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Nach dem Abenteuer in Troppau treffen wir Herrn v. Schnapphahnski zunächst in Berlin. Eine interessante Blässe lagert auf seinem Gesicht, und es versteht sich von selbst, daß der schöne schwarze Bart des Ritters dadurch nur um so vorteilhafter ans Licht tritt. In Schlesien war unser Ritter ein verliebter Husar, in Troppau erscheint er als renommierender Duellant – in Berlin ist er Flaneur.
»Salamankas Damen glühen, Wenn er durch die Straßen schreitet, Sporenklirrend, schnurrbartkräuselnd, Und von Hunden stets begleitet.« |
Gibt es etwas Schöneres als Flanieren? Der Hauptreiz des süßen Nichtstuns besteht übrigens nicht darin, daß man überhaupt sporenklirrend und schnurrbartkräuselnd durch die Straßen schreitet, sondern daß man gerade dann flaniert, wenn alle andern Leute wie die lieben Zugstiere arbeiten müssen.
Ich bin fest davon überzeugt, ein westindischer Pflanzer fühlt sich nicht nur deswegen so wohl in seiner Haut, weil er jedes Jahr an seinen Plantagen diese oder jene Summe profitiert, nein, sondern nur aus dem Grunde scheint ihm das Leben um so wonniger, weil er eben dann recht wohlgefällig seine Havanna-Zigarren rauchen kann, wenn um ihn her die schwarzen Afrikaner in der Glut der Sonne und unter der Wucht der Arbeit zu vergehen meinen.
Hole der Teufel die Flaneure und die westindischen Pflanzer. Die Proletarier werden einst die erstern und die Sklaven die letzteren totschlagen. Ja, tut es! Es ist mir ganz recht – aber nur einen verschont mir: den Ritter Schnapphahnski!
Unser Ritter gefiel sich in Berlin ausnehmend. Nichts konnte natürlicher sein. Berlin, die Stadt, wo sich der Tee und das Weißbier den Rang streitig machen, wo die schönsten Gardeoffiziere und die schönsten Frauen in schlanken Taillen wetteifern und wo jeder Eckensteher wenigstens etwas Bildung besitzt, wenn auch nur für einen Silbergroschen – Berlin war der Ort, wo unser Ritter am ersten hoffen durfte, eine vermehrte und verbesserte Auflage seiner Blamagen erscheinen zu sehen.
Schnapphahnski war allmählich in der Liebe Gourmand geworden. Die süße, sanfte Unschuld hatte er satt. Er sehnte sich nach weiblichem Kaviar – – ein Blaustrumpf, eine Emanzipierte, eine Giftmischerin! – es war unserm Ritter einerlei. Nur starker Tabak, nur Furore!
Man begreift solche Gelüste, wenn man bedenkt, daß der edle Ritter nach der letzten Affäre in Troppau wenigstens für ein ganzes Jahr so blasiert war wie eine kranke Ente.
Der Zufall wollte es, daß die Augen Schnapphahnskis auf die göttliche Carlotta fielen . . . Er hatte gefunden, was er suchte. Nichts konnte erwünschter sein als ein Roman mit einer geistreichen Schauspielerin, und nun vor allen Dingen die Bekanntschaft mit einer Carlotta, die gerade damals in das Nachtgebet jedes Gardelieutenants eingeschlossen wurde, deren Besitz nicht mit einer Million aufzuwiegen war! Schnapphahnski hatte nicht so unrecht.
Der Besitz einer Schauspielerin hat darin sein Pikantes, daß man in ihr das besitzt, was allen Menschen gehört. In einer Schauspielerin umarme ich gewissermaßen die Lust und die Freude einer ganzen Stadt, eines ganzen Landes, eines ganzen Weltteils. Nichts ist begreiflicher, als daß Herr Thiers eine Rachel liebt – –
Dieselbe schneeweiße Hand, die nach dem Fallen des Vorhanges noch vor allen Blicken flimmert: ich darf sie zu süßem Kuß an meine Lippen drücken; derselbe kleine Fuß, der noch durch das Gedächtnis von tausend Rivalen schreitet: ich darf ihn ruhig und siegesgewiß betrachten, wenn er gleich einem seligen Rätsel unter dem Saum des Kleides hervorschaut oder vor der Glut eines Kamines zu einsamen Scherzen seine lieblichen Formen zeigt. Eine Carlotta, eine Rachel, eine Donna Anna oder eine Donna Maria unter vier Augen ist ein Triumph über die Jeunesse dorée von halb Europa.
Konnte es anders sein, als daß unser Lion Schnapphahnski sofort den Entschluß faßte, das Herz Carlottens zu erobern, koste es, was es wolle? Er machte sich auf der Stelle an die Arbeit. Zur Belagerung eines Herzens gehört der gewohnte Kriegsapparat. Ein paar Tausend Seufzer und einige Hundert Wehs und Achs dringen gleich zitternden Truppen zuvörderst auf den Gegenstand der Blockade ein. Als Faschinen, zum Ausfüllen hinderlicher Sümpfe und Gräben, bedient man sich einiger Dutzend Veilchen- und Rosensträuße. Das Trompetensignal des Angriffs besteht aus einem Ständchen von Flöten und Fiedeln, dem man indes noch eine Aufforderung zur Übergabe in möglichst gelungenen Stanzen und Sonetten vorhergehen läßt. Sieht man, daß mit Güte nichts auszurichten ist, so wirft man einige Brandraketen in Gestalt der glühendsten, verzweifeltsten Blicke und läßt, je nachdem es ist, auch das schwere Geschütz der herzinnigsten Flüche und Verwünschungen mitspielen. Hat man den Angriff eine Zeitlang unerbittlich fortgesetzt, so macht man einmal eine Pause und läßt durch einige Boten, die gleich krummen Fragezeichen um die Mauern der Geliebten schleichen, bei irgendeiner alten Tür- oder Torwächterin die Erkundigung einziehen, ob die hartnäckige Schöne nicht bald Miene mache, das Gewehr zu strecken. Wird dies verneint, so beginnt man das Feuer wütender als je zuvor. Man schwört bei allen Göttern, daß man sich eher selbstmorden, ja, daß man lieber wahnsinnig werden wolle, als von seinem Verlangen abstehen, und man gebärdet sich auch sofort wie ein betrunkener Täuberich und ruht nicht eher, als bis man Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und sich ruiniert hat an Witz, Leib und Beutel.
Schnapphahnski belagerte seine Carlotta mit einer wahrhaft horntollen Beständigkeit.
Aber ach, es war alles umsonst. Der edle Ritter seufzte seine besten Seufzer, er warf seine glühendsten Blicke, er erschöpfte »seine ganze Kriegeskasse«, und doch sah Carlotta noch immer von der Bühne hinab in das Parkett, wo stets an derselben Stelle, rein aus Zufall, ein wahrer Adonis von einem Gardeoffizier stand und mit der lebendigen Künstlerin das Kreuzfeuer der verliebtesten Blicke führte.
Da sammelte der edle Ritter seine Gedanken um sich wie einen Kriegsrat und beschloß, die Belagerung aufzuheben. Man glaube indes ja nicht, daß Herr von Schnapphahnski ein solcher Narr gewesen wäre, um rein als Geprellter von dannen zu ziehen. Gott bewahre! Der Mann, der die Gräfin S. auf der Landstraße aussetzte und die Hiebe seines Gegners mit nassen Sacktüchern parierte, er wußte auch jetzt seine Ehre zu retten.
Tiefsinnig schritt er Unter den Linden auf und ab, und nachdem er einen Morgen und einen Nachmittag mit sich zu Rate gegangen war, ließ er plötzlich am Abend anspannen und seinen leeren Wagen vor das Hotel Carlottens fahren.
Der Wagen stand dort den Abend, er stand die Nacht hindurch, und er stand bis zum Morgen. Ruhige Bürger, die eben nicht ganz auf den Kopf gefallen waren, stießen einander an, wenn sie die Karosse sahen, und blickten dann schmunzelnd hinauf zu dem Fenster der Künstlerin.
Naseweise Literaten und spitzfindige Justizräte schauten sogar auf das Wappen und die Livree des Kutschers, indem sie bedenklich die Köpfe schüttelten und dann mit allerlei kuriosen Gesprächen nach Hause schritten. Einige Offiziere stutzten aber erst vollends. –Zufällig war unter ihnen auch jener Adonis aus dem Parkett des Schauspielhauses! Er weiß nicht, was er sieht, er reibt sich die Augen, er fühlt an seinen Kopf, um sich davon zu überzeugen, ob ihn das Schicksal wirklich mit einem jugendlichen Hornschmuck geziert hat, und den Säbel in der Faust, dringt er dann in Carlottens Wohnung. – –
Er findet die Künstlerin mutterseelenallein in ihrem Zimmer – sie empfängt ihren Adonis, wie es einer Venus zukommt.
Erst mit dem Morgenrot ist die Karosse Schnapphahnskis verschwunden. Berlin erwacht zu geschäftigem Treiben. Trödler und Eckensteher murren über das Pflaster; Karren und Droschken rasseln vorüber; Handwerker und Kaufleute eilen an ihre Arbeit, und fast der einzige Mensch, der erst sehr spät und äußerst langsam in die Stadt hinunterflaniert, das ist wieder niemand anders als unser berühmter Ritter Schnapphahnski.– – Er sieht etwas leidend und angegriffen aus; seine Augen glänzen feucht-melancholisch, und der schöne Kopf mit dem feinen Hute hängt sinnend hinab auf die seufzerschwere Brust. Da schleicht der Ritter nachlässig scharwenzelnd in den nächsten Salon und wirft sich gähnend auf den Diwan. »Teurer Ritter, auf Ehre, was fehlt Ihnen?« fragen einige Bekannte, als sie ihren Freund in so weicher, schmerzlicher Stimmung sehen. Keine Antwort. Die Lippen Schnapphahnskis umspielt ein mildes Lächeln. »Auf Seele, Ritter«, fährt man fort, »es scheint Ihnen etwas Ungewöhnliches passiert zu sein!« Schnapphahnski reckt einmal alle Glieder. Eine halbe Stunde verstreicht so, da hat der Ritter die Aufmerksamkeit seiner liebenswürdigen Umgebung bis aufs höchste gesteigert; aufs neue bestürmt man ihn mit Fragen, er kann nicht mehr widerstehen, und gleichgültig wirft er die Worte »die vorige Nacht« – »bei Carlotta« hin, und rings entsteht das freudigste, interessanteste Erstaunen!
Man sieht, die Aventüren unseres Ritters werden immer delikater. Zuerst eine wirkliche Liebschaft, die zwar mit der erbärmlichsten Pointe schließt, deren eine Liebschaft fähig ist, die aber wenigstens bis zum Augenblick der Pointe alle süßen, schauerlichen Phasen durchmacht und den Eindruck bei uns zurückläßt, daß es dem edlen Ritter wenigstens einmal in seinem Leben gelang, eine Frau zu erobern und ein Herz zu besitzen. Schade, daß die Stöcke der Lakaien des Grafen S. sich an dieses erste Abenteuer reihen!
Dann die zweite Aventüre. Sie drehte sich ebenfalls um das schöne Geschlecht. Der Ritter besitzt aber schon nicht mehr, nein, er intrigiert nur. Die Sache läßt sich aber trotzdem noch hören, weil ein Duell daraus entsteht, ein Duell mit krummen Säbeln, und wir sind schon auf dem Punkte, uns mit der Geschichte zu versöhnen, als plötzlich jene erbauliche Wendung mit einem halben Dutzend nasser Sacktücher eintritt und wir nur zu sehr fühlen, daß der Ritter eine bedeutende Stufe gesunken ist.
Doch ach, jetzt die dritte Affäre mit Carlotta! Zu dem Ekel, den uns das galante Malheur Sr. Hochgeboren verursacht, gesellt sich der bedauerliche Eindruck der gewöhnlichsten Lügen, der blassesten Renommage. Wir sehen den Ritter auf dem Diwan liegen, umringt von jungen Offizieren, den physischen Katzenjammer der Liebe heuchelnd – und es wird uns traurig zumute!
Aber so war es. Wer weiß, inwieweit es Herrn von Schnapphahnski gelungen wäre, seine Umgebung zu täuschen und jenes selige Ermatten einer glücklichen Nacht täuschend nachzuahmen, wenn sich nicht plötzlich der süße Adonis Carlottens an der anderen Seite des Salons emporgerichtet und den renommierenden Ritter, seiner erbärmlichen Lüge wegen, ohne weiteres auf Pistolen gefordert hätte. Was sollte unser Ritter tun? Er fühlte, daß er wieder einmal eine Stufe sinken müsse; er wußte aus eigener Erfahrung, daß er im Duell eben kein Heros war, und die Lust des Lebens und die Hoffnung einer besseren Zukunft in Erwägung ziehend, entschloß er sich daher, eine gute Miene zu dem bösen Spiel zu machen und in Gegenwart sämtlicher Offiziere die schriftliche Erklärung abzugeben, daß er der gröbste Lügner sei und aufrichtig bedauere, die Reize der schönen Carlotta durch das Manöver mit dem leeren Wagen auf so unnötige Weise verdächtigt zu haben.
Diese Erklärung des berühmten Ritters Schnapphahnski befindet sich noch heutigen Tages in dem Archiv eines der Berliner Gardeoffizierkorps.