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In einem modernen Staat liegt die wirkliche Herrschaft, welche sich ja weder in parlamentarischen Reden noch in Enunziationen von Monarchen, sondern in der Handhabung der Verwaltung im Alltagsleben auswirkt, notwendig und unvermeidlich in den Händen des Beamtentums. Des militärischen wie des zivilen. Denn vom »Büro« aus leitet ja der moderne höhere Offizier sogar die Schlachten. Wie der sogenannte Fortschritt zum Kapitalismus seit dem Mittelalter der eindeutige Maßstab der Modernisierung der Wirtschaft, so ist der Fortschritt zum bürokratischen, auf Anstellung, Gehalt, Pension, Avancement, fachmäßiger Schulung und Arbeitsteilung, festen Kompetenzen, Aktenmäßigkeit, hierarchischer Unter- und Überordnung ruhenden Beamtentum der ebenso eindeutige Maßstab der Modernisierung des Staates. Des monarchischen ebenso wie des demokratischen. Dann jedenfalls, wenn der Staat nicht ein kleiner Kanton mit reihumgehender Verwaltung, sondern ein großer Massenstaat ist. Die Demokratie schaltet ja ganz ebenso wie der absolute Staat die Verwaltung durch feudale oder patrimoniale oder patrizische oder andere ehrenamtliche oder erblich fungierende Honoratioren zugunsten angestellter Beamten aus. Angestellte Beamte entscheiden über alle unsere Alltagsbedürfnisse und Alltagsbeschwerden. Von dem bürgerlichen Verwaltungsbeamten unterscheidet sich der militärische Herrschaftsträger, der Offizier, in dem hier entscheidenden Punkte nicht. Auch das moderne Massenheer ist ein bürokratisches Heer, der Offizier eine Sonderkategorie des Beamten im Gegensatz zum Ritter, Kondottiere, Häuptling oder homerischen Helden. Auf der Dienstdisziplin beruht die Schlagkraft des Heeres. Nur wenig modifiziert vollzieht sich der Vormarsch des Bürokratismus in der Gemeindeverwaltung. Je größer die Gemeinde ist oder je mehr sie durch technisch und ökonomisch bedingte Zweckverbandsbildungen aller Art unvermeidlich ihrer organischen lokalen Bodenständigkeit entkleidet wird, desto mehr. Und in der Kirche war nicht etwa das vielberedete Unfehlbarkeitsdogma, sondern der Universalepiskopat der prinzipiell wichtige Abschluß von 1870. Er schuf die »Kaplanokratie« und machte im Gegensatz zum Mittelalter den Bischof und Pfarrer zu einem einfachen Beamten der kurialen Zentralgewalt. Nicht anders auch in den großen Privatbetrieben der Gegenwart, und zwar je größer sie sind, desto mehr. Die Privatangestellten wachsen statistisch rascher als die Arbeiter, und es ist eine höchst lächerliche Vorstellung unserer Literaten, daß sich die geistige Arbeit im Kontor auch nur im mindesten von derjenigen im staatlichen Büro unterscheide.
Beide sind vielmehr im Grundwesen ganz gleichartig. Ein »Betrieb« ist der moderne Staat, gesellschaftswissenschaftlich angesehen, ebenso wie eine Fabrik: das ist gerade das ihm historisch Spezifische. Und gleichartig bedingt ist auch das Herrschaftsverhältnis innerhalb des Betriebes hier und dort. Wie die relative Selbständigkeit des Handwerkers oder Hausindustriellen, des grundherrlichen Bauern, des Kommendatars, des Ritters und Vasallen darauf beruhte, daß er selbst Eigentümer der Werkzeuge, der Vorräte, der Geldmittel, der Waffen war, mit deren Hilfe er seiner ökonomischen, politischen, militärischen Funktion nachging und von denen er während deren Ableistung lebte, so beruht die hierarchische Abhängigkeit des Arbeiters, Kommis, technischen Angestellten, akademischen Institutsassistenten und des staatlichen Beamten und Soldaten ganz gleichmäßig darauf, daß jene für den Betrieb und die ökonomische Existenz unentbehrlichen Werkzeuge, Vorräte und Geldmittel in der Verfügungsgewalt, im einen Fall: des Unternehmers, im anderen: des politischen Herrn konzentriert sind. Die russischen Soldaten z.+B. wollten (überwiegend) keinen Krieg mehr führen. Sie mußten aber: denn die sachlichen Kriegsbetriebsmittel und die Vorräte, von denen sie leben mußten, waren in der Verfügungsgewalt von Leuten, welche die Soldaten mit deren Hilfe ganz ebenso in den Schützengraben hineinzwangen, wie der kapitalistische Besitzer der wirtschaftlichen Betriebsmittel die Arbeiter in die Fabriksäle und Bergwerksschächte. Diese entscheidende ökonomische Grundlage: die »Trennung« des Arbeiters von den sachlichen Betriebsmitteln: den Produktionsmitteln in der Wirtschaft, den Kriegsmitteln im Heer, den sachlichen Verwaltungsmitteln in der öffentlichen Verwaltung, den Forschungsmitteln im Universitätsinstitut und Laboratorium, den Geldmitteln bei ihnen allen, ist dem modernen macht- und kulturpolitischen und militärischen Staatsbetrieb und der kapitalistischen Privatwirtschaft als entscheidende Grundlage gemeinsam. Beide Male liegt die Verfügung über diese Mittel in den Händen derjenigen Gewalt, welcher jener Apparat der Bürokratie (Richter, Beamte, Offiziere, Werkmeister, Kommis, Unteroffiziere) direkt gehorcht oder auf Anrufen zur Verfügung steht, der allen jenen Gebilden gleichmäßig charakteristisch und dessen Existenz und Funktion als Ursache wie als Wirkung mit jener »Konzentration der sachlichen Betriebsmittel« untrennbar verknüpft, vielmehr: deren Form er ist. Zunehmende »Sozialisierung« bedeutet heute unvermeidlich zugleich zunehmende Bürokratisierung.
Auch geschichtlich steht aber der »Fortschritt« zum bürokratischen, nach rational gesatztem Recht und rational erdachten Reglements judizierenden und verwaltenden Staat jetzt in engstem Zusammenhang mit der modernen kapitalistischen Entwicklung. Der moderne kapitalistische Betrieb ruht innerlich vor allem auf der Kalkulation. Er braucht für seine Existenz eine Justiz und Verwaltung, deren Funktionieren wenigstens im Prinzip ebenso an festen generellen Normen rational kalkuliert werden kann, wie man die voraussichtliche Leistung einer Maschine kalkuliert. Er kann sich mit der im populären Sprachgebrauch sogenannten »Kadijustiz«: dem Judizieren nach dem Billigkeitsempfinden des Richters im Einzelfall oder nach anderen irrationalen Rechtsfindungsmitteln und Prinzipien, wie sie in der Vergangenheit überall bestanden, im Orient noch heute bestehen, ebensowenig befreunden wie mit der patriarchalen, nach freier Willkür und Gnade und im übrigen nach unverbrüchlich heiliger, aber irrationaler, Tradition verfahrenden Verwaltung der theokratischen oder patrimonialen Herrschaftsverbände Asiens und unserer eigenen Vergangenheit. Der Umstand, daß diese »Kadijustiz« und die ihr entsprechende Verwaltung, eben ihres irrationalen Charakters wegen, besonders häufig käuflich ist, gestattete zwar dem Kapitalismus des Händlers und Staatslieferanten und allen Arten des seit vier Jahrtausenden in der Welt bekannten vorrationalistischen Kapitalismus, namentlich des an der Politik, dem Krieg, der Verwaltung als solcher verankerten Abenteurer- und Raubkapitalismus, die Entstehung und Existenz (und oft gerade durch jene Qualitäten üppige Blüte). Das aber, was dem modernen Kapitalismus im Gegensatz zu jenen uralten Formen kapitalistischen Erwerbs spezifisch ist: die streng rationale Organisation der Arbeit auf dem Boden rationaler Technik, ist nirgends innerhalb derartig irrational konstruierter Staatswesen entstanden und konnte dort auch nie entstehen. Denn dazu sind diese modernen Betriebsformen mit ihrem stehenden Kapital und ihrer exakten Kalkulation gegen Irrationalitäten des Rechts und der Verwaltung viel zu empfindlich. Sie konnten nur da entstehen, wo entweder, wie in England, die praktische Gestaltung des Rechts tatsächlich in den Händen der Advokaten lag, welche im Dienste ihrer Kundschaft: der kapitalistischen Interessenten also, die geeigneten Geschäftsformen ersannen, und aus deren Mitte dann die streng an »Präzedenzfälle«, also an berechenbare Schemata gebundenen Richter hervorgingen. Oder wo der Richter, wie im bürokratischen Staat mit seinen rationalen Gesetzen, mehr oder minder ein Paragraphen-Automat ist, in welchen man oben die Akten nebst den Kosten und Gebühren hineinwirft, auf daß er unten das Urteil nebst den mehr oder minder stichhaltigen Gründen ausspeie: – dessen Funktionieren also jedenfalls im großen und ganzen kalkulierbar ist. In die Kleinkinderschule gehört die charakteristische dilettantische Literatenvorstellung: das »römische Recht« habe den Kapitalismus befördert. Jeder Student ist verpflichtet, zu wissen, daß alle charakteristischen Rechtsinstitute des modernen Kapitalismus, von der Aktie, dem Rentenpapier, dem modernen Bodenpfandrecht, dem Wechsel und allen Arten der Verkehrsurkunden an bis zu den kapitalistischen Assoziationsformen in Industrie, Bergbau und Handel dem römischen Recht völlig unbekannt und mittelalterlichen, zum erheblichen Teil spezifisch germanischen Ursprungs sind, und daß in dem Mutterland des modernen Kapitalismus, England, das römische Recht niemals Fuß gefaßt hat. Das Fehlen der großen nationalen Advokatenzünfte, die in England sich dem römischen Recht widersetzten, und im übrigen: die Bürokratisierung der Rechtspflege und Staatsverwaltung ebneten bei uns in Deutschland dem römischen Recht den Weg. Der moderne Früh-Kapitalismus ist nicht in den Musterländern der Bürokratie (die ihrerseits dort aus reinem Staatsrationalismus erwuchs) entstanden. Und auch der moderne Hochkapitalismus war zunächst nicht auf sie beschränkt, zunächst nicht einmal in ihnen vorwiegend heimisch. Sondern da, wo die Richter aus Advokaten hervorgingen. Aber heute haben sich Kapitalismus und Bürokratie gefunden und gehören intim zusammen. –
Nicht anders als in Wirtschaft und staatlicher Verwaltung steht es schließlich mit dem Fortschritt zur Bürokratisierung nun auch: in den Parteien.
Die Existenz der Parteien kennt keine Verfassung und (bei uns wenigstens) auch kein Gesetz, obwohl doch gerade sie heute die weitaus wichtigsten Träger alles politischen Wollens der von der Bürokratie Beherrschten, der »Staatsbürger«, darstellen. Parteien sind eben – mögen sie noch so viele Mittel der dauernden Angliederung ihrer Klientel an sich verwenden – ihrem innersten Wesen nach freiwillig geschaffene und auf freie, notwendig stets erneute, Werbung ausgehende Organisationen, im Gegensatz zu allen gesetzlich oder kontraktlich fest umgrenzten Körperschaften. Heute ist stets Stimmenwerbung für Wahlen zu politischen Stellungen oder in eine Abstimmungskörperschaft ihr Ziel. Ein dauernder, unter einem Führer oder einer Honoratiorengruppe vereinigter Kern von Parteiinteressenten mit sehr verschieden fester Gliederung, heute oft mit entwickelter Bürokratie, sorgt für die Finanzierung mit Hilfe von Parteimäzenaten oder wirtschaftlichen Interessenten oder Amtspatronageinteressenten oder durch Mitgliedsbeiträge: meist aus mehreren dieser Quellen. Er bestimmt das jeweilige Programm, die Art des Vorgehens und die Kandidaten. Auch bei sehr demokratischer Form der Massenparteiorganisation, welche dann, wie stets, ein entwickeltes besoldetes Beamtentum zur Folge hat, ist die Masse zum mindesten der Wähler, in ziemlichem Umfang aber auch der einfachen »Mitglieder«, nicht (oder nur formell) beteiligt an der Bestimmung der Programme und Kandidaten. Die Wähler kommen vielmehr mitwirkend nur dadurch in Betracht, daß jene beiden den Chancen, dadurch deren Stimmen zu gewinnen, angepaßt und danach ausgewählt werden.
Mag man nun die Existenz, die Art des Werbens und Kämpfens und die Tatsache, daß unvermeidlich Minderheiten die Formung von Programmen und Kandidatenlisten in der Hand haben, moralisierend beklagen, – beseitigen wird man die Existenz der Parteien nicht und jene Art ihrer Struktur und ihres Vorgehens höchstens in begrenztem Maße. Reglementieren kann das Gesetz, wie z.B. mehrfach in Amerika, die Form der Bildung jenes aktiven Parteikerns (ähnlich wie etwa die Bedingungen der Bildung von Gewerkschaften) und die »Kampfregeln« auf dem Wahlschlachtfeld. Aber den Parteikampf selbst auszuschalten, ist nicht möglich, wenn nicht eine aktive Volksvertretung überhaupt fortfallen soll. Die verworrene Vorstellung, daß man es doch könne und solle, beschäftigt aber stets erneut die Literatenköpfe. Sie gehört, bewußt oder unbewußt, zu den Voraussetzungen der vielen Vorschläge, statt der oder neben den auf der Basis des allgemeinen (abgestuften oder gleichen) staatsbürgerlichen Wahlrechts gebildeten Parlamenten, Wahlkörperschaften auf »berufsständischer« Basis zu schaffen, bei welchen korporativ zusammengefaßte Berufsvertretungen zugleich Wahlkörper für das Parlament sein würden. Ein Ungedanke schon an sich in einer Zeit, wo die formelle Zugehörigkeit zu einem bestimmten Beruf (die ja wahlgesetzlich an äußere Merkmale geknüpft werden müßte) über die ökonomische und soziale Funktion bekanntlich so gut wie nichts aussagt, wo jede technische Neuerfindung und jede ökonomische Verschiebung und Neubildung diese Funktionen und damit auch den Sinn der formal gleichbleibenden Berufsstellungen und ihr Zahlenverhältnis zueinander verschiebt. Aber selbstverständlich auch kein Mittel für den erstrebten Zweck. Denn würde es gelingen, sämtliche Wähler in Berufskörperschaften von der Art etwa der heutigen Handelskammern oder Landwirtschaftskammern vertreten und aus diesen dann das Parlament hervorgehen zu lassen, so wäre selbstverständlich die Folge:
1. daß neben diesen gesetzlich zusammengeklammerten Berufsorganisationen einerseits die auf freier Werbung ruhenden Interessenvertretungen stehen würden. So, wie neben den Landwirtschaftskammern der Bund der Landwirte, neben den Handelskammern die verschiedenen Arten der freien Unternehmerorganisationen. Andererseits würden selbstverständlich die auf Werbung ruhenden politischen Parteien, weit entfernt davon zu verschwinden, Richtung und Art ihrer Werbung dem neugeschaffenen Zustand anpassen. Gewiß nicht zum Vorteil: die Beeinflussung der Wahlen in jenen Berufsvertretungen durch Wahlgeldgeber und die Ausnutzung der kapitalistischen Abhängigkeiten würden ja mindestens ebenso unkontrollierbar fortbestehen. Im übrigen würden als selbstverständliche Folge eintreten: einerseits – 2. daß die Lösung der sachlichen Aufgaben der Berufsvertretungen nun, wo ihre Zusammensetzung die Parlamentswahlen und damit die Amtspatronage beeinflussen würde, in den Strudel der politischen Macht- und Parteikämpfe gerissen, statt der sachlich kompetenten Fachvertreter also Parteivertreter sie bevölkern würden. Andererseits – 3. daß das Parlament ein Markt für rein materielle Interessenkompromisse ohne staatspolitische Orientierung würde. Für die Bürokratie ergäbe das die gesteigerte Versuchung dazu und einen erweiterten Spielraum dafür: durch Ausspielen materieller Interessengegensätze und durch ein Patronage- und Lieferungs-Trinkgeldersystem verstärkter Art die eigene Macht zu erhalten und vor allem: jede Verwaltungskontrolle illusorisch zu machen. Denn die entscheidenden Vorgänge und Kompromisse der Interessenten würden sich ja nun, noch viel weniger kontrolliert, hinter den verschlossenen Türen ihrer unoffiziellen Konzerne abwickeln. Nicht der politische Führer, sondern der geriebene Geschäftsmann käme im Parlament ganz unmittelbar auf seine Rechnung, während für die Lösung politischer Fragen nach politischen Gesichtspunkten eine solche sogenannte »Volksvertretung« wahrlich die ungeeignetste Stätte wäre. Das alles liegt für den Kundigen auf der Hand. Ebenso, daß derartiges kein Mittel ist, die kapitalistische Beeinflussung der Parteien und des Parlaments zu schwächen oder gar das Parteigetriebe zu beseitigen oder doch zu reinigen. Das gerade Gegenteil wäre der Fall. Die Tatsache, daß die Parteien nun einmal auf freier Werbung beruhende Gebilde sind, steht ihrer Reglementierung im Weg und wird von solchen Literatenvorstellungen, welche nur die durch staatliches Reglement geschaffenen, nicht die »freiwillig« auf dem Kampfplatz der heutigen Gesellschaftsordnung gewachsenen Gebilde als Organisationen kennen möchten, verkannt. –
Politische Parteien können in modernen Staaten vor allem auf zwei verschiedenen letzten innerlichen Prinzipien aufgebaut sein. Entweder sie sind – wie in Amerika seit dem Wegfall der großen Gegensätze über die Verfassungsinterpretation – wesentlich Amtspatronage-Organisationen. Ihr Ziel ist dann lediglich, durch Wahlen ihren Führer in die leitende Stellung zu bringen, damit er dann seiner Gefolgschaft: dem Beamten- und Werbeapparat der Partei, die staatlichen Ämter zuwende. Inhaltlich gesinnungslos, schreiben sie, miteinander konkurrierend, jeweils diejenigen Forderungen in ihr Programm, welchen sie die stärkste Werbekraft bei den Wählern zutrauen. Dieser Charakter der Parteien ist in den Vereinigten Staaten deshalb so nackt ausgeprägt, weil dort kein parlamentarisches System besteht, vielmehr der vom Volk gewählte Präsident der Union (unter Beteiligung der gewählten Senatoren der Staaten) die Amtspatronage der ungeheuren Zahl zu vergebender Bundesämter in Händen hat. Trotz der Korruption, die es zur Folge hatte, war dies System populär, weil es die Entstehung einer Bürokraten kaste vermied. Technisch möglich aber war es, weil und solange selbst die übelste Dilettantenwirtschaft angesichts des unbegrenzten Überflusses an ökonomischen Chancen ertragen werden konnte. Die steigende Notwendigkeit, den jeder Fachschulung entbehrenden Parteischützling und Gelegenheitsbeamten durch den das Amt als Lebensberuf versehenden fachgeschulten Beamten zu ersetzen, gräbt diesen amerikanischen Parteien zunehmend Pfründen ab und läßt auch dort unentrinnbar eine Bürokratie europäischer Art entstehen.
Oder die Parteien sind vornehmlich Weltanschauungsparteien, welche also der Durchsetzung inhaltlicher politischer Ideale dienen wollen. In ziemlich reiner Form waren dies das deutsche Zentrum der siebziger Jahre und die Sozialdemokratie bis zu ihrer Durchbürokratisierung. Die Regel ist aber, daß Parteien beides zugleich sind: sie haben, sachlich politische, durch die Tradition überlieferte und mit Rücksicht auf sie nur langsam modifizierbare Ziele, erstreben aber außerdem: Ämterpatronage. Und zwar entweder die Besetzung in erster Linie der leitenden Ämter, derjenigen also, welche politischen Charakters sind, durch ihre Führer. Die Erreichung dieses Ziels durch sie im Wahlkampf ermöglicht dann den Führern und Betriebsinteressenten während der politischen Herrschaft der Partei, ihren Schützlingen Unterkunft in gesicherten Staatsstellungen zu verschaffen. Dies ist die Regel in parlamentarischen Staaten, und diesen Weg sind daher dort auch die Weltanschauungsparteien gegangen. In nichtparlamentarischen Staaten steht den Parteien die Patronage der leitenden Ämter nicht zu. Dagegen pflegen dort die einflußreichsten von ihnen in der Lage zu sein, die herrschende Bürokratie wenigstens zu nötigen, ihren Schützlingen neben den durch Konnexion mit Beamten empfohlenen Anwärtern Unterkunft in unpolitischen Staatsstellungen zu gewähren, also: Subalternpatronage auszuüben. –
Ihrer inneren Struktur nach gehen alle Parteien im Lauf der letzten Jahrzehnte mit zunehmender Rationalisierung der Wahlkampftechnik zur bürokratischen Organisation über. Die Stufen der Entwicklung, welche die einzelnen Parteien auf dem Wege dahin erreicht haben, sind verschieden, die allgemeine Richtung des Wegs aber, in Massenstaaten wenigstens, ist eindeutig. Der »Caucus« J. Chamberlains in England, die Entwicklung der bezeichnenderweise sogenannten »Maschine« in Amerika und die überall, auch bei uns: – am schnellsten in der Sozialdemokratie, also, und ganz natürlicherweise, gerade in der demokratischsten Partei – zunehmende Bedeutung des Parteibeamtentums sind alle in gleicher Art Stadien dieses Vorgangs. In der Zentrumspartei versieht der kirchliche Apparat: die »Kaplanokratie«, und für die konservative Partei in Preußen seit dem Ministerium Puttkamer der Landrats- und Amtsvorsteherapparat des Staates, einerlei ob offen oder verhüllt, die Dienste der Parteibürokratie. Auf der Qualität der Organisation dieser Bürokratien in erster Linie beruht die Macht der Parteien. Auf der Feindseligkeit dieser Parteibeamtenapparate gegeneinander weit mehr als auf Unterschieden der Programme beruhen z.B. auch die Schwierigkeiten der Parteifusionen. Darin, daß von den Abgeordneten Eugen Richter und Heinrich Rickert innerhalb der deutsch-freisinnigen Partei jeder seine eigene Vertrauensmännermaschinerie beibehielt, war der spätere Zerfall dieser Partei bereits vorgebildet. –
Natürlich sieht nun eine Staatsbürokratie teilweise sehr anders aus als die einer Partei, innerhalb der ersteren wieder die zivile anders als die militärische, und sie alle wieder anders als die einer Gemeinde, einer Kirche, einer Bank, eines Kartells, einer Berufsgenossenschaft, einer Fabrik, einer Interessenvertretung (Arbeitgeberverband, Bund der Landwirte). Das Maß ferner, in welchem ehrenamtliche oder Interessententätigkeit mitbeteiligt ist, ist in allen diesen Fällen sehr verschieden. In der Partei ist der »Boß«, in der Aktiengesellschaft der Aufsichtsrat kein »Beamter«. Mitbeschließend, kontrollierend, beratend und auch gelegentlich ausführend können in den mannigfachen Formen der sogenannten »Selbstverwaltung« allerhand Honoratioren oder gewählte Vertreter der beherrschten oder zwangsweise belasteten Interessenten den Beamten in korporativer Form oder als Einzelorgane unterstellt oder beigegeben oder übergeordnet sein. Das letztere vor allem in der Gemeindeverwaltung. Aber deren praktisch gewiß wichtige Erscheinungen sollen uns hier nicht interessieren. Damit scheiden aus dieser Betrachtung zahlreiche Institutionen aus, auf deren Existenz wir in Deutschland durchaus mit Recht stolz sein dürfen, ja die, in einzelnen Fällen wenigstens, als vorbildlich bezeichnet werden können. – Aber ein ungeheurer Literatenirrtum ist es, sich einzubilden, die Politik eines Großstaates sei im Grunde nichts anderes als die Selbstverwaltung einer beliebigen Mittelstadt. Politik ist: Kampf. Denn – worauf es hier allein ankommt – in der Verwaltung von Massenverbänden bildet stets das festangestellte Beamtentum mit spezialisierter Einschulung den Kern des Apparates, und seine »Disziplin« ist absolute Vorbedingung des Erfolges. Und zwar mit zunehmender Größe des Verbandes, zunehmender Kompliziertheit seiner Aufgaben und – vor allem – zunehmender Machtbedingtheit seiner Existenz (sei es, daß es sich um Machtkämpfe auf dem Markt, auf dem Wahlkampfplatz oder auf dem Schlachtfeld handelt) in zunehmendem Maße. So auch bei den Parteien. Es ist im Parteiwesen ein zum Untergang verurteilter Zustand, wenn es, wie in Frankreich (dessen ganze Parlamentsmisere auf dem Fehlen bürokratisierter Parteien beruht) und teilweise auch bei uns, noch Parteien gibt, die an dem System der lokalen Honoratiorenverwaltung festhalten, welches ja dereinst im Mittelalter ganz universell alle Arten von Verbänden beherrschte und heute noch in kleinen und mittleren Gemeinden vorherrscht. Als Reklamemittel, und nur als solches, nicht aber als Träger der ausschlaggebenden Alltagsarbeit, kommen für die Parteien heute solche »angesehene Bürger«, »führende Männer der Wissenschaft« und wie sie sonst genannt werden mögen, in Betracht, ganz ebenso wie etwa in den Aufsichtsräten der Aktiengesellschaften allerhand dekorative Würdenträger, auf den Katholikentagen die Kirchenfürsten, auf den Versammlungen des Bundes der Landwirte echte und unechte Adelige oder in der Agitation der alldeutschen Kriegsgewinn- und Wahlprivilegsinteressenten allerhand verdiente Historiker, Biologen und ähnliche meist recht unpolitische Kapazitäten figurieren. Die reale Arbeit leisten in allen Organisationen zunehmend die bezahlten Angestellten und Agenten aller Art. Alles andere ist oder wird zunehmend Appretur und Schaufenster.
Wie die Italiener und nach ihnen die Engländer die moderne kapitalistische Wirtschaftsorganisation, so haben die Byzantiner, nach ihnen die Italiener, dann die Territorialstaaten des absolutistischen Zeitalters, die französische revolutionäre Zentralisation und schließlich, alle anderen übertreffend, die Deutschen die rationale, arbeitsteilige, fachmäßige bürokratische Organisation aller menschlichen Herrschaftsverbände, von der Fabrik bis zum Heer und Staat, virtuosenhaft entwickelt und sich nur in der Technik der Parteiorganisation von anderen Nationen, insbesondere den Amerikanern, vorläufig und teilweise übertreffen lassen. Der jetzige Weltkrieg aber bedeutet vor allem den Siegeszug dieser Lebensform über die ganze Welt. Er war ohnehin im Gange. Universitäten, technische und Handelshochschulen, Gewerbeschulen, Militärakademien, Fachschulen aller sonst denkbaren Art (sogar Journalistenschulen!), – das Fachexamen als Voraussetzung aller lohnenden und dabei vor allem »gesicherten« privaten und öffentlichen Amtsstellungen, – das Examensdiplom als Grundlage aller Ansprüche auf soziale Geltung (Connubium und soziales Commercium mit den zur »Gesellschaft« sich rechnenden Kreisen), – das »standesgemäße«, sichere, pensionsfähige Gehalt, wenn möglich: die Aufbesserung und das Avancement nach der Anciennität: – dies war bekanntlich schon vorher die eigentliche, von dem Frequenzinteresse der Hochschulen gemeinsam mit der Pfründensucht ihrer Zöglinge getragene »Forderung des Tages«. Im Staat wie außerhalb des Staates. Hier geht uns die Konsequenz für das politische Leben an. Denn dieser nüchterne Tatbestand der universellen Bürokratisierung verbirgt sich in Wahrheit auch hinter den sogenannten »deutschen Ideen von 1914«, hinter dem, was die Literaten euphemistisch den »Sozialismus der Zukunft« nennen, hinter dem Schlagwort von der »Organisation«, der »Genossenschaftswirtschaft« und überhaupt hinter allen ähnlichen Redewendungen der Gegenwart. Stets bedeuten sie (auch wenn sie das gerade Gegenteil erstreben) im Resultat: die Schaffung von Bürokratie. Gewiß ist die Bürokratie bei weitem nicht die einzige moderne Organisationsform, so wie die Fabrik bei weitem nicht die einzige gewerbliche Betriebsform ist. Aber beide sind diejenigen, welche dem gegenwärtigen Zeitalter und der absehbaren Zukunft den Stempel aufdrücken. Der Bürokratisierung gehört die Zukunft, und es verstand (und versteht) sich von selbst, daß die Literaten ihren Beruf, die Beifallssalve der gerade aufsteigenden Mächte zu sein, in diesem Fall ganz ebenso wie im Zeitalter der Manchesterlehre erfüllten (und erfüllen). Beide Male mit der gleichen Arglosigkeit.
Die Bürokratie ist aber gegenüber anderen geschichtlichen Trägern der modernen rationalen Lebensordnung ausgezeichnet durch ihre weit größere Unentrinnbarkeit. Es ist kein geschichtliches Beispiel dafür bekannt, daß sie da, wo sie einmal zur völligen Alleinherrschaft gelangt war – in China, Ägypten, in nicht so konsequenter Form im spätrömischen Reich und in Byzanz – wieder verschwunden wäre, außer mit dem völligen Untergang der ganzen Kultur, die sie trug. Und doch waren dies noch relativ höchst irrationale Formen der Bürokratie: »Patrimonialbürokratien.« Die moderne Bürokratie zeichnet sich vor allen diesen älteren Beispielen durch eine Eigenschaft aus, welche ihre Unentrinnbarkeit ganz wesentlich endgültiger verankert als die jener anderen: die rationale fachliche Spezialisierung und Einschulung. Der alte chinesische Mandarin war kein Fachbeamter, sondern im Gegenteil ein literarisch-humanistisch gebildeter Gentleman. Der ägyptische, spätrömische, byzantinische Beamte war wesentlich mehr Bürokrat in unserem Sinne. Aber die Staatsaufgaben, welche in seiner Hand lagen, waren gegenüber den modernen unendlich einfach und bescheiden, sein Verhalten teils traditioralistisch gebunden, teils patriarchal, also irrational, orientiert. Er war ein reiner Empiriker, wie der Gewerbetreibende der Vergangenheit. Der moderne Beamte ist entsprechend der rationalen Technik des modernen Lebens stetig und unvermeidlich zunehmend fachgeschult und spezialisiert. Alle Bürokratien der Erde gehen diesen Weg. Daß sie ihn vor dem Kriege noch nicht zu Ende gegangen waren, bedingte unsere Überlegenheit über die anderen. Der alte amerikanische Parteipatronagebeamte z.B. war zwar ein fachlicher »Kenner« des Wahlkampfplatzes und der ihm entsprechenden »Praxis«, aber in keiner Art ein spezialistisch gebildeter Fachmann. Darauf, nicht auf der Demokratie als solcher, wie unsere Literaten dem Publikum vorreden, beruhte die dortige Korruption, die dem universitätsgebildeten Fachbeamten des jetzt erst sich dort entwickelnden »civil service« ebenso fremd ist wie der modernen englischen Bürokratie, welche jetzt zunehmend an die Stelle des Selfgovernment durch Honoratioren (»Gentlemen«) tritt. Wo aber der moderne eingeschulte Fachbeamte einmal herrscht, ist seine Gewalt schlechthin unzerbrechlich, weil die ganze Organisation der elementarsten Lebensversorgung dann auf seine Leistung zugeschnitten ist. Theoretisch wohl denkbar wäre eine immer weitergehende Ausschaltung des Privatkapitalismus, – wennschon sie wahrlich keine solche Kleinigkeit ist, wie manche Literaten, die ihn nicht kennen, träumen, und ganz gewiß nicht die Folge dieses Krieges sein wird. Aber gesetzt, sie gelänge einmal: – was würde sie praktisch bedeuten? Etwa ein Zerbrechen des stählernen Gehäuses der modernen gewerblichen Arbeit? Nein! Vielmehr: daß nun auch die Leitung der verstaatlichten oder in irgendeine »Gemeinwirtschaft« übernommenen Betriebe bürokratisch würde. Sind etwa die Lebensformen der Angestellten und Arbeiter in der preußischen staatlichen Bergwerks- und Eisenbahnverwaltung irgendwie fühlbar andere als in den großen privatkapitalistischen Betrieben? Unfreier sind sie, weil jeder Machtkampf gegen eine staatliche Bürokratie aussichtslos ist und weil keine prinzipiell gegen sie und ihre Macht interessierte Instanz angerufen werden kann wie gegen jene. Das wäre der ganze Unterschied. Die staatliche Bürokratie herrschte, wenn der Privatkapitalismus ausgeschaltet wäre, allein. Die jetzt neben und, wenigstens der Möglichkeit nach, gegeneinander arbeitenden, sich also immerhin einigermaßen noch gegenseitig im Schach haltenden privaten und öffentlichen Bürokratien wären in eine einzige Hierarchie zusammengeschmolzen. Etwa wie in Ägypten im Altertum, nur in ganz unvergleichlich rationalerer und deshalb: unentrinnbarerer Form.
Eine leblose Maschine ist geronnener Geist. Nur daß sie dies ist, gibt ihr die Macht, die Menschen in ihren Dienst zu zwingen und den Alltag ihres Arbeitslebens so beherrschend zu bestimmen, wie es tatsächlich in der Fabrik der Fall ist. Geronnener Geist ist auch jene lebende Maschine, welche die bürokratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihren Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt. Im Verein mit der toten Maschine ist sie an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, wenn ihnen eine rein technisch gute und das heißt: eine rationale Beamtenverwaltung und -versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leitung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll. Denn das leistet die Bürokratie ganz unvergleichlich viel besser als jegliche andere Struktur der Herrschaft. Und dies Gehäuse, welches unsere ahnungslosen Literaten preisen, ergänzt durch die Fesselung jedes einzelnen an den Betrieb (Anfänge dazu: in den sogenannten »Wohlfahrtseinrichtungen«), an die Klasse (durch zunehmende Festigkeit der Besitzgliederung) und vielleicht einmal künftig an den Beruf (durch »leiturgische« staatliche Bedarfsdeckung, das heißt: Belastung berufsgegliederter Verbände mit Staatsaufgaben), würde nur um so unzerbrechlicher, wenn dann auf sozialem Gebiet, wie in den Fronstaaten der Vergangenheit, eine »ständische« Organisation der Beherrschten der Bürokratie angegliedert (und das heißt in Wahrheit: ihr untergeordnet) würde. Eine »organische«, d.h. eine orientalisch-ägyptische Gesellschaftsgliederung, aber im Gegensatz zu dieser: so streng rational wie eine Maschine es ist, würde dann heraufdämmern. Wer wollte leugnen, daß derartiges als eine Möglichkeit im Schoße der Zukunft liegt? Es ist das schon oft gesagt worden, und die verworrene Vorstellung dieser Möglichkeiten zieht ihre Schatten in die Produktionen unserer Literaten. Nehmen wir nun einmal an: gerade diese Möglichkeit wäre ein unentrinnbares Schicksal, – wer möchte dann nicht lächeln über die Angst unserer Literaten davor, daß die politische und soziale Entwicklung uns künftig zuviel »Individualismus« oder »Demokratie« oder dergleichen bescheren könnte und daß die »wahre Freiheit« erst aufleuchten werde, wenn die jetzige »Anarchie« unserer wirtschaftlichen Produktion und das »Parteigetriebe« unserer Parlamente beseitigt sein werden zugunsten »sozialer Ordnung« und »organischer Gliederung« – das heißt: des Pazifismus der sozialen Ohnmacht unter den Fittichen der einzigen ganz sicher unentfliehbaren Macht: der Bürokratie in Staat und Wirtschaft!
Angesichts der Grundtatsache des unaufhaltsamen Vormarsches der Bürokratisierung kann die Frage nach den künftigen politischen Organisationsformen überhaupt nur so gestellt werden:
1. Wie ist es angesichts dieser Übermacht der Tendenz zur Bürokratisierung überhaupt noch möglich, irgendwelche Reste einer in irgendeinem Sinn »individualistischen« Bewegungsfreiheit zu retten? Denn schließlich ist es eine gröbliche Selbsttäuschung, zu glauben, ohne diese Errungenschaften aus der Zeit der »Menschenrechte« vermöchten wir heute (auch der konservativste unter uns) überhaupt zu leben. Diese Frage soll uns aber diesmal nicht interessieren; denn daneben gibt es eine andere, die uns hier angeht:
2. Wie kann, angesichts der steigenden Unentbehrlichkeit und der dadurch bedingten steigenden Machtstellung des uns hier interessierenden staatlichen Beamtentums, irgendwelche Gewähr dafür geboten werden, daß Mächte vorhanden sind, welche die ungeheure Übermacht dieser an Bedeutung stets wachsenden Schicht in Schranken halten und sie wirksam kontrollieren? Wie wird Demokratie auch nur in diesem beschränkten Sinn überhaupt möglich sein? Aber auch das ist nicht die einzige Frage, die uns hier beschäftigt. Denn 3. eine dritte Frage, und zwar die wichtigste von allen, ergibt sich aus einer Betrachtung dessen, was die Bürokratie als solche nicht leistet. Leicht ist nämlich festzustellen, daß ihre Leistungsfähigkeit auf dem Gebiet des öffentlichen, staatlich-politischen Betriebes ganz ebenso wie innerhalb der Privatwirtschaft feste innere Grenzen hat. Der leitende Geist: der »Unternehmer« hier, der »Politiker« dort, ist etwas anderes als ein »Beamter«. Nicht notwendig der Form, wohl aber der Sache nach. Auch der Unternehmer sitzt auf dem »Büro«. Auch der Heerführer tut es. Der Heerführer ist ein Offizier und formell also nichts anderes als alle anderen Offiziere. Und ist der Generaldirektor eines großen Unternehmens ein angestellter Beamter einer Aktiengesellschaft, so ist auch er in seiner Rechtsstellung von anderen Beamten nicht prinzipiell unterschieden. Ebenso steht es auf dem Gebiete des staatlichen Lebens mit dem leitenden Politiker. Der leitende Minister ist formell ein Beamter mit pensionsfähigem Gehalt. Der Umstand, daß nach allen Verfassungen der Erde er jederzeit entlassen werden und Entlassung fordern kann, unterscheidet seine Dienststellung äußerlich von derjenigen der meisten, aber nicht aller anderen Beamten. Weit auffälliger ist dagegen die Tatsache: daß für ihn und für ihn allein keinerlei Fachbildungsqualifikation vorgeschrieben ist wie für andere Beamte. Das deutet an, daß er eben doch dem Sinn seiner Stellung nach etwas ähnlich Verschiedenes von den anderen Beamten ist wie der Unternehmer und Generaldirektor innerhalb der Privatwirtschaft. Oder vielmehr richtiger: daß er etwas anderes sein soll. Und so ist es in der Tat. Wenn ein leitender Mann dem Geist seiner Leistung nach ein »Beamter« ist, sei es auch ein noch so tüchtiger: ein Mann also, der nach Reglement und Befehl pflichtgemäß und ehrenhaft seine Arbeit abzuleisten gewohnt ist, dann ist er weder an der Spitze eines Privatwirtschaftsbetriebes noch an der Spitze eines Staates zu brauchen. Wir haben leider innerhalb unseres eigenen Staatslebens das Exempel darauf zu machen gehabt.
Der Unterschied liegt nur zum Teil in der Art der erwarteten Leistung. Selbständigkeit des Entschlusses, organisatorische Fähigkeit kraft eigener Ideen wird im einzelnen massenhaft, sehr oft aber auch im großen von »Beamten« ebenso erwartet wie von »Leitern«. Und gar die Vorstellung: daß der Beamte im subalternen Alltagswirken aufgehe, nur der Leiter die »interessanten«, geistige Anforderungen stellenden Sonderleistungen zu vollbringen habe, ist literatenhaft und nur in einem Lande möglich, welches keinen Einblick in die Art der Führung seiner Geschäfte und die Leistungen seiner Beamtenschaft hat. Nein – der Unterschied liegt in der Art der Verantwortung des einen und des anderen, und von da aus bestimmt sich allerdings weitgehend auch die Art der Anforderungen, die an die Eigenart beider gestellt werden. Ein Beamter, der einen nach seiner Ansicht verkehrten Befehl erhält, kann – und soll – Vorstellungen erheben. Beharrt die vorgesetzte Stelle bei ihrer Anweisung, so ist es nicht nur seine Pflicht, sondern seine Ehre, sie so auszuführen, als ob sie seiner eigensten Überzeugung entspräche, und dadurch zu zeigen: daß sein Amtspflichtgefühl über seiner Eigenwilligkeit steht. Ob die vorgesetzte Stelle eine »Behörde« oder eine »Körperschaft« oder »Versammlung« ist, von der er ein imperatives Mandat hat, ist gleichgültig. So will es der Geist des Amtes. Ein politischer Leiter, der so handeln würde, verdiente Verachtung. Er wird oft genötigt sein, Kompromisse zu schließen, das heißt: Unwichtigeres dem Wichtigeren zu opfern. Bringt er es aber nicht fertig, seinem Herrn (er sei der Monarch oder der Demos) zu sagen: entweder ich erhalte jetzt diese Instruktion oder ich gehe, so ist er ein elender »Kleber«, wie Bismarck diesen Typus getauft hat, und kein Führer. »Über den Parteien«, das heißt aber in Wahrheit: außerhalb des Kampfes um eigene Macht, soll der Beamte stehen. Kampf um eigene Macht und die aus dieser Macht folgende Eigen verantwortung für seine Sache ist das Lebenselement: des Politikers wie des Unternehmers.
Deutschland wurde seit dem Rücktritt des Fürsten Bismarck von »Beamten« (im geistigen Sinne des Wortes) regiert, weil Bismarck alle politischen Köpfe neben sich ausgeschaltet hatte. Deutschland behielt nach wie vor die an Integrität, Bildung, Gewissenhaftigkeit und Intelligenz höchststehende militärische und zivile Bürokratie der Welt. Die deutsche Leistung im Kriege draußen und im großen und ganzen auch in der Heimat hat gezeigt, was mit diesen Mitteln auszurichten ist. Aber – die Leitung der deutschen Politik in den letzten Jahrzehnten? Noch das Freundlichste, was man über sie gesagt hat, war: daß »die Siege der deutschen Heere ihre Niederlagen wieder wettgemacht« haben. Mit welchen Opfern – davon soll geschwiegen und vielmehr nach den Gründen dieser Mißerfolge gefragt werden.
Das Ausland bildet sich ein: die deutsche »Autokratie« sei der Fehler. Im Inland glaubt man, dank den kindlichen Geschichtsspekulationen unserer Literaten, vielfach umgekehrt: eine Verschwörung der internationalen »Demokratie« gegen Deutschland habe die unnatürliche Weltkoalition gegen uns zustande gebracht. Das Ausland arbeitet mit der heuchlerischen Phrase von der »Befreiung der Deutschen« von jener Autokratie. Im Inland arbeiten die Interessenten des bisherigen Systems – wir werden sie noch kennenlernen – mit der ebenso heuchlerischen Phrase von der Notwendigkeit, den »deutschen Geist« vor der Befleckung durch die »Demokratie« zu schützen, oder sucht nach anderen Sündenböcken.
Es ist z.+B. üblich geworden, auf die deutsche Diplomatie zu schelten. Vermutlich mit Unrecht. Im Durchschnitt war sie wahrscheinlich genau so gut wie die anderer Länder. Es liegt da eine Verwechslung vor. Was fehlte, war: die Leitung des Staatswesens durch einen Politiker – nicht etwa: durch ein politisches Genie, was man nur alle Jahrhunderte einmal erwarten kann, nicht einmal durch eine bedeutende politische Begabung, sondern: durch einen Politiker überhaupt.
Damit sind wir schon bei der Besprechung jener beiden Mächte, die allein neben dem alles umspinnenden Beamtentum im Leben des modernen konstitutionellen Staates eine Rolle als kontrollierende und richtungweisende Instanzen zu spielen in der Lage sind: dem Monarchen und dem Parlament. Zunächst: von dem ersteren.
Die Stellung der deutschen Dynastien wird aus dem Kriege unerschüttert hervorgehen, es sei denn, daß sehr große Unklugheiten begangen und aus den Mängeln der Vergangenheit gar nichts gelernt würde. Schon lange vor dem 4. August 1914 konnte, wer Gelegenheit hatte, mit deutschen Sozialdemokraten – ich spreche hier nicht von »Revisionisten«, auch nicht von Abgeordneten der Partei oder Gewerkschaftlern, sondern gerade von teilweise sehr radikal gesinnten Partei beamten – längere Zeit zusammenzusitzen, nach eingehenden Erörterungen fast stets zugestanden erhalten, daß »an sich« für die besondere internationale Lage Deutschlands die konstitutionelle Monarchie die gegebene Staatsform sei. Man braucht in der Tat nur einen Augenblick jetzt nach Rußland zu blicken, um zu sehen: daß der von den liberalen Politikern gewünschte Übergang zur parlamentarischen Monarchie einerseits die Dynastie erhalten, andererseits die nackte Bürokratenherrschaft beseitigt und im Resultat ebensoviel zur Stärkung Rußlands beigetragen hätte, wie jetzt diese Form der Literaten-»Republik«, allem subjektiven Idealismus der Führer zum Trotz, zu seiner Schwächung. Da von russischer Seite mir gegenüber behauptet wurde, Herr Kerenskij habe diesen Satz aus der »Frankfurter Zeitung« in Versammlungen zitiert, um die Notwendigkeit seiner Offensive als Beweis der »Stärke« darzutun, so sei für diesen Totengräber der jungen russischen Freiheit ausdrücklich bemerkt: Eine Offensive kann veranstalten, wer über die sachlichen Kriegsmittel verfügt, z.+B. über die Artillerie um die vor ihr liegende Infanterie in den Schützengräben niederzuhalten, und über die Verkehrsmittel und Vorräte, um die in die Schützengräben gebannten Soldaten überdies die Abhängigkeit ihrer Ernährung von sich fehlen zulassen. Die »Schwäche« der sogenannten sozialrevolutionären Regierung des Herrn Kerenskij aber lag in ihrer Kreditunwürdigkeil, wie anderwärts dargelegt wurde, und in der Notwendigkeit, um Kredit zur Erhaltung der eigenen Herrschaft im Inland zu erhalten, seinen Idealismus zu verleugnen, mit der bürgerlichen imperialistischen Entente zu paktieren und also Hunderttausende seiner eigenen Landsleute als Söldner fremder Interessen bluten zu lassen, wie es seither geschehen ist. Ich glaube, mit dieser wie mit anderen Voraussagen, die ich an anderer Stelle über Rußlands Haltung machte, leider Recht behalten zu haben. (Ich lasse die vor vielen Monaten geschriebene Stelle auch. jetzt stehen. W.) Alle Stärke des britischen Parlamentarismus hängt, wie man in England sehr gut weiß, mit der Tatsache zusammen, daß die formell höchste Stelle im Staat ein- für allemal besetzt ist. Worauf diese Funktion der bloßen Existenz eines Monarchen beruht, ist hier nicht zu erörtern. Ebenso nicht, ob dies unvermeidlich überall gerade nur ein Monarch zu leisten vermöchte. Für Deutschland ist jedenfalls die Lage in dieser Hinsicht gegeben. Es kann uns nicht nach einem Zeitalter der Prätendentenkriege und Gegenrevolutionen gelüsten; dazu ist unsere Existenz international zu bedroht.
Allein: ein Gegengewicht und ein Kontrollmittel gegen die alles umfassende Macht des Fachbeamtentums ist der Monarch als solcher unter den Verhältnissen des modernen Staates niemals und nirgends und kann es auch gar nicht sein. Er kann die Verwaltung nicht kontrollieren. Denn diese Verwaltung ist fachgeschulte Verwaltung und ein moderner Monarch ist, außerhalb allenfalls des militärischen Gebiets, nie ein Fachmann. Vor allem aber – das geht uns hier an – ist er als solcher niemals ein im Getriebe des Parteikampfes oder der Diplomatie geschulter Politiker. Seine ganze Erziehung nicht nur, sondern vor allem seine staatliche Stellung wirkt dem schlechterdings entgegen. Nicht im Kampf der Parteien gewann er seine Krone, und nicht der Kampf um die Macht im Staat ist seine natürliche Lebensluft, wie sie die des Politikers immer ist. Er lernt die Bedingungen des Kampfes nicht durch eigenes Hinabsteigen in die Arena am eigenen Leibe kennen, ist vielmehr durch sein Privileg den Rücksichtslosigkeiten des Kampfes entrückt. Es gibt: den geborenen Politiker, – aber er ist selten. Der Monarch aber, der das nicht ist, wird dann seinen eigenen und den Staatsinteressen sehr gefährlich, wenn er versucht, wie es der Zar tat, »selbst zu regieren«, oder mit den Mitteln des Politikers: »Demagogie« im weitesten Sinn des Wortes, durch Rede und Schrift zur Propaganda der eigenen Ideen oder der eigenen Persönlichkeit auf die Welt zu wirken. Dann spielt er nicht nur um seine Krone – das wäre seine Privatangelegenheit –, sondern um die Existenz seines Staates. Und in jene Versuchung, ja geradezu Notwendigkeit, gerät ein moderner Monarch unweigerlich immer wieder, wenn ihm niemand anders als nur die Beamten im Staate gegenüberstehen, wenn also das Parlament machtlos ist, wie es in Deutschland jahrzehntelang der Fall war. Schon rein technisch hat das schwere Nachteile. Der Monarch ist heute, wenn kein machtvolles Parlament neben ihm steht, zur Kontrolle der Amtsführung der Beamten auf die Berichte anderer Beamter angewiesen. Alles dreht sich dabei im Kreise herum. Der beständige Krieg der verschiedenen Ressorts gegeneinander, der z.+B. für Rußland typisch war und auch bei uns bis in die Gegenwart hinein herrscht, ist die selbstverständliche Folge einer solchen angeblich »monarchischen« Regierung, bei welcher ein leitender Politiker fehlt. Denn es handelt sich ja bei diesem Satrapenkampf in erster Linie meist nicht nur um sachliche, sondern um persönliche Gegensätze: der Kampf der Ressorts dient deren Chefs als Konkurrenzmittel um die Ministerstellen, wenn diese lediglich als Beamtenpfründen behandelt werden. Nicht sachliche Gründe oder politische Führerqualitäten, sondern höfische Intrigen entscheiden dann darüber, wer sich in den leitenden Stellungen behauptet. Jedermann weiß, daß persönliche Machtkämpfe die parlamentarischen Staaten erfüllen. Der Irrtum ist nur: zu glauben, es sei in Monarchien irgendwie anders. Dort tritt ein anderes Übel hinzu. Der Monarch glaubt, selbst zu regieren, während in Wahrheit das Beamtentum sich des Privilegs erfreut, gedeckt durch ihn, unkontrolliert und verantwortungslos schalten zu können. Dem Monarchen wird geschmeichelt und ihm, weil er die Person des leitenden Ministers nach persönlichem Belieben wechseln kann, der romantische Schein der Macht gezeigt. In Wahrheit haben Monarchen wie Eduard VII. und Leopold II., obwohl gewiß keine idealen Persönlichkeiten, weit mehr reale Macht in Händen gehabt, obschon und weil sie in streng parlamentarischer Form regierten und niemals oder doch nie anders als in diesen Formen öffentlich hervortraten. Es ist Ignoranz, wenn die moderne Literatenphrase solche Monarchen als »Schattenkönige« hinstellt, und eine Dummheit, wenn sie den moralischen Klatsch der Spießbürger zum Maßstab des politischen Urteils über sie macht. Die Weltgeschichte wird anders urteilen, auch wenn ihr Werk – wie so manches andere große politische Projekt – letztlich scheitert. Eine weltumspannende Koalition hat der eine, der selbst seine Hofbeamten je nach den Parteikonstellationen wechseln mußte, ein riesenhaftes Kolonialreich (verglichen mit unseren Koloniefragmenten!) der andere, der einen Kleinstaat regierte, zusammengefügt. Wer, als Monarch oder Minister, politisch führen will, muß auf den modernen Instrumenten der Macht zu spielen wissen. Nur den politisch unbegabten Monarchen schaltet das parlamentarische System aus – zum Heil der Macht des Landes! Und ist das ein »Nachtwächterstaat«, der es verstand, der eigenen, an Zahl eng begrenzten Nation die besten Teile aller Kontinente anzugliedern? Welch spießerhaftes Literatengeschwätz ist doch diese recht stark nach dem Ressentiment des »Untertanen« schmeckende, abgegriffene Redensart! –
Nun zum Parlament.
Die modernen Parlamente sind in erster Linie Vertretungen der durch die Mittel der Bürokratie Beherrschten. Ein gewisses Minimum von innerer Zustimmung mindestens der sozial gewichtigen Schichten der Beherrschten ist ja Vorbedingung der Dauer einer jeden, auch der bestorganisierten, Herrschaft. Die Parlamente sind heute das Mittel, dies Minimum von Zustimmung äußerlich zu manifestieren. Für gewisse Akte der öffentlichen Gewalten ist die Form der Vereinbarung durch Gesetz nach vorheriger Beratung mit dem Parlament obligatorisch, und zu diesen gehört vor allem: der Haushaltsplan. Heute wie seit der Zeit der Entstehung der Ständerechte ist die Verfügung über die Art der Geldbeschaffung des Staates: das Budgetrecht, das entscheidende parlamentarische Machtmittel. Solange freilich ein Parlament nur durch Verweigerung von Geldmitteln und Ablehnung der Zustimmung zu Gesetzesvorschlägen oder durch unmaßgebliche Anträge den Beschwerden der Bevölkerung gegenüber der Verwaltung Nachdruck verleihen kann, ist es von positiver Anteilnahme an der politischen Leitung ausgeschlossen. Es kann und wird dann nur »negative Politik« treiben, d.h.: den Verwaltungsleitern wie eine feindliche Macht gegenüberstehen, von ihnen als solche mit dem unentbehrlichen Minimum von Auskunft abgespeist und nur als Hemmschuh, als eine Versammlung impotenter Nörgler und Besserwisser gewertet. Die Bürokratie andererseits gilt dann dem Parlament und seinen Wählern leicht als eine Kaste von Strebern und Bütteln, denen das Volk als Objekt ihrer lästigen und zum guten Teil überflüssigen Künste gegenüberstehe. Anders, wo das Parlament durchgesetzt hat, daß die Verwaltungsleiter entweder geradezu aus seiner Mitte entnommen werden müssen (»parlamentarisches System« im eigentlichen Sinn) oder doch, um im Amt zu bleiben, des ausdrücklich ausgesprochenen Vertrauens seiner Mehrheit bedürfen oder wenigstens der Bekundung des Mißtrauens weichen müssen ( parlamentarische Auslese der Führer) und aus diesem Grunde, erschöpfend und unter Nachprüfung des Parlaments oder seiner Ausschüsse, Rede und Antwort stehen ( parlamentarische Verantwortlichkeit der Führer) und die Verwaltung nach den vom Parlament gebilligten Richtlinien führen müssen (parlamentarische Verwaltungskontrolle). In diesem Fall sind die Führer der jeweils ausschlaggebenden Parteien des Parlaments notwendig positive Mitträger der Staatsgewalt. Das Parlament ist dann ein Faktor positiver Politik neben dem Monarchen, der dann nicht oder wenigstens nicht vorwiegend, jedenfalls nicht ausschließlich, kraft seiner formalen Kronrechte, sondern kraft seines unter allen Umständen sehr großen Einflusses die Politik mitbestimmt, verschieden stark also je nach seiner politischen Klugheit und Zielbewußtheit. In diesem Fall spricht man, einerlei ob mit Recht oder Unrecht, vom »Volksstaat«, während ein Parlament der Beherrschten mit negativer Politik gegenüber einer herrschenden Bürokratie eine Spielart des »Obrigkeitsstaats« darstellt. Uns interessiert hier die praktische Bedeutung der Stellung des Parlaments.
Man mag den parlamentarischen Betrieb hassen oder lieben, beseitigen wird man ihn nicht. Man kann ihn nur politisch machtlos machen, wie Bismarck es mit dem Reichstag getan hat. Die Machtlosigkeit des Parlaments aber äußert sich außer in den allgemeinen Konsequenzen der »negativen Politik« in folgenden Erscheinungen. Jeder parlamentarische Kampf ist selbstverständlich ein Kampf nicht nur um sachliche Gegensätze, sondern ebenso: um persönliche Macht. Wo die Machtstellung des Parlaments es mit sich bringt, daß der Monarch in aller Regel den Vertrauensmann der entschiedenen Mehrheit mit der Leitung der Politik betraut, richtet sich dieser Machtkampf der Parteien auf die Erlangung dieser höchsten politischen Stellung. Es sind dann die Leute mit großem politischem Machtinstinkt und mit den ausgeprägtesten politischen Führerqualitäten, welche ihn durchfechten und welche also die Chance haben, in die leitenden Stellungen zu kommen. Denn die Existenz der Partei im Lande und alle die zahllosen ideellen und zum Teil sehr materiellen Interessen, welche damit verknüpft sind, erheischen dann gebieterisch, daß eine mit Führereigenschaften ausgestattete Persönlichkeit an die Spitze kommt. Es besteht dann, und nur dann, der Anreiz für die politischen Temperamente und politischen Begabungen, sich der Auslese dieses Konkurrenzkampfes zu unterziehen.
Ganz anders, wenn unter der Firma: »monarchische Regierung« die Besetzung der höchsten Stellen im Staate Gegenstand des Beamtenavancements oder höfischer Zufallsbekanntschaften ist, und wenn ein machtloses Parlament diese Art der Zusammensetzung der Regierung über sich ergehen lassen muß. Auch dann wirkt sich natürlich innerhalb des parlamentarischen Kampfes neben den sachlichen Gegensätzen der persönliche Machtehrgeiz aus. Aber in ganz anderen: subalternen, Formen und Richtungen. In der Richtung, welche er seit 1890 in Deutschland eingeschlagen hat. Neben der Vertretung von lokalen wirtschaftlichen Privatinteressen einflußreicher Wähler ist dann die kleine, subalterne Patronage ausschließlich der Punkt, um den sich letztlich alles dreht. Der Konflikt zwischen dem Reichskanzler Fürsten Bülow und dem Zentrum z.B. entstand nicht über sachliche Meinungsgegensätze, sondern es war wesentlich der Versuch des damaligen Kanzlers, sich jener Ämterpatronage des Zentrums zu entziehen, welche noch heute der Personalzusammensetzung mancher Reichsbehörden in starkem Maße das Gepräge gibt. Und das Zentrum steht darin nicht allein. Die konservativen Parteien haben das Ämtermonopol in Preußen und suchen den Monarchen mit dem Gespenst der »Revolution« einzuschüchtern, sobald diese Pfründeninteressen bedroht werden. Die von den Staatsämtern durch sie dauernd ausgeschlossenen Parteien aber suchen für sich Entschädigung in Gemeinde- oder Krankenkassen-Verwaltungen und treiben, wie früher die Sozialdemokratie, im Parlament eine staatsfeindliche oder staatsfremde Politik. Dies ist selbstverständlich. Denn jede Partei erstrebt als solche: Macht, das heißt: Anteil an der Verwaltung und also: am Einfluß auf die Ämterbesetzung. Den haben die herrschenden Schichten bei uns in einem Maße wie nur irgendwo sonst. Nur daß sie der Verantwortung dafür entzogen sind, weil die Stellenjagd und Patronage hinter den Kulissen vor sich geht und sich auf die unteren, für die Personalien nicht verantwortlichen Stellen erstreckt. Das Beamtentum aber findet bei uns seine Rechnung dabei, seinerseits persönlich unkontrolliert zu schalten, dafür aber den maßgebenden Parteien in Gestalt jener kleinen Pfründenpatronage die erforderlichen Trinkgelder zu zahlen. Dies ist die selbstverständliche Folge davon, daß die Partei (oder Parteikoalition), in deren Hand jeweils tatsächlich die Mehrheitsbildung für oder gegen die Regierung im Parlament liegt, nicht als solche offiziell zur Besetzung des verantwortlichen höchsten politischen Postens berufen wird.
Andererseits ermöglicht dieses System Leuten, welche die Qualitäten eines brauchbaren Beamten, aber keinen Hauch staatsmännischer Begabung besitzen, sich so lange in leitenden politischen Stellungen zu behaupten, bis irgendeine Intrige sie zugunsten einer anderen gleichartigen Persönlichkeit von der Bildfläche verschwinden läßt. Wir haben also die parteipolitische Ämterpatronage bei uns wie in irgendeinem anderen Land. Nur in unehrlich verhüllter Form und vor allem so, daß sie stets zugunsten bestimmter, als »hoffähig« geltender Parteimeinungen wirkt. Aber diese Einseitigkeit ist bei weitem noch nicht das Übelste an dem bestehenden Zustand. Sie wäre rein politisch zu ertragen, wenn sie nur wenigstens die Chance böte, daß aus der Mitte jener »hoffähigen« Parteien politisch zur Leitung der Nation qualifizierte Führer in die maßgebenden Stellen aufsteigen könnten. Das aber ist nicht der Fall. Das ist nur dann möglich, wenn parlamentarisches System oder wenigstens parlamentarische Ämterpatronage für die Führerstellungen besteht. Wir knüpfen zunächst an ein rein formelles Hindernis an, welches die jetzige Reichsverfassung ihr in den Weg stellt.
Der Art. 9 der Reichsverfassung, Vom 16. April 1871. letzter Satz, lautet: »Niemand kann gleichzeitig Mitglied des Bundesrats und des Reichstags sein.« Während also in parlamentarisch regierten Ländern es als unbedingt erforderlich gilt, daß die leitenden Staatsmänner dem Parlament angehören, ist das in Deutschland rechtlich unmöglich. Der Reichskanzler oder ein zum Bundesrat bevollmächtigter einzelstaatlicher Minister oder ein Staatssekretär des Reichs kann zwar einem einzelstaatlichen Parlament, z.+B. dem preußischen Landtag, angehören, also dort eine Partei beeinflussen oder sogar leiten, aber nicht: dem Reichstag. Die Bestimmung war einfach eine mechanische Nachahmung des englischen Ausschlusses der Peers vom Unterhaus (wohl durch Vermittlung der preußischen Verfassung) und beruht also auf Gedankenlosigkeit. Sie hat wegzufallen. Dieser Wegfall bedeutet an sich noch nicht die Einführung des parlamentarischen Systems oder der parlamentarischen Amtspatronage, sondern nur die Möglichkeit, daß ein politisch fähiger Parlamentarier zugleich eine politisch leitende Reichsstellung übernimmt. Es ist nicht einzusehen, warum ein Abgeordneter, der sich zu einer leitenden Stellung im Reich geeignet zeigt, genötigt werden soll, sich zunächst politisch zu entwurzeln, um sie zu übernehmen.
Wenn Bennigsen seinerzeit in die Regierung eingetreten, und also aus dem Reichstag ausgetreten wäre, so hätte Bismarck einen bedeutenden politischen Führer zu einem parlamentarisch wurzellosen Verwaltungs beamten gemacht, die Leitung der Partei aber wäre in die Hände des linken Flügels gefallen, oder es wäre – und vielleicht war dies seine Absicht – die Partei zerfallen. Genau so hat jetzt der Übertritt des Abgeordneten Schiffer in die Regierung diesem den Einfluß auf die Partei genommen und dadurch diese dem schwerindustriellen Flügel ausgeliefert. Man »köpft« also auf diesem Wege die Parteien und gewinnt doch für die Regierung statt brauchbarer Politiker Fachbeamte: ohne die Fachkenntnisse der Ämterlaufbahn und dabei ohne den Einfluß, welchen das Mitglied des Parlaments hat. Und: man pflegt so ziemlich die elendeste Form von Trinkgeldersystem, die man einem Parlament gegenüber anwenden kann. Das Parlament als Sprungbrett der Karriere für talentierte Staatssekretärskandidaten: diese charakteristische Bürokratenauffassung vertreten politische und fachjuristische Literaten, welche das Problem des deutschen Parlamentarismus dergestalt auf spezifisch »deutsche« Art gelöst finden! Das sind die gleichen Kreise, welche über die angeblich nur »westeuropäische« und spezifisch »demokratische« Stellenjägerei höhnen! Daß parlamentarische Führer nicht das Amt mit seinem Gehalt und Rang, sondern die Macht mit ihrer politischen Verantwortung suchen, und daß sie diese nur haben können, wenn sie im Parlament in ihrer Parteigefolgschaft wurzeln, daß es ferner zweierlei ist: das Parlament zur Auslesestätte von Führern oder von Amtsstrebern zu machen, – dies werden sie nie begreifen. Jahrzehntelang haben die gleichen Kreise darüber gespottet, daß die deutschen Parlamente und ihre Parteien in der Regierung immer eine Art von natürlichem Feind sähen. Aber es stört sie nicht im mindesten, daß durch die ausschließlich sich gegen den Reichstag wendende Schranke des Art. 9 Satz 2 kraft Gesetzes Bundesrat und Reichstag wie feindliche Mächte behandelt werden, die nur vom Bundesratstisch und der Rednertribüne aus miteinander Berührung pflegen können. Es ist der gewissenhaften Erwägung eines Staatsmannes, der ihn bevollmächtigenden Regierung und: seiner Wähler zu überlassen, ob er mit seinem Amt ein Mandat, die Leitung einer Partei oder doch die Tätigkeit in ihr zu vereinigen vermag, und ob die Instruktionen, nach denen er im Bundesrat stimmt, mit seinen eigenen Überzeugungen, die er im Reichstag vertritt, vereinbar sind. Es ist ergötzlich, wenn gerade in der »Kreuzzeitung« ein Anonymus die Unmöglichkeit dieser Vereinigung in juristischem Formalismus daraus ableitet: daß die Abgeordneten nach freier Überzeugung, die Bundesratsmitglieder aber nach Instruktionen zu stimmen haben. Daß zahlreiche Landräte, denen seit Puttkamer »die Vertretung der Politik der Regierung« obliegt, im preußischen Landtag sitzen, stört die »Kreuzzeitung« nicht! Vollends nicht: Staatssekretäre des Reiches, die als Abgeordnete im preußischen Landtag nach freier Überzeugung die Instruktionen, welche ihnen als Bundesratsmitgliedern die diesem Landtag verantwortliche Regierung gibt, kritisieren sollen! – Kann sich der an der Spitze einer Partei stehende Staatsmann als Bundesratsmitglied diejenigen Instruktionen nicht erwirken, welche seiner Überzeugung entsprechen, so hat er eben zu gehen. Das sollte freilich schon heute jeder »Staatsmann« tun! Siehe weiter unten! Dem leitenden Politiker, vor allem demjenigen, der für die Instruktionen der »Präsidialstimme« im Reich die Verantwortung trägt, dem Reichskanzler und Auswärtigen Minister Preußens also, muß die Möglichkeit offenstehen, den Bundesrat als Vorsitzender unter Kontrolle der Vertreter der anderen Staaten zu leiten und zugleich den Reichstag als stimmführendes Mitglied einer Partei zu beeinflussen. Heute freilich gilt es für »vornehm«, wenn sich ein Staatsmann von den Parteien fernhält. Graf Posadowsky glaubte es sogar seinem früheren Amt schuldig zu sein, sich keiner Partei anzuschließen, d.+h. den Reichstag dazu zu mißbrauchen, in ihm als einflußloser akademischer Vortragskünstler aufzutreten. Einflußlos: denn wie vollzieht sich der Gang der Geschäfte im Parlament?
Reden, die ein Abgeordneter hält, sind heute keine persönlichen Bekenntnisse mehr, noch viel weniger Versuche, die Gegner umzustimmen. Sondern sie sind amtliche Erklärungen der Partei, welche dem Lande »zum Fenster hinaus« abgegeben werden. Haben Vertreter aller Parteien ein- oder zweimal reihum gesprochen, so wird die Debatte im Reichstag geschlossen. Die Reden werden vorher in der Fraktionssitzung vorgelegt oder doch in allen wesentlichen Punkten dort vereinbart. Ebenso wird dort vorher bestimmt, wer für die Partei zu sprechen hat. Die Parteien haben ihre Spezialexperten für jede Frage, wie die Bürokratie ihre zuständigen Beamten hat. Sie haben allerdings auch ihre Drohnen, Paraderedner, die nur zu repräsentativen Zwecken mit Vorsicht verwertbar sind, neben ihren Arbeitsbienen. Wenn auch nicht ausnahmslos, so gilt aber doch im ganzen der Satz: wer die Arbeit tut, hat den Einfluß. Diese Arbeit aber vollzieht sich hinter den Kulissen, in den Kommissions- und Fraktionssitzungen, bei den wirklich scharf arbeitenden Mitgliedern aber vor allem: in ihren Privatbüros. Eugen Richters trotz ausgesprochener Unbeliebtheit innerhalb seiner eigenen Partei unerschütterliche Machtstellung z.+B. beruhte auf seiner überaus großen Arbeitsamkeit und insbesondere auf seiner unerreichten Kenntnis des Etats. Er war wohl der letzte Abgeordnete, der dem Kriegsminister jeden Pfennig, bis in die letzte Kantine hinein, nachrechnen konnte; das ist wenigstens mir gegenüber, trotz allen Verdrusses, von Herren dieser Verwaltung öfter bewundernd anerkannt worden. In der jetzigen Zentrumspartei beruht die Stellung des Herrn Matthias Erzberger wiederum auf seinem Bienen fleiß, der den sonst, nach dem immerhin begrenzten Maß seiner politischen Begabung, schwer verständlichen Einfluß dieses Politikers begründet.
Aber ein noch so großer Fleiß qualifiziert weder zum Führer und Leiter eines Staates, noch, was dem Wesen nach davon keineswegs so verschieden ist, wie unsere romantischen Literaten glauben, einer Partei. Es hat in Deutschland, nach meiner Kenntnis wenigstens, früher in ausnahmslos allen Parteien Persönlichkeiten mit den vollen Eigenschaften eines politischen Führers gegeben. Die Nationalliberalen v. Bennigsen, v. Miquel, v. Stauffenberg, Völk und andere, die Zentrumsleute v. Mallinckrodt, Windthorst, die Konservativen v. Bethusy-Huc, v. Minnigerode, v. Manteuffel, der Fortschrittler v. Saucken-Tarputschen, der Sozialdemokrat v. Vollmar waren politisch qualifizierte Führernaturen. Sie alle schwanden dahin oder traten, wie v. Bennigsen in den achtziger Jahren, aus dem Parlament aus, weil keinerlei Chance bestand, als Parteiführer zur Führung der Staatsgeschäfte zu gelangen. Soweit Parlamentarier, wie v. Miquel und Möller, Minister wurden, mußten sie zuerst politisch gesinnungslos werden, um in die reinen Beamtenministerien eingefügt werden zu können. Der Minister Möller erklärte seinerzeit: er sei in der unangenehmen Lage, daß man aus seinen früheren Reden seinen persönlichen Standpunkt so genau kenne! Aber es gibt geborene Führernaturen auch heule in Deutschland, und zwar in großer Zahl. Ja, wo stecken sie denn? Das ist nach dem früher Gesagten leicht zu beantworten. Um nur an ein Beispiel anzuknüpfen, bei welchem die politischen und sozialpolitischen Ansichten des Betreffenden den meinigen so radikal wie nur möglich entgegengesetzt sind: glaubt jemand, es sei dem jetzigen Leiter der Kruppwerke, einem früheren Ostmarkenpolitiker und Staatsbeamten, vom Schicksal an die Stirn geschrieben gewesen, daß er das größte industrielle Unternehmen Deutschlands leiten werde und nicht ein maßgebendes Ministerium oder eine machtvolle Parlamentspartei? Warum tut er also das eine, und warum würde er sich (wie ich annehme) zu dem anderen wohl unter den heutigen Bedingungen keinesfalls bereitfinden lassen? Etwa um bessere Geldeinnahmen zu erzielen? Ich vermute vielmehr: aus dem sehr einfachen Grunde, weil ein Mann von starken Machtinstinkten und sonst entsprechenden Qualitäten bei uns infolge der politischen Struktur des Staates und das heißt ganz einfach: infolge der Machtlosigkeit des Parlaments und des damit zusammenhängenden reinen Beamtencharakters der Ministerstellungen – ja geradezu ein Narr sein müßte, um sich in dies jämmerliche Getriebe kollegialen Ressentiments und auf dies Glatteis höfischer Intrigen zu begeben, wenn seinem Können und Wollen ein Tätigkeitsfeld winkt, wie es die Riesenunternehmungen, Kartelle, Bank- und Großhandelsbetriebe zu eröffnen vermögen. Seinesgleichen ziehen es vor, alldeutsche Zeitungen zu finanzieren und darin die Literaten ihr Geschwätz machen zu lassen. Dorthin, in den Dienst privatkapitalistischer Interessen, werden im Wege jener negativen Auslese, welche unsere sogenannte »monarchische Regierung« praktisch, von allem Phrasenwerk entblößt, bedeutet, die sämtlichen Führertalente der Nation abgedrängt. Denn nur auf jenem Gebiet findet heute so etwas wie eine Auslese von Führerqualitäten überhaupt statt. Warum dort? Nun, weil die Gemütlichkeit, und das heißt in diesem Fall: die Literatenphrase, notwendig da aufhört, wo es sich um ökonomische Interessen von Hunderten und Tausenden von Millionen Mark und Zehntausenden und Hunderttausenden von Arbeitskräften handelt. Und warum in der Leitung des Staates nicht? Weil eine der schlimmsten Erbschaften der Bismarckschen Herrschaft es gewesen ist, daß er sein cäsaristisches Regime mit der Legitimität des Monarchen zu decken für zweckmäßig' hielt. Das machten seine Nachfolger, die ihrerseits keine Cäsaren, sondern schlichte Beamte waren, ihm getreulich nach. Die politisch unerzogene Nation nahm jene Redensarten Bismarcks für bare Münze, während die Literaten den bei ihnen üblichen Beifall spendeten. Ganz natürlich. Sie examinieren künftige Beamte, fühlen sich selbst als Beamte und als Väter von Beamten. Und ihr Ressentiment richtet sich gegen jedermann, der auf anderen Wegen als dem der Legitimation durch Examensdiplome Macht erstrebt und erlangt. Unter Bismarck der eigenen Sorge um die öffentlichen Angelegenheiten, speziell die auswärtige Politik, entwöhnt, ließ sich die Nation infolgedessen etwas als »monarchische Regierung« aufschwatzen, was in Wahrheit nur die Unkontrolliertheit einer reiner Beamtenherrschaft bedeutete, innerhalb deren, wenn sie unter sich gelassen wird, politische Führerqualitäten noch nie und nirgends in aller Welt geboren und in die Höhe gekommen sind. Nicht daß in unserem Beamtentum sich nicht auch Leute mit Führerqualitäten befänden: es liegt hier sehr ferne, das zu behaupten! Aber nicht nur stellen die Konventionen und inneren Eigentümlichkeiten der Amtshierarchie gerade ihrem Aufstieg ganz ungewöhnliche Hindernisse in den Weg und ist das Wesen der Stellung eines modernen Verwaltungsbeamten der Entwicklung politischer Selbständigkeit (die wohl zu unterscheiden ist von innerer Unabhängigkeit des rein persönlichen Charakters) im ganzen höchst ungünstig. Sondern das Wesen aller Politik ist, wie noch oft zu betonen sein wird: Kampf, Werbung von Bundesgenossen und von freiwilliger Gefolgschaft, – und dazu, sich in dieser schweren Kunst zu üben, bietet die Amtslaufbahn des Obrigkeitsstaats nun einmal keinerlei Gelegenheit. Für Bismarck bot bekanntlich der Frankfurter Bundestag die Schule. Im Heer ist die Schulung eine solche für den Kampf und kann militärische Führer gebären. Für den modernen Politiker aber ist der Kampf im Parlament und für die Partei im Lande die gegebene Palästra, die durch nichts anderes – am wenigsten durch die Konkurrenz um Avancement – gleichwertig zu ersetzen ist. Natürlich nur in einem Parlament und für eine Partei, deren Führer die Macht im Staate erwirbt.
Was in aller Welt soll dagegen eine Partei, welche günstigenfalls die Chance hat, ein paar Budgetposten so zu ändern, wie es die Interessen ihrer Wähler wünschenswert machen, und einigen Protegés ihrer Parteigrößen ein paar kleine Pfründen zu verschaffen, für eine Anziehungskraft auf Männer mit Führerqualitäten ausüben? Welche Gelegenheit bietet sie ihnen denn, solche zu entfalten? Bis in die kleinsten Einzelheiten der Geschäftsordnung und der Konventionen des Reichstags und der Parteien spricht sich heute die Einstellung unseres Parlaments auf bloß negative Politik aus. Es sind mir nicht wenige Fälle bekannt, in welchen innerhalb der Parteien junge Talente mit Führereigenschaften von den alten verdienten Lokal- und Parteigrößen einfach niedergehalten wurden, wie es in jeder Zunft geschieht. Das ist in einem macht losen Parlament, welches auf negative Politik beschränkt ist, selbstverständlich. Denn dort herrschen die Zunftinstinkte allein. Das könnte sich dagegen eine Partei niemals gestatten, deren Existenz auf die Teilnahme an der Macht und Verantwortung im Staate zugeschnitten wäre, bei der infolgedessen jeder Parteigenosse im Lande draußen wissen würde: daß Sein und Nichtsein der Partei und aller der Interessen, die ihn an sie knüpfen, daran hängt, daß sie sich den Leuten mit Führereigenschaften, über die sie verfügt, unterordnet. Denn nicht die vielköpfige Versammlung des Parlaments als solche kann »regieren« und die Politik »machen«. Davon ist nirgends in der Welt die Rede, auch nicht in England. Die ganze breite Masse der Deputierten fungiert nur als Gefolgschaft für den oder die wenigen »leader«, welche das Kabinett bilden, und gehorcht ihnen blind, solange sie Erfolg haben. Das soll so sein. Stets beherrscht das »Prinzip der kleinen Zahl«, d.+h. die überlegene politische Manövrierfähigkeit kleiner führender Gruppen, das politische Handeln. Dieser »cäsaristische« Einschlag ist (in Massenstaaten) unausrottbar.
Er allein gewährleistet es aber auch, daß auf bestimmten Persönlichkeiten der Öffentlichkeit gegenüber die Verantwortlichkeit ruht, die sich innerhalb einer vielköpfig regierenden Versammlung ja ganz verflüchtigen würde. Gerade in der eigentlichen Demokratie zeigt sich das. Durch Volkswahl ins Amt berufene Beamte bewähren sich nach den bisherigen Erfahrungen in zwei Fällen. Einerseits im lokalen Kantonalverband, wo man sich bei stabiler Bevölkerung gegenseitig persönlich kennt, also die Bewährung innerhalb der Nachbarschaftsgemeinschaft die Wahl bestimmen kann. Andererseits, mit erheblichen Vorbehalten, bei der Wahl den höchsten politischen Vertrauensmanns einer Nation in einem Massenstaat. Selten der hervorragendste, aber im Durchschnitt doch: geeignete politische Führer gelangen so zur höchsten Macht. Für die ganze Masse der mittleren Beamten, vor allem derjenigen, welche Fachschulung benötigen, versagt dagegen in Massenstaaten das Volkswahlsystem in aller Regel völlig und aus begreiflichen Gründen. In Amerika waren die vom Präsidenten ernannten Richter den vom Volk gewählten turmhoch an Tüchtigkeit und Integrität überlegen. Deshalb, weil in dem jene ernennenden Führer eine immerhin für die Qualität der Beamten verantwortliche Stelle vorhanden war und die herrschende Partei es daher später am eigenen Leibe spürte, wenn gröbliche Mißgriffe begangen wurden. Die Herrschaft des gleichen Wahlrechts in den großen Kommunen hat daher dort immer wieder dahin geführt: daß ein Vertrauensmann der Bürgerschaft durch Volksabstimmung zum Bürgermeister gewählt wurde mit weitgehender Freiheit, sich selbst seinen Verwaltungsapparat zu beschaffen. Nicht minder neigt die englische Parlamentsherrschaft zur Entwicklung solcher cäsaristischen Züge. Der leitende Staatsmann gewinnt dem Parlament gegenüber, aus dem er hervorgeht, eine immer überragendere Stellung.
Die Schwächen, welche der Auslese der führenden Politiker durch Parteiwerbung natürlich ebenso anhaften wie jeder menschlichen Organisation überhaupt, sind von den deutschen Literaten der letzten Jahrzehnte bis zum Überdruß breitgetreten worden. Daß auch die parlamentarische Parteiherrschaft dem einzelnen zumutet und zumuten muß, sich Führern zu fügen, die er oft nur als das »kleinere Übel« akzeptieren kann, ist einfach selbstverständlich. Aber der Obrigkeitsstaat läßt ihm 1. gar keine Wahl und gibt ihm 2. statt der Führer vorgesetzte Beamte. Das ist denn doch wohl ein kleiner Unterschied. Daß ferner die »Plutokratie« in Deutschland zwar in anderen Formen, der Sache nach aber ebenso blüht wie sonstwo, daß gerade die von den Literaten in den schwärzesten Farben und übrigens ohne jede Sachkunde gemalten großkapitalistischen Mächte, die ihre eigenen Interessen wahrhaftig selbst besser kennen als Stubengelehrte, und zwar gerade die rücksichtslosesten von ihnen: die Schwerindustriellen, bei uns wie ein Mann auf Seiten des bürokratischen Obrigkeitsstaates und gegen Demokratie und Parlamentarismus stehen, hat doch seine guten Gründe. Nur bleiben sie dem Horizont der literarischen Spießbürger verborgen. Mit dem philiströsesten Moralismus wird statt dessen die selbstverständliche Tatsache unterstrichen: daß der Wille zur Macht zu den treibenden Motiven der parlamentarischen Führer, das egoistische Streben nach Ämtern zu denen ihrer Gefolgschaft gehören. Als ob nicht ganz ebensoviel Streberei und Gehaltshunger, sondern ausschließlich und allein die selbstlosesten Beweggründe die bürokratischen Amtsreflektanten beseelten! Und was die Teilnahme der »Demagogie« an der Erlangung der Macht anlangt, so können die Vorgänge der soeben Januar 1918. schwebenden, von gewissen amtlichen Stellen begünstigten demagogischen Presseerörterungen über die Besetzung des Postens des deutschen Außenministers jedermann darüber belehren: daß gerade eine angeblich »monarchische« Regierung die Amtsstreberei und den Ressortkampf auf den Weg der allerverderblichsten Pressetreiberei verweist. In keinem parlamentarischen Staat mit starken Parteien wäre Schlimmeres möglich.
Die Motive des persönlichen Verhaltens sind innerhalb einer Partei gewiß ebensowenig nur idealistisch, wie die üblichen banausischen Avancements- und Pfründeninteressen der Konkurrenten in einer Beamtenhierarchie es sind. Um persönliche Interessen des einzelnen handelt es sich hier wie dort in der Masse der Fälle (und wird es sich auch in der vielgepriesenen »Solidaritätsgenossenschaft« des Zukunftsstaats der Literaten handeln). Es kommt nur alles darauf an: daß diese überall menschlichen, oft allzu menschlichen, Interessen so wirken, daß dadurch eine Auslese der mit Führerqualitäten begabten Männer wenigstens nicht geradezu verhindert wird. Das aber ist in einer Partei ausschließlich dann möglich, wenn ihren Führern im Falle des Erfolges die Macht und: die Verantwortung im Staate winkt. Es ist nur dann möglich. Aber es ist damit allein allerdings noch nicht gesichert.
Denn nicht ein redendes, sondern nur ein arbeitendes Parlament kann der Boden sein, auf dem nicht bloß demagogische, sondern echt politische Führerqualitäten wachsen und im Wege der Auslese aufsteigen. Ein arbeitendes Parlament aber ist ein solches, welches die Verwaltung fortlaufend mitarbeitend kontrolliert. Vor dem Krieg gab es das bei uns nicht. Nach dem Krieg muß aber das Parlament dazu umgebildet werden, oder wir haben die alte Misere. Davon ist jetzt zu reden.