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Unter den Heerden Jupiter's war bekanntlich die zu Elis eine der vorzüglichsten. Sie war es, anus deren Wolle die berühmten Unterröcke der Frau Juno gesponnen worden.
Einst fuhr der Satan unter sie. Die Schafe bekamen das Drehen oder den Tollwurm. Alles lief unter und über. Man kündete Jupitern den Schutz auf, man verjagte die Hirten, man schwur sich eine eigene Regierung einrichten zu wollen – und das Alles aus dem Rechte der Natur und der Schafsfreiheit.
Ginige Wölfe, die hinter den Schafställen verborgen lauerten, bemerkten diese Wuth. Flugs zogen sie Schafskleider an und gaben sich für Volksfreunde aus. Courage! riefen sie, der Zeitpunkt ist gekommen sich frei zu machen. Eure Tyrannen begnügten sich nicht damit, daß ihr eure Felle dem Olymp zum Opfer bringt, sie wollten euch auch, unerhörte Barbarei, in der Dummheit erhalten! Das heißt, man will euch das Hirn noch anbohren und Schröpfköpfe an die Ohren setzen!
Nun ward der Aufruhr allgemein. Zu den Waffen! So hallte es durch die ganze Heerde. Jeder versah sich mit einem Hafersack und steckte eine Kokarde sammt einem Federstutz auf. Schlau hielten sich die Wölfe hinter der Heerde, um die armen Schlachtopfer, welche im Felde blieben, für sich einzutreiben.
Voll Rührung und erhabenen Mitleids blickte Jupiter auf diese Verwirrung herab. Er schickte ihnen zuerst den Pan, daß er ihnen auf der Flöte vorpfeife und sie zur Ruhe bringe. Da dies nichts half, befahl er dem Aesculap seine Kunst zu versuchen.
Umsonst. Beim Anblick des Gottes der Aerzte fiel den Schafen der Trepan ein, und diese Vorstellung machte sie rasend. Sie stießen die Köpfe zusammen und stürmten dem Himmelsboten entgegen.
Da erzürnte sich Jupiter. Er schüttelte die Locken seines Hauptes, und plötzlich war die Schafheerde zerstoben. Die Wölfe fanden ein Loch im Sacke.
Und so ungestraft lässest Du sie davon kommen? fragte der Götterrath.
Aber, antwortete Zeus, würde mir ihre Haut den Schaden ersetzen?
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Einst fiel es dem Großmogul von Indostan ein alle Fakirs zu bewirthen. Kaiserliche Eilboten gingen in alle Klöster und auf alle Straßen dieses unermeßlichen Reichs, die ganze Familie der Bettelpfaffen zu einem Gastmahle einzuladen, das ihnen das Oberhaupt des Staats an seinem Geburtstage zu geben beschlossen.
Eine unzählbare Menge Fakirs aller Farben, in weißen, grauen, schwarzen, braunen, scheckigen Kutten fand sich ein. Das Mahl war auf's Leckerste zubereitet. Die geistliche Heerde ließ sich's schmecken, sie ward munter, sang, pfiff, scherzte. Und nichts war lustiger als dem Tanze beizuwohnen, womit sich das Fest endigte, die Bettler und ihre zum Theil sehr zerfetzten Gewänder herumfliegen zu sehen.
Da erscheint der Großmogul, und die Gesellschaft wird bestürzt. Sein ernster Blick versteinert die Anwesenden, und sein majestätisches Aeußere befiehlt ohne Weiteres ehrfurchtsvolles Schweigen. Alles greift zum Rosenkranz, um die Begriffe des Herrschers zu betrügen.
Nachdem dieser durch einen dreimaligen Blick gen Himmel seine Anbetung Brama's ausgedrückt, hält er folgende Ansprache:
»Ehrwürdige Gefährten der Gottheit, welche Indostan verehrt, empfangt den Dank eures Dieners für die Gewogenheit mit seinem Gastmahl vorlieb genommen zu haben. Niemand hegt aufrichtigere Ehrerbietung für die Würde eures Berufs und die Heiligkeit eures Wandels als ich. Ich sehe, daß ihr euch eures göttlichen Meisters vollkommen würdig zu machen sucht, indem ihr alles Fleischliche verachtet, allen Sinnenreiz verabscheut. Mit Bewunderung betrachte ich eure vom Ungeziefer beschwerten Kutten, eure von Geißelungen zerfetzten Schultern, und den Unrath an euren Hälsen und Händen.
Traute Freunde Brama's! Lange genug habt ihr eure Demuth erwiesen, lange genug der Natur zuwider gehandelt und eure Menschlichkeit verleugnet. Tretet wieder in eure Rechte! Fort mit diesen Lumpen, denn sie sind der Gottheit unwürdig! Man bringe die Garderobe herbei, die ich für meine werthen Gäste bestimmt habe! Da ich weiß, daß ihr ohne Geld lebt um euch brauchbare Kleidung gegen Hitze und Frost zu schaffen, und mir an eurer Erhaltung sehr gelegen ist, so ersuche ich euch von mir solche anzunehmen, als ein Geschenk, womit ich dieses Gastmahl zu vervollständigen gedenke.«
Nach diesen Worten treten Sclaven herein, welche seidene und tuchene, gold- und silberverzierte Gewänder ausbreiten. Die Fakirs verschmähen sie. Aber vergebens sträuben sie sich, die geschäftige Höflichkeit der von Soldaten unterstützten Sclaven hat sie schnell entkleidet. Der Großmogul läßt dann Wagen herbeikommen, um die Fakirs, denen die Thränen über die Wangen herabströmen, einzupacken und an Ort und Stelle zu schaffen.
Nachdem die Säle geleert sind, befiehlt er die alten Kleider aufzuschneiden, und man findet einen ungeheuren Schatz von eingenähten Goldstücken und Juwelen, welche der Großmogul seinem Schatzmeister mit den Worten zur Aufbewahrung übergiebt: »Lerne, wie die Gottheit belohnt, was man an den ihrigen thut!«
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Die Welt ist ein Wirthshaus, und wir sind Trunkene, die bei ausgelöschten Lichtern darin herumtappen.
Hirkan, ein Einsiedler an der Quelle Ida, bat einst die Gottheit, daß sie ihm den Weg zur Wahrheit zeigen möchte. Die Gottheit winkte einem Engel. Dieser nahm ihn und stellte ihn auf die Spitze des Kaukasus.
Vor sich erblickte er ein Thal. Dort lagen Menschen zu Tausenden in tiefstem Schlafe. Zur Rechten sah er einen finstern Wald voll Hohlwege, Kreuzpfade und Labyrinthe. Man hörte schmetternde Töne wie von wilden Jägern. Die Wanderer drehten sich in unaufhörlichen Cirkeln. Zwar war der Wald mit Wegweisern versehen, aber wer sie auch verstehen konnte und ihnen nachging, gelangte zuletzt an eine hohe Mauer. Hier stand er, er vermochte nicht sie zu übersteigen. Zur Linken zog sich ein etwas lichterer Hain dahin. Er schien mit schnurgeraden Straßen durchbrochen zu sein. Treppenweise stieg man einen Berg hinan. Hatte man aber dessen Spitze erreicht, so öffnete sich dem Auge ein unermeßliches Meer mit tobenden Wogen, Schlünden, Wirbeln, Klippen und Abgründen zum Grausen. Wer sich ohne ruhiges Augenmaß darauf wagte, der war verloren. Mitten durch indeß ergoß sich ein Fluß, so wie der Rhein durch den Bodensee strömt. Den mußte man genau verfolgen. Es erforderte freilich Arbeit; allein mit dem Compaß in der einen und dem Senkblei in der andern Hand ließ sich fortsegeln.
Jenseits dieses Meeres nun, in unerreichbaren Fernen, gewahrte man ein Land. Nebel bedeckte es so dicht, um ein dahinter verborgenes Licht gerade durchschimmern zu lassen. Ob dies Land bewohnt war, das ließ sich nicht errathen. War dem jedoch so, mußten es Geister sein, welche dort hausten, keine Menschen. Ewige Ruhe blickte hervor.
Das Thal, erklärte hierauf der Engel dem Einsiedler, ist das Thal der Einfalt . Die Du dort schlafen siehst, nennt man die Gläubigen.
Der Wald ist der Wald der Demonstrationen. Was Du für wilde Jäger nahmst, das sind Logiker, Systematiker und Kirchenväter.
Der Hain ist der Aufenthalt der Probabilitäten.
Das Meer ist die See der Zweifel, getheilt vom Strome der reinen Vernunft.
Das Land dahinter ist das Land der Wahrheit. Hier hast Du einen Wanderstab, geh' und siehe, wie Du es findest!
Der Einsiedler warf sich in den Staub. Unerforschliche Götter, rief er, wie darf es ein Sterblicher wagen, in den Nebel zu dringen, womit ihr euch umhüllt habt! Wie sollten die Augen eines schlichten Erdenwallers das Licht ertragen, in dessen Quelle die Wahrheit thront. Nimm Deinen Stab zurück, erhabenes Wesen, und laß mich schlummern im Thale der Einfalt.
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Hafiz-Rhamid war einer der berühmtesten Sultane zu Kandahar. Sein unermüdlicher Trieb ging dahin, sein Volk groß und glücklich zu machen, indem er es aufklärte. Diesem Triebe opferte er seine Ruhe, seinen Schatz, sein Dasein. Er errichtete zu diesem Zwecke eins der schönsten Heere, belebte den Handel, gründete Volksschulen und goß in alle Theile der Regierung Geist. Tausend neue Gesetze, wovon das letzte immer das Meisterstück zu sein schien, reichten einander die Hand.
Aber das Erzieherhandwerk ist undankbar. Vergebens sagen die Philosophen, daß der Mensch von Natur ein gutartiges Thier sei: der lebendige Beweis, daß er von Natur bösartig, ist der, daß er immer seine Wohlthäter verfolgt hat.
Zu Kandahar war zum Beispiel der Gebrauch, daß wenn die Bauern etwas zu Markte schafften, sie die Waare auf die eine Seite ihres Esels und auf die andere eben so viel Steine luden. Hafiz gab die Verordnung, daß fernerhin die Waare in zwei Gleichgewichte vertheilt, mithin dem Lastthier eine doppelte Lieferung aufgeladen werden solle. Hierdurch gewann der Landmann Zeit und Geld, und das Thier Erholung.
Zur Unterstützung dieser Verordnung ließ der Kaiser auf seine Kosten eine Tragkorbfabrik anlegen; denn er wußte allzuwohl, daß man den Menschen immer den Leuchter neben das Licht stellen müsse.
Sollte man nun nicht glauben, daß eine so einfache, einleuchtende und nützliche Anordnung den allgemeinsten Beifall gefunden haben würde? Nein, die Kandaharen fluchten, schrien über Neuerungen, über Tyrannei. Sie behaupteten, das Gesetz ziele dahin, die kaiserliche Korbfabrik empor zu bringen und die Accise zu vermehren.
Unter den Kandaharen herrschte eine Art Scharbock, eine sehr eingerottete und tödtliche Krankheit. Die Aerzte suchten ihr Entstehen in dem Genusse einer gewissen Chocolade, welche aus dem benachbarten Cachemir eingeführt wurde. Der Sultan verbot die Einfuhr, das Volk belehrend, daß der im Lande erzeugte Wein ein weit edleres und zuträglicheres Getränk sei, und daß durch die Cultur der Weinberge eine Menge Geld im Lande verbleibe.
Wer könnte die Unzufriedenheit ausdrücken, welche darüber entstand! Der Pöbel klagte über Aushungerung, die Gelehrten schrieben über die Gefährdung der Volksfreiheit. Umsonst predigten die Aerzte. Wenn wir nun sterben wollen? antwortete man ihnen.
Unter den Frauen von Kandahar wüthete von Alters her eine der unmenschlichsten Sitten, die Gewohnheit, sich auf dem Grabe des verstorbenen Mannes zu verbrennen. Hafiz verbot sie als einen Mißbrauch der Natur und Religion. Will sich jedoch, setzte er hinzu, ein Weib durchaus verbrennen, so soll sie es für sich thun, also ohne alles Aufsehen.
Dieser Zusatz benahm der Gewohnheit ihre schönste Seite. Die Nation empörte sich. Der Sultan wurde als Weiberfeind und Menschenhasser ausgeschrien. Was! zeterte der Pöbel, alte Herkommen abschaffen? Er ist ein Atheist! versetzten die Fakire.
Der Tumult drang zu den Ohren des Monarchen. Verblendetes Volk! rief Hafiz-Rhamid aus, du zürnst, weil ich dich glücklicher machen will als du bist!
Jetzt mußten Herolde beim Schalle der Trompeten verkünden: Zu wissen, der Wille des großen Hafiz-Rhamid ist: die Narren sollen fernerhin nicht gezwungen sein klug zu werden!
Nun hätte man des Publicums Entzücken sehen sollen! Opern, Freudenfeuer und Illuminationen nahmen kein Ende; alle Chocoladenbuden waren mit Blumenkränzen, alle Schänken mit vergoldeten Zeigern geschmückt: »Vivat Hafiz!« ertönte es aus allen Gassen, »Vivat der Freund der Freiheit, der Abgott seines Volks!«
Dieser Rausch währte einige Jahre. Da kam die Nation von selbst, dem Sultan ihre Privilegien zu Füßen zu legen und ihn zu bitten, er möchte sie seiner Gesetze würdigen.
Die Volksstimme ist der Richter der Könige, die einzige Macht, welche über ihnen steht. Wenn wir Alle Nein sagten, so möchte ich den König sehen, der noch Ja sprechen dürfte.
Aber fürchtet sie niemals, ihr Regenten. Laßt ihr Zeit. Sie ist eine Frucht, welche langsam reifen muß, um abzufallen. Sie entspringt aus allzuseichten Keimen und hängt an allzuleichten Fäden, um jemals Consistenz zu erhalten. Ein gewisses Maß Geduld, Mäßigung und Temporisirung überwindet die hartnäckigsten Vorurtheile.
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Gestern ging ich über eine Wiese, welche zu meinem Zeitvertreibe gehört. Ich beobachtete dort einen Schmetterling. In sanften Zuckungen hing er an einem Rosenlaube, dem Tode oder, wie man richtiger sagt, seiner Verwandlung entgegenarbeitend. Neben ihm saß ein schwarzer Käfer, und es schien mir, als ob dieser sein Beichtvater wäre.
Ich war begierig, wie der Krankenprediger eines Schmetterlings sich ausdrücke, oder vielmehr die Philosophie eines Käfers kennen zu lernen. Und da mir eine Fee bei meiner Geburt die Gabe verliehen, die Sprache der Thiere zu verstehen, so näherte ich mich.
»Glänzender Liebling der Natur,« sprach der Käfer, »dein Tod hat eben so viel Reize als dein Leben. Du erfülltest deinen Beruf, indem du es im Genusse des Vergnügens, der Wollust und aller Güter, welche dir die Natur schenkte, hinbrachtest. Von Blume zu Blume flattern ohne eine zu verderben, ihre Säfte kosten ohne sich zu berauschen, jeden deiner Augenblicke verschönern: das war dein Thun. Sei glücklich! Unbekümmert um die Zweifel, welche andere Insecten quälen, wirfst du dich nun in die Arme der Natur, und dein Tod ist nichts als das Ende eines angenehmen Irrthums.«
Hier starb der Schmetterling. Ich bewunderte des Käfers Redekunst.
»Fliehe sanft dahin, schönes Seelchen!« fuhr er fort, indem er seinem Freund die Augen zudrückte. »Ich will deine Hülle hier unter diesem Rosenstock begraben. Vielleicht duften im künftigen Frühling einige Stäubchen von dir am Busen einer keuschen Jungfrau. Dann wird sich deine Verklärung vollenden.«
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Auf einem silbernen Teller befand sich einst ein Edamer Käse, und nahe dabei ein Talglicht, welches den Käse bestrahlte. Milben hatten sich, durch die innere Gährung seiner organischen Partikel, darin erzeugt.
Unter ihnen war eine Philosophin, welche dem Ursprunge und der Bestimmung des Käses und der Milben nachdachte. Jemand, der den Käse zu essen im Begriff war, belauschte ihren Monolog mit dem Ohre jener Geniemänner, welche die Sphären singen, die Nerven stimmen, die Flöhe husten hören.
Man frage nicht, wie das möglich war. Die Frage über das Wie der Dinge ist oft indiscret, und wir könnten eher allgemeine Zweifler werden, als sie in jedem Falle beantworten.
Genug, dieser Vorwitzbeutel vernahm die Milbe so reden:
»Wie lieblich duftet dieser Käse! Wie ambrosisch ist sein Geschmack! Wie nahrhaft diese Speise! Wie bequem meine Wohnung! Eine unermeßliche, durchaus eßbare Welt! Wie mächtig, wie wohlthätig muß Der sein, der den Käse machte, ihn für Milben schuf! Unser Sein war sein Wille, unser Wohlsein sein Zweck. Denn vom Nutzen eines Dinges schließen wir auf seine Absicht.
Ich gehe weiter. Dieser Käse ist der beste unter allen möglichen. (Der Eigenthümer hielt ihn für versalzen.) Der Beweis ist simpel. Hätte der Urheber einen bessern machen können, so würde er ihn vorgezogen haben. Warum sollte er das Vollkommene dem Mittelmäßigen nachsetzen!
Jener glänzende Körper, der aus ungemessener Ferne meinen Käse bestrahlt (hier lächelte die Milbe gegen das Talglicht), was kann er sein als unsere Laterne? Wie erquickend, wie wohlthätig ist sein Licht! Wie anpassend der Organisation meiner Augen! Ja, das Licht ist um der Milben willen gemacht!
Glückliche Milben! Ihr seid Mittelpunkt, Endzweck aller Combinationen der Welt. Euch erfreut das Licht, Euch duftet der Käse, Euch laden seine fetten Partikel zum Genuß ein!
Aber eben darum, weil Milben der Zweck sind, dem die Natur alle ihre Werke als Mittel subordinirt hat; eben darum, erhabene Milben, ist diese ephemerische Existenz nicht das ganze Erbtheil, welches die Natur euch beschieden hat.
Sollte sie nicht ewige Zwecke lieben? Sollte der Zirkel der Allnatur ohne seinen Mittelpunkt, worauf alle Strahlen sich beziehen, bestehen können? Nimmermehr! Milben, ihr seid zu den erhabensten Aussichten bestimmt. Eure Existenz in der Höhle des Käses ist nur der rosenfarbene Morgen eines schönen Tags, dessen Mittag eurer wartet.
Die sublimen Gedanken, welche jetzt meinen Geist beschäftigen, sind mehr als Wirkungen meiner Organisation. Es ist wahr, ich kenne meinen Körper, die innere Natur seiner Elemente, die Art ihrer Zusammensetzung beinahe gar nicht. Aber dennoch kann ich a priori bestimmen, welche Wirkungen aus dieser Zusammensetzung möglich sind und welche nicht.« So eben wollte die Rednerin von der Zukunft weissagen und die Natur der Käse, welche sie künftig bewohnen und zum Theil essen würde, aus unzähligen, wie sie meinte unumstößlichen Grundbegriffen der Milbenmetaphysik zu demonstriren beginnen, als der Zuhörer, vom Mitleid über ihre Mühe gerührt und um ihr eine langwierige Reihe Syllogismen zu ersparen, die Rednerin sammt dem Katheder, worauf sie stand, in den Mund steckte und verschlang.
Man sagt, sie habe noch zwischen den Zähnen des Würgers behauptet, ihre Erhaltung, ihr Wohl sei der Endzweck der Natur.
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Ich war in der Kirche: ein Fall, der sich nicht häufig ereignet. Nicht als ob ich den Gottesdienst flöhe: ich weiß vollkommen, daß es sehr ehrbar ist, wenn man sich dort sehen läßt; ich kenne die Salbung, welche im Worte Gottes liegt, wenn es einer seiner Diener von der Kanzel herab mit Geschick und Eleganz verkündet; ich habe unendliche Hochachtung vor dem Predigerorden. Allein es ist so kalt in unsern Kirchen! Wir sind noch nicht so klug, den Wintergottesdienst in geheizte Säle zu verlegen. Dann zerstreut mich auch die Decoration der Scene. Man will die Mode, Gala vor Gott zu machen, nicht abschaffen. Und außerdem kann ich den Kerl nicht leiden, der mit seinem Bettelbeutel herumläuft und mir die Lanze unter die Nase hält, wenn ich gerade in der erhabensten Begeisterung über die Phrasen des Magisters bin. Man sieht, daß ich Grundsätze liebe.
Ich merkte mir folgende Wendung der Leichenpredigt, welche ich hörte.
»Was ich euch, meine Freunde, von der göttlichen Haushaltung zu entdecken vermag, das ist, daß Gott nicht gern auf Morgen verschiebt, was er heute thun kann.«
Frappanter Gedanke! Die Götter wären also noch vorsichtiger als unsere Schulzen. Wahr ist es, es schien ein wenig anmaßend, daß sich der Magister zum Hausmarschall Gottes aufwarf. Es handelte sich nur um ein altes Weib, und so viel Verschwendung von Witz schien sie nicht werth zu sein. Indeß mußte man erstaunen, mit welcher Fertigkeit der Redner von diesem Satze auf das Lob der guten Haushälterin und dann der seligen Maren hinübersprang. Dieser Sprung machte mich schwindelig.
O Benjamin Schmolk, mein Held, mein Freund, mein Muster! Heil Dir! Du erschütterst den Geist nicht durch Seiltänzersprünge, bei Dir trifft man weder Witz noch Geschmack an! Ruhig segelst Du an der Küste des Evangeliums Matthäi entlang, treu, dem Spruche: Selig sind die Einfältigen. Sei mir fortan was Du immer warst, mein Unterhalter beim Regen- oder Thauwetter, meine Zuflucht gegen kalte Kirchen und witzige Predigten!
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»Sie heißen doch schwache Geschöpfe!«
»Weil sie vom Manne genommen sind. Die Männer sollten aber über diesen Gemeinplatz erröthen. Er ist eine Satire auf sie. Denn entweder müßt ihr eingestehen, daß wir nicht schwach sind, weil wir von euch gekommen sind, oder ihr müßt aufhören stark sein zu wollen, weil ihr jetzt von uns kommt.«
»Und er soll dein Herr sein!«
»So lautet nun freilich der Priesterspruch am Altare; aber Dingrecht bricht Landrecht. Der Besitz, den Adam von diesem Rechte im Paradies nahm, indem ihm Eva den Apfel reichte, ist wenigstens sehr unvollkommen.«
»Ihr Weiber seid unterthan euren Männern!«
»Nichts ist billiger. Aber der Spruch: ihr Männer seid discret! der unmittelbar vor jene Stelle gehört: »denn das Weib ist des Mannes Ehre«, fehlt vermuthlich durch den Unfleiß der Abschreiber.«
»Das Unheil kommt nicht vom Manne, sondern vom Weibe!«
»Hierüber läßt sich Manches reden. Erstlich ging das Verbot nur Adam an, denn es scheint, daß das Weib noch nicht erschaffen war, als es an ihn erging. Wenigstens wissen wir gewiß, daß sich Gott blos zum Manne ausdrückte: »davon ich Dir gebot und sprach, Du sollst nicht davon essen.« Hinterher ist die Ausrede Adam's »das Weib betrog mich«, abgesehen von ihrer Unhöflichkeit, sehr fade, denn sie konnte ihn doch nicht zwingen. Freiwilligen aber geschieht nicht unrecht. Ueberhaupt liegt hier eine für euch, meine Herren, sehr kritische Alternative. Entweder war das schöne Geschlecht schon erschaffen, und dann scheint's, Gott habe dessen Vollkommenheit zu gut erkannt, um ein Verbot gegen die fatale Frucht nöthig zu finden, weil er es nur dem Manne ertheilte. Oder wir waren noch nicht da, und dann müßte Adam die unverzeihliche Sottise begangen haben, Eva nicht ordentlich über den Baum zu unterrichten. Das erstere ist noch wahrscheinlicher als das zweite, denn Gott sprach: »Adam möchte sich gelüsten lassen.« Von Eva besorgte er das nicht.«
»Allein die Folgen beweisen, daß die Schuld auf sie fiel.«
»Wie so? Wägen wir die Dinge gegeneinander ab. Wir wurden zu Geburtsschmerzen verdammt, das ist jedoch eine vorübergehende Strafe. Euch dagegen ist lebenswierige Arbeit auferlegt. Diese Strafe ist offenbar härter. Erinnert euch, daß Er zur Verantwortung gezogen ward, nicht Sie.«
»Aber beide wurden ausgetrieben.«
»Wer weiß das? Vielleicht fragte sie der Engel: Madame, wollen Sie nicht Ihrem Herrn Gemahl Gesellschaft leisten?«
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Bei den Trödlern in der Straße la Mégisserie zu Paris findet man ganze Magazine alter Schilder und Bilder für Wirthshäuser und Schenken. Hier schlafen alle Monarchen von Europa nebeneinander. Ludwig XVI. und Georg III. küssen sich brüderlich; der König von Preußen liegt auf der Kaiserin Theresia, Kaiser fraternisiren mit kleinen Fürsten, der Turban ruht auf der dreifachen Krone.
Irgend ein Zapfenwirth kommt, stößt die gekrönten Häupter mit dem Fuße durcheinander, und wählt endlich den König von Polen. Er zahlt zwölf Sous für ihn und trägt ihn zu einem Anstreicher. »Ueberwischen Sie den Kerl ein wenig«, spricht er: »und schreiben Sie darunter: zum Eroberer.«
Ein anderer Winkelschenke hat Gefallen an einer Königin. Wenn sie nur einen vollen Busen hätte! Er kauft sie aber und befiehlt dem benachbarten Maler ihr zwei Brüste anzupinseln, die ein Blinder auf eine Meile hin unterscheidet.
Der Dritte findet einen römischen Kaiser. »Wie machen wir einen Ludwig XVI. daraus?« frägt er den Maler. Dieser tilgt mit einem einzigen Striche den Bart aus und klext auf den Kopf eine Perücke. Nun ist Ludwig XVI. fertig.
Alle diese königlichen Gestalten führen einen trotzigen Blick. Nicht Einer lächelt das Publicum an. Eine heroische Nase, ein paar starre Augen, eine mächtige Stirn, dies ist die Physiognomie des Einen wie des Andern.
Der Pöbel zecht und tanzt unter dem erlauchten Auge dieser Monarchen, die sich zu ihrer Lebenszeit öfter nur bekriegten, weil sie, wie ein gewisser Herzkündiger sagt, niemals das Glas zusammenstießen.
Wenn ich nun diesen Trödelkram betrachtete, wenn ich sah, wie die Fürsten ohne Rang untereinander lagen, wie man sie zerrte, feilschte und in die freie Luft hing; wenn ich ihr Schicksal erwäge, von einer Schenke zur andern zu wandern und ihre Zeit in der Gesellschaft von Lumpenhunden und Bootsknechten hinzubringen; wenn ich auf die drolligen Namen blickte, die sie sich von den Anstreichern, den gebornen Feinden der Orthographie, geben lassen mußten; wenn mir dann ihre letzte Bestimmung einfiel, zu Wegweisern für Trunkenbolde und Fiedler zu dienen, so stellte ich mir vor, wie es lauten müßte, wenn diese entpurpurten Fürsten in ein Gespräch mit einander träten.
Möchte es, zum Beispiel, nicht ungefähr so ausfallen?
Königin Cleopatra.
Wie ist Euer Liebden zu Muthe?
König Salomo.
Uf!
Die Vorige.
Nicht wahr, eine grausame Metamorphose!
Pharao.
Noch leidlich, wäre sie die einzige! Aber –
Cleopatra.
Ich verstehe Sie, durchlauchtigster Vetter. Wie, wenn uns die Geschichte so darstellte, wie diese Klexer! Hm!
Pharao.
Das ist's, wovor ich zittere.
Salomo.
Beruhigen wir uns, einst muß der wahre Maler kommen!
König David.
Desto schlimmer!
Cleopatra.
Schah Salomo meint nicht den, der den Pinsel führt, sondern die Feder.
David.
Hui! Eben das ist es, womit uns das unbarmherzige Schicksal droht. Das ganze Jahr über die Sonne und den Regen im Nacken zu haben, an einer Windstange zu schaukeln, die Vorübergehenden anzublöken, ist noch erträglich gegen die Gefahr unter eine Feder zu fallen.
Die drei Mohren.
Man muß gestehen, der Gedanke an die Nachwelt ist terribel. Was uns aber trösten muß ist, daß die Schriftsteller niemals unter sich einig sind, der ewige Widerspruch, der unter ihnen besteht, läßt sie den wahren Gesichtspunkt verlieren.
Der Papst.
Ah, sie würden ihn in der Stimme des Volks wieder finden, diesem eben so getreuen als unerbittlichen Richter der Großen. Sehen Sie, meine Söhne, dort bei jener berühmten Brücke die Bildsäule Heinrich IV.? welcher Unterschied zwischen der Miene, die sie macht, und der unsrigen!
Salomo.
Zwischen dem Schicksal in die Hand eines Pigal zu fallen und in die Hand eines Schmierers muß freilich ein Unterschied sein.
Papst.
Täuschen Sie sich nicht, König, betrachten Sie die göttliche Verehrung, die diese Bildsäule seit länger als einem Jahrhundert vom Volke genießt: sie müßte immer eine nachdrückliche Lection für Fürsten sein, wenn es auch keine Feder gäbe.
Ein Unbekannter.
Fatales Loos der Könige! Geschichtschreiber, Maler, Nachwelt, Anstreicher, Volk: wie viel Furien, die euch am Ufer Acheron's erwarten!
Alexander der Große.
Und gleichwol finde ich noch eine schmeichelhafte Idee in unserer Situation.
Cleopatra.
Scherzen Sie, Vetter?
Alexander.
Es ist die, daß die Welt noch nicht darauf gekommen ist, uns mit Stillschweigen zu übergehen. So grausam es auch ist nach seinem Tode entthront zu werden, und entweder als Tyrann oder als Narr bald auf einem Schilde, bald in einem Buche da zu stehen: so ist's noch weit unerträglicher vergessen zu sein. Der schlimmste Streich, den das Schicksal für die Herrscher aufgehoben hat, ist der, wenn sich die Geschichte einst entschließt, ihre Namen auszustreichen – ein Zug, der die Strafe der Nerone, der Tibere, der Philipp von Castilien, der Karl IX. selbst noch übertreffen müßte.
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Eine Plaisanterie über Knittelverse.
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Einst lebte vom Geschlechte Dan,
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1.
Einst fiel Harun al Raschid auf den Gedanken zu reisen, um sich und Andere glücklichen machen. Er nahm einen fremden Namen an. So hoffte er, im genauesten Incognito zu bleiben. Ach, es ist der einzige Irrthum, den er in seinem Leben beging! Ganz Arabien war von seinem Ruhme erfüllt. Sobald man ihn sah, so erkannte man ihn. Tugend mit Bescheidenheit gepaart ist stets der Herold der Größe.
2.
Wie viel sitzen im Rathe der Zehn? fragte König Ludwig XV. den venetianischen Gesandten, indem er bei dem Rundgange im gewöhnlichen Sonntagszirkel zu Versailles ihn erblickte.
Vierzig, Sire, erwiederte der Diplomat.
Die Könige fordern zum öftern, daß man ihnen ungereimt antworte, und so sicher ist darin die Unterwürfigkeit der Höflinge.
3.
»Endlich, meine Lieben im Herrn, zeigen sich die Gerichte der Vorsehung. Die stolze und unversöhnliche Feindin der Tochter Karl's des Großen, jene Furie, welche seit zweihundert Jahren die Grundsätze der Weisheit und die Freiheit der gallicanischen Kirche verfolgte, ist zu Boden geschmettert. Ein unwiderstehlicher Machtzug des Schicksals vernichtete sie. Et vox Citharoedorum et musicorum et tibiae ac tubae Canentium non audientur inde amplius spricht der heilige Geist in der Offenbarung St. Johannis Cap. 18 Vers 22.«
So perorirte der Universitätsrector zu Paris, Herr Fourneau, in einer Predigt bei den Mathurinern zur Zeit der Jesuitenvertreibung.
Des andern Morgens aber erhielt er ein Lettre de Cachet, das ihn nach Fontainebleau zum König forderte. Bevor er jedoch zur Audienz gelangte, ertheilte ihm der Kanzler in Gegenwart vieler Hofherren einen heftigen Verweis über die Obscönitäten seiner Zunge.
Der gute Mann wußte sich durchaus nicht in die Abfertigung zu finden, und bat den Minister deshalb um Aufschluß. Umsonst; dieser polterte unaufhörlich von Ärgernissen, Schmutzereien, von dem Mißfallen des Königs, ohne sich im mindesten zu erklären.
Endlich erbarmte sich der anwesende Herzog von Ayen seiner. Er fragte ihn, ob er jene Rede vielleicht bei sich trüge.
Der Rector bejahte und zog sie hervor.
Nun behauptete der Kanzler, daß eine Stelle aus dem Aretin darin befindlich sein müsse. Doch konnte er sie nicht citiren, und nun prüfte man den Vortrag von Anfang bis zu Ende auf's genaueste, entdeckte aber nichts darin aus dem Aretin.
Verdrießlich darüber forderte der Minister Herrn Mesnard, den Referendar des Conseils, herbei, der die Sache zur Anzeige gebracht hatte, und verlangte von ihm weitere Erklärung.
Da befand sich denn der Referendar in der größten Verlegenheit seines Lebens. Er verstand sich nämlich auf Alles nur nicht auf Latein, und so stotterte er blos etwas von » Cynique« und » Quitarre« hervor, und der Minister stotterte es ihm nach.
Kurz, es war eine der erheiterndsten Scenen von der Welt, wie der Kanzler, der Referendar und die Herren vom Hofe dastanden ohne die lateinische Rede eines Rectors lesen und verstehen zu können, die sie doch tadeln wollten. Niemals ereignete sich zu Fontaineblau eine merkwürdigere Albernheit.
Endlich wandte man sich an Fourneau selbst, daß er seine Rede laut vorlesen möchte. Es geschah, und wie er an die Stelle gelangt: » Citharoedorum etc.« sagt der Minister: » N'est ce pas, Monsieur Mesnard, que voilà le trait en qu&eac ute;stion... Eh bien que vouléz vous dire par ce Quitarre?«
Also war der Schlüssel gefunden. Es stellte sich heraus, daß entweder ein Spaßvogel oder ein heimlicher Jesuitenfreund, der sich auf die Luft am Hofe verstand, Herrn Mesnard in's Ohr geraunt, indem er das » Citharoedorum« verdrehte, der Rector hätte einen Vers aus dem Petron auf die Kanzel gebracht:
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Cynaedorum lusus
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Mesnard, dessen Stelle zu gut dotirt war, um Latein nöthig zu haben, packte diese Anzeige ohne Weiteres ein und übergab sie dem Minister. Dieser verwechselte den Petron mit dem Aretin, weil er diesen wahrscheinlich besser kannte als den andern, und so entwickelte sich eine Posse, über die man noch viele Jahre zu Versailles lachte, und welche in den Jahrbüchern des französischen Hofs kaum ihres Gleichen hat.
4.
Ein Prinz hatte den besten Theil seines Lebens mit Prüfung der christlichen und jüdischen Religionslehren zugebracht und sich schließlich ganz den Anschauungen der Vernunft zugewendet. Eines Tages bemerkte ihm Jemand, es wäre Schade, daß er sich nicht entschlossen etwas zu schreiben. »Wenn ich jemals Lust spürte Schriftsteller zu werden«, versetzte er, »so würde ich nur eine Vertheidigung der Bibel gegen die Theologen verfassen.«
5.
Frau von Cavanac, vordem Mademoiselle de Romans, war ihres Sohnes halber, des Abbé von Bourbon, natürlichen Sohnes Ludwig XV., verbunden, ihre Salons der Geistlichkeit offen zu halten, und diese glänzten von Prälaten, Chorherren und geweihten Platten aller Gattungen. Herr von Cavanac aber, ein lüderlicher Patron, spielte seit einiger Zeit den mürrischen Ehemann.
Eines Abends läßt er sich's beikommen, seine noch immer schöne Frau bei einem Tête à Tête im Unterrock mit dem feurigen und galanten Abbé Boisgelin, Generalvicar von Aix, zu überraschen. Er wird darüber brutal und gebraucht seine Rechte so stark, daß seine Frau an's Fenster stürzt, und die Wache um Hilfe herbeiruft.
Dadurch wurde die Affaire öffentlich. Der Hof erfährt sie und der Graf Maurepas fordert den Abbé Boisgelin vor sich, um ihm den Text darüber zu lesen, daß sich ein Geistlicher um die Mitternachtsstunde mit einer hübschen Frau allein betreffen läßt. Der Abbé nennt eine Reihe Prälaten, von denen alle Welt Gleiches wisse, ohne daß man sie zur Verantwortung gezogen. Was den Einen hinginge, meinte er, müsse auch den Andern so hingehen. »Mit Nichten«, versetzte der Minister launig, »warten Sie so lange bis Sie Prälat sind.«
6.
Unter die zahlreichen sinnvollen Einfälle der bekannten Frau von Tencin gehört auch folgender: Die Geschichte, sagte sie, ist nichts mehr als ein Roman über Begebenheiten, während die Romane sehr oft die wahre Geschichte des Menschen enthalten.
7.
»Weder das Electrum, noch der Magnetismus, noch die Aeronautik, noch irgend ein anderes Phänomen ist's, worüber man sich wundern darf; sondern wie ohngefähr eine Billion Menschen, die über die Erde ausgestreut sind, sich entschließen konnte, ihren Hals dem Joche eines Hundert Einzelner zu unterwerfen, die man Könige nennt.« So pflegte Halil Hamid Pascha zu Constantinopel zu sagen, ehe ihn der seidene Strick überraschte.
8.
Bei der größten Originalität ist man häufig nichts als ein Plagiarius. Wer hätte gedacht, daß man in der Rathsbibliothek zu Genf ein Buch entdecken würde, und zwar vom Jahre 1584, worin das System von der Gravitation und die Anwendung derselben auf den Weltbau haarklein enthalten!
Dieses äußerst merkwürdige Buch nennt sich: »Tractatus de motu. Par Michel Varro. Geneve chez Jacques Stoir. MDLXXXIV.«
Es wäre also 48 Jahre älter als die Dialogen des Galilei und 82 Jahre älter als Newton. Und gleichwol läßt sich 48 × 82 darauf wetten, daß es weder dem Einen noch dem Andern bekannt gewesen.
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Indem ich die Geschichte Karl V. aufschlage, fällt mir das bekannte » paulo immoderatius cibum sumebat« des Sepulveda ein. Diesen Zug konnte ich niemals mit dem kränkelnden und gichtbrüchigen Körper, welchen die Geschichte dem Kaiser sehr früh giebt, noch mit der Seelenverstimmung zusammen reimen, die ihn wahrscheinlicherweise beständig verfolgte.
Da erinnere ich mich einer in meinem Besitze befindlichen handschriftlichen Chronik der Stadt Schwäbisch-Hall, welche die Geschichte eines Besuches Karl V. daselbst enthält und meinen Scrupel ganz auflöst: eine seltsame und in mancherlei Hinsicht merkwürdige Geschichte.
Es war auf der Reise, die der Kaiser 1541 aus den Niederlanden nach Regensburg unternahm, um jenen Reichstag abzuhalten, der wegen seiner Ueberflüssigkeit so berühmt ist. Karl führte wie gewöhnlich einen prächtigen Hofstaat mit sich. In seinem Gefolge zogen die Könige von Portugal, England, Schottland und Dänemark, der päpstliche Nuntius und eine Menge Reichsfürsten und Grafen. Nicht zu übersehen war die Reihe der Maulthiere und Wagen, welche ein unermeßliches Geld nachschleppten.
Als er das benachbarte Hohenlohesche betrat, empfing ihn der regierende Graf Albrecht an der Spitze von sechszig Cavalieren und ritt ihm vorauf. An der Grenze der Stadt präsentirte er ihm den in Galakleidung aufgestellten Magistrat, und weil sich der Monarch wegen des Heimganges seiner Gemahlin Isabelle von Portugal in Trauer befand hatten sich auch die Rathsherren in lange schwarze Mäntel gehüllt, und selbst die paradirende Bürgerschaft trug schwarze Helmbüsche. Ebenso spielte die voranschreitende Musik einen gedämpften Trauermarsch, so daß der Einzug, wie sich die Chronik ausdrückt, völlig die Physiognomie einer Augustiner-Prozession annahm.
Der Kaiser logirte beim sogenannten Stättemeister. Andern Tags speiste er allein zu Mittag; doch ließ er alle Thüren öffnen und Jedermann durfte ihm zuschauen.
Hier nun folgt, was ihm aufgetragen wurde.
»Und habe ich,« sagt der Autor der Chronik, »Se. Majestät ohne alle Pompa tischen und nebst vielen andern ehrlichen Hallern folgende Speisen auftragen sehen:
Weinbeer und Maischmalz;
Gebratene Eyer;
Zween dünne Eyerkuchen;
Gedämpfte kleine Rüben;
Gebackene Schnitten;
Einen gedeckten Brey;
Eine Torte;
Eine Erbissuppe, mit Mark grob eingeschnitten und mit Erbis wohl übersäet, wohl geschmälzt, und eine dürre Forelle mit verlohrenen Eyern darauf;
Gelbe Stockfisch, weiß in Schmalz gesotten;
Blaue Karpfen;
Gebackene Fisch; etwas dabei wie Pomeranzen;
Süße Hecht;
Gestoßene Körner mit Mandeln; dabey gebackene Rogen;
Reiß in Mandelmilch;
Bratfische mit Kapern;
Ein erhebt Gebackenes, wie ein Fladen;
Birn, Pfefferkuchen und Confect.
Se. Majestät aß, Gott seegne es ihnen, waidlich, und that nur drei Trünke aus einem Venedischen Glas. War überhaupt gar keine Pracht. Nach dem Essen aber ließen sie dero Gefolge, nehmlich die Könige, Fürsten und Grafen, nebst dero Kanzlern und Hofleuten hereinkommen. Mit diesen unterhielten sie sich nun stattlich.«
Es ist also klar, daß die Geschichte Recht hat: daß Karl eben so heldenmüthig aß als er sich schlug.
Die Stadt machte jedem der drei kaiserlichen Kanzler (dem Cardinal Granvella, dem Minister Naves und dem Secretair Obernburger) einen massiv goldnen Becher zum Geschenk.
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Ein Sicilianer, Diodor, ist der Aelteste, der des Brodes gedenkt, denn alles Uebrige gehört zu den Fabeln. Er sagt, eine gewisse Landdame, Frau Ceres, hätte zuerst den Gebrauch des Korns, das zuerst wild wuchs, entdeckt.
Vermutlich waren es Spelt und Weizen, welche am frühesten, und zwar in Persien, angebaut wurden. Von dort kam diese Kunst nach Egypten.
So viel weiß man, daß ein gewisser Egyptus, der entweder Eroberer oder für seine Zeit ein großer Physiokrat war, und den die Nachwelt Bacchus nannte – so dankbar zeigte sich das menschliche Geschlecht, daß es seines Wohlthäters Namen vergaß – die Korncultur einführte, das heißt, den Feldbau in eine Theorie brachte.
Durch dies Genie verbreitete sich die Bäckerkunst, erstlich im Orient, dann im Occident.
Der erste Europäer, der sich auf den Feldbau legte, war ein thessalischer Bauer Namens Triptolem.
Die Welt empfand das Verdienst dieser Erfindung sehr bald. Man feierte ihr zu Ehren Feste, die man Tesmophorien nannte und Nachahmung erlangen sollten.
Während man in einem Theile Afrika's und Europa's Brod, oder vielmehr Kuchen aß, genoß man in Asien und Amerika Reis, die Kassave, die Aronwurzel und Sago, welche Pflanzen, wie es scheint, seit undenklichen Jahrhunderten und weit vor dem Brode dort bekannt waren.
Völlig gewiß ist, daß der Kornbau aus Griechenland nach Sicilien und Italien kam. Von hier aus erhielten Wir ihn.
Unendliche Schicksale hatte das Brod, bis es zu der Form und dem Geschmacke unserer Tage kam. Eins der merkwürdigsten ist, daß es einst Gegenstand gerichtlicher Verfolgung wurde.
Ein Kammermädchen der Maria von Medici erfand nämlich das sogenannte Milchbrod, welches die Königin so gern aß, daß es ihr tägliches Confect ward und deswegen den Namen pain à lareine erhielt.
Nur wenige Köche in Frankreich verstanden es zu bereiten und machten ihr Glück damit. Das aber verdroß die ehrbare Bäckerzunft. Sie brachte die Geistlichkeit auf ihre Seite und denuncirte das Milchbrod als gefährliche und üppige Speise bei Gericht.
Nun entstand ein gewaltiger Streit im Publicum. Die Theologen verlästerten die Milchbrödchen als Leib und Seele verderbende Leckerei von der Kanzel: einen ganzen Monat lang ward in Paris über nichts als die Milchbrode gepredigt. Man behauptete, sie erweckten Wollust, unreine Gedanken, sündhaften Appetit und Zauberei.
Dazu trug nun eine gewisse phantastische Spielerei der damaligen jungen Männer bei. Man ließ nämlich den Namen seiner Geliebten darauf anbringen und betrachtete diese Milchbrödchen dann als ein artiges Geschenk, das die Herzen erobern müsse.
Andererseits fand das unschuldige Milchbrod seine Partner und Gegner auch unter den Arzneigelehrten. An der Spitze der letztern stand der famose Gui Patin, jener berühmte Pedant, der zu der Menge seiner Lächerlichkeiten noch die hinzufügte, daß er aus medicinischen Gründen nachweisen wollte, wie gefährlich das Milchbrod der öffentlichen Sicherheit wäre.
Gegen ihn erhob sich Perrault, das angefeindete Backwerk zum großen Beifalle der feinen Welt in Schutz nehmend. Nichts war lustiger als dieser Krieg. Die beiden Streithähne gaben sich die schnurrigsten Blößen: Gui Patin, der nichts als Griechisch verstand, berief sich auf des Hippokrates angeblichen Ausspruch, daß alle Gährungen dem Menschenleibe schädlich seien; Perrault, der blos Lateiner war, citirte Plinius, der die Hefe lobt.
Das ereignete sich im Jahre 1668.
Endlich legte sich das Parlament in's Mittel. Es ließ eine Anzahl Milchbrödchen herbeischaffen und verordnete deren chemische Untersuchung. Und nachdem es das Visum et Repertum in Händen hatte, brach es den Stab.
Das Parlament verbot mit großer Gravität die Anfertigung von Milchbrödchen.
Aber was geschah?
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»Depuis le jour de la sentence
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So oft ich seit dem Entstehen dieser Verse meinen Kaffee nehme, fällt mir jedesmal ein, daß Nichts unter der Sonne ist, es sei noch so groß oder noch so geringfügig, so nützlich oder gleichgiltig, was nicht der Thorheit der Zeiten und Menschen seinen Zoll entrichten mußte.
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Wir wissen, daß das Feuer den Heiligen nicht schaden kann. Märtyrer, vornehmlich wenn sie mit Reliquien ausgerüstet waren, widerstanden dem siedenden Oel. Allein man hat kein Beispiel, daß sie dem Schwert widerstanden hätten.
Diese Beobachtung ist merkwürdig.
Die Geschichte, und hauptsächlich deren bewährtester Theil, die Legende, belehrt uns, daß die Märtyrer im Wasser oben schwammen, und daß sie durch glühende Oefen unverletzt hindurchgingen. Sie weiß hingegen kein Factum, daß einer dem Schwerte entwichen wäre.
Waren alle Henkerskünste an einem Heiligen verloren, so entschied doch das Schwert. Dies verfehlte seinen Mann nie. Es blieb daher stets die Ressource der Henker und ihrer Brüder, der Tyrannen. Und Alles, was ein so Gestorbener erlangen konnte war, daß er wie der heilige Dionys mit seinem Kopfe unterm Arme spazieren ging.
Georg Castriotto, Scanderbeg genannt, gehörte zu den frömmsten und tugendhaftesten Sterblichen. Er that für die Religion mehr, als der heilige Bernhard und sämmtliche Malteserritter. Denn man weiß, daß Mahmud II., der Eroberer von Constantinopel zu sagen pflegte: »Wenn Der nicht gewesen wäre, so hätte ich den Venetianern den Golf auszusaufen gegeben und meinen Turban auf den Thurmknopf zu St. Peter gesetzt.«
Papst Nicolaus IV. war auch bereit ihn heilig zu sprechen, wenn die Familie des Beg jene hunderttausend Scudi aufbringen konnte, ohne welche zu Rom keine Wunder geschahen, und ohne welche kein Heiliger in's Paradies einging.
Castriotto kam bekanntlich aus acht und zwanzig wüthenden Schlachten unversehrt zurück. In diesen hatte er, wie uns sein Adjutant und beständiger Kampfgenosse, Tanusio, versichert, über zweitausend Türken mit eigener Faust erwürgt, ohne sich in den Finger zu ritzen. Das ist doch Wunderthätigkeit! Auch leisten die Muselmänner, seine eigenen Feinde, ihm alle Gerechtigkeit, und dies ist gewiß ein unverwerflicher Beweis für seine Wunderkraft! Sie wallfahrten zum Grabe Scanderbeg's und glauben an seine Reliquien.
Zu letztern gehörte Mustafa Stanchir-Pascha von Damas. Er trug ein Stückchen vom Steißbeine des großen Scanderbeg im Busen. Diese Reliquie hatte sich von Jagut-Arnaut, dem Zeitgenossen des Helden und einem seiner vertrautesten Freunde, der der Ur-Ur-Großvater des Paschas von Damas war, in der Familie fortgeerbt, und es war der allgemeine Glaube derselben, daß wer sie an sich trüge, unverwundbar sei. Weder Musketen- noch Kanonenkugel, weder Gift noch Strick könnten ihm etwas anhaben.
In einem so heiligen Geruch steht Scanderbeg bei den Ungläubigen selbst, er, der so arm starb wie ein richtiger Heiliger, und gegen dessen Andenken der Papst, dem er Krone und Leben erhalten hatte, sich so undankbar benahm, daß er ihn weder umsonst heilig sprechen wollte, noch seinem Sohne, dem der racheschnaubende Mahmud Land und Leute nahm, auch nur eine Pfründe verlieh.
Allein, wie bemerkt, Reliquien schützen zuverlässig wider Feuer und Wasser, nicht aber gegen das Schwert. Mustafa Stanchir hatte die beiden letzten Kriege gegen Rußland durchgefochten, den ganzen Feldzug gegen die Oesterreicher überstanden, war bei allen Gefechten seines Corps an der Spitze gewesen und stets mit heiler Haut davon gekommen.
In der letzten Affaire nun, bei Braila, gerieth einer seiner Söhne, würdige Erben des Heldenmuths ihres Vaters, in russische Kriegsgefangenschaft. Oberst Gallo lernte ihn kennen, und erinnerte sich dabei des Paschas, mit welchem er zu Smyrna bekannt geworden, als dieser noch eine Galeere commandirte. »Lebt Ihr Vater noch,« fragte er den jungen Muselmann, »und führt er noch immer seinen Talisman bei sich?«
Allah! versetzte der Jüngling, er beschützte ihn in fünfzig Scharmützeln; doch endlich kam ein elender Chiaux mit einem Ferman vom Großherrn und legte ihm mit Einem Hiebe den Kopf vor die Füße.