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Die Reihe des freundlichen Mittwochabendkränzchens traf nun Kommerzienrats, und das Erzählen einer Begebenheit aus dem eigenen Leben gerade auch ihn, den Wirt. Draußen schlug Herr Blasius mit dem ersten Schneegestöber des Dezembers wacker an die Fenster. Desto heimlicher war es drinnen in der warmen Stube, wo nun die Brüder und Schwestern des sinnigen Vereins enger zusammenrückten, die letzteren das Strickzeug herausnahmen, die Veteranen am flackernden Kaminfeuer ihre Pfeifen anbrannten und der Dinge harrten, die der alte Biedermann zu Markte bringen werde, der so eben ins Zimmer trat und feierlich ein großes, eingerahmtes Bild vor sich her trug, so wie man etwa ein Kind zum Taufsteine trägt.
Hab' ich mir's doch gedacht, – rief beinahe erschrocken Sabine, die würdige Hausfrau, – daß nun am Ende doch noch das daran kommen werde! O du Plaudertasche!
Silentium, Mutter! – gebot der Eheherr. – Laß mir die Freude! Dir ist das allerdings nichts Neues mehr, du weißt es auswendig, aber unsere lieben Freunde wissen es nicht. Darum, wenn du etwa indes im anderen Zimmer Braten zu schneiden und Butterbrot zu schmieren hast, so will ich dir nicht hinderlich sein.
Freilich habe ich das, und auch noch mehr zu tun, – erwiderte sie, verschämt hinaustrippelnd, – aber fasse dich kurz, Vater!
Kurz, kurz! – brummte der ihr nach, – Ja, wir sollen uns kurz fassen, grade da, wo wir lieber gar nicht aufhören möchten, indes Ihr über einen erbärmlichen Kleiderschnitt, über einen Fetzen der neuesten Mode, über gar nichts, die ewigen Register euerer Vox Humana zieht!
Laß dich nicht irren, Herr Bruder, – tröstete der Justizamtmann – und stelle deine Tabulam auf, damit wir schauen und hören, denn aller Augen und Ohren warten auf dich.
Eigentlich werdet ihr es ihr auch nicht verdenken, – fuhr der Kommerzienrat mit milder Stimme fort – daß sie nicht dabei sein will. Doch aus meinem vollen Herzen muß es heraus. Habe ich euch letzthin erzählt, wie ich nach mancher Not und Trübsal denn doch endlich auf einen grünen Zweig gekommen und ein Mann bei der Stadt geworden, so sollt ihr nun auch erfahren, wie ich überhaupt ein Mann geworden, und zwar ein glücklicher, ein mehr als durch Reichtum gesegneter Mann. – Seht da das Bild!
Er stellte es auf den Tisch, hinter die mystisch schimmernde Sineumbralampe, und fuhr fort:
Der dichte Schleier der frühesten Morgendämmerung, lange vor Aufgang der Sonne, liegt noch auf der schönen Landschaft, in der ihr die Gegend wiedererkennen werdet, aus der ich vor zwanzig Jahren mit Weib und Kind hierher in euere Mitte gekommen. Seht, wie im fernen duftigen Hintergrunde die Stadt an den blauen Bergen sich hinzieht, wie näher im weißlichen Nebel der Fluß sich durch das Erlengebüsch windet. Noch starren die Bäume mit kahlen Ästen, noch grünen die Ufer nicht. Natürlich! Denn es ist noch zu früh im Jahre, es ist erst – Karfreitag – merkt es euch wohl, lieben Freunde, – Karfreitag. Und die holde Frauengestalt, die da, hinter den Erlen, auch in Nebelduft gehüllt, am Ufer kniet, aus dem Flusse schöpft und den flehenden Blick nach dem Himmel emporhebt, – sie holt – stilles Wasser. Ihr wißt, was das zu bedeuten hat. – Stilles Wasser, geschöpft am heiligen Karfreitage mit Glaube, Liebe und Hoffnung, ist gut gegen allerlei Übel des Leibes und der Seele. Es muß aber auch wirklich stilles Wasser sein, das heißt: wer dahin geht, es zu schöpfen, eine Stunde vor Sonnenaufgang, an heimlicher Stelle, das Antlitz gegen Morgen gekehrt, muß auf dem Wege hin und zurück nicht ein Wort sprechen, es geschehe auch, was da wolle.
Ihr lächelt und seid gütig genug, den lauten Ausruf: Aberglaube, Aberglaube! fast mitleidig und aus Schonung für den alten Träumer zu unterdrücken. Nun – mögt ihr doch! Ich weiß, was ich weiß. Und ist es euch denn nicht auch, wenn Ihr das dämmernde, nebelnde Bild mit dem Mystischheimlichen anseht, das soeben auf ihm geschieht, als liefe euch ein Frösteln über den Rücken, als ständet ihr selber hinter den Erlen in der Morgenfrühe des heiligen Tages am rauschenden Flusse und zittertet im Schauer des Geheimnisses, von dem ihr jedoch – ihr wißt nicht, warum, – nur Gutes erwartet? Nun – eben darum seid nachsichtig und denkt:
was so die ahnende Stimme spricht,
das täuschet die hoffende Seele nicht.
Daß Freund Hain den ehrsamen Kauf- und Handelsmann Christoph Zobel, meinen seligen Vater, zum betrübten Witwer gemacht, ehe ich den süßen Namen Mutter lallen können, daß mein Vater dies auch selber schon lange gefürchtet, weil ihn dringende Umstände zur Trauung gerade an einem Freitag genötigt, der bekanntlich zum Hochzeitmachen als ein gar böser Tag von männiglich vermieden wird, daß besonders jener Freitag, an welchem der reiche Zinngießer begraben wurde mit dem Trauergeläute, unter welchem das junge Paar nach der Kirche fuhr, nichts als Unglück ominieren konnte, daß eine zweite Wahl den schmerzlichen Verlust nun noch fühlbarer gemacht; eine Stiefmutter mich, das einzig übriggebliebene Ehepflänzlein, geknöchelt nach der Möglichkeit, daß, und wie der sanfte Vater sich unter dem unerträglichen xantippischen Pantoffel zu Tode geseufzt und sein Prognostikon ihn betrogen, vermöge dessen er in der Liebsten ein mildes Lamm heimzuführen gehofft, weil sie gerade, als er sie das erstemal gesehen, Tauben gefüttert; was soll ich euch, lieben Freunde, dies alles lang und breit erzählen! Kurz daher hinweg über die Zeit meiner ersten Jugend, die mir freudenleer verging. Denn wenn andere Jungen meines Alters nach den Schulstunden draußen lustig Ball schlagen und jauchzen durften in der Frühlingssonne, mußte ich im dumpfen Laden sitzen und Tüten kleistern und Sonntags, wenn alles hinauszog ins Grüne, aus dem Taulerus und Herberger die ewigen Predigten lesen. Da fühlte dann das sehnende Herz, daß es verwaist sei, und meine Tränen rannen auf den heillosen Folianten. Mein Vater? der konnte sich meiner nicht erbarmen, der war lange schon untergegangen in knechtischem Gehorsam. Der wagte vor den Augen der Mutter nicht einmal ein zärtliches Wort zu mir. Was Kuß von Elternlippen sei, das weiß ich nicht. Aber noch ein Drache hauste in meinem traurigen Zwinger – der Ladenhelfer Habakuk Froschlaich, ein Auserwählter und Günstling der Mutter. Denkt euch einen buckeligen Knirps von Zwergform, mit roten, verwilderten Haaren, mit Augen, die tückisch über die semmelfarbenen, mit tausend Pockennarben und Sommersprossen gesprenkelten Hängewangen herabblinzeln, dabei eine, aus dem links am Halse sitzenden Kropfe heiser grölzende Stimme, und ihr habt das ziemlich treue Bild des Unholdes, der mir vollends alle Jugendlust verleidete, meinen unschuldigen Tritten und Schritten wie ein Luchs mit dem spähenden Blicke folgte, mich verklatschte und jegliches Strafamt an mir Armen übte, der sich darüber bei niemandem beklagen konnte. Denn mein Vater war mir, wie schon gesagt, unzugänglich und selbst ein Sklave des Zwerges, so daß auch ihm keine andere Freude blieb als seine Bücher in der stillen, finsteren Ladenstube und abends die Ressource, wo er auch nur still für sich saß, wenig teil am Gespräche nahm, in den Zeitungen blätterte, oder gedankenvoll sich in die blauen Wirbelwolken seiner Pfeife hüllte. Dabei hatte die Mutter ein System des Geizes eingeführt, von dem ihr keinen Begriff habt. Harte Eier und Salat, das war schon eine Luxussonntagsmahlzeit, Rosinenstielsuppe, sparsam mit Syrup versüßt, eine Extralabung, trockenes Brot mit Salz und Brunnenkresse im Sommer, eine Wassersuppe im Winter mein Frühstück. Denn Salz und Brot, pflegte sie zu sagen, macht Wangen rot. Doch muß ich gestehen, daß meine Kleidung immer sauber und reinlich war, da die Mutter bei dem allen auf äußeren Anstand hielt und wohl nicht unrecht hatte, wenn sie predigte: Niemand sieht dir in den Magen, aber wohl auf den Kragen! Daß unter solchen Umständen die Eltern reich werden mußten, das war ganz natürlich. Aber wem von ihnen half der Mammon etwas? – Keinem! Der Vater, erst in der Erinnerung besserer Tage jammernd, wurde endlich durch die Gewohnheit abgestumpft und lernte vergessen, was Lebensgenuß sei, und die Mutter, die solchen nie gekannt, erlag manchmal fast den peinigenden Schmerzen eines Rheuma, das mit den Jahren immer ärger ward, weil sie aus Geiz vernachlässigt, dagegen zweckdienliche Mittel zu brauchen und zu sympathetischen Quacksalbereien ihr Zuflucht nahm, die nichts nützten.
Ach, wie wohl war mir, als ich in meinem sechzehnten Jahre zu einem anderen Kaufmann in die Lehre kam. Konnte man es mir verdenken, daß ich mit fast kaltem Herzen dem väterlichen Hause Valet sagte und wohlgemut der fremden Stadt zuwanderte, in welcher ich nun bessere Tage hoffen durfte? Konnte man es mir verdenken, daß ich nach ausgestandener Lehrzeit noch länger im Hause meines wackeren Lehrherrn blieb, wo ich diese besseren Tage wirklich gefunden, wo die früh geknickte, fast zertretene Blume sich wieder erhoben in neuer Lebenskraft, wo Geist, Gemüt und Leib gereift zu höherem, edleren Dasein, wo mir das Glück ward, auf Geschäftsreisen die Welt und Menschen kennenzulernen? Zwar verlangte mein Vater, der alt und schwach geworden, mich zur Hilfe nach Hause, zwar schrieb mir nun auch die Mutter liebliche, ködernde Briefe; aber dennoch verzog ich die Erfüllung ihrer Wünsche so lange als möglich, denn ich wußte, was ich zu Hause zu erwarten. Endlich behielt kindliche Liebe die Oberhand. Ich packte den Reisekoffer und zog mit bangem, doch freiem Herzen, das Amors Fesseln noch nicht kannte, ob ich schon wie andere leicht und lustig um Blumen geflattert, weil ich in der Mode nicht zurückbleiben mochte, in die Heimat, die nur mir keine geliebte war. Denn ich hatte da keine Spielplätze wie andere, konnte mich nicht freuen auf den grünen Rasenteppich mit den neu hervorsprießenden Frühlingsblümchen, auf die dunkle kühle Waldnacht mit dem geheimnisvollen beerenreichen Gesträuch am Bache. Mir hatte ja kein Rasen gegrünt, kein Wald gerauscht, kein Jugendfreund sich näher an mich schließen dürfen.
Und wirklich fand ich auch beim Eintritte in das väterliche Haus nichts wieder als – das Elend und noch dazu in erhöhtem Grade. Der Vater wankte zitternd am Stabe, die Mutter war durch Krankheit noch grämlicher geworden. Nur Habakuk saß unverändert, wie ein lauschender Kobold im Laden, fletschte die Zähne und stieß Pfeffer, eselte auch so rüstig wie sonst als Wasserträger und Holzspalter. Seine ersten Blicke schossen nach mir wie giftige Pfeile. Aber mild und so freundlich, als es ihnen Mißmut und Körperschmerz zuließen, ward ich von den Eltern empfangen, deren Augen mit besonderem Wohlgefallen auf meiner entwickelten Gestalt ruhten, besonders da die Mutter genau beobachtet, daß ich die heimatliche Schwelle mit dem rechten Fuße zuerst beschritten, was bekanntlich Glück und Segen bedeutet. Daß ich ihnen Freude mache durch mich selber, das war im ersten Augenblicke des Wiedersehens meine eigene, einzige. Denn allzu schneidend erschien mir der Abstand der traurigen Einsamkeit, in die ich mich nun versenkt, gegen die fröhliche, gemütvolle Freiheit, die ich eben verlassen. Doch bald sollte eben diese Einsamkeit für mich ein ganz eigenes, unerwartetes Interesse gewinnen, bald es mir sehr fühlbar werden, daß es jetzt hier anders sei als sonst. Schon das Abendbrot, dem mein verwöhnter Appetit mit Zittern und Bangen entgegengesehen, machte mich stutzig. Es war nur eine frugale Kräutersuppe, nur ein Eierkuchen mit Pflaumenmuß, aber diese Suppe, dieser Eierkuchen konnte unmöglich aus Mutter Gertrudens Kochkunst hervorgegangen sein. So hatte mir lange, selbst in meines Lehrherrn Hause keine Mahlzeit gemundet. Noch war ich in frohem, heimlichen Staunen über dieses mir unerklärliche Phänomen am väterlichen Küchenhimmel, noch wiederholte ich mir die heimliche Frage: wag ist das? als geräuschlos, mich sacht und sittsam grüßend, ein Mädchen an der, wie ich nun wohl bemerkte, noch ledigen vierten Stelle des Tisches Platz nahm, mit niedergeschlagenen Augen gesegnete Mahlzeit wünschte und auf ihren Teller die Reste der Speisen erhielt. Ein sonderbares, mir ganz fremdes Gefühl durchzuckte mich bei dem ersten Blicke auf diese Gestalt, mein zweites Gefühl war fast Verzweiflung darüber, daß ich ein Vielfraß gewesen und der Armen so gar wenig übriggelassen. Die Eltern mochten mir die hinuntergeschluckte Frage angesehen haben, wer dieses Mädchen sei; denn die Mutter sagte, nach ihr mit dem Finger hinweisend, fast vornehm wegwerfend: das ist Sabine, unsere Köchin, die dir auch die Stube aufräumen und das Bett machen wird.
Köchin? stammelte ich überrascht und kaum hörbar, wagte nicht, vom Teller aufzuschauen und glühte, ich wußte nicht, warum.
Ja – antwortete die Mutter – du wirst dich noch besinnen auf den fortgelaufenen Steuereinnehmer, der nachher in Polen gestorben ist. Die Mutter lebte auch nicht lange mehr und hinterließ die Waise. Was sollten wir tun? Verwandt ist sie einmal mit uns, wenn auch weitläufig. Wir nahmen sie also vor drei Jahren ins Haus und geben ihr das Gnadenbrot.
Brot als Lohn, willst du sagen, lieber Schatz, – fiel der Vater verbessernd, doch furchtsam ein – denn – sie arbeitet.
Sie muß auch, – strafte die Mutter – darum ist auch an dem, was ich gesprochen, gar nichts zu tadeln.
Wie mir bei diesen Reden ward, als ich nun den scheuen Blick nach der armen Muhme richtete und sah, wie eine stille Träne aus dem gesenkten Auge herab auf das Gnadenbrot fiel, das vermögen Worte nicht zu schildern. Dieses sanfte, reinliche, kaum siebenzehn Jahre alte Geschöpf mit den brennenden Wangen, im bescheidenen Häubchen, das doch die Fülle der blonden Ringellocken nicht ganz zu bergen vermochte, dieses große, milde blaue Auge, in das ich nur bei einem allereinzigen Aufblicke geschaut, die Worte: Köchin, Gnadenbrot und Arbeit, regten plötzlich Empfindungen in mir auf, von denen ich in der Minute nicht wußte, ob sie angenehm oder schmerzlich waren. Und als sie nun ebenso sacht vom Tische aufstand, gute Nacht wünschte und das Zimmer verließ und meine Augen der reizenden, schlanken Gestalt folgten, da wiederholte mir eine innere leise Stimme die Worte: sie wird dir die Stube aufräumen und das Bett machen! O Himmel, das Bett wird sie mir machen, seufzte ich halblaut vor mich hin, und war kaum imstande, mich zu fassen.
Ei, ei, Kommerzienrat, – unterbrach ihn der Bürgermeister lächelnd – Ihr malt ja wie ein Zwanziger.
Laß ihn! – rief der Major. – Fuhrleute, die selber nicht mehr fahren, hören doch noch gern mit der Peitsche klatschen.
Und gar fein und lieblich – setzte der Justizamtmann hinzu – läßt das Blümlein Vergißmeinnicht, das aus dem Schnee herauswächst.
Euere bösen Zungen – entgegnete der Erzähler – sind mir hinlänglich bekannt. Doch das soll mich nicht irren. Genug, ich war außer mir, und nur erst das Wort der lächelnden Mutter, wir haben auch mit ihr so ein Plänchen, brachte mich wieder zu mir selbst.
Ein Plänchen haben sie also mit der Köchin? – wiederholte ich mir auf meinem Zimmer, unruhig auf- und niederschreitend. – Ein Plänchen? Und, wie mir das Lächeln der Mutter deutlich genug sagte, ein Plänchen mit mir? Mit mir und – der Köchin? – Charmant! – Daraus wird nichts! Hochmut hob sich in meinem Inneren. Ich, der kluge, reiche, junge, nicht häßliche Kaufherr, ich – eine Köchin? eine Magd? Und! im ausgesonnenen, angelegten Plane? – Nimmermehr! – Sie ist hübsch, sie ist ein Engel! Mag's! Sie ist arm, sie speist das Gnadenbrot! Sie ist – eine Magd!
Mit ganz eigenen, kämpfenden Gefühlen sank ich auf das Lager – ach! – das ja sie mir gebettet, und niemals in meinem Leben habe ich besser geschlafen. – Als die Morgensonne mir in die Vorhänge schien und ich den letzten Rest der traumlosen Nacht mir aus den Augen rieb, war mein erster Gedanke: nun wird sie kommen, das Waschwasser und das Frühstück bringen. Welcher Wunsch in mir der stärkere gewesen, ob der, daß sie komme, oder der, daß sie nicht komme, das kann ich wahrhaftig noch jetzt nicht sagen. Sie kam nicht. Ich kleidete mich an und ging hinunter, mit dem festen Vorsatze, die mir Zugedachte, die Magd, die natürlich Teilnehmerin des lieben Planes sein mußte, nicht eines Blickes zu würdigen. Sie wird die Schüchternheit schon ablegen, – dachte ich – sich schon zu schaffen machen um dich, doch du wirst standhaft sein, und kannst es auch unter diesen Umständen. Nur den Herrn soll sie in dir erblicken, nur den, der ihr auch zu befehlen hat, weil sie auch sein Brot ißt.
Eitler Wahn! – Sie ließ sich nicht sehen, obschon ich ihr wirtschaftliches Wirken in Haus und Küche deutlich wahrnahm. Nur zu Mittag und Abend kam sie, wie das erstemal, still und bescheiden an den Tisch. Aber wiederum merkte ich am Wohlgeschmacke des einfachen Mahles, an der Reinlichkeit, die überall herrschte, an der Sauberkeit meines Zimmers, in welchem eine unsichtbare Hand still ordnend waltete, daß es im väterlichen Hause wahrhaftig anders sei als sonst, und durch sie – die Köchin. Ich fing an, mir als ein Undankbarer zu erscheinen, ich fing an, zwischen Magd, Köchin und Dienstmädchen zu distinguieren und das letzte Wort schon feiner lautend zu finden als die beiden ersteren. Ist sie denn nicht auch – strafte ich mich – deine Muhme? – Freilich, im neunundneunzigsten Grade! – War ihr Vater nicht Steuereinnehmer? – Freilich, ein davongelaufener! – Was tut das? Was kann sie dafür? Leidet sie nicht im bitteren Drucke der Knechtschaft? Hast du nicht selbst ihre Tränen auf das Gnadenbrot fallen gesehen? – Trug! Trug und Verstellung! – rief ich unwillig. – Wie kann sie leiden bei dem, was sie weiß und sich einbildet! Diese Tränen gekränkter Eitelkeit werden aufhören, wenn die Eitelkeit befriedigt, wenn sie Herrin ist. Nun, bis dahin soll es gute Wege haben! Verdient sie auch nicht gerade meine Verachtung, so will ich doch tun, als sei sie gar nicht da, damit sie verbleibe in den Schranken ihres Berufs.
Ich sprach mit ihr kein Wort. Ich wollte sie nicht ansehen. Aber konnte ich das halten? – Und als die Mutter mir das neue feine, künstlich ausgenähte Halstuch gab und sagte: das hat Sabine für dich gemacht, mußte ich da nicht Schande halber mich bei ihr bedanken? Warum ich dabei gerade ein: »Liebes Binchen!« einfließen ließ, warum es mir warm zum Herzen heraufquoll, als sie mich in verschämter, errötender Erwiderung lieber Herr Vetter nannte, warum ich gedankenlos noch lange auf meiner Stube das Tuch in meinen Händen hielt, wußte ich das?
Du warst verliebt, Herr Bruder! fiel der Justizamtmann ein.
Freilich war ich verliebt! – antwortete der Kommerzienrat. – Mein Stündlein hatte geschlagen. Doch konnte und wollte ich damals noch nicht genauer darüber nachdenken, der Hochmutteufel blendete mich noch. Denn nach den Ansprüchen meiner vierundzwanzigjährigen Eitelkeit mußte meine Künftige wenigstens ein Fräulein mit hochadeligem Geburtstempel sein. Und dann der Plan, der Plan, der widerte mich am allermeisten an. Auch in dieser Hinsicht fand ich es anders im elterlichen Hause als sonst. Ehedem – darauf kannte ich die Mutter – würde es nur Torheit gewesen sein, an die Möglichkeit einer Verbindung mit einer Armen zu denken, und nun hatten sie sogar selbst eine solche für mich bestimmt. – Unbegreiflich! Nein, daraus wird nichts – in Ewigkeit nichts! – Sie mag sich den Habakuk nehmen! brummte ich in Gedanken vor mich hin, und wußte nicht, daß ich in der Stube der Mutter war.
Wie? – fuhr diese mit freudiger Überraschung auf und weckte mich aus meinen Träumereien. – Du findest das also auch passend?
Was? – fragte ich fast erschrocken. – Was, Mutter?
Nun, das Plänchen – antwortete sie – mit der Sabine und dem Habakuk?
Das Plänchen mit ihr? – stammelte ich. – Mit Sabine und Habakuk?
Nicht wahr? – lächelte sie. – Du staunst, daß wir so einerlei Gedanken haben? Und nicht wahr, das schickt sich? – Der Mensch hat seine paar tausend Taler erspart, und gut ist er ihr zum Sterben; was will sie mehr?
Schlaff und kraftlos fielen meine Hände herab. Ein kalter Schauer fuhr mir durch die Glieder. Also das ist das Plänchen? – rief ich auf meinem einsamen Zimmer und fand mich nun auf einmal wieder im alten väterlichen Hause. – Mit dem Zwerge verkuppeln wollen sie die Arme? Die holde, sanfte Schönheit mit einem Abschaume der Natur? – Die Arme? – wiederholte ich sinnend. – Weiß ich denn, ob sie sich nicht sehr reich fühlt und ob es nicht ihr Wille? – Konnte die Königin der schwarzen Inseln einem häßlichen Mohren gut sein; ist es nicht auch möglich, daß Sabinens Herz einem rothaarigen Buckelinski brennt? Der Geschmack ist verschieden.
Und wirklich, soeben hörte ich sie mit Nachtigallenstimme im Waschhause ein lustiges Liedchen singen.
Es ist richtig! – murrte ich grimmig. – Sie liebt den Elenden! Sie ist froh, sie ist heiter und nur in deiner Nähe still und stumm, du, durch deine Eitelkeit betrogener Tor! – Sie denkt nicht daran, daß du in der Welt und ein Hasenfuß bist, der da glaube, in dich müsse sich verlieben alles, was eine Schürze trägt! – Verwünschte Selbstsucht! Und noch verwünschteres, falsches Geschlecht!
Mit Basiliskenblicken verfolgte ich nun das Mädchen, gegen das ich erbittert war, weil es einen Plan auf mich nicht angelegt. Vor Bosheit war ich jedoch keines Wortes mächtig, so sehr ich auch anzügliche Reden mir einstudiert. Nun erst sah ich es, was ich früher gar nicht bemerkt, daß der buckelige Molch um sie herumhüpfte mit ekelhafter Süßigkeit. Nun erst fiel mir der Blumenstrauß ein, so groß wie ein Kehrbesen, den ich den Zwerg gestern ins Haus schleppen sah und den er niemand anderem gegeben haben konnte als ihr. Nun aber stand es auch in mir fest, ihr mit Verachtung zu begegnen und mich für die Täuschung meiner Eitelkeit zu rächen nach der Möglichkeit.
Die Gelegenheit dazu blieb nicht lange aus. Die Eltern und ich wurden zu Salzinspektors, zu dem alten podagrischen Herrn von Muschel, seiner ahnenstolzen, hageren Gnädigen, und den beiden überreifen Töchtern gebeten. Denen willst du die Cour machen aus Nummer ff, – beschloß ich – und sie soll es erfahren. Sind auch beide schon ziemlich verbrauchte Muscheln, haben sie auch in der Residenz, ehe Papa hierher versetzt wurde, viel Glück gehabt bei den Gardeoffizieren und Reisen gemacht, von denen sie etwas blaß zurückgekommen; was liegt daran? Sind sie nicht altadelige stift- und hoffähige Subjekte, Prachtstücke für Cytherens heilige Hallen, Musterbilder der Mode? – Und sie soll es erfahren und sich ärgern!
Ich Tor bedachte nicht, daß sie, wenn sie den Zwerg liebe, sich daraus gar nichts machen und sich im Geringsten nicht ärgern werde! Ich Tor handelte, als müsse ich ihr schlechterdings interessant sein! Aber so sind die Verliebten! Eine Inkonsequenz jagt bei ihnen die andere, und bei der ärgsten glauben sie wunder, wie klug sie sich benommen!
Das hochadelige Haus überhäufte uns mit Artigkeit. Es war sichtbar, daß schon lange eine Art von vertraulicher Freundschaft zwischen ihm und den Eltern, besonders der Mutter, bestehe. Der alte Herr redete mit mir über Handels-Konjunkturen, die gnädige Mama über die Bälle und Feten der Residenz, die Fräuleins über Schiller, Göthe und Jean Paul. Ja, Rebecka trieb die Huld so weit, mir aus heiler Haut am Flügel den Hopser abzutrommeln, in welchem sie auf dem Balle des Grafen X. am Arme des Kammerherrn von Y. Furore gemacht, und alle baten mich, nun auch ihnen etwas vorzuspielen und zu singen. Was wollte ich tun? Das Zieren bei solcher Gelegenheit ist mir in den Tod zuwider. Ich spielte und sang also frisch darauf los, obschon ich wohl wußte, daß das Singen eben nicht meine starke Seite, was ich auch vorher ganz unbefangen gestanden hatte. Umso größer war mein Schreck, als ich im spiegelnden Glase eines vor mir hängenden Bildes sah, daß die beiden Huldinnen, die hinter mir standen, sich verstohlen in die Seite stießen und das Schnupftuch vor den Mund nahmen. Falsches, nichtswürdiges Gezücht! – dachte ich ergrimmt, und die schöne Stelle des Schlußchors in Schweizers Elysiuum: »eure Freuden sind ein Blick in elysische Gefilde«, bei der ich eben war, verwandelte sich in donnernden Lach- und Hohngesang, in klaren, strafenden Bezug auf das Elysium des Herzens, in welches mich diese heimlichen Freuden des Schwesterpaares blicken lassen. Mögen sie, – faßte ich mich während des Nachspiels, das ich zu dem Behufe verlängerte, – was hast du mit ihnen zu schaffen! Du tust, als ob du nichts gemerkt, bist zehnmal freundlicher als vorher und hast sie zum besten, wie könnte sie sonst sich ärgern! – Lustig paukte ich auf die Klaven, daß im höllischen Getöse selbst das Bellen des erschrockenen Mopses unhörbar unterging, und übertraf mich nachher in allerlei Liebenswürdigkeit so sehr, daß männiglich entzückt war und das Antlitz der Eltern, besonders das der Mutter, beim Nachhausegehen in süßer Verklärung glänzte.
Mein Richardchen, – sagte sie beim Abendessen, als schon Sabine ihren Platz eingenommen, – heute bist du wirklich ganz charmant gewesen, und Muschels wissen gar nicht, dich genug zu loben.
Es sind aber auch herrliche Leute, – fiel ich ein – so freundschaftlich, so bieder, und die Fräuleins hübsch, wie die Liebesgöttinnen, und reizend, wie Grazien! Alle Register preisender Suada wurden nun gezogen, und rundum blickte ich – zu einer Stelle freilich nur verstohlen – nach der Wirkung dieser erkünstelten Exaltation. Die Mutter war selig, trotz dem Reißen, das ihr im rechten Arme zuckte. Der Vater stierte mit finsterem, fast traurigen, doch furchtsamen Stirnrunzeln, daß es die Mutter nicht gewahre, vor sich hin. Um Sabinens Mund, die vom Teller nicht aufsah, spielte ein kaum merkliches, schalkhaftes Lächeln.
Sie lächelt? – fragte ich mich beim Auskleiden. – Was ist ihr so lächerlich? Ist es Freude über die Posaunenstöße zum Preise der Muscheln? Wer hat jemals gehört und gesehen, daß ein Mädchen sich freut, wenn andere mit Enthusiasmus gelobt werden? – Teilnahme? – Dem widerspricht der satirische Zug um den Mundwinkel. – Hohn? – Was hätte sie dazu für Grund? Und glaubt sie, welchen zu haben, – wie wäre der mit ihrem sonstigen Wesen zu vereinen? Oder ist auch dieses nur Trug? Oder dachte sie eben an ihren roten Seladon? – Wer löst diese Rätsel??
Ich Kurzsichtiger! Wie weit sind wir Männer zurück gegen Frauen im Katechismus der Lebensklugheit! Wo wir im Finsteren tappen, sehen sie hell und klar. Darum ehret die Frauen, sie sind listig und klug, wenn auch voll Schalksinn und heimlichen Trug.
Wir bedanken uns schönstens, riefen sämtliche Kränzchenschwestern wie mit einer Stimme, standen auf und machten zierliche Knixe.
Nicht Ursache! Nicht Ursache! – antwortete der Kommerzienrat, die Schlafmütze lüftend. – Es ist gern geschehen.
Was ich damals nicht herausbringen konnte, das ward mir in der Folge deutlich. In meinem Herzen hatte die Schlaue gelesen, und dann, freilich, dann mußte sie lachen. Damals hatte ich noch die Binde vor den Augen, und der Skrupel über das Warum liest mir weder Rast noch Ruhe. Ich mußte es herausbringen, ich mußte meiner inneren Bosheit Luft machen. Denn es war mir nun, wie schon gesagt, unausstehlich, daß sie mit mir kein Plänchen habe, daß sie so elend, so nichtswürdig sein könne, nach dem Zwerge zu greifen – vielleicht der paar tausend Taler wegen. Ich lauerte sie daher auf der oberen Hausflur ab, als sie eben vom Wäschetrocknen die Bodentreppe herabhüpfte. – Sie erschrak, als sie den Lauerer erblickte, dessen Absicht sie erraten mochte. Auch ich erschrak und wäre fast nicht imstande gewesen, ein Wort zu sagen, wenn nicht der Gedanke meine Zunge gelöst hätte, daß diese Gelegenheit sobald mir nicht wiederkommen dürfte. Darum trat ich ihr keck mit den Worten in den Weg: Halt, halt, Mühmchen! Wohin so eilig? Zum Liebsten kommen Sie schnell genug. Er wartet zärtlich auf Sie im Holzstalle und läuft nicht davon. Gönnen Sie mir auch einmal ein Wörtchen!
Was wollen Sie von mir? zitterte sie und sah blutrot zur Erde.
O nur wenig! – entgegnete ich. – Nur wissen möchte ich, – ob – ob – Sapperment! ich hatte das Konzept verloren und platzte in Seelenangst ungeschickt heraus: ob Sie den Habakuk heiraten?
Sollte ich nicht? – ermutigte sie sich schäkernd. – Ist's nicht ein charmanter Bursch? Sie werden doch tanzen auf meiner Hochzeit mit Fräulein Beckchen?!
Lachend war sie mir entsprungen, und verblüfft stand ich da im stummen Nachstarren.
Als ich wieder zu mir selber kam, wußte ich nicht, ob ich mich schämen, freuen, oder ärgern sollte. Schämen, weil ich durchaus das nicht gesagt, was ich eigentlich sagen wollen; freuen, über den Liebreiz des holden Geschöpfes, das mit den vollen, runden Armen, über die sie wirtschaftlich die blendend weiße Bauschhülle hoch hinaufgestreift, im reinlichen Hauskleide, in aller Anmut der Unschuld und Jugend vor mir gestanden; ärgern, über ihr Lachen und das Bekenntnis, daß eben dieser Liebreiz einem Kaliban zuteil werden solle. Vielmal noch setzte ich an, aber immer war es mir unmöglich, ihr irgendetwas Bitteres zu sagen. Hatte ich denn im Grunde auch Ursache dazu? Was ging es mich eigentlich an, wen sie heirate? Und mußte nicht alles, was ich von ihr sah und hörte, nur meine Achtung für sie vermehren? War sie es nicht, die manche Nacht bei der kranken Mutter verwachte und dennoch am Tage flink und fleißig die Wirtschaft versah, als bedürfe sie des Schlafes gar nicht? War sie es nicht, welche die oft fast unerträglichen Launen der Mutter nur mit stiller Milde und erhöhter Anstrengung erwiderte? War sie es nicht, die im Verborgenen alles zum besten kehrte und eben so sacht und anspruchlos alles in freundlicher Ordnung hielt? Richard, – fragte ich mich wohl manchmal – wie ist dir? Sollte das Liebe sein? – Ach was Liebe, – antwortete dann meine Verblendung – Mitleid ist's und weiter nichts! und eigentlich nur um mich zu betäuben, nur um die hochfahrenden, üppigen Fräuleins zum besten zu haben, auch nur aus schnöder Eitelkeit, trieb ich mein tolles Wesen bei Muschels ärger als zuvor. Man nahm für Ernst, was nur Ironie war, und manch heimlicher Händedruck, manch bedeutsamer Blick forderte mich auf, mutig die betretene Bahn zu verfolgen, an Widerstand sei nicht zu denken. In eben dem Maße, als diese meine Petulanz zunahm, wuchs nun auch die Zufriedenheit meiner Mutter, die Verstimmung und Einsilbigkeit des Vaters, und der gegenseitige Verkehr der beiden befreundeten Häuser. Nun verging kein Tag, an welchem wir nicht entweder drüben waren bei Salzinspektors, oder sie bei uns. Eine von den drei Damen fast in der Regel als Besucherin bei der Mutter, am häufigsten Rebecka, welche als die älteste der Schwestern ihr Vorzugsrecht an mich sich nicht nehmen ließ, das ihr auch weder Kunigunde noch sonst jemand streitig machte. Mir war es, wie schon gesagt, anfangs zum Lachen. Doch bald gewann die Sache höheren Ernst, als die Mutter deutlicher mit der Sprache herausrückte und ich nun wohl sah, daß das eben der Plan der hoffärtigen, geizigen Frau mit mir sei. Eine Adelige, Nummer eins, und dann im Hintergrunde das Salzmagazin, das mir bei dem Tode des Alten nicht fehlen könne, Nummer zwei. Warum das süße Fräulein meine unbedeutende Bürgerlichkeit goutierte, das zu enträtseln, fiel mir bei dem Bewußtsein meiner Liebenswürdigkeit, an der noch ein beträchtliches Goldgewicht hing, bei der Kenntnis der Romane dieser Ranunkelrosen, die so mancher Schmetterling schon umflattert hatte, ohne daran zu denken, sie zur dauernden Verschönerin seines Lebens zu erkiesen, nicht schwer, auch ohne das angefangene Briefchen an eine Freundin, in das ich einst drüben flüchtig zu schauen die unbemerkte Gelegenheit hatte und in welchem mein Beckchen klar und unumwunden schrieb: Der »Pfefferkönig hat sich nun wirklich im Netze meiner schönen Augen gefangen. Daß ich ihn nicht wieder herauslassen werde, das, liebe Seele, versteht sich. Was bleibt, wenn man einmal in gewissen Jahren ist, Vernünftigeres zu tun übrig, als die Unbeständigkeit der Männer am ersten besten zu rächen, an dem man es kann. Und glaubst du nicht auch, daß ich in der Tat mit ihm glücklich sein werde? – Er ist ein Schaf, wie sein Vater, und welche reizende Aussicht bietet das, welche himmlische Zukunft!« – Daß der Pfefferkönig, das Schaf, der Notnagel eines entblätterten Jungfernkranzes, seine zärtlichen Gesinnungen gegen die holde Briefschreiberin durch das allerliebste Billet nicht sonderlich gestärkt und vermehrt fühlte, das läßt sich denken. Ich stellte Vergleichungen an zwischen dieser abgewelkten Tulpe und der jungen frischen Rosenknospe, die so still in meinem Hause erblühte, zwischen jenem glänzenden Käfer, der seine Nahrung aus ekelhaftem Unrate zieht, und der unschuldigen Libelle, die heiter um die Blätter des Frühlings schwebt. Dort war alles nur Schein, hier alles Wahrheit! Und als nun gar die vornehme Wegwerfung, mit der sich die Tulpe gegen die Rose blähte, mir schreiender und greller vor die Augen trat, als nun gar einmal Binchen der Stolzen bei einem Besuche bei der Mutter nichts recht machen konnte, und das Fräulein die Arme mit der Zurechtweisung strafte: liebe Jungfer, Sie ist doch recht links und täppisch; da zuckte es mir in allen Gliedern, mit der Wahrheit herauszufahren und der Ritter der Schutzlosen zu sein. Doch die heimliche Frage: will sie denn dich zu ihrem Ritter? schlug schnell die heldenmütige Aufwallung nieder. Ja, die Frage: könnte sie dich wollen oder nicht? ging mir nun beunruhigender im Kopfe herum, als dem Hamlet das Sein oder Nichtsein. Von dem Anstoße des Wortes: Köchin, Magd, Dienstmädchen, war keine Rede mehr, dieses alberne Vorurteil hatte sich verloren. Nur das Mühmchen, nur die Schönheit und Jugend sah ich, je länger ich Binchen sah, und jeden Tag ward es mir nun klarer, daß ich bis über die Ohren in sie verliebt, und für mich kein Lebensglück sei als mit ihr. Aber umso brennender peinigte mich nun die Ungewißheit, ob sie denn wirklich fähig sei, sich in den Kloak eines Habakuk herabzulassen.
Lange ging ich unentschlossen, sinnend herum, lange verzögerte ich furchtsam die Entscheidung, deren Wichtigkeit mein ganzes Leben durchschauerte. Endlich faßte ich mir ein Herz und überraschte die Ahnende, die mein Geheimnis längst erraten, als sie eben meine Stube aufräumte.
Binchen, – rief ich, zitternd ihre Hände fassend, – ist es denn wirklich möglich, könnten Sie wirklich den Habakuk zum Manne nehmen?
Lieber ins Wasser springen! – antwortete sie schnell. – Aber wozu die Frage? Was kümmert Sie mein armes Dasein? Sind Sie nicht glücklich mit dem vornehmen Fräulein?
Also wirklich ist dir der Molch ein Abscheu? – jubelte ich. – Wirklich? Wirklich?
Wirklich und wahrhaftig! beteuerte sie langsam und suchte sich von mir loszuwinden und fragte mit seelenvollem Blicke: und Sie konnten es für möglich halten, daß –
O ich lasse dich nicht! – stürmte ich, fast außer mir. – Du kommst nicht los! Binchen! Ich liebe niemanden als – dich! Dich und keine andere und ewig! Kannst du mich verwerfen?
Weggewandt von mir die schönen Augen, die brennenden Wangen, noch immer in meinen Armen, doch kraftloser ringend, vermochte sie nicht zu reden.
Binchen, – drängte ich heftiger und schloß die fast Ohnmächtige an meine Brust, – wäre es möglich, daß du dein Herz mir geben könntest? O rede! Könntest du?
Ach nein! – lispelte sie kaum hörbar. – Jetzt nicht mehr!
Nein? – stammelte ich erschrocken und ließ sie los. – Wie? Du könntest mir dein Herz nicht schenken?
Es ist schon verschenkt! – antwortete sie mit niedergeschlagenen Augen, und ein halb schalkhaftes, halb schmerzliches Lächeln zuckte um den lieblichen Mund. – Sie hatten es vom ersten Augenblicke an, als ich Sie sah.
Erlaßt mir, lieben Freunde, euch lang und breit zu referieren, wie sich nun der Himmel mit allen Freuden der Seligen auftat in dem ersten, heiligen Momente wechselseitiger Geständnisse wahrer, unschuldiger, inniger Liebe. Das habt ihr alle selbst erlebt, und ich würde beim weiteren Ausmalen dieser Szene nur böse Zungen reizen, wie vorhin.
Aber das ist ja doch nur ein Traum! – seufzte Binchen, als wir wieder zur Besinnung kamen. – Dag wird die Mutter ja in Ewigkeit nicht zugeben!
Sie wird! – tröstete ich sie. – Sie wird! Und habe ich denn nicht auch einen Vater? Kann der dem Glücke des einzigen Kindes entgegen sein in unmännlicher Schwachheit? Und ist mir nicht sein Mißfallen am Narrenspiele mit dem Fräulein vom ersten Augenblicke an klar und sichtbar gewesen?
Wie auf eine ganz untrügliche Grundmauer, baute ich meine Hoffnung väterlicher Billigung auf diese unverkennbaren Äußerungen, sowie auf die vollkommene Makellosigkeit der Geliebten, und glaubte mit dem Vater vereint die sieghafte Opposition gegen die Mutter ergreifen zu können, die ja doch nur meine Stiefmutter war.
Ich betrog mich. Zu fest hatte der Plan schon in ihrer Seele gewurzelt. Das setzte ich zwar voraus, ging behutsam, suchte mich nur ganz gelinde und nach und nach von Salzinspektors zurückzuziehen und meine wahre Liebe zu verheimlichen, aber die Schlaue merkte, was die Glocke geschlagen, und was sie nicht sah, das erspähte Habakuk, ihr dienstfertiger Spürhund.
Noch hatte ich dem Vater das eigentliche Geheimnis meines Herzens nicht entdeckt, als es in der Ladenstube zur förmlichen Erklärung zwischen mir und den Eltern kam.
Was ist dir denn, Richard? – fragte die Mutter. – Du bist gar nicht mehr derselbe, und Fräulein Beckchen klagt gewaltig über deine Zerstreuung und Betisen, wie sie es nennt.
Oh, sie wird noch mehr von mir erfahren, – antwortete ich – denn ich bin des Gefasels herzlich überdrüssig, das sie und andere wohl gar glauben machen könnte, ich hätte ernstliche Absichten.
Nun, – lächelte die Mutter bittersüß – haben wir denn die nicht auch wirklich? Was fehlt ihrer Person?
Alles – fiel ich hastig ein – zur Liebenswürdigkeit!
Kommen wir nicht – fuhr die Mutter, ohne sich stören zu lassen, fort – durch sie in vornehme adelige Familie?
Wie ein Schmutzfleck – brummte ich – in ihren Augen, aus Kommiseration, als letzter Notbehelf!
Zehn, zwanzig – eiferte die Mutter – haben nach ihnen die Hände ausgestreckt – –
Und sie wieder zurückgezogen! unterbrach ich sie.
Und das Salzmagazin, – setzte sie heftiger hinzu – das seine sechshundert Taler bringt, das dir nicht entgehen kann, ist das nichts? Die Freundschaft, mit der sie uns behandeln, Rebeckens Geschicklichkeit, ihre Gelehrsamkeit, mit der sie zu sprechen weiß, ist das nichts? – Alter, – wendete sie sich zu dem fast zitternd herumtrippelnden Vater – rede doch du auch ein Wort und kehre das Rauhe heraus.
Richard hat recht, – ermannte sich der – ich kann es nicht tadeln, wenn ihm die welke Zierpuppe nicht zusagt, die dich mit schlauer Heuchelei täuscht und die am Ende –
Was? – rief die Mutter mit wutentflammten Augen und in die Seite gestemmten Armen. – Auch du bist so unvernünftig? Du bestärkst das Söhnlein in seiner albernen Widerspenstigkeit? Du im Komplott mit dem superklugen Gelbschnabel, dessen heimliche Praktiken ich schon kenne? O ich weiß es, wer der Urheber ist, wer mit der glatten Larve, unter dem Scheine der Sittsamkeit und Tugend aus Hochmut den Sohn verführt und den Vater betrügt, ich kenne die Massette! Bildet euch aber nicht ein, daß ich mir von euch Vorschriften machen lassen werde! Nun und nimmermehr! Was ich will, das muß geschehen, darauf verlaßt euch! Am Dreikönigabend habe ich Blei gegossen. Jedesmal traf's, und du willst dich gegen das Schicksal stemmen? Du willst –
Des Schicksals Zwang ist bitter, – seufzte der schwache, eingeschüchterte Mann und wagte kaum den zagenden Blick zu mir zu erheben –
doch seiner Oberherrlichkeit sich zu entziehn, wo ist die Macht auf Erden? Was es zu leiden heißt, was es zu tun gebeut, das muß getan, das muß gelitten werden!
Ja, – wiederholte die Mutter und schlug auf den Tisch, daß das Ladenfenster klirrte, – das muß getan, das muß gelitten werden! Und ich, ich selber bin das Schicksal und will euch knöcheln, bis ihr mürbe werdet!
Daß ich sonach allein stehe mit meiner Liebe und auf Hilfe des Vaters nicht rechnen könne, das sah ich nun deutlich. Denn war schmerzliche Krankheit, die Überzeugung von der Engelgüte der Geliebten, ihre Nützlichkeit in Haus und Wirtschaft nicht imstande, den harten Sinn der unholden Frau zu beugen; konnte ich hoffen, dies Ziel zu erreichen? Wahrlich, meine Lage fing an beunruhigend zu werden, und in eben dem Grade vermehrte sich die Zudringlichkeit und Anmaßung der Hochadeligen, die ich doch aus Klugheit noch schonen, mit Artigkeit, die mir bitterer als Galle war, hinhalten mußte, um nach und nach vielleicht das zu erlangen, was auf einmal nicht möglich, und den rechten Zeitpunkt des Gelingens zu erlauschen. Selten nur konnte ich die heimlichen Tränen der Geliebten durch die Schwüre meiner unverbrüchlichen Treue trocknen, denn überall schlich der verruchte Zwerg. Verstimmung und Unfrieden herrschten im Hause. Von der Mutter war kein freundliches Wort mehr zu hören. Der Vater wankte täglich näher dem Grabe zu. Sabinens Fleiß und Pflege wurden mit empörenden Anzüglichkeiten, ja sogar mit gemeinen Schimpfworten vergolten, welche die Unschuldige eine listige Schlange, eine hochmutige, nichtswürdige Verführerin, eine schändliche Undankbare schalten. Nur der Buckelige fletschte, heimtückisch lächelnd, die Zähne. – Der Elende wußte, warum er sich freuen könne.
Ach, ein Entschluß war in der Seele der Geliebten gereift, der wie ein unvermuteter Donnerschlag vor mir niederfuhr.
5chon seit einigen Tagen hatte sie, wie es mir schien, geflissentlich jede heimliche, doch sonst noch zuweilen erstohlene Minute tröstenden Beisammenseins vermieden. Man muß niemals verliebt gewesen sein, um nicht zu fühlen, auf welche Folter so etwas das sehnende Herz spannt. Auch ich litt in dieser Folter. Was ist das? fragte ich bange. – Binchen, Binchen, – rief ich leise, wenn sie vor mir vorbeischlüpfte, – Binchen, nur auf ein allereinziges Wort! – Umsonst! sie hörte nicht. – Das Papier, dem ich mein Leid, meine Angst vertraut, wies sie seufzend von sich, und ihre Tränen fielen darauf.
Was ist das? stammelte ich, und Todesahnung schüttelte mich wie Fieberfrost. Nicht minder grauenvoll in geheimnisvoller Ungewißheit war mir die Beobachtung, daß sich allmählich der häusliche Sturm besänftigte, die Mutter von Tag zu Tage milder und freundlicher, auch gegen Sabinen, ja gewissermaßen zärtlich gegen sie ward, ohne daß ich auch nur eine entfernte Ursache dieser Veränderung wahrgenommen hätte. Und wieder fragte das lautklopfende Herz: Was ist das? Brütet sie Böses? Und welches Böse? Oder hat trotzdem, daß der Vater nur noch trüber und einsilbiger herumschleicht, trotzdem, daß Sabine nichts mehr von dir wissen will, armes Herz, trotzdem, daß der unheimliche Zwerg recht teuflisch grinst, die Mutter nach besserer Überlegung dir ein Fest der Liebe, der Überraschung bereitet? War der Augenblick gestern, in welchem Sabine dich vor deiner Tür plötzlich – du wußtest nicht, wie dir geschah, – in ihre Arme schloß und mit glühenden Küssen, den ersten von den Lippen der Sittsamen, dir zustürmte: ewig, ewig, ewig liebe ich dich! und dann entsprang, ehe du, Betäubter, die Besinnung wiederfandest; war das der heilige Abend des schönen Festes? Nein, nein, – zagte ich kopfschüttelnd – aus diesem Dunkel leuchtet kein freundlicher Stern!
Bald sollte sich alles aufklären.
Es war den Tag darauf, an einem Sonntage, als nach dem Mittagessen die Mutter mit überaus süßer Miene mir sagte: Heute ist ein glücklicher Tag! Zwei vierblätterige Kleeblätter habe ich im Garten gefunden und der erste Stich ins Orakelbuch traf den Vers: großes Glück und große Freud wirst du haben allezeit. Darum wird der Herr segnen, was wir vorhaben, und Freude und liebliches Wesen in Jerusalem sein, Sela! – Richardchen! Punkt vier, beim Kaffeetrinken ist Verlobung.
Verlobung? rief ich staunend, konnte jedoch für den Augenblick von der Geheimnisvollen weiter nichts herausbringen. Verlobung? – murmelte ich vor mich hin, und das Herz pochte mir wie ein Kupferhammer. – Sollte es dennoch wahr und wirklich sein, was die bange Seele kaum zu hoffen wagte? Sollte der Tag der Freude mir aufgegangen sein? Sollte? – sollte? – Nun, wir werden ja sehen! Halb im Traume ging ich in meinem Zimmer herum, nahm ein Buch in die Hand, aber ich hielt es verkehrt, wollte schreiben, aber die Finger zitterten, wollte auf dem Fortepiano spielen, aber die matt herabsinkenden Hände waren keines Tones mächtig. Ewig, ewig währten die paar Stunden. Der Zeiger der Turmuhr vor meinen Fenstern rückte nicht von der Stelle. Ich hätte in meiner unbeschreiblichen Angst hinaufrennen und die Zeit mit der peitsche vorwärtstreiben mögen. Sehnsuchtsvoller sind niemals Minuten gezählt worden. Endlich, endlich schlug doch die verhängnisvolle Stunde. Da setzte sich schräg gegenüber, aus der Kürschnergasse, das hochadelige von Muschelsche Haus in Bewegung, vornweg der hinkende Herr mit seinem Krückenstabe und mit Pelzstiefeln, gravitätisch am Arme die in nobeler Dürrheit klappernde Gnädige führend, hinter ihnen die zwei holdseligen Töchter, den stattlichen Embonpoint, mit dem sie die Zeit und reichliche Erfahrung gesegnet, ebenso zur Schau tragend, wie die Torheiten der neuesten Pariser Mode, und hinter ihnen der betreßte Bengel, der sich Kammerdiener schelten ließ.
Mir wurde eiskalt. Wie Schuppen fiel es von meinen Augen, denn nun war es mir gewiß, daß keine andere Verlobung gefeiert werden solle als – meine eigene und mit niemand anderem als – mit der vermaledeiten Muschel. Daher die Freundlichkeit der Mutter, die der Geliebten schmerzliche Entsagung abgedrungen. Daher der letzte, wehmütige Abschiedschrei der Geopferten. – Verruchte Schlangentücke! – O du liebliches Wesen in Jerusalem! Du kostbares Stechbuch! Du Lügenklee! Was soll ich tun? – Soll ich fortlaufen und die respektable Leserschaft mit der Hauptperson des Narrenspiels im Stiche lassen, oder soll ich heruntergehen und sie blamieren? – Soll ich mit der Kühnheit der gerechten Sache hintreten und dem Fasse den Boden ausschlagen? – Ach, soll ich damit den armen, schwachen Vater in die Grube stürzen? – Diese Fragen wechselten in meiner schwankenden Überlegung. Nein, – siegte endlich mein Grimm – nicht fortlaufen, heruntergehen willst du und mit aller menschenmöglichen Petulanz ihnen die Schellenkappe über die Köpfe werfen, die sie dir zugedacht. Ja, so soll es sein! Und lustig, eine ganze Hölle voll Teufel in der Brust, tanzte ich singend die Treppe hinab und trat in die Visitenstube.
Da saß die ganze Gesellschaft rund um den, mit dem rotbunten Festtuche gedeckten Tisch, schlürfte das duftende Schälchen und speiste Kuchen. Was ich mir ausstudiert zur höhnischen Begrüßung, kam nur halb zum Vorschein, denn mitten in der ironischen Rede sah ich sie, meine Sabine, abgewandt am Fenster stehen, mit den Fingern vor sich hin auf das Fensterbrett trommelnd, im einfachen, weißen Kleidchen. Niemals war sie mir reizender erschienen, obschon, wie gesagt, das holde Gesicht, abgewandt von allem, was in der Stube, durch die Glasscheiben auf die Gasse schaute.
Da erhob sich die Mutter mit den Worten: jetzt mag er hereinkommen, öffnete die Tür und rief: Habakuk!
Wie eine Bachstelze hüpfte der ins Zimmer. Ein hellbrauner Frack mit apfelgrünem Futter und tassengroßen, blanken Stahlscheibenknöpfen, paille Unterkleider, raupenstreifige Strümpfe kleideten den Trefflichen. Ein ungeheurer Blumenstrauß an der linken Seite der Brust langte mit seinen herausspringenden Orangenblättern und Ranken bis an den Kropf, der das blau und rot getigerte Halstuch schwellte, von dessen Mitte herab bis zum Nabel ein von Stärke starrender, wurmförmig sich schlängelnder Busenstreif die Hängewampe in zwei gleiche Hälften schlitzte. Sein gepudertes Haar schimmerte wie die Morgenröte durch weißen Nebel. Der Buckel hinten bildete einen vollkommenen Rutschberg. Ein heiseres Grölzen wollte zu dem demütigen Scharrfuße etwas einer künstlichen Begrüßung ähnliches vorbringen; aber der Versuch mißglückte und nur unzusammenhängende Zisch- und Schnalzlaute kamen zum Vorschein.
Laß Er's nur gut sein, Mosjö Habakuk! nahm die Mutter das Wort und präsentierte nun den Würdigen der Gesellschaft als Bräutigam der Jungfer Sabine, von der er jetzt das feierliche Jawort in förmlicher Verlobung erhalten solle.
Ich erblaßte. Das hatte ich nicht erwartet. Er? – stammelte ich und hielt mich an den Stuhl, daß ich nicht zu Boden sank. – Er und Sabine?
Ja – lächelte die Mutter – das ist nun richtig. Er pachtet das Vorwerk in Entenlache, und in vier Wochen ist die Hochzeit, die ich ausrichte.
Und Sabine? rief ich und blickte nach ihr, die noch immer abgewandt am Fenster stand.
Es ist ihr Wille! – antwortete die Mutter. – Nicht wahr, mein Kind? Tritt näher und erkläre vor hochgeehrter Gesellschaft, ist es dein wahrer, freier, ernstlicher Wille, den ehrbaren Junggesellen Habakuk Froschlaich zu deinem Manne zu erkiesen?
Ja, – antwortete Sabine, nähertretend, – es ist mein wahrer, freier, ernstlicher Wille.
Rund herum drehte sich mir die Stube. In einem schrecklichen, spukhaften Traume fühlte ich mich befangen. Teufel und Affen mit langen, entsetzlichen Schwänzen und Menschen mit Hundsgesichtern umtanzten mich und streckten die Krallen nach mir und die blutroten Zungen. Ich wollte schreien. Aber die Stimme erstarb mir. Da weckte mich plötzlich das Rabengekrächz des Zwerges: liebwerteste Jungfer, so gebe Sie mir zum Zeichen das süße, zarte Patschhändelein!
Sabine, – fuhr ich dazwischen – Sabine, ist es möglich, du, du könntest? – Du –
Ohne auf mich zu hören, reichte sie ihm die Rechte und schäkerte lachend: Nimm die Hand, sie folgt dem Herzen!
Nun so segne Gott – ermannte ich mich – eueren lieblichen Bund und die Entenlache eueres Lebens! Seid fruchtbar und füllet die Erde mit allerlei Gewürm, wenn ich dir, Bester, bis dahin nicht etwa das Gedärm aus dem Leibe trete!
Hi, hi, hi! – grinste der Zwerg. – Wie spaßhaft doch der junge Herr sind! Nun, Bräutlein, kröne mein Vergnügen, tu' dich an meine Brust verfügen, besiegle den geschlossnen Kauf und gib mir einen Kuß darauf! Und damit spreizte er die Orangutang-Arme weit nach ihr und spitzte das ekelhafte Maul.
Ja, einen Kuß! Einen Verlobungkuß! riefen die kichernden Fräulein, und die Mutter wollte die Braut in die Krebsscheren des Ungetüms drängen. Da wich sie zurück, wehrte mit den Händen und sagte: Schatz, dazu hat es Zeit, wenn ich –
Das Ende der Rede verging in unklarem Gemurmel. Mich aber überlief bei dieser höhnenden Teilnahme der Gnädigen übermenschliche Bosheit. Diese und Verzweiflung exaltierten mich zur höchsten Stufe der Petulanz. Hochrespektable Gesellschaft, – rief ich – das Verloben ist eine zu liebliche Sache, als daß mir nicht die Lust ankommen sollte, es selber zu probieren. Mein Herz ist eingezwickt von der holdseligsten aller Perlenmuscheln! O Rebecka! Süßer Meerengel! Zu Ew. Hochwohlgeboren Füßen fleht der schmachtendste aller Pfefferkönige um Gegenliebe!
Richard, Richard! – zitterte der Vater in bangem Angstrufe, wollte vom Tische aufstehen und sank zurück. – Richard, was machst du?
Profitons nous de l'extase de ce drôle! zischelte Mama Salzinspektorin der erstaunten Rebecka zu.
Ein Basiliskenblick der Mutter flog hinüber nach dem Vater, der sich noch ermutigte zu den Worten: es ist mein Sohn, mein einziges Kind! die jedoch bald in furchtsames Schweigen erstarben. Sabine stand erblaßt. Der Zwerg sperrte das Maul auf, ich aber lag vor meiner Dulcinea auf den Knien wie ein Theaterprinz, und stieß lauttrillernde Seufzer aus. Ach, Schönste, – lamentierte ich – lassen mich Hochdieselben nicht vergehen in unendlicher Liebe und Sehnsucht! Wird mir die Hand zum Bunde, wie segn' ich dann die Stunde, die heilt des Herzens Wunde! Bin ich denn schlechter als der Pachter der Entenlache? Hier vor der lieben rauchenden Gottesgabe und vor dem glänzenden Dickkuchen schwöre ich, Ew. Hochwohlgeboren de- und wehmütiges, gehorsames und getreues Eheschaf zu sein bis in mein seliges Ende!
Sie sind ein Schalk, Herr Zobel! – lächelte Rebecka etwas bittersüß, als müsse sie eine Rhabarberpille hinabschlucken. – Doch da ich Ihr edles Herz und die Aufrichtigkeit Ihrer Gesinnungen kenne, so empfangen Sie denn auch von mir, mit Genehmigung meiner gnädigen Eltern, Herz und Hand.
Wir gratulieren! Wir gratulieren! riefen alle. Nur mein Vater schwieg und Sabine.
Ich war also auch verlobt und sollte nun weiter an der Gesellschaft teilnehmen. Aber es kochte in mir, und mit der Entschuldigung dringender Geschäfte verließ ich das Zimmer und stürmte hinaus ins Freie. Die Petulanz war verflogen, an ihrer Stelle blieb Ingrimm und Wut. Nichtswürdiges Geschlecht, – tobte ich vor mich hin – Teufel in Menschengestalt! Beißige Furien im Alter, hämische Katzen in der Jugend, die aus den Sammetpfötchen mit den zerfleischenden Krallen herausfahren, wenn sie den rechten Augenblick und das Opfer erlauscht! – Ist das die ewige Liebe?
Und daß nun vollends die Muschel mich Toren wirklich eingezwickt in ihr schnödes Gehäuse, daß sie mit besonnener List aus meinen tollen Possen Ernst gemacht, das fiel mir wie Blei auf die Seele. Ich sah mich gefangen in schmählichen Fesseln und um meine Zukunft sich türmende Felsen, aus denen nicht Weg und Steg zu finden. Verzweifelnd zertrat ich die Blumen, die um mich blühten, stampfte wild in Ameisenhaufen, um, so viel Leben als möglich zu vernichten. Was seid ihr besser als ich, ihr in euerer Unschuld! – wütete ich. – Bin ich nicht auch unschuldig? Und zertritt mich nicht auch das Schicksal?
So außer mir lief ich herum bis spät in die Nacht, wo ich mit dem Entschlusse mich aufs Lager warf, allem, was Weib ist, entweder mit Verachtung aus dem Wege zu gehen, oder mit Feindschaft entgegenzutreten. Sie, die mich so schändlich betrogen, wollte ich nun gar keines Wortes, keines Blickes mehr würdigen. Und doch schnitt es mir durch das Herz, daß das eben so sein müsse. In unruhigen Träumen wälzte ich mich. Bald schleppten mich stämmige Mohren, wie eine Fliege zappelnd, in ihren Riesenfäusten zum Traualtare, an die Seite der in schwerem Goldbrokate starrenden Muschel. Bald war ich davongelaufen, unter die Seelenverkäufer geraten und auf der Fahrt nach Indien, bald auf der Insel Java verurteilt, Upasgift zu holen, und der Upasbaum war Rebecka und langte nach mir mit den Ästen. Bald saß ich an meinem Schreibtische, zärtlich von Sabinens Arm umschlungen, die mir über die Schulter sah. Ich wandte mich zum liebenden Kusse um, aber es war nicht Sabine, es war der Buckelige. Vermaledeiter Unhold! schrie ich und wollte das Tintenfaß nach ihm werfen, wie Doktor Luther nach dem Teufel. Aber ich sah, daß ich ja gar nicht am Schreibtische sitze, daß ich im Bette liege, und in der frühen Morgendämmerung wirklich und wahrhaftig der Pachter von Entenlache den Kopf zur geöffneten Tür hereinsteckte. Ehe ich den Stiefelknecht ergreifen konnte, um ihn nach meinem Teufel zu schleudern, hörte ich ihn grölzen: der junge Herr sollen sogleich herunterkommen, es ist etwas Wichtiges passiert.
Was, was? – fuhr ich erschrocken empor. – Was gibt's? – Doch der Kopf war verschwunden. Irgendein Unheil ahnend, warf ich mich schnell in die Kleider und eilte hinunter in die Ladenstube, wo ich die Eltern fand, die Mutter mit blauen klappernden Lippen, den Vater kraftlos im Lehnstuhle sitzend.
Um Gottes willen, – rief ich – was ist geschehen??
Unglück! – stammelte der Vater. – Koschel Ephraims Wechsel sind falsch. In diesem Augenblicke erhalte ich per Estafette von R. die Nachricht.
Falsch? fiel ich erstarrt ein. Denn dieser polnische Jude von der russischen Grenze hatte vor einigen Tagen von uns persönlich auf jene Papiere zehntausend Taler erhalten.
Ja, falsch! – nahm die Mutter das Wort. – Rette, was zu retten möglich. Nach sicheren Spuren nimmt der Spitzbube seine Flucht über Königsberg in Preußen. Jeder Augenblick ist kostbar, keiner zu verlieren. Darum ist die Extrapost schon bestellt und gleich hier. Du mußt ihm nach.
Ein neuer Sturm brausete in meinem Inneren, das Gefühl des drohenden Verlustes und die Notwendigkeit, so schnell und gerade jetzt zu reisen. Bald war es mir, als könne, als dürfe ich jetzt gar nicht fort, als müsse ich durch mein Bleiben größeres Unglück verhüten. Bald wieder war mir die Reise willkommen, weil sie mich aus allem Lug und Trug, aus allem Elende, das hier über mich hereingebrochen, heraushebe, vor allen Dingen, weil ich durch schnelle Entfernung ohne Abschied ihr meine Verachtung zeigen könne, deren Hochzeit in vier Wochen sonach meiner Beachtung gar nicht einmal wert sei. – Ja – rief ich – ich reise. Auch blieb mir keine andere Wahl. In einer kleinen halben Stunde war mein Koffer gepackt, der Postwagen vor der Tür. Sabine ließ sich nicht sehen, obschon sie mir das Frühstück bereitet hatte. Recht gut! murmelte ich vor mich hin, indes mein Herz seufzend den Mund Lügen strafte. Der Abschied vom Vater war traurig. Ein langer Händedruck, ein nasser, wehmütiger Blick schien mir zu sagen: zum letzten Male auf Erden haben wir uns gesehen.
In schnellen Taubenfluge ging es nun dem Flüchtigen nach, auf dessen richtiger Spur ich war und der nur einen geringen Vorsprung vor mir voraus hatte. Die Möglichkeit eines bedeutenden Verlustes meiner Habe machte mich also nicht besorgt, denn bald hoffte ich den Betrüger dingfest zu machen. Aber das, was ich zurückgelassen in der Heimat, was da mein Herz mit Wonne, Angst und Grimm erfüllt, das stand mir in der Einsamkeit meines Wagens unablässig vor Augen. Wie soll das enden? Wie kommst du aus der elenden Schlinge, in der du dich gefangen? Wie ist es denkbar, daß sie, das Musterbild jeder Mädchentugend und Anmut, sie, die dir ewige Liebe geschworen in süßen, himmlischen Augenblicken, daß sie ihr Wort so heimlich, so tückisch, so lachend brechen und sich dem erbärmlichsten Auswurfe der Menschheit hingeben konnte? Diese Fragen ließen mir weder Rast, noch Ruhe.
Da sind der Herr Bruder doch sehr borniert gewesen! – unterbrach der Pastor Primarius den Erzähler. – Mir an Euerer Stelle hätte das nun gar kein Rätsel sein können.
Freilich Euch nicht, – entgegnete der Kommerzienrat – dessen Handwerk die Tugend und Moral ist und der es weiß, was im Buche Ciceronis de officiis geschrieben steht und was der große Kant lehrt, den ich bald von Angesicht zu Angesicht kennenlernen sollte. Aber das wußte ich nicht. Wie hätte ein fünfundzwanzigjähriger Ladenwurm dazu kommen sollen, der genug damit zu tun hatte, sich im Fache und in den Sprachen festzusetzen, und der Werthers Leiden und Sophiens Reise von Memel nach Sachsen kaum dem Namen nach kannte? Genug, ich war so borniert und tappte in verwirrender Ungewißheit und fuhr, gerade so klug, als ich ausgefahren, bei der Haberbergschen Kirche vorbei, immer die Vorstadt herunter, über die grüne Brücke, in die Kneiphofsche Langgasse des freundlichen Königsberg ein. Freudenvoll war mir jedoch diese Ankunft am gehofften Ziele meiner Reise nicht. Denn die erste Nachricht, die ich einzog, war die, daß mein Jude gestern nach Pillau abgegangen, wahrscheinlich, um sich auf einem da in Ladung liegenden Engländer nach Amerika einzuschiffen. Augenblicklich flog ich ihm nach. Verlorene Mühe! Denn als ich nach Pillau kam, hatte das Schiff seit sechs Stunden in See gestochen. Vom Lotsenturme sah ich nur noch tief im Westen die englische Flagge, und meine Flüche folgten dem nun unerreichbaren, verruchten Bösewichte, der mich um ein Fünfteil meines Vermögens gebracht. Niedergeschlagen kehrte ich nach Königsberg zurück in das befreundete Haus, das mich gastlich aufgenommen. Nur Trauriges konnte ich nun den Eltern berichten. Eile bei der Rückreise war nicht nötig, wohl aber Ruhe und Erholung für mich, den die Anstrengungen der Schnellfahrt, Gram und Kummer körperlich und geistig abgespannt. Wohl wandelte ich oft einsam unter den bereits abfallenden Blättern des philosophischen Ganges, wohl freute ich mich im schaukelnden Kahne des herrlichen Panoramas des Schloßteiches, wohl saß ich sinnend auf den Huben, im romantischen Garten des edlen Verfassers der Lebensläufe nach aufsteigenden Linien, unter den herbstlich bunten Bäumen, am Steine, der über dem eingesunkenen Grabhügel mit den Worten: ich, du, er, wir, ihr, sie, das Los des Staubgeborenen so wahr und so wehmütig predigt; doch alle diese Herrlichkeit vermochte den Sinkenden nicht mehr aufzurichten. Was ihn vollends zu Boden warf, war eine akademische Vorlesung, in die mich mein Freund mitgenommen, damit ich doch sagen könne, ich habe auch zu Königsberg in einem Kollegio bei einem berühmten Manne hospitiert. Dieser berühmte Mann war der damals hochgefeierte Professor der Philosophie und Ästhetik, Krause. Denkt euch einen kleinen, mageren Hypochonder, der seinen Vortrag nicht selten mit bitterem Weinen unterbrach und oft das Auditorium in der Unmöglichkeit verlassen mußte, weiter fortzufahren, und ihr werdet nicht begreifen können, wie dieser Mann imstande gewesen, Geist und Herzen seiner zahlreichen Zuhörer unwiderstehlich zu fesseln. Und doch war dem also. Auch mich ergriffen die Worte dieses Enthusiasten mit einer nie gefühlten Gewalt. Er sprach über die Aufopferungen der Liebe.
Die Anekdote wird ihnen bekannt sein, meine Herren, – sagte er – daß ein Großer in Paris sich zum Sterben in eine junge, schöne, tugendhafte Schauspielerin verliebte, daß er vergeblich ihr alle Schätze der Welt als Kaufpreis ihrer Tugend geboten, daß er sich endlich entschlossen, sie zu heiraten, daß dies den jungen, schwärmerischen Mann um die Freundschaft seiner Familie und um die Gunst des Königs gebracht und ihn endlich gereut haben würde, daß die Schöne den feurigen Anbeter selbst innig geliebt, daß am Tage, als er ihr den förmlichen schriftlichen Heiratsantrag gemacht, sie den eben anwesenden Friseur gefragt: mein Herr, sind Sie verehelicht? Auf sein: Nein, mit dem erstaunten Glücklichen, der jedoch auf die eigentlichen ehelichen Rechte verzichten und sich mit dem Wohlbefinden des Reichtums begnügen müssen, flugs zur Kirche gefahren und sich mit ihm trauen lassen und den Geliebten den Tag darauf mit dieser Bekanntmachung als Antwort auf seinen Antrag überrascht, daß der Geliebte in den ersten Augenblicken seiner Verzweiflung zwischen Dolch und Pistole geschwankt, es aber bald gut sein lassen und die heroischen Aufopferungen der Angebeteten dankbar im Arme einer ebenbürtigen Gemahlin gesegnet; das, meine Herren, wird Ihnen, wie schon gesagt, bekannt sein, und Sie werden sich des Gefühls der Bewunderung nicht haben enthalten können. Die Handlung der Schauspielerin ist auch allerdings bewundernswürdig. Aber wir wollen sehen, ob sie wirklich und wahr nur Aufopferung für das Wohl des Geliebten gewesen. Sie kann es gewesen sein, ich bin weit entfernt, mit apodiktischer Gewißheit das Gegenteil zu behaupten. Doch ist es mir viel wahrscheinlicher, daß ihr die weniger großen Motive der Klugheit und der Sorge für sich selbst zum Grunde gelegen. Fürs Erste, die Heldin war eine Französin. Sie konnte voraussehen, daß die Geschichte mit Posaunenstößen der Lobpreisung, wie es auch wirklich geschehen, bekannt werden, daß dadurch ihr Interesse bei dem Publiko unendlich gewinnen würde. Und welche Französin, die zugleich Schauspielerin ist, würde sich noch jetzt auch nur einen Augenblick bedenken, solchem Effekte den Traum einer Liebe zu opfern, die ja doch in ihrer Lage sehr vergänglich sein mußte? – Noch mehr! Sie sah dieses Schnellvorüberfliegen des schönen Rausches ihres Anbeters voraus. Was war dann ihr Los? – Vernachlässigung, Kränkungen jeder Art, Kummer, vielleicht Mangel. Nein, – dachte sie daher besonnen, denn eine französische Schauspielerin kann nicht anders als besonnen handeln – lieber so als so, und schloß ein Scheinbündnis, das, da die Ehe nicht vollzogen wurde, selbst nach den Grundsätzen der Kirche jeden Augenblick wieder aufgelöst werden konnte. – Was sagen Sie nun, meine Herren? War die Handlung der Schauspielerin noch Aufopferung der Liebe? Verdient sie unter diesen Umständen den heiligen Kranz unserer Tränen?
Setzen Sie dagegen den Fall: Ein armes, schönes, deutsches Mädchen diene bei einer reichen, vornehmen Herrschaft, der Sohn des Hauses, vielleicht der einzige, verliebe sich in sie, gestehe ihr seine Neigung, schwöre ihr, sie nicht zu lassen, alle Hindernisse ihrer Verbindung zu beseitigen, es koste, was es wolle, gesetzt auch, sie liebe ihn unaussprechlich, sehe jedoch ein, diese Liebe werde Haß und Zwiespalt zwischen Sohn und Eltern, wahrscheinlich für immer zur Folge haben, der Geliebte, den die Zeit auch über ihren Verlust trösten könne, werde glücklicher ohne sie als mit ihr sein, wenn der erste Schmerz verwunden, gesetzt, sie greife nun im Sturme dieses Schicksals nach dem letzten rettenden Halme, nach dem ersten sich darbietenden, selbst nach einem Elenden, Unwürdigen, von dem allen, und warum sie es tue, käme keine Silbe, nicht die fernste Andeutung über ihre Lippen, sie opfere sich still, damit kein innerer Vorwurf, kein Mitleid des Geliebten Ruhe störe, und wäre unglücklich zeitlebens, damit der Geliebte glücklich sei, und ertrüge schweigend den Hohn, die Verachtung des Verkennens, nichts tröste sie als ihr Bewußtsein, das dennoch die gebrochene, zertretene Blume nicht abhalten könne, zu verwelken in Staub und Vergessen; o – meine Herren, für diese sparen Sie Ihre Tränen, diese, die schweigend duldet für den Mann ihres Herzens, verdient – –
Ein Geräusch im Hörsaale unterbrach den Professor. Einer der Anwesenden war umgesunken. Man lief nach Wasser, nach kräftigen Essenzen, rieb und wusch den Ohnmächtigen und trug ihn, der halb sinnlos nur matt lallen konnte: o Sabine, o Sabine! nach Hause. Und der, lieben Freunde, der Vernichtete war – ich.
Der Erzähler hielt inne in langer Pause bewegter Rückerinnerung. Auch alle anderen schwiegen gerührt. Da schaute das freundliche Gesicht der Wirtin durch die Spalte der geöffneten Tür des anderen Zimmers und fragte: bist du fertig, Väterchen?
Noch nicht! – antwortete der mit innigem Winke der Liebe. – Alleweile tragen sie mich aus dem Hörsaale des Professors Krause zu Königsberg. Ehe das stille Wasser kommt, kannst du noch das laute, den Punsch, brauen.
Sanft zog sich die Tür wieder zu, und der Erzähler fuhr fort:
Daß mir nun der blöde Sinn aufgetan war, daß ich ein verlorenes Paradies hinter mir liegen sah, daß Sabinens Liebe und Opfer, ihr namenloses Unglück wie ein Schwert mein Herz durchdrang, daß dies und das Vorhergegangene mich auf ein langes hartes Krankenlager warf, das, lieben Freunde, werdet Ihr sehr natürlich finden. Nur der liebreichsten Pflege, nur der sorgfältigsten Behandlung des Hofrates Metzger, dem leicht die Erde sei, danke ich mein Leben. Weihnachten war lange vorbei, als ich mich wieder imstande fühlte, die Rückreise zu wagen. Ach, meinen Vater fand ich doch nicht wieder, das war mir von meinen liebreichen Pflegern in einem milden Säftchen beigebracht. Ich hatte wahr geahnt und – Sabine? – Von der schwiegen die Briefe der Mutter gänzlich. Die saß auch schon in der verruchten Entenlache und grämte sich das junge Leben ab – um mich. Mußte denn gerade das vonnöten sein, – jammerte ich – um sich mir zu entziehen? Konnte sie nicht lieber fortlaufen in die weite, fröhliche Welt, die für sie, die holde Tugendhafte, noch Blumen der Freude gehabt haben würde? Ich zitterte, die Heimat wiederzusehen. Nichts Liebes erwartete mich da. Vor der Mutter schauderte ich, wie vor einer Erinnye, die zwischen mich und mein und Sabinens Lebensglück getreten. An meine Verlobte, und was nun mit der werden solle, konnte ich ohne Entsetzen gar nicht denken. Ich verwünschte mein elendes, freudenloses Dasein und stieg traurig, am Abende des siebenten Aprils vor unserem Hause aus dem Wagen.
Wer malt mein Erstaunen, als die Tür mir aufgetan wurde von – Habakuk.
Wie? – fragte ich hastig. – Er noch hier? Er sitzt noch nicht in der Entenlache?
Wie Sie sehen! krächzte der Buckelige.
Und er ist auch noch nicht verheiratet? drängte ich angstvoll.
Die Jungfer wartet auf den Großmogul, – höhnte der Zwerg – der sie aus der Papiermühle holen soll, in die sie jetzt zu Ostern zieht.
Und wo ist sie? fuhr ich zitternd zu fragen fort.
Droben – war die Antwort – bei der kranken Frau Mutter.
Fast außer mir flog ich die Treppe hinauf zur Schlafstube der Mutter. Kaum war ich vermögend, ohne schreckende Heftigkeit die Tür zu öffnen. Da stand sie, die verloren Geglaubte, die noch mein war, die ich nun niemals wieder aus meinen Armen zu lassen gedachte, am Bette der Kranken, die mich mit schwacher Stimme, doch zärtlich willkommen hieß. O wie gern hätte ich die Wiedergefundene an meine Brust gerissen. Allein, das ging nicht. Sie war auch fort, ich wußte nicht, wie. Nach ihr weiterzufragen und woher es komme, daß sie noch nicht Frau Pächterin sei, dazu war auch jetzt nicht der Augenblick. Ich mußte also das, was mich am meisten drückte, auf dem Herzen behalten und ein Langes und Breites von meiner verunglückten Expedition, von meiner Krankheit, von Königsberg, vom Hundertsten und Tausendsten erzählen. Doch nahm mich eine besondere, noch niemals so an der Mutter verspürte Milde gar groß wunder. Das ist die Zuchtrute Gottes, – dachte ich – die Krankheit. – Ich irrte. Diese Krankheit war ihr gewöhnliches Rheuma, das sie, wie auch sonst schon, einen oder ein paar Tage auf das Bett warf und dann wieder auf Tage und Wochen verließ, wie sie mir das gleich selbst sagte, damit ich nicht etwa ihretwegen in allzu großer Angst sei. Endlich kam doch zum Vorscheine, wonach ich mich sehnte. Die Mutter erzählte mir, daß Sabine nach meiner Abreise ganz anders geworden, den Zwerg nicht habe vor Augen sehen können, der sich freilich brutal genug gegen sie benommen, und daß sie kurzweg erklärt habe, ihr Jawort sei Übereilung gewesen und sie würde lieber ins Wasser springen als den Habakuk zum Manne nehmen; Fräulein Beckchen sei darüber wie rasend geworden und habe darauf gedrungen, das obstinate Geschöpf, deren törichte Einbildungen und Ideen hinlänglich bekannt, aus dem Hause zu schaffen, was denn auch jetzt zu Ostern geschehe, wo sie in die Papiermühle ziehe, mit fünfzehn Talern Lohn, einem Dukaten zu Weihnachten und einem Gulden alle Jahrmarkte. Da könnte sie sich denn auch mit der Zeit noch einmal gut versorgen, weil in der Mühle jeden Augenblick einmal ein Lehrling- oder Gesellenbratenfest sei, bei welchem allerlei hübsche Leute, als Dorfschulzen, Schulmeister, Jäger und dergleichen, hinkommen.
Und Sabine will –? fiel ich hastig ein.
Warum sollte sie nicht? – antwortete die Mutter. – So ein Dienst kommt ihr sobald nicht wieder. Eigentlich müßte sie schon den Gründonnerstag hin, aber sie hat mich gar demütig und dringend gebeten, daß sie bis zum heiligen Abende bleiben möge, ich weiß nicht, warum. Nun, auf den Tag kommt es nicht an.
Also sie flieht! – rief ich vor mich hin. – Der Froschlaichkelch war ihr also doch zu bitter, und sie wählt das Letzte, was außer dem Ins-Wasser-springen noch übrig. Recht so, Sabine! Du sollst auf deiner Flucht nicht weit kommen, am allerwenigsten in die Papiermühle! Sie mögen die Lehrling- und Gesellenbraten ohne dich spicken und speisen! Sei ein Mann, Richard!
Warum kommt Binchen nicht mit an den Tisch? fragte ich bei der dritten Mahlzeit, bei der für sie, wie bei den vorhergehenden, nicht gedeckt war.
Binchen? Binchen? – dehnte die Mutter. – Ei wie zuckersüß! Nun, weil es Fräulein Beckchen verboten.
Sie? – entgegnete ich erstaunt. – Was hat die in unserem Hause zu verbieten? Und Sie, Mutter, lassen sich das gefallen?
Die Mutter schwieg.
Ich war nach meiner Rückkunft noch mit keinem Tritte bei Salzinspektors gewesen. Zwei Tage hatten sie meiner untertänigen Aufwartung entgegengesehen. Da nichts erfolgte, kam am dritten die Braut zu uns, mich als präsumtives Eheschaf über diese Vernachlässigung meiner Schuldigkeit, wie sie es nannte, gehörig abzurüffeln. Ganz ungescheut ließ sie ihrer Galle den freiesten, bisher noch nie gekannten Lauf, sprach von unbesonnenen kaufmännischen Geschäften, die manch schönes Vermögen zu Wasser machen, von Kommiseration, die man üben müsse, wenn man einmal sein Wort gegeben, von Herablassung und – was weiß ich, von welchen großen Rosinen noch.
Ich schwieg. – Die Mutter schwieg auch.
Im Hause schaltete und waltete die Gnädige nach Willkür. Die ganze Sippschaft machte es wie sie. Sie ordnete an, wann und wie gewaschen und gebacken werden, was die Mutter für eine Haube aufsetzen, was gekocht werden sollte.
Und Sie, Mutter, – fragte ich wiederum erstaunt – Sie lassen sich das gefallen?
Was tut man nicht – antwortete sie ärgerlich – des Besten eines Kindes wegen?
Das Kind – rief ich aufgebracht – erkennt dieses Beste für das Allerschlechteste, Nichtswürdigste. Kurz und gut, diese Wirtschaft, diese Anmaßung, Ihre Herabwürdigung, Mutter, dulde ich nicht! Und solchen Drachen heirate ich auch nicht!
Du mußt! – entgegnete die Mutter. – Du bist verlobt!
Verlobt? – lachte ich höhnisch. – Ha, ha, ha, über die Verlobung! Ein Possenspiel war es. Ich sollte der Narr sein, aber sie mag an meine Stelle treten! O Mutter, öffnen Sie Herz und Augen für mein wahres Wohl. Eine ganz andere, liebende Hand kann in unserem Hause – nicht herrschen – nein, Ihr und mein Leben mit Sanftmut und Treue verschönern! Sie wird –
Ich kenne die Hand! – unterbrach die Mutter mich heftig. – Daraus wird nichts! Was soll dir die nackende Dirne, die Köchin, und nun gar jetzt nach dem Unglücke? Gerade jetzt muß man des Salzmagazins wegen ein Auge zutun.
Wir brauchen ihr Salzmagazin nicht! – eiferte ich. – Fleiß und Wirtlichkeit, nur das ist vonnöten. Und ist Sabine nicht fleißig und wirtlich?
Die Mutter schwieg.
Ist sie nicht sanft, wie ein Lamm? – fuhr ich fort. – Blüht sie nicht in Unschuld und Schönheit?
Die Mutter schwieg.
Und wer pflegt Sie mit Liebe? – stammelte ich, die Hand der Mutter ergreifend, mit Tränen im Auge. – Wer wacht bei Ihnen in den schmerzhaften Leidensnächten? – Sabine oder Rebecka?
Genug, – fuhr die Mutter auf – es soll nicht sein, und heute noch müßte sie aus dem Hause, wenn ich nicht schon versprochen hätte, sie noch bis zum heiligen Abend zu behalten!
Ei, wie gütig! – knirschte ich bitter. – Und warum will sie denn gerade noch den Karfreitag hier sein?
Frage sie! – antwortete die Mutter. – Dir wird die Schlange schon das Warum entdecken. Aber das irrt mich nicht, und was ich will, muß doch geschehen.
Wie gern hätte ich sie gefragt! Ach, wie rang ich nach einem Augenblicke, mit ihr nur ein einzig paar Worte zu sprechen. – Umsonst! Sie vermied jede Gelegenheit, und so kam denn in Zagen und Hoffen die Osterwoche heran. Mein Entschluß war gefaßt. Gerade im Augenblicke, wenn am Sonnabende Sabine das Haus zu verlassen im Begriffe, wollte ich sie nolens volenz in meine Arme schließen, mit ihr vor die Mutter treten und den letzten Versuch der Güte wagen. Schlug der fehl, dann sollten Recht und Gesetz sprechen. Vor den Muscheln fürchtete ich mich nicht. Die schaffte ich mir vom Halse. Nur der Gedanke des Unfriedens in meinem Hause mit meiner Mutter, wenn sie auch nur meine Stiefmutter war, lag mir schwer auf der Seele, und noch sah ich keinen Ausweg aus diesem Labyrinthe.
Der liebe Gott hatte ihn lange schon gesehen und bereitet.
Nur noch ein einziger Tag, der Karfreitag, lag zwischen dem verhängnisvollen Sonnabendmorgen, an welchem alles entschieden werden sollte. Schon hatte ich mein Leid, meine Sehnsucht und Bangigkeit am Gründonnerstagabend in die Wellen des Bettes versenkt, das sie mir nun bald nicht mehr betten sollte. Doch diesmal war mir das Lager nur eine Folterbank. Schon die allerfrüheste Morgendämmerung fand mich wach, und unruhig warf ich mich bald auf diese, bald auf jene Seite. Da war mir's, als hörte ich brausten im Gange, vor der Schlafstube der Mutter, an der Treppe ein Geräusch, und es klang wie die Stimme der Mutter. Ich horchte, ich lauschte. – Alles war wieder still. Ich wühlte mich ins Kissen ein, um womöglich noch eine Stunde zu schlafen, und ahnte nicht, daß in diesen Augenblicken das Los über meine Zukunft geworfen worden.
Heftiges Reißen im Arme hatte nämlich nach Mitternacht die Mutter nicht mehr schlafen lassen. Da bedünkte es ihr um die Morgendämmerung, als schleiche etwas leise aus Sabinens Schlafkammer nach der Treppe. Wer ist da? – ruft die Mutter zur schnell aufgerissenen Tür hinaus. – Niemand antwortet. Aber an der Wand hin huscht Sabine, fast ganz in ein weites Regentuch gehüllt und unter dem Tuche etwas Schweres vor sich hin schleppend. Diese Erscheinung und daß nicht einmal ein guter Morgen von Sabinen sie grüße, mußte die Mutter allerdings befremden. Halt! – rief sie der Flüchtigen zu. – Was ist das? Wohin willst du? Was hast du da? – Keine Antwort erfolgte, vielmehr suchte die Eilige nur die Treppe zu gewinnen. Da überlief der Zorn die Mutter. Sie sprang nach, und mit den Worten: Du heimlicher, versteckter Balg! flog ihre dürre Knochenhand um Sabinens Wangen, von deren Lippen kein Schrei, kein Seufzer kam, die aber der Mißhandlung die Treppe hinunter entfloh.
Zitternd vor Grimm wankte die Mutter wieder in ihr Zimmer zurück, und die Unruhe darüber, was das alles zu bedeuten habe, folterte sie noch mehr als ihr Körperschmerz. Nur eine Stunde währte diese Unruhe, da klärte sich alles auf. Da kam – Rebecka, die noch vor der Frühpredigt zu Gottes Tische gehen wollte, weil ja bald nach Ostern in ihrer Einbildung die Hochzeit sei, um nach Brauch und Sitte, täppisch genug, der Mutter eine Art von Abbitte-Kompliment zu machen. Da kam aber auch – Sabine, schwach und matt und stellte einen mächtigen vollen Krug zu den Füßen der Mutter. Gott sei Dank! seufzte sie, fast außer Atem und bat die Mutter, die nur das augenblickliche Staunen über diese neue unerklärbare Erscheinung von einem rauhen Empfange abhielt, demütig um Verzeihung, daß sie vorhin so heimlich getan. Durfte ich denn reden? – stammelte sie. – Wäre da nicht alles vorbei und umsonst gewesen? Gott Lob! Ich habe geschwiegen und am Flusse für Sie gebetet, liebe Frau Muhme, und was ich hier bringe, das ist – wahrhaftiges – stilles Wasser! Damit waschen Sie, wenn ich auch nicht mehr bei Ihnen bin, den Arm, und Gott wird es segnen!
Alberne Dirne, – schalt Rebecka mit Furienblicke – bleibe Sie zu Hause mit Ihrem pöbelhaften Aberglauben! Beglücken Sie damit die Hadersammler in der Papiermühle! Und verächtlich stieß sie mit dem Fuße nach dem Kruge, daß er in Stücke sprang und die Flut des stillen Wassers sich über das Zimmer ergoß.
In Todesschreck erblaßte Sabine.
Wie vom Donner gerührt starrte die Mutter und sank dann wehklagend: Gott, Gott! und laut weinend, das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, in den Lehnstuhl. Als sie nach langer Pause, in welcher Sabine noch immer regungslos stand und Rebecka mit Verwünschungen die seidene Schleppe und ihre Schuhe auf eine trockene Stelle zu retten suchte, wieder Herr ihrer Rede werden konnte, schwankte sie auf vor die Tür des Schlafzimmers, und ihr Ruf: Richard! Richard! gellte durch das Haus, wie entsetzliches Angstgeschrei.
Was ist das? fuhr ich am Schreibtische auf, über den soeben der erste Strahl der Morgensonne, – ach, der Verkünderin meines Glückes, – glänzte, und stürzte nach dem Zimmer der Mutter. Ein Wasserstrom floß mir entgegen. Rebecka rollte mit heraufgezogenem Kleide die Basiliskenaugen in spähender Erwartung, Sabinen hielt die Mutter mit dem gesunden Arme, als fürchte sie, ohne diese Stütze zu Boden zu fallen, hinter mir bog sich der Zwerg, den der Schrei auch heraufgesprengt, mit neugierigem Maulaufsperren zur halb geöffneten Tür herein.
Um's Himmels willen, was ist hier vorgegangen? rief ich.
Ach, ich bin ja kein Unmensch! – sagte die Mutter mit jammernder, vom Weinen fast erstickter Stimme. – Ach, ich habe ja kein Herz von Stein, wenn ich auch lange verblendet gewesen! Ich fühle ja den Finger Lottes. Meiner Bosheit wegen tränkt das Wasser des Lebens den Boden! Die, welche es unbekümmert um mein frommes Vertrauen vergossen hat, der ist mein Wohl und Wehe ganz gleichgültig! Die, welche ich verfolgt habe, der ich im Herzen geflucht, die segnet mich! Nun, – so segne ich auch dich, mein Kind! Du sollst meine Tochter sein!
Was sie weiter sprach, das hörte ich nicht. Unverständliche Laute schwirrten um mein Ohr. Ich wußte nicht, ob ich noch wirklich lebe, ob ich wache oder träume. Ich war kalt und tot, als ich Sabinen in meinen Armen fühlte.
Rede doch, komme doch zu dir, Richard! – rüttelte mich die Mutter – Sabine ist ja dein!
Was sollte ich zu mir kommen? Ich fürchtete mich, daß nun der selige Traum zerrinnen werde in ein schnödes Nichts. Was sollte ich reden!
Begriff ich denn von allem, was hier vorging, auch nur das Geringste?
Doch wenige Worte reichten hin, mich über alles zu verständigen. Da ließ ich die Braut aus meinen Armen und bedeckte in überströmenden Gefühlen die Hände der Mutter mit meinen dankbaren Küssen.
Dieses Heilpflaster lege dem armen Kinde auf die Wangen! – lächelte die Mutter durch die Tränen. – Sie hat geschwiegen, sie hat geduldet, aus Liebe und Treue – für mich. Kein Laut, kein Seufzen kam von ihren Lippen, und das ist die wahre Liebe!
Ja, sie hat geduldet – wiederholte ich – aus Liebe und Treue – auch für mich! Kein Wort, kein Seufzen kam von ihren Lippen, und das ist die wahrhaftige Liebe!
Ha, ha, ha, ha! – höhnte Rebecka laut auf. – Voilà comme la crapule s'amuse! Nun, ich will nicht stören und wünsche dem zärtlichen Paare ein gesegnetes Gurkenjahr, auf daß im starken Pfefferabsatze der Dütenhandel floriere! Wie ein Satan fuhr sie zum Zimmer hinaus und riß den verblüfften Zwerg um, der sich mürrisch aufrichtete und brummte: Meines Bleibens ist hier auch nicht! Ich verfüge mich in die Entenlache!
Was nun weiter geschah, liebe Freunde, das wird jeder erraten, wenn er auch kein Ratsherr ist. Genug, aus bitterer Prüfung war das Glück hervorgegangen. Das Bild, wie Ihr es da seht, ließ ich mir zum heiligen Andenken malen und hing es über den Schreibtisch. Und als wieder der Karfreitag dämmerte, merkte ich's wohl, daß sich mein liebes Weib leise von meiner Seite schlich. Ich tat aber, als ob ich schlafe, und betete im Herzen: deinen Ausgang segne Gott, deinen Eingang gleichermaßen! Nach einer Stunde stand das stille Wasser, das nun keine Bosheit mehr verschüttete, auf unserem und der Mutter Waschtische und – tat Wunder. – Denn, als am ersten heiligen Ostertage auch wieder die Morgensonne an meine Bettvorhänge schien und das Geläute der Glocken der Stadt das fröhliche: »Christ ist erstanden« verkündete, da legten sie mir meinen Erstgeborenen, Gottfried, in die freudezitternden Arme, und unser dreiblätteriges Kleeblatt war zum allerglücklichsten vierblätterigen geworden.
Von Rechts wegen! – rief der Justizamtmann. – Ihr hattet es verdient!
Ja, sie hatten es verdient! wiederholten die Freunde im heiteren Durcheinander des Dankes und der Befriedigung, und beseitigten Strickstrumpf und Pfeife, da der Erzähler mit höflichem Abnehmen der Schlafmütze das Ende der heutigen Andacht verkündet hatte und nun hinüber zum frugalen Abendbrote lud.
Das Bild muß auch mit! kommandierte der Major.
Freilich, freilich, – erscholl es, wie aus einem Munde – das muß mit! und der Doktor und der Apotheker, die sichs nicht nehmen ließen, weil doch eigentlich die Sache in die Medizin einschlage, faßten das Bild, der eine rechts, der andere links, und trugen es in Prozession voraus. Die anderen folgten Paar und Paar. – Am Tische stand die Wirtin und rührte mit niedergeschlagenen Augen in der Punschbowle.
Aber der Bürgermeister hob das volle dampfende Glas auf die Gesundheit aller edlen Frauen, die still, treu und wahr lieben, wie Sabine, und die Brüder und Schwestern stießen an und stimmten in das freudige Lebehoch.