd es uns, sag es uns schnell!
Was ist uns bereitet, beschattet uns schon
Der Richtspruch des Todes? Erhebt sich der Knecht
Geschäftig am Steuer, das Holz in der Hand,
Und dröhnt durch das Lager schon Aufbruch?

Hekuba:
O Kinder, im Schauder der Frühe
Durchfuhr's die erwachte Seel mir.

Zweiter Chor:
Erschien schon im Laufe der Herold?
Wem gibt mich die Schickung zur Sklavin?

Hekuba:
Ihr Kinder, bald fällt unser Los.

Zweiter Chor:
Wer nur, mein Gott,
Entführt mich denn?
Nach Argos, nach Phthya, den Inseln?
Wer nur, mein Gott, so weit von Ilion fort?!

Hekuba:
Hah!!
Und wem dien ich?
Wo lern ich Dienst, ich altes Weib?
Im Alter, wo, wo lern ich Dienst?
Ich Nachtgespenst, ich Schattenbild des Todes,
Wo?!
Nun fällt es mir zu,
Vor Türen zu sitzen und Kinder zu wiegen,
Die ich einst als Königin prunkend
Die Huldigung gnädig empfing! –

Beide Chöre
abwechselnd und verschlungen:
Mit welchem Wehe du auch weinst,
Nicht mißt du unser Schicksal aus,
Nicht mehr, nein nimmermehr wie einst,
Sitz ich in meinem guten Haus.
Die Spindel darf ich nicht mehr drehn
In meinem Saal,
Und bald zum letzten, ach, zum letzten Mal
Muß ich die Kinder sehn.
Zum letzten Mal die lieben Kinder sehn.
Nun droht
Tödliche Not.
Schon reißt mich einer an die dunkle Brust,
Zu dumpfer Lust.
Und die ich einst vom Ida Wasser trug, – –
Nun schwankt auf meinem Haupt ein fremder Krug.

Eine alte Dienerin:
Wer kommt dort, Frauen, seht, mit raschem Schritt?
Es ist geschehn, er ist's, der Herold ist es,
Der aus dem Lager kommt mit schwerer Botschaft.
Und unsichtbar geschmiegt in seinen Schatten,
Duckt sich das Tier der Sklaverei zum Sprung.

Zweiter Auftritt

Talthybios tritt auf mit Soldaten. Hekuba, Chöre.

Talthybios:
Gruß, Königin Hekuba! Erkennst du mich,
Den oft das Amt zu dir nach Troja führte?
Auch heut führt mich das Amt hierher zu dir.
Talthybios bin ich, Herold der Griechen!

Hekuba:
O Frauen, liebe Fraun, jetzt ist es da.
Der Traum der Angst, nun ist er Wahrheit worden.

Talthybios:
Ihr seid verlost. – Wenn eurer Angst dies träumte,
Hat sich's erfüllt. Und Traum und Angst sind wahr.

Hekuba:
Wohin – Wohin
Rafft es uns fort?
Nach Phthya – sag?
Nach Theben – sag?

Talthybios:
Jede von euch hat einen Herrn, ihr Frauen.

Hekuba:
Wer hält uns fern
Schon in der Faust,
Hält Leid und Heil
Uns überm Haupt?

Talthybios:
Weiß alles, ihr sollt hören, fragt mich nur!

Hekuba:
So sprich! Kassandra, wessen ist ihr Schicksal?

Talthybios:
Sie zum Geschenk nahm Agamemnon selbst.

Hekuba:
Zur Sklavin seiner Gattin, Klytämnestra?

Talthybios:
Nein – doch zur Freude seines eignen Betts!

Hekuba:
Sie in sein Bett, die Reine, Unvermählte,
Die nur dem goldgelockten Gott gehört!?!

Talthybios:
Brennt Liebe doch in ihm zur Priesterlichen!

Hekuba:
So wirf, mein Kind, von dir die heiligen Schlüssel,
Reiß aus dem Haar dir die erhabenen Kränze!

Talthybios:
Des Königs Liebschaft sein heißt Ruhm und Glück!

Hekuba:
Sprich weiter, weh! Das ihr mir jüngst entrisset,
Wo ist das Töchterchen, was ist mit dem?

Talthybios:
Polyxene, wenn ich dich recht verstehe?

Hekuba:
Sie selbst, wohin verkauft durch schnödes Los?

Talthybios:
Merk auf! Sie dient an des Peliden Grab!

Hekuba:
Mein königliches Kind als Magd an Gräbern?
Was, meine Tochter, Gras auf Gräbern wartend?
O schändlichstes Gesetz in eurer Heimat!

Talthybios:
Lobpreise sie! Sie traf's am glücklichsten!

Hekuba:
Lebt sie denn noch? O sag mir, Mann, sie lebt noch?

Talthybios:
Sie lebt, und lebt ein Leben ohne Not!

Hekuba:
So sprich mir weiter noch! Andromache,
Die Ärmste! Weib des ungeheuren Hektor? ...

Talthybios:
Die folgt dem Sohne des Achill aufs Schiff.

Hekuba:
Und ich, nunmehr, wes Dienerin bin ich,
Die selber Dienst bedarf und Stab, die Alte!

Talthybios:
Du dienst auf Ithaka, dienst dem Odysseus!

Hekuba:
Maßlos, weh, unfaßbar verruchtes Ende!
Mein Haupt, zerschmettre dich am nächsten Pfosten,
Ihr Nägel, grabt euch ein ins Fleisch der Wange!
Unrettbar, unentrinnbar Ungeheures,
Magd des Odysseus, Sklavin des Odysseus!
Jauchzt nicht das Elend auf und fühlt sich selig,
Fährt nicht ein Tanz dem Jammer in die Glieder?
Odysseus, Fürst der Gauner, Herr der Schurken,
Betrüger, Hund und Herzog der Verleumdung,
Nach beiden Seiten hin die Hände reibend,
Und doppelzüngig doppelt Unheil stiftend!
Ich, Hekuba, bin Teufels Sklavin worden.
Klagt, ihr glückseligen Troerinnen, klagt!
Im namenlosen Jammer fahr ich hin.
Gab es ein Elend denn vor meinem Elend,
Steigt nicht das erste Mal auf Gottes Erde
Aus meinem Schicksal auf der Trauer Haupt?!

Chöre durcheinander:
Von dir und deinem Hause weißt du's nun.
Doch jetzt zu uns, Herold, was wird aus uns?

Talthybios:
He, Leute, auf! Führt mir Kassandra her!
Ich bringe sie sogleich ins Zelt des Feldherrn,
Sodann versorge ich die andern Frauen,
Wie es befohlen ist, nach ihren Losen!
Mannschaft ab, allmählicher Feuerschein.
Verflucht! Was soll das? Flammen, Wind und Rauch!
Zünden die Weiber die Gezelte an,
Wo man sie jetzt zu Schiffe bringen will?
Was, suchen sie den Tod in Flammen gar?
Denn wie mich dünkt, kein Freier trüge je
Des Dienstes Demut und leibeignes Schicksal!
Holla, mir nach, denn dieses Heldentum,
Das hoch sie ziert, bezahlte ich! Drum schnell!
Ab mit einigen Soldaten.

Hekuba:
Das ist nicht Brand, das ist Kassandra selbst,
Die Tochter! In Verzückung raset sie.

Dritter Auftritt

Kassandra, zwei Fackeln über dem Haupte schwingend, Talthybios mit seiner Mannschaft der tanzenden Priesterin nach; Hekuba, Chöre.

Kassandra:
Ich bringe hier, hebe hier, schwinge hier
Die Fackel blutig zu zwein.
Ich springe hier, schwebe hier, singe hier,
Das heilige Haus zu weihn.
Schaut doch
Die Braut doch,
Sie dreht sich im Kreis!
Rührt euch,
Und führt euch
Nach meinem Geheiß!
Bald landet die Braut beladen mit Kränzen,
Die Tore erstrahlen, die Zinnen erglänzen,
Und weiß ich die Mutter in Tränen ertrinken,
Wie will ich mich schmücken mit Steinen und blinken,
Und ahn ich die Schwestern im Schmerze verschmachten,
Wie will ich des Purpurs, des wallenden, achten.
            Hebt euer Stöhnen an,
            Zünd ich die Fackeln an.
Wende du, Hekate, spende du
Lampe und Licht und Rauch!
Sende du Brände du! Ende du
            Fest und heiligen Brauch!
            Hebt zum Tanz
Fuß und Kleid,
Wie im Glanz
Schönster Zeit!
Apollon voran,
Die Priesterin dann!
O Mutter, zu mir,
Erhebe dich mit!
Nun schweben wir
In trunkenem Schritt.
Lobt und preist,
Ruft dem Geist,
Der den Zug, den geflügelten schaut!
Tanzt und tobt,
Preist und lobt,
Hochzeit und Gatten und Braut!!

Eine alte Dienerin:
Halt auf die tolle Tochter, Königin,
Sonst trägt sie ihren Tanz ins Lager noch!

Hekuba:
Hephäst, Hochzeiter dieser frevlen Hochzeit,
Der du beschwingten Sterblichen beim Mahl
Brautfackeln sonst wie frohe Rosen hältst,
Heut qualmt verschwollen deine Flamme abwärts,
Verzehrend sich und königliche Hoffnung.
Wer, Kind Kassandra, wer vermag's zu fassen,
Daß du als Beute, unter Marsch und Trommeln,
Wirst Hochzeit machen müssen – – Oh – –
Sie tritt auf Kassandra zu, nimmt ihr nach kurzem Spiel die Fackeln aus der Hand.
So gib doch, laß doch, dies geziemt dir nicht.
Du schwärmest, komm zu dir! Tauchst du nicht auf,
Nicht jetzt, an diesem Tag, aus deinem Traum?
Sie gibt die Fackeln an die Frauen weiter.
Hinein damit! Und, Troerinnen, jetzt,
Wenn sich noch etwas Leben in euch nennt,
Löst es in Tränen, und den Brautgesang
Begleite euer Weinen ohne Ende!

Kassandra:
Tu Kränze in mein Haar, triumphgeflochtne!
Brich aus in Lobgesang, heb auf die Hände,
Und segne diese königliche Hochzeit!
Wankt auch mein Fuß, führ du mich selber vorwärts!
O Mutter, bei dem Walten meines Gottes,
Verhängnisvoll war wohl dem weisen König
Das Hochzeitsfest der Helena gewesen.
Doch war dies alles kleines Kinderunglück
Vor jenes Schicksals ungeheurem Anbruch,
Mit dem mein hochzeitlicher Hauch die Flamme
Des edlen Hauses löschen wird. Denn jetzt
In Tod und vielfach Tod bin ich verwandelt,
Er trägt mich unabwendbar in sein Herze
Und trägt mich, Tod, ins Herze seines Hauses. –
Genug, geschwiegen von dem Henkerschwerte,
Das nicht allein auf diesen Nacken wartet,
Geschwiegen von dem bald erzeugten Drachen
Des Muttermords, vom Einsturz des Geschlechtes!
Doch eines sei gesungen und gesungen!
Gebenedeit seid ihr, gesegnet, Troer!
Kniet hin und schleudert jauchzend eure Arme,
Besiegte ihr, ein Übermaß der Gnade
Ist euer Schicksal vor des Siegers Schicksal.
            Schaut euch nicht an mit Blicken und mit Nicken,
Hält ihr dem Wahnsinn die Vernunft entgegen?
Bin ich vom Phöbus trunken, hat mein Wahnsinn
Mehr von Vernunft, als das vernünftige Wach-sein.
Hört mich! Die Griechen ließen tausend Helden
Für eine Helena, und Agamemnon
Gab hin sein liebes Kind um ihretwillen,
Für die davongelaufene Frau des Bruders
Gab er den Himmel seines eignen Hauses.
Die aber am Skamanderufer fielen,
Die starben nicht im Grenzbezirk der Heimat,
Und schirmten nicht getürmte Vater-Festung;
Wen riesig Ares antrat, sah nicht mehr
Die Kinder, und nicht wusch die blutige Kruste
Die Frau von seinem Leichnam, ungewandet,
Ohn Leichenhemd schmolz er in fremder Erde.
Daheim die Witwen starben und die Kinder,
Für Fremde auferzogen unter Fremden,
So ohne Haus, daß nicht an trauten Gräbern
Ein Freund die Schale hielt und spendete.
            Das ist mein Lied vom Heerzug der Achäer!
Die Troer starben – doch fürs Vaterland,
Und schütteten sich in den Strom des Ruhmes.
Den Hingerafften trugen treue Hände
Ins Haus der Lieben, und die hüllten ihn
Ins letzte Leinen und bereiteten,
Mit Sorgfalt waltend, ihm das Bett des Grabes.
Er war daheim, bis ihm sein Tag erschien,
Und freute sich, was seinem Feind versagt war,
Am Walten seines Weibs, am Tanz der Kinder.
            Und wollt ihr, daß ich Hektors Schicksal deute,
Fuhr er nicht als ein Held der Helden hin,
Und war er dieses worden ohne Krieg?!
Was aber nennt sich Ruhm der Helena,
Als daß Bastard sie eines Gottes ist?
            Wohl, Krieg ist Wahnwitz, aber ist er da,
Heil einer Stadt, die heldisch niederfährt!
Aus Sturz und Feuersbrunst baut sie sich neu
Am Himmel auf, dem sie kein Sturm verwischt,
Und ihre Türm und Tore heißen Ruhm.
            Darum, o Mutter, wein um Troja nicht,
Und weine um Kassandra nicht! Bedenke,
Den Feinden, die dort unten bei den Schiffen
Mit Fahnen umziehn, und mit Pauken toben,
Bringt meine Hochzeit Moder, Höll und Tod!

Chöre:
Du strahlst und lächelst deinem eignen Wehe,
Und baust ein Glück aus Wahn und windigem Traum.

Talthybios:
Wärst du nicht so verrückt und ganz benommen
Von deinem Gott, du bliebst nicht ohne Strafe
Für diese Litanei und deine Frechheit,
Mit der du von des Herren Heimkehr redest.
Sieh einer an, das also sind die Fürsten,
Die hochgeboren gnädigen! Nichts andres,
Bei Gott nichts mehr als wir gemeines Volk.
Den hohen König und erlauchten Kriegsherrn
Von Atreus altem Hofe, den Agamemnon
Packt Leidenschaft zu der verrückten Sklavin!
Nur zu! Weiß Gott, ich bin ein armer Herold,
Doch diese da wär nichts für dich, mein Junge!
Pfui du, Verrückte, weil du denn verrückt bist,
Halt Reden, lästre, fluche, prophezeie!
Ich geb dein Wort den Winden zum Verwehn.
            Jetzt aber, schöne Dame, Königsbuhle,
Folg mir ins Lager! – Hekuba, du bleibst,
Bis dich Odysseus selbst zu Schiffe ruft.
Zum Dienst der besten Frau bist du erkoren.

Kassandra:
Er prahlt, der Herold Zungenflink und spreizt sich!
Bedientenflegel, bist doch bloß ein Schuft,
Der Stadt und Zwingherrn niedre Dienste tut!
Apollons Spruch ist nichts, du aber weißt es,
Daß meine Mutter nach Ithaka kommt,
Wo ihr der Gott den Tod verheißen hat
Im Vaterland. – Odysseus aber
Ahnt sein Geschick und seinen neuen Namen,
Der »Dulder« heißt, noch nicht. – Zehn irre Jahre,
Verschlungen noch vom Schlund der schnöden Zukunft,
Umraucht vom Blau noch ungeborner Träume,
Gestalten der Charybdis und des Kyklops,
Die Zauberin Kirke, Lotos und die Herde
Des obenwandelnd Feurigen, der Schiffbruch,
Und dunkler Gang zum Ort der Abgeschiedenen ...
Nicht Odysseus! Nicht gesungen seine Irrfahrt, seine Heimkehr!
Hades schüttle deine Schatten, rüste dich zu unserer Hochzeit!
Nicht am Tage mit Gepränge, nein, zu tierdurchheulter Nachtzeit
Tragen sie auf schlechter Bahre deinen Leichnam, Agamemnon!
Sieh, Gekrönter, unter Wolken öffnet sich die alte Bergschlucht,
Wildbach wirft sich weiß von oben und bespringt zerrissnes Feldstück.
Liegt mein Leib in trockner Gosse, jäh umkrallt von leerem Astwerk,
Deiner wird mir zugeschleudert, und du stürzt in süßes Brautbett.
Und der Nacht geheime Vögel fallen nieder um die Fraßzeit,
Hündin schleicht, und brüllt der Eber, Stöhnendes preist Aas und Sternstund.
Bräutigam, an deiner Seite ruht die schöne nackte Braut dir,
Und Verwesung heißt die Wollust, die beschieden unserer Nacht ist.
Sie tut die priesterlichen Insignien ab.
Kränze, Binden, heilige Schleier, hebet euch von diesem Ort auf,
Raffe, mein erlauchter Phöbus, reine Zeichen in dein Reich heim!
Aber jetzt bricht an die Stunde; zeigt das Schiff mir, werft das Brett aus!
Auf an Bord, die ich den Segeln besser als der beste West bin!
Bin der Ausbund aller Hölle, bin Erinnye, Rach und Tod selbst,
Und es lenkt den spitzen Schiffskiel die Gesandte schwarzer Macht euch.
Keinen Abschied, liebe Mutter, weine nicht, ihr alle weint nicht!
Teure Erde, brich in dieser Stunde nicht in giftige Blüt aus!
Die du deckst, ihr Brüder herrlich, Vater golden auf dem Thron einst,
Lebet wohl, ich komme zu euch, bald will ich mit euch vereint sein!
Ja, ich komme siegbeschüttet, schreitend, und mit großem Aufschrei!
Hoch in meinen Händen schwing ich des zerstörten Hauses Herdbrand,
Aber hinter meinem Tanze wankt ein dunkler Seelenzug nach.
Darum klagt nicht, Brüderschatten, weinet nicht, die ihr im Licht seid!
Das Geschlecht, das uns gestürzt hat, Atreus stürzt und stürzt durch mich.

Bewegung. – Trabanten des Talthybios führen Kassandra ab. Hekuba bricht bewußtlos zusammen.

Vierter Auftritt

Hekuba, Chöre.

Eine alte Dienerin:
Die Königin fällt. Um Gottes willen, Frauen,
Stützt sie und hebt sie auf, die Schmerzensreiche!
Sie eilt hinzu, andere mit.

Hekuba:
Nein, Kinder, laßt! Nicht dient mir eure Liebe,
Und solchen Liebesdienst verschmäht mein Schicksal.
Wer fällt, der liegt, wer liegt, der ist gefallen,
Drum laßt mich liegen – daß ich liegend leide.
            Götter, ich rufe euch – und rufend weiß ich,
Daß ihr der schlimmste Beistand seid. Doch ruf ich,
Und rufe Götter, denn das Herz bedarf
Im Tanz der unerbittlich eisigen Welt
Des Betens. – Ich bin hin und bete, Götter!
auf den Knien
Zuerst empfang den Dank, hier für mein Glück,
Daß sicherer euch nur mein Unglück rühre!
            Bin eines Königs Tochter, und mich freite
Ein großer König, Priamus von Troja.
Und als die Zeit sich wandte, wuchs das Leben
In meinem Schoß, und ich gebar ihm Söhne.
Und waren Söhne, wie kein Weib auf Erden
Noch Söhne trug und könnte jemals tragen.
Ja fünfzig Söhne, fünfzig reine Flammen,
Und Kronen aller Ritterschaft und Tugend!
            Sie alle fielen mir im Drang der Feldschlacht.
An einem Grabe stand ich immer wieder,
Und schor die graue Locke mir vom Haupte.
Und dieses auch – ich sah mit meinen Augen
Den alten Vater Priamus – er hielt sich
An seinem Hausaltar mit dürren Händen,
Als ihm die Würger in den Nacken fuhren,
Und er ein wenig seufzend rücklings stürzte.
Weh, meine Stadt sah ich vor mir zerbrechen
Wie ein Gefäß – und meine süßen Töchter,
Die ich erzog für unbescholtene Betten,
Erzog ich für Banditen. – Sie entschwanden
Aus meiner Hand, wie Wind und leichtes Wasser.
Sie sind dahin, wir sehn uns niemals wieder.
            Und was das Elend alles Elends ist,
Ich muß als Sklavin wandern übers Meer,
Und schwere Arbeit häufen sie mir auf.
Wo doch die Greisin gerne sitzt und sinnt,
Muß Hektors Mutter Brot im Ofen backen,
Und Schlüssel führen, die Beschließerin.
Der zarte Leib, der sonst im Königsbette
Umschmeichelt war von leichter Decken Spiel,
Schläft nachts auf kalter Erde, krumm gefroren,
Und hüllt sich tags in Schürzen, widerlich.
Was litt ich schon und werde leiden müssen
Um Helena, um dieses eine Weib!?!
Kassandra du, den Gott im Strahl der Stirne,
In welcher Qual beschließt du deine Keuschheit?
Polyxene, wo bist du, kleines Mädchen?
Kein Sohn und keine Tochter kommt mich trösten.
Was wollt ihr, Mädchen, kommt ihr mich zu stützen?
Ich will nur einen Dienst. – Führt dort zum Abhang
Den zarten Fuß, der oft in Troja tanzte!
Führt die im eignen Tränenstrom Ertrunkene
Zur letzten Hoffnung – ausgelöscht zu werden!!
Nennt keinen glücklich, der noch lebt auf Erden!

Sie hat sich bei den letzten Worten hoch aufgerichtet und fällt schlaff und wie entseelt vor Schmerz den Mägden in die Arme, die sie sanft niedergleiten lassen.

Chorlied

Erster Chor:
Sing das entsetzliche, strömende Lied jetzt,
Muse, stimm an die Gesänge des Tods nun!
Gebt eure Stimmen, ihr Mädchen, zum Kranz her,
Windet mir weinend Gewinde des Grams!
            Himmelan wiehernd, gewälzt vor den Turmkranz,
Strahlend das Roß stand mit goldenem Zaumwerk.
Wehe, was barg es? Doch schüttete Zeus aus
Frieden und Frühling uns himmlischen Tag.
            Wolke des Jubels steigt auf von der Hochburg,
Abwärts unendlich der Stromfall des Volks stürzt,
Selige Donner umrollen das Standbild,
Ilischer Taumel die Tochter des Zeus.
            Wer von dem Volke zerbricht zum Gesang nicht,
Nennt mir das Herz, das in Tränen nicht hinstürzt,
Zeigt mir die Hand, die das Trugbild nicht scheu rührt,
Mädchen und Mann und mühsamer Greis?

Zweiter Chor:
Plötzlich erhebt sich da
Kniendes Volk und stürmt!
Selbst sich zum schwarzen Fluch,
Dieses Gebildes List
Will es der Göttin weihn.
            Und mit linnenen Seilen, wie man die schwarzen Schiffe zieht,
Wird das Roß durch Tore gerollt zu Athenens Sitz.
Über Müh und Gelächter der Lust
Wallt schon die Nacht herab.
            Lybische Flöte tönt,
Höher und höher hebt
Hüpfend im Tanze sich
Lieblichster Mädchenfuß.
Nirgendwo fehlt ein Fest,
Und in den Häusern ist
Überall Lied.
            Doch was will in dem lustigen Flackern der Lampen und Fackeln,
Was will in des Herdes Schein seltsam der schwarze Strahl?
Schon schauern die Scheite zusammen!
Mond und Schlaf überm Ort.

Beide Chöre
ungeheuer ausbrechend:
Wie die Feier auslischt,
Weh, auf einmal schäumt auf
Aus der Tiefe Mordruf,
Und der Mund der Stadt ist voll von Blut!
Scheußlich Schrei auf Schrei springt,
Mit dem Feuer treppab,
Und ein großer Wind gellt
In den Traum, der da ist,
Aus den Flammen ungeheuer angefacht.
Ganz ineinander verwirrt.
Will mein Kindchen seine Kleider haben?
Wo sank es hin? Bad ich es in der schwarzen Nacht!
Schwerter, Schwerter! Wo treiben wir,
Vorbei an Altären,
Mit phrygischem Blut
bestürzten? Wieder gesammelt.
Aus dem Roßbauch
Sprang der Kriegsgott,
Und er bläst wild
Die bemalten Backen auf.
Kein Altar ist
Mehr von Blut rein.
Trojas Frühling,
Seine Knaben, seine Jungfrauen hin. Decrescendo.
Also warf dich
Der Verrat nur
Falscher Götter
In den Staub. Verlöschend.
Weh.

Eine alte Dienerin:
Siehst, Hekuba du, auf donnerndem Wagen,
Ein Bildwerk in steinerne Falten geschlagen,
Andromache stehn – sie hält ihren Knaben,
Der drängt sich und birgt sich in ihrem Gewand.

Eine andere:
Wohin, Andromache, wirst du getragen,
Wohin die Beute von herrlichen Tagen,
Die Hektor erstritt? – Nun hänget die Gaben
Der Sohn des Achill an die heilige Wand.

Fünfter Auftritt

Großer Aufzug. – Andromache auf einem Wagen, hochaufgetürmt mit Beutestücken. Sie hält an der Hand ihr Söhnlein. Griechische Söldner flankieren.

Andromache:
Mein Weg ist weit ...

Hekuba:
Zerbrich, o Zeit!

Andromache:
Die Zeit ist lang.

Hekuba: Weh mir!

Andromache:
Mutter, was singst du meinen Gesang?

Hekuba:
O Kinder ihr!

Andromache:
Das waren wir.

Hekuba:
Nun seid ihr aus.

Andromache:
Und Troja hin.

Hekuba:
Du stolzes Haus! ...
Ich aber bin.

Andromache:
Hektor – Hektor.

Hekuba:
Mein Sohn – o Name
Im Wirbel der Schatten!

Andromache:
Andromache ruft!

Hekuba:
Führe mich, Hektor, hinab
Zu den tiefen unendlichen Sitzen.
Führ mich, wo Priamus weht,
Der Vater im ewigen Zwielicht.

Andromache:
Wir rufen vermessen die Toten, sie gleiten an dumpfen Gestaden,
Leben ist Jammer – auf uns stürzt die zertrümmerte Stadt.
In unendlichem Zug umschreiten uns Larven des Leidens.
Zorn der Götter, geballt, grinst aus dem Drang des Gewölks.
Paris, dein sündiger Sohn, er lockte das Schicksal von oben,
Nun in Athenas Hain modern die Leichen verkrallt.
Raben wie Zunder des Brands umflattern die schreckliche Stätte,
Doch wer vom Volke noch lebt, hockt und wartet der Fahrt.

Hekuba:
Land des Lebens, du Heimat, o Stadt am Himmel gestürzte!
Haus, wo ich Stolze die Zahl strahlender Kinder gebar!
Kinder, wo riß es euch hin ... nicht hält mehr zu atmender Nachtzeit
Lind die Mutter das Licht euch über Schlummer und Traum.
Nur den Lebenden bleibt die steigende Sintflut der Tränen,
Aber die Toten sanft lächeln im Lichte des Nichts.

Chöre:
Tränen, unendliche Tränen, es blühen die Wüsten der Qualen,
Stürzt in das brennende Aug süß das Gewässer der Welt.

Andromache:
O Mutter Hektors! Sei gegrüßt! Wir kommen,
Sieh uns nur an! Du siehst in keinen Traum.

Hekuba:
Ich seh den Wahnsinn nur der Götter walten,
Der Knechte mächtig macht und Edle stürzt.

Andromache:
Das Meer des Schicksals wendet sich im Sturme,
Und läßt uns landen in verwünschter Bucht.

Hekuba:
Kassandra selbst, die priesterliche Tochter,
Trug's unerbittlich auf der Schulter fort.

Andromache:
So ist ein andrer Ajas ihr erstanden,
Und doch ist dieses auch das Ende nicht.

Hekuba:
Ich weiß es – warum redest du vom Ende?
Wenn was unendlich ist, ist es mein Unglück.

Andromache:
Sie töteten Polyxene, das Kind dir
Am Grabe des Achill, als Totenopfer.

Hekuba in einem entsetzlichen Gelächter:
Der Spruch des Herolds: Furchtbares Erkennen!

Andromache:
Als ich die Tote sah, stieg ich vom Wagen
Und schlug den Schleier um die süße Schwester,
Und bettete und küßte sie und weinte.

Hekuba:
Ich hab nicht Seele mehr zu neuem Wehruf.
O Tochter, schwer ist mein Gesicht, wie Marmor.

Andromache:
Sie ist gestorben. – Selig sind die Toten.
Und Wonne ist ihr Tag vor meinem Tag.

Hekuba:
Miß, gute Tochter, eins nicht an dem andern,
Denn Tod ist Gleichmut, aber Leben Hoffnung.

Andromache:
O Mutter, von so vielen Kindern Mutter!
Ich schaudre in der tiefen Seele, – Mutter –
Nenn ich dies wunderbare Wort der Erde.
Sieh, nie geboren sein, ist es nicht tot sein,
Und tot sein besser als in Schmerzen leben?!?
Das Grab, die sanfte Stube, tut nicht weh.
Doch wer einst stand im Schwall der Glücksgestirne
Und Brot vom Tisch der Freude brach, und jetzt
Verpestet muß im Tal des Jammers wandeln,
Den hetzt die bittere Peitsche des Gedenkens.
Polyxene ist hin und weiß von nichts,
Ihr süßes Antlitz schwand wie unberührt
Von des Würgengels ehernem Flügelschlag.
            Mir aber war beschieden großes Leben,
Und allen Daseins hatt ich volles Maß,
Den Scheitel meines Reichtums tauchte ich
Ins Meer des Himmels, und das war mein Unglück.
             Wie schmückte ich mich doch in großem Hochmut
Mit jeder Tugend, kränzte mich mit Sitte!
Wo andre Frauen Lustbarkeit begingen,
Wie häuslich blieb ich da und kühlen Stolzes!
Müht ich mich einmal nur um Weiberrede
Und wußte nicht den eignen Rat zu brauchen?
Mein Gatte fand drum abends heitre Augen
Und einen Mund voll Schweigens und voll Rede,
Wo Rede nottat, Schweigen sich geziemte.
Doch alle Tugend nenn ich nun Verderben,
Und meine Reinheit rafft mich ins Verhaßte,
Denn mich zum Weib nimmt des Peliden Sohn,
Dem solcher Züchtigkeit die Kunde ward.
            In Angeln jauchzt das Tor des Mörderhauses,
Wenn Hektors Weib die Schwelle überschreitet.
Und ich? – Was soll ich tun? – Soll ich vergessen?
Uneingedenk des teuern Heldenhauptes
Zu Bette gehn und mich dem Andern öffnen?
Treulosigkeit, weh mir, ich Ungetreue!
Doch tu ich's nicht, so wartet mein die Peitsche,
Und mit dem Fuß zertritt mein Herr den Trotz.
Zwar sagen sie, daß eine Nacht genüge,
In einer Frau aus Ekel Lust zu machen ...
Doch ohne Maßen, Haß und Fluch dem Weibe,
Das sich verwandelt und vergessen kann!
Das dumpfe Tier, das niedre untertane,
Ein junges Roß selbst, ans Gespann gewohnt,
Nimmt man den Bruder ihm von seiner Seite,
Wie bäumt sich's unterm Joch und wiehert schmerzlich!
O Hektor, Hektor, Hektor, mein Gemahl,
An Adel, Mut und Weisheit königlichster!
Dein Angedenken – Sonne meines Elends!
Wie könnte ich vergessen! Ja, du nahmst
Mich rein aus Vaters Händen, reine Süße
Der ersten Liebe gab ich dir und alles!
Und nun ist's aus. – Das Schiff ist schon gerüstet,
Die Segel sind vom raschen Wind beseelt,
Der lustig unser Schicksal vor sich treibt,
Und Sklaverei ist noch das Mildeste!
            Nun Mutter sprich, wer ist unseliger,
Polyxene, die zart mit Schatten wallt?
Ich bin es, Mutter, wie kein Mensch zuvor,
Denn selbst das letzte, allerärmste Öl,
Das Sterblichen die müde Flamme speist,
Die Hoffnung nahmen mir die Götter. So
Verging dem Herzen Kraft zu jedem Wahn,
Der in der Blindnis letzten Jammers noch
Den schmalen Strahl durchs Finstre flattern läßt.

Chöre:
Was unermeßlich ist, hat gleiches Maß.
Ihr Leid und deines, Frau, sind ohne Maßen,
Und meins ist maßlos, also gleicht's dem euren.

Hekuba:
Wenn einem Schiff – ich kenn's von Lied und Bildern
Ein leichter Sturm sich in die Seiten wirft,
Dann hebt an Bord geschwindes Leben an,
Und sich zu retten, regt sich jede Hand.
Der eine refft das Segel, rüstig jener
Am Steuer waltet, andre schöpfen Wasser.
Doch wächst das ungestüme Meer im Sturme,
Und packt das Schiff mit feuchten Riesenkiefern,
Dann läßt der Seemann seine Mühe fahren,
Und gönnt das Boot dem Tanz der Elemente.
So tu ich auch! – Ich schließe Mund und Augen,
Und sinke in den Schoß der neuen Stürme,
Und gönne mich dem Tanz der Himmlischen!
            Du aber, liebe Tochter, du vergiß
Den trauten Schatten Hektor. Nimmer löst
Ihn deine Träne aus der untern Nacht.
Sei du gefügig deinem neuen Mann,
Gib süß und willig seinem Wunsch dich hin,
Eins nur bedenkend, welchem Werk es frommt!
Denn meines Sohnes Sohn erziehst du mir
Zum Helden und zum Rächer wunderbar.
Ja, er kehrt heim, umstrahlt von Sieg und Kraft,
Von seinen Blicken blühen Trümmer auf,
Der Stein erkennt ihn, und er tanzt empor,
Die Säule wächst aus ihrem Sturz, es fügt
Sich Tempel neu und Haus – und Troja lebt.
Sie verweilt eine Zeit in ihrem Gefühl. Unruhe.
Doch still, kein Wort; wer kommt vom Lager her?

Sechster Auftritt

Talthybios, Soldaten, Hekuba, Andromache, Chöre.

Talthybios:
Des edlen Hektor Gattin, hör mich an,
Und laß mich diese Botschaft nicht entgelten,
Den Ratschluß bring ich nur von Fürst und Volk!

Andromache:
Was gibt es, Mann? Der Anfang macht mich zittern.

Talthybios:
Dein Knabe – nein – ich bring's nicht übers Herz.

Andromache:
Mein Knabe – nimmt ihn mir ein andrer Fürst?

Talthybios:
Ihn nimmt kein Fürst, und keinem wird er dienen.

Andromache:
So bleibt er hier in Troja, als ein Troer?!

Talthybios: wendet sich wie zum Abgehn:
Nein, ich ertrag es nicht, kein Wort gehorcht.

Andromache:
Was will die Rührung, Mann, bringst du mir Gutes?

Talthybios:
Dein Kind muß sterben! Nun ist es heraus! – Pause.

Andromache langsam und ruhig, fern:
Das ist noch härter als verhaßte Ehe!

Talthybios:
Es war Odysseus, der's im Rat erreicht!

Andromache:
Ich brenne aus und bin nicht mehr vor Schmerzen!

Talthybios:
Mit Hektors Sohn, sprach er, vergeh sein Blut!

Andromache:
Sein Blut vergeh an diesem Urteil!

Talthybios:
Stürzt drum das Kind, sprach er, von Trojas Zinnen!
Das muß geschehn! Sei klug und gib dich drein!!
Andromache reißt aufschreiend den Astyanax an ihre Brust.
Sei klug, und gib dich drein, und wehr dich nicht!
Sei wahrhaft adelig im Dulden du!
Was willst du andres tun? – Dein Mann ist tot,
Und ohne Schutz bist du und Sklavin selbst.
Den Mut der Schwachen zeige nicht umsonst!
Frau, wehr dich nicht, nimm guten Rat, sei still,
Und laß – ich mein es gut – von Fluch und Trotz!
Das frommte übel dir bei unserm Heer,
Denn sieh, am End versagten sie dem Kind
Begräbnis und Gesang und Totenfeier.
Hingegen, wenn du würdig bist, und schweigst,
Gönnt man dem Kindlein ehrliche Bestattung,
Und Achtung findest du bei jedermann.

Andromache:
Astyanax, mein Lieb, mein einzig Leben,
Nun tragen sie dich fort. – Ich kann nicht mit.
Wie viele schirmte deines Vaters Kraft einst,
Und seine Hoheit war ein Hort wie vielen?
Dir aber, seinem Sohn, ist sie der Tod.
Verruchtes Fest, unselige Nacht des Glücks,
Die mich in das Gemach der Liebe führte!
Nicht trug ich freudigen Schmerzes dich im Schoße,
Den ich zum Herrn der großen Asia träumte,
Daß du als armes kleines Opfer stirbst.
            Weinst du, mein Lieb, vergießest kleine Tränen,
Und weißt doch nicht, was kläglich deiner wartet!
Hängst dich an Mutters Kleider, streckst die Händchen,
Schlüpfst unter warme Flügel, süßes Vögelein!?!
Dein Vater steigt nicht donnernd aus der Erde,
Und greift nicht nach der hochgerühmten Lanze.
Kein erzgeschienter Blutsfreund kommt, kein Phryger,
Du mußt erbärmlich, Kind, dein Leben lassen.
Zum Todesturm schleppt dich ein grauser Landsknecht.
            O Sohn, in Mutters weichem Arm, Geliebtes,
O kleiner, süßer Atem mir am Munde!
So war vergebens all das traute Leben,
Die traute Freude und die traute Mühe,
Da ich die Brust dir gab, und dich betreute,
Und mich mit Leinen plagte, und dich wiegte.
Kommt her, ihr armen Ärmchen, und umarmt mich,
Zum letztenmal küßt mich, geliebte Lippen!!
Hast du mich lieb? Sie kann nicht weiter.
O Griechen, Teufel,
In allen Martern Meister, ungeheure,
Was tat dies Kind, daß ihr es müsset morden?
O Helena, du bist Zeus' Tochter nicht!
Ich nenne dich die Tochter vieler Väter,
Doch sie zu zählen reicht mein Mund nicht aus.
Der böse Geist der Welt, so heißt der eine,
Die andern Neid und Bosheit, Mord und Tod,
Und was an schwarzem Fluch die Erd erzeugt.
Nein, eines Gottes Tochter bist du nicht,
Die du die Pest aus schönen Händen streust,
Aus schönen Augen ausgießt das Verderben,
Und Elends Unmaß duftest durch die Welt.
Fahr hin!!!! Sie hält den Knaben fest an sich gepreßt.
Da nehmt ihn, reißt ihn von mir, tragt ihn fort,
Zum Turm mit ihm, und weidet euch, ihr Tiere,
An seinem Blut! Vernichtung ist der Ratschluß,
Vernichtet sind wir, und ich kann Vernichtung
Abhalten nicht von meines Sohnes Haupt.
Plötzlich gibt sie das Kind dem Talthybios – maßlos.
Zu Schiff mit mir! Ich will im Dunkel wohnen!
Schlagt Finsternis mir um das Haupt als Schleier,
Die Flut der Nacht ertränke jedes Licht!
Stolz sei die Hochzeit, die ich heute habe ...
Des Sohnes Leben ist die Morgengabe.

Der Wagen mit Andromache und Gefolge ab. – Alles prestissimo.

Siebenter Auftritt

Hekuba, Talthybios, Soldaten, Chöre.

Talthybios:
Du armes Kind, deine Stunde ist da.
Den Lippen entschwand der schmerzliche Kuß
Deiner Mutter, und weht wie ein Wind ihr nach.
Nun führt dich der Richtspruch die Stiegen empor,
Zum Turmkranz der ragenden Väter-Burg,
Dort ist dir das Ende bereitet.
Er wendet sich ab und reicht das Kind einem Söldner.
Da nimm ihn – ich kann nicht – das ist mir zu hart!
Geziemt einem Herold das Henkerswerk?
Schon schmilzt in der Brust, die doch vieles erfuhr,
Das Herz mir dahin in Tränen!

Er winkt den Soldaten, die mit dem Knaben abgehen, und folgt ihnen langsam.

Hekuba:
O Sohn, du Abbild des herrlichsten Sohns,
Dein kleines Leben – nun führen sie's fort!
Der Mutter entrissen, entreißt man dich mir.
Was tu ich, was soll ich, wie rett ich das Kind?
Wo ist eine Hilfe, hier sitz ich gelähmt,
Ein Bündel Verzweiflung. – Schon sind sie beim Turm –
Hier hocke ich hilflos und werde zu Stein.
Das ist mir vergönnt, und zu schlagen die Brust,
Drum schlag ich die Brust und die Hüfte und Haupt,
Und hebe erstarrt meine Stimme zum Ruf!
Was fehlt noch, was fehlt noch im Kranze der Qual,
Was bleibt noch, was bleibt zur Vollendung des Leids,
Gibt's noch einen Schmerz, einen Schmerz auf der Welt,
In den unser Schicksal nicht einging?!!

Sie sinkt in sich.

Wechselgesang

Chöre:
Wann steigt hinauf der Tag aus fahlem Traum?
Wir träumen Schmerz um Schmerz, und Schlaf heißt dieser Raum.
Und unsre Träne, die sich heiß ins Auge brennt,
Wird bald Kristall des Lachens sein,
Wenn das zerbissne Herz den Trug der Nacht erkennt.
Dann stürmt das morgenvolle Antlitz ein
In Trojas Freiheit und das blauerschallende Firmament.

Alte Dienerin:
Ist dies ein Traum, der mit der Nacht verrinnt?

Hekuba:
Ein Traum, in dem nur Leiden wirklich sind!

Alte Dienerin:
Was muß ich leiden? Ohne Schuld und rein?

Hekuba:
Vernimm! Nie wird die Unschuld glücklich sein!

Alte Dienerin:
Doch welche Strafe trifft die Missetat?

Hekuba:
Die wandelt stolz in goldenem Ornat.

Alte Dienerin:
So kennt nur Frevel Glück, und Güte Pein?

Hekuba:
Und doch ist gut sein mehr als glücklich sein!

Alte Dienerin:
Du wirst entblättert bald und barfuß gehn!

Hekuba:
Helena wird im goldnen Wagen wehn.

Alte Dienerin:
Du treibst die Herde, schmählich aufgeschürzt.

Hekuba:
Um ihre Glieder Purpur niederstürzt.

Alte Dienerin:
Du ißt dein Brot, wo sich die Sonne bäumt.

Hekuba:
Ihr Mahl ist stets von Schatten überschäumt.

Alte Dienerin:
So sprich, wo findest du Gerechtigkeit?

Hekuba:
Hier rufe ich sie an in meinem Leid!
Die Arme zum Himmel auf.
Doch eilt die Wolke ewig ungerührt,
Die frühe Schwalbe stürmt, der Fluß entführt
Die unerschöpfliche Welle fort und fort.
Nichts rettet mir den Enkel vor dem Mord,
Hier knie ich – rufend um Gerechtigkeit,
Und was ich rufe ist ein armes Wort.

Alle furchtbar:
Wir rufen, rufen mit dir in die unerbittliche Zeit,
Ins unerbittliche Walten: Gerechtigkeit!!
Stürze, schrecklicher Adler des Zeus, auf der Hündin Haupt,
Kommt, ihr Rosse des Meers, aus der Tiefe geschnaubt
Maßlose Schlange, die durch die Wogen schifft,
Schling dich um ihren Leib und spende dein Gift!
Der du den tödlichen Pfeil entsendest, Vater, vom Strang,
Wächter, schone sie nicht auf deinem umschreitenden Gang,
Und wo nur ein Ohr des Lebens den Namen Helena hört,
Seien die Töchter der Rache aus eisernem Schlafe gestört!!

Achter Auftritt

Menelaus mit Gefolge tritt auf. Hekuba, Chöre.

Menelaus:
Stolz leuchte diesem Tage Helios,
Da es gelungen ist, und Menelas
Hierhertritt glanzvoll schreitend und umschart,
An sich zu nehmen Helena die Frau.
Doch ihr da! Glaubt nicht, wie's die Welt vermeint,
Ich lief bis Troja einem Weibe nach!
Das war es nicht. Doch grimme Rache war es,
Zerstörte Ehre und zerrißnes Gastrecht,
Als mir die Frau der fremde Prinz entführte.
An ihm hat sich das Rachewerk erfüllt.
Den Himmlischen gefiel es so – sein Reich
Zuckt mir zu Füßen, ein zertretener Wurm.
Nun hole ich mir die Spartanerin,
Denn Gattin sie zu nennen widert's mich,
Hier irgendwo find ich sie im Gezelt
Als Kriegsgefangene, die sie ist und bleibt.
Das Heer läßt mir die Wahl, sie hier zu töten,
Und wenn ich das nicht will, sie heimzubringen.
– – – Nein, hier vor Troja soll es nicht geschehn.
Vielmehr gefällt es mir, auf meinem Schiff
Sie heimzuführen, und in meinem Argos
Zum Sühn- und Opfertod sie darzubringen
Den edlen Häusern, würdigen Familien,
Die dies Gefild mit ihrem Blute tränkten.
Er winkt seiner Begleitung, von der ein Teil dann abgeht.
He, drum ihr Knechte, auf, sucht sie im Zelt hier,
Reißt sie herbei an ihren schönen Haaren,
Die Mörd'rin, die verruchte! Gibt uns dann
Ein günstiger Gott erwünschten Fahrwind, soll
Sie heute noch zu Schiff mit uns nach Hellas!

Hekuba
wächst aus ihrem Dunkel langsam und gewaltig an:
Der du die Erde trägst, von ihr getragen,
Und thronst auf dem, was deine Schulter hält, –
Wie soll ich einen Namen um dich schlagen,
Der du ja namenlos bist, wie die Welt!?
Sag ich Gesetz, Notwendigkeit und Wille, –
Wie wird dein Sinn in Eitles eingeschenkt?!
Mir ziemt nur eins, zu knien in den versenkt,
Der wandellos in ungeheurer Stille
Jedwedes Schicksal an sein Ende lenkt!

Menelaus:
Was soll das, welch ein seltsames Gebet?

Hekuba
nähert sich dem Menelaus, indem sie ihr Gesicht verhüllt, flüsternd:
Das ist, Atride, wohlgetan von dir,
Daß du den Tod bereitest deinem Weib!
Doch nimm den Rat und hüte dich vor ihr!
Blick sie nicht an, denn Sehnsucht reißt dich fort,
Und du bist selbst Gefangner ihrer Augen,
Die mit verfemtem Zauber Städte stürzen
Und Feuersbrunst in Haus und Herzen tragen!
Wir beide kennen sie, und jeder kennt sie,
Der sie nur einmal sah, drum hüte dich!

Neunter Auftritt

Helena wird von Soldaten aus dem Zelt gezerrt. Sie ist aufs herrlichste gekleidet, mit ungeheurem Schmuck behangen, nur ihre Hände sind gefesselt.

Helena
hohnvoll und ruhig:
Was gibt es denn, daß man ein armes Weib
Mit wilden Fäusten aus dem Zelte stößt?!
Wohl weiß ich, Menelas, wie du mich haßt.
Doch mach es kurz! Was hat man mit mir vor,
Was will das Heer mit mir, und was willst du?

Menelaus
nach einer ausgekosteten Pause:
Geduld! – Der Spruch des Heers ließ mir das Recht
Zu deinem Tod. – Denn ich war das Gefäß
Für deiner Schuld gehäuftes Übermaß.

Helena:
So frage ich, vergönnst du mir zu reden?
Wenn ich schon sterben muß, will ich dir zeigen,
Wie sehr du ungerecht bist, mich zu töten.

Menelaus:
Dein Henker, nicht dein Richter, steht vor dir!

Hekuba
entblößt langsam ihr Antlitz – Helena fährt zurück – Große Bewegung:
Laßt ihr das Recht, mein Menelas, zu reden!
Allein die Antwort, Herr, verstatte mir!
Von ihren Sünden kennst du nur ein Kleines,
Ich weiß von mehr, mein Herre Menelas!
Ich weiß von mehr, mein Herr, weiß von so vielen,
Daß von den tausend Sünden, die ich nenne,
Die allerkleinste fände ihr Gericht!

Menelaus:
So mag sie reden, wenn sie reden will,
Doch die Erlaubnis, Königin, geschieht
Zu deinen Ehren! Niemals ihretwillen. –

Helena:
Obwohl es nutzlos ist, daß ich es tue,
Weil du mich hassest, König, red ich dennoch!
Und wie du tief im Herzen Klage wälzest,
So wälz auch ich im tiefen Herzen Klage!
Denn jeder Schuld, der du mich schuldig sprichst,
Hebt eine Gegenschuld das Haupt zur Antwort,
Die jäh den Schuldspruch dir im Mund zerbricht.
Vorerst, wer war die Ursach allen Jammers?
Die dort allein! Denn sie gebar den Paris. –
Und als sie schwanger ging, da träumte ihr,
Daß sie mit einer Fackel niederkäme,
Die ohne Ende einen Brand entflammte.
Der Alte wußte doch die Deutung gut,
Was ließ er seinen Sohn, den heimgekehrten,
Warum ließ Priamus den Sohn am Leben?
So trägt er Schuld an Trojas Schmach und meiner!
Und weiter hört! Ward Paris nicht zum Richter,
Als golden ihn die Göttinnen umschwebten,
Verheißung seinem Spruch in Händen tragend?
Gab ihm Athene euer Land zu Lehen,
Verhieß ihm Hera den umwogten Weltkreis,
Doch Aphrodite mich, die schönste Frau.
Und weil denn Paris ihren Namen nannte,
Ward ich sein Weib. Und nun bedenkt, ihr Griechen,
Der Ursprung allen Segens bin ich euch!
Denn ohne mich wärt ihr nicht Herrn und Sieger,
Nein, niedre Knechte und zerdrückte Sklaven.
Es schwelgte der Barbar in eurem Hause,
Und trieb euch mit dem Vieh auf Feld und Weide.
Doch mir allein ward euer Glück zum Unglück,
Und weil ich schön bin, trag ich nichts als Schande.
Und steh ich hier, das Haupt voll Staub und Asche,
Da mir ein goldner Ehrenkranz gebührt.
Murren und gefährliches Gelächter, doch ganz dumpf.
Gut denn, ich weiß schon, was du sagen willst.
Die größte Sünde will ich nicht verstecken,
Daß ich aus deinem Haus davonlief, König!
Von Aphroditens Schatten überflügelt.
Umstrahlt von Licht und Balsam ihrer Macht,
Mein Schicksal stand auf deines Hauses Schwelle,
Und Paris Alexander nannt es sich.
Du aber, Bester, ließt dein Weib allein
Mit seinem bösen Geist, und fuhrst nach Kreta.
O schändlich!! Doch genug – ich frage mich,
Und frage mich allein, und nur mich selbst:
Was dacht ich mir, als ich das Haus verließ,
Und meinem Gatten fortlief mit dem Fremdling,
Und Abschied nahm von meinem Vaterland?
Ich weiß es nicht ... du mußt die Göttin fragen ...
Sie trägt die Schuld ... ihr Wille ist geschehen ...
Was willst du denn von mir, sind ihrem Willen
Nicht untertan die Götter selbst – ja Zeus?
Und du willst mit ihr rechten, doch wo nicht,
Sieh ein, geh in dich, Mann – sei wieder gut!!
            Und daß auch nicht der kleinste Makel bleibe,
Ich ahne, was dein Schweigen zu mir sagt ...
Als Paris tot war, bannte mich der Zauber
Der Götter nicht mehr, meinst du nur mit Recht,
Und meine Pflicht war Flucht zu euern Schiffen.
O wüßtest du! – – zu Zeugen rufe ich
Die Türmer an, die Wache bei den Toren,
Sie können dir's beschwören, Zeugnis geben,
Wie nachts ich oft verwegne Seile knüpfte
An morschen Vorsprung, altes Zinnenwerk,
Um nur zu fliehn. – Doch alles war vergebens!
Und jetzt, mein Gatte, frag ich dich allein,
Hab ich den Tod verdient, darfst du mich töten?!
Sie hebt ihre Hände hoch und schüttelt die Ketten.
Das sind die Siegeskränze, die ich trage.
Mein Siegeslohn Gefangenschaft und Elend.
Und das durch mich siegt, Hellas, schenkt mir Ketten!!
Dir aber sag ich eines, Menelas,
Trotz nicht den Göttern, fürchte ihre Rache!

Die Empörung des Volkes hat mit leisem Ton die Rede begleitet, zum Schluß steigert sie sich in die wild skandierten Anapäste der Chöre.

Chöre:
O zerreiß du,
Alte Fürstin,
Diesen frechen
Huren-Irrsinn!
            Sieh, wir schaudern
Schweren Odems,
Wie sie schamlos
Worte lächelt.
            Eitel flicht sie
Schnöde Schlüsse
Ins Gewebe
Der Verdammnis.
Sprich für Troja,
Für die Deinen,
Und zerreiß du,
Alte Fürstin,
Diesen frechen
Huren-Irrsinn!

Hekuba:
So heb ich meine Stimme auf und halte
Sie vor die Himmlischen, daß nicht dein Wort
Unsterblichkeit besudle, Gleisnerin!
Wie? Also töricht war der Gottheit Walten,
Daß die erhabne Hera und Athene[*]
Das eigne Reich, den lieblichsten Besitz,
Den süßen Rauch der Residenzen ließen,
Die hohen Schönen Argos und Athen
Dem gold- und rauhgemuten Phryger schenkten,
So leichthin um ein Spiel der Eitelkeit?
Und gar um dieses eitlen Spieles willen,
Wer wähnt, daß sie geschmückt sich sinken ließen
Auf Ida, einen Hirten zu entzücken?!
Wo fände denn Begehren einen Ort,
Wo wirkte Lüsternheit in der Erhabnen,
Die an der Seite schläft dem höchsten Zeus?
Wann heischte Pallas jemals einen Gott
In ihr gewölktes Bett, die eines nur
Vom Vater fleht, nur eins, Jungfräulichkeit?!
Nein du! Mit Klugen sprichst du, Ausgewitzte,
Häng Narrenkleider nicht um Götterschultern,
Damit man, Falsche, deiner selbst vergißt!
Und fürder auch, daß meinem armen Sohn
Das Wunder Aphroditens überschwebte,
Als er das Haus des Menelas betrat?!
Wie gar zum Lachen – wollte nur die Göttin,
So hätte sie das Haus und dich und ihn
Von ihrem Sitz des Himmels, leise hauchend,
Gelassen bis nach Ilion verweht.
Mein Paris war ein Gnadenbild der Schönheit,
Vor allen Jünglingen begabt und herrlich,
Du sahst ihn und warst selber Aphrodite,
Denn Sterbliche benennen allzuleicht
Die Wollust ihres Herzens – Aphrodite.
Du sahst ihn, wie er auf der Stufe stand
In Asias Panzer, haargeschmückt und lodernd;
Da waren deine Sinne toll und trunken,
Und du gedachtest deines kargen Spartas,
Und Troja schien dir ein gepriesnes Schiff
In einem Meer von Gold und Wein. Das Haus
Des Menelas und seine arme Wirtschaft
War deiner großen Sucht schon längst verhaßt,
Und deine Launen brauchten andre Schätze!
Du redest von Entführung? – Ihr Argiver:
Wer weiß davon? Wann schriest du denn um Hilfe,
Als du dich sträubtest wider meinen Sohn?!
Warum denn riefst du deine Brüder nicht,
Kastor und Pollux, die noch nicht dem Himmel
Vermählt als Sterne unter Menschen weilten?!
            Und als du kamst nach Troja, ehern dröhnte
Das Heer der Griechen deinen Spuren nach,
Speerkampf hub an und manche Feldschlacht donnernd –
Was tatst du, Brunnen tausendfachen Tods?!
            Ward uns ein Sieg von Menelas verkündet,
Begannst du stolz ein Siegeslied zu singen
Auf diesen deinen Gatten, denn du wußtest,
Das kränkt den andern, lockt die Eifersucht.
War aber uns das Glück der Schlacht gewogen,
Wie war dir da dein Menelas so gar nichts!
Ein Ziel bloß wußtest du – das warst du selber –
Und kanntest eins auf Erden nur – dein Glück! –
Des warst du sehr bestrebt, und ahntest nicht
Das Wort der Ehre und den Spruch der Tugend!!
Und was erzählst du, Elende, du hättest
An Zinnen Seile knüpfend, dich zur Nacht
Versucht hinabzulassen am Gemäuer!
Wo traf man je dich an, die Schlinge prüfend,
Wann schliffst du einen Dolch, denn dies geziemte,
Und dieses eine nur, sich selbst zu töten,
Der treuen Frau, verzweifelt und voll Sehnsucht
Nach ihrem Gatten! Und wie kam ich selber,
Wie oft zu dir, bewegten Herzens sprechend:
Willst, liebste Tochter, du den Krieg nicht enden?
Verlaß uns, flieh uns, lös den argen Eh'bund,
Ich bitte dich – den Sohn versorg ich anders –
Ich will dich selber insgeheim und treulich
Ins Lager bringen zu Achajas Schiffen! –
Dies war dir nicht bequem – dich freute
Des Ostens Purpur und die Üppigkeit
In Alexanders Haus. Das war dein Stolz.
Wenn dir der Phryger deine Füße küßte,
Die Asia entfaltend deinen Lüsten,
Wie tat das wohl, gewandet und behangen
Mit Kleinod ohne Maßen hinzuwandeln!
Das war dein Leben, und du wagtest es
Zum gleichen Äther lächelnd aufzublicken
Wie dein Gemahl, o du abscheulich Haupt!!
Das wagtest du! Und jetzt, anstatt in Demut,
Das Kleid zerschlissen, schlotternd unter Frösten,
Mit skythisch abgeschornem Haupt, und elend
Vor Angst, vergehend in Züchtigkeit,
Und jeder Scham teilhaftig dazustehen,
Übst du die Kunst der Frechheit bis ans Ende!!
            O Menelas, an dich mein Wort zuletzt!
Bekränze Hellas' Sieg und deine Würde!
Die töte hier und drücke das Gesetz
Der Zukunft auf die Stirn: Tod sei die Strafe
Für jedes Weib, das ehbricht und verrät!

Chöre:
Schmählich, o König,
Spottet Achaja,
Nennt mit Gelächter
Weib dich und Hahnrei.
Räche die Ahnen,
Häusliche Ehre,
Räche, und töte
Dies Verderbnis!
Siehe, dann preist dich
Nicht nur Achaja,
König, dann preisen
Die Feinde dich auch.

Menelaus:
Du sprichst die Worte meines eignen Herzens,
O Fürstin Hekuba! Zu ihrer Freude
Verließ mein Haus sie, ohne Zweifel willig,
Und schlägt den Namen Aphroditens nun
Als Schleier falscher Unschuld um das Haupt.
Zur Steinigung mit ihr! So gnädiger Weise
Bestraf ich sie durch einen kurzen Tod
Für unermessnes Leiden meines Volkes,
Und meine Schande fahr mit ihr zur Hölle!

Helena auf den Knien:
Hier liege ich im Staub vor dir und flehe
Um Gnade nicht, nur um Gerechtigkeit.
Unschuldig bin ich an der Schuld der Götter.

Hekuba:
Erhörst du sie, so tötest du die Freunde,
Die sie dir mordete in tausend Tagen,
Nochmals! Drum fühle meine Stimme an!
Vom Rande meiner Worte ruft dir jetzt
Die aufgestiegne Schattenschar ein Wehe!

Menelaus:
Genug von der da! Sie ist längst gerichtet,
Kein Schlag des Herzens mahnt in mir zur Gnade.
Obristen, bringt sie auf mein Schiff, in Eile!
Und rüstet unsern Aufbruch, hört ihr, hurtig!
Ein Teil des Hofstaats mit Helena ab.

Hekuba:
Aufs selbe Schiff mit dir? Das darf nicht sein!

Menelaus:
Warum denn nicht? Ist sie zu schwer geworden?

Hekuba:
Nie mehr darfst du sie sehn! Wo Liebe war
In einem Herzen, brennt sie immerdar!

Menelaus:
Nur miß die Treue an dem Grad der Glut!
Doch ich gehorche dir, dein Rat ist gut.
Ein andres Schiff für sie! – Ich schwör's bei Gott,
Auf Argos' Strand erbau ich das Schafott.
Dort fällt ihr Haupt. Und das geschieht gerecht,
Zur Sühne ihr, zur Warnung dem Geschlecht!
Das Weib zu bessern? Gar ein eitler Mut!
Doch schafft dies Beispiel Furcht, und das ist gut.

Ab mit Gefolge.

Chorlied

Erster Chor:
Also gabst du den Griechen preis,
Vater, den Tempel und heiligen Kreis!
Wo Opferbrot flammt, und der Myrte Blatt,
Silbernes, zitterndes raucht.
Und die Burg und den Berg
Ida, Ida, stürzend mit Schneegewässern ins Tal, tausendumlaubt,
Wo der Sonne morgendlich wallendes Haupt
Donnergetränkt, heilig, auftaucht
Übers rasende Meer und die Stadt.

Zweiter Chor:
Preisgabst du der Opfer Pracht,
Vater, das Fest und die heilige Nacht.
Und der Sänge Hall und den Zug und das Licht
Und der Bilder erhabenes Gold,
Des wandelnden Monds
Zwölfmal heiliges, phrygisches, zwölfmal gefeiertes Fest.
Weiß es der Vater, der durch die Himmel rollt
Und auf ewige Stühle sich niederläßt,
Daß seine Stadt ihm zu Füßen zerbricht!?!

Erster Chor:
Mein Gatte, wo irrt dein Schatten umher,
Da dein Leib ohne Grab unterm Himmel liegt?
Mir schwankt schon das Schiff, der Vogel im Meer,
Und schlägt mit den Flügeln der Ruder und fliegt.
Fliegt es nach Argos, wo Stein an Stein
Mauern gewaltig und wild in den Himmel baut?
Schon hör ich die Kinder mein,
Die Schar vor den Toren weinen mit kleinem Laut:
Mutter, Mutter und wieder, bis alles verlischt.
Und ich bin allein,
Und nur Schiff ist um mich und Gischt.
Das Bläuliche trägt mich fort,
Und schon hebt sich Salamis' heiliger Ort
Aus dem Blau, und es bäumt sich empor
Der isthmische Berg dort,
Und Pelops öffnet sein Tor.

Zweiter Chor:
Wenn dein Kiel durch die Mitte des Meeres schäumt,
König! Dann zücke der Himmel den Blitz, wie ein Schwert,
Daß er splitternd dem Schiff in die Weichen fährt,
Und zu Tode verwundet der Bord sich bäumt!
Weil's mich von Ilions Ufern löst,
Und als Magd in die furchtbare Fremde stößt!
Helena aber taucht
Ihr Antlitz ewig in goldene Spiegel ein,
Augenweide der Mädchen! Von keiner Pein
Ist ihre Stirne umraucht.

Beide Chöre wild:
Drum kehre nimmermehr ein,
König, in Burg und erhabene Stadt,
Und der heimische Tempel sei dir verwehrt!
Wehe der Hure, die uns zertreten hat,
Und uns nicht allein,
Auch dich bespeit und entehrt.

Zehnter Auftritt

Talthybios, Trabanten mit dem Leichnam des Astyanax, Hekuba, Chöre.

Talthybios:
Schon ist gewärtig, Herrin Hekuba,
Das letzte Schiff des Neoptolemos
Lösenden Ruderschlags. Das trägt die Beute,
Die noch zurückblieb, seinem Herren nach.
Er aber selbst, bedrängt von schwarzer Botschaft
Aus Peleus, seines Ahnen Reich, verließ
Den Hafen schon, mit ihm Andromache.
            Noch ist mein Herz voll Tränen, Königin!
Wie ich die Arme sah, starr auf dem Deck
Stand sie, als sich das Schiff vom Ufer löste,
Und hub die Hände auf und immer wieder
Zu Hektors Grab hinüber, und bewarf
– Allmählich schon verblassend, immer ferner
Und kleiner Hauch zuletzt – den lieben Hügel
Unsäglich mit den Blumen ihrer Klage.
Nur eins gewährte Pyrrhus ihr. Sieh her!
Hier deines Hektor Sohn, die kleine Leiche,
Die sollst du nun begraben, alte Frau!

Er nimmt den Leichnam des Kindes seinen Kriegern aus der Hand und legt ihn Hekuba in die Arme. Ein Soldat reicht ihm den Hektorschild. Talthybios hält ihn hoch empor.

Und diesen Schild läßt dir Andromache,
Den vor die Brust so oft sich Hektor warf,
Erzbrüllend und zum Schrecken der Achäer.
Sie läßt ihn dir, daß er nicht herzzerreißend
Ihr hange überm Herde des Peliden.
Und nicht im neuen Schlafgemach, wo sie,
Ein Stein des Grams, sich bald zu ruhen anschickt,
Darum sollst du das Knäblein ihr bestatten
In dieses Schildes Wölbung, und er diene
Als Truh von Zeder und als Mal von Marmel.
Und kann sie selbst das Werk der Lieb nicht üben,
So kleide du das Kind ins Leichenhemde,
Und häuf den Totenschmuck zu seinen Häupten,
Wie's dir dein Herz gebeut und Schicksal zuläßt.
            Ist dann das Kleine aufgebahrt in Ehren,
Und trägt es Binden, Totenkranz und Schleier,
Dann will ich mich mit meinen Söldnern eilen,
Das Grab zu schließen über die Bestattung.
Doch säume nicht! Schon singt die Ankerkette
Voll Ungeduld das rasche Lied des Abschieds.
Der Mühe hast du wenig – denn die Waschung
Von Blut und Staub versorgten wir getreulich,
Und rüsteten ein Bad dem armen Kind hier
In einer Furt des hurtigen Skamander.
            Jetzt gehe ich das Grab zu graben, Mutter,
Und wenn du nicht verziehst, schwebt bald das Schiff
Auf des Okeans purpurnem Gefilde.

Ab mit Söldnern.

Hekuba:
Legt auf die Erde dieses Schildes Treue,
Der oft mein mütterliches Lächeln abends
Mit guter Freude füllte und jetzt schrecklich
Sein Bildnis ins verbrannte Auge hängt!
O Griechen, Wilde! Mehr begabt mit Fäusten,
Als wie mit Seele. Was euch so bedrohte
Und eure Macht, ein Kind war's, sündenlos.
Dies Kind, in dessen Well der Himmel spielte,
Der lautere Beginn, umsäumt mit Blumen,
Erschreckt euch also, daß ihr unbeschreiblich
Und scheußlich euch mit seinem Blut bespritztet.
Dies Rehlein hier, zerbrochen und vergossen,
Dünkt euch Gefahr und Wiederkunft der Troja.
Wie macht doch dieser Mord euch selbst zunichte!
Wenn wir erlagen, als noch endlos Hektor
Durch das Gefilde dröhnte, und die andern
Mit phrygischem Gesang euch überschäumten,
Und dennoch wir erlagen, aber jetzt
Ein Kind den Mut euch wegweht und die Einsicht.
Ah! Nichts auf Erden ist mir so verhaßt,
Als die Vernunft, von scheeler Furcht geschändet,
Und ein Gewissen, umgestürzt von Angst!
            Wie kläglich starbst du, Seelchen, ohne Sünde,
Ja, wärst du deinem Reich dereinst als Jüngling
Dahingesunken, angetan mit Herrschaft,
Und hättest du gekostet Frauenliebe
Und alle Wonne dieser Sterblichkeit,
Wie priesen wir dich glücklich, denn in Einfalt
Nennen wir Glück, was Glück auf Erden ist!
            Nun sahst du kindlich deines Hauses Güter,
Vergossne Seele, und genossest nichts.
Du armes Köpfchen, weh, wie fürchterlich
Schor dich der Stein des väterlichen Turmes!
Dies Haar, das deine Mutter abends kämmte,
Mutwilliges Gelock, von ihr geschlichtet,
Wie blutig klebt's zusammen, und den Scheitel,
Liebkost von Sanftheit, wie unsagbar gräßlich
Hat ihn der Tod zerstampft! Ihr Händchen, kleine,
Ihr zeigt von künftiger Kraft des Vaters Bildung,
Nun hängt ihr schlaff, zersplitterten Gelenkes!
O Mund, geliebter, bist du mir erloschen,
Und logst du, wenn du plaudertest am Morgen:
»Hör du, Großmutter, Altes, stirbst du einmal
Und liegst im Grab«, so sagtest du, »dann komm ich,
Und alle Jungen kommen mit mir, Mutter,
Mit heiligem Wein und feierlichen Schrittes!
Ich schneide meine Locken ab und streue
Sie dir aufs Grab und rufe dich in Treuen.«
Nicht ist's an dem, daß du an meinem Grabe stehst,
Du kleines Kind, ich muß ins Grab dich legen.
Ich Alte, heimatlos und ohne Kinder,
Alleingelassen, wie nichts mehr allein ist.
            Dies alles ist dahin, was mich besorgte,
Die Pflege, Spiel und Kuß und viele Mühe,
Da du an meiner Brust schliefst, und die Nächte
Durchwacht bei deinem Fieber, alles, alles!
O Dichter, du der Zeiten, komm und schreibe
Zu Häupten dieses kleinen Grabs die Inschrift:
Die Griechen töten Kinder, die sie fürchten ...
Und sei der Spruch ein Mal von Hellas' Schande!!
            Da ist die ganze Erbschaft, die dir bleibt,
Der Schild hier, der dein letztes Lager ist.
Ihn trug dein Vater, mit gewaltigem Arme,
Der nicht mehr seine liebe Waffe hütet.
Was ist das, hier erblick ich noch am Riemen
Den teuern Druck der Hand, hier an der Wölbung
Den dunklen Fleck, von edlem Schweiß gebräunet,
Der von der Stirne lief, wenn wild im Kampf
Der Sohn das Kinn auf diese Kante stemmte ...
... O Frauen geht und bringt den Totenschmuck,
Wie's uns beschieden ist, so karg und sparsam.
Die Huld des Himmlischen vergönnt nicht mehr.
Nimm's an, mein Kind! – O Tor der Toren,
Der je sich freut und einmal glücklich ist!
Besessen ist das Schicksal. An Verrücktheit
Gleicht's nur dem Menschen selbst, denn es springt um,
Ein wankelmütiger Wind, und nimmerdar
Ist einer glücklich, der es einmal war.

Erster Chor:
Wir bringen, wir bringen
Von phrygischen Dingen
Geheimen, geringen
Verklingenden Schmuck.
Die Binden zu winden,
Ums Haupt dir zu schlingen
Zur Feier die Schleier,
Zu tanzen, zu singen,
Dir sei es genug.

Die Frauen legen den Schmuck in einem Haufen zu Hekubas Füßen.

Hekuba:
Nicht einem Jüngling, noch vom Wettkampf schwebend,
In dem er andre Jünglinge besiegte,
Mit dampfenden Rossen, oder Pfeil und Speerschuß,
Bringt dir die Ahne diese Dinge dar,
Die einst dein eigen, ehe Helena
Die Fürchterliche dir das Leben raubte,
Und alles raubte, und das Haus zerbrach!

Sie beginnt, das Kindlein zu kränzen.

Zweiter Chor:
Du zerschlägst, du zerschlägst
Mir das Herz, mir das Herz,
Wenn mit Kranz, wenn mit Reif
Seine Stirn du ihm krönst.
Der hier liegt im Gewind
Unterm Laub seines Tods,
War zum Stern schon gesalbt
Und zum Herrn seiner Stadt!

Hekuba:
Hier dies Gewand, purpuren, hochzeitlich,
Für dich bestimmt, wenn du die hehrste Braut
Von Asien heimgeführt, jetzt deckt es, Kind,
Den Schlaf dir zu. Und du auch, Schild
Des Hektor, hochberühmter, würdiger,
Erlauchter Siege Vater, nimm ihn hin
Den letzten Kranz! Du wirst nicht untergehn,
Gehst du auch unter mit dem Kinde hier,
Denn solcher höchsten Ehre bist du wert,
Mehr als die Wehr des tückischen Odysseus.

Sie fährt in ihrem Werk fort.

Beide Chöre:
Bald fährst du zur Erde,
Wir sehn dich nicht mehr.
Kind, Kind, – so dahin!
O Mutter, heb an!

Hekuba ganz lange:
Weh – – – – – –

Chöre:
Sing weiter das Lied!

Hekuba noch länger und stärker:
Weh – – – – – – – –

Chöre:
Kein Ende!

Hekuba tut die letzten Binden um den Schild:
So mit Verbänden schließ ich deine Wunden,
Ich armer Arzt, zu heilen nicht geschickt,
Und mag dein Vater dich dort unten pflegen!

Chöre:
Nun heb die Hände,
Und schlag mit Schlägen
Dein Haupt – Weh!

Hekuba hat ihr Werk beendet. – Plötzlich mit anderer Stimme:
O Frauen, liebe!

Alte Dienerin:
Wo bist du, Hekuba?!

Hekuba langsam:

Die Götter wußten keine andre Huld
Für uns und für die Stadt, als Qual und Tod.
Umsonst die Opfer – doch ich opfre neu,
Und auf den Knien lieg ich hier, und danke!
Den Göttern dank ich mit der letzten Flamme,
Die in mir ist, denn sie zerstörten uns.
Nur die ihr schont, o Götter, tötet ihr,
Von ihnen weiß die Muse nichts, und nicht
Verwelkt die Zeit an ihrem Hauch! Kein Lied
– O Schiff der Ewigkeit – trägt sie dahin!
Wir aber werden durch Gezeiten wachsen,
Und rächen uns an den Unsterblichen
So durch Unsterblichkeit! –
Unterdessen sind einige Söldner zurückgekommen.
Faßt an, und tragt ihn fort! Ich schmückte ihn
Wie es vergönnt war. Doch ich weiß zu gut,
Was schiert die Toten Kranz und Sang und Schmuck?
Mit einem prächtigen Begräbnis schmückt
Die Eitelkeit sich nur, die leben bleibt!
Die Leiche wird fortgetragen.

Elfter Auftritt

Eine Kriegsgefangene, umdrängt von einer wirren und heulenden Schar Frauen, gleich darauf Talthybios mit einer überaus großen Mannschaft. Alle Soldaten tragen in Händen Brandfackeln und große Geräte. – Talthybios und Gefolge sind etwas höher gruppiert, so daß Fackeln und Stangen weit über die Köpfe der Frauen ragen. – Nach und nach füllt sich die Landschaft mit tausendfachem Fackellicht.

Die Kriegsgefangene:
Seht dort, seht dort!
Auf den Zinnen der Feste
Feurige Männer.
Sie fliegen unterm Gewölk!
Was soll's? Welch neue äußerste
Prüfung rüstet sich dort?!

Talthybios tritt vor, viele Hauptleute um sich versammelnd, die Chöre erheben sich, alles drängt näher:
Hauptleute! Der Befehl ist euch bekannt.
Ihr seid bestellt, die Stadt des Priamus
Mit euren Bränden zu besuchen! Auf,
Und säumt mir nicht, streut euer Feuer
In jedes Haus, und wenn der Sturz erdröhnt,
Sei das der Ruf zum Aufbruch unserer Schiffe!

Die Hauptleute, Soldaten von allen Seiten mit Bränden die Fläche zur Burg empor. Überall Licht, großes Hellerwerden, die Horizonte bluten, Troja nach und nach in Flammen.

Und nun zu euch, ihr Frauen! Wenn die Trompete
Im Lager aufspringt, heißen euch die Fürsten
Zu Schiff. Darum nehmt kurzen Abschied jetzt!
Doch du, o Königin Hekuba, Schoß der Schmerzen,
Gehst gleich mit uns! Sieh diese Boten an!
Odysseus sendet um die beste Beute.

Hekuba:
Spitzfindiges Ende! Letzter Berg des Jammers!
Die Heimat hängt mir Fahnen aus zum Abschied.
Drum wend ich den erstarrten Mund zum Jubel.
            Auf, auf, mein morscher Fuß zum letzten Tanz nun,
Hekuba grüßt dich, mein glückseliges Troja,
Erhabener Name, herrlichste Barbarin,
Bald schon ein Rauch, in wüste Luft verblasen!
Und nun heißt's Knechtschaft, wie die Götter wollen.
Doch ich will's anders, und ich fluche ihnen,
Und fluche ihnen mit dem letzten Atem!
Schon jauchzt der Tod mir köstlich durch die Glieder,
Ich fliege, schwebe, wehe dir entgegen!
Geliebte Stadt, als deine hell'ste Flamme
Will ich mich jauchzend bis zu Ende taumeln!

Mit trunken gebrechlichen Schritten eilt sie ein wenig empor, die beiden Wogen der Chöre gießen sich ihr nach. Talthybios und die Söldner, die ihm noch geblieben sind, drängen langsam alle zurück.

Talthybios:
Zurück, unselige Greisin, dich verrückt
Das Übermaß von Weh! Haltet sie fest!
Bei eurem Kopf, ihr haftet dem Odysseus!

Hekuba:
Vater, himmlischer Vater,
Phrygiens Vater, Vater unser!
Siehe uns Enkel!
Siehst du die Enkel,
Duldest du, duldest das?!

Chöre:
Er sieht uns, er sieht uns,
Und duldet die Flammen,
Und tobet gräßlich
In seiner ungeheuren Stadt!

Hekuba:
Sieh doch, sieh doch!
Juchhe, wie die Feuer sich jagen,
Die Türme beben und schwanken,
Die Zinnen, lustige Tänzer
Springen, springen herab.

Chöre:
Auf den Adlern des Windes
Stürmt mächtiger Qualm,
Feuer, Feuer rennt
Durch thronenden Palast.

Hekuba:
O Erde, du, die meine Kinder nährte!

Chöre:
Oh!–-

Hekuba in die Erde rufend:
O hört, ihr Kinder unten, eure Mutter!

Chöre:
Ja grüße jammernd deine Toten!

Hekuba auf den Knien:
So werf ich meine Knie auf die Erde,
Und schlag die Erde, schlag mit beiden Händen.

Chöre:
So tu auch ich, und schlag und schlag die Erde,
Und rufe meinen Gatten in die Tiefe!

Auch die Chöre werfen sich nieder und schlagen langsam und fürchterlich den Boden im Takt.

Hekuba:
Verloren, verraten!

Chöre:
Die Heimat zerbrochen!

Hekuba:
Priam, wo ruhst du,
Grablos und ohne Wacht!
Wie bin ich dir fremd jetzt,
Du weißt nichts von mir.

Chöre:
Er starb und ist heilig
Und weiß nichts von uns.

Hekuba:
Weh euch ihr Tempel!

Chöre:
Weh – – –

Hekuba:
Ihr hemmt nicht den Feuerspeer!

Chöre:
Namenlos, namenlos bald
Stürzt ihr aufs braune Land!

Hekuba:
Bald schwingt sich der letzte Rauch
Leicht in die Luft, und nichts
Nennt mir die Heimat mehr.

Chöre:
Bald ist dein Name aus,
Menschen vergessen bald,
Troja war niemals da!

Explosion und Zusammensturz der Burg. – Ein langer Schrei.

Hekuba:
Was war das?

Chöre:
Wehe die Burg!

Hekuba:
Vernichtung –

Vom Lager her beginnt eine ungeheuere Musik. Fanfaren, hohe Flöten und Trommeln, immer näher kommend, dazwischen ein eiserner Marschlärm.

Chöre:
Hört ihr –hört ihr!?!

Die Musik wächst immer mehr.

Hekuba hat sich aufgerichtet. Sie geht einige Schritte nach vorn und tritt auf irgendeine Erhöhung, wie auf ein Postament. Alle Frauen fluten an ihr empor, wie an einem Riff. Sie steht ganz in einem schwarzen Licht. – Plötzlich bricht die Musik ab:

Ihr alten zitternden Füße geht den Weg,
Wie er vor euch liegt, denn hier ist nicht mehr
Ein Recht zum Tod. Seht her, so nehme ich
Mein Leben an die Brust und trag's zu Ende!!
Nun zu den Schiffen! –

Eine neue Woge von Feuer und Fanfare verschlingt das Bild.


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