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Aus wilder Wurzel

In öder Qual taumelten die Tiere. Viele krummten, sie hatten sich die Klauen an Wurzeln und Stein wund getreten. Unerhörte Müdheit glomm in den Augen des duldenden Geschöpfes.

Hinter den holpernden Karren hinkten die Weiber, auf wundem Rücken, in gelähmten Armen ihre Brut, Seufzer auf den dürren Lippen, sonst aber die Marter dieser Wegfahrt ergeben, schleppend wie das Zugvieh.

Stumpf und gemessen schritten die Männer und würgten die Wut hinunter. Der jäheste unter ihnen, der Wildnusser, verfluchte Steig und Vieh und Gott und sich selber und stieß vor irrsinnigem Groll die Hellebarde in den Weg, als wolle er ihn entleiben.

Die schmächtige Saumstraße krümmte sich über einen Fleck Schnee, darein das Geläuf des Auerhahnes abgedrückt war, den Berg Panzer entlang. Steinig, zerrissen, von Gusswassern ausgestoßen, empfing der Weg die Fersen der elenden Wandersleute; des Frühlings Quellbäche schossen darüber, verheerten ihn und boten eisige Furten.

Darum mussten Risse und Löcher mit Schotter, Moos und Reisig verebnet werden, und Mann und Weib verkrampften sich in die Speichen der Wagen und stemmten die brennenden, geschürften Schultern wider das schlanke Gefährt, das die arme Habe barg. Bäume, mitten am Steig trotzend, mussten hastig geworfen werden; Trümmer, von weglauernden Felsen abgestoßen, hemmten tückisch und wichen nur träg der nach äußerster Plage immer wieder aufflackernden Kraft der Menschen.

In mühsamem, herbem Trott ging es nun schon den zweiten Tag bergauf, talnieder den verwilderten, kaum kenntlichen Weg fremden Wäldern zu.

Schon wucherten Schatten in den Schluchten und kündeten. den nahen Abend, die Wolken brannten fremd und kühl über der Wildnis.

Der Riese Helm, der den Vortrab führte, hielt inne: eine Tanne wuchtete niedergeschleudert vor 'ihm und sperrte mit breiter Stange und rauer Krone die Bahn.

Der Herrgott schlagt uns schon wieder einen Ringel vor, murrte der Helm. »Öhal«, gebot er dem Stier, der ihm den Karren zog.

Stumpf stand, das Tier. Es trug an Nacken und Hörner geseilt am geschnitztes Bild des heiligen Einsiedels Gunther, der vor undenklicher Zeit den Steig hier durch die Ödnis soll gebrochen haben..

Den Götzen, den Stier und den Helm, dem steinernes Mark in den Knochen wuchs, diese drei Starken schickten die Bauern voran, Bresche zu schlagen, zu stoßen und zu trampeln mit himmlischer und irdischer Gewalt. Der Helm, dem die Kraft wie einem fallenden Wasser nimmer erlahmte, strüppte hurtig mit dem Beil hindernde Stauden und Äste aus, und der müßige Heilige hatte leicht wandern. Nur wenn sich des Steiges Spur verwischte und im wirren Wald sich zulosen schien, blinzelte der Riese den hölzernen Einsiedel dräuend an, bis wiederum die rechte Richtung erfasst war. Und dies trug sich oft zu. In dem endlosen Krieg hatten die Menschen die Straßen verwahrlosen lassen, denn klarer und betretener Weg lockte die Plünderer.

Der Helm wartete schnaubend neben dem, schnaubenden Stier.

Der Knecht Firmian stapfte, die triefende Stirn gesenkt, sanftmütig neben einer Kuh hin, er hatte sich mit an die Deichsel gespannt, dem hageren, schmutzigen Tier zu helfen, das erst vor kurzem stallblind nach winterlicher Gefangenschaft ins Freie gelassen worden und des Ziehens und Schreitens noch nicht gewohnt war.

»Oha!« sagte nun auch der Firmian der Kuh ins Ohr, und der Ruf setzte sich fort, bis das letzte Gespann anhielt.

Der Michel Schreiner betrachtete das Hemmnis. »Den Lümmel müssen wir heben«, meinte er ruhig.

Der Diller aber hob den dürren Arm gegen ihn. »Schreiner«, schrillte er, »du leitest uns irr. An ein solches Unland hab ich mich nit verkauft!«

Der Saumer lehnte an dem hölzernen Sattel seines Rosses. »Leut, lassen wir den Baum liegen, wie er will, rund kehren wir um«, riet er. »Ich hab genug:« Er war übel gelaunt; sein Tierspieß war noch rot vom Blut eines Luchses, der aus dem Dickicht auf des Rosses Widerrist gesprungen war.

»Ein saurer Weg!« ächzte der Diller. »Die Zehen hab ich mir abgestoßen an den Wurzeln.« Das schmale Männlein kauerte und band sich den blutigen Schuh auf. »Wir sind ins Elend gangen. Nix als dicke Bäume, Steine, Moos »Die Knie sind mir brochen.«

»Mein Ross hat den eisernen Schuh verloren«, quarrte der Saumer, »es muss bloßfußet dorthin gehen, wo es keinen Schmied gibt.«

Der Schreiner sagte: »Wir müssen durch. Nachbarn, speiben wir in die Hände, gehen wir den Baum an!«

Der Gugu zuckte mit den struppigen Brauen. »Die Wildnis laßt sich nicht überwinden. Da müssten wir den Stier in die Säge spannen. Unsere Kraft langt nit.«

»Oha!« jauchzte der Helm, spreitete die Hünenarme in trotzigem Entschluss, umschlang den Baum, balgte sich mit ihm, rüttelte ihn und suchte ihn aus dem Weg zu drängen.

»Goliath, du reißt den Berg aus seiner Wurz«, höhnte der Diller.

Keuchend ließ der Vierschrötige ab. »Spottet nit!« bat er. »Was hätt ich denn meine grobmächtigen Fäuste, wenn nit zum Anpacken?!«

»Kehren wir um«, beharrte der Saumer. »Die Wildnis ist nit heimlich. Die Wölfe werden uns den Ochsen von der Deichsel fressen und das Ross aus dem Kummet.«

Eine Bergkrähe schnarrte gramhaft.

Des Dillers Weib reckte die runzligen Hände dem Heiligen hin. »Steh uns bei, trauter Einsiedel!«

Aber der glotzte hilflos aus toten Augenlöchern zwischen den geschwungenen Hörnern des Stieres herfür, und der Wildnusser ballte ihm die Faust ins Gesicht. »Der Wald sollt vor dir niederbrechen, die Berge sich ducken, die Felsen das Knie biegen, hölzerner Gunthari. Aber du tust nix.«

Der Schreiner herrschte die Knechte an: »He Zachreis, Firm, Kirein!«

Nun fielen die Männer wütend über den störrigen Baum her, zersplitterten ihm das Geäst, schoben Hebestangen darunter und hoben verbissen und schnaufend. Des Schreiners Wolfbeißer bellte die Tanne an wie ein gestelltes Wild; heimbegehrende Kinder wurden laut und weinten und wussten nicht, was der Vater zornige Hast bedeute; die Weiber schalten und sänftigten. Nur die Zugtiere ruhten schwermutig und geifernd oder suchten gereckten Halses das spärliche Moos vom Wegranft zu zupfen.

Glühend im Dunste ihres Schweißes, mit neugerissenen Schrammen hoben die Männer den Stamm, bis er ein Tor bildete, wodurch sie weiterziehen konnten ins Unwegsame.

Schwer trennte sich das Vieh von der Rast an den schüchternen Moosflecken; paarweise, Nacken an Nacken gejocht unter derbem Prügel, schwankte es dahin, und mit hartem Schrei, mit beißendem Wacholderstecken nötigte der gepeinigte Mensch unbarmherzig sein gepeinigtes Tier.

So drangen die Leute des künischen Landes tiefer ein in die grauenhaften Öden, in die unsicheren Schluchten, die mit schroffen Steinfelsen berüstet, mit zertrümmertem Urholz verrammelt waren, behaust von schrecklichem Wild, berüchtigt und gemieden.

Als die Sonne in der unerforschten Wildnis ertrank hielten sie auf einer Lichtung. Ihre Kräfte waren von den Beschwerden der Reise aufgezehrt.

Vor ihnen tat sich das Tal des Eisenwaldes auf, Ihr Ziel. Ein kalter, fremder Hauch stieg aus der fremden Wüste.

Der Rastort war von hohen, düsteren Bäumen umzingelt und trug Steintrümmer und überwintertes Altgras, darein sich das Vieh gierig versenkte.

Als der Tierstern erglomm, wurden die Wagen im Kreis, zusammengerückt und das Vieh in diese Feste getrieben, dass es unbehelligt bleibe vor dem Ansprung der Wölfe, deren Schreie sich jeweilen vernehmen ließen.

Der Helm schob seinen schwerbepackten Wagen selber an den Ring.

»Bist du nit matt?« fragte ihn der Schreiner. »Du hast den Stier gewiesen zwei mühe Tage, hast die Bäume geräumt aus dem übeln Steig; wo ein Rad stecken blieben ist, du hast den Wagen gehoben. Wo ist dein Knecht, dass er dir hilft? Hast du ihn verloren?«

»Weck mir ihn nit auf!« Der Helm deutete auf den Wagen, darauf schlief der Knecht Utz Stichenteufl, die Beine hoch über einem Pflug und mitten unter kriegerischem Gerät. Ohne seine Waffen wäre er nicht mitgereist.

»Du hättest ihn sollen daheim lassen in Haidl, Helm. Die faule Haut nutzt dir nix. Du hast dir eine Sorge mitgeführt.«

»Aus Barmherzigkeit hab ich ihn mitgenommen«, lachte der Helm. »Ohne mich müßt er verhungern.«

Bald waren Steinherde gebaut und Kessel hingen darüber an drei aufgerichteten Ästen, und unter eisernen, dreifüßigen Pfannknechten weckten die Männer mit Stahl und Stein und Zunder ein Feuer, dass das Abendbrot bereitet würde.

Die Weiber schwatzten nicht viel. Die abgelegene Bergschaft, der ungeheuere Holzwuchs bestürzte sie. Hin und wieder seufzte eine hart auf oder zeigte der anderen den geschwollenen Fuß.

»Wir sind verlorne Leut«, klagte die Dillerin, »wir hätten nit hergehen sollen in den grausamen Wald.«

Die Lenora, des Schreiner Ehweib, erzählte: »Die Kinder haben nit fortmögen aus der Heimat. Allweil haben sie geflennt: ›Bleiben wir! Wir gehen nit mit.‹ Das Herz hat es mir zerrissen. Zuletzt hat sich der Lenzel an die Lärchstaude vor unserm Haus geklammert und hat nit auslassen. Der Schreiner hat die Hacke nehmen müssen und das Bäumel umschlagen, samt dem Kind hat er es auf den Wagen gelegt.«

»Die Gnadin tut mir leid«, sagte des Saumers Weib. »Sie hat verhofft, ihre Notstund wird erst in der neuen Heimat kommen, derweil haben die Wehen sie am Weg angefallen, im finstern Wald hat sie ihr Kind geboren, hinter einer Eibenstaude. Dort ist Wasser aus einer Schneegrube geronnen, damit hab ich ihn gleich jähgetauft, den Buben, dass er nit als Irrlichtel gehen muss, wann er sterbet.«

»Was soll denn das nur werden?« zischelte die Dillerin. »Keine geschworene Hebmutter ist für uns Weiber da in der Öde, keiner arztet da, kein Pfarrer nennt uns die Heiligen, dass wir sie um Fürbitt anreden.«

»Geistlichen Trost werden wir zuhäuften brauchen«, nickte die Saumerin.

Die Frena, des Schreiner greise Magd, schürte das Feuer und murmelte: »Die dreifarbne Katz ist uns am Weg davon. Jetzt werden sie uns auffressen, die Waldmäus.«

Und wieder jammerte die Dillerin: »Kein Dach, kein Gemach weit und breit! Wie wird es uns nur gehen in der fremden Welt! Wie wird es uns nur gehen!«

Der Schreiner stand plötzlich unter den Weibern. »Dillerin«, lachte er, »wenn wir Bauern alles voraus wüßten, wir könnten mit goldenen Eggen ausfahren.«

»In Wolfsgeschmeiß bin ich heut treten«, sumste die alte Frena. »Es ist nit gut hausen, wo die wilden Tiere schleichen und die Nattern sich ihre Höhlen fressen.«

»Ein Wolf ist ein gutes Zeichen. Seid nit verzagt, Weiber!« Und rauer fügte der Schreiner hinzu: »Jetzt schleunt euch und nehmt die Kinder mit schlafen! Morgen müssen alle auf, eh die erste Droschel anhebt. Und ängstet euch nit, der heilige Gunthari steht Schildwacht.«

Da atzten die Weiber ihre Kinder, bereiteten dann auf den Wagen dürftige Schlafstätten und legten sich mit den Kleinen zur Ruhe.

Nun ward es still. Das Vieh lagerte in schwerem Schlaf, und nur die Hunde spürten durch das nahe Gehölz, wohlgeschützt durch Halsriemen, die nach außen gezückte Stacheln trugen, damit es die Wölfe nicht gelüste, den Wächtern nach dem Genick oder nach der Gurgel zu schnappen.

Die sieben Bauern, die das Tal, das drunten im Eisenstein baumverborgen und verdämmert gegen Süden sich streckte, besiedeln und roden sollten, die sieben kauerten abseits der Wagenburg um ein Feuer. Weil die Arbeit sie nimmer wärmte, empfanden sie in ihren schweißgetränkten Kleidern die Kühle der Frühlingsnacht.

Sie hatten den unbändigen Hunger ihrer ausgerackerten Leiber gestillt. Nur der Saumer kaute noch. »Das Brot hab ich über viele Wurzeln tragen«, murmelte er.

Der Gugu schnarchte schon, er lag auf dem Bauch, das Gesicht auf dem Arm, die Kugelbüchse neben sich.

»Wo ist der-Helm?« fragte einer.

»Der striegelt wohl noch den Stier«, knurrte der Diller. »Er kann sich nit genug tun. Aber er wird auch einmal nachlassen, an jeden kommt seine Zeit.«

Nach einer guten Weile hub der Saumer an: »Ich bin schon manche Straßen gereist mit meinem Rappen, aber so einen schlechten Weg wie den nach dem Eisenstein kenn ich nit. Der Wald so verhenkert finster! Und gar die Berge! Der Teufel hat sie ausgebrütet. Da bleib ich nit.«

»Der Weg ist überstanden, reden wir ihm nix Schlimmes nach!« erwiderte der Schreiner herb. »Der Gescheiteste unter uns ist der Gugu, der schlaft.«

»Der hat leicht schlafen, ist noch ledig, kann auf und davon, wenn es ihn reut in dem abgelegenen Grund. Aber an unsereinem hängen Weib und Kind.« Der Saumer schaute sorgenvoll in die Flammen.

»Wie geht es deiner Bäurin, Gnad?« meinte einer.

Ein nachdenkliches, freundliches Antlitz ward hell vom Feuer angestrahlt. »Sie steht morgen früh schon auf«, entgegnete der Gnad. »Einen festen Kerl hat sie in die Welt geschafft Den ersten Eisensteiner.«'

»Kinder, Holz und Haar wachsen alle Jahr«, rief der Schreiner fröhlich. »Und das Holz mangelt uns nit, wir können genug Wiegen schneiden.«

»Mit einem grobschwangern Weib sollt man nit reisen«, tadelte der Diller. »Wie habt ihr euch denn beholfen ohne Hebmutter, Gnad?«

Der lächelte verlegen. »Bei den ersten sechs Kindern hab ich um die Hebamm rennen müssen. Seit dem siebenten verricht ich es schon selber.«

Der Diller stocherte mit dem Wolfsspieß ins Feuer und greinte: »Ich möcht kein Kind da aufziehen. In eine seltsame Welt haben wir uns verirrt. Lauter Stein und lauter Stein! Unser Vieh wird Steine beißen müssen, das wird eine feiste Milch gehen. Die dicken Buchen sind nit zu werfen, unsere Sägen sind viel zu kurz.«

»So, werden wir halt die Hölzer sengen«, schloss der Schreiner gleichmütig und erhob sich.

Er schlich zu seinem Wagen und lauschte heimlich.

Die Magd Frena plauschte noch mit seinen zwei Buben Görgel und Lenzel. Das verdross ihn, die Kinder sollten schon längst zum Schlafe reif sein.

Der Görgel sagte besinnlich: »Die Sterne sind gar hoch.«

»Der Mondschein ist noch viel höher«, lehrte die Alte.

»Über dem Wald da gibt es aber keinen Mond, Frena.«

»Der heilige Peter hat ihn eingezogen, er dengelt sie heunt, die goldene Sichel.«

Der Bub horchte empor. »Ich hör nix dengeln.« Dann stach er mit den Fingern in die Luft.

»Was treibst denn, Görgel?«

»Die Sterne zähl ich.«

»Kannst schier nit bis elf zählen und willst das Himmelsgewölb bewältigen!« schalt die Magd. »Erwisch deinen Stern nit, sonst musst du sterben!«

Doch der Finger deutete rastlos weiter auf die blitzende Unmenge, die keine Zahl erfasst und bändigt, bis die Lenora, die Bäurin, die bei dem Knaben lag, die kleine Hand gefangen nahm.

Die Bäurin flüsterte wie für sich: »Daheim sind die Sterne stiller gewesen.«

»Mutter, heimgehen mag ich«, begann weinerlich und halb aus dem Schlaf das jüngere Kind. Es hielt ein welkes Lärchbäumlein an die Brust.

»Schlaf, Lenzel!« befahl die Frena. »Das Pechmanndel ist da daheim, es hupft aus dem Wald.«

Der Bub drückte eilig und gehorsam Augen und Lippen zu und schmiegte sich an sein müdes Bäumlein. Der Görgel hingegen richtete sich auf und lugte, als müßte in Moosröcklein und spitzem Koboldhut pechgeifernd und atemlos der Wicht daher trippeln, der schlafunwillige Augen verklebt.

Er horchte wieder eine hübsche Weile, dann vergaß er des Waldschreckels und war wieder bei den Sternen und bei anderer Lust. »Wie scharf sie geschnitzt sind, die goldnen Dinge droben! Und morgen schnitzt mir der Vater ein Rössel!« frohlockte er.

Ein wildes, gezogenes Geheul ergrollte aus Ferne und Finsternis. Gespannt wie ein junges, unerfahren es Raubtier, zischte der Knabe: »Wer schreit so?«

Die Frena kicherte bös. »Der wilde Hund bellt im Holz. Wir sind in eine Wolfsgrube gereist.«

Der Lenzel weinte ängstlich auf und presste ein Fäustlein ins Auge, das andere ans Ohr.

»Wein nit!« stillte ihn die Alte. »Ich tu dem Wolf nix. Ich beiß ihn nit. Aber wir hätten nit in die gottverbotene Öde fahren sollen. Wie der Herrgott und der Teufel sich in die Welt geteilt haben, ist die Gegend da dem fahlen Satan zugefallen.«

Da meldete sich der Bauer und fuhr die Magd an: »Das ist gerad so Herrgottsboden wie die Seewies daheim. Und du verängstig mir die Buben nit!«

Er beugte sich über sein Weib. Sie lag mit offenen Augen, darin spiegelten die Sterne.

»Hörst du die Wölfe?« fröstelte sie auf.

»Die Gurgel sollen sie sich heraus röhren, wenn es sie freut«, sagte der Bauer.

»Aber um die Kinder furcht ich mich, Michel.«.

»Das Raubziefer wird sich nit halten, wenn es uns Leut schmeckt.«

»Die Wildnis ist schrecklich. Da ist keine Heimat.« »Der Mensch ist hergestellt, dass er die Erde bessert, Weib.«

Sie atmete bang. Sie schaute auf die schwarzen Waldwände, die die Lichtung umhegten. Sie starrte auf zum Himmel: ein feiner Blitz zuckte.

»Der Himmel kühlt aus«, flüsterte sie.

»Schlaf, Lenora, und raste! Morgen wachst uns neue Müh.«

Grußlos verließ er sie. –

Die Bauern lümmelten trübsinnig um die rote, rastlose Brunst. Das Fremdegefühl durchdrang sie mit unbestimmter Pein und hielt sie wach, die verlassene Heimat zuckte immer wieder durch ihre unbeholfenen Träume.

Der Helm tauchte mit Reisig und Astwerk aus der Nacht und warf die Bürde auf den Feuerstoß, dass die Flamme prasselnd darein griff. Der große blockige Mann nickte dem Geloder freundlich zu. »Brenn aus, Feuer, lass dir es schmecken! Im Eisenwald verhungerst du nit. Es ist genug Holz da, grünes und dürres.«

Wieder grollte das ferne Geheul.

Des Saumers Ross, das an einen Baum gebunden war, spannte die Ohren, die Rinder hinter den Wagen wurden unruhig, die Rüden reckten den Hals gegen das dräuende Geräusch, murrten und lauteten kurz und böse.

Die Wölfe grüßten.

»Der fahle Strahl zünd euch!« fluchte der Wildnusser. Die mächtige Beule auf seiner Stirn funkelte, seine scheuen Augen glommen. Er war der einzige unter den Männern, der einen Bart trug.

Der Diller deckte sich mit seiner Joppe zu. »Hundselend ist mir in meiner Haut«, knurrte er. »In dem kalten Wald, in dem rauen Tobel soll ich hausen mein Lebtag!«

»Die Wölfe werden uns bald fressen«, schnob der Wildnusser.

Der Schreiner blickte den dunkeln, halsstörrischen Gesellen spöttisch an. »Fürchtest du dich? Du kannst noch allweil umkehren, der Weg hinter uns ist nit verbrannt. Kehr um, lass dir daheim das Schmer wachsen!«

Ungestüm packte der Wildnusser ein brennendes Reis und zerpresste die Flamme in der Faust. »Ich umkehren? Dass dich der Satan beißt! Meinst du, ich hätt nit Herz genug, he?« Er vermurrte sich in einen Fluch.

Der Helm kniete neben dem Feuer. »Wolfseisen bring ich mit, der Wildnis brech ich die reißenden. Zähne aus. Ich zeig dem Bären den Herrn. Und dem. Wald auch. Männer, ich bin jetzt in der Dickung gewesen, da wachsen breite Bäume, die stehen gewiss schon, seit die Welt erschaffen worden ist. Da kann ich mich einmal auswerken!« Er reckte die Arme und seine Knochen krachten, als würde irgendwo ein Ast abgebrochen.

»Der Hirsch wird uns den Acker zerwühlen«, trotzte der Wildnusser.

»Wir flechten Zäune ums Ried«, erwiderte der Helm.

»Der Bär reißt uns den Hag um.«

»Lieber Wildnusser«, sagte der Gnad sanft, »haben dir in Jenewelt daheim nit auch die Spatzen das Korn aus dem Halm gestohlen und den Strohwisch übriggelassen? Haben dich daheim nit Schauer und Misswachs getroffen und Viehsterbe? Hat dir der Hagel daheim nie den Samen aus dem Grund geschlagen?«

»Glück und Unglück ist allerwärts zu haben«, nickte der Saumer. »Der Mensch tut sich das größte Leid meist selber an.«

Der Wildnusser zuckte, wie von einer Geißel gebissen. »Du Saumer willst mir was vorwerfen? Wer barfußet geht, soll nit Scherben säen. Was hat denn dich in die neue Welt trieben? Weil dir in der alten die Wirtsleut schon den Kerbstock zerschnitzelt haben. Den Hals hast du dir zu voll genommen. Aber im Eisenwald zapft man nur sauern Schlehenwein. Gott soll, sich dein erbarmen!«

Der Saumer hüstelte, als wäre ihm ein. Brosame in den falschen Schlund gerutscht. »Mit dir heb ich nix an, du grober Rülp. Ästiges Holz lass ich ungespalten.«

Der Gescholtene schnellte empor wie eine Lohe in dürrem Zweigicht. »Willst du mich schänden, he? Die Zähne schlag ich dir in den Hals!« Drohend hob er den Ellbogen.

»Du schreist Vieh und Leut wach«, vermahnte ihn der Schreiner.

»Der Teufel fahr dem in die Schwarte, der sich in meine Sach mischt, Schreiner!«

»Ich glaub, wir werden unsere Gewalt gen was anders auslassen müssen als gegen den Nachbarn, Wildnusser. Spar dir die Kraft!«

»Dass dich die wilden Krähen hacken!« fluchte der Jähe.

Der Schreiner erwiderte ihm nicht.

Der Wind begann und, umkreiste die Flammen wie ein Hund die Herde und versank wieder im abrauschenden Wald. Dies Schweigen nach dem Streit drückte auf die Gemüter.

»Es ist wahr, ich hab viel vertan im Durst«, bekannte auf einmal leise der Saumer. Wein hat einen offenen Schrein. Ich bereu es. Im Eisenstein komm ich nimmer in Versuchung.«

Da fragte einer: »Warum; heißt denn das Land da ›Im Eisenstein‹?«

Der Schreiner erzählte: »Die Berge da hat man vorzeiten zur Ader lassen, Eisenerz hat man brochen. Die Bergleut sind wieder davon, es hat sich nit verlohnt.«

»Wird sich da Bauernschweiß lohnen?« fragte der Diller scharf. »Der Eisenstein ist der härteste Stein, darauf wird bitter bauen sein.«

»Auf Stein und Eisen wachst sein Lebtag kein Gras«, krächzte der Wildnusser.

Der Schreiner aber fühlte ein großes, unbekümmertes Vertrauen zur Erde, die ihn allerorten willfährig und dankbar deuchte, wenn sich nur der Fleiß mit feuchter Stirn darüber beugte. »Der Boden tragt Holz«, sagte er gläubig, »er wird Korn auch tragen.«

Der Diller schüttelte unzufrieden den kleinen Kopf. »Daheim hat man alles schön bei der Hand gehabt. Im Eisenwald müssen wir ganz vom Frischen anheben. Gar nix haben wir, nit einmal ein Dach überm Schopf.«

Der Gnad tröstete: »Wegbruder, der Himmel hängt über uns, der ist ein gutes Dach.«

Droben glühte der ungeheure, bleiche Sternenwurm und erschien fremd über den fremden Wipfeln. Und das Feuer spähte über die Blöße, die Vieh und Wagen barg und das Gerät darin, das die Ruder brauchten, Beil und Seil und Säge, Ackerzeug, Kessel und Pfannen, Mehl und Rauchfleisch, Waffen, Riemen und mancherlei Eisengerät, kostbar in der hölzernen Einöde. An vieles hatte des Bauers vorsichtiger Geist gedacht, und, nur das Nötigste wurde erlesen.

Schwarz ragte aus einem Karren das Bild Gunthers, des fürstlichen Holzhackers und Wegbrechers.

Der Helm hub halblaut an: »Den Pflug hätt ich daheim lassen sollen. Da kann man mir die Axt brauchen.«

»Dich freut nur das Dreinhauen«, lachte der Schreiner.

Sie lauschten dem festen, gleichmäßigen Atem des Gugu. Eine Mooseule ward wach und spukte greinend.

»O meine liebe Berglustwies«, sagte der Hans Gnad auf einmal traurig. Die Scholle, darauf die Vorvorderen gelebt, rief ihn, den Treuen, an.

Da flogen die Seelen der Bauern auf schweren, plumpen Heimwehflügeln über die verworrenen Berge zurück, zu den Waldäckern, denen jahrelang ihr Schweiß gegolten.

»Es nutzt nix, wir müssen uns da drunten einwurzeln«, begann der Schreiner stockend. »Aber wenn ich den ersten Baum hingelegt hab, wird mir das Herz leichter sein.«

»Abgelegen ist das Land, schauerlich abgelegen. Als ob es außerhalb der Welt wär«, redete der. Saumer. Kein Hund ist uns begegnet den langen Weg.«

Der Schreiner entgegnete: »Wir hausen abseitig. Dafür findet sich aber kein Schwed und kein Kaiserlicher her, der uns mit Waffen heimsucht, der heert und brandschatzt, unser Haus sengt, unser Feld zertrampelt.«

»Zuerst müssen wir Haus und Acker haben«, höhnte der Wildnässer.

»Die schaffen wir uns. Fünf Freijahre lang brauchen wir keiner Obrigkeit Stift und Gült zu zahlen, nit zu scharwerken für fremde Leut.«

»Aber der Wald ist verzweifelt dick und dumpf und finster, nit zu erbändigen ist er.«

Leidenschaftlich riss der Helm die Axt aus dem Gurt. Sie leuchtete siegreich und zauberhaft. »Die bringt Licht ins finstere Gehölz!« Seine Worte klangen scharf und hart wie blanker Beilstreich.

»Wir gehen ein schweres Werk an«, sagte der Schreiner.

Und der Hans Gnad, der einst hätte geistlich werden sollen, fügte hinzu: »Tief in die Erde hat der Herrgott das Gold verheimlicht. Wer es nehmen will, muss die Felsen aufreißen und weite Gänge ausschürfen. Ohne Mühsal blüht keine Freud. Und wir in der Wildnis, eingeriegelt von den steinigen Bergen müssen auch fest zugreifen und nimmer nachlassen –und alles andere dem Himmel anheimsetzen.«

»Und einer muss dem andern mit Rat und Einschlag helfen«, vollendete der Schreiner. »Ein Baum lehnt sich an den andern, der Mensch an den Menschen.«

»Ich brauch niemand«, trotzte der Wildnusmann, »ich bleib einschichtig.«

Der Diller hingegen kniete sich auf und wies auf den Schreiner. »Du schuldest mir Hilfe, du hast mir so lang zugesprochen, bis ich mitgereist bin. O tausendmal reut es mich heut schon! Soviel Schweiß hab ich gar nit in mir, als ich werd schwitzen müssen im Eisenwald. Ich hätt nit fort sollen aus Jenewelt, dort bin ich altgesessen gewesen wie ein vermooster Grenzstein.«

»Ich bleib nit da, das spür ich«, rief der Saumer erregt.

»Willst du auch einen glosenden Zunder legen?« zahnte ihn der Schreiner an. Dann aber ward seine Stimme mild. »Ich fühl mich gar nit so fremd da, liebe Nachbarsleut. Dieselben frischen Wasser brünneln da aus dem Stein und dieselben Hölzer gedeihen wie in meinem Vater seinem Wald. Dieselben Sterne leuchten wie daheim. Und die Arbeit schreckt mich nit. Mit Fleiß lasst sich das Schwerste aufrichten.«

Wider Willkür hoben sich die groben Gesichter empor, und der Gnad streckte die Hand aus, als wolle er sie Gott reichen.

Reicher hatte sich der Himmel aufgetan, die Milchstraße. wob sich, ein Geisterband, durch nahe Wipfel, ruhig schimmerte der Heerwagen.

Die Roder waren seltsam gestillt. Der Helm nahm die Haube vom Kopf. »So wollen wir uns halt schlafen legen mit Gott Vater, Sohn und dem heiligen Geist, eine bessere Gesellschaft können wir nit kriegen.«

Sie streckten sich hin, stierten in die Flammen und harrten des Schlafes.

Ihr Führer aber umschritt leise das Lager.

Er sah sein Weib Lenora schlafen und ihr zur Seite die Buben atmen. Stämmig und vertrotzt lag der ältere, und er schnalzte im Traum mit der Zunge und stammelte: »Wioh, Rössel, wioh!«

Der Bauer schmunzelte in sich hinein und ging die Runde weiter um die sternenlichte Blöße. Ein Tiergeschrei offenbarte sich dann und wann, und die Ferne dämpfte das einförmige Sausen eines Wassers, das jetzt in der leeren Stille erst hörbar ward.

Plötzlich stand der Gnad neben ihm.

»Mich lässt es nit schlafen«, flüsterte er.

»Ja, wir sind in einem neuen Leben, Hans. Mir selber ist das Blut unruhig.«

»Wild schauen die Bäume her, als wollten sie uns nit leiden. Wir sind schier wie die ersten Leut, die haben im rauen Dorn ihre Burg gehabt und in schwarzen Steinlöchern genächtigt.«

Jäh schwieg der Gnad. Ein langer, gespenstischer, hässlicher Schrei brach auf, dröhnte und fand in den schwarzen Weiten irgendwo seinen schrecklichen Widerhall.

Meldete sich ein verbannter Waldteufel? Oder die Irrlichtseele eines im Moor Ertrunkenen? Schrie ein Stein auf, ein Felsen? Schrie die Erde unter der Last der, eisernen Berge? Schrie die Nacht auf, die beängstigte, entsetzte? Erhob die Wildnis, selber zürnend den Racheschrei, weil die Menschen sie zu stören wagten aus ihrer Versunkenheit? So röhrte kein Tier und kein Mensch.

»Steigen wir auf einen Baum«, riet der Schreiner, »vielleicht sehen wir das Nachtgeschrei.«

Die gelenken Männer erklommen eine schräge, narbige Föhre, fassten dann den Ast einer mächtigen Fichte, die in des Kienbaumes Krone griff, und krochen aufwärts, bis über die Nachbarwipfel hinaus.

Hufeisenförmig randete das Gebirg ein schwarzes, wälderschweres Tal. Der Arber wuchtete, ein ungeheurer, silberhäuptiger Block. Auf den Hochblößen grellte der Schnee in leuchtenden Flächen, als bleiche eine erwunschene Riesin dort ihre Hemden mit dem Mond, der abhagernd in einem Baum hing. Steil standen die Sterne, Himmelswagen und Dreipeterstab glommen hinab ins bergumschränkte Einsamland, darin ganz fein, ganz leise, das Wildwasser ging.

Die zwei Bauern ritten auf hohem Ast und lugten in die undeutliche Ferne.

Des Arbers Gipfel ragte überirdisch hell von Schnee und Sternenlicht. Rings brandete der lautere Wald die Hänge empor, und Wald füllte das Tal, und alles war Wald, Wald, Wald.

Die Männer erstarrten vor der Größe der Wildnis.

Gnad war, sein Herz falle ihm aus der Brust die Tiefe hinab und schlüge hart an die Äste und versänke aufhörlos ins Nichts. Ihm schwindelte. Er krampfte die Finger in stechendes Nadelwerk.

Mit einem tiefen Seufzer, darin Bilder furchtbarster Mühsal sich erlösten, fand er sich wieder. »Der Wald ist riesig«, sagte er. »Meinst du, Michel, wir zwingen ihn?«

Der Schreiner riss sich gerade in die Höhe, dass der Ast unter ihm schier barst. »In der Welt mitten drin in der Freundschaft lasst sich leicht leben, da greift ein Rad ins andre, da braucht es nit Kraft noch Hirn. Eine echte Kraft bewährt sich erst in; der Wildnis, wo man allein ist. Es gehe zu, wie es will, ich vertrau auf mich.«

Doch die überwältigende Öde, die endlos aneinander bangenden Wälder, die sich mit den Höhen au schwarzen, dumpfverronnenen Massen schlossen, die weitgedehnten Wände, der grimme Klotz des Arbers: alles starrte feindselig und abweisend herüber. Ungezähmter Geschöpfe Rufe tauchten aus der haken Stille, und mancherorten reckte sich über das unbestimmte Düster ein Wipfel wie eine schwarze Bedrohung.

Ließ sich dies Gebiet übermannen und wandeln in urbaren Grund? Ließ sich das unerhörte Gestrüpp wegräumen, auf dass Felder angrünten und Huten das Vieh einlüden zum Blumbesuch?

Hier musste ungeheuer angekämpft werden gegen die Wucht des Unholzes, gegen Dorn und Stein, um aus dem Jungfrauenboden, niemals untertan menschlicher Herrschaft, um aus wilder Wurzel heraus Bauernerde zu schaffen. Wo die ungebändigten, in ihrer Übergröße unfruchtbaren Wälder aufstrebten, sollten Wege gerissen werden durch das Steinicht Wasser überbrückt werden und Sumpf; wo nur verworrenes Wurzelwerk wucherte und Gefels graute, sollte der Pflug schneiden durch geordneten Grund, sollten Eggen zahnen, Samen beerdigt werden, Saaten Urständ feiern, Ähren spielen, Sicheln blitzen in wallenden, goldfahlen Feldern; wo nur reißende Tiere schlichen, sollte Nutzvieh glöckelnd grasen und der Rauch heimlicher Hütten blauen.

Den Bauern grüßten ferne, schöne Gesichte: Halme durchwellten das Tal, müde Pflüge wanderten scheuerwärts, sinkende Schwaden rauschten, satte Sensen blinkten im sinkenden Sommer, Kornmandeln gilbten in weithin schwingenden Zeilen.

Ja, die struppigen Hänge dort drüben sollten sich in linde Wiesen wandeln, üppige Almflecke die Berge decken, eine goldene Schmalzgrube sollte das Tal drunten werden.

Drunten, wo schlaflos die Flamme sich dehnte, rastete das arme, müde, das verlorene Häuflein, im Schlummer von der Welt entjocht und, vergessend des vermessenen Werkes, das seiner harrte.

Ein Schauer flog den Gnad an. Ihm erbarmten die drunten.

Der Schreiner aber starrte das Gebirge an, als wolle er erraten, an welchen Schicksalen diese unholden lauernden, schier sprungbereiten Massen brüteten. Und aus rauem Gefühlskampf heraus sagte er sich: »Ein rechter Mann soll allweil mehr wollen, als er verrichten kann.«

Da stieß ihn der Freund an und deutete hinaus.

lm Dunkel weit glomm ein trübes Licht. Starr hing es und spähte herüber wie ein böswilliges Auge. Dann trennte sich ein zweites Licht von ihm, wanderte, waberte und löste sich in der Nacht.

»Was gaukelt dort?« staunte der Schreiner.

»Es ist kein Überwesen, nur eine Fackel«, raunte der Gnad. »Wir haben einen Nachbarn.«

Wieder schwebte der untierhafte, grauensatte Schrei stark und hallend über der Düsternis. Nun lauschten die Bäume noch finsterer und verschlossener, als wäre unter ihnen ein Gedungener, zu aller Meucheltat fähig.

Der Schreiner stieg hastig hinab, um zu wachen.

Er fasste die Flinte und legte einen Klotz ins Feuer.

Todfest schliefen die Bauern, der Geruch schweißigen Gewandes umwitterte, sie Ihre Gesichter waren angeglänzt von dem sich erneuenden Brand.

Die Lohe bog, und zierte sich und legte endlich die stoppligen, harten Kinne, die breiten steigenden, ebbenen Brüste, die ruhenden Glieder, die verschlissenen Joppen der Schläfer bloß.

Der Wildnusser hatte sich am weitesten zurückgezogen. Aber die Flamme bog sich wissgierig zu, ihm zerrte das Dunkel vom störrigen Gesicht und entblößte den kantigen Schädel, die beulige Stirn, den Trotz der schweren Brauen, die wie borstige Raupen waren. Das dreiste Licht störte den Mann, und er knirschte die Zähne.

Erschrocken warf sich die Flamme zurück. Nun spielte ihr Schein über den brauenlosen Vogelkopf des Diller, über einen gekniffenen, koboldischen Mund. Wie eine Spinne lagerte die dürre Hand auf der Brust.

Weiter im Ring lugte die Flamme.

Der Riese Helm schlief kauernd, in bärenhafter Bäuerlichkeit die massigen Knie empor gestrafft, die klotzigen Pranken darum gespannt, breit das Schulternpaar, das Antlitz tief verwittert. Er schnarchte ungestüm, sein Leib packte den Schlaf ebenso stürmisch an wie die Arbeit.

Der Gugu hatte sich auf den Rücken geworfen. Seine stattliche Bogennase atmete in unregelmäßigen Pfiffen, die vollen Lippen waren geschlossen, das Kinn war derb, die Wange prall. Der Saumer, neben ihm aber lag blass und fast atemlos und mit geiferndem Munde.

Der Schreiner betrachtete die fünf. Wie verschieden waren sie an Gesicht und Gliedern und waren doch aus einem Land gewachsen und kamen aus benachbarten Dörfern! Gott formt sich vielerlei Ebenbilder.

Werden sie zueinander taugen, diese Eigenköpfler, diese selbstgewachsenen Leute? Wird die unbarmherzige Wildnis sie zueinander zwingen und sie lehren, dass Mensch dem Menschen helfen muss?

Der Wächter schritt um den Wagenring.

Der kleine Atem schlafseliger Kinder floss leicht und sanft. Jeweilen meldete sich ein schlummerloses Rind, das sich nach gewohnter Stätte sehnte. Aber der Menschen Schlaf lastete schwer wie ein bleiernes Dach.

In unklarem Schmerzgefühl sah der Schreiner, wie Schatten und Flammen an einander, zerrten, und er wandte sich wieder gegen die Nacht, die drohend die Roder umzingelte.

Als, sich die Flamme unbeachtet wusste, erhob sie sich aus ihrer kriechenden Fron und wuchs stolz und schlank zu freier Schönheit an.

Droben in der Fichte weilte der Hans Gnad.

Feierlich leuchtete der Arber in die sternenbrünstige Nacht. Ein feines Blitzen spann von Gestirn zu Gestirn, das waren wohl die Gedanken des Wächters, der über der Welt steht.

O, was hat er mit der verzagten, geringen Rotte beschlossen in wilder Einöd?

*

Der Schreiner fand auf seinem Grund eine hölzerne Feste vor. Der Hannes Frisch, der nun jenseits des Joches am Spitzen Berge wohnte, hatte sich hier ansiedeln wollen und auch das Haus errichtet, war aber kurz danach plötzlich aus der Gegend entwichen. Das Bollwerk, das die Hofstätte umfriedete, war noch unfertig, die Balken lagen noch kreuz und quer, und in einem davon stak noch ein rostiges Beil, das hatte der Frisch vergessen ob der überstürzter Flucht. –

Am dritten Tag nach der Ankunft im Eisenstein war es. Der wilden Vögel Schlag erfüllte die Frühe, junge Wolken glitten rosig dahin. Da belebte sich des Schreiners Einöde.

Aus der Tür quollen des Gnad Kinder. Sie jagten um die Stützsäule des vorspringenden Daches, sie ritten auf dem Gebälk des Hofes oder suchten ihren ältesten Bruder Wendel heim, der im, nahen Wald das Vieh hütete, das sich am frühen Gras ergötzte.

Der Gnad, dem sein Schwager für die erste Zeit ein Obdach gewährte, half diesem Moos und Tannennadeln und welkes Laub reinschaffen, damit Streu den Stall decke: fürs Vieh musste zuerst gesorgt werden.

Der Knecht Zachreis flickte emsig an dem Bollwerk; die Frena schalt mit den Kindern, die es ihr zu bunt trieben und molk, auf einem Stein sitzend, eine Kuh.

Sie war missgelaunt. »Der grausame Wald!« nörgelte sie. »Jeder Baum ist wie ein Kirchturm. Und die Luft ist so unmild, sie drückt mich auf der Brust.« Sie hüstelte schmerzhaft.

»Bist noch nit ausgeschlafen, Wetterhexe? Der Birkhahn hat gar lang schon gekrudelt.« Der Zachreis zwinkerte sie mit den ferkellistigen Äuglein an, schob dann die ferkelblonden Brauen hoch, strich sich über den ansehnlichen Kropf und rastete.

Der kleine Görgel schoss daher. »Hulloh, Zachreis, der Vater schnitzt mir ein Rössel, ich reit in den pechernen Wald.«

Der Knecht tappte nach seinem grasgrünen Hut. »Reit hin, dort tanzen der Fuchs und die Hasen und tragen Schellen um den Hals«, fabelte er.

»Und was tragst denn du am Hals?«

Der Zachreis räusperte sich und legte das Gesicht in saure Falten: »Ein Kropf ist es, ein Kropf. Die Tauben haben euch einen.«

»Hast du auch Körner drin?«

Im Eifer der Frage fuhr dem Buben eine Blase aus dem Näslein, bunt und schillernd wie ein SeifenI ball, die Welt spiegelte drin, und der Görgel erschrak selber vor der jähen, zitternden Pracht. Darob fühlte sich der Zachreis der Antwort enthoben. »Wer alles weiß, wird zeitlich alt«, murrte er und wischte das Funkelding aus des Görgels Gesicht.

»Du hast einen harten Melkschemel«, redete er wieder der Alten zu. »Steh auf vom Stein! Lass noch einen Tropfen in der Kuh! Du arbeitest dich und das Vieh zuschanden.«

»Unsere Arbeit wird hart sein«, erwiderte sie, »aber noch mehr haben sich die Leut vor hundert Jahren gemüht.«

»Du musst das wissen«, spöttelte der Schalk, »du bist steinalt und denkst drei Wegstunden hinter Gott zurück.«

Sie ließ sich nicht irr machen, sondern erzählte: »Vormals ist die Menschenhaut am ganzen Leib so hart gewesen wie jetzt der Fingernagel, weil die Leut sich vielmehr haben rackern müssen. Adam und Eva haben die nackten Felsen umackern müssen, wie sie aus dem Paradeis in Disteln und Nesseln gestoßen worden sind.«

»Wo ist das Paradeis?« fragte der Görgel.

»Hinter Krixelkraxel, wo die alten Weiber wachsen und wo der Weg von der Hötschenstaude niederhängt«, wisperte der Zachreis, drehte das Hütel und kniff die Augen ganz eng. »Und im Paradeis ist der Bienenwald, da rinnen ganze Bäche voll Honig heraus.«

Nun sah der gläubige Görgel lüstern darein, leckte sich die Lippen und wurde still und tiefsinnig.

Die Gnadin trug den Jüngstgeborenen ins Morgenlicht. Die Kinderumzäunten sie und glotzten, wie sie ihm die Brust bot und der Winzige zu ziehen begann. Als sie ihn absetzte, blickte sie bangmütig die fremden, hochalten Bäume an.

Die Frena zog ein, Kreuz über den Säugling und girrte: »Er wachst halt ganz seinem Vater nach.«

Auch der Görgel forschte das. neueste Gnadenkind an. Das welke, rote, unzufriedene Gesichtlein, die zarten Finger und der zahnlose, greinende Mund mochten, ihm nicht gefallen, denn der meinte: »Nachbarin, ich glaub, dasmal wird es dir hin.«

Die beiden Bauern zogen stierhäutene Schuhe an und holten ihre Äxte, sie wollten die Grenzen ihrer Anwesen begehen und beschauen.

»Der Frisch hat dir ein gutes Haus hinterlassen«, sprach der Gnad. »Du brauchst fürs erste nit in laubenen Hütten hausen.«

»Ich, hätt an des Frisch Statt mich nit scheuchen lassen von Haus und Boden«, sagte der Schreiner. »Wo ich mich einsetz, reißt mich nur der Tod aus.«

Eine Sorge schattete über der Lenora herbes Gesicht. »Das Grausen soll den Frisch vertrieben haben«, raunte sie.

»Das Nachtgeschrei mag ihn verdrossen haben. Ich werd es abstellen erwiderte der Schreiner gleichmütig. Dann deutete er auf eine schwarze, hohe Fichte. »Der Baum verfinstert mir das Haus. Heut vornachts räumen wir ihn weg, Zachreis. Ein Flachsfeld muss her, dass für die Buben Hosen wachsen, voraus für den Görgel, der zerreißt viel.«

Der Knecht drehte den Hut. »Wohl, Bauer, den Baum legen wir. Es ist ja gar zu viel Holz auf der Welt.«

»Die Sägen werden uns schartig werden«, sagte die Lenora.

»Dann brennen wir die Dickung stückweis nieder«, lachte ihr Mann, »das Feuer wird nit schartig.«

»Hulloh«, jubelte der Görgel, »gestern zünden wir den Wald an.«

Der Schreiner tappte ihm in den Schopf. »Du bist ein Fürwitziger. Nur in der Zeit kennst du dich nit aus. Das musst du lernen, sonst darfst du nit auf die lateinische Schul.«

»Ich will in keine Schul nit. Ich werd ein Knecht, das Ross werd ich füttern.« Und jäh wandte sich der Görgel an das Brüderlein, das auf der Erde nebeneinem einsamen Halm kauerte. »Lenzel, gehst du mit in den Wald?«

»Ich fürcht den Wald«, wispelte es kleinlaut zurück.

»Warum ?«

Scharf schrie die Frena herüber: »In den Wald soll man ohne Not nit gehen.«

Der Lenzel runzelte kummervoll die feine, lichte Stirn, bis die Mutter ihm zärtlich scherzend darüber wischte. »Du hast ein furchiges Hirn, tagst schon fünfzig Jahr auf dir, Altmännlein.«

Und der Görgel spreizte das Bein, stieg über den kauernden Bruder hinweg und schmeichelte: »Jetzt wachst du nimmer, bleibst allweil klein und lieb.«

Zwei wohlgetane Buben waren es: der ältere dreist, handtüchtig, zugriffig, braun von. Gesicht und den vollen Schopf ährengelb; der jüngere scheu und zart, mehr nach innen gerichteten Auges und das, lichte, schlichte Haar tragend wie einen frommen Schein.

Als der Lenzel sich so ganz in den Grashalm verlor, fragte ihn der Gnad: »Was hast du da, kleinwinziger Mann?

»Das ist mein Garten, Vetter.«

Der Bauer lächelte: »Einmal hab ich einen Zaun gezogen um Lavandel und die Blume Sonnwend. Aber dein Garten ist viel schöner.«

Helle Beilhiebe klangen über die Wälder: einer war schon frisch daran, die Bäume zu brechen.

»Das ist dem Helm seine Axt, die schlagt schnell und kräftig.« Der Schreiner winkte fröhlich dem Schalle zu. »Verbeiß dich nur fest ins Gehölz, Helm!«

»Der geht gen die Bäume los wie gen den alten Feind«, staunte der Zachreis.

»So wollen wir jetzt die Gründe umgehen«, rief der Schreiner, »und morgen greifen wir auch die Wildnis an.«

Mit Axt und Waffen schritten die Bauern aus, und der Zachreis ging mit, den jauchzenden Görgel im Genick, und wieherte und trabte wie ein Füllen unter dem Reiterlein.

»Gebt mir fein acht auf den jungen Bauern! Und verirrt euch nit im finstern Hag!« rief die Lenora ihnen nach.

Der Schreiner schritt fest und aufrecht, den braunen Blick ruhig auf die Erde gerichtet, während sein Schwager leicht und fast schwebend ging und die geisterhaft lichten Augen oft über die Wipfel hinauszielen ließ.

Im Vorjahr schon war der Schreiner mit den Beamten des Grafen Wolfheinrich, der Herr war über Wald, Wasser und Wildfang im Eisenstein und die Einöde den künischen Bauern verlieh, im Tale hier gewesen: sie hatten die Wälder, Möser und Saigen ausgemessen und Steine gemarkt und jedem der sieben Siedler sein Teil zur Rodung zugewiesen.

Heute aber erschrak der Schreiner aufs Neue vor der ungeheuerlichen Baumwüste, vor den über alles Maß hinaus schwellenden Holzleibern, die diese irrsinnige Erde erbaute und wieder vernichtete.

Dreifach übereinander wuchteten geborstene, moosige Stämme, Buchenungetüme drohten mit aufgerissenen Bäuchen, behaftet mit mächtigen Schwämmen. Verzerrte, verknorrte Eichen, vor einem Jahrtausend geboren, geknickte Ahorne, Tannen, bärtig, verzottet, mit abenteuerlichen Ringwülsten und knolligen Auswüchsen, blitzzerschlagenes Trümmerholz, ragendes Gestänge ohne Rinde, wipfeldürr, gespensterbleich; Bäume und Stauden jeden Alters, jeden Wuchses vereinten sich zu grenzenloser, vertrackter Wirrnis.

Der Bauer, gewohnt, Gräser gleicher Art auf einem Fleck zu züchten und Unkraut fernzuhalten, er schüttelte die breite, bedachtsame Stirn. »Herrgott, da hast du keine Ordnung gehalten.«

»Da hat der Teufel getanzt«, sumste der Zachreis.

Sie zwängten sich durch Gestrüpp und Blockwerk, sie wateten durch Stämme, in deren Bauch die Fäulnis gekrochen, sie versänken in Moder und rotem Mulm. Zwischen den Baumgreisen wucherte es üppig; junge Buchen, Eschen, Erlen, Birken, Weiden, Ahorne und Tännlinge suchten jegliche Lücke zu schließen. Und die Waldgänger sahen die riesigen Wurzeln verflochten und ahnten sie unterirdisch miteinander verwachsen, verballt, verkrampft, so dass der ganze, maßlose Wald ein einziges Wesen schien, geschlossen im Widerstand gegen den Menschen, und durch seine Größe und Verwirrung gefeit gegen des Rollers ohnmächtige Mühe.

Hier führte kein Weg als der Pfad des wilden Tieres, keine Brücke als der gestürzte Baum; ein Dach bot nur der überhangende Fels.

Dieser kriegerische Boden wird den Pflug sprengen der Egge die Zähne brechen, wird die Kraft des Mannes verschlingen. Die Arbeit wird hier ein Kampf sein.

Ein Heldengefühl durchschwoll den Schreiner; es riss ihn hin, die Gebirge zu bändigen, den Stein zur Fruchtbarkeit zu zwingen, Ordnung zu setzen in den Wahnsinn dieser schrecklichen Schöpfung. Serie Hand spannte sich schmerzlich um die Axt, sein Wille begehrte zu gerinnen zur Tat. Er konnte es nimmer erwarten, die Hacke zu legen an den ersten Baum.

»Bub«, schrie er den Görgel an, »weit streicht mein Grund bis zu dem See, drin der Eisenbach sein Gespreng hat. Aber eine Wildnis hinterlass ich dir nit.«

Nun umgingen sie den Grund des Gnad. Immer nach einigen hundert Schritt fanden sie ein Markzeichen: krumme Ahorne, dürre Buchenstümpfe, Doppeltannen, Bannbäumne, gefeit gen den blitzblanken Tod, Bäume, die durch des Wuchses Übermaß oder durch wunderliche Form sich dem Auge aufdrängten und auch gewachsene und gesetzte Steine. Alle trugen eingekerbt oder mit dem Marcheisen eingestemmt drei Kreuze. Oft zog ein Bach die Grenze, denn zahlreich stiegen im feuchten Lenz die Wasser aus dem Moos; überall lebten Rieselfäden auf, die es sehr eilig hatten. Auch aus dem Felsgrund drängen Quellen lind braune Bäche glitten, und die Bauern nickten sich fröhlich zu. Wo Wasser ist, ist Wachstum.

Der Schreiner sagte: »Die klaren Güsse werden langsamer rinnen, wann sie unsere Wiesen feuchten.«

Sie stießen aufs' Schneegruben, dunkle Trümmerhöhlen, darin noch blankes Eis glitzerte. Der Laubmund war hier noch schüchtern, die Bäume harrten noch öde im herben Bergfrühling.

»Über den Eisenwald kommt das Frühjahr spät«, seufzte der Gnad. Daheim in der Seewies vergoldeten jetzt Osterblumen die Hänge, lachten dotterfarbene Wiesen.

Der Schreiner betrachtete lange seine groben, schweren Hände und meinte endlich versöhnt: »Der Mensch ist nit um der Freud willen da.«

Im Eisenbach badeten entblößte Wurzeln wie verschlungenes Gewürm, Blöcke stellten sich der schäumenden Macht zur Wehr, und der Donner der Wasser rauchte in die Lüfte.

»Da tät ich mir gern eine Brettmühl herstellen«, sagte der Schreiner.

»Du bist ein Seltsamer«, lächelte der andere. »Wo du ein Wasser siehst, möchtest du dir ein Rädel dran bauen.«

Die Männer legten zwei Stämme über den schallenden Bach und gingen darüber. Das war die erste Brücke im Eisenstein.

Der Görgel merkte wenig von den Schrecken der Ödung. Treulich, schleppte ihn der Knecht über Rohnen, Moor und Windriss, wies ihm einen Eichhornkobel oder einen Baum, der drollig auf Stelzen stand, und lehrte ihn, wie man der Weidenrute ein Pfeiflein abpocht, und den Drohspruch dazu.

Selten öffnete sich eine Lichtung, wo Geröll graute oder vom Wildbrett verbissenes Kniegebüsch kümmerte. Hier hatten wohl voreinst die Erzgräber, als sie die Berge flüchtig versuchten, das Holz geräumt, ihrer Schmelzstätten Feuer zu speisen.

Mittags rasteten sie nahe der Stelle, wo der Eisenbach sich in das Regenflüsslein warf, das felsenfrisch aus dem Panzergebirg niederfuhr. Moosbedeckte Rohnen luden sie zur Ruhe. Dort aßen sie ihr Brot.

»Da herüben suchen die Bäche schon die Donau.« Der Schreiner deutete nach Süden.

Hier auf umschlossener Blöße war der Frühling mild. Schon flammte das Gold der Salweide, davon der Bienen Fronvolk die erste Fechsung nahm; den Stauden wuchsen die Krallen, schüchtern grünelte der Weißdorn, und es rumorte in allen Knospen. Hohe, leere Bäume standen in geisterhafter Lauer bereit, Laub und Blüte jäh zu zeugen und emporzuhalten wider die beschenkende Sonne.

Die Menschen spürten es und wurden andächtig.

Jeweilen kerbte sich Spechtgeschrill in das Gerausche der sich vereinenden Wasser, ein Eisvogel zirpte oder es schwatzte eine Elster.

Aber sehnsüchtig sagte der Gnad: »Da steigt keine Lerche auf.«

»Wart nur, wir bereiten ihr die grüne Herberg«, tröstete der Freund. »Andere Blumen kommen, wenn wir reuten, trautere Kräuter, trautere Vögel. Das wilde Geziefer muss sich verlieren.«

Der Görgel trieb sich indes in geborstenen Felsen und wetterzersplissenen Eichen herum. Was den Männern furchtbar erschien, war ihm ein Tummelplatz der Lust. Er hetzte einen aufbaumenden Eichkater; er packte die Fähren beim Bart und band sich selber einen graugrünen Wichtelbart vor den Mund und versuchte mit verstellter Stimme den Knecht zu schrecken.

»Der hat ein Blut und ein Leben!« sagte der Zachreis wohlgefällig, »der ist aus eitel Schlangenschwänzeln zusammengesetzt.«

Der Görgel entdeckte eine Blumenglocke und eine Biene darin. Hastig schloss er die Blüte mit den Fingern. »Jetzt hab ich dich, Imme!«

»Sie sticht dich«, warnte der Zachreis, »lass aus!«

Der Bub gehorchte. Da flog die Biene davon.

Lange lugte er ihr nach. »Mir hätt sie nix tan.«

Er schmiegte sich an den Vater. »Im Sommer, wenn ich, wieder groß bin, fang ich mir die Imme im Schlaghäusel. Sie baut mir den Honigbach im Paradeis.«

»Bleib bei mir, Quecksilber!« mahnte der Bauer. »Der Bär geht um, er schlaft nimmer, hat seine Hütte schon längst zerrissen.« Er setzte den Knaben mitten in ein Fichtengärtlein, das auf einem mannshohen Stumpf angeflogen war. Dort musste der Görgel verharren und essen.

Die Schwermut, die aus dem dunkeln Grün der Tannen quoll, die stillen Schatten, die in der Bäumen schwebten, machten die Menschen heimwehmütig, bange ward ihnen, und. sie wussten nicht warum.

»Daheim ist eine lustige Landschaft gewesen«, sagte der, Schreiner plötzlich rau, seine Augen standen finster gegen die endlosen, Holzgründe.

»Den Weibern behagt es da nit. Es ist ein lauteres Männerland«, erwiderte der Gnad.

Die Bauern aufzuheitern in der drückenden Öde, begann der Zachreis: »Wie gut wäre es in der Stadt! Eine Dirn aus Jenewelt hat einen kärglichen Haftelmacher zum Bräutigam gekriegt, selber hat in Drosau gelebt, einem ganz und gar schlechten Städtel. Wie die Dirn jetzt mit dem Kammerwagen durchs Dorf fahrt, –sie hat als Heimsteuer nur ein zerschlagenes Spinnrad mitgeführt, eine Wiege ohne Boden und eine luckete Pfanne, und ein Ross ist vorgespannt gewesen, das hat nur drei Hachsen gehabt, der vierte ist hölzern gewesen, –wie sie mit dem Brautgut so dahinfahrt gen Drosau und die Nachbarn ihr auf der Straße alles Glück wünschen, da zwispelt sie: ‚Ich brauch jetzt kein Glück mehr, denn ich hab aus dem Dorf in die Stadt geheiratet!'«

Während der Zachreis seinen Schwank, im eigenen Kichern erstickte, ergriff der Schreiner ein Nussholz und schnitzte unter den freudigen Augen seines Buben einen Tierkopf daraus. »Wenn das Steckenross sieben Tag alt ist«, scherzte er, »wird es lebend. Es weiß den Weg zum Honigbach. Aber wir müssen weiter und heimzu, wir müssen die schwarze Fichte noch legen, stümmeln und zerhauen, eh es finstert.«

Der Görgel warf den letzten Brotranft in den Busch. »Fuchs, da nimm auch was!« Dann schwang er sich auf das Steckenrössel, trieb es mit scharfem Wort über die silbernen Flecken blühenden Himmelsbrotes, bändigte es und ließ es weiden im stillen Gras.

Wieder spähten die Bauern von Kerbbaum zu Kerbbaum. Ihre Füße wurden in rotem Moderlaub begraben. Schwarze Brunnen schillerten tückisch aus dem Steinicht, aus, langen, faulenden Rohnen geilte in schnurgeraden Zeilen die grüne Brut, des Vorfahrs morsche Leiche aussaufend.

Fort ging es durch Tal und holziges Gebirg, über sich die ungeheuren Dolden uriger Bäume, an trägen Rinnsalen hin, die roter Schlamm füllte. Gespenstisch, unenträtselbar war diese Gegend, des Holzes absonderliche und schreckende Formen befremdeten, zersprungene Felsblöcke waren grauer Geheimnisse trächtig. Ach, daheim in der Seewies lag alles klar und bekannt!

Ein Hang lag völlig übersät mit Felsenschutt.

»Da hat der Riese sein Nest«, lispelte der Görgel. Der Zachreis tastete einen Felsbrocken an. »Da hilft kein Pflug, die Steine sind eisern.«.

Doch der Schreiner, weitete die Nüstern. Die Erde roch. Er vertraute ihr, er witterte ihre Kraft, die jetzt noch nichts anderes wusste, als sich in gewaltiges Holz zu wandeln. –

Vor der Einöd schnaitete die Lenora Tanngras. Unwirsch empfing sie die Grenzgänger. »Die Sonn sitzt schön nieder. Ich hab mich viel geängstigt um den Buben.«

»Der Görgel jauchzte auf, obwohl sein haselnes Ross schon lahmte. »Mutter, Mutter, bei den Pechbäumen sind wir gewesen, dort zwitzern und zwirlitzern die Vögel, dort werfen die Hirsche die Hörner hin.« Die Wangen rot und prall wie ein Posaunenengel, eine weiße Blume in der Joppe, also ritt er ein.

»Die Brotsuppe kaltet«, murrte die Bäurin. »Komm essen!«

»Erst muss das Ross in den Stall«, erwiderte er und lehnte sein Tierlein an die schwarze Fichte, die mit rauen Knüppeln niederdrohte. Dann lief er ins Haus.

»Bäurin, unmäßig öd ist das Land«, erzählte der Zachreis, »als wär es gestraft um eines Übermutes willen. Wir brauchen sein, hartes Herz.«

2Verschüchter mir die Bäuerin fit«, rief der Schreiner. »Blößen müssen wir schlagen, das Licht muss herein in den Wald. Dann wird es besser.«

Dem Wort ließ er die Tat folgen: er holte Hacke, Keil und die zweimannige Säge, die er vom Seewieser Hammerschmied eingetauscht für ein jähriges Kalb. Er warf den Rock ab. »Gehen wir es an!«

»Die Zeit ist günstig«, stimmte der Zachreis bei. »Die Bäume muss man brechen, wann der Mond krank ist. In Gottes Namen!«

Bauer und Knecht knieten an die Fichte hin, und die Säge hub ihr einförmiges Geschnarr an. Ein Rabe wich mit seiner Henne aus der Krone.

Lange sägten sie. Die Vornacht hing dunkel im Baum, und dieser stand stolz und ruhig, als wisse er nicht, was sich unten vorbereitete.

Die beiden Männer sahen sich plötzlich an: tief genug waren sie drin im Holz. Sie zogen die Säge heraus.

Fest stand der Baum, keine Nadel zitterte an ihm.

»Speib in die Hand, Zachreis! Heb die Hack!«

Der Knecht schrotete den Stamm an der andern Seite an, Späne stoben und sanken ins gelbe Holzmehl.

»Wald!« frohlockte der Schreiner. »Wald! Das ist der erste von deinen tausend Bäumen, die ich räumen will. Wald, du stehst trotzig, du weißt nit, wie stark der Mensch ist. Du wirst mich kennen lernen.«

Er setzte den Keil in den Sägespalt und drängte ihn mit hallenden Schlägen tief und tiefer in die Wunde. Doch. der Baum regte sich kaum. Die Äste hielt er wie finstere Flügel.

Der, Bauer hielt veratmend inne. Seine Stirn glühte, Ungeduld durchfieberte ihn. »Bist du gar so zäh?« keuchte er. »Fall um!« Mit unwilliger, heißester Kraft schlug er nochmals auf den Keil.

Ein Schauder flog über den schwarzen Riesen, er knisterte heimlich, er knarrte –

Da stürzte der Görgel aus dem Haus. »Das Rössel will, ich«, rief er. »Es weiß das Paradeis. Mein Rössel wird zerbrochen.«

Dein Schreiner fuhr Feuer durchs Hirn. Mit einem Tiersprung schoss er auf sein Kind los. Da war es, als stürze der Himmel ein, ungeheuer prasselnd ging es nieder. Das Blut war dem Bauer starr; er spreitete die Arme, als wolle er den Baum aufhalten. Ein Ast schleuderte ihn spielend zurück.

Dumpf pochte der fallende Unhold an die Erde. »Jesusmaria!« schrie jemand. –

Als der Gnad das Kind unter den Ästen hervorzog, war es schneeweiß auf der Stirn, die rosenen Farben waren dahin, das übermütige Lehenslichtlein war er loschen.

Mit einem Schrei, der in den Himmel dringen musste, stürzte die Lenora über die Leiche.

Der Schreiner taumelte. Er hielt sich an den Zweigen des gestürzten Ungeheuers; ihm war, er verlöre die Gewalt über sich selbst. »Oh, oh, oh«, stöhnte er, »o blutgekrönter Herrgott !«

Der Wald war schwer von naher Nacht, fühllos standen die Bäume.

Der Lenzel kam und sah das blasse Brüderlein und der Mutter irre Augen und stammelte: »Hat ihn der kalte Mann angerührt?«

Eine Rotte heimkehrender Raben zog schweigend wie nach einem Begräbnis.

Die Lenora stand mit zuckenden Knien, die Leiche im Arm. »Bauer«, tönte eine erloschene Stimme, »mir graust vor dem Land da. Gehen wir wieder heim!«

Mit furchtbarer Schnellkraft richtete der Schreiner sich wieder auf. »Wir bleiben«, erwiderte er heiser. Er ergriff die Axt und begann wie im Traum mit ungewissen, matten Schlägen den Baum abzuästen.

Sie sah ihm in staunendem Zorn zu. »Schleuder die Hacke weg, die gottverfluchte! Bist du ein so Harter? Bist du aus einem Stein brochen worden?«

»Die Hacke ist nit schuld, Weib; der Baum ist nit schuld.« Das Werkzeug entsank ihm. Wehvoll stöhnte er: »Ich bin schuld.«

»Es ist ein bitterer Zufall, niemand trifft die Schuld«, sagte der Gnad. »Tröst Gott euer Herzleid!«

Da erst löste sich der Schmerz aus der Versteinung, die Lenora weinte hart und wild, und ihr Mann senkte den Kopf und wandte sich ab.

»Tröst uns Gott!« schluchzte die Frena. »Es ist kein Glück im Eisenstein. Zuletzt suchen uns noch die Schweden heim. Die Schweden kommen, töten, gehen.«

Die Bäuerin ward von heißem, trostlosem Weinen geschüttelt. »Wirst müd«, stammelte ihr Mann, »leg ihn weg, den –Toten!«

»Lass mir ihn«, trotzte sie. »Seine Hand will ich halten. O sie ist kalt!« Ihre Züge waren plötzlich hager geworden.

Der Gnad dachte an die Heilige, die die ausgeblutete, weiße Heilandsleiche auf dem Schoß hält, und er sagte zu dem Weibe, die seine Schwester war: »Dein Kind ist in dem Land, wo man auf Licht geht; wir müssen noch die harte Erde treten.«

»Wie gescheit er war! Wie lieb er war! Ins Paradeis hat er reiten wollen –auf dem Rössel!« klagte sie auf. »O, wie tut es mir bitter hart! 0 es ist schrecklich! Aber der Bauer greift frisch wieder zur Axt. Ein Kieselstein müsst weinen; der Schreiner aber nit.«

Da wich der Bauer langsam zurück in den Wald. Er fühlte den Blick der Sterne und dachte an die Nacht zurück, wo die Gestirne des Knaben Spielzeug waren.

Der Lenzel fing der Mutter Zähren mit den Händen auf und bettelte: »Wein nit, du! In der goldnen Au spielt der Görgel, hat Flügel an und glanzt. Die Himmelsfrau halst ihn. Er scherzt mit dem weißen Gotteslamm, er trägt einen lichten Stern auf der Hand. Hörst, Mutter, wein nit!«

Der Gnad rang sanft der Schwester den Toten aus dem Arm und trug ihn in die Stube.

Der Kinespan flackte. Wortlos mit staunenden Munden standen die Kinder und begriffen den stillen Gast nicht, der eingekehrt war. Und der Gnad betete: »Das Gras blüht in der Früh, und vor der Nacht schwelcht es und fallt ab, wird hart und dürr. Der Mensch geht dahin wie das Gras.«

Draußen im Dämmer hieb der Knecht drei Kreuze in den frischen Fichtenstumpf, dass eine arme Seele drauf rasten dürfe.

Die Nacht ward spät. Schlaflos lagen und kauerten die Menschen in der Stube. Die Frena suchte mit ihrer alten, tiefen, drohenden Stinnme die Kleinen in den Schlaf zu zwingen.

»Bet, Kindel, bet,
Morgen kommt der Schwed,
Wird die Fenster einrennen
Das Blei herausstemmen,
Wird Kugeln draus gießen,
Das Kindel totschießen.«

Der Wendel, des Gnad ältester Bub, wies auf das kleine, weidenverflochtene Fenster. »Zu uns kommt kein Schwed und kein Bleiglaser.«

Draußen die Finsternis war voll tiefster Stille und sie schickte diese ins Haus herein, und alles ward still in der halbhellen Balkenstube. Nur dann und wann weinte die Lenora einsam und trostlos auf.

»Wein nit gar zu viel!« sagte endlich die Gnadin, »Es ist nit gut, wenn du alles Leid auf einmal herausdruckst.«

»Mir bleibt noch genug drin«, erwiderte die Lenora. Und sie weinte, weinte, bis sie müde ward.

Da sank ein Heimweh schwer über alle. Die fremde Nacht atmete zur Fensterluke herein, der fremde Wald rührte sich draußen, sauste auf, als fordere er abermals Blutrache für den getöteten Baien.

»Warum sind wir in die Ödung gezogen?« fragte die Lenora. »Gott will sie leer und verschlossen haben. Das wilde Getier soll da leben, nit der Mensch!«

Der Schreiner hob die zerkerbte Stirn. »Der Mensch muss allerwärts hin, muss alles versuchen. Übers Meer sogar muss er.«

»Aber nit in den unwirtbaren Wald«, widerstritt sie. »Nit einmal die Freundschaft können wir aufbieten zum Begräbnis. Wir hausen kaum zugänglich der Welt.«

Da reckte sich der Wolfbeißer im Winkel auf und knurrte.

Das Fenster ward aufgestoßen, und eine riesige, grasse Stimme plärrte herein »Höhöhö !« und schien Spott zu schreien über Tod und Schmerz und Heimweh.

Die Kinder erwachten und weinten: »Der Saurüsselmann ist da!«.Die Großen sprangen in bleichem Entsetzen auf.

Nur der Görgel lag unbewegt auf seinem Brett.

Mit der Axt rannte der Schreiner hinaus, der Hund hinter ihm her und der Zachreis mit der Leuchte.

Die Finsternis war leer. Irr und zerstreut hafteten die Sterne in den Wipfeln. Die tote Fichte dehnte sich weit.

»Hast du geplärrt?« knirschte der Bauer den Baum an und schlug ihm außer Sinnen das Beil ins Mark.

*

Die Welt war grau, Nebel spann den Bäumen trübt Hemden, bang murmelte der Wind.

Da begruben sie das Kind.

Die Gemeinde unterbrach ihr schweres Handwerk, trat an das Grab und sagte die Gebete nach, 'die der Gnad für die arme Seile sprach.

Mitten im Gebet hielt er inne, denn ein verborgnes Vöglein fing lieblich zu klagen an und rief so ausdrucksvoll und trostmutig, dass alle den Atem an sich hielten, von süßem Zwang gebunden, und selbst der Mutter Zähren stockten. Und als das Nebelvöglein verstummte, dankte der Gnad ernsthaft in den Baum hinauf: »Gelt es Gott!« Die Waldleute aber dachten: »Eine schöne Besingnis hat er gehabt, der hurtige Bub.«

Zu Häupten des Grabes stellten sie ein Brett, darauf hatte der Gnad mit groben Schnitten einen Spruch angebracht.

Hier rastet das unschuldig Kind Görg Schreiner.

In meiner Jugendblüte
hätt ich es nit bedacht,
dass ein fallend Tannenbaum
mir den Tod aufmacht.
O Mensch, gehst du hier für,
so bet ein Vaterunser mir,
bet es mit heller Stimm,
weil ich so jung gestorben, bin!

*

Der Hans Gnad ruhte an einer Quelle. Stundenlang hatte er seinen Grunde durchspürt, eine Stätte zu finden, darauf er sein Blockhaus setzen könne.

In der Nähe grünte geringes Buschwerk, und mitten drin herrschte eine übermächtige Tanne, eine Ahnmutter des Waldes, von, vier stattlichen Buchen im Viereck so regelmäßig umstanden, als habe ein messender Mensch sie gepflanzt.

Der Gnad nahm gedankenlos dies Bild auf und träumte dann in den Quell hinein, der vor ihm aufging, und baute sich aus Glanz und Luft ein trauliches Haus vom Keller an bis hinauf zur kräuselnden Rauchsäule überm Dachs füllte die Fensterlein mit frohen Kinderköpfen und den Stall mit strammem Vieh und die Truhen mit blanker Leinwand und den Garten mit Nutzen und Farbe und die Felder mit Hanf und Flachs, mit Kraut, Hafer und Korn. Hier wollte er säen und heimsen und sterben, hier sollten der Nachfahren unbekannte Scharen entspringen.

Indes quoll der Brunn vor ihm reichlich, er gluckste wie eine Bruthenne, und der glänzende Kies tanzte und wirbelte unter dem Stoß des neugebornen Wassers.

Aber ein zottiger Ast schattete über dies frohe Spiel und verdüsterte, was der Bauer sich an Zukunft träumte. Drum beschloss dieser, der Sonne ein Fenster zu brechen, und er erhob sich mit der Axt.

Da sanken die Späne, und der Ast krachte nieder. Doch der Gnad war unachtsam und riss sich den Finger auf, dass er blutete.

Rasch badete er die Hand im kühlen, reinen 'Wasser, und während Erdquell und Wundquell sich mischten, bemerkte der Gnad wie ein Vogel niedersank, einen blutigen Span zierlich mit dem Schnabel fasste und damit auf eine der vier Eckbuchen flog, wo ei dann einen lieblichen Lockruf ausstieß.

Der Gnad hatte auf einmal ein helles Herz. »Du bist mein Nebelvöglein«, grüßte er empor, »du weisest mit die neue Heimat.«

Fröhlich kämpfte er sich, durchs Gebüsch zu der Tanne und merkte sie mit tiefen Schlägen. Breit schälte sich die Rinde, eine silberbauchige Blase quoll langsam hervor, wuchs zur Größe eines Menschenkopfes an, schillerte und platzte: da rann ein Strömlein Harz golden nieder auf des Gnad klaffende Wunde und schloss sie. –

Tags darauf begann er mit dem Bau. Weib und Kind mussten mithelfen und der Sehwestermann samt dem Knecht. Auch der Helm stellte sich ein mit seinen harten Pranken.

»Im Eisenwald ist es lieblich«, meinte der Riese. »Nur der Bader mangelt, der mir den Spieß in die Ader sticht. Das Blut wachst mir zu heftig an. Ich muss es wegarbeiten.«

Zuerst räumten sie die Hausstelle von Strupp und Strauch, hackten das widerspenstige Gedorn aus, das tausend böse Krallen zückte, knickten argwillige Disteln und brennende Kräuter und rissen mit Hand, Hebel und Haue die klammernden, endlosen Wurzeln von der Erde. Sie hoben Steine heraus, wälzten die gewichtigen und warfen die minderen zu einer Halde auf.

Hernach kletterten die Männer an drei Buchen hinauf und sägten sie in der Höhe des Riesen Helm ab. Diese ansehnlichen Stümpfe waren zu Ecksäulen des Hauses bestimmt. Die vierte Buche, darauf der Vogel mit dem Blutspan nistete, behielt die Krone: eine Säule sollte lebendig bleiben, wachsen und lauben und den Amseln ein Wohlgefallen sein.

Die andern setzen ihre Häuser bloß auf die Erde. Ich will ein wurzelndes, ein gewachsenes Haus haben«, sagte der Gnad.

Nun fällten sie die Tannen, die an die Hausreute grenzten, feste, doch nicht allzu dicke Schäfte, leicht mit der Säge zu bewältigen. Schlag auf Schlag prasselten die Hölzer hin, und des Gnad Kinder entasteten sie, soweit sie es mit ihrer noch unzeitigen Kraft vermochten; der Wendel entrindete mit dem Schabmesser die Stämme, und die feste Rinde ward zu Raufen aufgeschichtet, sie sollte das Dach zudecken.

Bald lagen viele Bäume, und die Roder entkleideten sie mit Reifmessern und langstieligen Schälern der rauen Häute und plätteten die Seiten ab, die in der Blockwand sollten aufeinander zu liegen kommen.

Den Kindern waren schon längst die Schwielen blutig worden, und als sie nun eines nach dem andern müde abließen, mussten sie Moos auf einen Haufen sammeln, später die Fugen des Baues damit zu verstopfen. Da krabbelten sie denn auf allen Vieren wie äsende Mooskühlein, und die jüngsten trugen Schellen am Hals, dass man höre, wo sie moosten, und die Mutter kannte den Zusammenklang gut und rief gleich, wenn in dem Geläut ein Ton verscholl oder sich zu weit entfernte. Das jüngstgeborne Büblein schlief in einem Korb hoch an einer Staude. Und die Waldvögel pfiffen und stridulierten darüber, und die Eichkatz stellte betroffen die Hörner aufrecht und horchte hinab ins hallende Werk.

Die Riesentanne spottete der Säge. Drum hacken die Roder in halber Manneshöhe ihr tiefe Kerbe in den Leib, Angriffsstellen für das Feuer, das sie am künftigen Tag daranlegen wollten. Der Baumgewaltige sollte durch Brand gestürzt werden.

»Sein Stumpf wird mein Tisch«, sagte der Gnad. Als die Sonne tief hing, kehrten sie zurück gen des Schreiners Einöd.

Die Lenora begrüßte sie mit eintöniger Frage: »Ist keiner tot?« ihre Stimme verzichtete seit jenem Schrei über des Söhnleins Leiche auf alle Farbe. »Ich fürcht die fallenden Bäume.«

Der Helm brummte: »Es hilft nix, die 'Tannen müssen wir schneiden. Sie lassen sich nit mit dem Stecken vertreiben wie eine Herde Gäns.«

Ein Fremder war im Haus, der Hannes Frisch, derselbe, den das Grauen einst aus dem Eisenstein vertrieben. Neugier lockte ihn her.

Unter dem Kessel, der an rußiger Kette schwebte, regte sich behagliches Feuer, und bald löffelten sie aus hölzerner Schüssel die Milchsuppe, darauf braune, raue Brocken Brot schwammen.

Dann legte die Barbara Gnadin ihre müde Brut schlafen, und die Großen setzten sich zu dem Gast.

Schwarz spähten die Bäume zum Fensterloch herein; der Wind flog, da sträubten sie sich.

»Das Haus hab ich lassen, wie es liegt und steht«, begann der Frisch. »Der Eisenmann hat mich verscheucht.«

»Das ist der, der in die Fenster plärrt?« fragte der Zachreis.

Der Gast nickte. »Schier ungewiss ist es, ob er Gespenst ist oder Fleisch. Er soll noch aus der Zeit her sein, wo sie das Eisen aus dem Felsen geholt haben. Ganz verwildert ist er. Er haust in einem Loch, das heißt der Armeseelenschacht. Er ist mir aufsätzig gewesen, ich weiß nit warum, hab ihm nie ein Leid tan. Die halbe Nacht ist er mir ums Haus geschlichen.

Mein Hund hat mir den Kopf in den Schoß gelegt und gewinselt, dem Ross hat sich die Mähne gesträubt. Da hab ich gespürt, dass ein Zweifelhaftes ums Haus streicht. Einmal hat er mit Fäusten an die Tür getrommelt, mein Weib ist schier vergangen vor Angst.«

»Wir hätten sollen in der Seewies bleiben«, flüsterte fröstelnd die Frena.

»Ein eisgrauer Knecht dient mir, der ist vormals Eisengraber gewesen«, fuhr der Frisch fort, »der redet manniges Mal von der alten Zeit im Eisenstein. Fünfzig Jahr mögen schon vergangen sein, da ist, der Eisenmann ein Hammermeister gewesen und hat ein Ehweib gehabt. Einmal haben sie miteinander durch den Wald müssen. Er sagt: ‚Geh voraus, ich bleib ein wenig zurück.' Sie geht hundert Schritt, da springt ein Wolf aus der Dickung, die rote Zung heraußen, das Gefletsch glanzt. Das Weib rennt, sie schreit ihren Mann, sie schreit den Herrgott an. Keiner von den zweien meldet sich. Das Vieh schnappt schon nach ihrer Ferse. Da wirft sie ihm in ihrer Not die Schürze hin, und der Wolf lasst von ihr ab. Sie rennt heim, und nach einer Weile kommt der Mann nach, ganz hitzig und scheu. ›Was bist du mir nit zu Hilf kommen?‹ greint sie. Da lacht er seltsam, und wie er das Gebiss aufdeckt, sieht sie zwischen den weißen Zähnen Fetzen von ihrer blauen Schürze stecken, sieht sie in seinen Augen den Wolfsblick brennen. In selber Stunde noch ist sie ihm davon.«

»Ein Werwolf ist er«, lallte die Frena, »und in der verschrienen Welt soll unsereiner hausen?'

»Seither lebt der Eisenmann allein«, schloss der Erzähler. »Er benötigt kein Weib. Im Hornung sucht er die Wölfinnen auf.«

Ein Schauder flog über die Zuhörer. Nur der Helm saß, gleichmäßig in sich geduckt und nickte dann und wann ein.

Des Kienspans peinlicher Rauch verderbte die Luft. Der Wind ward lauter.

Der Gnad meinte: »Es mag sein, dass das alles nit wahr ist.«

Die alte Magd aber murmelte: »Einen Geistlichen brauchten wir, der könnt den Werwolf mit der Stola binden. Sonst kommt nix gegen ihn auf.«

»Hast du schon einmal mit ihm geredet, Frisch?« fragte der Gnad.

»Einmal trag ich Zaunstangen am Hals heim. Ich geh durch den finstern Waldgraben, da stampft er schon neben mir daher. Alle meine Todsünden sind mir eingefallen. Ich hab mich nit getraut, dass ich ihn angeschaut hätt. Blutige Augen hat er gehabt. Er rollt mich an: ›Hannes, du gehörst nit in mein Gebirg. Geh wieder davon!‹ Das, hat mich verdrossen, dass er mich abschafft. Ich nehm mir das Herz und sag: ›Und just bleib ich. Jetzt ist der Bauer daran, die Eisenleut sind vorüber.‹ Grollt er: ›Und wer kommt nach euch Bauern dran?‹ Sag ich: ›Der Bauer bleibt, bis die Welt ein Ende nimmt, und das ist am Jüngsten Tag.‹ Ruft er: ›Mich vertreibst du nit. Eher bind ich einem Hirsch feuriges Moos ins Geweih, dass er dir Berg und Tal anzündet.‹' Darauf sag, ich: ›Das darfst du nit tun. Gelobt sei Jesus Christus!‹ Den Gruß hat er nit vertragen: er tut einen Seufzer und springt in einen Felsen hinein. Weg ist er gewesen, der Stein hat ihn verschluckt. Am andern Tag in der Früh ist mein Haus umstellt gewesen von lauter Rossknochen. Der Schimpf hat mich arg verbittert, ich bin aus dem steinigen Wald wieder fort und zurück in meinem Vater seine Einöd in den Stornwinkel.«

Immer eindringlicher ward der Wind draußen, er schnellte von Krone zu Krone, er fauchte jeweilen durch den Rauchfang nieder, und der Span in der ehernen Klammer qualmte und zuckte und gab ruhlosen rötlichen Schein.

Der Lenzel kauerte am Schoß der Mutter, er vernahn die Pfiffe und das Geschnaub und die verworrenen, sehnsüchtigen und oft wunderbar süßen Stimmen der Luft und lispelte: »Die Melusina weint.«

»In meinem Vater seiner Einöd ist es heimlich«, erzählte der Frisch. »Wie aber der Großvater sich dort angebaut hat, im blütfremden Land, da haben noch die Riesen dort gelebt. Und wie er dort das erste Ried in den Wald gelegt und den ersten Haber drauf gesät hat, haben die Riesen auf ihn und seinen Knecht gedeutet und gesagt: ›Die Wesen da bringen uns von der Welt.‹ –Einmal sind sie in der Nacht her, haben das Dach von dem neuen Haus gerissen und den Ahn greifen wollen. Der aber hat ein Schwarzbuch besessen, und schnell liest er aus dein rußigen Buch. Da sind die Riesen angefroren und haben sich nimmer rühren können. Sie sind vermoost, und aus ihnen sind hernach die Berge worden, die um meine Einöd stehen.«

»Mutter, die Bäume fliegen«, rief der Lenzel und starrte in die schwarzbewegten Wipfel hinaus.

Sie verhüllte ihm die Augen und presste ihn an sich, fürchtend den grellen Schabernack eines Kobolds, der herein stieren und das Kind erschrecken könnte. Der Schreiner legte ein Brett vor das Fenster.

Das Herdfeuer zuckte und duckte sich, und der Hans Gnad sann darein. Ja, der Bauer bringt die Riesen von der Erde, die verworrenen Kräfte der Wildnis erliegen dem, der die reißenden Tiere austilgt, stilles Nutzvieh zieht und sanftere Gewächse, der reutet, schwendet, sengt und Stein und Wurzel entfernt, die trotzverbrüderten, und der die Unordnung wuchernder Öden schlichtet mit beharrlicher Hand.

Der Sturm stieg gewaltig an, er schüttelte das Haus und rüttelte an Riegel und Fenster; das Gebälk knackte.

»Das Dach nimmt er uns«, schalt der Zachreis.

»Bei euch ist jahraus jahrein Hexenfreinacht«, sagte der Gast nicht ohne Schadenfreude.

Die Frena schlug ein Kreuz. »Da geht es nit katholisch zu. Das tut wie das wütende Heer. Verschlagne Geister sausen da.«

»Haltet nur still!« tröstete der Gnad. »Morgen scheint wieder die liebliche Sonne.«

»Heut reißt es das faulschlächtige Holz«, sagte der Schreiner, »der Sturm hilft roden.«

»In der Thomasnacht hab ich sie reiten sehen, die gottlose Jagd«, raunte die Frena. »Ohne, Köpfe sind sie daher gestürzt, die zweifüßigen Rösser, die Reiter darauf haben mit ausländischer Stimme gehetzt: Hoto, hoto, hoto! Jäger haben das zerhackte Knie auf der eigenen Achsel getragen, ungetaufte Kinder sind mitgerannt, und hintendrein ist eine Gans gewackelt.«

»Ich halt dafür, der Eisenwald liegt an der Straße, wo die wilde Fahrt zieht«, sagte, der Frisch. »Ein luftiger Ort ist es.«

Der Frena gruselte, die dürren Arme bebten ihr bis zum Ellbogen hinauf. »Dass uns die Jagd einmal so ein paar Beelzübuben absetzt! Sie sollen schier so arg sein wie die Schweden. Und die Schweden kommen, töten, gehen.«

»Warum weint die Melusina?« flüsterte der Lenzel.

Die Lenora umschlang ihn. Angst vor neuem Unheil wandelte sie an. Wie es draußen an der Tür rüttelte und riss! Sendet der gestörte Urwald seine Scheusale aus, sich zu rächen an den Eindringlingen? Lauert draußen ein Unhold, ihr das zarte, hellhaarige Büblein zu vertauschen gegen einen grässlichen Wechselbalg? Kratzt der Werwolf an die Wand? Morgen ist seiner Tatze Spur eingebrannt im Blockholz. Ach, es sind nur Schreckmärlein für unbändige Kinder!

Aber die Bäuerin sprach: »Wie das ungestüme Wetter draußen ruft! Wie die Stimmen gehen! Sie reden von uns. Die Bäume schelten uns, die Ödung da ist verbannt und verflucht.«

»Unser neuer Boden ist nit schlechter als ein anderer«, widersprach ihr Mann, »er tragt Kraut und Unkraut, Honig und Gift wie jedes andere Land.«

»Die Zeit wird uns nit vergehen«, murmelte sie.

»Weib, ein Bauer stirbt nit vor Heimweh. Überall, wo er einen Acker baut, ist er daheim.«

Immer sonderlicher schwoll der Sturm: er war Wolfsgebell, war Gebrüll verlorner Kühe, war bald Gelächter oderunheimlich murrendes Geschwätz, bald wieder schien die Luft in tiefster Klage einen Namen zu rufen. Die Lenora lauschte irr, ob ihr Kind nicht darunter sei und weine. Es drängte sie, vor die Tür zu rennen und die Arme zu recken nach dem begrabenen Liebling.

Oft setzte das Getöse aus, und der Wind klang weich und weinend.

»Mutter, die Melusina hat kein Bett für ihr Kind, drum ist sie traurig. Streu ihr ein paar Federn hinaus für ein Bett!« bettelte der Lenzei.

Furchtbar rang der Sturm mit der Nacht, Töne schwanden und nahten wieder. Der Wolfbeißer draußen an der Kette heulte, und auf einmal erscholl ein schneidender, banger Klang

Der Lenora Augen wurden weit und geisterwissend. »Ein Kind schreit«, stammelte sie.

»Gib dein Wind Federn«, bat der Lenzel. »Unser Görgel liegt allein draußen im Frost und hat kein Bett.

Da holte sie Federn aus einem Säcklein. Aber die Frena hielt sie am Kittel fest. »Greif nit hinaus in die Finsternis, Bäuerin! Es könnt dich einer bei der Hand packen.«

Doch sie nahm den Leuchtspan und drückte die Tür auf. Ein Windstoß empfing sie, schleuderte Nadeln und Blätter und Zweige in den Flur, drückte das Licht nieder und drohte, es zu löschen.

»Leg dich, Wind, da hast ein Bett für mein Kind!« rief sie und gab die Federn preis.

Doch als der niedergezwungene Brand sich flackernd wieder erholte und behauptete, beschien er ein verzerrtes, rasendes Gesicht, es war kreideweiß, und kohlschwarz wucherte von den Schläfen bis zum Hals der Bart, die Fratze kränzend.

Die Lenora prallte zurück, sank mit brechendem Knie und kreischte: »Der Unmann!«

Der Riese Helm fuhr empor, stieß mit der Stirn fürchterlich gegen das niedere Gebälk und stürzte vor die Tür. Dort riss er hastig einen Stamm aus dem Bollwerk und jagte waldwärts einem Schatten nach.

Mit schwelenden Lichtern harrten die Männer vor der Einöd. Der Wolfbeißer zerrte an der Kette und winselte, sie ließen ihn nicht los: der Riese würde schon selbe mit dein Gespenst fertig.

»Der ungeschlachte Satan ist es«, hauchte die Magd, »glühende Hörner tragt er. O, wir leben an einem gottlosen Ort!«

Der Zachreis beschwichtigte sie: »Der Helm hat einen Buckel wie sein Stier. Mit seiner Kraft dreht er dem Teufel das Horn aus dem Schädel.«

Der Sturm löschte alle Worte aus. Aus ihm tönte prallendes Waffenerz, Trommeln, Trompeten und Rossgetrapp, er schnob in den Wipfeln, jauchzte, jaulte, wieherte, wimmerte. Verwunschene Heere, verdammte Wildfrevler brausten vorbei, Stimmen fielen aus den Bäumen nieder, drangen aus der Erde, Laute quollen wie aus Höhlen, oft klang es wie ein Hornstoß, oft wie ein hohler, geller Schrei furchtbar, und plötzlich lag Totenstille, und dann schwoll es wieder, Schatten flossen, als rauschten fliegende Mäntel weit rückwärts. »Es geht über mich hinweg«, rief der Zachreis und warf sich zu Boden.

»Die Wildhatz reißt ihn mit, den Helm«, sagte der Frisch. »Wenn er morgen zu sich kommt, liegt er in der Schweiz wo auf einem Misthaufen oder sitzt in Straubing auf dem Galgen und kann nit herunter.«

»Duck dich, Helm, duck dich!« schrie die Frena gen den Wald. »Alles, was höher ist als kniehoch, nimmt die gottlose Jagd mit.« Sie krallte sich ein Kreuz in die Stirn und kerbte die Runzeln darauf noch tiefer.

Da tauchte der Helm auf, fügte den, Balken wieder ins Bollwerk und bat gelassen: »Leiht mir eine Haue und eine Schaufel!«

»Was willst du damit spätnächtig?«

»Eingraben will ich ihn.«

»Um Himmels Blut«, rief der Gnad bestürzt, »was ist geschehen?«

Der Helm führte sie in den todfinsteren Wald. Dort blinkte im Schein der Hornlaterne ein großer, das Licht grauenhaft spiegelnder Blutfleck.

»Davon ist er«, lachte der Helm, »ich hab ihn zu mild getroffen. Jetzt aber muss ich heimzu, dass mir der Wode nit den Knecht mit über die Wipfel nimmt.«

Die Leute des Schreinerhofes sahen den Hünen verschwinden im splitternden Wald. Und der Sturm ward groß und alle Stimmen der Welt waren darin.

*

Der Nachtsturm war vorüber. Die Geschmeidigen hatte er gebeugt, die Gewaltigen zerbrochen.

Als der Gnad mit den Helfern seine Hausroute aufsuchte, lag die uralte Tanne in der Höhe der Kerbe geknickt. Der Wade hatte roden helfen.

Das, Werk der wetternden Äxte schritt weiter.

Sie behackten die Stämme, schnitten die Pfosten, für die Türeis, richteten die Blockwände auf, legten Trambalken quer darüber und fügten die Sparren ein, sie trieben espene Keile ins Riegelholz, und Schwellen und Säulen wuchsen und Stube und Stall, bis endlich der Firstbalken das hölzerne Werk krönte.

Kein Bröcklein Eisen stak im ganzen Gebäu.

»Spart das Eisen«, mahnte der Helm, »es ist ein seltenes Ding, seit der Krieg allzu viel davon verschluckt hat. Ein Schmiednagel kommt teurer zu stehen als das ganze Holz fürs Haus.«

Der Helm hatte Gewaltiges geleistet mit seiner rastlosen Kraft, besonders als sie das Gerüst aufführten. Mit groben Jauchzern hob und warf er die Balken, und es war wie in alten Sagen, wo die Riesen aus dem Wald treten und den Menschen bauen helfen.

Wie nun das waldwüchsige Haus giebelte und Nachbars Hilfe nimmer so nötig war, wünschte der Helm dem neuen Bauer die Scheuer voll Körner, den Stall voll Hörner und die Stube voll Kinder, legte die Axt auf die Schulter und trollte sich, das eigene Dach sich aufzurichten.

Der Gnad hängte an einen Ast der Hausbuche ein Brett und schlug mit einem Knüttel daran, dass es weithin hallte. »Das ist unsere Glocke«, sagte er.

Betend schritt er mit den Seinen um die neue Heimat.

Die Sonne brach aus dem Gewölk und legte einen warmen, heiteren Schein auf die Stätte und heiligte sie.

*

Der Helm stammte aus einer arbeitswütigen Sippe. Sein Vater, selber so stark, dass er einen beladenen Wagen bergauf ziehen konnte, hatte sich gerackert bis zu seiner Hinfahrt: am Acker hatte ihn der Schlag getroffen, sein schwerer Leib hing im Pflug, den die Ochsen zogen, und riss noch im Tod eine Furche auf.

Der Helm hatte acht Jahre lang an seiner Mutter getrunken und war davon ein so kräftiges, stierknochiges Kind worden, dass er die Nährerin hinwarf, wenn sie unwillig dem Nimmersatt die Brust weigerte, und also die Überwältigte austrank.

Er war ein Mann worden, markig wie eine gesunde Buche, sein starker Leib bedurfte der Arbeit ebenso wie des Brotes. »Die Schultern waren ihm vor strotzender Kraft fast bucklig, aus dem verwitterten, stoppeligen Gesicht schwollen dicke, rote Lippen, stachen blitzblaue Augen.«

Er lebte einschichtig. Sein Sohn war vor Jahren mit den Trossbuben durchziehender Truppen davon, das Weib war ihm in den riesigen Armen zerbrochen. Er hatte nimmer gefreit: er brächte eine andere auch noch um, fürchtete er. Und schließlich habe er schon für den Stichenteufl zu sorgen.

Der Utz Stichenteufl war ein Soldat, der beim Helm als Knecht einstand, als ihm das Regiment den Laufpass gegeben. Herr und Knecht fügten sich trefflich zueinander.

Der Bauer zimmerte vom äußersten Morgen oft bis nahe gen Mitternacht an seiner neuen Heimat, und das bunte Bäumlein prangte bald am First des Dachstuhles.

Einst in grauer Frühe schleppte nun der Helm Steine, die Bretter des flachen Daches zu beschweren. Mit nacktem Oberleib, die Beine in kurzen, bockshäutenen Hosen, die mit hirschenen Riemen befestigt und unterhalb der Knie gebunden waren, schaffte er vor der Hütte, indes der Knecht gähnend auf der Schwelle hockte.«

Auf der schmalen, wiesigen Fläche vor dem Blockbau knapp vor einem Abhang lümmelte sein mannshoher Stein, grau und von weißen Adern durchflammt. Den packte der Helm heute an. »Stein, du verschändest mir die Peunt (Hauswiese). Trutz mich fit an und weich aus!«

Er lehnte die breite, haarige Brust an den Stein, umfasste ihn und suchte ihn zu rücken. Doch wie sich auch die Kraft in den schwellenden Armen spannte, der Fels rührte sich nicht.

Keuchend rief er den Knecht zu Hilfe.

»Spann den Stier ein!« riet der.

»Den muss, ich schonen. Er soll heiraten.«

»So lass den Stein liegen, wenn du ihn nit hebst.« »Du tust den lieben Tag keinen Handstreich«, schalt, der Helm. »Her zu mir, heb dich!«

»Ich hab mich schon genug umgetan«, maulte der Knecht, »hab Kriegsdienst getan päpstlich, schwedisch, krobatisch, lutherisch, auch deutsch, bin mit dem eisernen Brustfleck getrabt jahraus, jahrein. Jetzt möcht ich gern meine Ruh genießen.«

»Schanzen hast du gebaut aus Leberwurst und Sauerkraut«, polterte der Bauer, »voller Läus und in verfaultem Rock bist du aus dem Krieg kommen. Wer hat sich deiner erbarmt? Wann ich nimmer bin, gehst du, wieder in Fetzen und Läusen.«

»Der Herrgott lasst mich nit fallen«, grinste der Abgedankte.

Des Helm Brust stemmte wieder gen den Fels, der Schweiß rann ihm über die Nase. »Du Teufel bist auch eisern«, lechzte er.

»Zwing ihn mit dem Hebebaum, mit Schlägel und Keil!« riet der Stichenteufl gemächlich.

»Was?!« grollte der Riese. »Mit dem Leib allein will ich ihn bewältigen, ehrlich raufen will ich, Kraft gen Kraft. Ich bin selber ein Hebebaum. Ich will ihn nit duckmäuserisch aus seinem Bett heben, den Ungeschlacht. Er wehrt sich auch ohne Waffen.«

»Wenn er aber eingewachsen ist?«

»Dann brech ich ihn vom Berg herunter.«

»Du kannst es wagen, Bauer, schlagst sieben tot.«

Der Helm unterhandelte. »He, Gevatter Stein, dreh dich einmal um! Der Bauch muss dir schon weh tun, liegst schon so lang darauf.« Er brüllte den Fels an, wie einen Gehörlosen. »Verdrießt dich das Nixtun nit, du steinerner Stichenteufl?«

»Hoho schimpfier mich nit!« murrte der Knecht. »Heut bin ich zeitlich genug aufgestanden.«

»Du machst schon Feierabend, wenn du aus dem Bett steigst.«

Der Stichenteufl gab es gütlich zu. »Nixtun tu ich gar so gern. Und ein jeder hat nit das Geschick zur Arbeit.«

»Dürstet dich nit, Stein?« redete der Helm dem Widersacher zu. »Geh trinken, das Wasser ist gut. Unten rinnt ein frischer Guss, rodel hinab das Bühel! Und sorg dich fein, dass dir die Mooshaube nit fortschwimmt!«

»Red ihm gröber zu, Bauer! Auf einen harten Ast gehört ein starker Keil.«

»So spring mir bei, Utz!«

Der Knecht, zu faul, die Finger aus dem Sack zu ziehen, wies mit dem Fuß in die aufgehende Sonne. »Wenn das Licht scheint, kann ich nit arbeiten: ich bin sonnsüchtig.« Er ließ den Mund offen und schloss träg die Augen.

»Her zu mir, oder der Donner zerschmeißt dich!« brauste der Bauer ihn an.

Langsam streckte sich der Knecht.

»Geschwinder!« brüllte der Helm. »Hast du die Hachsen bis zum Knie zusammengenäht?«

»Arbeit ist eines Soldaten nit würdig«, sagte der Stichenteufl und schüttelte den schmalstirnigen, breitschläfigen Schädel. Der Krieg hatte ihm das Gesicht zerfetzt. Nun füllten sich die Schmarren mit Schweiß, noch ehe er die Arbeit anging: der bloße Gedanke an einen Handgriff trieb ihn in Schweiß.

Doch als er wehmütig die Hand an den Stein legte, packte ihn der Bauer.

»Weh! Lass aus !« ächzte der Knecht. »Du hast Finger aus buchsbaumenern Holz.«

Des Helm schlehenblaue Augen blitzten. »Greif mir meinen Stein nit an, du Stümpler! Der Stein gehört mir.« Mit dem fecht ich mir es schon selber aus; ich und der Stein, wir brauchen keinen dritten. Du Faulpelz verdienst überhaupt nit, dass du arbeiten darfst.«

»Hab keine Not!« erwiderte der Stichenteufl fröhlich. »Ich hör willig auf. Die Seiten stechen mich schon von der Plage, ich mag die Milzsucht fit kriegen. Pack den Stein nur wacker an! Frisch von der Leber ist halb gefochten.«

Nun schmiegte sich der Helm mit dem Rücken unter den Fels; er kauerte und drängte in wütender Lust, die Schulter zum Bersten voll Kraft. »Dich heb ich aus, deiner werd ich Herr!«

»Du arbeitest nit, du raufst«, staunte der Knecht. »Wenn du es so unbändig treibst, lebst du nit lang.«

»Ich mag nit lang leben«, ächzte der Riese. Die Brust bidmete ihm, die verkeilten Zähne öffneten sich zuweilen zu einem Keuchen oder zu einem Fluch. Das Rückgrat brach ihm fast.

Aber der Stein rückte nicht, und besiegt ließ der Dränger ab. –

*

Die Sonne lungerte faul am Himmel, die Luft war schwül und reglos, und der Gießvogel wieherte.

»Heut gewittert es zum ersten Mal«, dachte der Stichenteufl und erhob sich, vom Sitzen auszurasten und lehnte sich an die Wand.

Ein ferner, heller Lärm ward laut: die hölzerne Glocke des Gnad.

»Sonntag ist.« Der Knecht schlug fromm die Augen auf. »Der Sonntag soll geehrt werden, drei Tag vorher, drei Tag nachher sollt man nit arbeiten.«

»Du feire, wie du willst. Deine Seele lad ich nit auf mich«, erwiderte der Helm. »Ich nehm der Feiertage nit in acht.«

»Es gibt Flüsse, die stehen am Sonntag still, Bauer. Vieh, das am heiligen Tag geackert hat, ist bis an den Bauch in die Erde einbrochen.«

»Für die Wildnis gilt ein besseres Gesetz, Knecht. Die Brunnen setzen am Sonntag nit aus, Vögel und Ameisen bauen fleißig weiter, die Sonne geht auf und zu. Und ich sollt die Hände auf die Knie legen? Herrgott, das kannst du fit verlangen!«

Lachend kroch der Helm mit einer Tracht Steine auf das Dach und legte die silbrigen Gewichte auf die Tannenbretter Heute wettert es zum ersten Mal, da musste er das Dach beschweren, dass es der Sturm nicht nähme. Er glich einem Zauberer, der spielerisch seinen flimmernden Hort an die Sonne legt.

Vom First sah er weit. Wo das Seeloch düsterte, rauchte es, und eine graue, wetterträchtige Wolke brütete über dem Gewänd. Die Luft war saumselig und seltsam milchig. »Wenn sich das Wetter im Tal verfangt, kriegt es keinen Ausweg«, ahnte er. »Das Tal ist eine Mausfalle.

»Der Donner schlagt dich vom Dach«, warnte der Knecht.

Langsam wuchs eine zweite Wolke hinter der Seewand auf. Als sie die graue Feindin gewahrte, schleuderte sie ihr einen Blitz in den Bauch. Diese ergrimmte und brüllte, dass das Gebirg bebte.

»Das ist recht!« jauchzte der Helm und sprang vom Dach.

»Sie werden raufend der Herrgott und die Herrgottin«, raunte der Knecht erfahlend. »Wie das rumpelt! Und zünden tut es. Schier den Schwefel schmeckt man.«

»Fürchtest du dich, Soldat?«

»Mich schreckt kein Wetterschlag mehr«, beteuerte der prahlerisch. »Stürme hab ich erlebt, da haben sich die Kirchtürme gebogen wie Felberstauden. Im Eisregen bin ich wochenlang marschiert, die Schlossen sind gefallen schier mühlsteinbreit, die Toten hat es aus den Gräbern geschlagen. Der Wallenstein selber, der stumme Hund, hat verhofft, der Jüngste Tag bricht auf.«

Nebel krochen aus den Wäldern, woben und warben, vereinten sich zu einer unheimlich träge treibenden Bank, welche die Tannen verhüllte, dass sie unbestimmt und vergeistet grauten und sich im Dampf lösten. Dabei regte sich kein Lüftlein. Aber die Blitze wurden flügge, schossen hin und her, und ein rasendes Krachen erschütterte das Tal.

Der Helm wälzte sich bei den ersten Donnerschlägen auf dem Boden und dehnte und reckte sich und schmiegte den nackten Rücken an die Erde.

Den alten Soldaten schauderte es, wie er den Riesen, der im Nebel ungeheuer erschien, sich wälzen sah. Die erwachenden mächtigen Erdkräfte schienen in den mächtigen Leib zu kriechen. Es ist ein Hexenwerk, und darum ist der Helm siebenmännerfest. Und wie er jauchzte und grölte, und wie der Donner, der Folterknecht, darein stimmte und die Nebel faul und dick daher flossen und nicht wussten wohin!

Unausgesetzt schwoll und toste der Lärm, als schlügen tausend Trommler Parade, die Blitze durchschlugen den Nebel. Doch kein Tropfen fiel.

»Es vertobt nit«, bangte der Knecht, »es kann nit aus dem Wetterkessel. Der Bauer ist besessen. Und ich fürcht, der Blitz erschießt mich.«

Hastig flüchtete er ins Haus und steckte den Kopf ins Stroh, nichts zu hören und zu sehen.

Der Helm aber rollte sich zu dem Stein. »Das Wetter hat mich erfrischt«, sagte er, »und einer von uns muss nachgeben, ich aber nit.«

Wieder stemmte er sich und drängte und drückte den Block an sich, als wolle er ihn zerquetschen, indes der Welken schwerer Orgelton den Zweikampf begleitete. Wieder musste der Mensch weichen.

Missmutig stieg er in den Wald, der den Hang hinunter strüppte. Die ungestillte Kraft war in ihm wach, sie zuckte in seinen Sehnen, quälte und wollte sich entladen. So brach er sich bärenhaft mit dem Leib Wege ins Dickicht, die nicht notwendig waren; so hob er zwecklos Felsentrümmer und schleuderte sie von sich. Seine Plage hatte kein Ziel und schien ihm das Spiel zu ersetzen. »Er hat die Kraft, aber nit das Hirn dazu«, hätte der Schreiner einmal von ihm gesagt.

Die Bäume des Hanges waren von der Säge bis ins Mark hineingeschnitten, aber die Todgeweihten grünten still und ahnten nicht den nahen Untergang. Der Riese schnob mit bösen, funkelnden Blicken an ihnen vorbei. –

Nach stundenlangem Getös tat sich der Himmel wieder blau und friedlich auf.

Da brachte der Helm vier breite Leitern, daran er lange gezimmert hatte, verklammerte sie miteinander und befestigte sie im Haus über dem Herd, verflocht die Sprossen dicht mit Ruten und verpichte sie inwendig mit Lehm.

Gerade als die Sonne sich setzen wollte, kamen der Schreiner, der Gnad und der Diller und betrachteten seine Arbeit an dem Rauchfang.

Nun erst zog sich der Helm feiertäglich an: am Rock baumelten ihm bleierne Knöpfe. Seine Gewänder mussten gewichtig sein, dass er sie spüre.

Der Diller entdeckte den Knecht, der mit verschränkten Beinen im Moos lag.

»Der rührt sich nit, und wenn der Blitz in ihn einschlägt«, lachte der Helm.

Der Diller spuckte aus. »Du bist wohl gar stolz auf den Nixtuer?«

Der Stichlteufel zwirbelte sich den Schnauzbart. »Zwanzig Jahr bin ich in Leibesgefahr gewesen in Sturm und, Laufgraben. Ihr seid Bauerntrampeln, ich bin ein mannlicher Soldat.«

»Du bist nit wert, dass du Hände hast«, sagte der Schreiner angewidert.

»Mir behagt er«, trotzte der Helm, »er nimmt mir die Arbeit nit weg. Daheim haben sich die Leut in meine Arbeit gemischt.«

»So ein Bärenhäuter ist ein Unheil für die Nachbarn«, sprach der Diller und schoss einen giftigen Blick nach dem Knecht. »Ein Bauer in Jenewelt, ich nenn ihn nit, der hat sein Getreide drei Jahr nit ausgedroschen, da sind ihm die Mäus zu Tausenden darein gewachsen. Das ganze Dorf hat bald voller Mäus gewimmelt: auf den Kühen sind sie getanzt, in den Suppen geschwommen, sie haben die Leut im Bett gebissen und Löcher gefressen in die Kapellenheiligen. Es ist nimmer zu leben gewesen in Jenewelt. Drum bin ich davon.«

Der Stichenteufl grinste. »Du lügst, du schmächtiger Zwerg! Der Neid hat dich in die Wildnis gebracht, nit die Mäus. Du hast dem lieben Nächsten die Felsen und die Strünke im Eisenwald verneidet, hast auch deinen Teil davon begehrt. Und ein großer Bauer willst du sein. Daheim bist du nur ein Dürftling gewesen, hast nur eine blinde Geiß auf der Streu gehabt und eine dreckige Kuh. Wie der Herr, so das Vieh. Pfui Teufel!«

»Dreck wärmt«, widersprach der Diller hitzig. »Dem Vater sein Vater hat sein Vieh auch nit alle Tag gebadet. Alten Brauch muss man ehren. Was allweil so gewesen ist, soll allweil so bleiben.«

»Bei dir möcht ich nit dienen«, fuhr der Stichenteufl fort. »Du bist, derselbe, der seinem Knecht das Fleisch an einen Strick bindet und es ihm wieder aus dem Magen reißt, wenn er es verschlungen hat.«

»Du Windkopf, was beißt du in mich?« zischte der Diller. »Red ehrfürchtiger, mit einem Bauern!«

»Ich bin imstand und stoß einem das Eisen bis ans Kreuz hinein«, grölte der Knecht und packte sich beim Bart.

Der Diller ließ sich nicht einschüchtern. »Der Herr rackert sich zu Tod, der Knecht verfault. Ein sauberer Weltlauf! Zu wenig und zu viel verdirbt alles Spiel. Pech sollt man dir auf dem Buckel anzünden, du Unflat, du tätest rennen.« Wütend riss er sich die schäbige Hasenfellmütze vom Kopf, warf sie auf den Boden und hob sie schleunig wieder auf.

»Es ist wundersam, der Faule findet allweil einen, der doppelt für ihn schafft«, sagte der Gnad. »Der Herrgott und der heilige Peter haben einmal im Wald um Hilfe schreien hören. Sie rennen hin und finden einen Knecht, der liegt an einem Wasser und jammert: ‚Ich verdurst, ich verdurst!' ‚Sauf! Es stoßt ja neben dir der Brunnen auf!' meint der heilige Peter. ›Ich kann nit‹, schreit der Knecht, ›ich bin zu faul!' Hernach kommen die zwei heiligen Leut zu einer Wiese, mitten drin ist eine stracke Dirn gestanden, die hat rüstig gemäht, dass das Heu geflogen ist. ›Der musst du einen fleißigen Mann verschaffen‹, meint der Peter. Aber der Herrgott schmunzelt unter seinem Bart: ›Die kriegt den faulen Knecht am Brunn.‹ ›O mein treuer Gott, was fangst denn du an?‹ ruft der Peter erschrocken. Erwidert ihm der Herrgott: ›Sonst müsst der Knecht verhungern.‹«

»Richtet mir den Utz nit so her!« bat der Helm hilflos. »Er ist einmal so gewachsen, er kann nix dafür.«

Der Schreiner sagte: »So ein Goliath bist du, Nachbar, und zwingst nit einmal das Knechtel zur Arbeit. Und du, Stichenteufl, merk dir: Wer nit arbeitet, muss betteln oder rauben.«

Der Gnad sann über den dunstenden Abendwald hin und begann halblaut: »In der Heiligen Schrift steht: Achtet auf die Lilien im Feld, sie arbeiten nit, sie spinnen nit. Aber der König Salomon in seiner Herrlichkeit war nit gekleidet wie eine von ihnen. Schaut die Vögel in den Stauden, sie säen nit, sie fechsen nit, sie sammeln nit in der Scheuer, der himmlische Vater nährt sie.«

Der Helm staunte. »Hat das der Herrgott wirklich gesagt? Da schmeiß mich der Blitzkeil! Da ist also mein ganzer Schweiß ungültig?«

»Gnad, sag den schönen Spruch noch einmal!« kicherte der Stichenteufl. »Alle sollen ihn hören.«

»Sechs Tag hat sich Gott mit der Schöpfung gerackert wie ein Ross«, geiferte der Helm, »und jetzt plaudert er so daher?!«

»Den Spruch hab ich nie verstanden«, sagte der Schreiner. »Ich glaub, jeder Mensch sollt für hundert Jahr im voraus sorgen. Und das dritte Gebot sollt lauten: Heilig ist der Werktag.«

»Du redest recht«, rief der Riese. »Der Heiland ist selber ein Zimmergesell gewesen. Warum erzählt die Schrift nit, wie er mit Hobel und Winkelmaß geschafft hat? Da heißt es, er hat vom Berg, und vom Schiff aus gepredigt. Warum denn nit, wie er mit der Hacke in der Hand vom Dachstuhl herunter, wo er zimmert, die Leut bessert und zu den acht Seligkeiten die neunte sagt: ‚Selig, denen der Schweiß aus der Achsel tropft, ihnen gehört das Himmelreich!'«

»Bauer, du passt nit in den Himmel«, lachte der Stichenteufl. »Mit deinem groben Griff brichst du den Engeln den Flederwisch und der Muttergottes den goldenen Schemel, und die paradeisischen Palmen reißt du aus den Wolken.«

»Eine Arbeit müsst man mir schon zukommen lassen droben«, sorgte der Helm.

»Mein Bub, der Wendel« hat dir zugeschaut, wie du die Bäume zu unserm Haus getragen hast, Helm«, sagte der Gnad. »Und in der Nacht drauf träumt ihm, du bist der Ries, der den Sternhirnmel dreht.«

»Ja, mich freut ein schweres Werk«, gestand der Helm. »Daheim in Haidl hat es mich nimmer gelitten: da waren die Steine schon aus dem Acker geklaubt, die Wiesen eben, der Wald weit auf den Berg hinauf abgestockt. Der Vorfahr hat schon das meiste besorgt. Wohin ich gegriffen hab, überall ist schon eine Hand daran gewesen, die Ordnung geschafft hat. Ich hab gar nix Eigenes mehr tun können, hab nirgends mehr rechtschaffenen Widerstand gefunden, nit beim Holz, nit beim Stein, nit beim wilden Vieh. Aber jetzt! Da schaut die wilden Wurzeln an! Die Felsen! Die Berge, dick mit Holz bewachsen! Das ist eine Lust!«

Er packte jäh Keil und Schlägel und schrie die Bäume an, die den Steilhang abwärts wuchsen: »He, alter Wald, der Helm, ist da!«

Jetzt merkten die Bauern die Sägschnitte in den Bäumen, und darein trieb der Helm den Keil.

Da stürzten die Stämme talwärts, schlugen wuchtig auf die tiefer stehenden Genossen, rissen sie mit in ihren Sturz, und diese pflanzten dröhnend den Untergang fort bis zum letzten Baum an der Talsohle. Schreiend flohen die Vögel aus den sinkenden Wipfeln, die eine einzige rasende, grüne, verebbende Woge waren. Die Erde bebte, das Tal rauschte auf. Ächzend, wie vom Sturm erfasst, aneinander splitternd, an Felsen knickend, sanken die Bäume, sank der Wald.

Dann offenbarte sich ein schweres Schweigen, und über dem unlösbaren Wirrwarr des Niederbruches enthüllte sich ein neues Landschaftsbild.

Wälder glitten in den Abend hinein, ein Bach schimmerte, und zu äußerst zeigte sich der Falkenstein mit seinem borstigen Felsenhorn.

Der Waldtöter aber stand mit heulendem Lachen vor seinem gewaltigen Vernichtungswerk und reckte die Arme nach den Wäldern, die sich neu zur Schau boten.

*

Die wilden Tiere kamen aus den Höhlen und Dickichten, die Waldsterne stiegen.

Der Diller ging heim. Die Augen heftete er fest auf den Steig, die Irrlichter sollten ihn nicht in den Sumpf hänseln. Den Kienbrand hielt er vor sich, streifende Bären abzuschrecken.

Verfaulte Strünke glommen düster, der mit verwesendem Laub verhüllte Boden leuchtete. Einer Eule Bernsteinaugen glühten den Bauer an. Irgendwo im Moorwasser planschte etwas Vierbeiniges.

Ihn schlotterte das Herz. Trabte nicht einer vor ihm? Er hielt inne, hob das hellende Windlicht und spähte aus.

Ein Gaukelspiel, verwirrend, unheimlich, begann im unruhigen Licht: Starres löste sich aus der Ruhe, Totes belebte sich, Steine nickten und wackelten, Stämme rissen sich auf, drohten den Wanderer zu verschlingen, und schlossen sich. Astwerk tastete nieder. Wurzeln regten sich, züngelten und krochen weiter, Sümpfe wallten. Der Kienspan knackte und knisterte.

In unschlüssiger Angst stand der Diller vor einer verzerrten Eiche; die Löcher, daraus die Äste gefault waren, glichen schwarzen Augen. Und wie er den Baum ansah, empfand er plötzlich, dass auch die Eiche ihn anstierte mit einem Blicke, der immer tolleres, furchtbareres Leben gewann. Da fühlte er des Grauens würgenden Schmerz an der Kehle, und um nicht zu ersticken, rannte er querein in die Wildnis.

Ihn hemmten die verhangenen Kronen von Bäumen, die samt den Wurzeln aus dem Grund gehoben lagen. Halbgesunkene Tannen wankten, aneinander lehnend, und bedrohten ihn mit ihrem Niedersturz. Oft versank er in Moder in moosverhüllte Spalten oder in faules Stammholz, und da ekelte ihn, als trete er in ein verwesendes, gärendes Tier.

Plötzlich rief ihn einer an. »Daher! Daher!«

Er erschrak, als stürze er in eine Wolfsgrube, und kehrte sich auf die entgegengesetzte Seite zur Flucht. Er trat in eine tückisch verborgene Quelle und glitschte an einer glatten Felstafel aus. Als er sich aufrichtete, riss ihm ein Unheimlicher den Kienbrand aus der Hand und schleuderte ihn in den Tümpel, wo er verzischte.

Mit zerschundenen Gliedern keuchte der Diller durch den Wald, um einen himmlischen Wegzeig betend und in namenloser Angst, er müsse morgen als zerrissenes Fleisch am Zaun hängen.

Als er wieder sich seiner selbst besann, watete er bis an die Knie im Moor, und eine Gestalt, deren Haupt ein fahler Schein entglomm, bot ihm die Hand.

Des Waldschrecks grässlichstes Gelächter erwartend, stammelte der Diller: »Du verkutteter Bergteufel, du willst mir den Hals verkrümmen, dass mein Gesicht ins Genick schaut und ich also leben muss jahrelang!«

»Steig heraus, Bauer«, lud ihn das Gespenst ein und rückte den glimmenden Hut.

»Ha, du bist der Zachreis! Aber dein Kopf leuchtet. Was ist das? Ich muss das wissen, ich kenn mich nit aus.«

»Faulholz hab ich mir in die Haube gesteckt, Bauer, für eine Latern.«

Da kroch der Diller aus dem Moor.

»Die Leuchte hat mir einer genommen, da hab ich mich nimmer verwusst in der Pechfinsternis. Nit geheuer ist es da. Wer weiß, wie viel Teufel daher verwunschen sind. Am liebsten tät ich zurück nach Jenewelt. Ich hab genug. Die Zehen hab ich mir verstolpert, Hand und Gesicht sind voll Blut und Schlamm, das Knie ist mir zerschlagen.« Der Diller klagte sich außer Atem.

»Tröst dich, Bauer, wir sind jetzt auf dem rechten Steig.« Der Knecht wies ein rostiges Pistol vor. »Geladen ist es dreißig Jahr lang, seit der Krieg währt. Ob es noch losgeht, weiß ich nit.«

»Zachreis, ob mich der Eisenmann versprengt hat?«

»Wenn er einen moosigen Scheibenhut aufgehabt hat, ist er es gewesen. Die Frena sagt, er hat Hörner wie ein Geißbock aber hinten heruntergebogen bis zur Ferse. Einen Schurz tragt er, ein stinkendes Luchsfell.«

»Erzähl das meinem Weib nit!« beschwor das Bäuerlein den Knecht. »Sie fürchtet sich im Eisenwald. Auf den Firm ist auch kein Verlass, der ist übelhörig, hört keinen Donnerstreich, und wann per vor ihm niederschlagt. Und die ganze Nacht schlaft er, er dreht sich nit ein einziges Mal um im Schlaf, der Fraß. Ja, Zachreis, verraten und verkauft sind wir in der Wildnis.«

Der Knecht nickte. »Daheim hat der Mondschein so mild gebrannt. Aber da schaut er wild und scheusam her. Und oft fürcht ich, ein Wolf redet mich an mit menschlicher Stimme.«

»Froh bin ich, Zachreis, dass du mitgehst. Zwei Leut sind allweil mannhafter als einer. Aber dort lichtelt es schon aus meiner Einöd. So behüt dich Gott!«

»Halt, aus, Diller, ich hol mir von euch den Langbohrer. Wir bohren ein Brunnenrohr.« »Du hättest sollen bei Lichten kommen. Wir haben so viel Sachen, da wird sich der Eiger lang nit finden.«

»Du mit deinem Geraffel!« spottete der Knecht. »Da hast einen Gänsstall für ein Bett und einen Igelbalg für eine Zudeck.«

Der Diller zog eine säuerliche Miene, sagte aber: »Du solltest dem Schreiner aufkünden, bist ein brauchbarer Knecht. Bei mir hättest du es besser. Und der Firm taugt mir nit, der hat einen argen Fehler: er kann fit aufhören bei der Schüssel. Er frisst noch den Arber auf. Das wurmt mich.«

»Die grobe Luft im Gebirg zehrt halt, Diller. Hunger kriegt man davon. Ich auch.«

»Wenn ich mir einen geringen Bissen vergönn, so reut es mich. Er herentgegen legt sich breitmächtig in die Schüssel. Der Firm frisst uns noch einmal auf. Oft könnt ich dem wüsten Frissaus die Schüssel samt der Suppe auf den Schädel schlagen. Ich kann ihm nimmer zuschauen.«

»Er ist schwach in Gedanken, dein Knecht. Du musst nachsichtig sein.«

»Hat einer mit uns Bauern Nachsicht?« ereiferte sich der Diller. »Wie auf ein Ross schlagt alles auf uns los. ›Bauer zahl, Bauer schaff!‹ schreit Kaiser, Schwed und Pfaff.«

»Jetzt habt ihr fünf Freijahre, braucht kein Schmalz zu zinsen, nit zu fronen.«

»Dafür sitzen wir in der großen Bärengrube!«

»Vergönn dem Firm die Mahlzeit!« hub der Zachreis wieder an. »Sei froh, dass du den Stichenteufl nit gedingt hast, der, ist zu faul zum Niederlegen, er fallt um wie ein Baum, gerad pumpern tut es.«

»Dem, tät ich es schon ins Ohr trillern! Mir gefallt überhaupt die Wirtschaft am Heimhof nit: der Bauer tut, als wollt er die Berge wurzaus vertilgen; den Wald reißt er weg, als wenn er über Nacht wachset. Mir ist leid um das Holz.«

»Holz hat keinen Wert«, entgegnete der Zachreis. »Holz ist Unkraut, man muss es jäten.«

Vor der Einöd hockte feierabendlich der Firmian und gähnte. Die Bäuerin leuchtete aus der Tür heraus die zwei an.

»Heilige Mutter Anna!« zeterte sie. »Wer hat dir das Gesicht blutig gerissen, Bauer?«

Der Diller schrie seinem Knecht ins Ohr, er solle den Langbohrer suchen, und schlüpfte ins Haus. Sein Weib schob ihm Brot und Speck hin; er ließ sich auf einen Holzklotz nieder, legte sich das Brot aufs Knie, denn ein Tisch war nicht vorhanden, und aß hastig den glashellen Speck.

»Feist macht wieder feist«, murmelte das dürre, verkauzte Bäuerlein dazu und schnalzte behaglich.

Sie fuhr mit langen, schiefen Zähnen böse gen ihn los. »Schwatz nit, tummel dich! Sonst kommt der Firn und schaut auch, als ob er ein Trumm Speck begehret. Uns tragt es das nit. Wir sind kleine Leut.«

Stracks schob der Diller den Speck in die Tasche, denn der Firmian trat ein. So schlecht dieser hörte, so trefflich witterte er mit der knopperigen Nase, die Nüstern zitterten ihm, und ein schüchternes Lächeln bat um Speise.

»Knödel sind noch da von der Reise«, knurrte das Weib. »Dein Gebiss ist scharf, du zwingst sie schon noch, du Übelhöriger!«

Ergeben empfing der Knecht auf einem Brett die schwarzen Knödel, nahm die Kappe ab, die aus braunem Baumschwamm war, und zog mit dem Daumen drei unförmige Kreuze über Gesicht und Brust.

»Das heilig Kreuz sei unser Tisch,
Die drei Nägel unser Fisch,
Das rosenfarb Blut unser Trank.
Wir sagen dem Herrgott Lob und Dank.«

Unwirsch und abgewandten Gesichtes bot die Bäuerin ihm ein geringes Brot hin. Er wog es scheu in der Hand, dankte und sagte sanft: »Es ist ein recht geschmeidiges Stückel.« Dann versuchte er einen Knödel, aber seine Zähne knirschten von der kieselharten Speise ab. Nun zog er sein Messer und teilte das Mahl mit Gewalt.

Unverwandt und streng blickte der Diller den Esser an; dessen Zähne schrammten und knisterten, die Kiefer klafften und schlossen sich, der Hals schlang. Der Knecht aß mit dem ganzen Kopf, mit dein plumpen, breiten Schädel.

Der Zachreis wartete mit dem Langbohrer an der Tür und schaute zornig zu; plötzlich tappte er auf das Brett, packte zwei Knödelspalten und schlug sie gegeneinander. »Ob sie Feuer geben?«

Dann schalt er: »Der Firm ist mit euch in die Wildnis gangen wie ein Hund mit. dem Herrn. Dafür lasst ihr ihn Steine kauen. Ihr zwei gäbet Gott und seinen Heiligen kein Brösel Brot, wenn sie vor eurer Einöd bettelten.«

»Im Eisenstein sind nur magere Geißweiden«, quarrte die Bäuerin. »Die Fechsung wird oft fehlschlagen, Fröste werden einfallen im Mai, im Sommer werden die Eiszapfen vom Dach hängen. Da soll man nit unmäßig essen!«

»Regnen wird es, wann das Korn staubt, die Ähren werden blind sein«, fügte der Diller trübselig hinzu. »Das Brot wird spärlich werden.«

Er konnte den Firmian nimmer essen sehen, der Groll wuchs ihm aus dem Hals heraus. Er höhnte den Knecht an: »Iss nur fleißig! Jetzt hast du schon den dritten Knödel. Du vertragst viel.«

»Ein bisschen milder sollt sie sein, die Speis«, murmelte der Firmian treuherzig. Er hatte den Spott nicht erfasst.

»Das Maul hat er voll, er kann nit ›Pfaff‹ sagen«, zischte der Diller.

»Spreng dir nit die Schnalle, es wär schad um den Hosenriemen!« schrie die Bäuerin den Knecht an.

»Ja, ja«, erwiderte er, weil ihm sonst nichts einfiel.

»Die Ohren hat er zottig wie ein Luchs«, keifte sie. »Reiß dir die Haar aus dem Gehör, dann hörst du besser.«

»Ein jedes hat seinen Fehler«, sagte der Zachreis scharf. »Da hat in der Wolfau eine Bäuerin ihrem Hütbuben nur Kraut und niemals Knödel geben. Der Bub ist gestorben. Einmal geht sie durch den Wald, da sitzt auf der Staude ein schneeweißer Vogel, der schreit: ›Bäuerin, du hast mir keine Knödel geben. Ich bin der Hütbub, der Seppel.‹«

Der Firmian griff einen neuen Knödel an.

»Halt aus, du frisst dich zuschanden!« geiferte der Diller, gelbe Ringe um die Augen, und riss ihm das Brett weg. Der Knecht hatte Tränengruben wie ein Hirsch, die füllten sich mit Wasser. Die ungelenke Seele empfand, dass sie gedemütigt ward.

Der Zachreis ergrimmte: »Und du Neidkragen willst mich als Knecht dingen?!«

»Bleib nur beim Schreiner!« keifte die Bäuerin. »Der kann seine Dienstboten leicht füttern, dem geht es allweil besser als uns andern. Alles, was wachst, will in seine Scheuer. Die Reihe ist allweil an ihm. Kein Schweifel Vieh wird ihm hin. Wir andern können das Maul auftun und zuschauen.«

»Neid, du tust dir selber leid«, sagte der Zachreis.

Wütend hielt die Dillerin dem Firmian den schimmligen, zerschluchteten Laib hin. »Bei uns ist noch niemand verhungert«, entgegnete sie scharf.

»Aber nit zu tief hineinschneiden!« schrie der Bauer. Er konnte sich nicht halten.

Schweren, traurigen Blickes sah der Knecht seinen Herrn an, dann wies er mit der Gebärde des Verzichtes das Brot zurück. »Schönen Dank!« sagte er scheu.

»Bei euch bleib ich nit«, brüllte der Zachreis, »da geht es zu neidig her!« Er stieß die Tür auf und ging.

»Weil du nur einmal hinfahrst, du kropfeter Ding du !« kreischte die Bäurin ihm nach.

Er tappte zornig durch die Nacht, den Bohrer wie einen Fühler vor sich streckend, ob fester Grund vor ihm sei.

Ein schmales Viertel Mond stak im Geäst. Das stimmte ihn wieder gut, und er rückte sein Hütel.

»Mondschein, lichter Mann,
Leucht mir den Kropf an!
Passt er nit schön,
Lass ihn vergehn!
Passt er mir schön,
Lass ihn mir stehn!«

*

Als der wilde Kirschbaum laubte, hob sich aus dem Gewirr behauener Stämme, aus zerschnittenen Pfosten und zerspaltenen Brettern geordnet das Haus und trug ein flaches Legdach mit silbrigen Steinen. In den Einbaum, der unter dem Vordach auf der Gred stand, schoss das urfrische Wasser zum Wohlgebrauch, warf einen frohen Schwall auf und zog silberne Reifen.

Aber die Siedler misstrauten den unbekannten Wassern. Daheim hatten sie alle Quellen gekannt, die Vorsassen hatten daraus getrunken und waren gesund geblieben dabei und alt worden. Wer aber kennt das steinfremde Wasser?

»Im Eisensteiner Wasser schwimmt der Husten«, klagte die Frena und hüstelte. »Ein kalter Brunn ist mein Tod.«

Des Saumers Weib erzählte: »Mein Vater hat einen Trunk getan aus einer kalten Quelle, hernach hat es ihn ausgezehrt, und er hat sterben müssen. Kaum ist er in der Grube gelegen, so hat der Brunn aufgehört zu rinnen. Wie eine Natter hat er ihn in die Zunge gestochen.«

»Das eisige Wasser richtet viel Unheil an«, nickte der Saumer. »Ein Wirtshaus sollten wir bauen, da wär das Leben gesünder und kurzweiliger. Das Wasser vertreibt mich.«

Da sah ihn sein Weib flehentlich an, und er schwieg.

Der Gnad saß auf moosumsponnenem Stein vor seinem Hausquell, der füllig aus dem Boden sprudelte und in hohler Runst flink eine Glanzader dem Hause zuschickte.

Der Wendel randete den Brunn mit Steinen, die glasige, hellkantige Gebilde trugen. Die quellende Flut spielte mit tanzenden, goldenen Körnlein, und Vater und Sohn redeten von den Felstiefen, drin der Brunn wunderbar Wurzel und Wandel hat, und von der Fremde, dahin diese Wellen strebten.

Der Arber mit seinen Zwillingsgipfeln lag blau und gewaltig vor ihnen.

»Der Arber steht mitten im Weltring«, fabelte der Knabe, »von dort droben muss man die ganze Erde schauen.«

Der Gnad wünschte: »Dort droben möcht ich einen Sommer verbringen. Einen Almfleck für eine Geiß, sonst brauchet ich nix. Mein Vater hat einmal von einem Berg aus die goldnen Alpen glühen sehen.«

Der Bauer atmete tief. Hier im Tal stieß der Blick auf Schranken: die Seehöhe, der Spitzberg, der Falkenstein, der Panzer, alle die zottigen Waldkämme engten. Und die Arbeit zog das sehnsüchtige Auge zu Boden:

»Vater, steigt ein Weg auf den Arber hinauf?«

»Vom Eisenwald nit. Ich müsst mir einen treten.« Und träumerisch fuhr der Gnad fort: »Einmal hab ich gewähnt ich werd ein Mönch, der die blinden Heiden lehrt, und werd übers hohe Weltmeer reisen, in die Wildnis von Neu-Indien. Es hat mich gezogen in Länder mit immerblauem Himmel, wo die Leut den Schnee nit kennen und wie Adam und Eva nackend stehen im schwülen Wald, wo das Brot auf alten Bäumen gedeiht und Leuchtvögel wie Funken hängen. Die stolze Insel Peru hab ich aufsuchen wollen, dort ist eine Sonnenkirche aus lauter Gold und die Hindianer rauchen ihren Götzen statt des Weinrauches eine Pfeife Tobak vor. Bub, in die blaumächtige Weite hab ich wollen, hätt das andere Ende der Welt gern gesehen und gern alles gewusst, und jetzt sitz ich da zwischen dicken, strüppigen, weitschichtigen Bergen.«

Der Wendel sah verwundert in des Vaters geisterblaue, entrückte Augen, drinnen die Fernen der Welt träumten.

Der Bauer hub von der Erde zu reden an, wie er sie in der lateinischen Schule hatte kennen lernen; von mitternächtigen Strichen, wo die Sonne nicht zu Gnaden geht; von Bergen, die Feuer und Dampf hauchen; von äthiopischen Meeren, drin Korallen glühen, ein rotes Meermoos; von Ländern auf der andern Seite der Welt, wo die Menschen die Fersen gegen uns kehren und wo man Schneckhäuseln statt des Geldes benutzt. Er erzählte von dem wilden Dromeltier des japonesischen Reiches, von Schlangen, sechzig Schuh lang, die ganze Kühe verschlucken können, von den Persern, die Türme aus Hirschgeweih bauen, von Leuten, die in Höhlen wohnen, wie der Küniglhas und so dumm sind, dass sie von der Zeit nichts wissen, als dass die Sonne auf- und niedergeht und Sommer und Winter einander folgen.

Der Gnad träumte sich aus der rauen Wälderöde weit hinein in mildere Lande, wo der Herbst überschwillt, die Früchte ohne des Mannes Mühe reifen und dem Menschen Zeit gegeben ist, sich seiner Seele zu besinnen.

Plötzlich erwachte er, und wie ein heimgekehrter Meerfahrer staunte er sein Haus an, dessen Eckpfeiler eben ausgrünte, sah er den schlanken, blauen Rauch seines Herdes sich gen Himmel wenden und den Hof mit schrägen Planken gesichert, und er hörte seine Kinder jauchzen und begegnete dem stillen Auge seines Viehes, das den Brunnen umgraste. Da lenkten die verstiegenen Wünsche wieder zur Schollenenge zurück, er beugte sich und trank tief den felsenreinen Schwall, als sollte dies ihn vergessen machen die verweigerte Welt.

Als er den Hebebaum wieder unter eine Wurzel schob, kam seine Schwester Lenora.

»Ich bleib nimmer und ich bleib nimmer«, schluchzte sie. »Der Eisenmann hat dem Görgel das Totenbrett umbrochen. Die Toten haben nit Ruh in dem Land da:«

»Ich schnitz ein schöneres Brett«, beschwichtigte er sie. »Und dem Eisenmann red ich gütlich zu. Keines Menschen Herz ist ganz aus Eisen.«

»Aber mein Bauer ist aus Eisen«, flammte sie auf. »Er hört nit meine Bitte, er will nit aus dem Unheilswald, wo jeder Baum ein reißendes Vieh ist. Einen Narren hat er dran gefressen. Ich lauf ihm davon.«

»Das Weib soll beim Mann bleiben. Bringst du es übers Herz, dass du ihn verlasst?«

Sie entgegnete trüb: »Mein Herz haben sie mit dem Görgel verscharrt.«

»Versünd dich nit! Du hast noch einen Buben.«

»Und hätt ich noch hundert Kinder, das eine vergess ich nit. Weh, wir sind gestraft, weil wir frevlerisch aus der Heimat davon sind! Dort ist es gut gewesen. Alle Nacht träumt mir von daheim. Daheim wär mir leichter. Heim, heim möcht ich!«

Die Flachsfelder der Heimat blauten auf in ihrem Leid.

In einem Jahr bist du eingewohnt, Schwester, und verlangst nimmer weg.«

»Nimmer werd ich da Freud haben! Die Felsen selber täten davon, wenn sie nit eingewachsen wären.«

»Nur kurze Weil halt aus, die Zeit ist Trost!« Ungetröstet ging sie wieder.

Ein Rotkröpfel rief ihr von einer Eibe zu. Traurig erwiderte sie ihm: »Ziri, ziri, Vogel, du kannst leicht lustig singen. Meinen Buben aber hat der Baum erschlagen.«

Der Lenzel kam daher, die Augen in Sehnsucht vertieft. Sie strich ihm das zarte Haar und wusste nichts davon: sie war ganz an den Toten verloren. Eine schwermütige Wolke schattete über den Weg.

»Zeitlang ist mir«, raunte er, »der Görgel sollt bei mir sein.«

Der Schreiner stand mit der Riedhaue vor dem Hof. »Ich hab dich gesucht, Lenora. Künftigmal sag mir, wohin du gehst.«

Sie trotzte. »Ich lauf davon von dem verrufenen Ort.«

»Das tust du nit«, sagte er herb. Er packte die Riedhaue fester. »Den Eisenmann erschlag ich, er wird uns nimmer schrecken. Wölfe und Bären töten wir ab.« Heut Nacht hat der Helm in seiner Grube zwei Bären gefangen. Es wird Friede im Wald sein.« Er wies auf einen Baum, der in Macht und Pracht aus einem gesprengten Felsen wuchs. »Was der vollbracht hat, müssen wir auch zuweg bringen.«

*

Tief im Seewald riedete der Schreiner einen ebenen, wenig besteinten Fleck, der nur mit runzligen, verhutzelten Föhren, schwanken Birken, Lärchen und Wacholderstöcken bestrüppt war. Wenige abgestorbene Bäume leuchteten weiß im Grün wie zerschellter Riesen Gebein.

Zuerst ward das Gebüsch abgetrieben, das zäh ineinander rankte. »Wenn die Blätter vom Zweig reisen, muss der reife Haber schon sausen«, sagte der Bauer und knickte mit Hand und Knie eine junge Eberesche.

Der Zachreis stritt wider eine Kranwitstaude. Das stachlige Ding wehrte sich tapfer, es war wie ein Igel kaum zu fassen und schnellte und schlug zu. »Die Händ hab ich voller Spieße«, knurrte der Knecht.

Auch der Lenzel musste schwenden helfen, er stellte wacker seinen Mann und achtete nicht der Schwielen. Mit den falschen kratzenden Sträuchern fühlte er kein Mitleid, doch die halbwüchsigen, anmutsvollen Bäume erbarmten ihn herzhaft, zumal ihn einmal der Gnadvetter gelehrt hatte, um ein Bäumlein sei etwas Heiliges, und der Teufel könne viel schwierige Künste, sogar Kapellen bauen und das Kreuz auf seine narbige, verbrannte Stirn schreiben, aber ein Bäumlein wachsen lassen, das vermöge er nicht.

So ward ihm bald ein brüderliches Gefühl zu den beilbedrohten Geschöpfen und immer weher ward ihm, je mehr sie fielen.

Als nun der Vater wieder die Axt zückte gegen eine feine seidene Lärche, bat das Kind: »Lass nur das einzige Bäumel stehen! Es ist gar grün.«

»Es muss weg«, sagte der Bauer.

»Was bringst du es um? Es hat uns nix tan.«

»Wegen der Ordnung muss es sein. Es kann nit stehenbleiben mitten im Haberfeld.«

»Es soll aber stehenbleiben!« Trotztränen schleierten des Kindes Auge. »Es will noch wachsen, es ist klein.«

Der Schreiner schob den Knaben ungeduldig weg. Aber der stellte sich schützend vor die Lärche wie vor ein bedrohtes Schwesterlein und bat und bettelte um das grüne Leben.

Da ergrimmte der Mann, dass sich das einfältige Kind eigensinnig seinem notwendigen Werke entgegenstellte, er hob es auf, schüttelte es und setzte es rau auf den Rasen.

In stillen Tränen lag der Lenzel. Er hörte die Lärche sterben und verstand die Welt nicht.

In harten Tagen ward. das Ried geschaffen. Wurzeln, Stauden und Stämme wurden angehäuft und verbrannt, der entzündete Rasen glomm ruhig und träg, schwermütiger Rauch quoll und schweifte durch den Wald. Da düngte sich das Neureut mit kräftiger Asche.

Mit den krummen Riedhauen wühlten die Roder nun den Platz um und ebneten ihn, Weib und Kind zerstampften die ungefügen Erdschollen.

»Der Boden wär feist, aber die Luft tragt den Frost«, meinte der Zachreis.

Schließlich umschränkten sie das Ried mit einem Zaun, es zu schirmen wider des Hirsches Wandel und des Ebers Rüssel. Sie rammten Stützpfähle in den Grund und verflochten sie mit Fichtenwieden, und der Zachreis verschwor sich, er wolle allen Wildsäuen eiserne Ringe durch die Nasen ziehen, dass sie nimmer wühlten.

Nun harrte das Ried eintönig und in brauner Schwermut der Saat.

*

Der Gugu hatte eben den Zaunring um sein Haus fertig, als der Kuckuck zum ersten Mal seinen Schrei aus dem Tann warf. Da feierten Bauer und Knecht, denn es war von alters her bei den Guguleuten Brauch, dass sie Jahrtag hielten, wenn das Vöglein mit dem gesperberten Bauch seine Wiederkehr ansagte.

Walpurgistag war, die Bäume schossten kräftig, die Buchenblätter schloffen hervor, auf den Lichtungen wuchs das Gras. Die Tannen, die die Höhen besetzt hielten, starrten dunkel nieder auf den goldfleckigen Mischwald des Tales. Allerorten laubte und blühte es. Gelbe, weiße und samtbraune Falter besuchten die neuen Blumen und taumelten trunken durch den hellen Kuckucksmond.

Unweit der Einöd wuchs eine mächtige Fichte, ein überragender Wardein des Waldes. Die Wurzeln schlug sie wie Greifenklauen in die Erde, und der Stamm teilte sich in drei Wipfel, die mit weit ausgreifenden, vom Wind gedrehten Ästen bewehrt waren. Diese dunkelgrüne Dreifaltigkeit rauschte allein fast wie ein Wald; wenn alles andere Laub schwieg, sie rauschte immerzu.

In ihre wirren Äste klomm der Gugu empor. Droben schaukelte er müßig, ahmte jeweilen des Gauches Ruf nach, den brünstigen Vogel eifersüchtig zu machen oder die rote Kuckuckin zu narren, und freute sich lauschend, wenn von dem hohen Tönlein das niedere wundersam niedertropfte.

Der Gauch kann leicht juchzen, er hat zwölf Weiber«, murrte der Bauer auf einmal ärgerlich.

»He, Gugu, kitzelt dich der Heiratsgeist?« spottete der Knecht Kirein, der drunten auf einer Wurzel ritt. »Verlang dir die Ehe nit, sie ist ein betrogenes Ding.«

»Bei jedem Kräutel gibt es Mann und Weib«, grübelte der im Wipfel. »Doch im Eisenwald findet der Mensch seine Freude nit.«

Der Kirein entrüstete sich, er litt es nicht, dass man über die Weiber redete. »Heirat erst, bis den Weibern das Maul zuwachst!« krähte er.

»Kirein, ich versteh nit, dass du die deine verlassen hast.«

»Nenn sie nit, sie kommt gerannt«, mahnte der unten. »Ihretwillen bin ich in die Wildnis. Lieber bei den grausamen Tieren als bei ihr! Das Mark schmerzt mich in den Knochen, wenn ich an ihre Stimme denk. Alles Böse hat sie mir tan, Steine hat sie mir in die Stube gewälzt.«

Der Gugu ließ sich aus dem Geäst herab. Er war ein stattlicher Mann, die Brust fest, die Stirn gegerbt von der Luft. Er schleuderte sich neben den Knecht hin und bettete den Kopf ins Moos, das war so lind wie eines Weibes Schoß. Der schwellende Lenz, die Einsamkeit, die Rufe der verliebten Vögel schlugen weckend in sein Blut.

Falter buhlten, maienschwüle Düfte schwemmte der Wind; und ein Viertlein Mond weilte blass und verhärmt am Himmel, als sehne es sich nach einer Mondin.

»Ich halt den Müßiggang nit aus.« Der Bauer schnellte auf. »Wann ich nachts abgerackert ins Stroh fall, ist mir besser.«

»Heut müssen wir feiern«, entgegnete der Knecht. »Morgen gibt es wieder zu schaffen, dann verlierst du die Weiber aus dem Hirn. Der Mooswald wartet schon.«

Er deutete däumlings auf die Wildnis, die sich gegen ein Moor hin erstreckte. Es waren keine guten Bäume, nicht Linden noch Buchen, und weil auch die Axt zu müde arbeitete, wollte der Gugu den Wald brennen. Sie hatten schon eine breite Schneise geschlagen längs der zu sengenden Stätte, damit das Feuer nicht nach der anderen Wildnis übergreife und beschränkt bleibe, und harrten nun des günstigen Windes, der die Flammen dem nassen Moor zutreibe, wo sie versiegen sollten.

Der Gugu lauschte auf. Ein heiseres Geheul und Hilfeschreie mischten sich und riefen hohlen Widerklang hervor.

»Es kommt von der Wolfsgrube her«, rief er und jagte davon.

In der Grube kauerte ein fremdes Weib vor einem züngelnden, schnurrenden Wolf.

»Kirein, die arme Tröpfin muss heraus«, sagte der Gugu.

Der Knecht bekreuzte sich. »Lass sie drunten!«

»Du Hans Hirnlos du!« schimpfte der Bauer. »Soll sie hin werden?« Er glotzte die Gefangene mit Mund und Augen an. Ihr Gewand war zerfetzt, als sei sie durch Dornen gescheucht worden; die eine Schulter war nackt, ein weißes Leuchten ging davon aus. Fern lockte das Gäuchlein.

»Lass lieber den Wolf heraus!« beharrte der Kirein. »Und schau nit allweil auf ihr weißes Leder!«

Der Gugu maß ihre breiten Schultern. »Ein Türk müsst sich ihrer erbarmen. Sie ist ein starkes Weib, sie könnt mir helfen, den Mooswald räumen.«

»Sie wirft ihr Garn. Sie ist eine Hexin, Bauer!«

»Das ist sie nit: sie hat ja die Augen voll Wasser. Kirein, bock dich, treib dem Wolf die Axt ins Hirn, wann er schnappt!«

Der Gugu langte nach dem Weib hinab, indes das erregte Tier mit glühen, ungewissen Augen, mit lechzender Zunge und schlagender Lunte zusah.

Der Kirein hielt die Waffe über den Wolf. Aber noch warnte er: »Greif nit blindlings zu! Du kennst sie nit. Du ziehst dir ein Fegfeuer heraus. Vielleicht ist sie wegwölfisch, dem Hund drunten seine Buhle!«

Wütend sprühte das Weib, eine tiefe, raue Stimme stieß empor. »Du krummer Schelm, ich bin keine Wölfin. Helft schnell! Das Vieh zerreißt mich.«

Der Kirein überlegte. »Knochen hat sie wie ein Ross, und Haar tragt sie auf der Zunge. Sie gäb eine feste Magd ab.« Er maß sie, wie man eine Kuh schätzt.

»Das Hauswesen soll sie uns betreuen, jetzt wo die Arbeit im Mooswald uns begehrt«, meinte der Gugu.

Doch sorglich schüttelte der Knecht den zerstrubelten greisen Kopf. »Lass den Wolf aus und erschlag sie!«

Da riss der Bauer mit gewaltigem Ruck das Weib aus der Grube.

»Lang hast du mich warten lassen«, keuchte sie. »Woher kommst du?«

Die Sonne hatte ihr Stirn und Nase mit braunen Pünktlein besät. Ihm gefiel sie, denn sie war stark wie ein gesundes Tier.

Der Kirein wies auf ihr Gesicht. »Sommerscheckig ist sie bis ins Maul hinein.«

»Die Sommersprinzeln behagen mir gut«, lachte der Gugu.

Das Mädchen erzählte: »Wilbet heiß ich, aus Bodenmais hinterm Arber bin ich her. Wildes Volk ist uns durchs Haus gerannt, hat Leut und Vieh erstochen. Die wüsten Türken könnten nit übler hausen. Zwei Tag lang bin ich gelaufen. Die Wolfsgruft ist meine erste Herberg gewesen.«

Sie wies dem Bauer blanke, laubgrüne Augen. Da bebte ihm das Herz.

Er nahm sein Beil und beugte sich über die Grube. Der Wolf roch die Gefahr, lechzend und töricht stieg er dem scharfen Eisen entgegen, es krachte, und mit gespaltenem Schädel sank er zurück.

»Komm in meine Einöd, Wilbet«, sagte der Gugu.

Das grünliche Feuer grüßte aus ihrem Auge wie einer Laubwildnis Dämmer. Ihm fuhr der Atem schmerzlich bedrängend und tief in die Brust hinein.

»Wenn du mich haben willst, Mann, musst du mich tragen. Den Fuß hab ich mir verstolpert.«

Der Kirein kicherte hämisch: »Das ewige Unheil bricht wieder aus: der Er und die Sie!«

Doch der Bauer nahm sie in die Arme und trug sie durch den Wald. »Weicher bist du als das Moos«, flüsterte er, und sie nickte kalt und gelassen.

Er tastete sie ab. Sie hatte Hüften gleich einer Bärin, ihre Arme waren rund und steinfest, ihre Sohlen hürnen vom Barfußlaufen.

»Du bist stark«, erwiderte sie ihm.

Er lächelte. »Ich hab Bärenblut trunken.«

In den Ästen trommelte ein geiler Specht. Der Kirein drohte mit der Faust empor.

Gegen Abend war es, als der Gugu sie heimbrachte. Er ließ, sie auf den Boden nieder, er presste sie an sich, nur einen Kuckucksschrei lang, aber so ungestüm, dass sie beide keuchten und es ihm selber weh tat.

»Du hast es mir angezaubert, Wilbet.«

Milch trug er ihr zu und Brot und bat demütig: »Bleib, du sollst es gut haben.«

Sie zerriss mit ihren großen, blanken Zähnen das Brot, ließ es in die Milch fallen und aß, während der Kirein grollend den Bauern betrachtete und dabei an die Narreteien eines kudernden Birkhahnes dachte.

Plötzlich lautete der Hund draußen zornig aus.

Der Knecht öffnete murrend die Tür. Ein schlankes, fremdes Weib bettelte draußen um Obdach.«

»Nimmt das Weibsvolk heut kein Aufhör?« polterte der Knecht. »Bist du eine Walpurgisfrau und hast dich verritten?«

»Lasst mich einschlüpfen! Ich fürcht die Nacht«, bat sie mit lieblicher Stimme, sie faltete die Hände und kniete vor Kirein.

Der ballte ihr die Faust hin und wetterte: »Ein Unglück bringt das andere. Das ist ein enges Wörtel, aber ein wahres Wörtel.«

Der Gugu ließ sie ein. »Warum sollt ich dir nit einen Raum gönnen? Haben dich auch die Freibeuter verscheucht? Wo bist du daheim?«

Ihre geschwinden Augen ließ sie über die Stube fliegen und gleich wieder sinken und wispelte: »Ich bin nirgends daheim.«

»Bist wohl aus dem Wind gefallen, Jungfer Zizibe?« spottete der Kirein. »Wen der Wind verliert, der soll nit in den Eisenwald fallen, da ist eine raue Welt.«

Die Heimatlose neigte sich vor der Wilbet und sagte: »Bäurin, ding mich als Dirn!«

Die Wilbet hielt in ihrem Mahl inne, stand auf, trat einige Schritte vor und schaute der andern hart ins Gesicht. Dem Gugu schoss ein freudiger Schreck durch den Leib, dass man die Wilbet als sein Weib betrachtete. Doch sagte er: »Der Bauer bin ich. Beweibt bin ich noch nit.«

Da lachte die Schlanke hellauf und deutete auf die Wilbet. »Ei, du hinkst ja!«

Die Weiber maßen sich mit wilden Augen.

»Wie heißt denn du?« fragte der Bauer.

Die an der Tür formte ein wenig den Mund, als wolle sie reden, dann lächelte sie schmal und schwieg. Sie war braun und feinwüchsig schwarzes Haar rankte unter mohnrotem Tuch hervor, und um den Hals trug sie einen Faden, hing eine Münze mit dem Bilde einer nackten Frau.« Arm und süß harrte sie an der Tür.

»Trau der Äuglerin nit! Sie begaukelt dich«, warnte die Wilbet den Gugu.

Doch der sagte: »Mühsal wachst uns jetzt genug. Die Dirn ist flink und flätig und wohl zu brauchen. Wenn sie Gott mir ins Haus geschickt hat, will ich sie halten.«

»Das tut kein gut, dass du die mit dem Hurentaler auch nimmst«, redete der Kirein. »Sie werden sich nit vertragen. Zwischen zwei Weibern ist immer Feindschaft. Und wer weiß, was für eine abgerittene Landstreiferin du uns ins Haus ziehst, und aus welchem Schandhaus sie verjagt worden ist!«

Die mit der Venusmünze leuchtete den Bauer mit feurigen, falschen, versprechenden Augen an, sie nestelte an ihrem Ohrhänglein mit wohlgeschaffenen Fingern. Und wie lieblich ringelte sich ihr Nackenhaar!

Bezwungen sprach der Gugu: »Möchtest auch ein Heimatlein gewinnen in der besorglichen Zeit? Du sollst das Bleiben bei mir haben. Welchen Lohn begehrst du?«

»Ich will dienen ums trockene Brot.«

Sie verneigte sich vor dem Herd, sammelte ein wenig Asche und bestreute sich den Fuß. Dies tat sie wohl, um alles Heimweh zu bannen.

»Die Bilwizin schießt dich ins Herz, Bauer«, schrie die Wilbet.

Die Namenlose nahm das rote Tuch ab, da hatte sie ein samtnes Band im Haar. Mit beinernem Kamm schlichtete sie sich die schwarzen Strähnen und lugte in ein Spieglein und schielte darüber hinweg mit gleißendem Blick den Einöder an, dass ihm das Herz wankte.

Und das Herz begann ihm zu pendeln zwischen der Wilbet und der braunen Wohlgestalt, zwischen der derben Kraft und der feinen Zier.

Der Knecht aber brummte: »Jedes Weib hat seinen Teufel in sich, Bauer. Und du zügelst dir gar ein Zwiegespann. Ich aber bin glücklich, dass ich meiner alten Wettermacherin davon bin. Die wird nit einmal im Grab Ruh geben, neun Pfarrer und neun Bischöfe werden sie bannen müssen, dass sie nit geistert. Einer allein genügt nit.«

Nun führte der Gugu die Dirnen in den Stall, zu erfahren, was sie verstünden.

Als er wieder herein kam, berichtete er dem Knecht: »Die Wilbet hat die Kuh gut ausgezipfelt, die andere aber weiß schier nit, warum das Vieh das Milchwämpel hat. Sonst ist sie aber rührig. Ich lass sie nit weg.«

Er überließ den beiden die Stube und legte sich mit dem Knecht ins Stroh.

Der Nachtschein strömte durch eine Luke herein, blendete ihn und hielt ihn lange wach. »Der Mond wird alt und wieder neu, ich bin allweil allein«, dachte er traurig.

Seit der Einkehr der Mädchen verfiel der Gugu in Trübsinn. Er verschmähte wie ein brunftender Hirsch die Nahrung, und auch die Arbeit schmeckte ihm nimmer. Sein Kopf war heiß, sein Hirn betäubt, sein Arm schon müd, ehe er die Axt hob.

»Feld und Ried verwachsen wieder«, barmte der Kirein, »alles wird krebsgängig. Bauer besinn dich!«

Eher hätte er einen Baum ausgehoben, als dass er den Gugu aus seinem faulen Dämmer geweckt hätte. Der Bauer, dessen Fleiß früher nicht einzuschläfern war, er lungerte müßig, und der Wald, der gesengt werden sollte, grünte fröhlich weiter. Der alte Knecht musste dreifach arbeiten und dennoch sehen, wie die Wirtschaft hinten blieb.

Die Weiber gaben sich kein freundliches Wort, verrichteten aber still die geringen Geschäfte, die ihnen aufgetragen wurden. Die Hadax, so nannte der Gugu die Namenlose wegen ihrer eidechsenflinken Bewegungen, tat aber bald nichts mehr, als dass sie sich, in des Bauern Gegenwart die Brust schnürte oder das Haar schneckelte.

»He, dich lüstet es nach der Eva? Tust ganz verbalzt und verbuhlt!« fuhr der Kirein einmal den Bauern an. »Die Arbeit tut sich nit von selber, und ich bin ein alter Mann, der nimmer kann.«

»Ich muss zur Ehe greifen«, sagte der Gugu, »der Wald ist zu weitschichtig, ich brauch Leut, die mir beistehen.«

Der Kirein nickte hämisch der Hadax zu, die ein Lotterlied trällerte. »Keine Spinne zwirnt so fein wie eine Jungfer, die nach einem Mann begehrt.«

»Ein Hagestilz gilt nix«, fuhr der Bauer fort, »ich bin nur ein Bub und kein Mars.«

»Du möchtest am liebsten in den Weibern ihre Bettkammer.«

»Das will ich. Das Weib ist ein nötiges übel. Und das einschichtige Leben verdrießt mich.«

»Du möchtest am liebsten dreischichtig leben.«

»Zum Sackerment, ja!« brüllte der Gugu.

Der Kirein sah ihn mitleidig an. Merk dir: die Liebe verkaltet, besonders in der Ehe. Gott behüt dich vor dem widerwärtigen Ehstand!«

Der Gugu missachtete diese Lehren und sehnte sich nach der bärenhaften Kraft und den schwellenden Hüften der einen und nach dem geschmeidigen Schlangenleib der andern, und nachts bedrängte es, ihn oft, die Tür zu sprengen, die der schlafenden Mägde Kammer verschloss.

*

Der Michel Schreiner hatte einen Raum ausgestockt, den man mit zwei Ochsen innerhalb eines Morgens pflügen konnte. Es gab übermenschliche Mühe, das fast undurchdringliche Brombeer- und Himbeergestrüpp auszurotten, die Strünke aus dem Grund zu reißen, die urgesessenen Steine zu verdrängen, das Moos zu entfernen. Doch der nagenden Säge, der kerbenden Axt, der fressenden Flamme wich die Wildnis.

Des Bauern Leute waren oft dem Verzagen nahe; sie beneideten das Vieh, das im grasigen Buchenwald ruhig weiden durfte.

Die bejahrte Magd sank auf einen Stein hin und weinte: »Wir sind verraten und verkauft.« Der Zachreis fluchte, der Boden sei verdorben, die vielen Felsen hätten ihn ausgesogen. Dumpf und gleichmütig starrte die Bäurin ins Leere.

Immer wieder spornte der Schreiner: »Lasst nit aus! Lehnt euch dran! Nur die ersten Jahre lasst hingehen!«

Er selber arbeitete rastlos. Wenn den andern der Mut sank von der namenlosen Plage, er blieb ohne Klage und Fluch, obgleich ihm das Rückgrat krachte und sein Schweiß sich zur Erde goss, schweigend schaffte er mit Hebel und Hacke, aus der Wüstnis trächtigen Boden zu gewinnen. Wenn er die Größe der Wildnis überblickte, schien ihm seine Siedlung wie ein Kräutlein, versprengt in die karge Krume einer Felsritze. Aber ihm bangte darob nicht, vielmehr wuchs sein Wille, den Trotz des Urwaldes zu überbieten und Stein und Wurzel, die verbrüderten Ungeheuer, zu bezwingen.

»Es geht nimmer«, ächzte die Frena. »Das Fleisch fallt mir vom Bein vor lauter Plage.«

»Alle Wurzeln, alle Felsschrollen sind miteinander verzwängt und verzwickt, sie lassen sich nit rucken«, greinte der Knecht. »Es wird nix Rechtes wachsen.«

»Jeder Boden tragt, wenn Sonne und Regen drüber gehen«, sagte der Schreiner oft. »Schaut, wie der Wald schwarz ist vor Laub! Eine saftige Erde ist das. Und wenn sie Bäume tragt, tragt sie Korn auch.«

»Nit einmal einen Spatzen sieht man im Eisenstein«, zankte die Frena. Und der Zachreis höhnte: »Wir verschroten das Gehölz; wir ödigen die finstern Stauden ab, bauen Hirschzäune, schlagen Wege und Schneisen und schinden uns, dass uns die Zunge lechzt. Schließlich müssen wir davon wie der Hannes Frisch.«

»Mich vertreibt nix«, sagte der Bauer ruhig.

Je mehr sie rodeten, desto gewaltiger tat sich ihnen die Wildnis auf und offenbarte der Menschen Ohnmacht.

Die Frena jammerte: »Wir armen, verlornen Leut hätten nit hergehen sollen. Wir vergehen vor Mühsal. Wir erleben das liebe Korn nimmer. Wären wir blieben, wohin uns der Herrgott gesetzt hat!«

Aller Sehnsucht lauschte nach dem Lande hin, wo die Lerchen aus den Feldern steigen.

»Überall ist gut Brot essen«, rief der Schreiner.

»Ja, wenn man eins hat!« trotzte die Magd.

»Wonach einer ringt, das gelingt ihm.«

»Öd und düster ist es da«, hub der Zachreis wieder an. »Daheim ist alles schon gerichtet gewesen für Leut und Vieh, alles hat seinen stillen Gang gehabt. Der Mensch soll nit zu viel begehren. Daheim ist Ruh und Friede gewesen.«

Der Lenora Blick traf in tiefem Vorwurf den Bauern. Der aber entgegnete leise: »Wir reisen auf der Erde wie auf einem Schiff. Es gibt nimmer Rast und Ruh, solang der Mensch lebt.«

Was ihn grämte, war nur, dass sein Weib keine Freude äußerte, wenn die Lichtung um das Haus sich immer mehr erweiterte, wenn der Himmel darüber immer geräumiger ward und das Auge immer mehr Sterne fassen konnte oder wenn eine neue Ferne über entbäumte Flächen hereinschaute. Das Leid um den Liebling hatte einen Zaun um der Lenora Seele gebaut.

Sie vereinsamte.

Tagsüber tat sie gedankenlos, freudlos ihre gewohnte Pflicht. Nachts drangen ihr die Zerrgeburten ihrer Einbildungskraft in den Schlaf. Sie träumte den Tod als Holzhauer, und immer wieder stürzte der Baum auf ihr Kind, und der fällende Tod trug des Bauern Züge. Wenn sie dann erwachte, betrachtete sie den Gatten mit Grausen. Der fühlte es und verschloss sich ganz und gar und berührte sie nimmer.

Sie verquälte sich in der Angst der Nächte. Oft stand sie in der Finsternis auf und tastete nach dem Lenzel, ob ihn der Eisenmann schon geraubt habe. Am Tag aber lebte sie nur ihrem Mutterschmerz und kümmerte sich nicht um den Buben.

Wenn die Nacht versiegte und der junge Tag erscholl, wenn der erste, feine Wind durch die Stämme huschte, die Blumen aufstörte und ihre Taulichter ausblies, warf sie sich schon auf die Erde, darunter der Görgel begraben lag, stöhnte, als wollte sie zu ihm hinab, und verfluchte die Bäume. Oft saß sie verstört und summte ein herztrauriges Marienlied.

»Laub, Klee, Stein, Wind,
Helft mir schreien um mein Kind!«

Ihr war der Wald ein finsterer Wall, der sie von einer guten, ungefährlichen Welt trennte; die Bäume brüteten Vernichtung, ihre ungeheuren, verbogenen Formen enthielten schwere Drohung, und das ganze Tal und seine dunkeln Grenzen waren voll Traurigkeit.

Dem Bauern aber kam der Tag, wo die nackte, braune Erde den Pflug empfing.

Wo Wald geschaudert und Fels gestarrt, lag nun der Boden jungfräulich bereit. Flüchtige Wolken flossen darüber hin, die Sonne tränkte die Welt mit Licht.

Der Schreiner fühlte dunkel die Größe seines Manneswerkes, fühlte, wie es an das Göttliche grenzte, indem es die Schöpfung umgestaltete, den Boden erschuf, die Urbedingung menschlichen Lebens.

»Ihr himmlischen Wetterherren, lasst mir den Acker gedeihen!« bat er.

Das Vieh zog an. Schwer und andächtig legte sich der Bauer in den Pflug. Da brach die Erde auf.

Der Pflüger blähte die Nüstern, er witterte aus dem Moder des vergangenen Waldes die Fruchtbarkeit. Im Furchenbrodem schritt er hin, der Fluss der Erde wogte auf und blieb starr und schwarz hinter ihm liegen. Stark und wundersam roch es.

Die Kraft der Erde schoss in des Ackermanns Ferse, er wandelte in Adel und Priestertum und herrisch trotz des in Mühsal gekrümmten Rückens, und er empfand in dieser Weile, dass die Menschheit in ihrem letzten Grunde auf dem Bauerntum beruhe.

Die dunkle Furche wellte dahin, das frisch angebrochene Land dampfte, und der Bauer legte nach altvererbter Sitte in die erste Furche opfernd ein Stück torfbraunes Brot.

Wärme, strömte aus der eroberten Erde; eine neue, große Liebe sank aus seiner Seele nieder auf die neue Heimat. Er atmete breit und trieb mit rauem Schrei das Gespann zum Werke an.

O Welt, du braune Bauernschüssel!

*

Der Gnad gürtete den Kumpf um und goss Essig hinein, dass der Wetzstein drin sich feuchte und beim Schärfen die Klinge mehr angreife. Dann schulterte er die Sense.

Das Hausvolk war schon wach. Die Gnadin kämmte ein Töchterlein das widerspenstig tat und voll Ungeduld auf die spielenden Geschwister schaute, bis die Mutter drohte: »Lass dich strählen, sonst wachsen dir die Läus, sie werden groß wie Kälber und zerren dich in den Wald.«

Die andern Kinder reckten sich die Fäuste hin, in deren einer ein Schneckhäusel verborgen war, und fragten: »Pix pax, in der welchen Hand?« Ein Bub und ein Dirnlein hatten sich vor einen Dockenwagen gespannt und spielten Ross und Kuh.

Der Wendel lehnte an dem Tisch, dem Stumpfe der alten Riesenfichte, und tastete über die Jahresringe und staunte: »Vater, unser Tisch ist fünfhundert Jahr alt.«

Der Gnad schritt hinaus ins wildgrüne Geländ. Der Frühling hatte sich wunderbar gesteigert, hell schimmerten die Buchen aus den tannenfinstern Hängen.

Am Rand eines sonnenreichen Riedes, auf dessen zerrissener Erde braunes, wüstes Holz lag, begegnete er der Frena.

»Gehst du mähen, Bauer? Das Gras lasst sich schlecht schneiden, es ist Eisen drein gewachsen«, greinte sie.

»Bist du nit zufrieden mit der neuen Welt, Frena?«

»Alles, was neu ist, ist schlecht, Gnad. Mein Trost ist nur, dass wir so abgeschieden hausen. Zu uns findet sich kein Soldat. Zwar sagt man: Unglück kann rennen, fliegen, schwimmen. Aber übers eiserne Gebirg schleicht es uns nit nach. Wir sind sicher.« Sie hob beschwörend die Hände, die Bilder alter Frevel durchschauerten sie. »Viermal hab ich lutherisch werden müssen, viermal wieder katholisch. Dazumal hab ich in der Pfalz in ein Dorf mich verdingt, es ist gerad an der Kriegsstraße gelegen. Die Waden haben sie mir durchstochen, die gottverfluchten Völker; die Örter haben sie in Feuer gelegt; die tragenden Weiber haben sie aufgerissen, da haben sich die Kinder gerührt, die noch mit geboren waren.«

Die Stimme brach ihr. Sie hockte sich ins Gras, rupfte eine Blume und starrte blöd vor sich hin. »Jetzt such ich nutzhafte Kräutlein«, murmelte sie hüstelnd, »man braucht sie. In der Wildnis muss man sich selber ausheilen; kein Arzt geht her, der einem die Schäden besieht.«

»Wir sind gesunde Leut«, sagte der Gnad. »Wasser trinken und Bäume hacken macht alt.«

»Ja, plagen muss sich der Mensch. Die liebe Zeit, wo das Brot aus Wolken gefallen ist, kommt nimmer.«

»Die Zeit bessert sich«, sprach der Bauer. »Vormals sind die großen Riesen über die Berge gangen mit steinernem Schild und haben den Haber mit Schwertern gemäht. Heut sind die Leut milder und tragen gute, eiserne Sicheln.«

Was nutzt die Sichel, wenn das Gras eisern ist!« klagte sie. »Bauer, du bist ein Gelernter, bist in der lateinischen Schule gesessen. Sag mir, ist es wahr, dass es Gefilde gibt, wo die Bäume zweimal im Jahr blühen und fruchten und wo man die Wiesen viermal schert?«

»Die gereisten Männer behaupten es, und in den Büchern steht es gedruckt.«

»Wir sind aus Adams Lustgarten verscheucht«, seufzte die Alte.

»Ja, Frena es wird viel Schweiß kosten, eh die braunen Äcker vor uns liegen. Aber es ist gut so. Die Welt freut einen mehr, wenn man daran arbeitet.«

»Zu viel Müh taugt auch nit«, widerstritt sie. »Man findet kaum Zeit, dass man am Sonntag die Hände faltet. Und keine Kirche haben wir, keine Predigt, keine Christenlehre. Es ist wie drunten in der Türkei bei dem machomedanischen Betrüger.«

»Ja, ein Pfarrer mangelt uns, ein gescheiter, geschulter Mann, dem wir unsere geistliche Not beschwersam vorbringen«, sagte der Gnad.

»Einen Einsiedel brauchen wir, wie der heilige Gunthari einer gewesen ist, der uns die Krautgärten segnet und das Vieh, der die Kinder mit der seligen Taufe wascht, der uns tröstet und das geweihte Brot reicht für die Wegreise in die Ewigkeit.«

»Unser Pfarrer müsst sich begnügen mit einem hölzernen Messgewand«, scherzte der Bauer, »und müsst dein Herrgott statt des Weines Holzapfelmost aufopfern.«

»Wenn ein Glöckel läutete über dem Eisenwald, wär es gleich heimlicher«, meinte sie. »Der Teufel könnt sich nimmer halten droben am See, vom Weinrauch kriegt er Hirnweh und die lateinischen Sprüche nehmen ihm den Atem. Ja, der Pfarrer von der Seewies sollt halt zu uns kommen, der ist ein Gewaltiger. Das Vaterunser und den Mariengruß betet er in einem einzigen Atemzug her von vorn nach hinten und wieder zurück.« Ein frommes Staunen verklärte ihr Gesicht.

In unser entlegenes Land geht kein Geistlicher«, meinte der Gnad traurig.

Sie erhob sich. »Gott soll sich unser annehmen und uns den rechten Weg weisen aus der Wildnis.«

Der Bauer stieg bergan. Es war so schön dämmervoll unter den Bäumen, Lieder hingen verstrickt in den Zweigen, es glänzten die Tannennadeln, es schimmerte das junge Gras. Ein struppiger, bedächtiger Fuchs birschte, Wildbret rauschte im Busch, Steine boten moosige Rast.

Von erhöhter Stätte spähte der Gnad hinab.

Drunten in der Wälder Überfülle leuchtete friedlich sein Haus, dessen lebendiger Eckpfeiler hellgolden laubte, eine Drosselklause.

»Mein Haus ist kein totes Holz«, dachte er fröhlich, »es hat eine Seele. An meinem Haus wachst etwas, Säfte steigen aus dem tiefen Grund gen die Sonne. Das Eichkatzel spielt über meinem Dach, und wenn ich in der Nacht aufwach, hör ich es wunderschön rauschen, mein lebendiges Haus.«

Drunten blinkte der Brunn, der ihn erquickte, jagte der Bach, dessen Wasser ihm den Leib erfrischte, drunten schritt sein Vieh äsend im Maiengras, die Kühe mit geschwellten Eutern, die Schar der gelüstigen Ziegen, und die Kinder arbeiteten oder spielten je nach Kraft und Alter, und das Weib sorgte mit klugem Auge. Und rings dehnte sich der Rodefleck, den er aus der Wildnis gerissen.

Und immer tiefer wird sich Säge und Axt in den Wald einfressen, Hutweide und Wiese, Ried und Feld werden angrünen, Menschen das Tal beleben, und die trotzigen, viel zu vielen in ihrer Unzahl wertlosen Baumungetüme sinken.

Drüben hinter tausend und tausend Wipfeln prangte dunkel und fremd der Klotz des Arbers. Noch immer deckte ihn der Schneehelm, während zu seinen Füßen die Erde schon im tiefsten Grün war.

Dort droben auf dem weißen Schnee muss Gott in der ewigen Stille stehen, dort schaut er über die ganze Welt.

Dunkle, qualvolle Sehnsucht erfasste den Bauern. Etwas zog ihm Seele und Leib in ein fremdes, unklärbares Gebiet.

Eines Schlehdorns bitterholder Duft floss daher, und auf einmal, rätselhaft wachgerufen, erstand in des Bauern Geist das Bild der verlassenen Heimat.

O ihr alten, schlehdornstarrenden, schimmernden Raine!

Fremdes Land, wie tust du weh!

Die drunten siedelten, sie hatte der größere Besitz gelockt, das Abenteuer der unerschlossenen Ödung, oder sie waren aus der Väter Land vertrieben worden durch die Abgunst der Nachbarn.

Der Gnad war ein zweiter Sohn, der ältere Bruder hatte alles geerbt. Da war ihm das Leben zu eng worden und er erwählte sich die Fremde. Nun schien ihm die alte Heimat in warmem, lockendem Glanz, und Untreue und geringer Lebensmut däuchte ihn jetzt auf einmal, dass er sie verlassen. Der hohe Arber starrte streng herab; kühl und richterlich standen die kupfernen Föhrensäulen, die silbergrauen Buchenstämme.

Was geschehen war, war nicht zu ändern. Heimkehren konnte er nimmer, Spott hätte ihn begleitet, Spott empfangen. Und die Reise durchs Gebirg war grauenhafte Beschwer. Und es ist doch gut, dass die Menschen überallhin dringen und dass sie nicht zu enge hausen!

Er holte mit der Sense aus, und mit dem ersten Schwung war all der grüblerische Gram vergessen.

Es war des Vorjahres borstiges Gras, der Bürstling, was in fahlen Büscheln den Winter überdauert hatte und das er nun mähen wollte, seinem Stalle Streu zu gewinnen. Und wie er dem zähen Kraute gegenüberstand, sprach er zu ihm und ersann sich zugleich des Geschöpfes Widerspruch, dichtete er den Streit zwischen Sensner und Gras.

»Bürstling, jetzt will ich dich mähn.«
Bauer, das wird nit gut gehn.
»Wenn aber ich drück?
Wenn aber ich mich bück?
»Ich hab eine gute Sengst.«
Die schafft mir keine Angst.
»Ich hab aber einen guten Dangel.«
Der tut mir auch kein Mangel.
»Ich hab aber einen scharfen Stein.«
O weh, der bricht mir Mark und Bein!

Der Bauer mähte, dass ihm der goldene Schweiß aus der Haut brach, und er rastete und half einer Eidechse, die sich vergeblich mühte, ihre schillernde Hülle abzustreifen, mit sanfter Hand aus der Haut und mähte wieder.

Erst als des Wandergeiers müde Flügel sich an der sinkenden Sonne röteten, stieg er wieder zu Tal.

*

Wo sich das Seewasser in den Regen warf, war eine filzige Au, von elenden grauen Fichten und verkrüppelten Erlen spärlich bestanden und einer Rotte zwergiger Kiefern, die einem bis auf die Wipfel versunkenen Wald ähnelten. Braunrote Moose verliehen der Fläche eine öde Wehmut.

Der Gugu hatte über dieses Moor Erlenprügel gelegt, um über den gefährlichen, schwanken Boden eine Brücke zu gründen. In Rinnen sammelte sich goldtiefes, klares Wasser. Der Gedanke an die Weiber aber lähmte den Bauern in jeglichem Schaffen, und er war nimmer gelaunt, den versauerten Grund zu entfeuchten.

Heute hatte er dem schimpfenden Knecht nachgegeben und sich aus seiner Erschlaffung aufgerafft. Er brachte mit den Kühen eine Fuhre Steine vom Ried ins Moor.

Der Kirein wärmte sich hinter einer Staude eine Brennsuppe, von den Mägden daheim wollte er nichts essen. Die Kühe grasten. Der Gugu schleppte die Steine einzeln auf den Prügelweg und warf sie ins Filz, das sie verschlang. Lustlos tat er dies, und die Gedanken irrten weitab.

»Denkst du wieder an das lümmelnde Weibervolk?« schalt der Knecht herüber. »Mit Hexenzöpfen bist du bunden. Die Große lass ich mir noch gefallen, die ist eine starke Menschin. Nur schaut sie mich an, als ob ich ihr das Fürtuch küssen sollt. Das bin ich ihr nit schuldig. Aber der Hadax ist nit zu trauen, die hat Diebsaugen.«

»Die Hadax ist auch recht!« schrie der Bauer zornig.

Der Kirein beschied sich brummend. »Wenn vierzig Jahr keine Leut auf die Welt kommen, sind noch Narren genug.«

Des Abend feine Schwaden glitten über das Filz. Ein Irrlicht blühte wie eine bläuliche Staude. In der Ferne scholl ein heftiges Gebell, als rolle ein Rüde ein Untier an.

Der Kirein versuchte den Irrwisch zu verscheuchen. »Gelobt sei Jesus Christus, glühender Mann!« rief er. Da aber das Moorwesen dreist weiter fackelte, erboste er sich und schalt unflätig: »Heb dich, du glühender Güldenscheißer!«

»Schänd die arme Seele nit«, rügte der Gugu, »sie will auf unserm Riegelweg rasten.«

Er hatte oft das unstete Spiel der Moorlichter bespäht und auch getrachtet, dass sie abkommen, indem er Fahrstraßen anlegte: die feurigen Geister haben nur Macht auf Fußsteigen und wildem Filz und scheuen das Geleise der Wagen.

Ein Pfarrer fände leicht ein Wort, dem Flunkerlein dort den Frieden zu geben. »Ach, wir sind bedrängte Leut, ganz ohne Rat und Zuspruch in der öd«, seufzte der Gugu und dachte der Wilbet und der Feineren. Einen Stein warf er zornig weit von sich ins Moor, als wolle er eine schwere Sorge von sich schleudern.

Da schrie der Kirein auf einmal wie toll auf.

»He, hat ihn das beschimpfte Gespenst schon beim Genick? Ist es aus der Tiefe gekrochen, darin es tagsüber geschlafen, um den Frevler zu züchtigen? Liegen nicht des Moormanns Fußstapfen wie glühende Schüsseln auf dem Boden?

Der Gugu riss einen Knüttel aus dem Riegelweg. Die eine Kuh zuckte unter den Pranken eines Bären. Der Kirein war verschwunden.

Als der schwarze Räuber den Martin wahrnahm, ließ er von der Kuh ab und gähnte mörderisch und bäumte sich mit tiefem Gebrumm. Es war ein gewaltiges Tier, das da gegen die Keule des Feindes losging, seine Augen glommen, sein Fell war verklebt und verfilzt von den Pechbäumen, die er erklettert, von dem Harzholz, daran er sich gerieben. Es schien, als ob Mann und Bär sich zur Vernichtung umarmen wollten, so leidenschaftlich trieb sie der Grimm gegeneinander.

Im höchsten Augenblick sprang der Kirein mit einem Bündel brennender Späne aus dem Gestrüpp. Das rote Geflacker erfüllte den Bären mit Angst, er vergaß des Gegners und kehrte sich zur Flucht. Schon aber brannte sein pechiges Fell hellauf. Plärrend wälzte er sich, den beißenden Brand zu ersticken. Doch der Knecht drang ganz nahe zu ihm hin und zündelte wieder, und der Bär heulte wie rasend und drückte die Tatzen auf das brennende Pech. Da tremmelte der Gugu mit dem Knüttel auf ihn los, bis er sich nimmer rührte.

Der Kirein legte kühle Erde auf des bebenden Rindes Wunde. »Wart nur, daheim leg ich dir ein lindes Kräutel auf. Du bist ein frommes Vieh und ein gutes Vieh, Kälber kriegst du schier von dir selber. Fürcht ihn nit, den groben Rülp! Er ist schon hin.«

»Er hat mich fressen wollen, jetzt fress ich ihn«, lachte der Gugu.

»Der gibt Fleisch und Schmalz«, schwätzte der Kirein. »Es ist ein schwarzer Bär, der ist gröber als ein roter. Zu jüngst in der Nacht bin ich ungedanks auf einen roten Bären treten. Hat der mich angeschnarcht! Gerannt bin ich, dass mich schier meine Fersen nit eingeholt haben. Der rote Ameisbär tut aber nit viel, er frisst Schnecken und lauter kleinfügiges Ungeziefer.«

»Wie er das Licht gefürchtet hat! Aus den Augen ist ihm die lautere Angst gespritzt, er hat gewusst, dass das Feuer ihn verderbt«, sagte der Bauer. »Es ist mir hart ans Leben gangen. Bald hätt mir der Gnad aufs Totenbrett schreiben können:

Da liegt dem Gugu sein Gebein,
Er hört den Gutzgauch nimmer schrein.«

»Den Herrgott sollt man ehren, weil er dich gerettet hat«, meinte der Knecht. »Einen Bildstock sollten wir da aufstellen.«

Der Bauer sagte ernst: Ich verlob mich: bei der dreispitzigen Fichte richt ich eine Kapelle auf. Die zwei Freunde sollen drin hausen, der heilige Rossarzt Lenhart und der heilige Wendelin, den Hirten ihr Schutzgraf, der uns heut beihilflich gewesen ist gegen den Bären. Mit Perlen und Rubin muss der Altar geputzt sein, Wetterkerzen müssen leuchten, und auf eine Tafel muss der brennende Bär gemalt sein und unsere liebe Kuh.«

»Der heilige Lenhart sollt halt, der Gottsoberste sein«, tiftelte der Kirein, »der versteht mehr vom Vieh als unser Herrgott.«

*

Wie ein grollendes Tier hatte sich der Wildnusser in den unwegsamsten Winkel des Tales zurückgezogen. Wo das Geröll am wildesten vom Berg herabgeströmt war, just dort baute er sich an. Er dingte nicht Knecht noch Magd, der Nachbarn angebotene Hilfe verschmähte er, seine Axt klang einsam. Sein Weib aber trug die Schwermut des geplagten Menschen im Auge, und das Kind, ein schmächtiges Mädchen, musste sich rackern, bis es vor Müdheit wankte, und durfte nicht klagen.

Während die andern Steig und Steg anlegten, um einander schneller zu erreichen, –die Gehöfte waren viel weiter voneinander entfernt, als ein Menschenschrei reichte, –ließ der Wildnusser die wirre, pfadlose Ödung zwischen sich und den Nachbarn bestehen.

»Mir ist der härteste Teil zugefallen«, knirschte er oft, »ich hause wie ein Fuchs unter krummem Gewurz. Ist das ein Land. Lauter Steinriegel sind es. So unfruchtbar ist es: wenn ich die Bäume ausreutete, sie wüchsen nimmer nach.«

Nach der Arbeit schlenderte er oft unter den vielen, vom Blitz gezeichneten Stämmen, unter den vertrackten Bäumen, die Sturm und Schnee verstümmelt hatten, er stach mit dem Spieß in Holz und Moos und verwünschte die Wildnis, die er sich selbst erwählt hatte, nachdem er aus der Heimat fort hatte müssen, wo es für ihn allzu viel Streit gegeben um Quell und Grenzstein.

Der Abend sank ein. Vom Neubruch kehrte der Wildnusser heim. Als sein schwerer Fuß vor der Hütte an die Erde pochte, als die harte Hand an die Türschnalle schlug, erbebten Weib und Kind.

Er trat in die Stube und warf Axt und Riedhaue hin. »Wir haben ein hartes Brot«, schnaubte er. »Warum bin ich nit der Kaiser worden?«

Sie setzte ihm die Suppe vor. »Die Nachbarn täten dir gern helfen«, sagte sie zag. »Es wär nit nötig, dass wir uns blutig schinden. Zusamm helfen sollten alle. Viele Hände haben bald Feierabend. Du solltest den Leuten nit ausweichen.«

»Ich brauch niemand«, stieß er widerwillig heraus.

»Drum plagen wir uns, dass es uns das Kreuz sprengt, Bauer. Es haust sich hart mit dir.«

Die Beule an seiner Stirn glühte. »Dass dich das Wetter brennt! Wenn es dir bei mir nit gefallt, treib ich dich. Mit den Nachbarn zerkrieg ich mich leicht. Soll ich wieder mit ihnen streiten und raufen wie daheim?«

»Dein Gähzorn ist an allem schuld«, begann sie kühner. »Hast du nit Fried geben können? In Schanden haben wir abfahren müssen aus der Heimat; Steine haben sie uns nachgeworfen, das Kind hätten sie mir bald ersteinigt.« Sie strich mit plumper Zärtlichkeit über des Mädchens weißblonden Kopf.

»Wär nit schad gewesen! Fünf Buben sind mir gestorben, soll sie auch hinfahren, das Schratel!« zischte er. »Fünf Buben sind hin! Warum bringst du mir keinen zur Welt, der das Leben aushaltet? Für wen plag ich mich, wenn kein Bub da ist? Die Müh ist gar wild. Der Wald ist nit umzubringen, er ist zu viel, er ist eine unnütze, verlorne Sache. Am besten wär es, die Wildnis anzünden und hernach rennen, soweit einen die Füße tragen.«

Sein Blick glühte nach dem Dirnlein hin. »Woher sie die weißen Zöpfe hat?!« zischte er und spuckte sich in die Milch. Er war finster von Braue, Bart und Haut und verstand das lichte Haar seines Kindes nicht.

»Das Kind ist dein«, erwiderte das Weib gekränkt. »Glaubst du, ich hätt mich mit einem andern einlassen? Uns kommt kein Nachbar in die Stube. Jeder scheut dich wie einen winnigen Wolf.«

Er griff sich brütend in den staubigen Bart. »Heut nacht hat der alte Wolf wieder geheult vorm Zaun. Der Teufel fahr ihm in den Hals! Er fallt mir nit in die Grube. Die Einöd umspürt er mir allweil, das Vieh will er mir reißen. Und unser Hund zittert und meldet ihn nit. Ringel!« schrie er auf.

Ein schmaler Hund erhob sich unter der Bank, er hatte einen weißen Ring um den Hals gezeichnet. Schaudernd stand er, er fürchtete die Stimme seines Herrn.

Der Wildnusser packte die Rute, die im Gotteswinkel hinterm Kreuz stak, und das Tier kroch winselnd auf dem Bauch daher, die Augen flehend auf den Peiniger gerichtet.

»Ringel, warum schmeckst du den Wolf nit? Fürchtest du ihn? Bist du ein Hund oder ein Has?«

Grausam peitschte er das Tier. Es floh nicht, zuckte und klagte.

Da erbarmte sich das Mädchen seiner und schützte ihn. Aber der Vater schlug mit der Gerte auf den schirmenden Arm.

»Hör auf!« stammelte die Bäuerin. »Die Rute ist geweiht. Und Vieh und Kind haust du mit derselben Rute. Das soll nit sein.«

»Dass dich die Otter kitzle, Weib! Misch dich nit in die Kinderzucht!«

»Im Gähzorn zieht man kein Kind.«

Der Bauer aber packte das Dirnlein beim weißen Haar, hob es in die Höhe und schüttelte es wie toll. Wortlos sank es hin und verduckte sich neben dem Hund unter der Bank.

In dumpfer Anklage sah das Weib den unsinnigen Mann an. Er hatte ein lichtes und ein schwarzes Auge, das lichte drückte er zu, als wolle er dies Naturspiel verhehlen. Und er holte mit der Gerte aus und schlug sein Weib und brüllte: »Widersprich nit, sonst erschlag ich dich!«

Im Winkel hing der gekreuzigte Heiland, groß und ungefüg, mit plumpen, einwärts gerichteten Füßen, mit dickem, kurzem Hals, angeklebtem Menschenhaar und einer grässlichen, tiefgekerbten Querwunde an der dürren Brust; sein schmerzensstierer Blick ging ziellos.

Der Wildnusser zerrte den Hund zur Tür hinaus. Mit unbarmherzigen Tritten verstieß er sein Tier und warf ihm Steine nach, bis es hinkend im Wald verschwand.

Sein Herz war aber noch nicht satt.

»Auf dem verrollenden Felsen sollen wir leben! Daheim ist mir nix geglückt, Reif und Spätfröste, Hagel und Dürre haben mich heimgesucht, Viehbresten in Stall und wurmfräßiges Korn in der Scheuer. Im Eisenwald wird es nit anders gehen. Da wird das Getreid um Michaeli noch grün stehen.« Er murrte es und griff nach Spieß und Faustbüchse.

»Wohin?« fragte das Weib heiser.

»Das Riedkorn will ich anschauen.«

Er verriegelte sein Haus, steckte einen Junghasen zu sich, den er heute gefangen, und trat in den Wald.

Der Mond ging in den Wolken aus, und ein, verwirrend lag sein Licht in gelben Lachen auf der Erde.

Im schweren Schatten der Buchen verlor der Bauer den Steig. Fluchend brach er durch ein Brombeerdickicht, watete durch feuchten Farn und kletterte über gebrochene Bäume, darauf ekle, glitschige Schwämme geilten.

Als der Mond breit durch die Wipfel drang, hielt der Wildnusmann vor dem Zaun, der seine Wolfsgruft umhegte. Sie war mit schwankem Reisig verdeckt. Innerhalb des Hagels klemmte er den Hasen ein, damit dessen Klage die Untiere locke.

Von der Grube leitete ein Pfad den Waldgänger zum Ried. Oft schien es ihm, als folge ihm etwas mit glühem Auge, da drehte er sich immer hastig um und stieß den Spieß in die schwarze Luft.

Eine schwere Stille herrschte, und nur zuweilen klagte der geklemmte Köder.

Blass und feig lugte der Mond in das Düster und blendete den Mann. Dann wieder überfiel ihn der tiefe Schatten geschlossener Wipfel, da schlug er sich die Beule blutig an einem niederen Ast.

Auf einmal steigerte sich schrill der Jammer des Hasen und brach schroff ab; atemleere Stille folgte und wurde von einem rauen Geheul verschlungen, das die Wälder erfüllte. Der Wolf war gefangen.

»Krepier du und der Teufel!« jauchzte der Mann.

Aber am nahen Ried knackte und rauschte es, durch die Stämme bot sich der unklare Anblick bewegter, nächtlicher Geschöpfe. Badeten Hexen in den jungen Halmen? Tanzte ein gespenstischer Sichler durch die Saat? In arger Ahnung nahte sich der Bauer.

Der Zaun des Riedes lag gebrochen. Hirsche weideten im mondlichen Feld wie eine Herde auf der Wiese, lustwandelten in der aufgeschossenen Saat und traten sie nieder. Ein satter Barthirsch trug hochmütig sein Gestänge, junge Hirschlein spielten, und ihre Geweihe prallten frisch gen einander. Andere ästen ruhig dahin, in Unschuld frevelnd an des Menschen Aussaat.

Der Bauer schaute durch purpurne, kreisende Bluträder das zerstörte Ried, schaute vernichtet, was er mit verbissenem, wildem Fleiß der Öde an nutzbarem Boden entrungen. Wo er das windfällige Holz weggeschleift, wo er geschwendet und gebrannt, gereutet und geräumt und Körner in die Asche gesät und gehofft hatte, da wühlte und trampelte der Huf tückischer Tiere, da verdarb, was ohnedies dürr und arm wuchs auf dürftigem, steinigem Feld.

»Den Zaun hat mir der Werwolf geworfen, der hirnfresserische!« stöhnte er. Die Zähne bleckte er dorthin, woher das Geheul schwoll. »Das zahl ich dir heim!«

Brüllend, schaumspeiend, den Hals geschwollen vor Wut, rannte er ins Ried. In seiner Tobsal wusste er nicht, was er tat. Die grünlichen Sterne zuckten, die Bäume sausten, der Wind zischte, und des Einöders Spieß fuhr rasend in die Tiere, die ihn dumm und arglos anstaunten. Als aber eine Hirschkuh blutend niederbrach, fiel die Erkenntnis über das Wild, und es stob wie unter der Geißel eines bösen Gewissens in die Finsternis.

*

Der Saumer pochte des Wildnussers Weib wach:

»Lebst du noch, Nachbarin? Meine Bäuerin ängstigt sich um dich. Dein Mann schreit drüben am Ried wie ein Viehscheuch. Was ist los?«

Sie öffnete das Fenster und wies den hageren Arm. »Da schau her, lieber Anrainer, mit der Rute hat er mich gehaut. Heut tobt er wieder.«

»Ein unbehauener Baum ist er, nit gestümmelt, nit geästet. Verkommen lasst er dich in der Ödung, Bäuerin, nit einmal ein getretener Weg geht zu euch.«

»Mein Dirndel lernt nit reden«, sagte sie traurig. »Im Herbst muss es Holzäpfel klauben; im Winter bastelt er in der Stube, der störrige Mann, da darf keines ein Wörtel reden; im Frühjahr und im Sommer muss das Kind reuten helfen, und unter die Leut darf es nit. Wo soll es reden lernen? Von Droscheln und Schwarzplatteln lernt es nix.«

»Es gibt keinen Mann, der nit einen Luchszahn im Hals hätt«, seufzte der Nachbar. »Die Meine hat auch ihr Kreuz mit mir getragen.«

»Aber der Meine ist ein gar böser Narr: Der Gähzorn zersprengt ihn einmal. Und ausreden lasst er sich nix. In harte Erde ist hart säen. Heut hat er den Ringel verscheucht, der Hund war meinem Dirndel ihre einzige Freud.« Sehnsüchtig lockte sie in die Nacht: »Ringel! Ringel!«

Ein klägliches Aufheulen erfolgte. Aber der Hund kehrte nicht zurück.

Der Saumer lauschte. »Dein Bauer kommt«, flüsterte er. »Ich mag mit ihm nix zu schaffen haben, ich geh. Vertrag dich mit ihm! Er ist halt ein Eigenköpfler. Unser Herrgott hängt jedem seine Schelle um.«

Er eilte davon.

Der Wildnusser kam und trat in die Stube, er riss das Kreuz aus dem Herrgottswinkel.

»Willst du uns den Segen aus dem Haus tragen?« stammelte das Weib.

Er lachte grob. »Tröst dich! Ich nagle dir heut noch einen anderen Marterer ans Haus. Schlaf ein! Morgen kannst du den Hirschen Beißkörbe flechten, das Ried haben sie uns verdorben.«

Der finstere Wallfahrer schleppte des Heilands Holz. Er schulterte die kantige Last bald rechts, bald links, bald hob er sie steil empor, dass das Schmerzhaupt oben die Zweige bog oder rau ans Geäst schlug. Dabei äffte er das Geheul des gefangenen Wolfes nach, und Mensch und Tier grüßten sich in Hass durch die Finsternis.

Über das Ried griff ein öder Ast, daran knüpfte der Bauer mit einer Wiede den Heiland, dass dieser wie ein Gehenkter baumelte.

»Herrgott, jetzt scheuch du mir den Hirsch! Gearbeitet hab ich, dass mir das Blut aus den Augen geronnen ist. »Deine und dem Teufel seine Geschöpfe haben der Mühsal nit geachtet. Jetzt wach du selber! Und hilfst du nit, so walt es der Satan!« –

In jener Nacht ward die Bäuerin durch einen grauenhaften Lärm aufgeweckt.

Der Wildnusser schleifte einen gebundenen Wolf daher und nagelte das entblutete, verendende Tier an die Hauswand. Die Kühe im Stall tümmelten, schnaubten und rissen an den Ketten, als das gespießte Tier röchelnd zuckte.

»Jetzt rühr dich, Eisenmann!« schrie der Bauer. »Und ihr andern Wölfe, hütet euch!«

*

Im Guguhof waren die Dirnen allein daheim. Sie hockten faul in der Stube und gähnten und wünschten sich, was ihnen die Weile kürze.

Da pochte es draußen an das Tor, das im Bollwerk angebracht war. Ein schwarzer Mann in fadenscheiniger Kutte trommelte mit einem Stecken um Einlass.

Als er die Mägde gewahrte, stellte er sich an wie der Wolf in der Siebengeißleinmäre und meckerte zärtlich: »Tut auf, ich bring euch volle Zitzlein und Zutzlein.«

Vergnügt bleckten die Dirnen die blanken Zähne gegen ihn, der ihnen die Zeit scheuchen sollte.

»Bin ich da vor dem Nonnenkloster Traunit?« scherzte der zahnlückige Mund. »Bin ich im Land, wo die Tannenzapfen wachsen?«

Wenn er nicht so lustig: gefaselt hätte, wäre er zu scheuen gewesen: das Haar zottete ihm schwarz zu den Brauen nieder und verhehlte die Stirn, die dürren Wangen waren narbig und mit wüsten Stoppeln bestrüppt, der Hals wies einen roten Streifen auf. Jeder seiner schielenden, auseinanderstrebenden Augäpfel nahm eine der Dirnen aufs Korn.

»Wer bist du?« fragten sie.

»Ein Mönch. Der blaue Wind bringt mich daher. Ein elend Land! Nix als schwarze Brunnen.«

»Du schaust nit geistlich drein« sagte die Wilbet. Die Kutte ist zerfetzt und zerflankt, das Haar hast du steif und schwarz wie ein Ross. Du bist ein Planetenleser, ein Handseher.«

»Oho, du Luchsin! Willst du meinen Heiligenschein sehen? Ach, wie ich im Moos geschlafen hab, hat ihn die Elster, deine Base, mir gestohlen. Sie bettet sich damit das Nest aus, das mag nun andächtig gleißen.«

»Du hast ums Genick einen roten Ring«, sagte die Hadax. »Bist du im Halseisen gestanden?«

»Ich bin ein büßender Lenhartsmann, bin mit der Kette gangen manch liebes Jahr«, frömmelte er. »Lass mich nit verschmachten da vor dem Nonnenhaus, du nussbraune Äbtissin. Bar Geld hat mir dies Jahr zwölf Monde lang gefehlt.«

»Troll dich!« kicherte die Wilbet.

»Ich kann nimmer zurück, Luchsin. Die Furten sind hinter mir verbrannt.«

»Dein Geld hast du verrauscht, deine Waffen verpfändet und hernach einem Waldbruder aus der Kutte geholfen. Du bist ein verlaufener Soldat.«

»Du hast gar nur einen Schuh an!« staunte die Hadax.

Er starrte betrübt nieder. »Der andere ist davongewallt, wie ich im Moos geschlafen hab. Aber tut mir auf! Die Zähne schmerzen mich vor Hunger. Kocht mir einen Saukopf! Mir schludert der Bauch. Heut hab ich noch nix als Wind gefressen.«

»Geh zu! Und der Teufel lecke dir die Fußstapfen!« rief die Wilbet. Sie war des Spieles schon müde.

Da zog er aus der Kutte eine funkelnde goldene Monstranz, hob die reiche Zier und segnete: »Pax vobiscum!«

Erschrocken und bestochen von dem Zauber des Weihtums ließ ihn die Wilbet ein.

Kaum hatte er die Monstranz auf den Tisch gesetzt, kehrten der Gugu und sein Knecht von dem dreifaltigen Baum heim, wo sie an der Kapelle bauten.

»He, wo hast du das goldne Ding geraubt, du galgenreifer Schuft?« rief der Bauer. »Und auf welchen Schlichen und Abwegen kommst du in meine Einöd?«

Der Fremdling erwiderte demütig: »Der Bruder Laudemus bin ich und trag den geweihten Bettelsack. Die Monstranz ist aus arabischem Gold, sie ist das einzige, was ich vor dem Feind gerettet hab, wie er das Kloster Heiligenblut ausgebrannt hat. Ich bin mit jungen Jahren gewesen der Welt Knecht«, er schlug die Wimpern reuig nieder, »hab aber hernach der betrüglichen Last abgesagt, denn die Welt ist eine Hur: Ei denn, so bin ich zehen Jahr im scharfen, härenen Kleid gewandelt mit dem steifen Vorsatz, nur in Gott mein Heil zu setzen, und hab in einer Glocke gehaust, die die Ketzer geraubt und im Gebirg verloren haben.«

Der Gugu maß ihn misstrauisch von oben bis unten: »Du tragst seltsames Schuhwerk, Mönchsbub.«

Der Laudemus erwiderte kleinlaut: »Der eine Schuh ist mir zu lang gewesen, drum hab ich ihn vorn abgeschnitten. Sein Gesell ist mir davongeflogen.«

»Dass er uns seine Laus anhängt!« schalt der Kirein. »Er ist wohl einer von der Strickgürtelbruderschaft, denen der Strick um die Gurgel gehört. Das eine Aug steht ihm hü, das andere hott. Dem trau ich nit. Sein Lebtag hat er den Wandrern auf den Landstraßen die Taschen abgeschnitten.«

»Möchtest du nit im Eisenwald bleiben?« sagte der Bauer nachdenklich. »Die Bärenkapelle wird fertig. Wir brauchen einen Beichthörer und geistlichen Trostmann. Du müsstest aber ein ehrbarer und gutbeleumundeter Mönch sein.«

Er versank in die gleißende Herrlichkeit der Monstranz, der brotbrechende Heiland mit der Zwölfbotenschar war in feiner, getriebener Arbeit daran angebracht, und Strahlenzungen zackten davon aus.

»He, Wilbet, trag dem Bruder das Brot her!« befahl er.

Der Laudemus kaute und schnalzte und betrachtete wohlgefällig die Dirnen und zwinkerte auf einmal dem Einöder zu: »Sind das deine Ehfrauen?«

Der Gugu erschrak. »Haltest du mich für einen Doppeleher?«

»Warum nit? Es ist ja ein erlaubtes Werk, zwei Weiber zu halten.«

»Du lügst. Vielweiberer werden ersäuft.«

»Wenn es nit wahr ist, soll mir der Bissen im Hals stecken bleiben.«

Der Fremde aß behaglich, und das Brot glitt ihm ohne jegliche Beschwer durch den Schlund.

Des Bauern Blicke flackerten von der einen Magd zur anderen. Da war die Starke, Kühle, Grünäugige mit den breiten Flanken. Da war die Rutenschlanke, die Biegsame; die Zähne, ein Glanz, die Lippen röter als der Fliegenpilz.

»Es ist nit gut, dass der Mensch allein sei«, salbaderte der Laudemus. »Ei denn, o Mensch im wilden Wald, vernimm die frohe Botschaft. In Nürnberg ist beschlossen worden, der Leutnot zu steuern: es darf keiner mehr ins Kloster, er sei denn sechzig Jahr und zu nichts mehr nütz; fernerhin dürfen die Pfaffen ihre Kellnerin heiraten, wenn sie deren begehren; ingleichen ist es männiglich verstattet und erlaubt, sich zweier Eheweiber zu unterfangen, wenn er genug Mannskerl ist, sie beide wohl zu versorgen und unter ihnen jeglichen Streit und Unwillen zu verhüten. Also hat es der fränkische Reichstag verfügt und beschlossen, dass nach dreißig Jahren Krieg wieder Leut werden im Land und Kriegsvolk heranwachst wider den grausamen Türken.«

Des Bauern Brust breitete sich, seine Augen schillerten. »Es ist glaubhaft. Warum sollt es nit sein?« sagte er. »Aber schwören musst du es mir dennoch, Mönch. Tu auf die Hand, spreiz auf die Gabel?«

»Bist du ein freilediger Springinsfeld, so heirat die zwei!« lockte der Versucher.

»Soll ich mein Lebtag so wolfsverlassen hausen?« stammelte der Gugu. »Ich will meine Freud haben. Alle zwei nehm ich oder keine.«

Der Knecht ergrimmte. »Werden dir zwei nit zu viel sein, he?«

Der Gugu reckte sich in stattlicher Mannheit auf. »Siebenmal so viel vertrag ich. Es kann der Gockel auch allen Hennen ihr Recht tun.«

Draußen am Misthaufen prangte gestiefelt und gespornt der Hahn, wackelte mit dem Helm und schüttelte den roten Bart und überschaute stolz seiner Hennen Schar.

Warum soll der Vogel so viel Kebsen haben und ein markiger Mann nit einmal zwei?

»Der Kitzel vergeht dir bald, Bauer«, warnte der Alte. »Nimm. nur die eine! Die andere wirf in die Wolfsgrube! In einem Haus sollen nit mehr Weiber sein als Backöfen.«

Der Landemus schnitt ein gelehrtes Gesicht. »Es blüht ein Kräutlein mulier, davor hüt sich semper. Und dennoch ist es ein erfreulich Ding um die Ehe, und der Mensch kann davon nit lassen.«

»Wem soll ich einmal die Einöd vererben, wenn nit Weib und Kindern? Was plag ich mich dann so unsinnig?« fragte der Gugu.

»Aber du weißt ja nit einmal, woher sie sind!« schrie der Knecht. »Und einmal wird eine Stimme vom Berg her rufen: ›Der Stilzel ist tot und die Muckenschnablin auch!‹, und die zwei Hexinnen werden heulen und dir davonrennen.

Der Bauer schaute von einer zur andern und wählte qualvoll. Die eine strotzte in unbändiger, schwellender Kraft, die andre trug einen feuerhellen Mund und sie gleißte ihn an wie die Versuchung selber. Draußen verkuckuckte sich ein allzu brünstiger Gauch.

»Du hast heiße Augen, Hadax«, stotterte der Gugu.

»Taubenaugen und Luchskrallen das ist ein junges Weib. Ein altes ist noch weit schlimmer«, lachte der Kirein böse.

Doch wer behält sein Hirn, wenn er sich verliebt? In trotzigem Entschluss fuhr der Gugu auf. »Ich vertrag zwei. Und wenn du wahrhaftig ein Mönch bist und nit trügst und uns drei in Gottes Namen zusammenbinden kannst, so soll es dir und mir nutzen.«

Der Kirein spie höhnisch aus. »Recht hast du, nimm alle zwei! Wenn du die eine haust, schaut die andre zu. Und ihr ungeschämten Weiber seid wohl gar einverstanden, dass es auf unserer Einöd türkisch hergeht? Da ess ich keine Scheibe Salz mehr mit euch.«

»Ein jeder tut, was er will«, sagte der Gugu scharf.

»Und der schiegelnde Zigeuner soll dich trauen? Man weiß nit, ob er einen anschaut oder nit, der zugerannte Lottermönch!« Der Kirein entlud seine Verachtung auf alle, die nicht siedelfest waren. »Und die hergelaufenen Weiber! Aus den Stauden sind sie herausgetreten! Such dir eine rechtschaffene Bauerntochter, Gugu!«

Der Einöder aber sprach zum Laudemus: »Du könntest uns ein Helfer und Zuspringer sein und uns zusammengeben mit geistlichem Wort. Du kannst dafür zehren und dich nähren bei mir den ganzen Sommer lang. Vor der Monstranz gibst du mir die Jungfern, der Kirein stellt den Zeugen.«

»Und die Geiß das Kranzelfräulein«, äffte der Knecht.

»Ei denn, ich will euch baldiglich einsegnen, zumal langer Brautstand vom übel ist«, sagte der Mönch mit Würde. »Kommt eins nach dem andern zu mir, auf dass ich euch die Beicht abhöre!«

Da verließen die Leute die Stube, und nur der Gugu blieb und kniete hin und bekannte schwerfällig die dürftigen Bauernsünden. Der Mönch orgelte deutsch und welsch durcheinander, schlug ein klotziges Kreuz und entließ den Beichtling.

Hernach kam die Wilbet an die Reihe.

Sie starrte trotzig seine zerlumpte Kutte an und schwieg.

»Sag mir fröhlich, wie haltest du es mit den Mannsleuten?« zartelte der Laudemus. »Magst du mir nit Rede stehen?«

Er tappte nach ihrer Brust.

Sie wies ihm die Fäuste.

»Du bist ein lutherisch Luder«, brummte er, »fahr in dein Verderben!«

Dann nahm er die Hadax ins Gebet.

Sie begann: »Ich bekenn und tu kund, dass ich getanzt und andre Leut getrieben hab zum Tanz.«

»Tanzen ist auch eine Andacht«, tröstete der Beichtiger.

»Ich hör lieber sündliche und eitle Dinge, lieber singen und sagen als göttliche Dinge.«

Der Landemus wusste nun, welch Vöglein da vor ihm sang, Lind er riss die Willenlose auf seinen Schoß.

»Deine Haut ist weich wie ein Mausfell«, flüsterte er. »Es ist mir lieber, du streichest mir süße Schmeichelwörter um die Ohren als deine Sünden.«

Sie raunte: »Dir beiß ich den Hals durch.«

Indessen schabte der Gugu, sich im Wasser des Brunnens spiegelnd, seinen Bart, legte die Feiertagsjoppe an und putzte die Messingknöpfe daran, dass sie wie fünf Sonnen glänzten.

Auf dem Tisch leuchtete die Monstranz köstlich, der Laudemus kauderte allerhand verschrobenes Zeug, und der Kuckucksbauer kniete vor ihm zwischen den Bräuten wie zwischen Bärin und Rehgeiß. Des Mönchs Getue mutete ihn kraus und erstaunlich an, im Seewieser Kirchlein betete der Pfarrer ein ganz anderes Latein. Doch schrieb der Gugu alles Befremdliche dem Umstand zu, dass der Laudemus zehn Jahre lang in der Wüstenei seine Stimme ertötet hatte und darum auch der frommen Bräuche mochte vergessen haben.

Wollt ihr drei ein Ehvolk sein, du Mann und ihr Weiber? Wollt ihr ein Fleisch und eine Seele sein?« fragte der Mönch.

»Ja!« schnaufte der Bauer. Die Wilbet nickte. »Ja ja, bittersgern!« lispelte die Dunkle.

Da mussten die drei sich bei den Händen nehmen wie zu einem Ringelreihen. So fordere es der neue Brauch, meinte der Laudemus und summte seine Sprüchlein und schlug ein Kreuz größer als das andere über die Brautleute, und die Hochzeit war vollbracht.

»So, jetzt hast du eine mit milchweißer und eine mit brauner Haut!« schloss der Mönch.

Der Gugu war ganz ergriffen, das Wasser schimmerte in seinen Augen. »Ich will euch ehren, meine Bäuerinnen«, sagte er treuherzig, »im Frieden will ich mit euch hausen. Wir wollen eine rechtschaffene und züchtige Ehe selbdritt führen und uns nit verlassen bis in den zeitlichen Tod.«

»In Ewigkeit, Amen«, erwiderte der Laudemus.

Nun öffnete der Gugu die Truhen, die er aus hohlen Kienföhren geschnitten. »Sie sind noch leer«, sagte er. »Ihr lieben Weiber werdet spinnen und sie mit fester Leinwand füllen. Wir brauchen ein großes Leintuch für ein dreispanniges Bett.«

Der Kirein aber spöttelte: »He, Ehmann! die Hädax schaut gar mondscheinig drein, die schlaft nit viel. Und das tut kein gut. Zumal du noch ein zweites Weib hast.«

Wütend schlug die Wilbet die Truhe zu. »Bauer, der Knecht bleibt mir nit im Haus!

Nun führte der Einöder die Weiber in den Stall zum Vieh, er zeigte ihnen, Hühner und Gänse und sagte dabei immer wieder: »Das alles ist jetzt mein und dein und dein.«

Er führte sie an den Händen durch seinen Besitz auf Hutung und Ried, zu Schrägzaun und Grenzbaum, er wies ihnen das Moor, das er entsumpfen, das überständige anbrüchige Holz, das er sengen, die steinfelsigen Lehnen, die er räumen wollte, und bekannte seine Freude, diesem Werk vier kräftige Arme gewonnen zu haben.

Sie wandelten durch brenngelbe Blummen, Weiher blinkte und Wiesenbronn, der brünstige Wald stäubte. Die Wilbet ging kühl und still, die andere brach sich Blumen aus dem Anger, flocht sich einen Kranz, und sang ein Lied in fremder Sprache. Da griff ihr der Bauer wohlgefällig ins weiche Haar: »Mein Lustgärtlein!« schmeichelte er.

Eine Elster schrie, das deutete nichts Gutes. Der Bauer drohte gen die Wipfel. »Schergengretel, das Unglück auf deinen Schädel!«

Am Bach fischte der Saumer. Der hatte seinen spöttischen Tag und jodelte grell den dreien zu:

»Zwischen zwei Berg und Tal
hab ich mannigs Ross im Stall,
Zwischen zwei Dirndeln drin.
Hab ich mein Sinn.«

Dieses Gesätz vergällte dem Gugu jeglichen weiteren Lustwandel, hastig leitete er seine Weiber heim.

Die Nacht drang ein, steckte den Mond aus und leuchtete damit in die Brautstube: drin schlummerte der Gugu tief zwischen den Gesellinnen.

*

Am nächsten Tag brachte der Bauer den Mönch zum Schreiner. »Der soll künftig unser Einsiedel sein«, meinte er.

Der Schreiner betrachtete lange misstrauisch den Laudemus. »Dich möcht ich nit vom Galgen kaufen«, sagte er offen, »dich hab ich schon wo gesehen.«

Der Laudemus erwiderte dreist: »In Eger hat mir einer bis aufs Haar gleich gesehen, ist aber mit dem Gottseibeiuns verbrudert gewesen, den möget Ihr meinen.«

»Ich hoff, du hast gottgefällige Leut auch kennen gelernt«, sagte der Schreiner. »Wenn du den Herrgott auf geistliche Weis zu bitten vermagst, dass er uns die Bieder segnet und dem Korn die nötige Sonne und ziemlichen Regen schickt, täten wir es mit dir versuchen.«.

»Wasser musst du weihen, heiliger Einsiedel!« eiferte die Frena. »Weihwasser ist der kräftigste Dung.«

»Getraust du dich, uns Leuten im harten Wald tröstliche Rede zu geben und das Gotteswort kurz und klar auszulegen?« fragte der Schreiner.

Der Laudemus entgegnete: »Das ist mir ein Leichtes.«

»Ich bau dir die Gottesstube aus«, sagte der Gugu freudig. »Du musst dich halt zunächst ohne Kirchengut behelfen.«

»Hölzerne Kelche, goldene Pfarrer«, flüsterte die Frena und drückte ehrfürchtig den welken Mund auf des Mönches haarige Hand.

Es herrschte hohe Freude im Eisenstein, dass ein geistlicher Mann eingekehrt war. Bei der grünen Dreifalt vollendete sich das Notkirchlein, und da kein anderer Heiliger aufzutreiben war, räumten sie das Bild des frommen Steigbahners Gunther hinein.

Sie beschlossen, später ein steinernes Haus zu gründen, an dessen Mauern die Tugenden der Heiligen beschrieben würden. Der Herrgott sollte es heimlich haben, in der Bergwildnis einen behaglichen Unterschlupf genießen, und auch seine Mutter wollten sie ihm hineinstellen und etliche rechtschaffene Heilige, dass er sich kurzweile mit ihnen. Dann müsste ein Bischof die Stätte beräuchern mit Weihrauch und Quendel und mit Lobgesängen weihen und an die Kirchtür klopfen mit dem krummen Stab und müsste vom Tor aus das ganze Land seligsprechen und die ansteigenden Wälder.

Indes die Eisensteirer also träumend bauten, lungerte der bestellte Pfarrherr auf den Waldhuten des Gugu, ließ das Vieh, das er zu betreuen hatte, laufen, wohin es wollte, und schnitt gottergebene Gesichter, wenn ihn der Kirein darob schalt. »Meist hielt er sich zu der Hadax, erzählte ihr unflätige Schnurren und gehabte sich wenig, wie es einem Kuttenmann geziemt hätte.

Die Monstranz aber versteckte er hoch im Wald in einem hohlen Baum, denn er fürchtete, ihr reiches Gold könne der Bauern Gier wecken.

Der Utz Stichenteufl trieb den Stier ins Waldgras. Das Tier brach plump durchs Gebüsch, stutzte auf einmal und schnüffelte einem ins Gesicht, der da im haselnussenen Schatten schlief.

Der Laudemus rieß die Augen auf, schrie und eilte im ersten Schrecken auf allen Vieren davon, sein Leben zu sichern.

»Was verstört dich so.?« Der Hirt schüttelte sich vor Lachen. »Fürchtest du das fromme Vieh?«

»Ich hab einen albernen Traum gehabt«, sagte der Mönch. »Ich bin an einem Galgen gehangen, der Wind ist gegangen, dass ich gefürchtet hab, der Strick könnt reißen.«

»Du träumst recht erbaulich. Lass schauen, ob sie dir die Ohren noch nit abgeschnitten haben, alter Monstranzendieb!«

Der Laudemus grinste den Knecht hämisch an. »Du irrst dich. Mein Lebtag hab ich kein unrecht Gut nit betastet oder gar mit hohlen Würfeln gespielt«, sagte er scharf.

Der Stichenteufl lehnte sich an einen Baumast. »Hoho, kennst du mich, so kenn ich dich auch. In Eger hat einer in einer Lottergasse einen Reiter erstochen, der hat deine Haut angehabt und deine schiegelnden Augen und deine schartigen Zähne.«

»Du Lügenvogel!« drohte der Laudemus. »Ich bring dich um den Hals, wenn du nit still bist.«

Da teilte sich der grüne Busch, und die Hadax trat herfür. Schnell ward des Mönches verwegenes Gesicht hell, und auch der Stichenteufl wischte eifrig über seinen Schnauzbart. Und sie äugelte den einen an und den andern und ließ sich in Gnaden zwischen den beiden nieder«, schämlich mit dem Kittel die Knie deckend.

»Guguweib, bist du dem Bauer davon?« neckte der Knecht.

Sie warf die Lippen trotzig auf. »Er hat ja noch eine daheim.«

»Stichenteufl, der Stier hütet sich allein herum«, mahnte der Laudemus.

»Öha, Bummel!« brüllte der Hirt in den Wald. Dann sagte er: »Du hast mir nix zu schaffen, Kuttenbub. Wir sind noch nit so liebe Freunde, haben noch keine Läus miteinander getauscht. Gelt, du tätst mich gern wegweisen, dass du allein Schabernacken könntest mit der Jungfer.«

»Ich bin keine Jungfer«, kicherte sie.

»Du bist die halbe Gugubäuerin«, lachte der Knecht.

Sie öffnete gähnend das rote Mäulchen. »Grobes Land bringt grobe Leut herfür. Die Leut sind da wie das ungeschlachte Vieh.«

»Oho, ich bin ein fürnehmer Soldat gewesen und kann heut noch den Weibern Freude antun.« Der Hirt riss vorn wilden Birnbaum über sich ein Blatt, setzte es an die Lippen und blies einen flinken Tanz darauf.

Blitzschnell sprangen Mönch und Bäuerin auf. Sie tanzten im grünen Moos, sie drehten sich auf einem Bein, ihre Sohlen berührten sich wechselseitig, sie hielten sich bei den Händen und wandten sich die Arme über die Köpfe, sie knicksten und knieten, und gar der Laudemus hüpfte wie ein Veitstänzer, dass ihm die staubige Kutte rauchte, und tappte der Tänzerin auf die Hüften.

Der Musikant spielte die Spinnrädelweise auf und die sieben Sprünge und den Nagelschmiedtanz, um der Hadax wohl zu gefallen. Schließlich schritt er keck auf sie zu und schmeichelte: »Du birgst wohl Zehrwurzkraut im Schuh, weil es mich so sehr nach einem Tanz mit dir lüstet.«

»Die Mannsbilder fliegen auf mich«, lächelte sie glücklich.

»Mir rumort das Herz«, gestand er und nahm eine stattliche Haltung an, »mir schlagt es wie noch nie. Und ich hab doch schon manch grausiges Stündlein erlebt, wenn die Kartaunen gespielt und Stuck und Mörser geknallt haben. Hei, das ist ein hitziges Leben gewesen! Mit Totenschädeln haben wir geschossen, wenn uns die Kugeln ausgangen sind, und die Mansfelder sind heran, zehn, zwanzig, dreißig auf mich allein, ich mit Strahl und Streich darein, hui, dass die Köpfe kugeln wie Krauthäupter. Die Hirndächer hab ich ihnen eingedroschen!« Er klatschte sich schallend auf die Schenkel und vergaß ob der rühmlichen Taten des Tanzes.

Doch der Laudemus krächzte: »Die Füße hast du auf die Achsel genommen, du ruhmrediger Schelm, davongerannt bist du!«

Der gewesene Kriegsmann tat, als wolle er in die Wehre greifen. »Red einem ehrlichen Soldaten nit darein! Mit einem Auge zielst du in den Himmel, mit dem andern in die Höll, wie hast du mich können rennen sehen?«

»Du eisenbeißerischer Großprahler, du tragst den Hals stolz wie ein Hirsch, hättest aber gern den längsten Spieß, dass du über eine Meile hin stechen könntest. Brüst dich nit so hoch!«

»Das Lügen verstehst du ausbündig, Helmknecht«, sagte das Weib.

Der Hirt fletschte die beiden an, wie der Kittel der Kutte hilft! Wie geschmeidig der Mönch sich vor ihr dreht, wie vor einem Tabernakel. Ich sing euch eine neue Weise. Tanzt dazu, wie ihr mögt.«

Rau hub er ein Schalkslied an, eine unflätige Märe von eines Pfaffen Häuserin; der die Bauern eine Schreibtruhe auf den Buckel gebunden; er heftete dabei den kecken Blick bald auf den Einsiedel, bald auf die Hadax.

»Entleib ihn!« hetzte die Hadax den Mönch auf; das schandbare Lied hatte sie getroffen.

»Du Fuchsschwänzer«, fauchte der Laudemus, »ich hau dich, dass dir der Nabel blutet!«

»Hoho, du Schimmeldieb, dich fürcht ich erst am neunten Tag. Und den Hurenbalg da wird man noch auf dem fahlen Gaul erwischen, dann wind ich ihr ein Kränzel aus Nesselkraut.«

»Du fauler Schwengel, zu faul, dass du dir das Fleisch kratzest! Du redest dreist und geil, aber vor dem Treffer hast du die Hellebarden fällen lassen und bist gerannt. Das sag dir ich.«

»Du trügerischer Mönch, du kannst die Fastnacht nit vom Karfreitag unterscheiden, machst hell finster und eben krumm. Den Bauern kannst du allerhand vorpfeifen, sie haben geduldige Ohren. Du solltest von Rechts wegen längst am Galgen predigen.«

Da sprangen Mönch und Weib blitzschnell den Schmäher an, balgten sich mit ihm und setzten ihm die Nägel in, die Wangen und die Finger in die Augen, dass er arg in Bedrängnis geriet.

Aber ein übermächtiges Gebrüll endete die Rauferei.

Mit jäher Kraft stieß der Hirt das Paar von sich, rannte ins Dickicht und schrie:

»Der Stier! Der Stier!«

In riesigem Sprung tauchte der Helm aus den Büschen.

Der Stier hielt röhrend einen Bären auf den Hörnern gespießt und zwängte ihn an eine Buche, dass ihm die Rippen krachten. Der Bär war schon tot, aber das wilderregte Tier ließ nicht nach.

»Recht hast, Bummel, tremmel ihn gen den Baum!« hetzte der Knecht.

Ermattet ließ der Stier nach, da fiel der Bär schlaff zu Boden. In seiner unsäglichen Angst wähnte der Stier, der Feind rege sich noch, er;nahm ihn wieder an den Stamm, bis er selber niederbrach und röchelnd zuckte.

Der Helm, der funkelnd die wütende Kraft betrachtet hatte, beugte sich über sein Tier, das war entsetzlich zerkratzt und zerfleischt, das Blut rann ihm von Muffel und Wamme, die Halsadern lagen offen.

»Hol den Schreiner!« schrie der Helm.

»O wir sind gepeinigt!« flennte der Stichenteufl. »O bleiben wir nimmer in dem Bärenloch! In Haidl daheim wär solches nit geschehen.«

Das starke Tier reckte sich langsam und lang aus und war verendet.

»Das Leben könnt ich mir selber abtun«, sagte der Helm verzweifelt.

»Mein Stier!«, flehte der Knecht, »nur einmal noch steh auf! Hörst mich nit, mein Stier!?«

»Herum geschlenzt bist du«, tobte der Bauer ihn an, »derweil der Bär den Stier verbissen hat. Meinen Stier, wer schafft mir ihn wieder?«

Er schlug dem Knecht die Faust auf die Schulter, dass er zwischen die toten Tiere hinstürzte.

In jenen Tagen wuchs der Abscheu gegen die Berggegend.

Die Roder hassten die düstere Farbe des Waldes; die verschrobenen Formen seiner Wurzeln, Stämme und Äste erschreckten, sein Widerstand empörte und verschüchterte sie. Und sie ahnten noch mancherlei Gefahren, die er für sie bereit hielt.

Der Michel Schreiner biss damals die Zähne zusammen und wich den Nachbarn aus.

*

Herztröstlich schlugen des Sommers Vögel, aus allen Wipfeln, und Stauden drangen entzückte Schreie, alle Lüfte waren davon erfüllt, die Bäche raunten, der Wald rauschte edel und sanft, und die Lichtungen klirrten silberfein von der Grillen Geschrill. Es war, als sänge die ganze Erde.

Der Schreinerin aber ruhten die Hände, sie schaute mit steinernen Augen immer wieder ihr Kind auf dem Totenbrett liegen mit gekreuzten Armen, mit den lieben zerschlagenen, zerkratzten, kalten Händlein.

Aller Klang in ihrer Stimme war erloschen, und sie redete gegen die singende, rauschende, klirrende Welt mit blassem Mund. »Ein Tag wird mir so lang wie ehedem sieben. O zwischen den vier Enden der Welt ist keine, die so Trauriges muss leiden wie ich. Gegen meinen Wehtag gibt es kein gütiges Mittel.«

»Lass ab, du frisst das eigene Herz auf«, bat die Frena.

Aber sie, wiederholte in Starrmut ihre Klage, und die Rede dämmerte wie trostloser Nebel in den lichten Sommer hinein. »Stunde und Weile sind mir schwer in der Wildnis. Ich bin krank. Aller Kräuter Kraft hilft mir nit.«

»So denk nit dran, Bäuerin, dann tut es nimmer weh«, riet die Magd.

»Es muss ewig weh tun.«

Wenn der Lenzel sich an ihre Knie lehnte, ihr seine Schmerzlein zu vertrauen, starrte sie vergessen und weit an ihm vorüber und vernahm ihn nicht und sandte alle ihre Liebe dem Toten nach.

Da hob der Knabe manchmal aus seinem Herzen einen bunten Trost. »Mutter«, sagte er geheimnisvoll, »der Bruder sitzt mitten im Himmel und hat einen goldnen und einen silbernen Schuh an und einen Perlenkittel. Die Jesusdocke darf er wiegen und Honigbrot essen dazu.«

Doch die Mutter saß wie steinern.

Einmal brachte er ihr ein Körblein glühroter Beeren, süß duftete es daraus. Aber sie stieß es von sich.

Die Frena zog ihn hinter eine Berghollerstaude und beschwichtigte ihn. »Deine Mutter ist ein armes Weib. Kränk dich nit, dass sie dein schönes Obst verachtet. Weißt du, es ist heuer der Johannistag noch nit gewesen, und zu Johanni geht unsere liebe Frau im Paradeis in die Beeren, und die verstorbenen Kinder dürfen dann nit mit ihr gehen, wenn ihre Mütter schon Erdbeeren gegessen haben in diesem Jahr.

Dem Knaben rollten die Trägen ins Körblein, und er aß selber traurig das feuchte, liebliche Obst.

Seine schweren Augen taten der Magd leid, sie wollte sie wieder blank machen. Drum begann sie: »He, du gescheiter Bub, rat einmal! Was ist das: drei Knoten –und dennoch nit geknüpft?«

»Das ist der Kornhalm«, erwiderte er hastig. Er kannte der Alten Rätsel schon längst.

Sie nickte. »Jetzt aber: was wachst ohne Wurz?« »Das Herz?« riet er leise.

»Nein, der Stein wachst ohne Wurz. Aber deine Zunge, Bub, ist ein seltsames Vöglein.«

Der Mutter verschlossene, abwehrende Trauer, des Vaters steter Aufenthalt in Ried und Holzschlag ließen den Knaben ganz vereinsamen; er verspann sich, einer frühlingsmüden Raupe ähnlich, in die seidenen, zarten Fäden der eigenen Seele, und nur die wortlosen Geschöpfe des Urwaldes schmiegten sich an ihn und wurden ihm hold.

Einmal trug er sein tännenes Schüsslein Milch aus dem Haus zu dem Bergholler hin. Die Sonne hing mittäglich über einer geborstenen Föhre.

Als er das Brot einbrockte, rieselte eine schöne, dunkle Schlange daher. Sie kam ganz nahe, hob ohne Scheu den Kopf und trank die weiße Milch.

Zuerst staunte der Bub und hockte wie ein lugendes Eichhorn, dann aber löffelte er emsig mit. »Ei, du darfst mir nit alles wegschlucken, Würmel!«

Die Schillernde spähte, ihn listig an, wispelte etwas und schleckte weiter.

»Bröcklein musst du auch essen, nit lauter Milch!« drohte er und hob den Löffel. Aber der Natter gebrach es an den Ohrwäschlein, darum verstand sie ihn nicht. So trank sie ihr Teil und verschlich sich dann in die Staude.

Als tags darauf die Sonne wieder über dem zersprungenen Kienbaum hing, harrte der Lenzel wieder der neuen Freundin, und sie rann wie ein dunkles, schmales Wasser aus dem Holler, streckte die zwiefache Zunge herfür und schlemmte wacker mit. Sie tat ganz heimlich und war doch eine gefährliche Höllnatter, deren Stich tötet.

Des Knaben Neugier hub mit hundert Fragen an. »Würmel, kannst, du auch singen? Würmel, wo hast du die Krone liegen? Bringst du sie morgen mit? Ich tät sie gern glitzern sehen und ihre Zacken zählen.

Würmrel, hast du die Stube im Dorn?« Und er mahnte: »Iss nit alles auf! Lass ab! Ein Neiglein müssen wir übrig lassen fürs Moosweibel.«

Da rauschte der Vater durch die Büsche. Als er des Kindes Tischgesellen sah, schlug er heftig danach, und das Tier tat einen hohen Sprung und schnellte sich ins Gestrüpp.

»Was hat dir mein zärtliches Würmel getan?« klagte das Kind, es war so, voll Angst vor des Vaters wütendem Atem, dass ihm das Brünnlein rann.

»Eine Giftotter ist es«, rief der Bauer. »Eine Ihresgleichen hat heut von unserer, Kuh, dem Sternel, trinken wollen und hat sie ins Euter gebissen, das ist jetzt arg verschwollen.«

Mürrisch jagte er den Buben ins Haus, und der Lenzel vertrotzte den Tag in der Stube, weil man ihm das glänzende Gespiel betrübt und verscheucht hatte.

Am dritten Mittag fand er die Staude dürr und verkohlt in armer Asche.

»Würmel, dein Dach ist verbrannt«, trauerte er. »Wer hat das getan? Ach, mein Vater ist ein harter Mann!« Lockend rief er in den Wald: »Wo bist, du hin? Würmel, die Suppe ist da. Sie erkaltet, wann du nit bald kommst. Würmel, fürcht dich nit, der Bauer ist nit daheim.«

Aber die Natter kam nicht.

Die Suppe rauchte und kühlte langsam aus. Die Sonne schlich an der alten Föhre vorbei, die Bäume neigten sich einander zu und sagten sich etwas recht Banges.

Die Natter kam nicht.

Da ließ der Lenzel die Suppe stehen und ging die Gefährtin suchen.

Am Steig schlief die Schnecke in ihrem Häusel. Der Bub weckte sie.

»Schneck, Schneck, spitz dein Horn,
Kriegst im Sommer Klee und Korn.«

Da kroch das Tier heraus und richtete das Viergehörn spürend auf.

»Hast du das Würmel nit reisen, sehen? Hilf mir suchen!«

Doch die Schnecke hatte ihrer Neugier genug gefrönt, sie schluckte die Hörner wieder ein und zog sich ins Gehäus zurück.

Das Kind lief weiter. Manch blaues Blümlein lugte ihm nach, die Bäume warfen sich bunte Vögel zu, und hin und wieder glotzte das Eichkätzel aus dämmerigem Geäst. Hügel wölbten sich, von schwarzen, großen Ameisen überwimmelt; einer groben Hummel Geläut klang gar tief und schauerlich.

Zu mehrfachem Ring verrollt, ruhte eine Schlange auf einem Stein. »Grüß dich Gott, Würmel! O dass ich dich gefunden hab!«, frohlockte der Bub: Aber die Schlange hob einen hässlichen, bösen Kopf und zischte. »Nein, dich such ich nit, du hast nit aus meiner Schüssel trunken.«

Weiter lief er in die Waldöde, bis er den Steig verlor und tiefmächtig im nie geschauten Gewirr der Wildnis war.

Verkümmerte Buchen und Föhren wucherten, ihre Äste bogen sich verzerrt zur Erde, abenteuerliche Tore schlagend. Rote Blumen züngelten falsch. Schweres Moos lockte.

Am Moos lag eine feine, funkelnde Natternhaut. »Ei, da ist mein Würmel gewesen, sein lindes Röckel hat es abgelegt.« Und weil der Knabe von dem Lauf und von der Sehnsucht glühte, so zog er, sich zu kühlen, das Höslein aus und breitete es übers Moos. Wenn er zurück käme, wolle er es wieder holen.

Im Hemd irrte er weiter und rief der Otter. Einmal antwortete ihm der Widerhall, und das tönte so vertraut, als rege sich die Stimme des Brüderleins, das unter dem fallenden Baum gestorben war. Da vergaß er des Tieres und suchte den toten Görgel.

Unter seinem Tritt seufzte das quellige Moos wie ein Mensch auf. Die Angst der Einsamkeit erfasste ihn plötzlich, und er wollte heim.

Der Wind begann. Das Moosbächlein gluckste und lockte und flößte eine entwurzelte Blume. Dem verwirrten Kind fiel es nicht ein, dem Wasser ins Tal zu folgen, es rannte immer weiter bergan.

Dunkel gähnte eine hohle Buche, der Wind flötete drin. Das Kind lauschte verhaltenen Atems hinein. Drinnen funkelte etwas unausdenklich Herrliches: es war, die Sonne stünde selber dort auf goldenem Fuß und schösse zackige Strahlen um sich. Dem Lenzel ward fromm schauerlich zumut, und er fürchtete, die Augen sich blind zu schauen an dem schimmernden Wunder. Gar bedrohlich gurrten die Grolltauben, schwere Raben schwammen in den Lüften, stiegen nieder und kamen ganz nahe. Der Knabe scheute die großen, rauen Vögel und rannte, von den Dingen des Urwalds getrieben, verzagt bergan.

Er kam auf eine Hochweide. Eine weiße Wolke hing wie der Bart des lieben Gottes in die Berge hinab. Ein gekrönter Hirsch wandelte und achtete des Kindes nicht. Etwas sprang rot aus dem Gras und schnarrte. Fremde Blumen sonnten sich; einsame, verknörrte Bäume sausten. –Den Buben hungerte.

Ein lieber Vogel klammerte zutraulich im Dorn und sang. Der Lenzel hatte einmal gesehen, wie ein Bettelmann einen Vogel erworfen und gebraten und sich daran gesättigt hatte. Nun nahm auch er einen Ast und schleuderte ihn. »Flieg weit, triff mir den Vogel! Der Hunger tut mir weh.«

Da ward das gelbe Schnäblein stumm.

Tieferschrocken kniete er vor die Leiche hin, fühlte den warmen, kleinen Leib und öffnete ihm die gesunkenen Lider, da war noch im Auge der kluge, dunkle Blick, und er öffnete ihm das Göschlein, da drang kein süßer Ton mehr heraus.

»Ach, nun bist du auch tot!« stammelte er. Er scharrte den Rasen auf, barg die Leiche und deckte sie sanft zu. Die Vögel rings zwisperten leidsam, und das arme Mörderlein kniete reuevoll an dem Grab, und da es nichts Schicklicheres wusste, sang es halblaut unter klaren Tränen ein Bethlehemslied.

»Heidipupeidi, schalamacheidi,
Schlafe zart, Jesukind!«

Die Sonne ging zu Gott, da wurde der Himmel unendlich weit, und die einöden, grauen Wipfel hielten still.

»Wind, bist du auch heimgegangen?« fragte das Kind.

Niemand erwiderte.

Dunkler wurde es. Es knisterte im Gestäude.

Vielleicht trippelt die Hexe daher, sie hütet abends die Kröten, sie trägt einen Bart und scharfe Krallen und Spinnweben vorm Gesicht und ein Krähennest am Kopf, ihr Haus duckt sich im Wald, und ein wunderblaues Quälmlein huscht aus dem Rauchfang. Ach, sie bratet die verirrten Kinder!

Mit gepressten Lippen jagte das Kind weiter. Die Dörner zerrissen ihm Hemd und Haut. Es erschrak vor dem Geräusch des eigenen Trittes, es wagte nicht zu schreien.

Der weiße Mond quoll auf und stierte, ein aufgerissenes Auge, streng in die verfinsterten. Wälder nieder, als geschähe drunten Unheimliches. Auf einmal saß vor der Mondscheibe schwarz und groß ein Rabe. Er hatte nur ein einziges Bein.

Angst und Müdheit knickten dem Kind die Knie, es verhüllte das Gesicht und sank fröstelnd in den Tau. Die Liebsterne, die tröstlich niederäugelten, ahnte es nicht.

Es kroch zu einem Wacholder, dem Muttergottesstrauch, umschlang das bittere Dorngezweig und suchte dabei Schutz.

Durch die schwere Dämmeröde irrte nur doch ein verzagter, flügelmüder Schrei.

Mutter!

*

Gegen Abend erst wagte sich der Zachreis zum Bauer. »Der Bub ist davon!«

Der Schreiner sah ihn verstört an. »Es ist nit möglich«, murmelte er.

»Zuletzt hat ihn die Frena nach der Natter schreien hören. Das ist lang schon her. Wir haben ihn gesucht weitum.«

Die Kunde durchdrang die Lenora wie der Tod. Ihre aschfahlen Lippen fanden nicht die Kraft, sich zum Schrei zu öffnen. »Wo ist mein liebes Kind hin?« flüsterte sie.

Der Bauer hatte sich gefasst. »Heut noch bring ich dir den Buben. Die Nachbarn helfen mir suchen.«

»Such ihn, such ihn schnell!« drängte sie, und dann gewann ihre Not Stimme. »Lenzel! Komm zu mir! Ich, schrei vom Herzen auf.«

Ein gar wildes Suchen begann.

Die Amseln schliefen schon in den Wipfeln, schwer und golden drang der Mond auf und hellte die irrsamen Pfade. Kienfackeln brachen in die Finsternisse ein, Stimmen riefen.

»Wohin soll ich zuerst?« stöhnte der Schreiner. Schweiß lag ihm kalt auf der Stirn, in seinen Ohren brauste es.

»Frag die Schlangen, die wissen, wo der Bub ist«, sagte die Frena in zornigem Hohn. »Zu Mittag musst du sie fragen, da liegen sie zusammengerollt wie Brotkörbe auf den Steinfelsen. Du hättest die Stauden nit anzünden sollen, wo die Natter genistet hat. Deine Wildheit hat das Unglück angestiftet.«

Der Bauer eilte dem Irrwandel des Baches entgegen. Wildwasser zischten wie weiße, schlimme Schlangen nieder und setzten sich in Schaum. Der Mond spielte sonderlich in den Wasserstürzen, eine Wolke legte sich über ihn wie ein finsteres, schweres Augenlid. Da stand der Mann im Dunkel.

Der Zachreis und die Frena suchten in der Richtung des Panzergebirges.

»Heilige Kummernis, Sankt Helferin!« betete die Magd.

Der Knecht bog eine schwarze Staude auseinander, ob das Büblein nicht darin schlafe. »Wieder nix! Es muss einen harten Stein erbarmen.«

»Die Bäuerin hat der Herrgott gestraft, sie ist gar zu traurig gewesen«, sagte die Frena. »Dem Lenzel hat sie kein liebes Wort gesagt, seit der erste gestorben ist.«

»Die Schlange hat alles Unheil über die Welt gebracht«, sprach der Zachreis.

»Die Nattern soll man nit beleidigen«, fabelte die Alte. »Da ist, einmal ein zottiger Zigeuner ins Dorf kommen, der hat aus einem Buch gelesen und damit alle Schlangen in ein Feuer verbannt, dass sie elendig verbrunnen sind. Zuletzt ist die Natter kommen mit der roten Krone, sie hat den Hexer ins Herz gestochen.«

Die Leute zerstreuten sich immer tiefer in die Wildnis; sie schrien des Kindes Namen, doch nur der taube Wald erwiderte. Die Fittiche der Fichten lispelten arglistig: sie wussten, was die Menschen nicht wussten. Hämisch blinzten die Sterne.

Der Gnad traf die Frena im finsteren Felsicht.

»Fürchtest du dich nit? So viel Nacht ist da.«

»Der Eisenmann ist tot«, sagte sie. »Jetzt ist der Wald, nimmer so ängstig.«

»Seit wann ist er tot?«

»Der Wildnusser hat ihn an sein Haus genagelt.«

»Der Wildnusser hat nur einen halbtoten Wolf gemartert, das hätt er unterlassen sollen.«

»Das ist doch keine Sünde«, meinte die Alte. »Das Vieh hat doch keine Seele. Und gar der Wolf ist teuflisch.«

»Ich weiß von einem Wolf, der hat ein ganzes Schaf aufgefressen, ist damit meilenweit gelaufen und hat es seiner armen, hungernden Brut hingespien. Der Wolf hat ein gutes Werk vollbracht.«

»Aber der Eisenmann ist hin«, trotzte die Frena.

»Er lebt. Vorgestern nachts ist er in dem Diller sein Haus gedrungen, hat ihm das Feuer im Herd verlöscht. Gestern hat er den Stichenteufl vom Ried versprengt, der Knecht hat die Hacke liegen lassen und sie hernach nimmer gefunden. Es ist ein gutes Werkzeug gewesen.«

Die Frena bekreuzte sich, und klopfenden Herzens eilte sie heim.

Hat der Eisenmann das Kind erdrosselt? Es ist wohl nimmer zu finden. Wenn ihm die Otterschlange in die Schüssel gespien hat, ist ihm das Hirn irr worden an dem Gift, und, der Bub findet nimmer zurück aus dem kinderfresserischen Wald.

Die Nachbarn riefen, schwangen Fackeln und schlugen mit Knütteln an die Bäume, da sie nimmer rufen konnten mit den ermüdeten Stimmen. Im Morgengrauen kamen sie heim, matt, zerrissen und blutig von der verwurzelten Welt.

Nur der Schreiner kehrte nicht heim. In dumpfer Unverdrossenheit zog er dahin. Kalt und schadenfroh ragte der Wald, keine Stimme gab Rat, nur das Schluchtwasser gurgelte rätselhaft, und als öd der Morgen kam, schrien die Krähen: »Grab! Grab!«

Drohend türmte sich die Wildnis. Hier woben fremde, abholde Geister, vernichtend, menschenverschlingend. Furcht fasste den Mann, Grauen vor diesem Land.

Er wühlte sich ahnend in starre Dickichte, er suchte die Wolfsgruben auf. Hat ein ungezähmtes Tier das Kind verschleppt? Haben Luchse es zerfleischt? Liegen seine Beinlein zerschellt an einem Stein?

Von Müdheit übermannt, lehnte er sich an einen Ahorn, und der Schlaf überfiel ihn. Da glotzte ihn der Traum mit harten falschen Schlangenaugen an. Aufraffte er sich und jagte weiter, und sein banger Ruf scholl vergebens.

Er geriet in eine schroffige Wand. Felsen bauten düstergrüne Fichten über sich. Er kletterte gedankenlos, er schrie nimmer. Fels türmte über Fels, Berge lagen rings wie Beulen. In der Tiefe dunkelte ein Wasser. Das lockte ihn hinab aus dem rissigen Geblock.

Finstergrün dehnte sich der See, von Wirrwarr umzäunt. Geborstene und verzerrte schwarze Wildnis fand da ihren ungeheuern Spiegel. Fels und Wasser grollten sich in die Augen.

Ein Teil des Uferwaldes lag zersplittert, ein Drehsturm mochte hier gerast haben. Gespenstisch gellte ein Specht.

Aus grünen Wipfeln irgendwo gleißte ein entrindeter, lebloser Baum, er ragte fremd wie der Tod.

Der Bauer sah im See den Widerglanz der Fichten und eines Falken Flugbild. Eine weiße Seellilie schwamm. Hat der hungrige Wassermann diesen Köder ausgeworfen? Hat ein Händlein danach gegriffen?

Ein Wehvogel schrie. Die Blume hing am Wasser, schneeweiß wie eine schuldlose Kinderseele.

Der Schreiner beugte sich über den See: sein verstörtes Bild hob sich ihm entgegen.

»Schlange«, stöhnte er, »ins Herz hast du mich gestochen!«

Herzlos und wissend lauerte die Landschaft. Der See trank einförmig der Felsen Brunnen, die sausten nieder und hielten die Wildnis wach. Ein Bach sprang aus dem See wie Milch aus der Zitze einer geschwellten Brust. Die Wand riegelte sich auf, Fichten um stellten das Wasser, und ihr Dunkel färbte es mit namenloser Wehmut.

In übermannender Öde stand der Mensch. Die Sonne erhob sich.

»Sonne, wo ist mein Kind?«

Das brennende Herrgottsauge droben schwieg. Kein Finger drang aus morgenbrünstigem Gewölk und wies den Sucher zurecht. Der See glomm unhold unterm roten Himmel, das Wasser brannte.

Nun rastet wohl irgendwo das Kind und weint vor Hunger. Nun schreit es der Eltern Namen, das bange vertraute Stimmlein. Es schreit zum letzten Mal.

Das rasend machende Gefühl völliger Ohnmacht überfiel den Bauern. »Sonne, rede!« lallte er,.

Er hätte sein Beil in die stumme, rote Sonne schlagen können, dass sie ausblute.

Drüben jenseits des Sees scholl es: »Lenzel, mein Bub!« Trostlos scholl es. Die Seewand gab gramvoll des Kindes Namen zurück.

Drüben stand die Lenora.

Über Wälle gestürzter Schäfte, durch Farnwälder sprang der Bauer, Dornen warteten auf ihn wie Raubvogelkrallen, Blut hing an seiner Fährte. Zeternd flatterte ein Häher auf.

Sie stand still und weiß vor dem tiefen Wasser, in ihren Augen war ein unseliger Wille.

Der Schreiner riss sein Weib zurück. »Was willst du?«

Gemartert schluchzte sie: »Ich seh ihn nimmer. Weh, weh, ich seh ihn nimmer!« Immer wiederholte sie diese Worte.

Einförmig brauste der Bach, die Bäume tönten, der See ward Glanz.

Er umschlang sein Weib und zwang sie talwärts.

Um ihren Mund zuckte der Hass. »Wären wir in der Seewies blieben, Bauer, wir hätten die zwei Buben noch.« Dann brach ihr Jammer aus: »O, der Lenzel ist mir noch lieber gewesen als der Görgel! Jetzt erst weiß ich es, wo ich ihn nimmer hab.«

»Du redest, als wär der Bub schon dem Tod heimgegeben«, sagte der Schreiner. »Ich bin gewiss, dass ich dir ihn heut abends auf den Schoß setz.«

Als sie tiefer ins Tal kamen, fanden sie des Vermissten Höslein schön sorgfältig zusammengelegt im Moos.

Die Mutter riss es an sich. Die Ordnungsliebe des Kindes erschütterte sie und erinnerte sie an hundert liebe Geschehnisse, an hundert scheue und gute Worte.

Irgendwo greinten und haderten die Krähen. Die Lenora schauderte auf. O Kind, wo wird man dein blutiges Heindlein finden, deine kleinen Knochen? Ein schlimmes Tier hat dich gefressen!

»Himmel, brich entzwei!« schrie sie auf.

Sie konnte den Wald nimmer ansehen, er deuchte sie eine einzige, finstere Verschwörung. Fiebernd lag sie in der Nacht, indes ihr Mann aufs Neue suchte. Sie träumte, sie schnitte sich ihr schönes, langes Haar ab und flöchte daraus ein Floß, ihr auf ein Eiland entführtes Kind zu holen. Aber, das seidene Floß ward nimmer fertig, wie emsig sie auch knüpfte.

Der Schreiner rastete im hohen Gebirg.

Kein Mensch, kein Tier war da, ihn zu belauschen. Nur eine Drossel sang, sang sich schier zu Tod. Da kniete er auf den Stein, die Hände hilflos gen Himmel faltend.

»Es ist, sein frommes Kind gewesen, es hat fleißig gebetet, hat liebe Sprüchlein gewusst.« Und dann riss er seine Stirn, seine Seele in wilder Frage empor. »Verschleierter Herrgott, warum schickst du mir das?«

Am dritten Tag kam der Bauer heim.

Ein Nebel war ins Tal gefallen, machte die Dinge gramvoll und verhallte sie.

Der Schreiner trat vor sein Weib. Sein Gesicht wär müd und hager, sein Auge anders als früher. Er stammelte: »Der Herrgott lasst uns unsere Sünden abbüßen auf der Welt!«

Sie verstand ihn. Der Verlust des Kindes, den sie sich geleugnet bis zum letzten Augenblick, ward ihr grauenhaft klar, und sie tat einen in seiner Qual fast tierhaften Schrei. Der Bauer erkannte, dass es derselbe raue, tiefste Schmerzschrei war, womit sie ihm einst den Buben geboren.

»Weib, halt dich still!« bettelte er. »Die Erde ist ein Kummerland.«

»Hast du ihn gefunden?« ächzte sie.

»Ich hab ihn begraben neben seinem Bruder. Die Leiche hab ich dir nit zeigen wollen.«

»Verflucht ist der Tag, wo wir in den Eisenwald kommen sind!« Sie redete mit furchtbarer, widernatürlicher Ruhe. »Wir müssen wieder weg. Gott will uns da nit leiden.« Ihre Worte tönten wie aus leerem Nebel, sie weilte schon ferne.

Doch der Mann erwiderte: »Wir bleiben. Wir lassen nit aus. Haus und Grund hab ich da. Und zwei Gräber. Der Herrgott gibt nach, wenn er sieht, wie treu ich verharr.«

Wortlos verließ sie die Stube. Sie warf sich in die Asche, die von dem Bergholler geblieben. Sie schaute den Knaben in Goldpfaid und Perlenkittel, und der Görgel bot ihm die Hand, bot ihm die zarte Jesusdocke und ließ ihn abbeißen vom Paradeisbrot.

Schluchzen schüttelte ihre Schultern.

Die Saumerin kam, sie zu trösten. »Lenora, du wirst weinen Jahr und Tag, hernach wird es wieder besser.«

Der Saumer suchte den Bauer zu beruhigen. »Deine Bäuerin wird schon wieder vernünftig werden. Eine Kuh, die viel röhrt und ein Weib, das viel plärrt, vergessen bald«, weissagte er.

Aber am nächsten Tag war die Lenora verschwunden. –

Der Schreiner verrichtete schweigend sein Tagwerk, er fragte keinen, wohin sein Weib sei. Mit verbissener Geduld betreute und erzog er den Boden, der ihm so viel Schmerzen brachte.

»Schier zu viel Leid tragt unser Bauer«, flüsterte die Frena.

Der Zachreis nickte. »Der Herrgott sollt es einsehen. Der Mensch ist kein Heuwagen.«

Der Bauer trug schwer. Oft war er ganz mit sich selbst zerfallen, er maß sich die Schuld an dem Tod seiner Kinder bei und wünschte, weit weg von dem Unheilsort zu leben und ein wirtlicheres Land zu bauen. Aber immer wieder stieß er die Versuchung von sich und nahte in erneuter Treue der Erde.

An des stillen Hauses Schwelle hockte die verwitterte Magd und erzählte, da ihr kein Kind mehr lauschte, die alten Schlangensagen dem Wind.

»Mein Vater ist einmal Holz hacken gangen und hat mich mitgenommen in die tiefe Wildnis. Dort ist auf einem weißen Stein eine Schlange gelegen, so dick wie ein Wiesbaum und zusammengerollt wie ein großes Wagenrad. Auf dein Kopf hat sie einen gelben Kranz getragen mit vielen Zacken, die Sonne hat hingeschienen, da hat der Kranz geleuchtet wie Gold. Dazumal bin ich noch ein winziges Dirnlein gewesen, und der Vater hat zu mir gesagt: ›Die Krone ist ein ganzes Königreich wert.‹ ›Vater, hab ich gewispert, nimm die Axt und hack der Natter den Kopf ab, ich will ihn heimtragen, die Krone will ich am Sonntag in mein flächsenes Haar setzen.‹ Der Vater sagte: ›Ich trau mich nit. Der Natternkönig tut einen Pfiff, und alle Schlangen kommen aus dem Wald und fressen uns.‹ Ich hab aber nit aufgehört zu bitten. Da wirft er einen Stein hin, die Schlange springt hochmächtig auf und ist verschwunden. Da hab ich geweint und bin nit zu trösten gewesen. Hätt ich die Krone gekriegt, so wär mein Leben wunderschön worden –und nit gar so arm.«

*

Bei der Fichte Selbdritt war die Kapelle fertig worden, ein rauer, waldechter Balkenbau, drin der heilige Gunther weilte. Der Helm hatte einen Schalenstein vor die Tür gewälzt, der sollte als Weihbrunnkessel dienen. Der Schreiner stiftete Schmalz fürs Ewige Licht.

Nun hätte der Laudemus das Kirchlein weihen sollen, er weigerte sich dessen aber hart, denn er habe in seinen stummen Einsiedeljahren den letzten Brocken Latein verlernt. Da forderten sie, er möge zum mindesten ein bewegliches Gebet sprechen oder ihnen von den Heiligen erzählen, wenn er die Messe nimmer lesen könne; es werde ihnen bald etwas genügen, da sie so lange nach dem Gotteswort schmachteten.

Also stand er eines Sonntags im Kameltierkleid vor dem Altar wie der raue Gottestaufer selber, und die Eisensteiner hielten die zerfransten Filzhüte in Händen und grüßten, ehrfürchtig mit gebogenem Knie den Heiligen. Denn sein Bild galt als wundertätig. Es war von fremdgläubigem Kriegsvolk einst in einen brennen den Scheiterhaufen gestoßen worden, aber es sprang selber heraus, ohne Schaden gelitten zu haben, und der ketzerische Prediger soll ob des gewaltigen Zeichens wahnwitzig worden sein.

Der Diller und sein Weib taten vor Sankt Gunther emsig Fußfälle, nickten und blinzelten ihm zu, als wäre er ihr Vertrauter und spiele mit ihnen unter einer Decke.

In der Kapelle und vor der Tür harrte das Kirchvolk sehnlich, des Priesters dunkeln Worten zu lauschen, Segnung über sich funkeln zu lassen mit der Monstranz und aus geweihter Hand das Gottesbrot zu empfangen.

Vor dem Kirchlein rundete sich ein ansehnlicher Ameisstock, sein Duft stach scharf. Der Haufe war zerstört, ein übermütiger Hirsch hatte ihn mit dem Geweih aufgewühlt. Aber die Ameisen bauten unverdrossen und ohne Verzweiflung und schleppten das ruchlos Zerstreute mit heiligem Fleiß wieder zusammen.

Der Utz Stichenteufl saß, überlegen lächelnd neben dem Gewimmel, bis die Tierlein ihn zwangen, aufzustehen.

»Du hast die Hosen zerrissen«, tadelte der Zachreis.

»Tagwerksgewand ist keine Schand«, wehrte sich der Helmknecht, »ich kenn keinen Unterschied zwischen Woche und Sonntag.«

»Du feierst nämlich den Werktag auch«, lachte der andere.

»Halt ja!«

Der Saumer kam ganz anders daher: in weißen Strümpfen stolzte er und in Schnallenschuhen, der lange Rock baumelte gen die Kniehosen, und die rote Weste war mit Silberknöpfen gesperrt. Sein Weib prangte mit einem schwarzen Kopftuch und einer silbernen Kette am Mieder.

Neidisch lugte der Diller herüber Er hatte den hasenfilzenen Hut gezogen, da schillerte ein grünes Samtkäppel auf seinem Scheitel.

Der Saumer redete den Gugu an, der, gedrückt und schuldbewusst abseits stand, von keinem Nachbar beachtet. »Wo hast du deine Weiber, Großtürk?«

»Daheim. Sie hüten das Haus.« Der Gugu drehte unbehilflich den Hut und sah darauf nieder.

»Bei der welchen bist du heuntnacht gelegen, Jungfernfreund?«

Der Vielweiberei wollte, aufbrausen? Aber da begann schon der Laudemus.

»Dominus vobiscum! Was wollt ihr denn vernehmen? Soll ich über die Windeln predigen, die das Jesulein beschmitzt hat zu Bettelheim im Stall? Die Messe kann ich nit lesen: euer Holzapfelwein wandelt sich nit in Christi Blut, er ist zu sauer. Und an geistlichem Gerät mangelt es. Schaffet erst eins her!«

»Der Saumer reist morgen nach Klattau«, sagte der Gnad. »Er bringt, was du begehrst. Jetzt aber sollst du dem Heiland seine Rede uns dummen Bauernleuten ausdeutschen.«

»Du musst selber wissen, was du reden sollst, Mönch«, rief oder Helm. »Tu nach deinem Gutdünken!«

Voll Erwartung sahen die Waldverschlagenen hin, hagere Männer, in jungen Jahren schon verwittert, Frauen mit Gottessehnsucht im Antlitz.

Der Laudemus stemmte die Fäuste in die Hüften.

»So will ich, liebe Sonntagsleut, predigen vom Fegfeuer. Ich bin selber schon dort gewesen. Schaut her!«

Er entblößte die Brust und wies eine gräuliche, strahlig auszüngelnde Narbe. »Den Brandfleck hab ich mir im Fegfeuer geholt. Sonst hat mir der leidige Feind drunten nit ankönnen. Ja, ich hab die Glut aufgesucht, Luzifers Zuchthaus. Und wisst ihr, wo es ist? Im See droben.«

Da schaute mancher ängstlich zur Seewand hinauf, die lag in Dunst unklar und fern.

»Das Wasser hat sich mir aufgetan, auf hundert Staffeln bin ich hinuntergestiegen. Da sind die Leut nackend in siedenden Kesseln gesessen und die Teufel haben das Holz aus dem Wald geholt und haben wacker untergezündet. Vor der Tür ist ein Wolf an der Kette gelegen. Und der Teufel greift einen glühenden Sünder und schlagt auf ihn wie auf Eisen, dass der rote Gneist wegspringt. Der, Wolf hat die Funken geschnappt. Ein Schneider ist dort gelegen, ganz flach gedruckt, ein Trumm Bügeleisen auf dem Bauch, einen großmächtigen Fingerhut auf dem Kopf, alles glühend, und den Leib gespickt mit heißen Nadeln. Andere Büßer, vom Schopf bis zur Ferse glühend, sind auf gelben Flammen geritten und gekrochen wie auf Stauden.«

»Wie hast du im Fegfeuer umgehen können?« fragte der Saumer.

»Der Teufel hat mit dem Besen mir die Flammen aus dem Weg gefegt.«

»Wie hat der Teufel ausgeschaut?«

»Eine Nase hat er gehabt wie ein Geißbock, einen spitzigen Hut, einen roten Mantel und Schnabelschuh mit rostigen Schnallen. Keinen Gaulshuf, keinen Gänsfuß hat er nit.«

»Der Laudemus sagt es, drum ist es wahr«, lächelte der Gnad ungläubig.

»Da sind drei gesessen bei einem Tisch«, fuhr der Mönch fort, sie haben glühende Karten in der Hand. gehalten. Ich frag: ›Was spielt ihr denn nit?‹ Da schreit der eine mit schrecklicher Stimme: ›Wir warten noch auf einen!‹ Ich frag: ›Auf wen denn?‹«

Er schwieg und sein Schweigen war unheimlich. Niemand begehrte mehr zu wissen. Der Saumer senkte die rote Stirn.

»Ein Schmied hat drunten gebüßt: er hat sich mit dem Hammer auf die eigenen Finger klopfen müssen. Und unter dem Fegfeuer –drei Tage und drei Nächte hätt ich fallen müssen, –da hat man die Teufel summen hören in der Höll. Ich schau hinunter: da liegt ein altes Weib auf der Egge, die spitzigen Zähne stechen sie ins Geripp, dass sie nit schlafen kann. Die Hände ringt sie, ich soll ihr helfen. Sie will mir was sagen, kann aber nit reden, weil sie rote Kohlen im Maul hat. Eine Hasenscharte hat sie gehabt.«

»Himmlische Welt!« ächzte der Diller. »Das ist meine Mutter Gret gewesen.«

Der Prediger lümmelte sich behaglich an den Altar. »Ja, so mancher ist drunten gesessen, die Füße in der Pechpfanne, und hat mir verraten, dass er aus Haidl und aus der Seewies ist. Das Feuer, das auf euerm Herd brennt, Leut, ist nur ein kühler Tau gen das Fegfeuer. Drum gebt mir Schmalz, ich will es den armen Seelen bringen, sie sollen damit ihre Wunden schmieren. Gib Schmalz her, Diller!«

»Deine Predigt ist keine Laus wert«, belferte das Bäuerlein, »nix geb ich her.«

»Diller, deinen Namen hat der Teufel ins Höllenbuch gekratzt mit einer Rabenfeder. Sei nit neidig!«

Der Diller nahm den Hut in die Zähne und stopfte sich die Ohren mit den Fingern zu; sein Weib sah säuerlich darein und versank in Andacht, um nichts zu hören.

»Drunten muss der Sünder alle Schuld bis aufs letzte Gröschel zahlen, er leidet in einem Augenblick so viel wie ein Mensch in tausend Jahren. So ist einer drunten auf mich zugangen, langsam wie im bleiernen Mantel, der hat das linke Nasenloch aufgeschlitzt gehabt und das rechte Auge ausgehauen. Dem hab ich viel geholfen.«

»Selber ist mein Vater gewesen«, fuhr der Saumer entsetzt auf. »So hat er ausgeschaut bei Lebzeiten. Ihr alle habt ihn gekannt.«

»Das mag schon sein. Und ich frag ihn: ›Tut dir was weh, gottseliger Saumer?‹ Da packt er einen Stein, der wird ihm in der Faust glühend und rinnt wie gescholtenes Erz blaurot zur Erde. ›So muss ich leiden, hochwürdiger Mann!‹ hat er zu mir gesagt sind dabei die Augen gräulich verdreht.«

»Die Lüge stinkt dir aus dem Maul«, entrüstete sich der Saumer. »Mein Vater ist ein rechtschaffener Mann gewesen, der reitet jetzt auf dem Herrgott seinem Knie.«

Und in altem Hass krächzte der Stichenteufl: »Laudemus, du lügst wie ein Schwertfeger.«

»Mach mich nit dir zum Feind!« drohte der Kuttner. »Sonst zieh ich dich nit aus dem Ölkessel, wenn du einmal drin siedest. Auf die alten Soldaten ist es besonders abgesehen. Ein abgedankter Reiter ist am Spieß braten worden, ist aber verstockt blieben, hat geschrien ›He, dreh mich um, hinten bin ich schon ganz braun! Männer, geschmort hat ihm der Speck!‹ Hohoho, ist das lustig gewesen!«

»Salz nit zu scharf, Einsiedel!« warnte der Helm.

»O mein Vater, du bist rechtschaffen gewesen und sollst jetzt büßen!« klagte der Saumer. »Herrgott, reck die Hand in den brennenden Pechteich und reiß ihn heraus!«

»Auf harten Wurzeln bin ich gekniet, gebittelt und gebettelt hab ich, bis ich den alten Saumer erledigt hab von der heißen Pein«, sprach der Laudemus. »Schwarz ist er ins Fegfeuer hinein, weiß wieder heraus. Nun, wie gefallt euch die Predigt? Gelt, ich hab wohl geredet?«

»Das ist kein Geistlicher«, brummte der Schreiner, »der hat mit Gott nix gemein. Ich tu den Hut wieder auf den Kopf.«

Der Zachreis setzt sich ebenfalls den mit grünem Bärlapp festlich umschnürten Hut auf.

»Predigtmann, vor lauter Lügen kriegst du Blasen auf der Zunge«, rief der Stichenteufl herausfordernd. »Was du schwatzt und schwaderst, ist Gaukelwerk.«

»Du fährst hoch daher«, rügte ihn der Laudemus sanft, »und hast seit je nur dem Fleisch gedienet. Ich hab auferbaulich in einer Glocke gelebt.«

Der Gnad meinte ernst: »Mit deiner Predigt legst du nit viel Ehre ein bei uns. Du betrübst und verschreckst uns nur.«

»Er meint, weil wir Bauern so dumm im Wald aufwachsen, wir glauben ihm die abgeriebenen Ränke«, krähte der Diller.

Der Gnad fuhr fort: »Einsiedel, du sollst uns erzählen von des Heilands armer, banger Wanderschaft auf Erden, dass wir Trost finden in unserer Kümmernis. Du hättest reden sollen, warum uns Gott in den Eisenwald geschickt hat. Wie der heilige Isaias geredet hat: ›In der Wildnis will ich einen Weg machen und Flüsse in der Einöd.‹«

»So predig du, grober Bauer, wenn du es besser verstehst«, fuhr der Landemus auf.

»Streitet nit!« begütigte der Helm. »Und jetzt, Pfarrer, bet uns ein Vaterunser! Gott soll uns das Vieh besser hüten.«

Da verklammerte der Laudemus die kurzen Finger ineinander, schleuderte die Blicke aufwärts und murmelte hastig.

»Bet langsam!« wetterte der Helm. »Ich hab langsame Ohren.«

»Langsam und laut!« drohte der Saumer und hob den Stecken.

Da besann sich denn der Landemus ein hübsches Weilchen, hernach sagte er: »Ihr guten Leut, ihr wisset, zwanzig Jahr hab ich in der Glocke gehaust und Wurzeln gekaut und Buchnüsse, auf den Felsen bin ich gekniet. Ist es da verwunderlich, wenn es mir die Rede verschlagt und mir das Vaterunser nimmer geläufig ist?«

Die Bauern glotzten verdutzt darein ob des seltsamen Klausners, dann aber räumten sie sich die Wut von der Lunge.

»Ein Trüger bist du! Du weißt nit, wie viel Gott im Himmel, wie viel Gebote und Sakermenter es gibt! Du willst meinen Vater aus dem Feuer gebracht haben. Du Lügenspinner! Du Märleinschmied!«

»Eine eisnerne Kutte hast du durchgekniet?« höhnte der Diller. »Wurzeln hast du geschleckt? Ja, Dreck! Uns Bauern hast du ausgestohlen! Schwarzer Zigeuner, du bist noch rußig von der Höll.«

»Was ich gesagt hab, ist wahr«, überschrillte der Mönch den Lärm. »Aber freut euch auf den Jüngsten Tag, ihr Lümmeln, da hagelt es Spieße und Schwerter, die Engel schießen aus den Wolken mit Faustrohren, da soll es euch der Satan weidlich vergelten, dass ihr euern Einsiedel kränkt!«

Er drängte sich durch die verblüfften Bauern zur Kapelle hinaus und fuhr stracks in den Wald hinein.

»Geh weg von uns!« rief ihm der Zachreis nach. »Wenn du einmal dem Teufel deine Seele vorweisest, speibt er dir drauf.«

»Ich ertöt ihn«, gelobte der Diller. »Den Herrgott narrt er.«

Der Gnad beruhigte die Leute. »Wir wollen ihm nix tun. Die andern Pfarrer und Mönche predigen gerad so feurig von Höll und Teufel. Und man soll nit gleich das Schlechteste glauben von unseren Mitmenschen. Er ist verwildert, aber ich hoff, er findet sich wieder in Predigt und Gebet, wenn er ein Messkleid anhat und den Kelch in Händen führt. Einen andern Geistlichen kriegen wir nit. Wenn wir von Klattau das heilige Gewand und das geistliche Gerät haben, wird die Wahrheit an die Sonne kommen. Schickt er sich dann nit darein, so mag er mit Schand und Schaden hinfahren.«

Der Schreiner meinte: »Mir ist, ich hab den Laudemus vorzeiten gekannt. Er mag aus unserm Land herstammen und hernach in der Fremde wild worden sein wie ein Rindlein Vieh, das sich im Wald verlauft.«

»Versuchen wir es mit ihm!« sagte der Gnad. »Das Kirchengut schaff ich. Eine Monstranz hat er selber.«

»Die findet er aber nimmer«, meldete der Gugu. »Er hat sie in einer hohlen Buche versteckt, und jetzt weiß er den Baum nimmer. Er sucht den ganzen Tag lang und ist oft ganz wirr vor Verdruss. Drum hat er heut auch so boshaft gepredigt.«

»Ei, ist der Gugu auch da?« rief der Diller hämisch. »Magst nit noch eine dritte In meinem Stall steht noch eine Geiß.«

»Vor Gott und den Menschen ist es eine Sünd und eine Schand«, zeterte die Dillerin. Vormals ist den Vielweiberern der Hals abgehauen worden. Wo hast du sie denn, deine zwei Huren, dass wir sie streichen?!«

Der Gugu duckte sich demütig und zog die breiten Schultern enger.

»Der Laudemus ist kein Christ!« schalt der Zachreis. »Er richtet sich nach den Türken ihrer gotteslästerlichen Lehre, tut einen Mann mit zwei Weibern zusamm.«

»Glaubst du, Schreiner, was er vom Fegfeuer erzählt hat?« fragte der Saumer.

Der Schreiner zuckte die Achseln. »In der Pfalz hat ein Pfarrer auf der Kanzel einen Brief aus der Höll verlesen. Denselben Pfarrer hat man in den Turm gelegt, hat von ihm zu wissen begehrt, welcher Postknecht ihm den Brief geben hat.«

Nun stimmten die Bauern ein raues Gotteslied an, ihre bekümmerten Augen starrten in das Dunkel des dreifaltigen Wipfels.

In der Nacht war ein mächtiges Gewitter niedergegangen.

Der Donner treibt die Schwämme aus dem Moos. Drum machte sich der Zachreis Vortags schon mit einem Korb auf, die braunen Pilze zu ergattern. Die Frena sollte daraus für den Bauer eine Brühe kochen.

Rasch trabte der Knecht den Triftweg, um bald ein feuchtes Dickicht zu erreichen, darin er sich üppige Beute hoffte. Die Sonne drang auf und schüttete warmes Licht ins wilde Laub.

Der Zachreis beschwor das Dickicht.

»In Gottesnamen auf steh ich,
Schwämme suchen geh ich,
Wald, heut bist du mein,
Der Teufel muss zuerst eingesperrt sein.«

Er kroch ins Gestrüpp, das ihn mit silbernen Perlen begoss. Drin hockte ein kleiner, glänzender Pilz. »Ei grüß dich Gott!« jubelte der Knecht. »Und wo hast du deinen Herrn Vetter fand die Frau Base und dein Brüderlein?« Er hob einen laubigen Zweig auf, da waren sie versammelt, groß und klein, die ganze listige Schar, die den winzigen Pilzling als Horcher ausgesandt hatten. Und der Zachreis bewillkommte sie, schnitt sie ab, putzte sie peinlich rein und legte sie in den Korb.

Auch rote, grelle Schwämme glühten aus dämmerndem Gebüsch. »Euch mag ich nit«, sagte er, »euch hat die Hex gesät.«

Ein Rotkröpfel kroch ihm nach, das war noch blutjung und töricht, und ohne Scheu guckte es dem geheimnisvollen Treiben des koboldigen Mannes zu und knickste dann und wann artig.

»Ja, Vogel«, lehrte der Schalk, »wüsst ich nur den starken Pfiff! Der zwingt alle Schwämme aus dem Gehölz zu mir, dass sie zu zwei und zwei, Manndel und Weibel, kommen und sich im Ringelreihen um mich stellen. Da wähl ich mir die feistesten, die andern schick ich wieder heim.«

Er rutschte auf dem Bauch dahin und stöberte eifrig. Als die Last schwer und der Korb voll war, verließ er das Dickicht. Die Überfülle der Pilze ward ihm plötzlich bedenklich. »Viel Schwammer, viel Jammer«, murmelte er.

Da vernahm er ein Getrampel und Gebrumm, und er fürchtete, ein Bär käme, ihm die Rippen zu zerknicken. Er sandte reichlich Stoßgebete zum Himmel, die Nothelfer wurden ihm zu wenig. Hastig schob er den Korb ins Gebüsch und erstieg einen hohlen Birnbaum, in dessen Höhlung ließ er sich hinab und lugte ängstlich durch ein Astloch.

Der Waldgänger, der in täppischen Sprüngen sich daher trollte, war der Firmian. Ein schnörkliges Gebrumm war sein Tanzlied.

»Hast du mich verschreckt, ich tu dir ein Gleiches«, dachte der im Baum und rief: »Firm!«

Der Plumpe stand, wie vom Donner gerührt. Dann spähte er nach allen Seiten, und als es vergeblich war, hob er das, Gesicht inbrünstig gen Himmel und fragte: »Was willst du, Herrgott?«

»Firm, knie hin!« forderte die Stimme.

Er ließ sich tolpatschig nieder. »Herr Birnbaum, seit wann kannst du reden?«

»Hinter der Staude den Korb bringst du der Frena. Sag ihr, ein brustkranker, kropfeter Birnbaum ist Schwämme suchen gangen und schickt ihr das.«

»Begehrst du noch was, Baum?« fragte der Firmian.

»Jetzt geh gleich! Du bist der Dümmste auf der Welt, und findet sich noch ein Dümmerer, so wirst du erschlagen.«

Der Firmian hob den Korb aus dem Gebüsch, lud ihn auf und entrann hastig dem Baum, der seine kichernde Seele wieder entließ.

Der Zachreis sah rötliche, schroffe Felsen leuchten. Neugierig drang er näher und stand plötzlich vor einem schwarzen Loch, das in den Berg führte. Ein träges Wasser rann lautlos heraus. Drinnen löste sich ein Tropfen, fiel und klang. Das hallte.

Ein Bäumlein kümmerte vor dem finsteren Keller. Ob es nicht hinein schlieft in Regennächten? Ach nein, es war zu schauerlich drin bei den pochenden Tropfen.

Nun regte es sich drinnen wie mit stillen Flügeln, kühl drang ein Hauch heraus. War hier die Hölleneinfahrt? Der Zugang zu des Teufels See?

Hier war einst der Eisenbruch gewesen, hier hatten die Menschen gebohrt und gehämmert, des Berges eiserne Adern zu finden. Da drinnen sind die unterirdischen Öfen, wo das Eisen gärt und kräuselt und Gold und Silber gekocht werden.

Doch jäh schoss denn Lauscher der Schreck durchs Blut bis in die Fersen hinab. Im Stollen regte es sich, als pansche wer im Wasser. Näher watete es und schob und ächzte. Gestern hatte der Laudemus den Teufel im Gläslein gezeigt, jetzt aber konnte das widrige, ungetane Gespenst selber herausschießen, mit Bocksbart und Ochsenschwanz behaftet, fledermausspeiend, funkenhustend.

Der Zachreis flüchtete in die Dickung zurück. Durch zähes, scharfes Gras, über moosigen, schwappenden Boden, verwuchert mit Farn, über rotfaule abgestandene, zerknickte Tannen hoben ihn seine Sprünge, bis er endlich irr stand.

Feindselig umzingelte ihn die Wildnis. Der Waldgrund roch modrig und scharlachte von giftigen Pilzen, die Verwesung fleischiger Schwämme stank auf. Böse Astaugen glotzten den Knecht an, zerklüftete Stämme gähnten nach ihm. Eine fremde Blume schwankte, von keinem Wind bewegt, und nickte ihm unheimlich zu, als sei sie mit ihm in rätselhaftem Einverständnis. Ein Hirsch graste und äugte ihn dabei feurig und furchtlos an. Diese ganze wilde Welt war wie ein lähmendes Auge auf den Menschen gerichtet, und er zitterte und fürchtete, unter diesem Blick sterben zu müssen.

Aufsprang er wie ein gefährdetes Wild. Immer wirrer empfing ihn die toll gewordene Urwelt. Stämme, die sich kugelig verdickten, wiesen mit ihren Kröpfen dem Flüchtling spöttisch sein Zerrbild; Stämme ragten, wie Schrauben gewunden, dem fiebernden Blick drehten sie sich ins Endlose; hohle Zwieselbäume, Föhren, die auf Felsen ritten, unterhöhlte Wurzeln, Gemächer, lauernder Stegreiftiere, seit Jahrhunderten dürre, laubgerippte Tannen, sturzgeneigte, niederdräuende Riesenstangen: hier schien die Welt in Wirrsal zu ersticken.

Der Knecht watete durch Moder, versank, rang sich empor wie ein Ertrinkender, rettete sich und verfiel hämischem Gestrüpp, das nach ihm zielte, ihn geißelte und mit verwirrwarrtem Dorngedolch anhielt. Die bloßen Füße bluteten, seine Finger waren rot, seine Hosen zerfetzt. Krumme Äste griffen nach ihm herab. Wie Gespensterschein glitt die Sonne durch tote Baumkronen. Ein unsichtbarer Bach rauschte stark. Der Wald war Spuk.

Auf einmal befand sich der Zachreis in einem verfallenen Gebäu. Die Wildnis hatte ihre grünen Fahnen auf die Mauern gepflanzt, die den Rest eines zerrissenen Daches trugen. In dem verwucherten Raum stand ein Block, darein war ein Amboss versunken; mit eherner Kette darüber gebunden, hing ein mächtiger Hammer. Schmiedgerät rostete an den schiefen Wänden, fremdes Gestänge, Gabeln und Hämmer. In der Esse flackerte ein Feuer ureinsam und wie vergessen. Ein Föhrenscheit glomm und krachte. Die dem eigenen Spiel überlassene, herrenlose Flamme kümmerte sich nicht um den fremden Lauscher.

Da fürchtete der Zachreis, der Satan müsse aus der Esse stürzen, ihn zum Amboss schleifen und den Hammer lösen, dass er auf seinen Kopf niederschlage wie auf eine Haselnuss.

Mit verzerrtem Mund, mit weißen, weiten Augen floh er. –

Blutend, keuchend kam er zu dem Schreiner.

»Bauer, jetzt bleib ich nimmer!«

»Du schwitzt, Zachreis, als ob dich der Eisenmann geritten hätt. Was willst du?«

»Ich geh.«

»Heut ist nit der Geh-weg-Tag. Du musst warten.«

»Heut hab ich noch die Haut unters Dach gebracht, Bauer. Der Teufel ist hinter mir hergefahren, ertattert bin ich am ganzen Leib. Da ist Satansland. Ich renn davon.«

»Tu, was du willst!« sagte der Schreiner und verließ schwerfällig die Stube.

Der Knecht schnürte sein besseres Gewand sorgsam zu einem Bündel, er war bald fertig. Sonst gehörten ihm nur noch der Stecken und einige schmale Münzen, vererbt von alters her, die zählte er langsam und mit zuckenden Lippen. Er schaute sich nach der Frena um, die zerschnitt Schwämme in feine Spalten.

»Darf ich nit gehen?« trotzte er. »Wer will mir es verbieten? Den möcht ich kennen!«

Sie achtete seiner nicht. Er fühlte sein Gewissen erwachen, er dämpfte die ausbrechende Reue. »Ist unsereiner doch gewohnt, dass man Überwesen antrifft. In der Seewies bin ich mitunter dem Saurüsselmann begegnet, und wann die Heuschober gestanden sind, hat der glühende Wiesbaum dort zur Nacht getanzt. Aber im Eisenstein wird es mir zu viel, da geht es am helllichten Tag um.«

Die Magd rührte sich nicht.

Der Zachreis versuchte einen Scherz. »Lang genug hab ich dem Schreiner gedient. In Kochet hat es ein Knecht kürzer gemacht. In der Früh hat er sich verdingt, und wie am selben Tag die Sonne eingangen ist, hat er seine sieben Sachen wieder gepackt und gemeint: ›Bauer, behüt dich Gott, ewig können wir nit beisammen bleiben.‹«

Aber während er den Schwank erzählte, schwammen ihm die Augen, und als er endete, erschütterte ein kindisches Schluchzen seine Brust, und auf einmal schoss er zur Tür hinaus, dem Schreiner nach, und als er ihn nimmer fand, schrie er in den Wald hinein: »Bauer, ich bleib! Bauer, ich bleib!«

Dann kehrte er zur Magd zurück und sagte geschäftig: »Wir müssen Flachs säen, die Sterne sind im Steinbock, das ist ein haariges Himmelszeichen.«

Der Saumer hatte ehedem in Jenewelt bei einem Bauer als Herbergsmann gewohnt. Fragte man ihn, warum er in den Eisenwald gezogen sei, so sagte er, sein Weib habe am Herd der Bäuerin keinen Platz mehr bekommen, und darum sei er fort.

Die Ursache aber war, dass die Saumerin tagtäglich ihrem Mann zugeredet hatte, in die Wildnis zu übersiedeln, wo kein Wirtshaus war. Denn er frönte dem Spiel und vergeudete in der Trunkenheit alles, was sein sparsames Weib gern zusammengehalten hätte. Lange hatte er ihrem Wunsche widerstanden, bis ein bitteres Ereignis ihn umstimmte.

Die Saumerin hatte sich nämlich nach der Mühe rauer Jahre eine Handvoll Silbertaler errackert. Damit wollte sie sich einen kleinen Wiesfleck von einem Nachbarn kaufen, der in das nahe Städtel Hartmanitz gezogen war. Sie freute sich sehr, bald ein eigenes Stück Land zu besitzen und schickte den Saumer mit dem Geld in das Städtel, den Kaufpreis zu erlegen. Nach drei Tagen kam er wieder heim, er ließ die Augen sinken. »Weib, erzürn dich nit«, sagte er, »die Wiese ist nit unser worden: ich hab das Geld auf dem Hinweg verloren.« »Hast du es nit gesucht?« schrie sie kläglich. Er erwiderte, er habe es nimmer finden können. Da raffte sie sich auf, das blutige Geld selber zu suchen. Eine eiskalte Winternacht war es, der Schnee ergrimmte unter ihrem Schuh, die Tränen froren, eh sie auf den Weg fielen. Zwei Tage suchte sie vergebens. Mit erfrorenen Händen, todmüd, verzweifelt erreichte sie Hartmanitz, und dort erfuhr sie, dass er das Geld im Kartenspiel vertan hatte. Da ging sie heim und wies ihm schweigend die geschwollenen, zersprungenen Finger, und heulend gestand er seine

Schuld und versprach, mit dem Schreiner in den Eisenstein zu ziehen.

Im menschenfernen Wald ward sie wieder freudig. Eine Bienenseele lebte in ihr: sie fällte Bäume, umschränkte Wiese und Ried, entsumpfte Möser und Saigen und schickte sich gut in alle Mannesarbeit.

Er war minder emsig. Ihm war es Erlösung, wenn er den Nachbarn um Brotfrucht, Stroh oder Salz in gesegnetere Gegenden fahren musste. Da scheute er nicht die qualvolle Beschwer der verwilderten Steige, wenn diese ihn nur wieder den gesellig geschlossenen Ortschaften zuführten. Von allem Anfang war er mit dem Eisenwald unzufrieden. Seine ständige Rede war: »Wir halten es da nit aus. Wir gehen zugrund. Ich bleib nit.«

Zwar tat er auch sein Teil, legte Riegelwerk übers Moor, baute sein Haus und räumte gemeinsam mit den Seinen das Unholz weg, aber dabei seufzte er immer: »Nix als Steine, nix als Rohnen und grausliches Gestrüpp! Ich hab es schon satt, allweil dasselbe. Und nit einmal einen Trunk kann man sich da kaufen, dass man sich kräftigen könnt! Allweil soll man das Maul am Wasserkrug wetzen. Ich bleib nit. Ich geh.«

Sein Weib stand vor ihm, traurig und gealtert, denn die Arbeit schonte nicht.

»Allweil beim Brunnen einkehren«, nörgelte er. »Kegel scheiben wollt ich wieder mit lustigen Gesellen und was anderes essen, nit allweil Schmalz und Mehl.«

Da sagte sie oft mitleidig zu ihm: »Geh fischen, dass du auch eine Freude hast! Ich will derweil den Baum umhacken. Ich will derweil die Leinsaat anbauen.

Und er ging hin, wo die Fische standen, legte sich an den Bach, dessen Wasser er verachtete, und hob Ässling, Aland und Döbel, Rotfeder und Ferch, Hecht, Barbe und Rutte und alles, was in der kristallenen Kühle floss, an die Luft. Die Fische verfolgte er schier aus Neid, denn sie konnten trinken, sooft es sie lüstete, indes er, dem sein liebster Schatz in Reifen gebunden war, weit und breit keine Stätte fand, wo ein Weinzeiger ausgesteckt war. Er klagte: »Ganz matt bin ich. Ein Trunk Bier, der gäb Kraft, der tät mir die Adern stärken.« Und wiederum trällerte er leichtsinnig vor sich hin:

»Der Wein bringt mich ums Mein,
Doch kann ich nit feind ihm sein!«

Oft im trockenen Sommer beugte ihn des Durstes zwingende Not über eine Quelle, er schlürfte und zog den Mund krumm, als nähme er einen Schwedentrunk, und schalt dann lästerlich: »Das ist ein Gesäuf für eine Kuh und nit für mich. Ich bleib nit.«

Wenn im Kies ein eiliges Vöglein hüpfte, wenn eine fischende Krähe aufflog, neidete er ihnen die Flügel, die sie über das verhasste Gebirg tragen konnten.

Wenn er seine Kinder anschaute, blähte sich ihm die Brust unter heuchlerischen Seufzern. »Die Kinder wachsen auf im Eisenwald wie die wilden Tiere, sie kennen nit Kirche, nit Gotteswort. Wir Alten selber vergessen vor lauter Schinderei unsern Herrgott. Und er vergisst unser.«

Einmal brannte er ein Dickicht ab. Da entdeckte er gefurchtes Land: hier hatten, schon einmal Menschen zu roden versucht. »Alles ist umsonst gewesen, der Schweiß, die steinharten Schwielen!« rief er da. »Der Wald hat alles wieder verwüstet. Was ist unser Werk? Warum mühen wir uns so viel? Alles ist hinfällig.«

Die Saumerin war selber froh, als er vom Gnad nach Klattau geschickt wurde um geistliches Gerät und Kleid. Da konnte er wieder einen Tag lang sein Heimweh nach lärmenden Zechbrüdern stillen, und hernach würde er wieder ruhig und klaglos daheim schaffen.

»Ich arbeit gern«, lachte er, »aber meine Lust will ich auch genießen. Wann der Fink sein Nest gebaut hat, dann pfeift und schlagt er, frisst sein Körnlein, schluckt sein Tröpfel Tau, und hupft auf und nieder im Baum. Ich bin ein Pink und keine Ameis.«

Zeitlich früh schnalzte er mit der Peitsche. Vor dem Karren gepaart standen sein Ross und ein feister Ochs, ein Geschenk des Gnad an die Klosterleute. Als Fracht nahm er drei Fässlein Schmalz mit, die gesammelt worden waren, die Mönche spendselig zu machen.

»Schlarraufenland, behüt dich Gott!« jauchzte der Saumer und trieb das Gespann an.

*

Ein vertrackter Traum hänselte den Stichenteufl. Silberstoffene Halbstiefel trug er und wächserne Sporen dran, Hosen aus Spinnweben, das Wams aus Stroh, ein Kochlöffel war sein Säbel, eine Trommel sein Ross, darauf ritt er gen das Himmelreich. Ihn erwartete der heilige Torschreiber, flitternd in päpstlichem Gewand, die Dreikrone auf dem Kopf, beschlüsselt und rotbärtig, und schloss ihm das Türlein auf. Ehe der Reiter die Nase in die Seligkeit stecken konnte, wachte er auf.

Er hörte die Hausotter zischen und spuken und den Kauz ums Dach kläffen.

Die Tür war offen. Der Mond schien sie aufgebrochen zu haben, der mit herbem Schein zur Stube herein geriet. In seinem Licht stand splitternackt der Riese Helm, die Sense in der Hand, und bevor sich der Knecht entschloss, ihn anzurufen, bückte er sich unter dem Türstock und verschwand.

Der Stichenteufl taumelte empor und schlich ihm nach.

Die Sterne schienen. Geheul entsprang der Ferne: ein Wolf jagte bei Mondschein. Dann glitt nur der einsame Atem durch die Wipfel.

Der Schlafgänger hob kaum die Ferse. Die erdgefesselten Schritte führten ihn auf die Wiese hinters Haus, dort hub er zu mähen an. Leuchtend ragte er im kreisenden Mundblitz, den die Sense trug; ruhig, mit gleichmäßiger Kraft drehte sich der gewaltige Leib in den Hüften. Arme und Schenkel glichen in ihrem Umfang Baumklötzen.

Taugeflitter, feuchte Blumen stürzten über den Stahl, der mit zischendem Schwung tötete.

»Der mäht schlafend«, staunte der Knecht.

Am Hang dräute noch die Verwirrung des gestürzten Waldes, der Mondschein verstrickte sich im welken Geäst. Die Stämme nahmen die Gestalt gespenstischer Späher an, die des mitternächtigen Mähers Werk bestaunten. Das Käuzlein höhnte. Die Sense zischte einförmig.

Nach einer Stunde schwamm eine Wolke heran, dahinter erblindete der Mond. Sogleich sanken dem Riesen die Arme. Er schlurfte ins Haus, hängte die Sense an die Wand, warf sich nieder und schlief.–

In aller Frühe schon prustete der Helm am Brunn, er schüttete sich das Wasser auf die haarige Brust und tauchte den Kopf in die Flut. Triefend fasste er dann den Fels, stemmte und versuchte ihn und ließ wieder ab. Der Stein war noch nicht zeitig.

»Der Heuschreck singt, wir müssen die Peunt mähen«, sagte er zu dem Knecht.

Der gähnte. »Die Sonne scheint zu scharf. Gehen wir nit mähen!«

»Deinem Vater hat auch die Sonne allweil zu scharf gestochen«, spottete der Helm, »drum ist ihm der Hof vergantet worden.«

»Mir kann nix vergantet werden«, grinste der Knecht weltüberlegen.

»Da schau die Schwielen und Schrunden an!« In jähem Groll hielt der Helm ihm die Hände hin. »So arbeit ich, dass du nit verhungerst. Der Bauer plagt sich für den Knecht.«

Den Stichelteufl flog ebenfalls der Heißmut an. »Da schau die Schrammen auf meinem Schädel an! Die hab ich empfangen bei Dankau und die auf der Prager Bruck. Und den Torestenson hab ich angezapft mit dem Parteisen, das Blut ist drei Ellen weit von ihm gespritzt. Ich hab nit gefeiert. Wenn ich dir alle zeigen sollt, die ich hingemetzgert ins rote Gras, ein Heuwagen voll Totenschädel müsst es sein.«

»Du todschlachtiger Kerl, du willst einen hingelegt haben auf den Rasen?« höhnte der Helm.

»Bauer, einmal ist in mir eine Stärke gewesen, dagegen hätt die deine nix gefruchtet: Die Deichseln an den Marketenderwagen hab ich verflochten zu einem Zopf. Mit der Hacke hat man sie nachher auseinanderhauen müssen.«

Der Helm achtete der hochpochenden Rede nimmer. Er murrte nur: »Ich begreif nit, dass dich deine Faulheit nit umbringt. Ich bin krank, wann zwei Feiertage hintereinander sind. Jetzt lass das Vieh aus, es hungert.«

Der Knecht löste die Ketten und die Tiere traten über die Schwelle.

Der Helm kauerte sich zu einer Kuh und molk sie, dass die Milch in weißen, kräftigen Strahlen niederzischte.

Da schlenderte der Laudemus daher. Seit dem grauenden Tag schon suchte er die Monstranz, er konnte die Gegend, wo er sie versteckt hatte, nimmer finden in den verworrenen Wäldern. In äußerstem Missmut ließ er sich auf einen Strunk nieder.

»Was lasst du heut die Nase hängen, Fegfeuermann?« fragte der. Melker.

»Du ungeschlachter Troll!« schimpfte der Mönch. »Red nit so grob mit mir!«

»Einen groben Sack näht man nit mit seidenem Faden.« Des Laudemus Augen spuckten grüngiftige Nadeln. »Du könntest mir auch helfen, die Monstranz suchen. Da knotzt du bei deinem Vieh, vom Vieh nur durch die Taufe unterschieden, du dreckiger Eutergreifer!«

Dem Helm schoss Feuer in den Kopf. Krallig spannte seine Pranke um des Mönches Genick. »Du willst mir mein Geschäft verunglimpfen? Was hast du, mich geschimpft? Wag es noch einmal!«

»Du Steineiserner!« zeterte der Laudemus. »Lass mich aus, ich bind dich von siebenundsiebzig Todsünden los!«

»Erst melkst du mir die Kuh, Schnarrenzer!« Der Helm drückte ihn wütend neben dem Rind ins Knie. Da fasste der Laudemus die Striche und zog und molk.

»Zieh, Kuttner, zieh!« Und der Helm gab ihm einen Hieb, dass ihm die roten Funken vor den Augen tanzten und er betäubt von dannen wankte.

Der Bauer aber schulterte die Sense und ging hinters Haus.

Staunend öffnete sich sein Mund. Die Peunt war gemäht. Mit Perlen bestickt lag die geschlagene Mahd.

»He, Stichenteufl!«

Der Knecht rannte, er fürchtete diese Stimme. »Stichenteufl, rühr dich! Bist du gefroren?« Der Knecht stand keuchend vor ihm.

Der Helm schwang drohend die Sense. »Du hast geheut in der Nacht. Es ist kaum glaublich, aber es kann nit anders sein. Du gönnst mir die Arbeit nit. Hab ich dich deswegen gedungen?«

»Selber hast du das Gras geschnitten, Bauer.«

»Lüg nit! Die Zunge reiß ich dir aus dem Schlund. Bestohlen hast du mich um meine Freud.«

»Der Mond hat dich geweckt«, sagte der Stichenteufl. »Schlafend hast du gemäht. Ich hab dir zugeschaut.«

Der Bauer krauste gedankenvoll die Stirn. Doch langes Besinnen war nicht seine Art. Er begann die Schlachten zu zerstreuen. Mit heftig ausgreifenden Gebärden führte er den Rechen, seine Arbeit glich einer Gewalttat.

»Ich muss mich fleißen«, sagte er, »die Sonne zieht Wasser. Vielleicht bring ich das Heu heut noch heim.«

»Gestern ist der Arber voll Wolken gewesen«, meinte der Knecht. »Tragt der Arber einen Hut, tut das Wetter nit gut. So hat der Gnad gereimt.«

Die Sonne stieß mächtiges Strahlengebälk von sich. Vor die Wälder zog sich ein gleißender Duft, die Berge lösten sich schier auf in Gewitterdunst. Über der Seewand ward es schwarz. Feine Rauchschleier klommen aus den Wipfeln.

»Der Has braut«, sprach der Helm, »ein Regen steht heut noch auf. Oder ein Wetter.«

»Die Sonne bäht. Ich halt es nit aus«, klagte der Stichenteufl. Ersetzte sich in den Schatten des Hauses und legte die Hände ruhig auf die Knie.

Den Bauer erfüllte heute die Arbeit mit Leidenschaft. Doch wie er sich auch in der stechenden Sonne mühte, sein Werk deuchte ihn ein lächerliches Kinderspiel, und es schmerzte ihn fast körperlich, dass seiner begehrenden, wütenden Kraft kein ebenbürtiger Widerstand begegnete.

Er schleuderte den Rechen weit von sich. Das nahe Gewitter erregte ihn seltsam, seine Adern kochten, ein unbändiger Geist drängte ihn.

Er lehnte sich an den Felsblock, seinen störrigen Widersacher, und schob langsam an. Seine Kraft spannte sich zum Bersten, steinern traten ihm die Armmuskeln zutage. Da stand er mit verkeilten Zähnen, mit ungeheuer gekrampftem Willen, die Stirn dampfte, das Aderwerk schwoll, die Glieder reckten sich. Alle seine gewaltigen Kräfte riss er zusammen, sein Leib wuchs unter dem Stein –und auf einmal hob sich dieser leise, wich aus uraltem Horst und rodelte langsam und wuchtig den Hang abwärts.

Der Helm stand hochgereckt und schnaubend. Des Mannes Streit mit dem Fels war zu Ende.

Dann tastete er ans Herz. »Jetzt bin ich auch tot«, flüsterte er und sank wie besänftigt und selig zurück.

Der Stichenteufl verstand seines Bauern stieren Blick, schreiend jagte er davon. In die roten Narben floss ihm der Schweiß. Die Not lehrt den Faulen rennen.

Am Steig schnüffelte der Laudemus in die hohlen Buchen.

»Was plärrst, du? Hat er dich auch gedrosselt, der Tölpel?«

»Ich bin nit klein erschrocken«, stotterte der Knecht, »den Lebensfaden hat er sich gesprengt.«–

Der Laudemus fand den Bauern gewaltig nach Luft schnappend.

»Ries, du hast gemeint, du zerreißt den Teufel. Jetzt liegst du, jetzt hast du die Seele schon zwischen den Zähnen.«

»Ich muss dran«, flüsterte der Starke. »Gott will es haben.«

»Kennst mich noch, Helm?«

»Mönch, bereit mich fürs andere Leben. Ich hoff, es gibt drüben –auch zu schaffen, –dass mir in der Ewigkeit –die Zeit –nit zu lang wird.«

»Möchtest du in der Herrlichkeit drüben Mist führen, an der Muttergottes ihrer weißen Jungfernnase vorüber? Tröst dich, du kannst dir genug Wolken schieben droben. Wenn er dich hinauflasst, der Herrgott.«

»Das hoff ich fest.«

»Erst tu Reu und Leid! Dem Herrgott seinen Diener hast du heut grausam gewürgt. Ich kann dich lösen von der Sünde, ich hab Gewalt. Drum bitt mich ab!«

»Nix da, Einsiedel!«

»Bereu es! Oder du fahrst nit in den Himmel.«

»Das tut nix!«

»Also willst du kopfüber in die Höll?«

»Sakerment«, brüllte der Sterbende, »ich fahr hin, wohin ich will!«

Halb aufgereckt saß er und schaute den verdrängten Block weit, unten auf der Böschung, dann kicherte er kindisch, streckte sich langsam wieder hin und war nicht, mehr.–

Gen Mittag waren die Nachbarn um den Toten versammelt.

Da lag am Hang der gestürzte Wald, da lag der besiegte Stein, das gemähte Gras, und der Mensch war auch gefällt und gemäht.

Er hat um eine Note, zu hoch gesungen«, trauerte der Stichenteufel, »er hätt es gelinder treiben sollen.«

»Ja«, erwiderte der Schreiner, auf die gebrochene Wildnis deutend, »er hat sich zu Tod gerackert. Du erfaulst.«

»Hast du ihn gehörig ausgetröstet?« fragte der Gnad den Mönch.

Der sagte: »Den Wald hat er mit Stumpf und Storren fressen wollen.. Es ist ihm tut gelungen.«

»Du hast deinen Stier nit lang überdauert«, sagte der Diller zu dem Toten. »Du hättest schön kleinweis schaffen sollen, nit so gäh, so ungefüg. Mittelmaß ist die rechte Straß.«

Der Laudemus salbaderte: »Die Gewalt des Herrn hat ihn niedergeschlagen. Ich hab dem Teufel die Seele nimmer aus den Krallen reißen können.«

»Sein Tod ist keine Strafe«, brauste der Schreiner den Einsiedel an. »Selig, der stirbt mitten im Werk.«

»Wer nährt mich jetzt?« heulte der Stichenteufl auf. Wer nährt mich?«

»Verzag nit, du lauer Gesell!«, sagte der Schreiner. »Du bist der einzige, der den Vorteil davon tragt: du wirst jetzt arbeiten lernen.«

»Ich und arbeiten?« schrie der Knecht entrüstet.

Der Diller beschaute bedenklich den großen Leichnam. »Der Helm taugt fit für den Tod. Wie kann er Ruh geben? Der sprengt sein Grab und geht Bäume brechen und Felsen wälzen. Wer im Schlaf arbeitet, kann im Tod auch nit rasten. Der Herrgott wird seine Not drüben mit ihm haben, mit dem zweidoppelten, Mann.«

»Er ist gestorben und ist doch so stark gewesen«, seufzte die Gnadin. »Ein Eiserner ist er gewesen.«

Wolkenklumpen schwebten, der Regenvogel klagte.

»Dem Tod ist keiner zu stark.« Der Gnad sprach mit dem Verblichenen. »Du bist ein Ries gewesen und jetzt bist du hin samt deiner Kraft. Ein kleines Kind richtet jetzt mehr aus als du. Den Wald hast du vom Berg geworfen, und jetzt setzen wir dir ein Brett aufs Grab, drauf steht: Du bist gewesen. O kurzvergängliches Leben!«

De Dillerin redete ihrem Mann zu, aber die Worte galten allen. »Der Wald frisst die Kinder und die Männer. Gott hat ihn verfinstert und verdornt. Wir haben das nit beichtet, jetzt sind wir gestraft. Daheim ist es gut gewesen.«

Der Schreiner unterbrach sie. »Ein Wetter zieht auf, über dem See braut es. Greift an, legen wir den Toten in sein Haus!«

Da packten sie den schweren, starren Leib und banden ihn mit Wieden an ein Brett. Bei der Kapelle schaufelten sie die Grube, darein er rutschen sollte.–

Als die Männer heimgingen, lag das Wettergewölk klumpig und grob am Himmel. Der Sturm beutelte die Zapfen von den Tannen und suchte ihnen die Äste auszurenken.

Der Diller drückte die Haube tief in die Stirn. »Kohlschwarz zieht es auf. Der Arber ist unser Unglück, er zieht die Wetter an.«

Ein großer Strahl zuckte, der Donner prallte vom Wald, Regen setzte an.

Die Männer flüchteten unter einen überhangenden Felsen. Darunter saß schon der Firmian.

»Ein wildes Wetter, Firm«, meinte der Gnad.

»Ein wildes Wetter«, nickte der Knecht.

»Es tost.«

»Es himlitzt.«

»Der Satan ist ledig«, schalt der Diller.

»Die Wetterkuh plärrt«, entgegnete sein Knecht vergnügt.

Sie verstanden sich schwer, denn die wütenden Wolken tosten, in Feuerschlägen entlud sich die Spannung, schwefelfahler Strahl und Fichte begatteten sich, und Donner orgelten das Brautamt.

»Was lachst du denn, Firm? Mach lieber das Kreuz, wenn der Satan seine Blitze wetzt!«

Doch der Knecht meinte: »Wenn es nit Loren tät und nit zünden und nit regnen und stürmen auch nit, und wann halt die Sonne auch ein bissel scheinen und die Witterung ein bissel umschlagen tät, es wär ein gar liebliches Wetter.«

Immer wilder kam es. Eine Staude bückte sich ängstlich. Der Sturm brach aus dem brüllenden Wald und verendete heulend in den Steinlöchern.

Der wölbig zurückweichende Fels schirmte nimmer. Das Wetter schlug mit Sturm, Eis und Feuer wider die Erde, das Gewölk war bald schreiendes Rot, bald grelles Gelb, Sturzwasser glühten, Blitze gleißten, fahle Dämpfe wehten, wie aus Drachenschlund gestoßen.

Einsam und leidenschaftlich brannte eine Fichte.

Die Männer drängten sich bleich aneinander. Dem Diller schlotterte das Kinn. »Wir sind ins Fegfeuer geraten.«

Die Erde bebte, der Fels schien zu wanken. Wetterbäche rasten.

»Es gibt nix Festes auf der Welt«, dachte der Gnad.

Sie verschlossen die Augen vor den blendenden Ungeheuern, vor dem feuerroten Wettermacher, der über das wüste Gewölk rollte.

Wie gequälte Völker heulten die Wälder. Der Donner ging über Land. Und es gab im ganzen Eisenstein keine Glocke, die ihn gebrochen hätte.

Heute scholl nicht einmal das Wetterhorn, das in des Saumers Einöd aufbewahrt wurde, denn der Bauer war über Berg und Tal und ein Weib durfte die Tritonsmuschel nicht anrühren.

»Der Teufel siedet die schwarzen Wolken«, wisperte die Saumerin, »sie steigen aus dem See.«

Sie tappte in den Sprengkessel. Der war leer. »Die Nachbarn sind weit. Ihnen ist wohl auch das Weihwasser ausgangen, es hält sich nit lang –im gottlosen Land.«

Wie hungernde Stiere brüllten die Wolken, der Wald schwang in Saus und Braus. Flammen über sturmwirren Wipfeln.

Der Wildnusser trat vor sein Haus. Kein Tropfen Regen fiel.

»Der Sturm jagt das Wetter zu uns her«, redete sein Weib. »Los, wie der Donnergeist wild in den Wolken arbeitet! Immer näher zieht es her.«

»Heut tümmelt er wieder. Auf unsre Einöd hat es der Herrgott abgesehen, nach uns trachtet er«, murmelte der Mann.

»Du hättest ihn nit als Feldscheuche aushängen sollen!«

»Hat er es nit verdient?« zuckte er auf.

Die Blitze züngelten hintereinander her, als hassten sie sich und wollten einander töten. Donner folgten gleich widerwilligen, mürrischen Knechten, die Schluchten dröhnten, es krachte der bestürmte Wald.

»In unser Haus schlagt es ein«, zischte der Mann. »Es ist eine eiserne Ader drunter.«

Sie erwiderte hastig: »Wenn es brennt, lauf ich gleich zur Tischlade und trag das Brot hinaus. Da kommen mir die guten Gedanken, und ich weiß hernach, was ich retten soll.«

Die Gewalt des Gewitters überstieg alle Grenzen. Bäume splitterten hin, gelbe Wetterluft zuckte, der Donner war wie Gebrüll aus den Schlünden brünstiger Urtiere.

»Das Unheil wachst uns auf den Hals, der Blitz verletzt uns«, klagte sie. »Heiliger Peter, schieb den Donner über den Berg!«

Nachäffend seines Weibes Angst, schrie der Baier in den knatternden Lärm: »Heiliger Peter, ich –schimeiß auf dein Wetter!«

Er hielt die offene Hand empor, als wolle er einen Blitz fangen und zurückschleudern in die finstere Gewalt, die ihn entsandt.

Da bebten die Wolken, da bebte die Welt. Blaues Feuer spritzte vom Himmel.

»Das heilige Wetter schlagt ein!« kreischte die Bäuerin. »Hu, es lodert schon aus!«

Der Brand lag am Dach. Sie warf die Arme auf. »Wenn nur das Kreuz im Haus wär! Der Wildling hat es ins Ried gehängt wie einen Dieb auf den Galgen. Mit einer Segnung wär die erwilderte Glut zu dämpfen, die Flamme müsst sich ducken vor dem Martergott und demütig werden. Herrgott, töt das Feuer ab!«

Da kam ihr die Besinnung. »Das Dirndel!« lallte sie und sank gebannt ins Knie und rührte noch einmal stumm die gelähmten Lippen. Das Dirndel!«

Der Wildnusser riss zuerst den Stall auf. Es schwelte ihm entgegen. Drin lag das Vieh erschlagen, das schöne Vieh. Drin tanzte das verruchte Feuer.

Die Bäuerin stieß mit toller Kraft die Ohnmacht von sich. Sie drang in die Stube, sie riss das zitternde Kind empor und schwankte. Da sah sie ihren Mann wie einen Teufel durch die Flammen setzen.

Er schleppte Weib und Kind ins Freie.

Zunächst lief er sinnlos ums Haus. »Feuer, was tust du?« ächzte er. »Hab ich dir je weh getan?«

Dann füllte er einen Eimer am Brunn, schüttete Wasser auf Wasser ins Geloder. Aber es fuhr höhnisch empor, es schlug steil gen den rollenden Himmel.

Er hörte die Schindeln schnalzen, die schweren Dachsteine dumpf in den Brand hinab plumpsen.

Vor Wut spie er in. die Flamme, faustete er gen die Wolken. Seine ungestüme, rachsüchtige Seele empörte sich gegen Gott, der ihm wie ein Mordbrenner erschien. »Bring mich auch um, du –du -! Schieß den Blitz her auf mich! Herrgott, hätt ich dich jetzt beim Bart, ich reißet dir ihn aus!«

»Was frevelst du wieder?« schrie das Weib.

Er lechzte sie an, er wies ihr die Handflächen, von der unsäglichen Mühe der Rodung zerschunden. »Warum gibt mir der Herrgott keinen Segen?«

Wieder fluchte er empor. »Das blaue Licht rühr dich, Gott! Dass du herunterfallst vom Himmel!«

Dann stand er versteint und ließ das Gebälk stürzen und die Flammen flattern.

Ein schwerer Regen fiel und löschte.

Aus verkohltem Stall schleifte der Wildnusser das blitzerschlagene, verbrannte Vieh. Er traute sich nicht davon zu essen, sondern verscharrte es mit geheimem Grauen.

*

Den Gugu bedrückte es sehr, dass seine Einöd wie ein Pesthaus gemieden ward und er in Schanden stehen und der Nachbarn hagebuchenen Spott dulden musste, weil er zwiefach beweibt war.

Kaum dass die ersten Zärteltage vorüber waren, erkannte er schon, welch bitteres, zweischneidiges Ding die Ehe war. Statt dass es den Schlafgespanninnen genügt hätte, in solch verworrener Zeit einen herzhaften Marin zu haben, vergällten sie ihm das Leben mit Eifersucht, Zank, Ungehorsam und bösem Munde.

Als er einmal von der Schneise des Brandwaldes heimkam fand er die Hadax, die die Küche hätte betreuen sollen, am Einbaum, sie spiegelte sich im Wasser und liebäugelte sich an. »Wie hell mein Ohrhängsel flimmert!«

Aus dem Haus indes drang Rauch und Stank, und der Gugu kam eben noch recht, um zu schauen, wie die Milch überwallte und ins Feuer rann.

»Mach hurtig! Schmeckst du nix?« herrschte er die Hadax an.

Sie krümmte das Mündlein. »Schilt mir das Feuer nit und gönn ihm den Trunk! Es dürstet mehr als du.«

»Ich hab dich nit genommen, dass du die Flammen tränkst, alberne Truhe.«

»Soll ich dir es gar noch danken, dass ich jetzt im Eisenstein sitzen muss unter Steinen und Stauden?« maulte sie. »Ein elendes Land! Da wachsen bloß Wetzsteine. Aber kein Pfefferkramer, kein Tandler, kein Ringelschmied ist weit und breit nit. Ist das eine Gegend für ein junges Weib?«

»Denk an die Wirtschaft, nit an die Welt!« drohte er.

Sie kicherte: »Erschlag mich, dann bist du ein halber Witwer.«

Oft wäre, er gern mit groben Fäusten über sie hergestürzt, aber da wies sie ihm immer den goldbraunen Leib und bog und schmiegte sich mit der Luchsin Geschmeidigkeit an ihn und nahm ihm schnell den Zorn.

Sie war ihm in ihrer fremden Art unheimlich: sie wandelte zuweilen verloren allem, was sie umgab; oft wieder verschwand sie und war nirgends zu finden und gab keinen Aufschluss, wenn sie wieder erschien. Wenn der Gugu hungrig sich einfand, war für das Mittagbrot nicht vorgesorgt, und er hörte die Hadax im Dickicht Lieder singen, wie sie sonst die Dirnen der Soldaten zu ihren feilen Tänzen wissen.

Fuhr nun der Bauer die Wilbet an, warum nicht sie gekocht habe, da grollte diese: »Darf ich ihr ins Amt greifen? Sie ist gerad so Bäuerin wie ich. Ich hab ihr nix zu schaffen.«

Ein stummer Krieg ward geführt zwischen der zarten Hadax und der mannlichen Wilbet.

Diese merkte, dass die andere dem Bauern besser behagte, und das verdross sie arg; zumal sie doch ihr Geschäft in Stall, Garten und Acker willig und gut verrichtete, indes die braune Prinzess lungernd ihr Amt versäumte und dafür kaum gescholten ward.

Drum wuchs ihr der Abscheu wider den Mann, und sie ward noch trotziger und rauer, als sonst ihr Wesen war, ihre Reden wurden herb und ihr Fleiß müde.

Einmal verklagte sie die Nebenbuhlerin, dass sie Eier stehle und aussaufe.

Der Gugu belehrte die Diebin. »Das darfst du nimmer tun, Hadax. Das Ei soll man ehren, weil das Legen so schwer ist. Die Henne wird neunmal blind, geh sie ein Ei legt.«

Da zischte die Hadax die andere an: »Das Maul soll dir abfaulen! Öhrwürmerisch liegst du dem Bauern im Gehör, verschürgst mich tagtäglich. Ich kann ja nix dafür, dass ich feiner bin als du. Lass dich schinden, dann kriegst du auch eine schöne Haut.«

»Du Schöne!« höhnte die Wilbet.

»Bist du neidig?« Die Zarte fasste die Starke an der Nase und zog sie.

Die schnob: »Ich bin verheiratet und brauch nimmer schön zu sein.«

»Verheiratet bist du mit meinem Mann!« schrillte die Hadax.

»Ich reiß dir das Gesicht herunter!« pfiff die Wilbet.

Der Kirein grinste. »Ein lieber Hausfriede, Bauer, wie gefallt dir das?«

Der Weiber Zwist und des Knechtes Schadenfreude scheuchten den Gugu aus dem Haus. Er lag meistens mit krauser Stirn im Moos und scheute die Menschen und die Arbeit, die ihn nimmer freute. Der Mooswald, der schon längst zum Sengen vorbereitet war, grünte noch immer. Und nachts wagte sich der Bauer kaum in das dreispännige Bett, darin statt der Ehelichkeit spätnächtig noch der Streit entbrannte.

Der Kirein war der einzige, der am Guguhof noch arbeitete. Er schaffte rastlos, als müsse er alles einbringen, was die andern versäumten. Doch der Weiber Faulheit und Zank vergrollten ihn und nicht zum Mindesten das Gebaren des Laudemus, der statt das Vieh zu hüten, nur mehr die verlorene Monstranz suchte und sich sonst nur zur Essenszeit zeigte.

In seinem Unmut fügte der Kirein den Bäurinnen allerhand Schabernack zu, so flocht er ihnen einmal aus Ruten Maulkörbe und lenkte dadurch doppelten Hass auf sich.

Als er einst Holz spänte, hörte er eine Henne krähen. Diese Ungebühr ärgerte ihn so, dass er die kläglich Kreischende zum Hackstoc schleppte und sie köpfte. Da ergriffen die Weiber der Henne Partei und beschimpften ihn.

Ihm riss der Gleichmut. »Helft lieber arbeiten«, bellte er, »eh alles zugrund geht!«

»Du Giftling«, schalten sie, »du hast uns dein Lebtag nix zu schaffen! Wir sind deine Bäuerinnen.«

Er wehrte sich wacker. »Du Bärenhäuterin! Und du schwarzes Luder! Steigt in die Höll und zupft den Teufel am Bart! Mich lasst ungeschoren!« Damit schlug er die Axt in den Stock und ging.

»Du Raubold, du grobianischer Kerl!« eiferten sie ihm nach.

Er fand den Bauer griesgrämig am Zaun lehnen.

»Keinen Tag länger bleib ich da, Gugu. Deinem Ähnel hab ich gedient und deinem Vater. Dir muss ich den Dienst aufsagen.«

»Was vertreibt dich denn?«

»Mit gröbstem Geschrei sind die zwei über mich her. Das leid ich nit. Und es betrübt mich, wie sie dich karnüffeln. Du giltst nix. Du sagst hui, die Weiber pfui. Du hast dir was Sauberes angerichtet. Ich mag nimmer zuschauen.«

»Lass mich du auch in Stich! Es ist schon alles eins«, sagte der Gugu trostlos.

»Hau die drei Zugelaufenen davon!« schrie der Kirein in seinem Schmerz. »Zuerst den Laudemus. Der ist mit einer Schelmenhaut überzogen, mit deiner Schwarzen hat er es.«

»Sie mag ihn nit, sie mag nur mich.«

»Haha! Mich abgestandenen Kerl selber schaut sie oft an wie die Gans den abgefallenen Apfel. Die mag einen jeden.« –Ein gelles Gekreisch tönte vorn Hof her.

»Da hörst du es«, höhnte der Knecht. »Fürchtest du dich? Du ziehst das Genick ein wie die Geiß, wann es donnert.«

Die Weiber wälzten sich blutig und zerrauft. Die Wilbet lag obenauf und zielte in furchtbarem Ernst mit einer Sichel auf die Hadax.

Der Gugu riss die Raserin beim Zopf empor, blindlings schlug er auf sie ein, die Sichel entriss er ihr und schleuderte sie hoch übers Dach.

»Du Großtürk, du Vielweiberer, du sollst mich nit hauen!« Der Wilbet Lungen stießen, mit gezückten Nägeln lauerte sie. »Geduld dich, dir schür ich noch ein Brändlein!«

»Beiß dich nit in die Zung, du vergiftest dich!« sagte er.

»Nimm dich nur um das verworfene Weib an! Keinem Hund versagt sie sich«, rief die Wilbet heiß und ging steil und stolz davon.

»Und du, dich zerdruck ich!« brauste er die Hadax an, die angstvoll und unterwürfig aufstand.

»Eiserne Handschuh zieh an, Bauer, wenn du Wildkatzen striegeln willst!« lachte der Knecht.

Weltverdrossen warf der Gugu sich wieder neben den Zaun hin.–

Als er nachts zwischen den Weibern eingeschlafen war, hob die Hadax das Ohr, lauschte eine geraume Weile den Atemzügen des Mannes und der Wilbet, die einträchtig und mächtig röchelten, und stieg vorsichtig aus dem Bett und schlich davon.

Da reckte sich die Wilbet und rief den Schläfer an, dass er erwachte.

»Hast du gerufen, Hadaxel?« schmeichelte er. »Träumt dir was Übles? Wach auf, du bist bei mir!«

»Dein Hadaxel kannst du dir suchen«, stichelte die Wilbet.

Er tastete nach dem verlassenen Platz. »Wohin ist sie? Ist sie eine Gabelreiterin, eine Nachtfrau?«

»Ich hab den Schalksschlaf geschlafen«, verriet sie mit verhülltem Lachen, »da hab ich sie belauert, die Mönchin. Ich sag es dir unverhohlen: jetzt liegt sie heim Laudemus.«

»O Wankeltreue !« knirschte er. »Aber dem Mönch will ich eine Messe lesen! Und ihr bind ich Strohzöpfe um, der geilen Geiß. Bei der Handtat erwisch ich sie.«

Er fand sie im Heu neben dem Einsiedel. Ehe er sie haschen konnte, war sie entschlüpft. Der Landemus sah darein wie ein wildes Tier, das sich im Wolleisen verklemmt hat. Er tappte anfangs an die Hüfte wie um eine Pistole, dann aber ließ er sich widerstandslos ins Mondlicht ziehen. Die Bäuerin habe beichten wollen, sagte er dreist.

»O du Schelm über alle Schelme!« lärmte der Betrogene. »Ich hau dich, bis du schwarz wirst. Ich ergurgle dich. Du hast mein Weib verdorben.«

Er griff ihm in den Schöpf. Da hob sich das lange, schwarze Haar, und des Mönches Stirn lag frei: ein roter Galgen war darein gebrannt.

»Ei du Galgenviertel, ei du Lotterer!« schäumte der Gugu.

Kein Hund kann so winseln wie ein Mensch, der um sein Leben fürchtet. Der Schelm kniete und bekannte zitternd: »Sie ist nit dein Weib. Die Eh gilt nit. Ein armer Soldat bin ich, kein Mönch. Erschlag mich nit! Ich bin dein Blutsfreund. Kennst du den schiegelnden Gordian nimmer aus der Seewies?«

Der Bauer ließ ihn frei. »Dein Galgen ist noch nit zeitig, Vetter, der grünt noch im Wald.«

Des Laudemus Angst wich. Er hob die Arme segnend und rief: »Im Namen des Hahnes und des Huhnes und des zerrissenen Geldbeutels. Amen!« Er verschwand im Wald.

»Renn hin, der Teufel sucht dich!« grüßte der Gugu.

Als er in die Stube zurück kam, glommen ihn zwei katzengrüne Augen an. »Hast du sie umgebracht?«

»Sie geht mich nix an«, erwiderte er. »Und du auch nit. Die Heirat ist ungültig; der Laudemus ist ein Trüger und kein Mönch. Ich hab ihn verjagt. Und du, Wilbet, wirst mir von heut an folgen, wirst nachgiebig sein wie das Gras unter der Ferse.«

Aus ihren Augen krochen die Blicke gleich schillernden Schlangen. Sie saß aufrecht im Bett, bis die graue Frühe aufdrang.

Da mahnte sie den Mann: »Der Laudemus hat dürres Fleisch mit der Hellebarde aus dem Rauchfang gestochen.«

Hastig holte er die Leiter und stieg in die Esse hinauf, die rußigen Fleischtrümmer nachzuzählen. Doch wie er so tastete und spähte, merkte er, dass das Weib drunten mit einem Brand zu schaffen hatte.

»Was zündelst du?« rief er hinab.

Eine Flamme antwortete ihm, jäh drang sie herauf und tappte nach ihm, biss, fraß, stach, sengte, grellte, blendete und nahm ihm den Atem. Und er erkannte, dass die Wilbet die Lohe immer wieder mit Stroh nähre und dass sie ihm ans Leben wolle.

In höchster Gefahr sprang er mitten ins Feuer hinab und trat aus den Flammen, versengt und satansschwarz. Sie tat einen Schrei wie am Foltergerüst.

»Du höllische Marter!« knirschte er.

Sie stieß ihn in die Brust, dass es ihm den Atem verschlug und er taumelnd um sich griff. Stahlkalter Hass war ihr Blick.

»Warum tust du das?« stammelte er.

Ihre Stimme schnitt wie eine Sichel. »Die Aschengretel bin ich gewesen auf deiner Einöd, der Gutgenug, wann du die andere satt gehabt hast. Du Weiberling!«

Jetzt umprankte er sie. Die Augen, darin es vormals gedämmert wie eines Laubwaldes Widerblick, sie waren grünes, grelles Gift. Sie wehrte sich mit den Knien, mit den Nägeln fuhr sie ihm in die Nase.

»Du Wolf!« fauchte sie. Sie wies ihm ihr Gefletsch.

»Du Geigerin!« Die Schimpfworte verzahnten sich ineinander.

Er umspannte sie heftiger. »Rühr dich nimmer!«

Sie fühlte des Mannes Übermacht und hielt still. Ihr Gesicht war grau.

»Bist du galt, Weib? brüllte er.

.Die Aschenlippen zitterten. »Ja!«

Versengt und rußig, wie er dem Brand entsprungen, wortlos trug er sie wieder in den Wald und senkte sie wieder in die Wolfsgrube hinab, woraus er sie gewonnen hatte.

Abends kam der Kirein heim. »Die Wilbet ist nimmer in der Grube. Sie ist über die blauen Berge aus. Betrüb dich nit, so ist einmal der Landbrauch.«

Aber der Bauer schnaufte tief auf, schlang die Arme um eine hohe Fichte und lachte so unbändig, dass es den Baum in Wurz und Wipfel erschütterte.–

Tags darauf strich ein günstiger Wind vom Panzer nieder, da zündete der Gugu den Mooswald an.

Aus einem Reisighäuflein huschte die Flamme, sie kroch durch dürres Moos und weidete darin. Der Rasen schmolz, der Boden glomm: Nadeln, welkes Laub, Strauchwerk knisterte, rauschte, puffte. Die Flamme kostete vom Harzholz, es mundete ihr und sie schnalzte vor Behagen, und plötzlich klomm sie, ein rotes Eichhorn, einen toten Baum empor, fasste knatternd den Wipfel und nistete darin. Und allerorten kroch es auf siedenden Pechrinnsalen über abgestorbenes Geäst, bis es brausend die Kronen beherrschte.

Das war ein Sausen, ein Geknall und Geprassel, als der feurige Gast durch den Wald toste. Er zehrte krummes Gestrüpp, sieches Holz und edles, gesundes Gestänge, er sengte, stürzte, fraß die Wildnis und strebte dem feuchten Moore zu, daran er scheitern sollte.

Die Dickichte öffneten sich: Füchse flüchteten aus felsigem Geschleif, Eichhorn und Wiesel rannten einträchtig nebeneinander und, aus ihren Betten gescheucht, die grauen Hasen. Rabenzank scholl, empörte Krähen klagten an, Meisen schrillten verstört, Habichte schwangen sich schweigsam auf. Tiere mit versengtem Pelze stürzten sich in Tümpel. Ein Hirsch setzte mit wahnsinnigen Nüstern und stieren Lichtern aus dem Qualm.

Der Holzbrand zischte und pfiff und sauste, ein Baum bot dem andern den roten Gruß der Vernichtung. Von Wipfel zu Wipfel griff es. Die Flammen fielen, sprangen, krachen, liefen, flogen. Zuweilen heulte der Wind schmerzlich auf, als habe er sich die Flügel verbrannt.

Der Rauch ward dichter, seine Massen wälzten sich träg und verschleierten die Landschaft. Fahlrot schien die Sonne. Ein bedrohtes Tier klagte und verstummte.

Die Wildnis war eine ungestüme Flamme, ein einziges Loderwerk, ein Höllenkehraus, und sie gloste und brauste, schlug leidenschaftlich empor und warf wilden Rauch gen Himmel, und die gewaltige Brunst beleuchtete und ängstigte manche Nacht das schwarze Land.

Mit beruhigtem Gemüt aber umschritt der Bauer das starke Feuer, das ihm eine neue Fruchtstätte vorbereitete.

*

Es war in den Tagen, wo aus dem Kuckuck ein Sperber wird. Der Wendel, des Gnad Ältester, sollte das Vieh auf die Waldweide treiben. Er warf den Zwilchsack, daraus das schwarze roggene Brot roch, über die Schulter und ergriff den langen Hirtenstecken, darein ihm der Vater das Wort geschnitzt hatte: Weide meine Lämmer.!

Die Mutter sagte bange: »Heut kann ich dich und das Vieh nit besprengen, das Weihwasser ist ausgangen. Und der es hätt weihen sollen, ist ein loser Bub und hat versprengt werden müssen.«

Der Wendel erwiderte ernsthaft: »Wenn ich ein Pfarrer wär, ich tät den See droben segnen, da wär er ein einziger Weihbrunn und um Sprengwasser wär keine Not. Den wilden Bach wollt ich weihen, gar sanft müsst er gleiten.«

Die winzige Schwester brachte Hilfe. Ein Laubkrönlein im Haar, hob sie die frommen Augen, die frommen Lippen zum Bruder auf und betete: »Ich bitt, dass dich kein wildes Tierlein beißt und dass dich kein Bär zerreißt, dass kein Luchs an dich rührt und kein Unglück dich überführt, dass der Hirtenengel dich behüt, all dein Geblüt, deine Äderlein groß und klein und deine freien Glieder und dass du kommst wieder.«

Der Bub lächelte die Segnerin an. »Gott wird einen Ring schließen um mein Vieh. Und jetzt treib ich es in die Blumen.«

Er trieb die, Tiere an und schritt mit der Würde eines alten Mannes aus.

Lange winkte ihm die kleine Trautel nach. »Bring mir ein Rehkitzel heim!«

Er trug sein grobes Hemd und eine von breiten Halftern gehaltene Lederhose. Die Holzschuhe hinderten ihm den langen Schritt, so schlüpfte er daraus, und ließ sie am Triftweg stehen.

Vor ihm trollten die, Kühe. Ihre von sanften Sommerregen blank gewaschenen Felle leuchteten wie Spiegel und hatten runde, braune Flecken. Sie waren gute Tiere, nicht gRoss, aber fest und genügsam.

Da zottelte die Geiß mit den falschen Augen. Die Frena behauptete, die Geißen seien nicht von Gott, sondern vom Teufel erschaffen worden. Doch die Geiß da vorn war gewiss kein höllisches Geschöpf, ihre Milch war gesund und erquicklich, und die Geißlein, die sie jüngst geworfen, wussten so lieb und schwänkisch zu hüpfen.

Er trieb die Herde tief in den Wald auf eine Hutweide, die er den Kuhhimmel hieß, dort hatte er einen Tränkbrunn gebaut für die scheckigen Schützlinge, und in der Nähe gab es alte Bäume zu Spiel und Schatten und auch Stauden mit saftigem Laub für die Ziege, die das Gras am Boden verschmähte.

Entzogen der Glut des wachsenden Sommers, in der Schattenkühle, zupfte sich das Vieh aus den harten Preiselbeerblättern das weiche, linde Waldgras, das dort wuchs, wo der Himmel durch die Bäume schauen konnte.

Da lebten Blumen, die im Schatten schön und licht wurden, auf den Blößen glühte der Enzian wie ein Bröslein Himmelsblau, das zur Erde gefallen war.

Den jungen Drosseln wuchsen die Schnäbel der Häher, der Nussbrech schrie; viele andere Vögel schwirrten und sangen kraus und bunt, und die hübschen Lieder sanken von den Bäümen. Der Waldbach schwätzte Geheimnisse, ein Sonnenglitz stach durchs Laub, sein blanker Weißling gaukelte im Dämmer, und des Knaben Träume tändelten dem Falter nach, und er blies in das Hirtenhorn, das viel länger war als er, oder er spielte die Schalmei, die er sich aus einem Fichtenast geschnitten. Da sahen ihn die Tiere oft erstaunt an und lauschten menschenklug und fraßen dann nachdenklich weiter.

Die gefleckten Böcklein prüften die harten Stirnen aneinander. Die alte Geiß schleifte das schwere Euter im Grase nach; die leckeren Kräutlein missachtend, stellte sie sich ihrer Lüsternheit folgend, auf und naschte vom Laub niederer Bäume, oder sie stand versunken, meckerte wehmütig und gähnte, dass ihr der Bart wackelte.

Des bequemen Grasplatzes überdrüssig, wandelten die Rinder oft zwischen Steinen und Strünken, sie neben sich die Haut an den Felsen und scherzten miteinander, und der Hüter folgte ihnen mit scharfem Blick und achtete, ob im gewohnten Zusammenklang der Schellen nicht eine fehle oder allzu ferne glöckle, und wachte, dass keiner Kuh eine Kröte übers Euter kröche oder gar ein Wiesel das Vieh anpfäuse mit giftigem Atem.

Am eifrigsten fraß die Herde morgens und gegen Abend. Mittags ruhte sie um ein Feuer, das die tückischen Biesfliegen scheuchte. Da fand der Knabe Zeit, eigene Wege zu gehen. Er lugte in der Elster Nest nach gläsernen Ringen und glitzerndem Krimskrams, von dem scheckigen Dieb in fernen Orten geheimst. Er zählte die Raben, starrte in der Käfer schwarzglasige Augen und bewunderte die Bergwerke der Ameisen, er legte das Ohr an die Bäume und vernahm die Klopfgeister drin. Da war ein hohler Tannenstumpf, wohl über ein halbes Jahrtausend alt, der war so geräumig, dass das Hirtlein mit zwei Kühen darin Platz fand. Dort versteckte er, was ihm köstliche schien.

Aus den Federn, welche die Krähen verloren hatten, oder die er zerpflückt fand nach eines Sperbers Mahlzeit, baute er Windmühlen, dass die Luft ein Spiel fände. Oder er träumte sich eine allerlei raue Welt aus des Vaters Erdbeschreibungen und den Mären der Frena.

Bevor er die süßen Heidelbeeren erntete, legte er ehrfürchtig ein Opfer von drei Beeren auf einen hohlen Stein, für wen, das wusste er nicht. Auch den Holzbirnbaumn suchte er heim und Wildapfel und Schlehe, wie weit sie schon zeitig wären. Ach, das wird ein bitterer Herbst!

Der Wendel hatte seinen Dienst einem steinalten Seewieser Hirten abgelernt. Der hatte die Sprache des Viehes gekannt und dessen Gebresten wunderbar zu heilen verstanden. Dabei war er ein Schelm gewesen, der die Kühe im Wald molk und daheim dann flunkerte, sie hätten sich selber ausgetrunken. Immen und Wespen besprach er, dass sie ihn nicht stachen, und er murmelte viel unsinniges Spruchwerk, davon sonst keiner mehr wusste. Der Mann schrumpfte schließlich ganz ein, die Tiere gehorchten ihm nimmer, und er fluchte: Es ist ein Kreuz, das Vieh wird allweil dümmer und ich allweil krümmer.« Einmal kehrten die Rinder ohne ihn heim, der Alte lag auf der Weide tot.

»Ihr meine lieben Kühe ließet mich nit allein sterben«, sagte der Wendel und grüßte sie mit ihren Namen, das Scheckel, das Krummhörnel, das Blümel und die Docke. Das Blümel liebte er am meisten: sie schritt zierlich zwischen den Stauden hin und trug schier Menschenaugen, die lachen konnten und traurig sein.

Der Hirt freute sich selber wie ein junges, sorgloses Tier. Er strich sich Tau aufs schwarze Brot, den Tau, der nimmer wich aus schattigem Grund. Und wenn die Vögel schlugen, alt und jung, wenn der Waldbischof schrie, der Specht mit dem roten Häubel, da schickte er auch seine hellen Rufe in den Wald und sang trutz der Drossel.

Goldener lauschte der Abend in die Wildnis; die Tiere grasten emsig.

Der Knabe horchte jäh auf. Das Blümel brummte sonderbar hinter dem Gebüsch. Spielte das Waldschrattel mit ihm?

Er lief der Kuh nach. Wie hell ihr heute die Augen blinkten! »Hast du eine brennende Labern geschluckt? Du leuchtest von innen heraus. Oder fürchtest du dich?« Er spannte sein Gehör; er empfand, dass das Tier Gefahr wittere.

Ein goldner Vogel fiel aus den Ästen, setzte sich auf der Kuh Rücken, sang lieblich und halblaut etwas Trauriges und schwang sich wieder heim ins bergende Laub.

»Dich möcht ich fangen« rief der Wendel, »du müsstest mir im Sommer die Fliegen schnappen und den grauen Winter versingen.«

Das goldene Fliegenschnäpperlein kam nimmer. Aber die Kuh zitterte und blökte auf, dass der Abend erklang.

Aus dem Dorn lechzte ein Fremdes, Graues. Ihm glommen die teuflischen, überlegenen Augen. Ein Wolf!

»Renn heim Blümel!« schrie der Bub. »Und du, Wolfteufel, greif mir die Kuh nit an! Ich bin der gute Hirt.«

Er sah die grellen Zähne und die furchtbare Zunge, die so rot war, als hätte sie eben im Blut unschuldiger Wesen geschlemmt. Er rief um Hilfe und wusste sie doch weit. Ach, und die blanke Hacke hatte er im Versteck lassen, und abseits loderte das Feuer, das dieses hochschädliche Tier hätte bannen können.

Er hörte, wie sich das Vieh herumwarf, dem Triftweg zueilte und heimtrabte. Er selbst lag unter dem Wolf, der ihn angesprungen und umgeworfen hatte und nun die Lefzen zurückzog und das Gebleck darbot.

Mitten in der Todesgewissheit dachte der Wendel des Schwesterleins. Wie sie ihm immer entgegenkam, Lippen und Zähne schwarz vom guten Heidelbeermus! Wie sie immer fragte, ob die Kühe recht gefressen, ob die Geißlein die Hörner schon hart hätten, ob er das Rehkitz wieder vergessen habe.

Weh, jetzt war, der Wolf über ihm! Jetzt kehrt er nimmer heim. Weh, Vater und Mutter, weh, ihr lieben Geschwister!

Das Untier schleifte ihn. Er spürte den Biss im Arm, er packte mit allzu schwachem Griff die sehnige Kehle des Feindes, der über ihm sich die Schnauze leckte, bereit, mit Tötung und schrecklichem Fraß zu beginnen.

Plötzlich aber zückte der Wolf den irrlichtenden Blick in die Ferne, ließ von seinem Opfer und zog sieh knurrend zurück.

Menschen nahten und Rossgetrappel.

Ein Mann trat aus dem Staudicht, ihm glänzte der Brustharnisch wie einem heiligen Gottesritter. Arm und Bein strahlten ihm. Er hielt ein Schwert.

Da floh der Wolf. Noch einmal wandte er sich, als wolle er sich den Verscheucher merken für künftige Rache.

Der Mann beugte sich über den wunden Buben, er hatte einen Knebelbart und tapfere, frische Augen. »Hirtbub, lebst du noch?«

»Dank dir, Hirtenengel, Gottsritter Georg!« flüsterte der Knabe fromm. Er streifte ein Spinnennetz vom Strauch und legte es auf die Wunde.

Der Retter sagte: »Lass sehen! Die Schramme ist nit tief.« Er hat den Buben empor.

Ein Rappe eilte neben ihm und spiegelte sich im Harnisch, und der Reiter spiegelte sich in des Rosses glänzendem Fell. Der eiserne, gRosse Mann aber war gütig, er verband geschickt die Bisswunde und setzte den Wendel in den Sattel.

Ein anderer keuchte daher: der Saumer schleppte schweißtriefend ein mächtiges Bündel am Nacken.

»Der Eisenmann hetzt die Wölfe in unsre Herden«, klagte er. »Helmreiter, kehr um! Wir hausen im Wolfsland. Wir müssen im Eisenwald eine Brettmühl bauen, dass wir mit den Totenbrettern klecken.«

Sie schritten zu Tal. Des Gugu Knecht begegnete ihnen.

»Wohin, Kirein? Es nächtelt schier.«

»Leinsaat säen. Spät sind wir heuer daran, Saumer. Die Weiber sind Ursach. Allweil die Weiber. Die Eva mit ihrer fürwitzigen Gosche hat uns ums Paradeis betrogen. Aber wen bringst du da mit?«

»Ein gebissenes Bübel. Und der stolze Reiter ist dem Helm sein Bub.«

»He, junger Helm, leidet es dich nimmer in der blutrünstigen Welt? Du kommst spät. Dein Vater ist dahin, der Tod hat ihm die Füße abgemäht.«

»Ich hab es so erwartet«, erwiderte der Reiter traurig.

»Was begehrst du denn nachher in der Wildnis?«

»Hauen und bauen will ich, weiter treiben, was der Vater angefangen hat.«

»Das geht nit so mir nix dir nix, Helmbub, das muss bitter gelernt werden. Und du kannst nur schießen und dareinfetzen mit dem Sabel.«

»Ich will es lernen.«

»Und einen faulen Knecht erbst du. Wenn der Stichenteufl die Sengst dengelt, tut er heut einen Schlag, morgen einen Schlag: Ich möcht ihm, am liebsten den Hammer aus der Hand reißen und auf den Schädel hauen.«

Der Kirein streichelte den Wendel. »Deine Mutter wird dich jetzt nimmer hüten lassen!« Und den Saumer fragte er: »Hast du das Messgewand gebracht? Wo hast denn du Ross und Wägen lassen? Der Schweiß rinnt dir in den Stiefel. Und der ganze Weg ist umsonst gewesen, der Gugu hat den Einsiedel vertrieben.«

»Ich bin ganz hin«, ächzte der Saumer, »der Bünkel druckt, der Weg ist steinig und lang. Und die heilige Sache hab ich selber getragen, weil ich was abbüßen will.«

»Hast du auch in der Seewies meinem Weib ausgerichtet, was ich dir angeschafft hab?« fragte der Kirein. »O, sie ist eine Böse, sie hätt mich schier in den Krieg gebracht, wenn ich nit so sanftmütig wär.«

»Ja, Kirein, ich hab ihr gesagt, sie soll nit verzweifeln, weil du im Eisenwald gestorben und begraben bist.«

»Ist ihr, leid um mich? Hat sie doch ins Fürtuch geweint? Ich muss ihr bald kundgeben, dass ich noch gesund bin.«

»Zeit lassen!« mahnte der Saumer. »Wie sie deinen Tod erfahren hat, hat sie einen Prügel erklenkt, ist auf einen Baumstock losgefahren und hat ihn aus Leibeskräften geschlagen. Dabei hat sie geschrien: ›Allen Heiligen dank ich es, dass ich von dem Bilmes einmal losgebunden bin. Der helllichte Satan ist nit schlechter als er. Die Kittel hat er mir über den Kopf zusammenbunden, dass ich mich hab nit wehren können, und hat mich gehaut.‹ Und auf den Baum hat sie losgetremnmelt, bis sie nimmer hat können, bis ihr der Faum vom Maul gespritzt und sie umgefallen ist. Hernach ist ihr leichter worden.«

»Der Teufel würge sie«, fluchte der Kirein und verschwand. Er wollte nichts mehr hören. -Schnaubend und ohne Hüter war die Herde heim gekommen. Da schwante den Gnadleuten Unheil, und in tiefer Sorge machten sie sich auf, ihr Kind zu suchen.

Auf dem Triftweg trafen sie die drei.

Als die Barbara Gnadin ihres Buben kalkblasse Stirn sah, ächzte sie: »Erd, tu dich auf, verschlünd mich!« Sie musste sich auf einen Stein hinlassen. Dort kauerte sie und schrie sinnlos, schrie, schrie, bis ihr der Reiter den Wendel auf den Schoß legte.

Sie entblößte das Wundmal und weinte. »O das Wundlein! O das Blut! O mein blutendes Kind! Nein, fürcht dich nit! Wir gehen fort aus dem Wald: Und wenn der Vater nit will, geh ich mit euch Kindern allein. Die Kinder gehören mir.«

»Ein Feind Gottes könnt man werden im Eisenwald«, sagte der Saumer. »Daheim in der Seewies ist es traulich, dort gedeiht ein freudiges Leben. Die Luft ist dort mild, das Korn leuchtet dort schon hell und breit. Wir im Eisenstein müssen ein verschrecktes Hasenleben führen. Ein schlechtes Brot haben wir da.«

Heimweh ergriff die Gnadin, und den Eisenwald sah sie mit blutigen Wolfszähnen umzäunt. »Davon tu ich wie dem Schreiner die Lenora!« fuhr sie ihren Mann an. »Das Herz kliebt sich mir. Ich bin eine Mutter, und wenn es um die Kinder geht, kenn ich niemand mehr.«

»Die Gewohnheit wird uns die Gegend da traulich machen, erwiderte er sacht. »In ein paar Jahren wollen wir nimmer fort. Die reißenden Tiere tilgen wir mit Wolfsangeln, Gift und Gruft.«

»Der Eisenwald ist dem Teufel aus dem Schurz gefallen«‚ eiferte sie. »Schau dir den Arber mit seinem wilden Kopf an! Wir sind Leut und keine Wölfe, wir gehören fit herein da in die Wildnis.«

»Daheim ist es auch oft fnit geraten, Weib. Das Getreid hat es uns verschauert, die Körner sind rußig worden, Krankheit hat uns nit verschont.«

»Aber die Kinder sind sicher gewesen!« kreischte sie.

»Wenn du von Not und Unglück wegwillst, dann musst du aus der Welt«, sagte er leise. »Das Leid gehört zu den Menschen, und der Herrgott hat es nit unbedacht erschaffen.«

Der Blick des Gnad kreiste wie ein stiller, ernster Vogel über dieses Land, und er wusste, er werde bleiben, und wenn die Erde hier sich noch so unbarmherzig gebärdete.

Sanft zog er das Weib empor. »Wir wollen den Buben heimbringen, dass ihm die Wunde nit brandig wird. Und dass die kleine Trautel sich nit ängstigt.«

Er trug den Knaben heim, er wusch ihm die Wunde und setzte ihn unter die Geschwister, und das Hirtlein erzählte vom Wolf und vom Blümeel und von dem goldenen Warnvogel.

Der Gnad läutete die hölzerne Glocke. Da kamen die Nachbarn, den erworbenen Kirchenschatz zu sehen und vom Saumer Neues aus der Heimat zu erfahren.

Nur der Wildnusser fehlte. Der Starrhals baute einsam an seiner neuen Hütte, nachdem er alle angebotene Hilfe rau abgelehnt hatte.

Zuletzt rückte der Stichenteufl an.

»He, Utz, fleiß dich, du kriegst einen neuen Bauern!«

Der Knecht machte eine geringschätzige Gebärde. »Gemach kommt man auch weit«, brummte er.

Der Saumer lud die Bürde ab. Der Schreiner sah ihm zu, auf seinen engen Lippen zitterte die Frage, ob die Lenora in der Seewies sei oder ob sie umgekommen wäre auf der Flucht. Aber er fragte nicht.

Der Bote legte die geweihten Dinge ins Gras: die zinnernen Leuchter, den gläsernen Kelch, das vergoldete Schüsslein, Sprengwedel, Weihkessel und Ampel; einen rotdamastenen Messmantel breitete er hin und alte, schöne Nonnenstickerei und Stola und Gürtel und andere Zierrat, die die Klattauer Mönche als heillosen Plunder verwarfen.

Die Bauern aber freuten sich ehrwürdig der Pracht, die sie nicht zu betasten wagten, und waren traurig, dass kein Priester unter ihnen weilte, der sich damit umkleidet hätte.

Den Helmreiter erkannte mancher wieder, obschon viele Jahre um waren, seit er dem blinkenden Kriegsleben zugelaufen war. Er glich an Größe dem alten Riesen.

Der Stichenteufl sprach zu ihm: »Dein Vater ist schon einen Kanonenschuss weit hinter der Ewigkeit. Die Arbeit hat ihn umgebracht. Gerat ihm nit nach!«

Der Schreiner reichte dem Helm die Hand. »Du kannst mit uns Weide, Holz und Acker nutzen.«

»Was?!« zürnte der Stichenteufl und spie hin. »So ein stolzer Reiter will ein Bauer werden? Will Kraut setzen und Rüben säen? Stein und Gestrüpp wirst du ausreißen müssen mit deinen adligen Händen. Helm! Ein Reiter ist ein Herr, ein Bauer ein Dreck.«

»Der Krieg hat verspielt, der Krieg ist gestorben«, erwiderte der Helm.

»So ist gewiss Friede im Reich?« fragte der Diller. »Wir hören es schon oft. Wir glauben es nit.«

»Der Krieg muss weiter bestehen«, eiferte der Stichenteufl. »Was täten sie denn mit den Schwertern und Feuerrohren und Spießen anfangen?«

»Eisen ist zu allem nötig«, sagte der Gnad. »Wir brauchen Sensen und Sicheln.«

»Der Friede ist kommen«, sprach der Reiter. »Wunderzeichen haben ihn verkündet. Ich selber hab einen Kornhalm gesehen, der hat dreißig volle Ähren getragen.«

Der Zachreis kicherte: »Ja, Saumer, Wunder geschehen. Heutnacht ist dein Weib zerfallen, hat zwei Buben gekriegt, und gleichzeitig hat deine fleckige Kuh die Notzeit gehabt und hat zwei Stierlein gekälbert.«

»Zwei Stierlein, sagst du?« fuhr der Saumer auf.

»Es ist gewiss wahr, zwei feste Stierlein.«

Der Saumer lachte fröhlich auf. »Zwei feste Stierlein! Ha, das ist mir recht! Da muss ich heim. Zwei Stierlein also!«

Er ließ alles liegen und trabte davon.

Der Reiter erzählte: »Leut, draußen steht es übel. Das Reich verwachst ganz. Die Äcker liegen brach, kein Vieh geht auf den Triften, die Straßen verstrüppen. Die Kirchen sind eingefallen und ohne Dach, am Freithof grasen die Rehe. Aus Not entweichen die Leut, ihre Häuser verkommen, Stauden wachsen zum Rauchfang heraus. Ganze Dörfer sind verschollen. Die Welt wird bald ein einziger Wald sein.«

»Wir Bauern müssen schaffen«, sagte der Schreiner kurz.

»Da hat es mich heimtrieben«, fuhr der Helm fort. »Ich bin eines Bauern Sohn und darf es nit zulassen, dass die alten Äcker veröden und das Korn ausgeht in der Welt. Drum will ich helfen. Drum bin ich da.«

»Wir brauchen dich«, sagte der Schreiner. –-

Die Saumerin war schon aus dem Bett und schaltete im Haus wie immer, und nur das blasse Gesicht sprach davon, dass sie in der Nacht zweimal hatte gebären müssen.

Die Stube roch nach frischem Brot. Da der Abend kühlte, saßen die kleinen Kinder auf den Laiben und wärmten sich daran die Steißlein.

»Wo ist das Ross?« fragte sie den Mann, der auf der Schwelle stand und den wimmernden Zwillingen lauschte.

»Das Ross hab ich verspielt«, sagte er dumpf, »den Wagen auch.«

Mit einem müden Seufzer sank sie auf ihr Schmerzensbett hin und verhielt sich das Gesicht.

Das stämmige Rössel! Der feste Wagen!

Wie viele glühende Sommertage hatte sie sich nun vergebens geplagt! Wie viele harte Jahre wird sie wieder arbeiten müssen, zu ersetzen, was der Leichtsinnige in einer Nacht vergeudet! Die Schrunden an ihrer Hand brannten sie wie Feuer.

»Ein Trunk hat den andern begehrt«, gestand er. »Gesoffen hab ich, als wär ein Brand in mir gewesen, und mein Geld verschwendet. Das Maul hab ich nit nach dem Geldgurt gerichtet. Die Reue ist mir gekommen, ich hab die Reue niedertrunken. Der Wirt hat die Karten gemischt. So fest haben sie damit in den Tisch gehaut, dass sich einer den Finger gebrochen hat. Ohne Ross, ohne Wagen hab ich scheiden müssen.«

Dicke Tränen rollten ihm hinab, hilflos lehnte er an der Türsäule und wagte sich nicht weiter. Sie sah ihn lange und traurig an.

Dann sprach sie mit guter Stimme: »Du hättest, das nit tun sollen. Es war ein schönes Ross, gezogen hat es wie eine Schraube: Wir wollen fleißig sein, dass wir wieder ein Ross kriegen.«

Schmerz und Dank übermannten ihn, er packte ihre Hand und krampfte ein tiefreuiges Schluchzen aus der Brust.

*

Nachdenklich beschaute der Reiter das plumpe, gewaltige Brett, das in der Form eines Mannes zugeschnitten, auf seines Vaters Grab gesteckt war, und er las die Schrift.

Mathes Helm,
der Ries,
dem Gott genad!
Wir leben wie das Gras.

Der Reiter legte Sturmhaube und Harnisch ab, Kurzschwert und Radpistole, er gürtete dem Ross den Sattel ab und spannte es vor den Pflug. Der Schreiner unterwies ihn, wie man den Pflug lenken müsse durch die Rodung, er ackerte ihm Zeile um Zeile vor, und der neue Bauer schaute blanken Blickes zu.

Die ernste Erde ergriff ihn mächtig. Seine Seele tastete hinab, als wolle sie sich mit tausend Wurzeln festigen an dem treuen, harten Boden. Hier soll einst sein blühendes Korn atmen, seine reifen Ähren Mehl tragen.

In trunkenem Entschluss stemmte er sich selber an den Pflug. Die Kraft, die aus den zersplitternden Abenteuern der Welt heimgefunden hatte, drängte sich gesammelt und furchend in die Erde und erlöste sich. Sein Blut lauschte über lange Zeiträume zurück und verstand und flutete beruhigt.

Ihm war, er pflüge schon jahrhundertelang.

*

Vom Eisenmann ging das Gerücht, er habe eine Flamme auf der Hand gehalten und ihr befohlen: »Wachse!«. Da sei ein Brandstrahl bis zum Himmel hinaufgeschossen. Solche Sagen vermehrten die Angst vor ihm.

Zwar hörte man oft wochenlang nichts von ihm und die Bauern meinten, er liege in seiner Grube verschüttet. Dann auf einmal war das Halbgespenst wieder da und schreckte die Leute auf den Dämmerwegen bald als laufende Fackel, bald als schleichender Schatten, der wie mit meuchlerischem Gelüst folgte. Sein empörtes Auge schien alles Tun der Waldsiedler zu beobachten. Dann erhob sich allnachts zur selben Stunde sein grässlicher Schrei aus finsterer Ferne, und die Eisensteiner schlugen in die Brust: »Der Tod schreit auf uns!«

Einst fand der Schreiner in das Bollwerk seines Hofes eine blutige Axt geschlagen. Sein Gesinde erkannte daran den drohenden Eisenmann. Der Zechreis schlotterte verstört, die Frena flennte: »Nun geht es uns an den Leib. O, warum sind wir, im traurigen Wald!«

Dem Bauern riss die Geduld. Er band sich die Schuhe, die erzträchtigen Felsen und das verfallene Hammerwerk aufzusuchen, wovon ihm einst der Zachreis berichtet hatte, und dort hoffte er den Feind zu überrumpeln. »Es gibt nit Friede zwischen Mensch und Wolf, einer muss weichen«, sagte er zornig.

Der Seebach spülte an den moosgrünen Steinklötzen und versank nur selten in dunkle, glasklare Ruhe. Ewig drängten die Wellen und tanzten in kreiselnden Trichtern. »Das Wasser lasst keine Ruh«, dachte der Bauer, und gen seine Seele stießen die bitteren Gedanken an den Verlust seiner Kinder, daran er durch die finstere Verkettung der Geschehnisse schuldig war.

Der Buchen dunkle Kronen schatteten; schlankschäftige Tannen warfen Zapfen in den Bach, Wasserfäden sickerten, quirlten nieder von allen Hängen.

Da bedachte der Bauer, wie es in dieser Landschaft doch so viel Feuchtigkeit gäbe und wie er sie einmal in Graben durch seine Wiesen leiten wolle, die einmal an der Wälder Stelle hier grünen sollten. Das würde volles, tiefes Gras werden. Denn Wasser tat alles.

Der Schreiner musste durch dornige, geknickte Wildnis, durch krummes, verdrücktes Geäst. Wetterklüftige Stämme gähnten ihn an; gefallener Bäume Strupp, die tollem Kotwurzeln aufreckend, hemmte ihn; moosige, graue Stauden, zähes, stachelstarrendes Gerank, spitze Ruten griffen ihm in Gesicht und Joppe; brütende, oft tückisch verlarvte Tümpel lauerten ihm auf: ein furchtbares Verhau den Eisenmann zu schützen.

Auf freiem Anger bäumte sich einsam eine ungeheure Rohne, entrindet und wirr sich viergabelnd, die abgestorbenen Äste wie dürre Rippen; unterwaschene Wurzeln krochen gleich Schlangen den Baum an.

Der Wanderer starrte empor. »Ich bin wie du, steinerner Baum: nit Weib, nit Kind hab ich, tot bin ich bis zum letzten Wipfel hinauf.«

Der Schmerz glitt ihm, eine glühende Egge, durch die Seele. Dahin waren die zwei frischen Buben, dahin die Lieblichkeit ihres Lächelns, ihre kindliche Weisheit! Dahin war das Weib, das ihm lieb gewesen bei Tag und Nacht!

Ungestüm drang er weiter in die Wildnis.

Graubemähnte Äste griffen verrenkt um sich; Baumgreise, vom Blitz verwundet und entstellt, kündeten eine gewaltige Lebensgeschichte; altmächtige Eichen sandten die Pranken in den Fels und trieben Wurzelwülste, die waren wie der Stein selber zerwittert und zerfurcht.

In einer Lache ackerte eine Wildsau, ein schmutziges, verkrustetes Vieh. Als ihre satanischen Äuglein den Menschen wahrnahmen, trollte sie sich mit bösem Grunzen.

Der Schreiner blickte auf die steinernen Wurzeln nieder. Die Einsamkeit, die wuchernder Öde schlug ihn nieder.

O er war schuld, dass die Nachbarn die alten, bequemen Nester verließen, er hatte sie gelockt in den unwohnlichen Wald, der mit Unheil und schwerer Plage sie nun umschloss und alle seine Schrecken auf sie losließ, ihres Schweißes spottete, sie verscheuchte, sie tötete! Konnte der Schreiner dies weiter verantworten? Noch schien ihm die Bitternis dieses Landes nicht ausgekostet genug, noch harrte verschleiert neue Prüfung, neues Elend, und der Freude wird wenig blühen in der tödlichen Wildnis. Sollte er nicht unter die Nachbarn treten und schreien: »Ich hab euch ins Elend geleitet. Steinigt mich und kehrt wieder heim, eh ihr untergehet! Dies Land kennt kein Erbarmen.«

Ewig fremd musste sich der Mensch in dieser Wildnis fühlen, die ihm als ein geschlossenes Einziges und Verbündetes feindlich entgegentrat. In Tier und Baum und Stein, überall starrte derselbe herbe Trotz, alles hielt sich unhold verschlossen und ergab sich widerwillig nur dem werbenden Schweiß des Einwanderers. Wie sehr auch Fleiß und unverzagte Geduld mit Eisen und Feuer anrennen werden, die Ödung wird immer groß und grässlich bleiben und unbezwinglich in ihrer Größe.

Des Schreiners Leib zitterte, seine Arme hingen wie tot nieder, die grüblerischen Augen standen ihm erstorben. Verzweiflung lähmte seine starke Seele und ihm schwindelte vor der unbesiegbaren Wüste.

Doch die Verworrenheit dieser Welt, die ihn hässlich deuchte, forderte ihn heraus zur Tat.

Gott hat nur begonnen, der Mensch muss vollenden.

Hier gilt es, die blöde, nutzlose Wildnis zu brechen, abzureuten, aufzureißen. Das menschenfeindliche, wirre Düster muss verdrängt werden, dass bäuerliche Arbeit und Ordnung Platz fänden.

Die Erde darf nicht verwildern.

Wo aber steht dies geschrieben? Ist es Gottes Plan, dass felsiger Grund entsteint, buckliges Geländ geebnet, raues gesänftigt, sumpfiges ausgetrocknet werde? Soll der wilde Baum dem Kornhalm, der Bär der grasenden Kuh weichen?

Es muss wohl so sein, sonst besäße der Mensch nicht den Trieb und die brennende Sehnsucht, seine Gewalt und Kunst zu versuchen an öder, tödlicher Einsamkeit.

Der Schreiner blickte empor. »Ich bin nit Wandel bar wie die Wolke über mir«, dachte er. »Ich bleib, und wenn alle davonrennen. Ich bleib, wie der Eisenmann geblieben ist. Was ich tu, ist recht.«

Eine Wasserrunst traf er voll rostigen Schlammes, daran schmiegte sich eine Wegfurche, heidelbeerüberwuchert und verwischt durch Baumbestand. Hohes Gras zitterte über dem vergessenen Geleis, das zu einem roten Fels führte, darein ein Stollen geteuft war.

Erdbeerranken tasteten vor dem dunkeln Steinschlund nieder und schwankten unmerklich.

Hier auf diesem verschollenen Altweg waren einst die Karren um den eisenschüssigen Stein gefahren; in dieser Grube haben der Erzsucher Schlägel und Bergeisen gepocht, als die Gänge noch fündig waren und das Eisen noch blühte; hier war gerodet und geköhlert worden um des Erzes willen, klingender Schlag hatte hier gedröhnt.

Von dem Stollen irrte des Bauers Blick über das verwilderte Reut hin zu einer Halde. Dort unter wucherndem Dorn lag eine Schlacke. Er nahm sie in die Hand.

Der Atem irdischer Vergänglichkeit wehte ihn an, die Hinfälligkeit allen Menschenwerkes predigte aus der rauen Schlacke.

Wo sind, die hier die Erze geschieden? Wo weilen die Knappen, die Eisenbrenner, die Hammerknechte? Ihre Welt ist vorüber. Der Bergsegen ist verloschen, der Stollen versiegt. Alles ist verwischt von dem üppigen Wald, als wäre es nie gewesen. Das Eisen hat hier nicht herrschen sollen, sondern das Holz.

Alles hört einmal auf. Warum also diese quälende Plage, wenn alles wieder zur Wildnis zerfallen soll? Warum die Not hier fristen, den Kampf hier führen? Auch der neuen Heimat Gebälk morscht einst, die Dächer stürzen, die Rieder werden verschollen liegen unter gewaltigen Bäumen. Warum also dies schmerzliche Werk?

Der Bauer betrachtete die Schlacke. So wird einst die ganze Erde sein; öde, ungeformte, ausgesogene Schlacke. Er schleuderte den Stein von sich und mit ihm die Versuchung.

Mögen die Berge verfaulen, die Erze ihre Kraft verlieren! Mag sinken und versplittern, was der rastlose Mensch errichtet in der fliehenden Zeit. Notwendig und unvergänglich bleibt der Mann, der den Acker pflegt, und sein Amt, aus der Erde die Frucht zu holen, kann nicht enden.

Und der schaffende Mann muss glauben, dass sein Werk bestehe, für immerdar. –

Der Wind roch nach Rauch. Da briet wohl der böse Narr Schlangen oder Wildsaufleisch.

Lüchsisch schlich der Bauer ein Dickicht an, daraus ein feines Gezisch lockte; er stieß an die düstere, verbröckelnde Mauer der Hammerstätte.

Unter dem zerfetzten Dach schaffte ein hässliches Wesen, gekleidet im Tierhaut, an einem Schleifstein. An Wand und Estrich war der Hüttenleute Werkzeug, alte Bohrer und Fäustel, ziegenfüßige Brechstangen, Klammern, Keile und Gabeln. In der Esse umloderte das Feuer einen Braten, und daneben lag eines Eichkätzels blutiges Fell.

Der Eisenmann bückte sich tief über seine Arbeit, aus dem Mund spann ihm der Geifer auf den Schleifstein hinab, als wolle er diesen netzen. Vielleicht schärfte er wieder ein Messer, um es nächtens in der Sied ler Türen zu stoßen.

Der Schreiner brüllte: »Was schleifst du, du verbostes Gespenst?«

Der Schleifer schnellte zurück und zückte ein triefendes Stichmesser. Rußschwarz kränzte der Bart das kälkige Gesicht, ein märchenhaft strotzender Brauenbart struppte über den blutigen Augenlidern.

Er heulte wie ein Nachtwolf. »Bleib drei Sprünge weit von mir!«

»Was ängstigst du uns? Wir haben dir nix getan.« Das Scheusal zog sich zur Esse zurück. »Geht aus dem Tal!« gurgelte er. »Euer Getös scheucht mir den Eisengeist.«

»Das Eisenjahr ist aus, jetzt ist das Bauernjahr daran«, entgegnete der Schreiner. »Das Erz habt ihr ausgewurzelt, es ist keines mehr zu finden.«

»Der Teufel hat es eingezogen. Aber es muss wieder fündig werden. Ich lass nit nach.« Der Blasse redete schwer und ruckweise und schlang dabei, als müsse er die Worte erbrechen. Dann lachte er plötzlich ursachlos und grell.

»Lass uns in Frieden!« rief der Bauer. »Deine Zeit ist um. Das Schmiedvolk ist davon, wildes Gras weht auf deiner Hütte. Das Erz brauchen wir nit, uns genügt das Holz.«

»Ist deine Sengst hölzern? Hackst du mit buchener Axt?« höhnte der Eisenmann. »Ohne Eisen ist keine Welt.«

»Wenn kein Eisen wär, wär kein Krieg«, sagte der Schreiner.

»Die Leut täten mit Steinen Krieg führen«, trotzte der andere.

Je länger der Schreiner den Feind betrachtete, desto hässlicher schien ihm dieser. Und er verachtete den Bergmann, der wie ein Wurm in schwüler Finsternis wühlte und sein Wesen trieb im Gedärm der Erde.

»Mit Nachbarn soll man sich leiden«, drohte der Schreiner und hob den Stecken gegen das harrende Messer. Holz gegen Eisen. »Du vertreibst uns nit!«

»Ihr werdet weichen«, kicherte der Wilde. »Die groben Wurzeln haben das Erz aus dem Fels gesoffen, sie saufen die Kraft aus der Krume, das Korn kann sich darin nit nähren. Der Eisenwald leidet keinen Bauern.«

Vor des Schreiners Traumblick erwachte das Bild einer entkräfteten Erde, die keinen grünen Halm mehr zu nähren vermag und nur starre Rohnen trägt, gen Himmel fluchende Gerippe, blasse, dorre Gespensterwälder.

Aber sieghaft lachte er auf. »Bauerntum kann nit enden. Die Erde erschöpft sich nit, allweil wieder treibt sie aus. Ich trau ihr noch viel zu.«

»Das Erz muss wieder blühen«, eiferte der Eisenmann »Die Feuchtheit dunstet im Berg, sie setzt sich an, wird Seife, wird Pech, wird zuletzt Eisen. Ohne Eisen keine Welt!« Und er schrie in die Esse, dass die Asche stob, »Teufel, schaff Eisen her!«

Gräulich widerhallte es im Rauchfang. Es war, der Höllische müsse herabfahren und seinen Knecht erklauen.

Der Amboss ruhte im Block versunken, darüber lauerte der große Hammer unnütz wie eine gehemmte Faust, und diese ganze Schatzkammer von eisernem Gerät rastete.

Der Bauer begriff nicht, dass dies alles hier so untätig war. Der Hufhammer dort könnte Rösser und Ochsen beschlagen, der Reifen hier um ein rollendes Rad liegen, der verlorene Mensch könnte Äxte schmieden, die den Wald räumten. Dies bresthafte, verstummte Gebäude, dieser gekettete Hammer sollte wieder klingen und schlagen.

»Sei ein rechtschaffener Mann!« drängte der Schreiner. »Wir wollen friedsam nebeneinander leben, einander schützen und stützen. Friede düngt die Felder gut. Hilf uns um Schmiedlohn und Lidlohn! Raues Eisen und Stahl holen wir dir, die Eisenjuden bieten es haufenweis feil. Du kannst schmieden, wie es dich lüstet.«

Im friedlosen Auge des Eisenmannes glomm kein Verständnis. »Fort müsst ihr! Euch gehört der Eisenstein nit.«

»Wir bauen das Land, drum gehört es uns. Wir geben uns redlich Müh.«

Ein Schattenflog über den Schreiner. Er schaute empor. An der Sonne vorbei ruderte ein Sperber. Irgendwo scholl der Ruf eines Wildes.

Der Eisenmann aber war verschwunden. Die Esse schien ihn verschlungen zu haben.

*

Scheu und traumhaft klagte ein Vogel vor dem Tag. Der Gnad erwachte, zwingende Sehnsucht im Herzen. Leise schnürte er sich ein Bündel und schlüpfte hinaus in die Frühe.

Er ließ sich vom Regenbach führen.

Gewaltig reckte sich der Arber vor ihm auf. Dort droben auf dem Berghaupt wollte er stehen und hinwegsehen über die anderen Höhen, die wie ein Hagzaun das Tal umzingelten und es abriegelten von der tiefmächtigen Welt.

Der Gnad schlich heimlich, als habe er Böses vor. Wie leicht konnte der Schreiner aus dem Wald treten, ihn bitter anschauen und fragen: »Ist dir ein Rindlein Vieh irrgelaufen, weil du so zeitig schon suchst? Warum laufst du heut der Arbeit davon? Bist du sonnsüchtig wie der Helmkuecht?«

Ja, der Schwager stand grundfest und flog nicht ins Himmelblaue. Und so waren sie alle geartet im Eisenwald und ahnten nicht die innere Not, die den Gnad oft so sonderbar bedrängte. Sie trachteten nur, den schwarzen Wald zu verhacken und ihr Vieh zu mehren; sie fanden nur einen geordneten Hof schön, ein geackertes Feld, einen Getreidegrund, darauf keine Blume wuchs. Blumen waren ihnen Unkraut. Und das Tal genügte ihnen. Drum verstanden sie nicht, was scheuem Golde gleich in des Gnad Seele funkelte.

In den Tiefen vertäute das gedämpfte Geläut einer Herde wie glucksendes Wasser, indes er steilen Steig sich trat, sein seliges, sehnendes Herz zu führen in die hohen Wälder, die die Berge bedeckten. Er zog den von Stein zu Stein sinkenden Wassern entgegen, bis er des Baches Entsprang fand, er stieg gläubig und still die waldbeflankte Höhe hinan, bald unter kühlem Tann, bald geschlossenes Laub zu Häupten, das grünes Dämmer in sich hielt.

Hoch schwamm die Sonne, die gewaltige Einöderin. Da trat er nach vieler Beschwer aus dem Wald in die freie Lichtfülle einer Blöße.

Das hohe Haupt des Arbers schaute still in den Himmel, und rings dienten ihm die dunkeln Knechte, die tannenreichen Höhen: der riffige Osser, der jähe Falkenstein. Wipfel und Quellen rauschten, wilde Bienen wetzten sich am Tau, eine Hinde fraß von einem Baum. Braune und dunkle Vögel waren dieser Einsamkeit Nutznießer, und die Falken vertauchten drunten im Wald..

In den Tiefen aber Wipfel, Wipfel, nichts als Wipfel! Und, Berge und Berge, Wald und Wald. Fernen, vom Heerrauch aufgelöst und verschleiert.

Nur wenige kleine Locken durchbrachen das grüne Meer und milderten die schwere, fast trauernde Öde: das waren die Rodungen im Eisenstein. Verlorne Eiländlein; die Wildnis drohte sie wieder zu verschlingen. Da war ein schwarzer Fleck, der Rest eines gesengten Waldes. Mit linder Rührung gedachte der Bergfahrer des harten Tagwerkes drunten. Dort arbeiteten jetzt die Nachbarn, den Blickfest und ruhig an die Erde gebunden.

Er aber ergab sich wieder den silbrig umschleierten Weiten, und eine selige Ahnung der Schönheit der Wildnis durchschauerte ihn.

»Die Berge tragen ihre Kräuter, und alle wilden Tiere spielen da.« So hatte er im Buche Hiob gelesen. Und sein Herz fügte hinzu: »Wie kannst du gar so schön sein, du vergänglich Jammertal!«

Wenn er zuweilen die Seele aus dampfender Werkwoche hob und vom kleinen Ziel des Tages riss und Dingen nachsann, die außerhalb der Tat seiner Hände waren, da ahnte er, wie ein gewaltig Schönes, im Gewand des Rätsels Atmendes lebte, nicht, im Bereich der greifbaren Erde, und wie es bestand und ihm verloren ging, indes er sein mühsames Gewerb übte, pflügte, säte, fechste. Da drängte es ihn, allem irdischen Treiben sich zu entziehen und menschenfern in jenes fremde Rätsel schauen zu können wie auf den Grund eines goldklaren Brunnens.

Dann tat ihm sein Bauerntum weh. Er empfand, dass ihn das Tagwerk in seiner Mühsal dem Tiere ähnlich machte, dessen Stirn sich nicht sinnend gen Himmel hebt, dessen Seele schwingenlos darniederliegt, dessen Auge schwer und stumpf an dem Boden haftet, der ihm Gras bietet für den Leib.

Der Bauer ist sein schweres Geschöpf: gebunden an die Scholle, gleicht er den Bäumen und Kräutern. Von allen Menschen zieht es ihn am meisten zur Erde hin.

Die Kraft, die Bäche und Flüsse in die Niederung ruft, der Tropfen sinken lässt aus trächtiger Wolke und die Frucht löst vom Baum, o dass diese Kraft auch den Menschen bindet und lähmt, dass er die Sterne nicht antasten und die Sonne nicht heimsuchen kann! O dass die Seele, die sich dem Endelosen und Ewigen ausgießen möchte, dass sie durch den Leib an die enge Erde geschmiedet ist! –

Eine Schlange pfiff, je einmal rührte sich ein Laub und sagte etwas. Dann aber richtete sich eine Stille auf, die erschütterte des Bauern schlichtes Herz.

Noch nie im Leben war er so hoch gestiegen. Nun lag die Welt vor ihm wie eine wundersame, fremde Erzählung Gottes.

Groß und herb war das Bergsteigen. Felsen sonnten sich, Fichten funkelten, von Wohlruch starrte die Luft. Weiß blühte die Sonne, die weltumwandelnde, weiß wallten die Wolken, die das Tal beschatteten.

Hier pochte die Erde mit ihren Bergen an den Himmel an. Der Arber ragte, ein Wegweiser zu dem, der die Berge hat wachsen, die Schluchten versinken lassen.

Und, wie die Berge, die bewachsenen und die barhäuptigen, in Andacht weilten um ihren Fürsten, den Arber, wie auf der Blöße, wo das Berggras reifte und sauste, die Sonne lagerte, die helle Glut, die Mensch und Tier erfreut, und durch der Tannen, schütteres Gestänge blaue Bergketten grüßten, und wie der Mann die Weiten schaute, denen er keine Namen wusste, und die Welt ureinsam, unberührt und jugendlich hier schimmerte, als hätte der Schöpfer sie heute neu aus sich gestoßen, da öffnete der Pilger sein Bündel, hob Glanz hervor und zog sich das damastene Messkleid über den bäuerischen Leinenrock und legte die gestickte Stola um den Nacken. Befangen von der starrenden Pracht des Gewandes, das ihn deckte, stand er glühend vor Glück und dennoch fürchtend, in Hoffart zu freveln, wenn er, der Ungeweihte, ohne Fug sich in den frommen Schimmer hüllte.

In Knabenjahren einst hatte ihn der Vater in die lateinische Schule geschickt, ein Diener Gottes hätte er werden sollen. Aber des jungen Schülers Brust füllte ein Zwiespalt: das Heimweh des Bauernkindes nach der harrenden Erde stritt gegen den brünstigen Drang, Gott unmittelbar zu dienen und den Menschen ein geistlicher Helfer zu sein. Wie der Weih, der stille, hing dort droben zwischen Himmel und Erde, so war auch sein Herz geteilt gewesen zwischen Gott und Acker. Und dieser hatte gesiegt und den Jüngling zurückgezogen zum schweren Werk. Aber die geistige Sehnsucht verdorrte nimmer in dem Bauern, immer wieder lockte ihn das Unbeweisbare, Unergründliche an und führte ihn oft weit abseits von Feld und Nachbar und bedrückte ihn häufig mit der Trauer des Unerfüllbaren und des Verlustes.

Die Sonnenstrahlen drangen aus dem Gewölk wie die Speichen eines ungeheuren Lichtrades; die Wipfel drunten erwachten scheu, ruhten und schwollen wieder, bis das Waldrauschen von dem Fuß des Berges heraufdrang wie ein Staffelpsalm.

Des Mannes Geist glich einer gesegneten Scheuer voll Dämmer und Duft, aus anderen Himmelsringen griff es wunderbar zu ihm herüber.

O Mensch, der Himmel ist über dir, die Erde unter dir, du bist in der Mitte. Heute aber bist du ganz eigen einer geheimnisvollen. Feiertagswelt.

Feiere!

Die Sonne bot sich dar, das gewaltige Licht, mächtiger reckte sich der Arber, der Bergvater, und der priesterliche Bauer fühlte einen tiefen Geist über die gewölbten Bergbrüste und starren Wildnisse kreisen und wollte die Arme breiten, die Hände falten, ein heiliges Wort rufen. Aber all dies deuchte ihn hier unzulänglich vor der großen, einfachen Ruhe, darin er Gott an der Welt weben hörte.

Und Gott überfiel ihn: da stürzten seine Sinne nach innen, und er entging sich selber.

So stand er seltsam glänzend, regungslos und entrückt, im Prunkgewand auf Gottes Gebirg.

Lieblich und verloren schrien die Vögel, der Weihe suchte die höchsten Höhen heim, und von den Wäldern ging ein dunkles, orgelhaftes Rauschen aus und mahnte den Entrückten.

Da legte er die damastene Pracht ab und rastete. Die Kräuter drängten sich in anmutigsten Gestalten um ihn, winzige, zierliche Mooswäldchen grünten um seine Knie.

Die Sehnsucht trieb ihn weiter empor gen den Arber, auf den die Fernen schauen.

Der Wald ward luftiger, lückiger. Zersplitterte Wetterkiefern, Gewurz, aufsteilender Stein hemmten den Bergfahrer; Stämme, vom Wind gebrochen, wiesen ihn zurück.

Füchse schlemmten in den Preiselbeeren. Ein Hirsch fegte das weiße Gehörn.

Der Gnad starrte in die blauen Bereiche über sich, zu den fliegenden Blendnisgärten empor, auf die Berge, die, in letzte Fernen hinausgeschoben, aller Irdischkeit entkleidet und nur feiner Duft zu sein schienen.

Am. Abend wollte er des Arbers Spitze erreichen und von dort aus die goldengen Alpen glühen sehn; er formte sich davon einen reichen Traum, und das lodernde, unerfassbare Gebirg war ihm das Sinnbild einer erhöhten, einer geistigen Welt.

Den Schmerz, sich im Tal mit der Mühe des Leibes bescheiden zu müssen, wollte er enden mit einem wunderbaren, frommen Abenteuer auf der Zinne des Arbers. Diese wollte er betreten wie eine Kirche, wo Gott selbst lebendig am Altar waltet und niederspricht und alles Ding und Leben deutet aus seiner Weisheit heraus.

Der Weg war hart, Stein und Baum wichen nicht aus.

Die Säulenräume blieben zurück, der Bäume schnurgerad aufstrebender Wuchs verlor sich mählich. Hockende Bäume mit verworrenem Gesträub wucherten, Bäume, die sich vor der Höhe zu Krüppeln demütigten, verzerrte Buchen. Kein Vöglein pfiff Gottes Lob.

Hier war unbetretenes Land. Keines Menschen Fuß war je hier gewandert. Die Welt war sich selber überlassen, sie wirkte sich in zerkämpften Bäumen aus, in rauem Stein, in Sturm, Regenfall, Rauschen, Schweigen.

Der Bauer arbeitete sich mit pfeifenden Lungen an Felsen empor, er kletterte wieder weite Stücke bergab und wieder hinan. Die Tannen nahmen kein Ende, Wald wuchs hinter Wald, der Höhe winkten neue Höhen. Fern ragte der Arber.

Der maßlosen Wildnis Tiefe, selbst vom Tier gemieden, bedrohte den Wanderer mit unklarer Gefahr. Oft wagte er kaum zu sinnen; er fürchtete, seine Gedanken könnten diese goldiggrüne, in sich selbst verträumte Ruhe stören. Oft wieder schrak er zurück vor den immer ungewöhnlicher werdenden Formen der Bäume, die von lastenden Wintern und beugenden Stürmen krumm waren; die Öde bestimmte ihre Missgestalt, zerrissen und verstorben, bleich, blitzverkohlt boten sie dem Schweigen einen Horst.

Am Rande eines höllisch wüsten Windbruches graute ein Zwieselbaum. Aus seinem Stamm ragte ein kurzes, moosiges Ästlein. Von seltsamem Drang getrieben, betastete es der Gnad. Es war ein eiserner Pfeil.

Den Gnad schauderte. Auch hier in der äußersten Wildnis hatten schon Menschen geweilt! Das Geschoß schien uralt. Wen hat dieser Pfeil verfehlt? Hatte sich die Sehne gegen ein Wild gespannt? Oder ein Mensch sich wider seinesgleichen erhoben? Wenn der Baum aus seinem Schlaf erwachte und spräche!

Fern ragte der Arber.

Am Gestade des zerbrochenen Waldes fiel der Bauer hin, die Beine gelähmt vom endlosen Aufstieg. Er hatte seine Kraft überschätzt.

Über dem Talwald hing der Raben schwermütiger Flug, irgendein Heimweh trieb sie. Eine Wolke streifte die Höhe, Nebel quollen aus Wurzelhöhlen und Felsklunsen, sanken aus trostlosen Wipfeln und rotteten sich grau und gramvoll zusammen.

Dem Bauer träumte: Gott kam zu ihm, gegürtet mit der Milchstraße, er schüttelte ernst den goldenen Bart und führte ihn aus der Höhe nieder zu einem Acker.

Feuchte Kühle weckte ihn.

Grau spann der Nebel um Geisterwipfel.

Einmal öffnete sich das Dämmer: da tauchte der Arber fern und unnahbar feierlich auf und verhüllte sich schweigend wieder.

Traurig stieg der Gnad zurück zu Tal. Auf dem Weg zur Höhe, zu den Geburtsstätten der Ströme, musste er umkehren zum Tagwerk, das zur Erde beugt. Gott wies ihn zurück, Gott verwehrte ihm den Gipfel.

Der Nebel zerstob, als der Abend einfiel. Schwarz lagerten die Berge vor dem hellen Gold des westlichen Himmels. Die Wälder überquollen mählich vor Schatten.

Der Bauer wankte vor Müdheit, die Qual des Abstieges war groß.

Der Abend konnte die Sterne nimmer verheimlichen. Doch spärlich glitt ihr Licht durch die Finsternis, die zwischen Stämmen und Wipfeln gesperrt war. Der Wildkatze Seher funkelten, funkelten wie Kohlen.

Endlos zog der Wald nieder, weglos.

Der Pilger sah seine wandernden Füße ninmmer, der Blick ertrank ihm im Dunkel.

Er sank ins Bergmoos.

Die Sterne standen auf und trösteten.

Da beschied er sich in Demut. Sein Geist hatte über sich hinauswollen, aber sein Amt war zu dienen mit der Arme Arbeit, seine Größe war rastloser Fleiß und ruhige Geduld. Das schlichte Feld war für ihn, nicht die reiche, blendende Ferne. In Abkehr, in unscheinbarer Arbeit wird der Bauer zum tragenden Grund der Menschheit.

Er, wollte heimkehren zu der Gemeinschaft, der er gehörte: sieben Rauchsäulen klommen im Tal irgendwo über den Wald.

Er deckte sich mit dem Rock zu. Dämmerungstiere schlichen an ihm vorüber. Er betete und legte das Haupt getrost in den Schoß des Sternenwächters.

*

Der Sommer wollte aus dem Land. Sanft und sonnig war der Egiditag verlaufen, und das kündete nach altem Bauernwissen einen heitern, langen Herbst.

Der Hafer verblich. Feine Fäden wallten in der Luft; des Gnad kleine Trautel haschte sie und um spann damit die Docke, die der Vater ihr geschnitzt.

Spät sichelten die Eisensteiner ihre erste Ernte. Sie geriet kümmerlich: das Stroh war kurz, der Kern gering.

»Da gibt es übel zu fressen«, fluchte der Wildnusser, »der Teufel soll da bleiben.«

»Scheuer, schopp dich!« murrte der Zachreis. »Der Hafer ist spannenlang. Daheim herentgegen ist uns einmal ein Kornhalm neun Schuh und einen Zoll hoch gewachsen.«

Der Schreiner tröstete: »Wir müssen das Land erst verstehen lernen. So jäh ergibt es sich nit. Das Gras ist recht schön worden, wir werden mehr Vieh halten. Wir werden Gespinst und Flachs säen.«

Dem Gnad war der Bär durchs Haberfeld gerutscht, die süßen Früchte naschend, hatte er einen großen Teil der Ernte zerstört.

Dem Saumer war die Wildkatz über das Geflügel geraten.

Der Gugu meinte: »Daheim haben wir einen Apfelbaum gehabt, daran ist kein Zweig gewesen, der nit eine Frucht gehalten hätt. Er hat mehr Äpfel getragen als Blätter. Und reich hat er geblüht; stützen haben wir ihn schier müssen, dass er vor Blühe nit brochen ist. Er ist ein lieber, breiter Baum gewesen. Im Eisenstein, da ist es den Obstbäumen zu kalt.«

»Es ist ein müdes Jahr gewesen«, erwiderte der Schreiner immer. »Der Anfang ist nirgends leicht. Aber wir werden uns halten. Wo sich das wilde Vieh haltet, muss es auch den Menschen leiden.«

Glücklicher als die Alten ernteten die Kinder. Sie brachen de Schlehe und die rote Hötschenbeere, der Holzäpfel und der steinigen wilden Birnen gab es viel, und dem Eichkätzel wurden die Haselnüsse strittig gemacht.

»Der Kranwit ist gesund gen mancherlei«, sagte der Zachreis im Wacholdergarten. Er bog das Knie und blähte die Nüstern in dem würzigen Hauch, dann stülpte er meuchlings einen Sack über eine der geschmeidigen Stauden. »Da leg die grobe Kutte an!«

Hernach bog er sie vorsichtig, dass sie ihn nicht beiße, zur Erde. »Kranwit, ich duck dich! Kranwit, buck dich!« reimte er und klopfte mit dem Stecken weidlich auf das Bäumlein los, das blind und wehrlos auf der Erde lag, dass es im ersten Schreck all die kräftigen Kranbeeren fallen ließ. Schließlich befreite er die Staude wieder, sie erhob sich hastig und verdutzt, indes er kichernd die blaue Beute von hinnen trug. –

Der Saumer wallfahrtete mit den Seinen zur heiligen Mutter Anna in der Seewies. In finsterer Nacht schon gingen sie aus, Fackeln führten sie mit, die Wölfe zu scheuchen.

In der Seewies ließen sie die Zwillinge taufen.

Sie trugen schwere Herzen und trübe Stirnen aus der gewesenen Heimat mit. »Wo anders wachsen steinerne Steine, bei uns aber eiserne«, spaßte der Saumer grimmig.

Sie brachten eine neue Kuh mit, die brüllte im fremden Stall vor Heimweh die ganze Nacht. Die. Bäuerin lehnte an ihr und weinte hart.

Um Michaeli erstand der Saumer ein wohlfeiles Ross, einen bejahrten Rappen mit ergrauter Mähne.

Als er einst Korn ins Hochtal herauf frachtete, erzählte er, er habe in der Stadt das Schandglöckel gehört, und als er zum Pranger gelaufen sei, seien der Laudemus und die Hadax daran gekoppelt gewesen. Der Trugmönch habe sein Gesicht gräulich verzerrt und die Zunge gereckt, als er des Saumers ansichtig worden. So war dieser Bösewicht der irdischen Strafe nicht entgangen.

Hafer, Flachs und Sommerkorn waren geheimst. Auf den Tennen läutete zum ersten Mal des Flegels gedämpfter Prall.

Der Wildnusser drosch einsam und trotzig, der Rücken blutete ihm unter dem rauen Hemd. Er knurrte: »Keiner plagt sich so wie der Bauer. Wir leben und schinden uns wie das Vieh. Die Glocken läuten: ›Fressen, saufen! Wer zahlt? Die Bauern, die Bauern!‹« Dabei grollte er wie eine böse Glocke. –

Ausgewandert waren die hellen Vögel.

In diesen Tagen huben die Hirsche zu röhren an, das scholl so grausig, als wollten Teufel die Leute gruseln machen. Eine brunftender Hirsch drang in des Helm Herde, scheuchte den Hirten, besiegte den neuen Stier und vertrieb ihn.

Der Gnad besäte einen Neubruch. Das Feld ruhte in schweigsamer Kraft, und der Bauer schritt stumm drüber hin, mit gleichmäßiger Gebärde den Samen werfend. Wachset, Brosamen!

Der Herbst ward tausendfarbig. Müde Wipfel prangten in Zinnoberglut feurig leuchtete das Brombeerblatt, der Ahorn verglühte, die Lärche ward fahl, die Buchen brannten. Der Bauern Augen glitten daran vorüber. Griesgrämig flog der Wind.

Die Zäune standen greis. Silbern vom Reif enttauchte der Wald der herbstlichen Nacht. Reif glühte am Dorn.

Oft hoben die Wipfel ihre Lieder an und vereinten sich zu ungestümen Gesängen.

Frühzeitig tranken die Abendberge die Sonne ein.

Tage kamen, da spann der Herbst sein Nebellinnen. Eine fahle Geistersonne gespensterte durch das Grau, bis sie darin erstickte.

Wochenlang lagerten die Nebel über dem Land des eisernen Steines, und das sonnenlose Dasein verdüsterte die Gemüter. Kein Laut erhob sich als ein Rabenkraht, oder es miaute der Bussard.

Der Schreiner trieb das Vieh heim, das sich auf den Angern feist geweidet hatte und fähig war, den bösen Winter im Stall zu ertragen.

Er schritt durch die freudlose Schwermut der vernebelten Wälder, der geisternde Zug feiner Schwaden streifte ihn mit feuchtem Anhauch, die Tannen waren öde Dreher im qualmenden, zerschlissenen Nebel. Tot lag der Himmel, die Raben grämten sich darin.

Wölbet ihr noch, Berge? Raget ihr noch, Bäume? Überall erwiderte das graue Nichts. Die letzten matten Blätter kringelten nieder.

Er schritt, das Auge trüb von den Nebeln dieses Landes. Welkes Laub irrte ihm nach, knisterte rings um ihn wie unter Geistertritt. Vorbei an nackten, frierenden Stauden, in triefender Öde ging er einsam wie der Tod. Aber er bezwang sich.

Eines Morgens quoll das Gebirg erneut aus des Nebels Silberschoß: da ragten die Höhen im Schneehemd, und der Arber leuchtete.

Wintermann, zieh aus dein weiß Gewand,
Deck es den Bauern übers Land!

*

Der Saumer ließ sich von seiner Bäuerin die fuchsenen Handschuhe flicken, denn er hatte einen feisten Dachs erspäht, und der deutete auf einen harten Winter.

Er bähte grüne Birkenscheiter im Backofen und schnitt sie zu Leuchtspänen; wie Riemen ließen sie sich schälen. »Licht brauchen wir, der Winter wird lang und finster«, weissagte er.

Die roten Hirsche ergrauten. Hin und wieder flog eine verlorene, zarte Flocke. Der Schneeriese aber, der breit auf den Höhen lümmelte, kam nicht ins Tal.

Wir sind dennoch nit im Hungerland«, meinte der Zachreis. »Wir schneiden das, Korn nit im Pelz, wir führen den Schnee nit auf dem Heuwagen in die Scheuer.

Die Frena erzählte: »Vorzeiten hat es ärgere Kälten gegeben. Wann die Bauern gedroschen haben, sind ihnen die Eiszapfen von den Wimpern gehangen wie von einem Dach.«

»Der Winter fahrt schon noch daher!« unkte der Saumer, wenn er solches Lob des Vorwinters vernahm.

Glanzvolle, silberne Tage standen auf voll leichten, reinen Frostes, Tage, wo man jeden Laut weithin im Wald hörte.

Die Roder sorgten emsig für den Winter vor. Sie hackten Tannreis zur Stallstreu und umschlichteten die Hütten mit Brennholz, und vor der Sonnwend schnitte sie Holz für Hausrat und Werkzeug, denn in dieser Zeit waren keine Säfte in den Bäumen.

Immer niedriger ward der Sonnenbogen. Einen Tag lang flockte es fröhlich, feiner Schnee hüllte die Saat, zierte die Äste, deckte die Dächer und schaute weiß zum Fenster herein. Die Bäche stockten und eisten leicht ein.

Das Christfest war da.

Da regte sich des Bauern unsterbliches Heidentum. Der Gnad stellte sich zu seinem Hausbrunn, der rauschend schenkte, und lud ihn ein: »Brunn, komm in die Stuben, iss mit uns!« Und er opferte ihm von seinem Mahl.

Nachts zogen sie durch den Raureif zum Kirchlein. Pelzhauben trugen sie und um den Hals wollene Tücher, Stroh und Heu im Holzschuh hielt die Füße warm. Von den Tannen stäubte es, das flirrte seltsam im Fackelbrand.

Am Altar waren Kirchengerät und Messgewand zur Schau gestellt, der Kelch glänzte, die Kerzen trugen sanfte Häupter, in der Ampel rotem Glas flackerte still das Schmalzlicht. Doch der Tröster fehlte, der Künder des ehrwürdigen Wortes, der mit Weihrauch und Gesang Gott besänftigt und gefeiert hätte.

Sie beteten mit gebogenem Rücken, sie schauten sich an mit feuchtem Auge, die Menschen im wilden Land; Heimweh trugen sie nach dem Weihnachtsmärlen, Kunde begehrten sie über ihn, der in des Bauern Stall geboren worden zur Wintermacht und vor dessen Krippe Könige gekniet und Hirten.

Der Gnad erbarmte sich des Volkes. Er begann zu reden von dem Stern, der über Moos, Tal und Berg geglitten war, er erzählte die gütige, holde Geschichte von der Geburt Gottes in der Armut.

Zum Schluss sagte er: »Wer recht beten lernen will, muss in die Wildnis gehen. Also hat es auch unser Heiland gehalten; im dreißigsten Jahr hat er in einem kalten Tannenwald gehaust, wo die Füchse ihre Höhlen gehabt haben und die Schlangen ihnen Schlupf. Wie er hernach wieder zu den Leuten zurück kommen ist, ist der Geist in ihm gewesen. So sind auch wir ins Gebirg verschlagen, und unser Herrgott weiß wohl, was er tut.«

Nun drängte sich des Gnad Trautel vor und stellte eine winzige Wiege hin, darin eine ungefüge Docke schlief, und wiegte sie mit dem Wickelband und sang:

»Jesus, schönstes Kindelein,
Was kannst denn du nit schlafen?
Dich friert in deine Füßeleim,
Die Augen hast du offen.
Zwischen Ochs und Eselein
Muss deine beste Wohnung sein.

Die Nachtigall kommt auch herbei,
Sie lasst ihr Stimm erschallen,
Und pfeift dem schönsten Kindelein
Eines zum Gefallen
Und setzt sich auf sein Krippelein.
Der heilig Joseph wiegt es ein.«

Ein Hauch der göttlichen Kindheit wehte die rauen Wäldler an, und es ward ihnen sehnsüchtig und leid ums Herz. –

Als die Gnadenleute in jener Nacht heimkehrten, hörten sie im Bretterschupfen ein Geräusch. Der Vater leuchtete hinein, da sahen sie drei Rehe drin übernachten. Es waren gar sanfte Wesen, und sie bargen frommen Glanz in den Augen.

»Euer Schutzengel hüt euch!« sagte die Trautel zu ihnen. –

Auch der tölpische Firmian hegte ein Geheimnis. Er hatte ein Felsenloch entdeckt, darin verhöhlt ein Bär den Winterschlaf feierte. Oft kauerte der Knecht vor der Kluft, belauschte andächtig den langsamen, friedlichen Schlaf des Tieres, schmeichelte dem Zottigen und flüsterte: »Schlaf tausendmal! Es soll dir nix Übles träumen!« und trollte befriedigt heim. –

An einem Winterabend kamen sie beim Schreiner zusammen, sich die Langeweile zu vertreiben. Sie übten dabei allerlei Handwerk: der Bauer flocht einen schadhaften Korb, die Frena spann, und auch der Zachreis band einen flächsernen Schopf um den Rockenstock. Der neue Helmbauer schnitzte aus Mehlbirnholz seiner Egge neue Zähne, und der Stichenteufl hielt ein espenes Hölzlein und tat, als schnitte per einen Kochlöffel daraus. Die Stube roch nach teigigen Holzbirnen.

»Es tut einem schier wohl, wenn man unter die Leut kommt«, meinte der Helm. »Wenn mehr Bauern im Eisenwald wären, wär es lustiger.«

Die Frena weissagte: »Einmal wird es keine Wiese und kein Feld und keinen Wald nimmer geben, nur lauter Wege und Stege, so viel Leut werden sein.«

»Das fürcht ich nit«, lachte der Helm, »allweil kommt wieder ein Krieg aus, der mindert.«

Die Magd ließ das Spinnrad ruhen. »Gott hüt uns vor den Soldaten! Ich hab es erlebt, wie sie sich an Raub und Stich und Brand ergötzt haben. Die Axt ist ihr Schlüssel, ›Gib her!‹ ist ihr Stoßgebet, der Teufel ihr Feldschrei.«

»Wir haben nur heißes Eisen und Mühlsteine liegen lassen«, flunkerte der Stichenteufl. »Wir haben Dächer aufgerissen, Fenster und Ofen zerschlagen und den Dirnen das Fürtuch zerrüttet.«

»Bist auch so ein Leutfresser gewesen«, die Frena verkrallte die alten Finger ins den Flachs, »einer von denen, die in den Kirchen in den heiligen Kelch geseicht haben!«

»Das ist gewiss nit wahr«, wehrte der Knecht ab. Die armen Leut hab ich geschunden und geschürft, sie haben mir nit leid getan, und wenn ihnen auch das Jahr Gras und Kraut und Korn erdürrt ist und die Haut am Leib. Aber die Kirchen hab ich allweil geehrt, die Gotteshäuser hab ich oft gereinigt, die Krähen aus dem Weihkessel gescheucht, drin sie genistet haben. Einen Kameraden hab ich sogar in der Wut gespießt, weil er, seinen Hund ›Papst‹ geheißen hat, uns Katholiken zum Trutz.«

»Du guter Christ«, spöttelte der Zachreis, »du lügst, dass es einen gerade erbarmt.«

»Wenn du es nit glaubst, soll dir der rote Saft aus den Nasenfenstern rinnen!«

»Was hat dich so gut katholisch gemacht? Du hast ja früher auch bei lutherischem Kriegsvölkern Geld genommen.«

»Am Karfreitag einmal, wir sind damals gerad einem Wirt unters Dach gelaufen, haben wir eine Kegelbahn gefunden. Ich nehm die Kugel und will den ersten Wurf versuchen. Auf einmal wird die Kugel seltsam weich in meiner Hand, ich schau hin, da halt ich einen Schädel, der grinst wie ein verfluchter Teufel. Ich hab die Kugel weggeschleudert und bin davon. Seither glaub ich an unsern Herrgott und seinen Feind.«

»Es ist oft grausam hergangen«, erzählte der Helm. »Vor einem Städtel sind wir gelegen, konnten es nit nehmen. Aber ein Tropfen bringt oft das Häfen zum Überrinnen. Die Weiber haben uns von den Mauern die Hintern gezeigt, da sind wir hitzig worden, haben die Wehren zerschmettert, die Tore zerhaut. Und Gnade ist nit gewährt worden. Ein gesegnetes Weib haben sie aufgerissen und ihr das Kind ums Maul geschlagen. Ich hab es nit hindern können.«

Die Frena zitterte, ihre Arme sanken welk.

»Du bist ein altes Weib«, tröstete der Zachreis, »du hast nix mehr zu fürchten.«

Sie schloss die Augen wie vor altem Schreckbild. »Es sind die Toten nit sicher gewesen vor den Soldaten ihrer Lust«, flüsterte sie.

Da ward es still in der Stube. Nur des Zachreis Spinnrad schnurrte. Der Wind stieß durch des Hauses Fugen, da ward die Kienleuchte unruhig.

»Das Licht raucht so viel«, meinte der Helm.

»Rauch macht warm«, sagte der Zachreis, »das ist im Winter gut.«

Die Magd schrillte plötzlich auf: »Der Schwed!« Aber nur die Windsbraut jauchzte draußen.

»Der Wrangel! Der Blut- und Feuerhund!« wispelte die Alte.

»Auf allerlei Gedanken verfallt man im Eisenwald«, sagte der Helm. »Die Gegend wachst mir zuwider, sie ist zu einsam. Ein helleres Leben wär mir lieb.«

»So geh wieder!« höhnte der Schreiner.

Die Frena mahnte: »Leut, bleibt in der Wildnis! Da bedrangsalt uns kein Soldat. Nur nimmer an der Landstraß hausen! Landstraß ist dem Tod sein Gangsteig«.

In der Erinnerung schaute sie die Straße gesäumt vom Brand der Dörfer und von verkohlten Gehöften, bedeckt mit dem Aas von Menschen und Vieh. Raben und Eulen überall.

»Jetzt geht der Friede auf den Straßen«, sagte der Helm.

Der Zachreis widerstritt. »Ganz still wird das Reich nit werden. Ein alter Spruch sagt: ›Künisch Land wird verheert, bayrisch mit dem Besen ausgekehrt.‹ Wo jetzt sieben Pfarrer sind, wird dann nur einer sein. Die Bauern werden klein werden. Und das lederne Geld ist das letzte.«

»Aber uns kann der Krieg nimmer an, der Wald ist ihm zu dick«, lächelte die Frena blöd und netzte den Faden mit welker Lippe.

»Öha«, entgegnete der Knecht, »der Gnad hat im Arberwald einen Pfeil gefunden, der rührt aus der Zeit her, wo die Hussiten mit den Schweden Krieg geführt haben um den Eisenstein.«

Der Stichenteufl zwirbelte grimmig den Schnauzbart. »Wer weiß, was man finden tät, wenn man die Wildnis durchstöberte! Bei Furth in einem Föhricht hab ich einen Reiter gefunden, mit den Füßen nach oben ist er aufgehängt gewesen. Eine Schand ist es zu sagen, wie ihn die Weiber verstümmelt haben. Schämt euch, Weiber!« Er spie gegen die Frena aus.

»Die Landbrenner haben es nit besser verdient«, eiferte sie. »Uns Weibern haben sie Hände und Füße gebunden; heißes Schmalz haben sie den Bauern ins Ohr gegossen, mit dem Bart haben sie den Knecht an den Rossschweif gehängt. Leichen an Weg und Steg! Rache hat müssen sein.«

»Der Papst ist dran schuld und der Luther und der Kaiser, die großen Herren«, meinte der Helm. »Die kleinen Leut haben hernach das Elend aussaufen müssen. Bei Kötzing in einem tiefen Wald hab ich gesehen, was ich nimmer vergess. Dort ist ein Karren mit einem Ross gestanden, das Ross an der Deichsel ist hin gewesen, und ein Weib ist im Wagen drin samt dem Kind an der Brust verhungert gelegen. Ross, Weib und Kind, alle drei sind nur mehr Gerippe gewesen !«

Schaudernd lauschten die Menschen.

Die Frena, vom düsteren Geistern ergriffen, hob die, dürren Arme, hob die Augen voll Angst und grässlicher Gewissheit. »Männer, es ist noch nit aus«, raunte sie. »Es kommt noch ein Krieg, viel grausamer als der unsere. Soweit die schwarzen Forellen ins Gebirg gehen, so hoch wird das Blut steigen.«

Der Schreiner hatte den Korb geflickt und stellte ihn beiseite.

»Und wenn das Blut bis über den Arber hinaussteigt und die Welt brennt an allen vier Ecken, das Land ist nit verloren. Da stehen wir, aufs Neue werden wir ackern und ernten. Wir haben nix zu fürchten, solang wir die Hände haben zur Arbeit.«

Er schritt hinaus in die Nacht, und es tat ihm wohl, wenn der kühle Sturm gegen seine Stirn stieß.

*

Nach Weihnachten nahm der Mond auf, und der Frost wuchs mit ihm, der grimme Gast. Die kecksten Wasser schmiedete er samt ihren Schnellen und Fällen in Eis, die Quellen verendeten in der steinernen Erde, und der See droben baute sich ein grünliches gläsernes Dach. Die Bäume schnalzten vor Kälte und trieben Mummenschanz, denn der Raureif zierte die Wildnis aus, dass sie wie maienweiß stand mit den blendhellen Waldwänden.

Das Hermelin jagte, die Wölfinnen wurden läufig und nahmen den Rüden an. Mit immer gewaltigeren Eisstangen bewaffnete sich der Hochchwinter, sie wurden ellenlang und zwieselten sich.

Zu Lichtmess ward es am ärgsten. Da erfroren die Bäume. Wenn einer davon zersprang, krachte es wie ein Schuss. Die Raben schrien nimmer, die Schnäbel schienen ihnen zugefroren. Die Kälte kroch bis an den Herd hinan, es war, als fröre die Glut selber und die Flamme erstarre.

Doch die Arbeit fror nicht ein, Tag für Tag dröhnten die fallenden Bäume.

»Wir sollten den Wald nit gar so viel ausrotten, er gibt uns alles, was wir brauchen, Werkzeug, Wärme, Schutz«, sagte der Gnad einmal bedenklich. »Wenn er nimmer wär, was täten wir?«

»Der Wald ist nit umzubringen«, erwiderte der Schreiner. »Schöpf das Meer aus!« –

Nun musste auch der Stichenteufl fleißig sein; wenn er sich nicht gerührt hätte, hätte der Frost ihm das Fleisch vom Bein geschält.

Mit rauchenden Nasen gingen sie auf den Holzschlag und wohlbewaffnet: im Hornung waren die Wölfe am verwegensten. Der harsche Schnee sang und pfiff unter den Schritten. Aus blauem Eis gewölbt schien der Himmel, der ferne Falkenstein war in ein funkelndes, kühles Samtblau gebannt. Gläsern klingelte es in den eiszottigen Kiefern.

Die Füchse befferten. Daraus schlossen die Roder, dass die Kälte noch wilder werde. Sie fanden erfrorene Hirsche. Zu Tausenden mochte jetzt das Getier verkommen.

Da fürchtete auch der Firmian um die Gesundheit seines Lieblings. Wenn der Bär die Kälte einschnaubt, wird sie ihm schaden. War sie doch den winterharten Wölfen zu scharf, denn sie heulten nächtelang.

Der Knecht raffte sich eines Abends auf, dem Tier zu helfen. Er schlich vorsichtig, um den Schlupf nicht zu verraten. Denn der Helm und der Gugu waren eifrig auf den Fährten der reißenden Tiere, erpicht auf Bärenpelze, die im Winter feinstes Haar tragen.

Er horchte in die Felsenkluft. »Freundlein, Mariä Lichtmess ist vorüber. Wann kommst du aus dem Loch, das du gegraben hast mit deinen starken Krallen? Friert dich nit durch den Pelz? Brennkalt ist der Winter. Mir selber vereisen schier die Augen.«

Die Sterne zitterten, als fröre sie; ein eisiger Mond lugte nieder. Klingend sprang ein Block vom Felsen und kollerte dumpf.

Wie sollte man das ahnungslose Tier schützen gen des Winters steinzerreißenden Grimm? Sollte man der Höhle Eingang mit Schnee verpfropfen? Dach da müsste der Gesell drin mit seinen gewaltigen Lungen ersticken.

Der Firmian schichtete Reisig vor der Kluft auf, schlug Feuer und nährte eine Flamme, die behaglich Wärme gab.

»Feuer, da hinein musst du wärmen. Drin liegt der Bär. Er schlaft fest, ihm träumt nur Gutes, weil er noch keinen Menschen erbissen hat.« Der Knecht horchte in die Höhle hinein, ob drin nicht einer »Vergelts Gott!« brumme.

Als er sich wieder zum Feuer kehrte, um es zu speisen, saß ein Tier daran, engbäuchig und mager, den Schnurrbart und das Fell weiß bereift, und es tat ganz demütig und untertänig, als flehe es um Verzeihung, dass die kalte Not es zu dem Menschen getrieben.

Es war der Ringel, der verstoßene Hund.

Der Knecht aber hielt ihn für einen jungen Wolf.

»Bleib nur knocken, Werwölfel«, sagte er. Er fühlte Erbarmen mit des Tieres Kind. Oft hatte er Hirsche und Rehe, die ihr Feist verloren hatten, an das warme Holzhaus kommen sehen, in verwirrtem Trieb Zuflucht heischend bei dem glücklicheren Menschen, und sie hatten ihm herzlich leid getan.

»Hüstelst du, Werwölfel? Das Wasser ist kühl«, sagte er. »Wärm dich nur! Und die Zung lass drin, sie erfriert dir.«

Er saß ganz still, den neuen Schützling nicht zu scheuchen. -

Der Saumer kam an des Schreiners Einöd vorbei.

»So eine Kälte hab ich noch nit erlebt«, schimpfte er. »Das Kalb gefriert in der Kuh. Die Fische stehen ab im Bach.«

»Und der See droben ist hornfest«, erwiderte der Zachreis, »der Teufel ist eingefroren. Hui!«

Aber der böse Wille war nicht, gebannt. Nachts horchte der Eisenmann an der Hütte des Gnad, sein hassbitterer Mund atmete Nebel in den schwachen Schimmer, der aus dem Fenster fiel.

Der Bauer drin erzählte: »Es ist ein Land, selbes heißt Kamtschaki, dort ist es noch viel kälter. Die Erde taut dort im hitzigsten Sommer kaum eine Elle tief auf, darunter bleibt das Eis, das ewige Eis. Aber das dampft Feuchtigkeit aus, drum wachst der Haber drüber, obzwar es dort niemals regnet.«

Die kleine Trautel setzte sich halbverschlaf en auf und redete mit ihrer feinen Heimchenstimme: »Jetzt will ich beten für die Hasen, sie haben das Bett im kalten Schnee. Und für den Eisenmann bet ich, der hat kein Heimatel und keine Mutter, die ihn zudeckt, wann er schlafen geht. Ganz einschichtig muss er hausen. Vater unser, der du bist im Himmel, deck den armen Eisenmann zu!«

Da drang es wundersam lind durch das wilde Gestrüpp einer Seele. Der Horcher winselte auf wie ein gezüchtigter Hund und floh über den klingenden Schnee zurück in seine Heimatlosigkeit. –

Es war hoch an der Zeit, dass die Kälte nachließ, denn ob der erfrorenen Brunnen entstand Wassersnot. Lieblich berührte es die Roder, als sie eines Morgens aus den Türen traten und das Frühjahr rochen. Die Lüfte schnoben mild und verheißungsvoll, der Samt des tauenden Waldes säumte das Tal, stahlblau schimmerten die Arberhänge. Die Gebirge ahnten den Lenz.

Nun schlang die Erde den Schnee, Sonne und Wind fraßen an ihm. In den Quellkammern regte es sich, die Bäche wurden wiederum froh, sie schwollen und begannen zu donnern, sie wurden eine hastige, landflüchtige, fernenberauschte Bruderschaft. Sie flossen über die Ufer und plätscherten durch die Wildnis, Fische glitten durch der Bäume Wurzeln.

Da spross den Weiden der Silberflaum, um der Birke kahles Gekrön wob blaurosiger, ahnungszarter Hauch, die Kieferknospen dufteten pechig, die wilden Kirschbäume rührten sich. Blond und tausendzöpfig harrte die Hasel, und in die stäubende Staude fielen die Waldbienen ein, emsige Erstlinge, an den Schienen frühester Ernte goldene Tracht.

Andächtig horchte der Gnad dem süßeintönigen Gesumm, dem raunenden Lenzchor, und staunte in den März.

Sankt Gertrud die Erd öffnen tut.
Rüst dich, Bauer!

Und er bereitete den Pflug vor und bezahnte die Egge neu, er feilte den Rindern die spitzen Hörner und zwickte ihnen die im Winter lang und überzwerch gewachsenen Klauen kürzer, dass sie froh schreiten sollten aus dumpfem Gelass auf die frische Waldweide.«

Der Schreiner schüttelte ungläubig den Kopf. Der Winter war ihm zu wenig weiß gewesen.

Doch der Gnad vertraute, und die Welt gab ihm recht: das, erdverschlossene Leben verließ seine Grüfte, Falter glänzten, Mücken tanzten, der Dachs kroch aus dem Bau.

Vergebens aber erwartete der Firmian die Auf Erstehung seines Bären. Der schlief unbekümmert um Wärme und Blühen weiter. Einmal nur war er fluchtig ausgefahren, war schlaftrunken zum Bach getorkelt, um zu saufen, und hatte sich gleich wieder verschloffen.

»Seltsam, seltsam!« murrte der Firmian. »Verschlaf dich nit, Tatzbär! Alles ist schon wach.«

Alles war schon wach, Quell und Amsel und der frühen Gräser Fürwitz. Die Bäume huben schüchtern und selig an, sich zu begrünen, die Elster baute am Nest, die Fische spielten. Und alles war betrogen worden.

»Das Wetter schlagt um«, verkündete der Zachreis. »Der, bayrische Wind weht. Der Arber tragt seine Haube.«

»Das Ross stinkt. Wir kriegen ein anderes Wetter«, sagte der Saumer.

Am Gründonnerstag glänzte ein Nebelring ungewöhnlich hell und groß um den Mond.

In der Frühe darauf lag alles im Neuschnee. Sanft und groß fielen die Flocken.

»Der neue Schnee brütet das Gras aus«, sagte die Frena. »Den Hasen freilich tut per weh.«

»Wir kriegen noch einmal Winter«, nickte der Schreiner. »Es ist zu wenig Schnee gefallen, und der muss noch herunter.«

Ein neuer Winter flockte den Wald ein und verstöberte die Steige. Die Bäche versanken wieder.

»Den Schnee hätt keiner mehr verhofft«, sprach der Firmian zu sich. »Der Bär hat weiter gesehen als wir.«

Und abermals über Nacht erhob sich ein grenzenloser Sturm, und mächtige, schwangere Wolkengeschiebe trieben hart über die Wipfel hin, ihren Schnee in Unmassen entladend. Wächten und Hügel wuchsen binnen wenigen Stunden, wo der Sturm ankonnte, und mannshohe, haushohe Wälle.

Die Eisensteiner waren überrumpelt. Anfangs schaufelten sie Tür und Brunn immer wieder frei und suchten sich die Wege offen zu halten, indem sie ihr Vieh darüber Stämme schleifen ließen. Dies Beginnen war aber nutzlos.

Es schneite Woche um Woche, unerschöpflich, sintfluthaft, bald sanft und senkrecht, bald schief und heftig in irrsinnigen Stürmen. Bald waren die Einöden bis über den First im Schnee verschüttet, und der Rauchfang ward zur Tür.

Niemand wagte sich in das wirbelnde Gestäube hinaus, in der Furcht, sich zu verlieren in dem verwandelten, weglosen Winterland.

Es war ein düsterer Tag. Die Kienfackel bekämpfte die Finsternis in des Schreiner begrabenem Haus.

Prustend klomm der Zachreis die Rauchfangleiter nieder. »Ich verweiß mich nimmer vor lauter Schaufeln. Und es nutzt nix, der Schnee fliegt gleich wieder an. Es schneit, was herunterfallen kann.«

»Ja, das Frühjahr spätet sich heuer«, hüstelte die Frena. Sie trat das Spinnrad und merkte nicht, dass der Faden gerissen war. »Und der Husten lasst nit aus. Die Luft ist mir zu scharf da.«

»Wenn der Schnee draußen zerrinnt, ersauft das Böhmen, ersauft das Bayerland, so viel liegt es weiß«, sagte der Knecht.

»Es ist möglich, dass im Eisenwald zwei Winter an einander hängen, und dass es heuer gar nit sommert«, klagte die Magd. »O wir sind bedrangte Leut!«

»Die Welt hat sich verrückt«, meinte der Zachreis bekümmert. »Loset, wie die Schindeln droben krachen! Der Schnee druckt das Dach ein. Und wann es noch den Rauchfang zuschneit, dann sind wir lebendig im Grab.«

Da stieg der Bauer hinaus und schaufelte die weiße Last weg, das Dach zu erleichtern.

Schwer drückte der Schnee, er knickte die Äste, zerstörte die Kronen, brach die Bäume. Raben schüttelten die Flocken vom Zweig und krähten traurig: sie witterten neuen Schnee.

Weiß landete das Unheil, Nacht und Tag, Tag und Nacht, ohne Aufhör, und die Menschen des Eisenwaldes waren gefangen. Sie konnten die dämmerigen, verschütteten Häuser nimmer verlassen: draußen in der stetig sich vergrößernden Wüste, darin Pfad und Wegmal ertrunken war, lauerte im Schneesturm der Tod. So trafen sie einander wochenlang nimmer, hockten dumpf und stumpf beim Kien, der den ganzen Tag brannte, und wussten vom Nachbar nichts. Und das Korn ging ihnen aus, und dann der Hafer.

Als der Schreiner einmal in den Rauchfang emporschaute, zielten dreiste, hungerirre Augen nieder und einer lodernden Zunge Geifer fiel ihm ins Gesicht. Da packte er die Flinte und schoss.

»Du hast den Eisenmann erschossen«, flüsterte die Frena.

Der Schütze kletterte hinaus und sah nach. Ein Rudel Wölfe war über ihrem verwundeten Genossen her und zerriss ihn. Ekel im Halse, tauchte der Schreiner wieder hinab.

In der Nacht rotteten sich die Wölfe über dem Dach zusammen und brüllten, als forderten sie neuen Fraß. Bauer und Knecht fürchteten, die Untiere sprängen durch das Loch ins Haus herab, so wachten die beiden mit dem Feuerrohr und spähten den Schacht empor, darüber der Sturm spielte und die Sterne schillerten.

Die Frena lauschte den dröhnenden Wäldern.

»Hungert dich, Melusina?« lispelte sie. »Ich kann dir nichts geben, hab selber den Magen voll Hunger.«

»Bauer, heut hab ich dem Vieh die letzte Schaube Stroh verfüttert«, sagte der Knecht.

»Es muss das Bettstroh fressen, Zachreis.«

»Es hat jetzt allweil gar unlustig gefressen, Bauer. Nach dem Bettstroh wird es nit gierig tun, das munkelt übel.«

»Der Hunger wird es dazu zwingen.«

»Wenn wir ein Strohdach hätten, dann hätt das Vieh noch lang seine Zehrung.«

Die Magd redete bang: »Loset, die Wölfe begehren uns! Ob nit der Eisenmann unter ihnen schreit? Den Hund haben sie uns aus den Ketten gefressen, jetzt werden sie die Kinder aus der Wiege holen.« Sie faltete die Hände gen das Sternenloch. »Himmlische Gottesmutter, halt den Schnee zurück in deiner Schürze! Himmlische Spinnfrau, spinn uns nit das Leichentuch! Heiliger Hirt Wendel, steig nieder unter die Wölfe mit deinem feurigen Stecken, treib sie weg, sie verschlunden uns! Helft uns Himmelsleut! Hunger ist im Land. Helft bald! Sonst vergeht mir der Glaube.«

Trotz allen Kummers lachte der Zachreis. »Du bist so wie der alte Spirifinkel in Haidl. Der hat die Hobelbank in den Stall gehängt und ein andächtiges Vaterunser dabei verbracht, Gott soll eine Kuh draus machen aus der Hobelbank und fleißig Milch sollt sie auch noch geben. Weil das aber nit geschehen ist, hat er an nix mehr geglaubt und ist ein ganz Eiskalter worden.«

»Du spottest nimmer lang«, greinte die Frena. Über dem Rauchschacht tagte es.

Ein Schatten fiel herab. Wortlos legte der Bauer das Gewehr an.

»Schieß zu! Die Not hätt dann ein End«, rief es droben. Ein abgezehrtes, leidenschaftliches Antlitz starrte nieder, Augen, die grimmer glühten als gestern die des Wolfes.

»Du bist es, Wildnusser? Steig herein!«

»Du hast mich verführt ins Land Hohlwang«, kreischte der oben. »Schreiner, dir dank ich mein Unglück.«

»Mir geht es nit besser, Nachbar.«

»Gewärmter Schnee ist meine schönste Speise. Verhungern müssen wir.«

»Hast du denn keine Milch mehr im Haus?«

»Narr, wie soll die Kuh milchen, wenn sie nix zu fressen kriegt. Misteln hab ich ihr vom Baum rupfen: wollen, hab aber keine gefunden. Nil einmal Misteln gedeihen in dem verfluchten Eisenwald!«

»Not reißt Eisen. Stich dein Vieh ab! Da hast du zu essen. Derweil schlagt das Wetter um.«

»Der Schnee reicht noch bis zum Mai, Schreiner. Und die Kuh ist rauschet worden; ich hab sie ausgezogen, da ist das Fleisch kohlschwarz gewesen und nit zu genießen. Im Schnee hab ich es verscharrt, die Wölfe haben jetzt ihren Kirchtag dort.«

»So stich die Geiß ab, Wildnusser!«

»Die Geiß hat vor Hunger elendig gemeckerzt. In der gähen Hitz hab ich sie verjagt. Sie soll sich was zu fressen suchen, ich hab nix mehr für sie. Vielleicht findet sie einen Baumbart oder Kranwitnadeln. Wenn nit, soll sie Schnee fressen.«

»Mann, du bist irr. Wohin treibt, dich der Trutz?«

»Völlig zerwirrt ist er«, sagte die Frena..

»Soll ich nit abwitzig werden?« schrie der oben.

»Gestern sind uns die getrockneten Beeren ausgangen. Mein Kind verhungert.«

Den Schreiner stach es wild durch die Brust. »Hörst, Nachbar, rief er empört, »was kommst du denn nit, wenn es so nottut? Mein letztes Herrgottsbrösel teil ich mit dir.«

»Deine Wohltat verlang ich nit.« Der Wildnusser gurgelte wie ein getroffenes Untier. »Nit einmal begraben werd ich das Dirndel können, die Wölfe kratzen es aus dem Schnee.«

»Um Gottes willen, komm herunter!« bat der Schreiner.

Der Trotzige erwiderte: »Das Dirndel kann nix mehr essen. Die Hungergrube in seinem Genick ist schier so groß, dass man die Faust drein legen könnt. Gelt dir es Gott, Schreiner!«

Das Zerrgesicht war verschwunden, und über dem Rauchloch blaute der Himmel.

»Zachreis, wir müssen ihm nach«, hastete der Bauer. »Er verkommt in dem Wetter: Und dem Kind müssen wir helfen.« Er schob dürre Birnen in den Sack.

Der Knecht sträubte sich. »Wir haben nur ein Paar Schneereifen, und einzeln können wir nit gehen. Schließlich ist um den Wildling nit schad.«

»So bindst du einen Reifen um und ich einen!« entschied der Schreiner.

»Bleibt da«, bettelte die Magd, »bleibt bei mir! Draußen der Huimann dreht euch den Hals um.«

Sie kletterten hinaus, und jeder band sich einen der plumpen Reifen um den Fuß.

Grellblau wölbte der Himmel über dem grellen Schnee. Häufig wühlte der Wind darin, drehte tolle Wirbel und ließ sie wieder sinken.

Der Wildnusser hatte eine mächtige Fährte hinterlassen. »Reifen hat der nit gehabt, stellte der Zachreis fest. »Ein Wunder ist es, dass er so weit hat waten können. Mit der Brust hat er sich durch den Schnee geschoben.«

Sie zogen der Spur nach über Kämme und Mulden. Mit dem ungeschirmten Bein versanken sie bei jedem Schritt tief in den lockeren Schnee, mühsam rissen sie sich wieder empor. Ihre Nacken dampften, die Brüste keuchten, der Schweiß floss. Sie schrien des Wildnussers Namen. Der Wind überjohlte sie.

Eine Wolke drang gewaltig herauf.

»Es schneit wieder!« ächzte der Knecht. »Wir werden die Saat nit pflügen können. Die Erde wird uns untreu. O die abscheuliche Wildnis bringt uns alle um.«

Sie stießen auf einen ermatteten Wolf, der hatte nur mehr die Kraft, den Schnee zu lecken; den hageren Raben, die nach ihm hackten, vermochte er nimmer zu wehren.

»Raufen wir mit den Vögeln um das Wolfsfleisch«, sagte der Zachreis mit wildem Atem, »wir werden es bald brauchen.«

Der Schreiner entgegnete finster: »Wenn der Schnee noch zwei Wochen anhaltet, speiben uns die Raben selber ins Maul.«

Zornig scheuchte der Knecht die schwarzen Mörder. Der Wolf raffte die letzte, müde Kraft auf, sah die Menschen irr, blutschielend an, schleppte sich einige Stapfen weiter, sank hin und steckte die Schnauze in den Schnee.

Der Sturm ward ledig. Eine mächtige Schneehose tanzte über die Männer hin. Sie hielten sich an den Händen und fürchteten, in die Wipfel empor gewirbelt zu werden.

»Wildnusser, Wildnusser!« heulten sie wieder.

Die Fährte war verweht, sie taumelten auf gut Glück dahin, einer riss den andern auf aus Sturz und Versinken.

Der Wald war an mancher Stelle bis zu den Kronen angeschüttet. Der Weg war ein Kampf, der sich bis zur Verzweiflung steigerte: der schweren Baumhäupter Äste sperrten störrig den Weg, schnellende Zweige hemmten, Wolken und Schnee flogen nieder und nahmen den Suchern Blick und Atem. Sie durchbrachen Mauern, überwanden Mulden, sanken bis zur Zwiesel im Schnee ein.

Der Knecht hielt sich tief erschöpft an einem Baum fest. »Ein hartes Wetter, nit liebsam! Wenn wir einen Kirchturm hätten, der Messner müsst ihn mit dem Rechen suchen, wenn er läuten wollt.«

»Gott druckt uns, dass wir stark werden, Zachreis.«

»Er soll uns nur nit ganz erdrucken, Bauer.«

Sie fanden eine Geiß, die zerrte halb im Schnee versunken gierig das welke Laub von meiner Buche. Kläglich meckerte das dürre Tier die Männer an.

Dem Schreiner trat das Wasser vor den Blick. »Wir können dich nit mitnehmen, armes Vieh, wir schleppen uns selber kaum.«

Das Herz drehte es den beiden um.

In der Nähe der verstoßenen Geiß hofften sie auf des Wildnussers Einöd zu stoßen. Doch der Winter machte die Gegend fremd, und das Haus, das irgendwo verhohlen unterm Schnee ruhen mochte, war nicht zu finden.

»Meld dich, Wildnusser!« schrie der Zachreis in Hohn über sich selbst. »Nimm eine verfaulte Birn, einen Kuchen, in Elendschmalz gebacken !« –

Spät ans. Tag kehrten sie heim nach vergeblicher Suche. Sterbmüd warfen sie sich auf den Estrich.

Die Frena bereitete ein mageres Mahl. Den brennenden Span im Mund, beugte sie sich über den Kessel.

»Schleun dich, mein Magen kracht«, spornte der Zachreis. »Was kochst du? Wieder ein Wasser, das auf allen drei Seiten nass ist?«

»Sei froh, dass du noch eine Suppe kriegst«, murmelte sie. »Unser Magen wird bald umsonst schreien.«

»Ich kann mir nit helfen, ich bin ganz wild vor Hunger.«

Die Köchin steckte den Span in einen Ring der Kesselkette. »Gott gib uns ein selig Jahr! Dass es nit wird wie ebender, wo das Brot so klein wie seine Nuss gewesen ist und einen Pfennig gegolten hat. Und wo die Bauern die Bettelleut, die ins Dorf kommen sind, erschlagen und gefressen haben vor Hunger in heller Not.«

»Dem Brauch zulieb setzt man Leib und Leben dran und die Ehr zuerst«, sagte der Knecht und biss sich die Nägel ab.

»Mit dem Weg heut habt ihr euch den Hunger großgezügelt«, schalt sie. »Was rennt ihr dem Wildling nach? Er hat euch gar nit begehrt. Und du, Bauer, verkommst noch einmal vor Plage wie der Helmries. Dem Herrgott seine Gewalt hat ihn zur Erd geschlagen. Hätt er den Sonntag geehrt, heut könnt er noch unter uns sein.. Es hätt ihm auch guter Rat notgetan wie dem krummen Schuster in Stadeln. Selber hat auch die heiligen Zeiten gering geachtet und am Dreikönigstag geflickt und genagelt aus Leibeskräften. Bis ein Rossfuß durchs Fenster stoßt und draußen einer murrt: ›Schuster, mir nähst du auch meinen Schuh!‹ Der Meister hat so bald nimmer den Herrgottstag verschändelt.«

»In den Eisenwald kommt der Rossfuß nit, wir sind zu tief verschneit, Frena.«

Sie quirlte im Kessel. »Das ist das einzige Gute, dass Landbrenner und Raubersknechte nit her wissen.«

»Aber der Schnee findet den Weg desto besser, Frena.«

»Nach Reichenstein hab ich mich einmal verdingt in jungen Jahren«, erzählte sie. »Da ist der Schnee bis zu den Dachrinnen gelegen. Die Hirsche sind rudelweis kommen, sind in den Gassen gelagert mitten unter den Leuten. Denen hat das arme Wildbret erbarmt, und keiner hat den mageren Fahlhirschlen ein Leides getan, wenn sie das Stroh vom Dach gezupft haben. Die Raben sind vom Wald hergeflogen, sie haben mit den Hühnern gefressen dazumal.«

Das Holz am Herd prasselte.

»Wie das Feuer kracht!« sagte der Knecht. »Heut kommt noch ein Gast.«

Der Bauer erwachte aus bangem Sinnen. »Wer sucht unser Elend heim? Wir sind versprengte Körner, die nit wachsen können. Wer kann auf dem nackten Schnee wachsen?« Er redete müd und verworren.

Der Knecht hatte seinen Bauern noch nie so verzagt gesehen. Er tat ihm leid. »Bauer«, tröstete er, »einmal hat es geregnet von Johanni bis Weihnachten. Alles Gras und Getreid ist versauert. Es ist ein übles Lahr gewesen, und wir sind dennoch nit verhungert.«

»Wir kommen mit dem Leben davon, hoff ich«, flüsterte der Schreiner. »Aber der Herrgott sollt das Bauernvolk besser verstehen, sollt uns nit allzu lang bedrängen mit Frösten und nit mit so viel Schnee.«

Da scholl es aus der Höhe, gell und höhnisch, ein Teufelschrei. »Das Kind ist hin, Schreiner. Der Hunger hat es genommen.«

Etwas Verschneites glitt die Leiter herab in des Schreiners geöffnete Arme. Es war eine kleine Leiche.

»Nimm sie!« scholl es wieder. »Vor mir ist kein Fleisch mehr sicher.«

Die Schreckensstimme verhallte.

Das Gesichtlein des Kindes war greisenhaft und verfallen, die blutlose Lippe bitter verzogen.

»Verhungert!« lallte der Bauer.

Er lauschte an dem fahlen, schmalen Mund, er betastete die Adern des wächsernen Armes, er hob die bläulichen Lider auf: der tote, erloschene Blick begegnete ihm mit tiefer Anklage.

»Ich bin schuld«, stöhnte er, »ich hab die Leut ins Elend getrieben.«

Er versank in stumpfen Schmerz.

»Ob in der Gnadeneinöd noch einer lebt?« sann die Frena. »Viele Kinder haben sie viele Mäuler.«

Der Knecht fluchte: »Höllischer Herrgott! Gib mir zu fressen! Die Darmbälge schnappen mir vor Hunger.«

Die Alte reichte ihm einen Löffel. »Moos hab ich heut gekocht, ein bissel Baumbart dazu. Sonst gibt es kein Gemüse mehr. Die Kühe milchen nimmer. Das letzte Brot ist ausgangen, das liebselige Gut.«

*

Im Stall plärrte das hungernde Vieh. Mit fragenden, vorwurfsdunkeln Augen starrte es den Gnad an. Sein Dirnlein, die Trautel, aber lachte und zeigte drei Holzbirnen her, die an der Luft gedörrt waren. »Vater, wer soll sie essen?«

»Du, liebes Kindel.«

Sie warf die hellen Locken zurück, sie zog den Mann zu sich nieder und flüsterte: »Der Eisenmann kriegt sie.«

»Der Eisenmann ist weit. Viel, viel Schnee ist zwischen uns und ihm.«

Da setzte sich die Trautel traurig hin, ihre zarten Schultern zuckten.

Die Mutter legte jedem eine Handvoll bröckliges Haferbrot vor, es war bläulich und bitter.

»In der Seewies hat es einen geschmalzenen Mittag gegeben«, sagte sie rau. »Wir sind aus dem Schmalzland fort. Aus Hochfahrt. Nach Jahren wird man uns verhungert finden, wenn sich wieder hoffärtige Narren in den Eisenwald trauen, in des Teufels Graben.«

»Da ist Herrgottsland, wie traurig es uns auch geht«, widersprach der Gnad.

»Red nit von Gott! Er hört nit auf die armen Leut. Er ist von Eis und Eisen.«

»Wir verhungern nit, Weib. Wir stechen eine Kuh ab.«

Da schrien die mageren Kinder: »Keine Kühlein stechen! Wir wollen nit.«

Die Trautel flüsterte wieder: »Vater, du bist gut. Bring dem Eisenmann die Birnen. Er hat Hunger. Und Hunger tut gar hart.« Sie bettelte mit feuchtem Auge, dem Gnad schloss sich das Herz wundersam auf. Er steckte den teuern Schatz zu sich und ein bisschen Brot, küsste das Kind und rüstete sich.

»Wohin?« forschte sein Weib. »Die Wölfe sind winnig vor Hunger.«

»Ich komm bald«, sagte er und begab sich auf den Weg.

Auf Schneereifen schritt er, wacker gen den Sturm sich lehnend, den roten Felsen zu, wo er die verlassene Eisenzeche wusste. Der Weg war mühselig. Aber dem Gnad war, ein kleiner lächelnder Engel flattere schützend vor ihm her.

Auf einem Baum sah er den Saumer, der eben ein dürres, schlafendes Eichkätzel aus dem Kobel zog.

»He, Nachbar, was treibst du?«

»Die Eicheln liegen unterm Schnee. Drum muss ich jagen. Ich hab keinen Widerwillen mehr, ich fress alles.«

Er erwürgte das fauchende Tier, ließ sich mühselig am Stamm herab, taumelte und lehnte dann kraftlos an dem Baum. Seine Brauen zuckten, sein Atem sank.

»Du bist es, Gnad? Ich seh schlecht vor Hunger, ich bin ganz schwindlig. Die Kinder reißen den Schnabel auf, da darf der Alte nit viel zulangen. Drei Tag hab ich nur Kraut ohne Schmalz gegessen. Kaum hab ich das Eichkatzel da erdrosseln können. Woher soll ich die Kraft nehmen ohne Schmalz? Schmalz ist Kraft.«

Ein Faden Speichel hing ihm vom Mund, er wischte ihn mit der ausgemergelten Hand weg.

»Du schaust käsweiß aus, Saumer.«

»Du siehst nur das Gesicht und die Hände, Gnad. Soll ich dir meinen Leib weisen? Grausen tät dir.«

»Habt ihr denn gar nichts zu essen?«

»Die Kuh ist umgestanden. Das neue Rössel hab ich abgestochen und das Fleisch im Schnee vergraben für einen Vorrat. Die Wölfe haben es gefunden, und vertragen. Nit einen Fetzen haben sie uns gelassen. Das ist ein Jammer gewesen. Nur die Rosshaut ist uns blieben, wir haben sie gebraten und uns zugeredet: ›Wir wollen sie mit Lust !essen!‹ Abscheulich ist sie gewesen, wir haben sie wieder von uns geben müssen.«

»Saumer, heut schlacht ich eine Kuh. Zaundürr ist sie, aber wir wollen nit verhungern.«

»Nachbar, den Bauch hab ich mir fest zusammgeschnürt mit dem Riemen, der Hunger drin ist aber nit zu erwürgen. Und die Kinder! Ganz wilde Gedanken fahren einem durchs Hirn, wann man sie hungern sieht. Herrgott, erbarm dich meiner!«

»Saumer, deine Kinder sollen sich heut noch sättigen. Wart an dieser Stelle! Ich komm bald. Geh nit allein, du bist zu matt.«

Weiter stapfte der Gnad. Er kam zur roten Wand, zur Erzgrube, zur Hammerstätte, die vom Schnee verschüttet war.

Im Winkel kauerte der Eisenmamn. Er wollte sich erheben und konnte nicht, nur die hastigen, hässlichen Augen hatten noch Kraft zur Bewegung. Neben ihm faulte ein Häuflein Hagebutten.

»Erschlag mich schnell!« stöhnte er.

Tiefes Mitleid ergriff den Gnad vor diesem Elendbild, Tränen sprangen von ihm nieder auf den alten Mann.

Der flüsterte: »Wie warm du weinst!«

Und der Gnad führte ihm eine Birne zum Mund. »Die Trautel schickt dir das. Sie hat nix Besseres.«

Ein staunendes Licht erwachte in des Eisenmannes Augen.

»Hörst, Bauer«, sagte er, »warum tust du mir Gutes?«

*

In des Dillers Einöd hockten sie dreisam um die steinumrandete Feuergrube und stierten vor sich hin.

»Das Licht geht uns aus«, summte das Weib.

Der Firmian legte ein Scheit an die versiegende Flamme.

»Spar das Holz! Leg nit so viel drauf!« zischte der Bauer.

Der Knecht glotzte blöd. Draußen wuchs das Holz in ungemesseuer, trostloser Fülle, man konnte es nehmen, wie man Wasser aus dem Bach schöpft. Und nun sparen?!

Im Stall nebenan brüllte die Kuh.

Der Bauer öffnete die Tür.

Struppig stand die Kuh im tiefen Mist des dumpfen Raumes; ihr Geripp zeichnete sich durch das schmutzige Fell, das Euter hing welk und verkrustet. Sie drückte die entzundenen, halb erblindeten Augen zu vor dem Licht, das nun in ihren Kerker flog, und fuhr in qualvoller Gebärde mit dem Maul gegen die leere Heuraufe. Ein Erbärmdebild!

»Herr, verzeih mir die Sünd, jetzt hab ich an den gekreuzigten Heiland denken müssen«, flüsterte der Diller.

Er schlug die Stalltür zu, um dies Bild zu scheuchen, und sank wieder neben das Feuer hin.

Der Knecht trank eben eine Schüssel voll Schneewasser, aus und lächelte vergnügt, als genieße er eine Rindsuppe.

»Du Schlampamper, dir schmeckt alles, dich greift die Not nit arg. Dich Fressling!« Gehässig stieß die Bäuerin den Schimpf heraus.

Gestern hatten sie von einem totgelegenen, stinkenden Vieh gegessen, die Raben hatten es schon angehackt und mit ihrem Unflat besudelt. Der Firmian hatte es vertragen, die Eheleute nicht.

»Du Schlampamper wiederholte, sie in Neid und Wut, »dir kann der Hunger mit an. Das wurmige Fleisch gestern hast du beherbergen können. Du hast dich dein Lebtag weidlich zum Trog gehalten. Jetzt zehrst du von deinem Balg.«

Der Knecht nickte gutmütig, er hatte nicht recht gehört.

Im Stall rührte es schauerlich: es war eine ungestüme Bitte um den Tod.

»Abstechen muss ich sie«, sagte der Diller heiser. »Nit unterstehen!« kreischte sie. »Die Kuh gehört mir. Sie wird schon wieder aufhören mit dem Geschrei, sie wird matt werden.«

Der Mann fügte sich trotzig: »So wird sie halt vor Hunger hin. Sie verreckt und wir verrecken auch.«

Das Feuer hatte sich des Scheites bemächtigt und leuchtete in die bleichgelben, abgezehrten Gesichter.

Sie flüsterte plötzlich: »Der Firm hat noch Brot. Wispel ihm es ins Gehör, Bauer, er soll es hergeben!«

Der Diller bettelte schreiend: »Firm, du hast noch was zum Beißen. Leugne es nit, ich weiß es!«

Der Knecht holte das Brot aus der Joppe, steinhart war es und faustgroß; er hielt es vor seine bebenden, gierigen Lippen. Die Bauernleute setzten wie Iltisse um Sprung an.

Doch der Knecht zog den Bissen gewaltsam vom Mund. »Für morgen!« stammelte er.

Der »Diller riss einen Beutel aus dem Gurt, drin blinkte es silbern.

»Geld ist kein Gut«, wehrte der Firmian ab. »Heu und Korn und Fleisch ist ein Gut.«

»Gib mir das Brot!« forderte der Bauer.

»Gib mir es!« überschrie ihn sein Weib.

»Bäurin, halt das Maul!« Drohend zielte er mit dem brennenden Schert nach ihr.

Das Brot glitt aus des Knechtes täppischen Fingern zur Erde. Hastig hob er es auf und küsste es. »Dass der Herrgott nit greint!« murmelte er und steckte es ein. Diesen Menschen gab er es nicht, tausendmal eher dem draußen, der schnarchend in der Höhle den Winter vorüberdämmern ließ.

Wie glücklich ist der Bär! Die liebe Not verschläft er. Aber der Schnee hat wohl jetzt seinen Schlupfe verdeckelt. O dass der zottige Freund nur nicht erstickt in der engen Kammer!

Angst um des Bären Atem wandelte ihn an, und ratlos starrte er zu der rußigen, aus rundem Gebälk gefügten Decke hinauf. Er kratzte sich die Stirn, das Denken dahinter tat ihm weh.

»Wir sterben den schwarzen Hungertod«, redete die Dillerin. »Wär es Herbst, könnt ich die Eicheln mahlen. Wie tät das bittere Brot daraus munden! Wär es Sommer, wir hätten Nesseln und Schnecken. Wie gern tät ich auf Salz und Schmalz verzichten! Ein Wildbret aber wär heut noch zu erjagen: Firm, du hättest noch die Kraft dazu.«

»Ich geh nit in den wilden Schnee.«

»So verrat uns, wo der Bär schlaft!«

Der Firmian verhüllte sich mit den breiten Händen die Stirn, als fürchte er, man könne ihr sein Wissen um des Tieres Schlupf ablesen.

»Warum willst du es wissen?« fragte er misstrauisch.

Da hielt sie sich nimmer, sie schrie heraus: »Bärenfleisch will ich fressen!« Und ihr Mann heulte ihr das Wort immer wieder nach und richtete die blutunterlaufenen Augen auf den Knecht. »Fressen! Fressen!«

»Ertöten wollen wir das böse Vieh, dass wir leben können«, schluchzte der Diller. »Hunger leidet keinen Aufschub. Sag es gleich, wo das Luder schlaft.«

»Der Bär ist stärker als ihr zwei«, sagte der Firmian. »Ihr bezwingt ihn nit.«

»Er schlaft ja so gut«, kicherte der Bauer. »Er schlaft, und ich renn ihm den Spieß in die Därme. Hei, Speck wird das geben, Schmalz und Schmer!«

Er schmatzte widerlich. Aber plötzlich warf es ihn nieder, sein Mund zuckte, Blut schoss ihm daraus.

»So, jetzt speibt er sein bissel Blut auch noch aus!« grollte die Bäuerin. »Aber du, Firm, führst uns zum Bären. Der Hunger verlangt es.«

»Einen Schlafenden darf man nit umbringen«, sagte der Knecht. »Ich verrat nix.«

Sie schäumte. »Du Beinbuchener kannst es aushalten. Du mit deiner Fresssucht hast dich fürgesorgt für den Hungerwald. Aber mich schau an!« Sie entblößte den Arm, da war nur Haut und Bein und gemahnte an die, die auf der Totenlade liegen.

Der Diller richtete sich auf, zog das Hemd von der Brust und wies den hageren Leib her. »Marterdürr bin ich, die Seele kraxelt mir auf den Rippen auf und ab.«

»Ich verrat nix.« Gleichmütig lehnte sich der Firmian zurück und verschloss sich den Drohungen, Befehlen und Bitten.

Der Diller stierte tierisch auf den Estrich, und das Weib warf giftige Blicke auf den unbotmäßigen Knecht, ihre Seele begann wie eine zwirnende Spinne immer wieder um dasselbe Entsetzensbild zu kriechen.

Endlich flüsterte sie dem Genossen ihres Jammers zu: »Ich hab gehört, hungernde Leut haben einmal einen jungen Gesellen mit Schlingen gefangen und gebraten.«

Ekel schüttelte ihn, er wehrte mit krummen Fingern ab.

»Ich fress alles, eh ich verhunger«, sagte sie und fletschte die Zähne, und plötzlich begegneten sich vier fiebernde Augen in irrem Einverständnis.

Der Knecht lag friedlich und schnarchte.

»Der schlaft«, zürnte der Diller, »und ich kann vor Hunger kein Auge nit zutun.«

»Schlaft er fest?« flüsterte sie.

Sie funkelten sich an.

Er raffte sich auf. »Es ist schrecklich. Aber ich tu es.«

»Was?!« Anlauernd hob sie den Kopf.

Aber er ward wieder schwach. »Die Kuh lass zur Ader!« flehte er. »Nur einen Trunk Blut begehr ich. Dann wär mir leichter. Der Hunger zerreißt mich.«

Ihr Mund versteinte. »Die Kuh bleibt –bis zuletzt.«

»Die Füße schwellen mir an, das Blut wird schlecht in mir«, ächzte er. »Und der Geizhund da hat noch Brot, und er will es nit teilen mit mir. Wenn ich es ihm nit stehle, schlingt er es morgen selber.«

»Wie feist er noch ist!« Sie deutete auf den Schläfer. »Der ist feister als die Kuh. Er vertilgt alles, sauft alles, drum überlebt er uns zwei. Und das Brot gibt er dir nit, und bist doch du der Bauer und er nur der Knecht.«

Der Diller spähte den an, der im Abgrund des Schlafes ruhte. »Wie seine Gurgel schlingt! Kann der im Schlaf fressen? Oder wiederkaut er wie ein Rind? Bleibt er deswegen so stark in dem Notjahr? Aber ich bin ganz abkräftig. Und ein Gift kocht in mir. Hast du mir Lolch ins Brot gebacken, Bäuerin? Mir schwindet das Blut, mir siecht das Hirn. Mein Sinn ist zerrüttet. Aber ich mag nit sterben, ich will mein Leben aufhalten.«

Taumelnder hob er sich, eine glutrote Trunkenheit erfüllte ihn. Er stand vor dem Knecht. »Leucht her, Weib!«

Sie riss einen Span aus dem Feuer. Die schwelende Fackel machte die Düsterheit unruhig.

»Eine gute Suppe gibt er, ein feistes Fleisch. Fleisch! Fleisch!« Der Diller keuchte, die Axt zielte auf die breite, schlafende Stirn. Der Firmian schlief fest wie sein Bär.

Da hob die nahe Kuh ihr Gebrüll. Dem Bauer war, das Gewissen in ihm plärre auf. Er erschrak.

»Ich bin zu matt«, seufzte er.

»Bist du nit Manns genug, Diller? Her mit der Hacke!«

Das ließ er sich nicht bieten. Er schlug zu. Die Wucht des Schlages riss ihn mit zu Boden.

Mit staunendem, traumentrissenem Blick sprang der Knecht auf. Der Bauer lag vor ihm mit roter Axt. Die Bäuerin hielt in zuckenden Händen den Brand.

Der Firmian fühlte es warm und lebendig von seiner Stirn gleiten, es rieselte ihm über die Brauen, und als er danach tastete, gewahrte er das helle Blut.

»Tu mir nix«, wimmerte das Bäuerlein, »zerwirrt bin ich, völlig zerwirrt.«

Aber der Knecht riss das Brot aus der Joppe und warf ihm den blutigen, harten Brocken hin. Schäumend, knirschend, wie ein Hund fiel der Diller darüber her.

»Mir die Halbscheid!« schrillte sein Weib und schleuderte sich über ihn. Sie rangen.

»Lass es mir !« röchelte er. »Es muss wie Lebzelten schmecken. Es ist ein Fressen –für einen Herrgott.«

Er erkrallte das Brot. Sie schlug es ihm aus der Hand.

Da flog es ins Feuer.

Brüllend, zwei rasende, rächerische Tiere, packten sich Mann und Weib. –-

Der Knecht floh in die Sternennacht. Keuchend pflügte er sich durch den Schnee, er dachte nicht an Tod und Leben.

Aus einem weißen Hügel fuhren Rauch und Funken. Er beugte sich über den Rauchfang. »Leut«, rief er hinab, »der Hunger leidet keinen Aufschub.«

»Ich kann keinem helfen«, erwiderte eine öde Stimme. »Kommt zu mir und fresst mich auf!«

»Meine Bäuerin verschlingt den Bauer, Schreiner.«

»Wer bist du droben?«

Der Firmian stapfte schonwaldaufwärts. Von weitem sah er einen Hirsch am Gezweig kauen. Er ahmte ihm nach und beschwichtigte und belogst den heißen Hunger.

Bei der verschütteten Bärenhöhle kniete er hin, krümmte die Finger und grub den Schnee auf, eilig und unablässig.

Lebst du noch, Tierlein? Einer gräbt dir Luft.

Ein unheimlich lauer Luftstoß traf ihn plötzlich. Die Wipfel regten sich und redeten. Der Firmian arbeitete, als wolle er einen Scheintoten ausscharren.

Wolken zogen auf und flogen unter den Sternen hin, der Schnee fiel tauig vom Geäst, aufjauchzte der Aper-wind. Der Knecht grub.

Immer froher schwangen die Tannen, es taute, brünnelte, rieselte.

Dunkel öffnete sich die Gruft den grabenden Händen. Der Knecht horchte bang hinein. Schweigen drang aus der Finsternis.

Braunes Brüderlein, ach, bist du tot?

Da hob sich ein tiefer, gewaltiger Seufzer in der Höhle. Der Bär atmete mit erwachender Lunge die wilde Tauluft ein.

Der törichte Knecht aber kniete und faltete die erstarrten Hände und kehrte die arme, blutrünstige Stirn zu Gott, in, seiner Seele psalmte es, und der Überschwall seiner Gefühle formte sich auf, seinem einfältigen Mund zu dem seltsamen Gebet: »Juchhe!«

Dann kroch er in des Bären Bett hinein und fühlte sich geborgen.

Die Menschen lohnen übel, das Tier ist besser.

Es quoll, rieselte, knackte und tröpfelte, es fauchte und bebte und lebte in den Lüften sonderbar, von den Ästen sank der ballige Schnee, die Tannen trieften. Von den Dächern klatschte es nieder und grub Runsen um die Häuser, die wieder ans Licht getaucht waren.

Das Land besann sich des Frühlings. Es war höchste Zeit.

Kein Stöcklein Salz, kein Ranft Brot mehr war im Eisenwald. Das wilde Tier war rasend geworden vor Hunger gleich den Menschen. Der Helm verschlug noch in den Tautagen auf seinem Dach einen Wolf.

»Mich haltet nix mehr«, sagte der Stichenteufl, während sich der Bauer mit dem Tiere balgte, »da bleib ich nit, –und wenn ich auch arbeiten müsst in der Fremde!«

Der Schreiner kämpfte sich durch Schnee und Föhn zu seines Schwagers Einöd. Er fand eine blasse, abgemagerte Gemeinde, dumpf und verschüchtert von dem ungeheuern Winter. Der Gnad saß mit leidem Lächeln unter den Seinen, in Sanftmut groß und ergeben wie der Geduldsspiegel Hiob.

Doch sein Weib ging schleppend auf den Schreiner los, weiß und dünn, wie ein Geist über den Freithof wandelt. »Schwager, wohin hast du uns gestoßen?«

»Das Ärgste ist überstanden«, sagte er, »das Frühjahr ist da.«

»Es ist zu spät«, murmelte sie. »Wir haben das Essen verlernt. Schau meine Kinder an! Die deinen rasten lind unterm Moos. Aber meine Würmer! Das Mark haben sie sich aus den Beinen gehungert.«

»Hör sie nit an, Michel!« bat der Gnad. »Sie fiebert.«

Sie sagte: »Ja, das Hungerfieber rüttelt mich.«

Der Schreiner trat unter die Kinder wie Gottes Bote, der gute Märe bringt. »Kinder, das Gebirg apert, die Bäche tun sich auf, die Vögel freuen sich wieder, weil das Moos grün wird. Aber heut bleibt noch in der Stube! Der Sturm springt draußen durch den Wald, er hebt einen schier aus. Fliegen könnt man lernen. Aber warm ist der Sturm! Warm!«

»Vetter, du bist alt geworden«, sagte die Trautel, »die Stirn ist dir verschrumpelt, die Haar sind vergraut.«

»Der Schnee hat mich gealtert. Aber jetzt geigt der warme Sturm den Winter davon. Grün wird der Eisenwald!«

Die Bäurin redete: »Und wenn es schöner wird als im Paradeis, wir bleiben nit. Der Herrgott vergönnt uns da nit unsern Tummelplatz. Gedroht hat er uns mit schrecklichen Zeichen. Weh uns, wenn wir das nit verstehen!«

Aber der Schreiner entgegnete: »Wir geben nit nach. Und der Herrgott hat kein, Recht, uns zu verweisen. Überall, wo die Erde grün werden kann, ist dem Bauer sein Bleiben und sein Recht. Ich geh nit. Ich bin eingewachsen.«

*

Der Zachreis und die Frena kündigten den Dienst auf. Wenn es wieder trocken und wegsam würde, wollten sie aus dem Tal gehen, darüber Gott oder der Teufel einen solchen Unwinter verhängt hatte.

Der Nachtwind spürte schnaubend ums Haus, heulte in den Rauchfang hinab, raunte draußen mit hundert verworrenen, nachtverwobenen Stimmen.

Knecht und Magd lehnten schlafend aneinander wie die Jünger am Ölberg.

Der Schreiner wachte einsam bei der Glut seines Herdes.

Das Feuer war wohl das erste, das einzige Haustier, lange bevor noch die Erzväter den Pflug sich ersonnen. Das Feuer allein wird ihm treu bleiben, wenn ihn alles andere verlässt.

Er versank in traumzerquälten Schlummer. Die toten Kinder winkten ihm, sie zogen über die Berge heim aus dem todbringenden Land. In vergangenen Tagen wühlte er wie in scharfen, glühenden Messern.

Plötzlich schrak er auf. Hatte nicht eine Stimme gerufen im Sturm? Seinen Namengerufen? Er lauschte. Das Herz tobte ihm. Draußen quoll und schwoll es.

Finster war es um ihn. Das Feuer war verloschen.

Auch das Feuer verließ ihn.

Seine Tränen fielen in die Asche, die noch warm war.

Mit den Fingern wühlte er die Asche auf. O Gott, nur ein Fünklein! Nur ein Lichtlein der trostlosen Seele!

Da schlug es an die Tür.

Bettelt eine Hirschkuh um Milch für ihre Brut? Eine müde Faust pachte.

Der Schreiner riegelte auf.

Ein Weib, triefend an Haar und Kleid, sank herein, tief, zutiefst erschöpft nach übermenschlicher Mühe hin zu seinen Knien.

»Lenora?!« schrie er auf.

»Bauer«, stöhnte sie, »mich reut es. Nimm mich wieder an! Leben will ich mit dir und leiden.«

*

Oft wechselten die großen Lichter des Himmels. Die Zeit wuchs.

Spendend glitten die guten Wolken vorüber; mit grausilbernen, leisen Perlen, darin himmlische, erderlösende Kräfte beschlossen waren, tränkten sie die tausend, tausend Wurzeln der Früchte, die der Bauer ins neue Land gepflanzt hatte. Flammen grasten über die Rieder, Wipfel loderten auf, verkohlten, wurden geworfen, Asche düngte, Felsen verließen ihre Stätte, Steine türmten sich zu langen Halden. Und unablässig riefen die Äxte aus der Wildnis.

Es waren Tage furchtbarer, rastloser Arbeit, und das Heimweh fand nicht Zeit, aus sich aufzuschrecken und zurückzustarren ins verlassene gute Land. –

Der Sommer drang mit Gewitterblick und Regen ins Tal und mit breit und brünstig sich lagernder Sonne. Da rötete sich der Eibe Beere, die Eichel saß wieder in ihrem Schüsslein, und das Schwarzplattel sang manch lieblichen Satz. Aus umhegten Riedern schoss das Getreide, das Vieh weidete sich feist und glänzend, und das Land im Eisen zeigte sich giebig und gütig, als wolle es das Leid seines Winters vergessen machen.

Die Gnadin kam vom Waldanger nieder, den gehäuften Graskorb am Rücken, vor die Brust das Nestvöglein gebunden und die Trautel an der Hand. Sie lehrte, während sie bergab stieg, das Töchterlein die zehn Gebote und die sieben Todsünden aufzählen, bis sie zum Neubruch gelangten, wo noch die bestürzten Buchen kreuz und quer übereinander wuchteten.

Von der kleinen Blöße unterhalb des Schlages drang der Grillen Geschrill; die ganze Erde, Wald und Himmel schienen sommerlich zu feiern, nur der Mensch mitten in dem Wirrwarr hob die sehnigen Arme, zwängte die Haue unter die Wurzel eines breiten Strunkes und sprengte sie.

Als er sein Weib so rüstig daher schreiten sah, hellte sich das arbeitsversunkene Antlitz.

Sie überschaute sein Werk. »Du bist fleißig gewesen, Bauer.«

»Ich muss schaffen, dass wir Heu und Frucht heimsen«, erwiderte der Gnad. »Und einen Garten bau ich dir und den Kindern mit Liebveigeln und schmeckendem Dorn.«

»Du tust mir leid, Gnad. Du stehst da wie der Mann, der aus dem Paradeis versprengt worden ist.«

»Adam baut die Erde«, lächelte er über sich selbst. Er zwängte die krumme Krampe unter einen Wurzelstrang und löste ihn von dem Stein, womit er verflochten war. Der Stiel brannte in seiner Hand, sein Antlitz verzerrte sich unter der Mühe, seine Nüstern blähten sich, der Schweiß troff. So stand er gebückt wie der erste Roder, den Gottes Fernfluch getroffen.

»Im Paradeis ist das Korn ungepflügt gewachsen«, grübelte er. »Der verscheuchte Adam hat erst die Steine bewegen und Hebwerk unter die Wurzen stoßen müssen, eh er das Brot tragen hat. Aber die Arbeit ist kein Fluch. Der Herrgott hat das Paradeis widerrufen, und das ist gut: es hätt uns Menschen verderbt.«

»Ich will dir helfen, Hans«, sagte sie. Sie bettete das Kind in den Schatten einer Himbeerstaude und setzte den Korb ab. Die Trautel zupfte die glühenden Früchte, und süß hauchte der Strauch das Dirnlein an.

Mann und Weib begannen den Kampf mit der Wurzel. Der Gnad hatte schon drei Tage lang an dem Strunk gegraben und gehackt, um ihn leichter aus dem Grund rücken zu können, dann hatte er ihn mit seinem Ochsengespann gelockert und, als die Herzwurzel zutag trat, daran gesägt. Nun schoben beide einen Hebbaum darunter und hoben und drückten sich die Schultern wund. Das Sonnenlicht ward zu einem Geschwader von stechenden Glutspießen, freche Fliegen, gelockt vom Schweiß, fielen über die zwei her. Erst als sich Mann und Weib keuchend mit ihren Leibern auf den Hebel warfen,. rührte sich der Strunk, und löste sich krachend vom Boden.

O es war eine harte Frone, eh aus Steinicht und Wurzel urbarer, kornverhüllter Boden wurde!

Das Kindlein war erwacht und. weinte.

»Die kecken Fliegen haben es gestört«, sagte die Gnadin.

Sie setzte sich an den Himbeerdorn, nahm das Kind an die Brust und nährte es. Die Trautel holte aus nahem Quell einen Krug Wasser, indes der Gnad den Strunk zu anderen Storren rollte.

Verschnaufend betrachtete er seine Hände. O diese wundervollen, nimmermüden, fünfmal gespalteten Werkzeuge! Er bewegte den Daumen, stemmte ihn Kopf an Kopf gegenüber den vier Gegnern und Brüdern, er rundete, streckte und hallte die Finger und formte daraus Zange und Ring, Hammer, Gabel und Schaufel. Er freute sich dieser harten, willigen Knechte.

Dankbar sah er die Axt an, die Haue, den Hebebaum, seine guten und treuen Gesellen.

Dankbar schaute er hinüber zu dem säugenden Weib, der Gefährtin seiner mühereichen Jahre, zu der Trösterin, wenn er ermüdete im Streit gen Fels und Moor, gen wahnwitzige Wurzeln und wucherndes

Holz, wenn er die Wildnis als lauernden, unversöhnlichen, unbezwingbaren und herzlosen Widersacher empfand und sein Leben ihm arm und kläglich schien. Oft hatte ihn gleich den Nachbarn Verzweiflung erfasst vor der übermenschlichem Arbeit, oft hatte er gestöhnt: »Wir säen Korn, und Steine wachsen heraus.« Da hatte sie ihn begütigt und aufgerichtet mit ihrer ruhigen Art.

Und auch jetzt nach dem Werk ging er zu ihr.

Sein Hemd war nass, als wäre er aus einem Brunnen gestiegen, seine Schläfen dampften, der Nacken glühte ihm, die Brust war noch ungestüm bewegt vom Atem der Arbeit.

Das Weib bot ihm den Krug, und so tränkte sie Kind und Mann zugleich.

*

Der Schreiner kam vom Seeried her.

Im klarbraunen Bach spielten die Forellen, silberne Gespenster, deren fast durchsichtige Leiber sich sonnten und kühlten, huschten und suchten, am Wassergrund begleitet von der schwarzen Genossenschaft ihrer Schatten. Sie glichen einer misstrauisch spürenden Scharwacht, geisternd, geräuschlos, geschmeidig nahten und glitten sie, oft ließen sie sich reglos vom Wasser führen, nur selten träg die Flosse rührend. Kalte Mordherzen stierten aus ihren Augen. Ihr Spiel begleitete des Bauern Weg.

»Zachreis«, gebot er daheim, »heut Nacht musst du am Seeried wachten. Der Haber steht schön. Und ich hab einen Bären droben gespürt. Der Bär ist ein Vieh.«

»Heut trau ich mich nit von der Einöd, weg«, sagte die Frena. »Ein Fremder ist vorüber, den Hut hat er herab gekrempt getragen, dass ich seine Augen nit hab sehen können.«

»Er soll nur kommen«, erwiderte der Bauer, »bei uns findet er nur Arbeit.«

»Ja, wegen der Arbeit sind wir da«, spann die Alte weiter. »Zur Müh sind wir geschaffen wie der Zeisel zum Singen. Krankheit, Unruh, schlechtes Leben reicht uns der Herrgott dazu, dass wir nit gar zu tief da in die Erde einwurzeln und gern gehen, wenn der Weg sich auftut in die rechte Heimat droben.«

»Was hat der Fremde wollen? Es werden doch nit verlaufene Soldaten im Eisenwald lagern?« fragte der Knecht.

Der Magd zitterte das hagere Kinn. Sire klagte: »Soldatenzähne tun weh. Die Schwedenreiter mit langen Büchsen und Rohren, wüst haben sie mich bedrängt, haben ihre Lotterpossen mit mir getrieben, die Waden mir durchstochen. über Nacht bin ich ein altes Weib worden.«

Der Schreiner tröstete: »In unserem abgeschiedenen Ort sind wir sicher.«

»Sie kommen, töten, gehen«, flüsterte die Frena und schlug heimlich ein dreifaches Kreuz. ––-

Als der Abend die Sonne einzog und Wald und Berge schwer wurden, lag der Zachreis am Ried, es zu schirmen vor der Heimsuchung des Bären, der des Wildzaunes nicht achtete, wenn er prassen wollte im jungen Hafer.

Es war die Zeit jener blauen Mittsommertage, die nicht sterben können, die tief in die Nacht eindringen, und kaum verloschen, im Ost wieder andämmern und mit unerhörter Kraft ihre Wärme in den Boden senden, dass die Frucht koche am Halm.

Ein Feuer flackerte, den schädlichen Bären in Furcht und Ferne zu halten. Und weil der Zachreis müde war, –den ganzen Tag hatte er an einem Waldsträßlein gebaut, –so legte er einige Holzklötze ins Feuer, dass es wach bleibe, wenn er selber einnicke.

Sterne standen in einem Baum, die Nacht hatte die silberne Sichel ausgehängt. Da zog der Wächter den Hut und grüßte: »Gute Nacht, Mondschein, bleib schön gesund!« Er kroch in die Laubhütte; die er sich errichtet hatte, und zog das Gewehr nach sich.

Er schlief gleich ein. Doch sein altes Hirn, das sonst wenig mehr träumte, war heute unruhig und empfing gespenstische Bilder. Ihm träumte, der verwunschene Rossknecht Stilzel reite heran, er hörte ihn schreien: »Hio ho, hio, brrr!«. Der Spuk kam stracks aus dem Dickicht geritten zu dem Hütfeuer, und sein dürrer Klepper trank in tollem Durst die Flammen.

Der Zachreis fuhr empor. Der Nachtwind flüsterte im Hafer, irgendwo zeterte ein Vogel, als würde er ermeuchelt. Vom Riedsteg her knackte es.

»Zachreis!« rief es gedämpft.

Der Knecht schloff hastig aus dem Laub.

Der Wendel stand da, die Augen wie ein Rehbock, dem der Hetzhund folgt; das Kinn schlotterte ihm, so dass er nicht reden konnte.

»Bub, was ist? Ist dir der Stilzel aufgehockt?« Lärm stieg aus den tiefen Wäldern.

»Väter und Mutter erschlagen sie«, stöhnte der Knabe, »das Brüderlein, das kleine, spießen sie an den Zaun.«

Der Knecht riss das Feuerrohr an sich. »Du bringst schlimme Zeitung, Bub. Oder träumt mir das? Ich bin noch ganz dumm vom Schlaf.«

Die Nacht stand hoch. Tückisch lauschte der Mond, die Sterne flimmerten unruhig. Was mochten sie sehen?

»He Bub, es steigt licht auf!«

Über den Wipfeln hellte der Himmel sich düster, Schüsse donnerten die Stille wach, Schreie hallten.

»Wendel, leg dich ins Häusel! Hier findet dich keiner«, raunte der Zachreis. »Ich muss helfen.«

Er jagte durch den Wald, sein dicker Hals bekam fast keinen Atem. Wilde Stimmen fielen aus der Nacht, Hunde heulten Mordjo. Es brenzelte. Immer stärker ward der branstige Geruch. –

Der Schreiner hatte noch spätnachts für eine kranke Kuh einen Trank gebraut, als der böse Tross schreiend seine Einöd überfiel. Ihm war, als säße er auf einem Hexenkreisel und würde aus einem Wirbel in den andern, geschleudert. Die Sorge um seine Gemeinde sank ihm brennend ins Blut.

»Alles ist unser!« krächzte einer des Nachtvolkes und pflanzte sich raufboldisch vor den Bauer hin. »Wir fegen dir den Hennenstall.«

Der Schreiner riss eine Stange vorn Zaun, sein Atem stieß hastig und heiß. »Glaubst du, ich fürcht deinen Kalbstecher, du Blut- und Wundenknecht?«

Der Gewalthaber ritt her auf vierschrötigem Ross. Des Schreiners Hund fletschte daran empor. Eine Flamme züngelte auf und leuchtete.

»Schießt den Rüden nieder!« herrschte der Reiter seine Leute an. Sein Gesicht war voll Schorf, die Augen waren ihm schwarz und starr und furchtbar offen wie die Löcher zweier Feldkartaunen.

Der Hund wälzte sich im Blut.

»Du Landfraß, du raudiger Schelm!« Der Schreiner sprang wütend den Reiter an.

Der schrie: »Reißt ihm die Gurgel aus!«

Einer im ledernen Koller legte die Faustbüchse an, der Schreiner schlug sie ihm aus der Hand.

Ein anderer drang heran, eine Kutte umwehte ihn, einen Spieß zückte er.

»Stich ihn ab, Laudemus ! Ein toter Wolf heißt nimmer.«

Der Kuttner zog den Mund schief, als wolle er nicht erkannt werden.

»Du falscher Mönch hast uns verraten!« rief der Bauer wild.

Da knallte ein Schuss aus dem finstern Wald. Der im Koller überschlug sich. Der Schuss wölbte sich zum Donner.

Fluchend riss der Reiter den Gaul herum und sprengte davon, seine Kerle ihm nach.

»Nehmt meinen Kropf auch mit!« höhnte der Zachreis, aus dem Wald tretend.

Er beugte sich über den Toten; der hatte ein kühn-schönes Gesicht und war wohlgebaut und schlank.. »Bist ein feiner Bub gewesen, Schnapphähnlein! Mir ist schier leid um dich.«

»Rauber sind es, die aus Bayerin herüber wechseln«, sagte der Schreiner. »Sie sind wie unterm Nebelhut kommen. Sie kommen gleich wieder.«

Die Lenora kam halbtot vor Angst aus ihrem Versteck. Selbdritt rissen sie das Vieh aus dem brennenden Hof.

Neben dem Brnn lag die Frena mit gesunkenem Kinn, die starren Hände zur Abwehr ausgestreckt.

»Sie hat das Ihre überstanden«, flüsterte der Zachreis scheu.

Der Bauer seufzte: »Herrgott, du hast eine rechte Trübsal geschaffen mit deiner Welt!« Droben grünten die irren Sterne und waren wie trüber Laich.

Der Wald fauchte auf, Feuer fraß an der Nacht.

Sie trieben das Vieh in die sichere Wildnis, banden es an Bäume und überließen es der Obhut der Lenora. Die zwei Männer kehrten um, den Nachbarn zu helfen.

*

Es war der letzte blutige Geifer des langen Krieges, der in dieses Tal rann.

Die Gnadenleute wurden wunderbar gerettet.

Der Hund war unruhig, der Geruch eines gefährlichen Tieres schien ihm in der Nase zu liegen. Als der Gnad deshalb vor die Tür trat, merkte er Getöse und Brandrauch. Schnell sandte er den Wendel zu dem Schwager; schlimmes Volk sei da, und der Firmian, der seit dem Winter des Diller Haus nimmer betrat, musste zur Kapelle rennen, die geistlichen Kleider und das geweihte Gerät vor den Griff des Gesindels zu bergen. Der Bauer selber floh Hals über Kopf, als er die Plünderer kommen hörte. –

Der Firmian fand die Gotteshütte samt dem Baum Selbdritt in greller Lohe. Die Kasten wären gesprengt und der schönen glitzernden Dinge beraubt, der heilige Gunther brannte:

»Heut helf ich dir aus, Gunthari, ein andersmal du mir!« stammelte der Knecht, er schleppte den Heiligen hinaus und wälzte ihn in einem Tümpel, wo die Glut verzischte. –

Durch die Spießgassen der Gestrüppe floh des Gnad Sippe. Sie weilten. Alles hatten sie zurücklassen müssen, Vieh und Habe. Die Eltern schleppten die aus süßem Schlaf geschreckten, wimmernden Kinder in den Armen und auf dem Rücken.

Aber ihnen nach drang eine Horde Männer und Weiber, deren Fackeln enthüllten den Weg und die Flucht der Einöder.

»Maria, himmlisches Frauenzimmer!« betete die Gnadin. »O ihr himbeerfarbenen Jesuswunden!«

»Ein Mensch ist dem andern sein Teufel«, seufzte der Bauer.

Die lechzenden Gäste drangen immer näher, ihrer unbarmherzigen Windlichter wurden immer mehr.

Die Bäuerin stürzte in die Knie, »Ich kann nimmer.«

Der Gnad taumelte zu ihr hin, Fackeln und Bäume tanzten um ihn, aus Wurzeln und Wipfeln jaulte die Hölle. Und mitten drin stand der Trautel Stimme wie sein himmelsgläubig Licht ein: »Heiliger Schutzengel mein!«

Da entsprang der Finsternis eine schwarze Gestalt, gespenstisch einen Knüttel schwingend, beleuchtet von einem roten Glutblock, der auf einmal durch die Stämme hellte. Ungestüm rannte der Finstere die Verfolger an. Da kreischten die Weiber und flüchteten, die Kerle deckten sich hinter den Stämmen und lösten die Gewehre.

»Das betend Dirniein kriegt ihr nit«, schrie der schwarze Kämpfer.

Handgemein ward er mit einem der Verfolger, sein Knüttel traf auf Eisen, traf auf Bein. Der Gegner sank. Andere drangen auf den Finsteren ein. Die Fackeln erloschen, ferne lockten die Weiber, die Männer rauften wechselnd in Dämmer und Mond.

Fluch, Schmerzschrei, Waffenschlag.

Der Kampf fernte sich.

Die Gnadenleute schmiegten sich an die schwer schattenden Buchen und beteten mit stummer Lippe und lauschten, bis es stille ward. Sie wagten sich nicht vor und nicht zurück.

Endlich schlichen sie auf die verlassene Kampfstätte. Ein Mann lag dort, das bleiche Gesicht, die schwarzen Brauen im Mond, die blutigen Augen gesperrt.

»Der Tod hat ihn hergetrieben«, wispelte die Gnadin.

»Wie eine Vormauer ist er gestanden«, trauerte der Bauer. »Er hat uns redlich geschützt.«

Und das Dirnlein kniete hin und sprach zu Gott, er möge den guten Eisenmann durchs goldene Zauntürlein treten lassen in die ewige Freude.

*

Der Diller und sein Weib standen unter der zerlumpten Rotte, den Leib vor Angst gelähmt, verwegene, unstete Blicke auf sich fühlend. Der Bauer hörte, wie sie in seiner Habe wüsteten, er hörte den feurigen Gast schon prasseln in seiner Hütte. Aber er stand ohne Worte, da er die Wut der Räuber fürchtete, wenn er sich widersetzte.

Sein Weib aber bändigte sich nicht: »Schandbruder!« knirschte sie ein um das andere Mal »Ja, schaut nur her wie die Teufel? Und wenn der Teufel die Gerechtigkeit ehrt, rupft er euch bald.«

Die Männer achteten des Schimpfes nicht, die Dirnen zückten die Nägel nach ihr.

Als eine der fremden Mädchen die Kuh wegtrieb, bäumte sie die Faust und schrie: »Die Kuh lass mir da, du Hur, du ausgestrichene!«

»Nehmt mir nit alles! Ich bitt euch gar schön«, flennte der Diller.

Einer, der eine blecherne Haube trug, lachte: »Gib dich drein, armer Hund! Wir Soldaten schlucken gut: wir fressen den Pfaffen aus der Kutte, den Dieb samt dem Galgen.«

Die Dillerin aber lag schon auf der Dirne und schlug und trat blindlings auf sie los. »Du lose Haut, du Satansleder«, ächzte sie, »mein Vieh darfst du fit nehmen.«

Jetzt schlug das Unvolk furchtbar auf sie ein, sie banden ihr die Arme auf den Rücken und hängten sie mit den gefesselten Knöcheln an einen Ast, dass ihr die Hände hinten über den Kopf hinausstanden und ihr die Glieder aus dem Gelenk sprangen.

»Ihr Schelmmengeschmeiß!« schäumte die Gepeinigte. »Die Arme habt ihr mir verschlenkert! Weh! Weh!«

»Zündet ein Feuer unter ihr an!« schrie einer. »Sie soll gleich ein anderes Liedel singen.«

Dem Diller erschrak das Blut im Herzen, und während die Entmenschten brennenden Hausrat häuften unter den Fersen der Heulenden, entsprang er.

*

Der Firmian war einem Teil des Trosses täppisch in die Hände gelaufen. Der Laudemus war darunter, der behauptete, die Bauern hätten ihm die köstliche Monstranz gestohlen, und wollte erfahren, wo sie verborgen sei.

Als der Firmian erwiderte, er wisse nichts davon, fesselten sie ihn an einen Baum, umwickelten ihm die Stirn mit Riemen und schnürten sie immer enger und unbarmherziger, dass ihm die Augen herausquollen und er in Qualen schrie und um Gnade bettelte.

Aber immer wieder fletschte ihn der Laudemus an: »Wo habt ihr die Monstranz?«

»Ich weiß nit, mein Eid! O ihr tut mir weh! Heiliger Gunthari, vergiss mich nit! Lass aus, weh, erbarmt euch!«

»Schnürt enger!« befahl der Laudemus immer wieder.

Erst als Schüsse aus dem Wald fielen, zogen sich die Räuber zurück, ungewiss über die Anzahl der Feinde, und der Schreiner erlöste den armen Schmerzensknecht.

*

Des Wildnussers Weib flüsterte: »Bauer, hast du jetzt nix vernommen?«

Er erwachte und lauschte.

Am Dach knisterte der Wind. Ein Kauz bellte in den Mond.

»Nix ist los«, knurrte er. »Du bist so ängstlich, weil du ein hoffendes Weib bist.«

»Den Hund sollten wir haben, der hat alles vermeldet in der Nacht.«

»Der Ringel ist wölfisch worden, Weib. Wenn er mir begegnet, schaut er weg und rennt davon.«

De Schwangere richtete sich schwerfällig auf und horchte auf die verhaltenen Stimmen des Wildnis.

»Es liegt schwer auf meiner Brust«, sagte sie. »Ich weiß nit was mir ist. Ich kann mich nimmer erfangen, seit das stille Kind tot ist.«

Der Wildnusser brütete in sich hinein. »Was dahin ist, ist dahin. Bäurin, jetzt begehr ich einen Buben von dir. Den jungen Bauer schaff her! Wem soll ich die Einöd hinterlassen, wenn nit meinem Fleisch und Blut?«

»Ich möcht kein Kind mehr kriegen«, sprach sie. »Es wird es nit gut haben bei dir.«

»Einen Buben könnt ich hegen wie meinen Augapfel, sagte er. »Mit Strahl, Hagel und Reif hat mich der Herrgott verfolgt, seit er mich kennt. Das Unheil hat mich verhärtet. Glück müsst mir den Sinn wieder lindern. Den jungen Bauer bring auf die Welt, Weib!«

»Du solltest dich mehr auf die Nachbarn stützen! Der Gnad ist ein milder Mann, der Schreiner ist auch nit unrecht.«

»Red fit von ihnen! Sie weichen mir aus wie einem schlagenden Ross. Und ich brauch sie nit. Sie sollen sich meiner Not nit annehmen. Ich brauch nur den Nachkommen. Für den Buben könnt ich arbeiten voll Lust und Freud.«

»Heut ist Jahr und Tag nach dem Brand, Wildnusser. Mir ist, meine Notstunde kommt die Nacht noch. Ein Bub sollt es halt sein.« Sie bebte plötzlich wie hellseherisch auf. »Eine wilde Wolke fliegt gen unser Haus. Unheil wachst über uns!«

Von ihrer Unruhe entzündet, warf er die Hosenhalfter über die Schultern. »Ich spür es selber«, sagte er.

Er trat vor die Tür. Der verstörte Wipfelmond lauschte mit ihm.

Da flutete der schlimme Haufe aus dem Wald.

Erst war er in Grauen verstarrt, dann schrie er er«kennend: »Weib, steh auf! Renn!«

Sie lief mit ihrem schweren Leib.

Einer trat protzig und trotzig im Harnisch daher. »Fangt mir die Bauerngretel!«

Eine große, hilflose Angst kam den Wildnusser um sein Ehweib an und noch mehr um das, was sie unterm Herzen schleppte. »Verschont sie«, flehte er, »sie ist ein tragendes Weib!«

Der Stolze lachte widerlich. »Desto besser!«

Planken krachten, Zäune splitterten, Gesindel drang in den Hof mit Helmen und zerfetzten Hüten, mit Lederwams und mondblinkendem Rüstzeug. Ein dünn«beiniger Kerl setzte der Bäuerin nach, aber die Gänse, die er mit den Hälsen an seinen Gurt geknüpft hatte, hinderten ihn in der Verfolgung, und so kehrte er um.

Der Geharnischte rollte die Augen, dass sie schier knirschten, und setzte dem Wildnusser den Spieß an die Brust. »Rühr dich nit!«

»Was begehrst du, Spreizbart?« fragte der Bauer. »Ich hab nix. Wollt ihr einen geschundenen Hund noch einmal schinden?«

Ihm war traumhaft zumut. Lichter irrten her und hin; der Himmel war rot entzündet, kaum behaupteten sich die Sterne; der Mond war schmutzig. Krähen erwachten, scharten sich empört, schalten. Und die arme Fahrnis ward zertrümmert, die Schnapphähne wüteten ohne Sinn.

Einer molk die Kuh in seinen Helm. Er molk mit hässlichen Fingern, sie glichen Habichtskrallen.

Ein anderer hielt das Windlicht spielerisch und versuchend an das Schindeldach.

Dem Bauern läutete das Ohr, seine Knie wurden schwach, sein Herz ballte sich. All sein Trotz fiel von ihm ab, höchste Angst um seine Habe warf ihn plötzlich nieder vor den Räubern. Er wischte über die feuchte, klebrige Schläfe, er bat kindisch, als könne seine Bitte frommen: »Nehmt mir nix!«

Der Panzermann spottete: »Nehmen ist das süßeste Handwerk.«

Da schrie der Wildnusser, und seine Hände zuckten auf den erhobenen Armen wie verwundete Spinnen: »So viel hab ich mich plagen müssen! Was nutzt es euch, wenn ihr mir das Ried zertrampelt und das Haus anzündet? Verschont mein geringes Gut! An jedem Halm hängt ein Blutstropfen, so viel hab ich mich geplagt.«

»Weidenköpfe und stolze Bauern muss man scheren und behauen«, lachte der arge Gast.

Und schon schlug es rot durchs Dach, die Flamme bäumte sich, stand loh und licht und floss über den First. Der Wildnusser stierte den roten Feind an, den grausamen Fresser. Die Funken spielten, ein versengter Vogel taumelte in die Vernichtung nieder.

Die Hitze glühte den Bauern an, die Augen sprangen ihm hin und her, die Stirnblutader strotzte, die eigenen Nägel bohrte er sich ins Genick.

»Himmlischer Herrgott, höllischer Hund, helft mir ihr zwei!« fluchte er.

Doch plötzlich glitt ein verlorenes Leuchten über sein Gesicht, und er schrie mit weher Stimme, die ihm selber verändert und fremd klang, ins Ferne: »Nachbarsleut, helft mir!«

»Kusch!« fuhr ihn der Gewappnete an. »Sonst lass ich dir die Mistlache in den Schlund schütten!«

Der Wildnusser ward blutzunderrot, er sah den Feind an mit grässlichem Blick und gurgelte: »Deck dir die Haut!« Sein Gebiss schrillte, krachte, seine Lippen krampften sich empor, besessen packte er den Mann. Der wehrte sich, doch seine heftige Kraft half nichts, an des Bauern Wut zerschellte sein Widerstand.

Der Wildnusser schleppte ihn mitten durch die Plünderer dorthin, wo die Jauche faulte, dort zwang er ihm den Kopf hinein, und ob auch die Spieße in seinen Leib tauchten, er ließ nicht eher nach, bis sein Opfer ertrunken war.

Dann, mit krummem Arm sich wehrend, durchbrach er die erschrockene Meute. Blut rann ihm aus der Nase und färbte seinen Bart. Er erreichte den Wald. Dort hinein wagte ihm niemand zu folgen. Der hohle Himmel brannte.

Er stolperte, sank, richtete sich auf, er verhielt sich die tobenden Wunden, als könne er sein Leben zurückhalten.

An einem Felsen blieb er lehnen. Er hörte die Landbrenner tosen. Er verströmte sein zorniges Blut, schon drang ihm die Finsternis ins Auge. Da erhob sich aus der Wildnis sein Schrei. Ein zerquältes Tier schien ihn auszustoßen.

Der Wildnusser horchte auf, staunend, ungläubig.

Wieder schrie der Schmerz aus der Nacht.

Sein Haupt sank besänftigt zurück an den Stein, das Blut rann, und ihm war das eine Befreiung.

»Heilige Notburg«, betete er, »hilf ihr und dem lieben Kind auseinander!«

Noch einmal scholl der Gebärschrei seines Weibes, ins Höchste, ins Erlösende gesteigert, zu ihm, dann lehnte er entseelt an dem Felsen.

In blutiger Morgenbrunst erschloss sich der Tag.

Bei der Fichte Selbdritt fand sich die Elendsgemeinde ein, soweit sie noch am Leben war. Aus Schlüften und Gebirg, dahin sie geflüchtet, kamen sie mit erdfahlen Gesichtern, mit verkrusteten und schwarzen Wunden, mit verbundenen Köpfen.

Der heilige Baum gloste noch, die Kapelle war verkohltes Gebälk, der Mönch Gunther stand obdachlos unter blauem Himmel. Ohne Anteil sahen die Berge nieder.

Die Roder kamen von der Asche ihrer bis auf den Grund niedergebrannten Gehöfte. Ihr Vieh lag erstickt mit geblähten Bäuchen und zerrissenen Fellen oder mutwillig erschlagen von ruchloser Hand, ein Aas. Nur wenige Tiere waren geborgen worden. Verstreut war das Korn, das Mehl verschüttet auf den Misthaufen. Die tollen Buben hatten ihre Rösser gehütet auf Acker und Ried, da war die Saat zertreten. Kein Hof war verschont worden.

Die Menschen ließen die Köpfe hängen vor namenlosem Unglück.

»Der Laudemus hat das angestiftet«, sagte der Gugu. »O wie ist der Wald so grün und die Untreu so groß !«

Die Wildnusserin trug den Buben in der Schürze daher, den sie in der Nacht geboren. Todmüde setzte sie sich auf einen brandschwarzen Balken.

»Sein Vater hat den Buben nit erlebt«, klagte sie und stillte den wimmernden Säugling. »Schlaf, kleiner Bauer! Dein Hof ist verbrennt, deine Kühe sind versprengt, dein Ried ist verdorben. Kein besseres Wiegenlied kann ich dir nit singen.«

Die Dillerin lag zerbrochen und wildwund von den Misshandlungen auf dem Rasen. »Wildnusweib, uns ist auch nix blieben. Meine Kuh haben sie gefressen. Wenn unsere Männer keine Hasenritter wären, sie täten ihnen nach, sie täten sie zwingen, dass sie wieder speiben, was sie verschlungen haben.«

»Ja, ja«, nickte der Diller blödsinnig. »Nix ist uns blieben. Wo der Soldat Korn sät, ist übel nachähren. Die Lutheraner sind schuld daran mit ihrer falschen Bibel.«

»Über den Steig am Spitzen Berg sind sie davon, auf der alten Eisenstraße«, meldete der Kirein. »Wir sollten ihnen nach.«

Der Helm ließ sich gerade von der Gnadin eine Wunde mit flüssigem Pech schließen. Er sprach vor Wut mit geschlossenen Zähnen: »Wir nageln die Kerle an die Erde, wenn wir sie erwischen.«

»Es ist ein verwogenes Volk«, warnte der Diller.

»Dir wackelt die Seele vor Angst wie ein Lämmerschwanz«, spottete der Helm. »Bleib daheim Diller! Dein Weib geht statt deiner. Und wer ein rechter Mannskerl ist, der tut mit.«

Der Schreiner kam, die Augen lagen ihm schwer wie Steine in den Gruben.

»Drei Leut haben sie uns erschlagen«, sagte er laut, »drei gute Leut! Es ist schad um sie.«

Der Gnad entblößte das Haupt. »Wir müssen jetzt beten für unsern Nachbar, den Wildnusser. Gott mach ihn fröhlich! Und für die Frena. Sie steht mit einer goldenen Krone im Himmel. Und für den Eisenmann. Er hat mich errettet und meine Leut.«

Die Männer beteten mit harten Munden, die Weiber schluchzten in die Schürzen, die Kinder knieten verschüchtert und bang. »Was tun wir jetzt?«

Die Dillerin kreischte: »Den halssträflichen Leuten müsst ihr nach, Männer! Hergeben müssen sie, was sieerschnappt haben!«

»Wir zahlen es ihnen heim«, grollte der Saumer. »Hernach reisen wir aus dem Eisenwald.«

»Lauf dem Unglück nit davon, es könnt dir nachrennen«, mahnte der Schreiner. »Wir müssen uns dem Elend jetzt zur Wehr stellen; wenn wir es fest anschauen, muss es nachgeben.«

»Nit allemal«, widersprach der Saumer.

»Wir müssen uns in unser Schicksal finden. Es hilft nix anderes, und wenn wir uns unter die Erde legen.«

»Ich geh davon«, sagte nun der Gugu auch, »unser Schwitz und Schweiß frommt da nix. Der alte Spruch wird wahr: ›Künisch Land wird öd und leer ohne Krieg und ohne Sterb.‹ In dem Gebirg kann man sich nit halten.«

»Das darf nimmer sein!« rief der Schreiner heiß. »Das Land will aber nix mit uns gemein haben.« »Es muss!«

Ein Mann eilte daher, der Hannes Frisch aus dem Stornwinkel.

»Lebt ihr noch, Nachbarn?« rief er. »Meine Mühle ist ein Häufel Asche. Jetzt kugeln die Rauber im Wald bei uns umeinander, ihre Jungfern schneidern sich Joppen aus Messgewand. Helfen wir zusamm: erschlagen wir sie!«

Die Rachsucht flackerte mächtig in den beraubten Menschen auf. Gesühnt sollte werden, dass die Früchte ihres schweren, leidenschaftlichen Fleißes bübisch vernichtet worden waren, rächen wollten sie die Plünderung der verehrten Kapelle, rächen die Toten. Sie kannten kein anderes Gefühl.

Nur der Gnad fragte: »Dürfen wir sie abtöten?«

Der Schreiner erwiderte rau und fest: »Auf einem Richthaus hab ich den Herrgott gemalt gesehen, ein Schwert springt aus seinem Maul. Das Bild tragt den Sinn: Gott begehrt, dass das Böse gewaltsam vernichtet wird. –Was haben die Raubersbuben verrichtet in der Nacht? Sie haben uns arme Leut mit Gewalttat und gewaffneter Hand überfallen, uns geplündert und ausgebrannt, unser fahrendes Gut frevlich zerhaut, unser Vieh erschlagen und weggetrieben. Schaut unsere Rieder an! Es ist, als ob der Hagel darein gefallen wäre und alle Halme erschossen hätt!«

»Der türkische Hund könnt nit übler hausen«, zischte die Dillerin.

Ihr Mann schluchzte auf. »Drum haben wir uns geschunden im elenden Wald, dass wir um alles kommen sind.«

»Sie haben uns an Vieh und Gütern Schaden zugefügt und Verderben«, fuhr der Schreiner fort, »sie haben uns die Truhen zerhackt, Zuber und Schäffeln, sie haben uns Flachs und Garn verwüstet -«

»Speck, Inslet, Schmalz, Mehl, alles haben sie uns geraubt«, eiferte der Kirein. »Was sollen wir jetzt essen? Der Hunger hebt wieder an.«

»Gemartert haben sie unsere Leut, aus lauter Übermut Vieh und Menschen erschlagen«, redete der Schreiner. »Der Wildnusser hat uns nit mögen und wir ihn nit. Aber deswegen ist er doch unser Nachbar gewesen. Ein himmelschreiendes Unrecht ist uns angetan worden.«

»Wir zahlen es heim«, lechzte der Saumer.

Der Schreiner aber schrie: »Das Volk verderbt das Land. Drum muss es ausgetötet werden. Gerad so, wie wir die Wölfe und Bären niederschlagen. Ihr verdammtes Leben muss ein Ende nehmen. Wer sie niederhaut, hat nix verwirkt. Tilgen wollen wir sie, den Abfaum der Welt, das wolfswilde Gesindel, dass es den Bauern nimmer schaden kann!«

Der junge Helm fuhr auf: »Männer, nehmt her, was sticht, schneidet, schießt! Wir übereilen sie, wir sperren ihnen den Pass. Keiner darf uns davonkommen.«

Da rüsteten sie sich mit Knütteln, Sensen, Stangen und Äxten, die sie in den Trümmern ihrer Hütten fanden.

»Der Stichenteufl muss voran, die alte Kriegsgurgel«, forderte der Zachreis.

»Ich will über die Rauber her«, rühmte des Helm Knecht, »der Teufel soll ihr Hengst sein, in den Himmel sollen sie fahren wie das Kamel ins Mausloch!«

»Du bist ein vermessener Mann, Utz!«

Der Stichenteufl ergötzte sich an gewaltigen Worten. »Der Laudemus hat das Rädel geführt. Den will ich lebendig schinden, ich will ihn vierteilen, achtteilen, Riemen schneiden aus seiner Judashaut. Das Parteisen renn ich ihm hinein. Ihr wackern Männer, mir nach! Alles, was gegen den Baum brunzt, mir nach!«

Als der Knecht derlei mannhaftes Geschrei vollbrachte, rief der Schreiner laut: »Der Helm führt uns.« –

Nachdem sie Weiber, Kinder und das bewahrte Vieh in einem Felswinkel verschanzt hatten, zogen sie die alte Eisenstraße, die vom Krieg ganz verwischt war.

Auf der Passhöhe hatte sich eine Unzahl Krähen gesammelt, alle schwarzen Vögel des Gebirges schienen da ihren Landtag zu halten. Sie berieten lärmend und flogen schließlich mit grassem Gesang nordwärts.

Verhohlen und verstohlen, mit verbissenen Lippen zogen die Bauern durch Dorn und Strupp gen den Stornwinkel. Wolkenschatten rauchten über den Wald. Ein Wildtauber grollte düster durch das kupferne Föhrendämmer.

Sie sahen einen Bären die Krallen an einem Baum schärfen. Sie taten ihm nichts.

Sie fanden auf des Feindes Fährte Dinge, die in Überfluss und Überdruss weggeworfen worden waren, sie fanden eine große Blutlache, da hatten die Schlemmer wohl ein Rind geschlachtet. Ein Ross verweste am Steig, sein zerfetzter Bauch klaffte gen Himmel.

»In die Erzgrube hätten wir sie treiben sollen, dass sie drin verhungert wären«, brummte der Saumer und stieß seine Mistgabel in einen morschen Baum, dass sie durch und durch ging.

Der Abend setzte den roten Hahn ins Gewölk.

Der vergehenden Sonne Blutlicht durchfloss die Luft, die mit wildgeformten, gebäumten, gesträubten Wolken belastet war. Ein ferner Hirsch mahnte.

»So zusammengeplagt bin ich, bin nur Haut und Bein. Und jetzt ist das alles umsonst gewesen«, jammerte der Diller.

Der Gnad entgegnete: »Nachbar, heut in der schrecklichen Nacht hat mir geträumt, der Herrgott ackert, aber nit im Feld, sondern mitten durch lauter Leut hindurch. Der Traum ist grausam gewesen, aber tröstlich. Wo einer ackert, wird auch Frucht.«

»Ein wenig zu tief hat heut der himmlische Ackerer den Pflug gedruckt«, meinte der Gugu. Er trug arge Brandwunden, denn die Feinde hatten ihn, der sich gewaltig gewehrt hatte, mit einem Rebseil gebunden und über ihm das Dach angezündet. Der Kirein hatte ihn aus dem Feuer gerissen.

Und der Kirein bückte sich jetzt zur Erde und wetzte sein Messer an einem Felsen.

»Den raudigen Reiter leg ich hin«, sagte der Zachreis. Die Axt auf seiner Schulter blitzte hin und wieder in dem Dämmer, und die abglühenden Wolken spiegelten darin.

»Den Laudemus nehm ich mir, den rabenfalschen«, sagte der Kirein. »Gestern ist er mir auskommen.«

»Wer auf den Galgen gehört, ersäuft nit.«

Finsternis rauchte aus Farn und Strauch. Des Mondes hageres Viertel war ausgesteckt über das düstere Klumpicht der Berge.

Nun stiegen sie in das Tal hinab, darin die Quellen der Angel entsprossen.

Der Helm schritt voran, das Schwert mit einem Strick an die Hüfte gegürtet, sein langer Morgenstern schlug gegen die Äste der eingefinsterten Kronen.

Die Blutlache des erlöschenden Himmels verrann.

Raue, trunkene Lieder tauchten aus dem Tal, und jeweilen sang einsam eine schöne, starke Frauenstimme.

Der Knecht des Hannes Frisch erwartete die Eisensteiner. Er berichtete: »Gegen das Irlfilz sind sie zu, die Landschrecker. Dort am Wald tischen und saufen sie und treiben Unfläterei. Ich bin hingekrochen am Ohr. Halbrauschig sind sie, ein Weinfass haben sie angestochen. Stegreif nährt nit schlecht.«

Die Bauern umkrampften ihre Waffen, scharlachlodernd bäumte sich ihrer Rache Wahnsinn. Die Bauernwürger, die Saatverderber, die Kirchenbrenner mussten sterben!

Wo die Karren standen und das angebundene Vieh, schlichen der Helm und der Schreiner sich an.

Der Wald, an dem nun auch das vorgelagerte Moor einnachtete, war im Innern wie das Gewölbe einer Fabelgrotte erleuchtet, und zwischen Felsen und Stämmen vollzog sich ein wirres, tolles Taumelfest.

Die Freibeuter schienen irgendwo ein Kloster geplündert zu haben, denn alles funkelte von kirchlichem Prunk, von Rauchbecken, Leuchtern, erzenen Gießfässern.

Ein rabenschwarzer Kerl trug über der verschorften Stirn eine Infel, mit glutblitzenden Perlen besetzt, torkelnd stützte er sich auf einen Abtstab und plärrte kauderwelsch, und hinter ihm wallfahrteten wie die Rotte der Todsünden und Laster mit heißen, unzüchtigen Augen, mit lechzenden Schreien schwarze und lichte Dirnen und sangen Lieder, die Gott schändeten.

»Dominus vobiscum!« grölte der Bischof.

»Lirum larum !« erwiderte sein Mesner, ein Gesell, dem die Backen mit Venusblattern besät waren.

Eines der Weiber trug einen köstlichen, seidenen Rauchmantel, darein der Name Jesu gestickt war, sie ging darunter nackt, und beim Schreiten glänzten ihr die bloßen Brüste und Knie auf. Wenn sie ihren Sang anhub, so klang es unsagbar weich und fromm, und das gelle Getös der andern verstummte immer eine Weile. Neben der Sängerin stolzten Männer daher, schwere, flackernde Wetterkerzen in blanken Leuchtern tragend, und Weiber tanzten und sprangen, angetan mit starrenden, geistlichen Gewändern, damastene Stolen um den Hals, oder auch verkettet und Ketzerlieder kreischend. Ihre schwanken Schatten versanken, verrannen in der Laubnacht, ihre angeleuchteten, wildtrunkenen Augen suchten einander. Die brünstigen Männer, die züngelnden Weiber, die klaffenden Munde, die Augen, die des Feuers Glut mit dem kalten Blick der Schlange einten, die schlanken, schneeweißen Arme, alles schien bereit zu sein, sich plötzlich zu einem wirbelnden Krampf, zu einem wahnsinnig kreisenden Rad aus Fleisch zu vereinen.

Im Hintergrund wob furchtbar ein rotes Feuer, ein schattenhafter Buckelmann drehte an einer Stange einen schmorenden Ochsen für das künftige Fressmahl. Das stumme Feuer aber war, als glühe das Auge der Hölle lauernd die wüste Mette an.

»Viel Wunder rinnt aus dem Weinfass«, flüsterte der Helm.

Der Schreiner deutete zu einem Felsentisch, fast erpresste er den Wolfsbengel in der Faust.

Auf dem abseitigen Stein gloste geheimnisvoll ein Kelch, links und rechts von messingenen Lichtstöcken beflankt, deren Kerzen schüchterne, staunende Flämmlein hielten. Am Ast darüber wiegte sich feierlich eine silberne, edel geformte Ampel, sie barg in sich ein Ewiglicht und spiegelte mit ihrem Bauche all die unruhigen Lichter dieses Festes.

Vor dem Kelch aber neigte und beugte sich der Laudemus, Priesterwerk nachäffend, er segnete, er zeichnete das Kreuz, warf die Stirn empor, weihte und trank aus dem goldenen Kelch.

Neben ihm kniete die Hadax und schwenkte einen Rauchkessel, und der Laudemus hob den Kelch und segnete die Weiber des berauschten Venuszuges, der gegen seinen Altar brandete.

Der Bauer, der sein Lebtag in tiefster Ehrfurcht gebebt vor der Kirche Sinnbildern und vor geweihtem Gerät, war wild empört ob des ruchlosen Missbrauchs verehrter Dinge. Sein Gesicht ward schwarz vor Zorn.

»Ihr Beelzebuben«, knirrschte er, »ihr sollt es büßen!«

Ungeduldig harrten die Eisensteiner, der Rache Recht zu üben.

Der Helm sprach zu ihnen: »Nehmt die Augen in die Hände, es ist finster! Macht ein Getös! Aber wenn ich euch loslass, dann schreit und haut darein, dass die Köpfe kugeln! Schont keinen! Es ist des Teufels Same, lauter rad- und galgenwürdiges Volk.«

Plötzlich suchten seine Augen. »Wo ist mein Knecht ?«

Der Stichenteufl war verschwunden.

In einem Halbring, der gegen das Moor offen stand, schlichen sie die Satansmesse an. Flammen riefen aus der Nacht, trunkene Gesänge wiesen den Weg.

Einer der Räuber mit wüstem, kupferigem Weingesicht hatte sein Ross zu dem Felsentisch geführt, er nahm dem Laudemus den Kelch aus der Hand und führte ihn dem Tier zum Maul. Da stak ihm ein Pfeil im schwarzen Bart. Er gurgelte, riss das Geschoß aus dem Hals und schleuderte es wie eine Natter von sich. Das Blut schoss ihm aus der Kehle, und er sank ins Knie. Seine Gesellen starrten ihn an und verstanden ihn nicht.

Brüllend, mit hassspeienden Augen, mit Schuss, Wurf, Schlag und Stich quoll es aus der Nacht, packte es an.

»Haut um Haut!« brüllte der Helm. »Schlagt sie tot !«

Der Diller keuchte: »Ihr Bachusbuben, ihr Niniviter, ihr Sodomiter!«

Eine schwefelgelbe Wolke fahlte. Vom ungewohnten Licht verwirrt, taumelte ein gewaltiger Uhu durch den Wald. Das geraubte Vieh blökte.

Die Überrumpelten glotzten, ihrer Dirnen freche, verlebte Gesichter wurden zu Fratzen. Fiel der Wald zusammen? Brach das Höllengericht herein?

Überrascht, betäubt, weintranken, wussten sie nicht wohin, fanden sie ihre Waffen nicht. Die Bauern stachen und knüttelten sie nieder.

Dem Gnad war, es berste eine tolle Wolke und Schwerter und Spieße gleißten in die misstätige Horde und ein Blutbach ränne heraus. Ihm graute vor der niederdröhnenden Rache. Die Menschen des friedlichen Ackers, seine Freunde und Nachbarn, sie wiesen ihn hassrauchenden Blickes ab, sie rauften weiter mit Wolfsbengel und Hirschfänger.

Er verhielt sein Antlitz und ließ die Hände wieder sinken. Er trat aus dem Wald. Das Moor dunkelte vor ihm und darüber irrwischte es. Erschaute auf einen Strauch nieder und neidete ihm die sanften Säfte, die in den Pflanzen steigen und nicht Gier und Leidenschaft kennen und nicht Verwirrung stiften wie der Blutsaft im Menschen. Er blickte auf und klammerte die Seele an die Sterne, die droben in ewiger Unschuld wandelten.

Grell schollen Schrei und Gegenschrei im Wald. Ein Schwert mähte mit Klirr und Klang, Fackeln dampften, am Spieß stank das verkohlende Fleisch.

»Ihr Leutfresser! Ihr Herrgottschänder!«

Die fremden Männer erlagen. Die Weiber wehrten sich wildkatzenhaft, sie rissen den Bauern Haare und Haut aus. Aber es gab keine Gnade. Die Raben erwachten von dem Nachtgeschrei und hielten Gericht.

Über dem Kampf glomm friedlich die ewige Ampel und wusste von nichts.

»Weckt die Töten auf!« krähte der Diller. »Erschlagt sie noch einmal!«

Der schorfige Reiter rettete sich zu einer Martersäule. Der Hannes Frisch hatte sie aufgestellt, sein Vater war dort vom Schlag gerührt worden.

Erst fauchte der Reiter die Verfolger an wie ein gestellter Fuchs. Als aber eine benagelte Keule ihn bedrohte, umklammerte er erschöpft und verzweifelt das Steinmal. »Beim Kreuz bin ich frei«, rief er. »Liebe Frau vom Hahenbogen!«

»Jetzt erst kennst du die Gottesmutter?« höhnte es. Und schwarzes Blut rieselte über den Stein. –

Der Kirein stolperte über einen Leichnam. Er leuchtete hin und lachte. »Jetzt liegst du da, Hadax, die Nase im Gras.«

Hinter dem Felstisch fand der Firmian ein prächtiges, großes Weib. Die feierliche Schönheit und die Ruhe der Toten rührten den läppischen Knecht. »Der Teufel könnt weinen um sie, so schön ist sie«, flüsterte er. Er holte eine schwere, rote Kerze aus dem Raub und betete mit dem brennenden Licht lange zu Häupten des Weibes. Dann legte er sie sanft in eine Höhle und verrammelte diese mit Steinen. Die Füchse sollten die Leiche nicht entstellen, und sie,sollte nicht verscharrt werden mit dem freveln Volk. Die Kerze stellte er auf die Gruft und ließ sie einsam brennen.

Am furchtbarsten endete der Laudemus.

Als er den Spießgesellen mit dem durchpfeilten Schlund umkommen sah, floh er aus dem Wald hinaus.

»Öha, du verzweifelter Böswicht« ‚brüllte der Zachreis hinter ihm her. »Renn nit so! Du kommst mir nit aus.«

Der Laudemus flüchtete ins Irlfilz. Einer schoss ihm nach und fehlte. Dennoch erwiderte ein grauser Schrei. Der Flüchtling war bis zur Hüfte versunken: das Moor schluckte ihn.

Er wollte sich emporarbeiten, sank aber tiefer. Irrwische frohlockten, Strahlen stachen auf und verzuckten. Das Moor würgte.

Jetzt ahnte er das qualvolle Ende. »Schießt mich tot!« bettelte er. »Schießt her!«

»Judasbruder!« erwiderte ihm einer.

Die Verfolger schauten mit versteinten Herzen zu. Eine Eule höhnte.

Da brüllte der Versinkende wie ein röhrender Hirsch, er brüllte lange und voll Kraft, und das Moor floss ihm bis zu den Schultern.

Heiserer, leidenschaftlicher brüllte er, und das Moor erreichte sein Kinn. Da reckte er das Gesicht zurück, um sich den Atem zu retten, und fluchte zu den Sternen auf und verfluchte sie.

Das Moor füllte seinen Mund,; da röchelte er Schlamm und verstummte. Der Arm nur ragte steif und kerzengerade heraus, gekrönt von der gekrampften Faust.

Und der Arm erschlaffte und sank und schwand, und nur die Faust blieb noch über dem furchtbaren Moor und öffnete und schloss sich immer wieder in trägen Zeiträumen lange, lange, bis auch sie verschlungen war. Ein blaues Flämmlein wuchs, wo der arme Schelm vergangen war, tänzelte und löste sich auf.

Die erschlagenen Kerle wurden nicht begraben, sondern nur spärlich mit Waldstreu bedeckt, ein schreckendes Mal den Bösewichten; die Weiber verscharrten sie in einer gemeinsamen Grube.

In der Frühe zogen sie heim. Was sie an Raubgut gefunden, nahmen sie mit: weniges Vieh und etliche Gäule. Die edeln Kirchengeräte wollten sie aufbewahren, bis sie der Kirche inne würden, die beraubt worden war.

»Unrecht Gut wurzelt nit lang«, sagte der Diller.

Der Gnad schritt bekümmert neben dem Schwager her. »Ob wir es nit zu unbarmherzig getrieben haben, Michel?«

»Geschmeiß verdient, dass es zertreten wird«, entgegnete der Schreiner. »Sie haben unser auch nit geschont, Gnad. Heut ist eine Rodenacht gewesen, Unkraut und Unholz muss fallen, wenn der gute Mensch Platz haben soll auf der Welt.«

Der Himmel war wolkenüberwuchert und trüb, unwirsch standen die Bäume.

Mit hartem Mund und feuchten Wunden zogen die Männer heim zu den zerstörten Einöden.

Am Spitzberger Sattel fanden sie den Utz Stichenteufl grimmig schnarchend in einer hohlen Buche. Als sie ihn weckten, sprang er empor, zu streitlichem Anprall bereit, und lärmte gar mannlich. Er war bis über die Ohren gerüstet. Statt des Panzers trug er ein Brett vor dem Rock, sein Hirn war von einer rostigen Beckelhaube beschirmt; Schwert, Hirschknicker und Faustbüchse führte er im Gürtel, Flinte und Hellebarde lasteten auf der Schulter. Vor lauter Rüstzeug hätte er sich nicht helfen können, wenn ihn jetzt einer angepackt hätte.

Er reckte kühn den Hals. »Den Laudemus überlasset mir! Ich oder er muss hin sein! Ich bin ein hitziger, ein elendiger Kerl.«

»Utz, du weichst nit, und wenn du dich zu Tod laufen musst«, lobte ihn der Zachreis.

»Einen mansfeldischen Taler trag ich auf der bloßen Haut. Der macht mich fest. Mir kann keiner an.« Er schüttelte tapfer den Spieß. »Und trauen darf mir keiner: drei Helme voll Blut hab ich gesoffen. Wenn ich ausarten tu, bin ich wie ein Vieh und kenn mich nit.«

»Für heut kommst du schon zu spät!« sagte der Schreiner grob.

Da stutzte der Knecht und erkannte an den frischen Wunden der Männer die Spuren des Kampfes. Demütig murmelte er: »Gerannt bin ich aus Leibeskräften; ich bin nit nachkommen, das Rüstzeug hat mich gehindert. Am liebsten stäch ich mich vor Wut selber tot und trüge meinen Schädel selber auf dem Parteisen heim.«

Der Helm redete dem Knecht gütlich zu und besänftigte seinen Groll.

*

Am selben Abend sammelten sich die Roder des Eisenwaldes bei dem zerstörten Kirchlein.

Rußig von den Trümmern der Heimstätten, verfallenen Angesichts, trostlos kamen sie. Jetzt, wo ihre Rache befriedigt war, wurden sie sich erst der Größe des Unglücks bewusst.

»Kein Schweiflein Vieh ist mir blieben«, klagte die Wildnusserin. »Der Nährer ist hin. Wer wird mir helfen?«

»Die Zäune haben sie mir zerrissen und die lieben Früchte auf dem Acker zerstört«, sagte der Gugu. »Hätt ich gewusst, wie es mir in Eisenstein gehen wird, zwölf Hengste hätten mich nit hergezogen.«

Die Dillerin greinte: »Ganz erkrummt sind wir vor Arbeit und müssen im Schweiß unsers Angesichts verhungern.«

»All mein Eigen ist hin«, sagte der Saumer. »Aus dem Bett haben sie mich in der Nacht getrieben, keine Faser hab ich am Leib gehabt. Das Häusel ist mir verbrannt, die Betten sind aufgerissen, die Federn zerstreut. Kinder, erfrieren werden wir im Winter.« Die Augen gingen ihm über. Seine Kleinen schluchzten zu ihm auf.

»Verzag nit!« tröstete ihn sein Weib. »Wir müssen halt die Wildnis wieder lassen, sie leidet uns nit.«

Die Barbara Gnadin redete: »Wir begehren von Gott so wenig. Er soll uns ruhig arbeiten lassen und uns das tägliche Brot gönnen. Aber er will uns gar nix geben.«

»Wir sind zu viel abgesondert von der Welt«, meinte der Saumer und starrte auf die Berge, die ihre Stirnen an trübes, ziehendes Gewölk lehnten. »Zu uns kommt keine Freud, und ohne Freud ist das Leben nix.«

Die Stärksten, die Sichersten verzagten.

»Gott ist weit weg von uns«, raunte der Gnad.

»Emsig und zu tätig sind wir gewesen«, sagte die Dillerin. »Wo ist der Lohn? In Asche liegt alles. Martersleut sind wir. Und warum? Weil das Land da dem Teufel gehört!«

Der Schreiner war wortlos auf einem Strunk gesessen, die Stirn gegen die Faust gestemmt. Der Dillerin Rede empörte ihn. »Kein Brocken Erde gehört dem Teufel«, flammte er auf. »Gott haltet die ganze Welt. Wir ackern und säen in seine Hand. Die Erde ist unschuldig an unserer Not.«

Eine Stimme redete wie das Heimweh selber: »Daheim ist es uns gut gangen.«

»Daheim sind wir auf einem Fettauge geschwommen und haben es nit geschätzt«, rief der Gugu. »Das Paradeis haben wir verlassen. Gehen wir wieder heim!«

»Heim! Heim!« riefen sie alle.

»Lauft alle davon!« rief der Schreiner. »Ich bleib und bau mir ein grundfestes Haus aus eisernem Stein und Felsensand.«

»Hausen wirst du wie der Eisenmann!« keifte die Dillerin hämisch. »Bau nur zu, du Stolzer. Du wirst uns bald nachkommen.«

Der Kirein stieß seinen Bauer an. »Mit Vieh und Sachen sind wir herkommen, einen Sack voll Not tragen wir weg.«

Der Schreiner atmete schwer zu den aufgewiegelten Wolken empor. »Nachbarn, eure Reden sind zweischneidige Schwerter. Aber ich bleib. Eingewachsen bin ich in den Grund da.«

»Ich zieh in die Stadt«, rief der Saumer, »dort sind Mauern und verriegelte Tore.«

»Ich lass mich kaufen von jedem, der mich mag«, lachte der Helm. »Der Krieg geht nit aus. Ich geh hin, wohin mich Gottes Wille treibt.«

Mit schmerzdurchkrallter Seele hörte dies der Schreiner. »Helmbub«, sagte er, »wenn das dein Vater gehört hätt! Dein Vater, ja, der war ein Eichbaum mit guter, zäher Wurz.«

Der junge Bauer erwiderte: »Wie ich das erste Mal gepflügt hab, da hab ich geglaubt, ich hätt die Heimat gefunden. Jetzt aber hab ich gelernt: wir leben ganz oberflächlich zwischen Berg und Wald wo, und das Schicksal blast uns fort wie der Wind den Flaum, und wir sterben nit darum.«

»Betrüg dich nit, Helm!« sagte der Schreiner.

»Du Schreiner kannst leicht unverzagt tun«, schrie die Dillerin zornig. »Du hast deinen Viehstand errettet. Du hast überall Glück, dir milcht der Geißbock. Aber ich und der Diller, wir sind betrübte Leut.«

»Zwei Kinder hab ich verloren im Eisenwald, Weib, zwei gute Buben!«

»Ich pfeif auf mein ganzes Leben.« Der Saumer brach in jähe Wut aus. »Wenn mein Vater noch lebte, erschlagen tät ich ihn, weil er mich in die Welt gesetzt hat.«

»Das Leben ist gut«, widersprach der Schreiner heiß. »Im Leben kann der Mann zeigen, was er wert ist. Leut aus dem Eisenwald, wir wollen leben! Wir zwingen das Leben!«

»Nachbarn, im Eisenstein hat bis jetzt noch keiner eine selige Hinfahrt genossen«, schrillte die Dillerin. »Ohne Beicht, ohne Ölung sind sie alle gestorben. Schreiner, deine Buben auch!«

Die Lenora schluchzte: »Ich bitt dich, Schreiner, gehen wir auch davon!«

»Was hat mein blutiger Schweiß genutzt?« grollte der Gugu und hob seinen verknorrten Gabelstock. »Der Stecken ist mir blieben von all meinem Gut, er ist mir blieben auf die Reise. Verflucht ist die Stunde, wo ich auf dich gehört hab, Schreiner!«

»Nackt sind wir wie geschälte Stecken!« heulte der Kirein.

Der Schreiner sagte leise: »Leut, eure Reden schneiden schärfer als eine Sengst.«

»In hochtragendem Mut stehst du, Schreiner«, klagte die Dillerin an, und bist doch ganz allein schuld an unserm Elend.«

Da riss der Diller in roter Wut seine Axt aus dem Gürtel und zückte sie auf den Schreiner. »Du hast uns an den Eisenwald verraten, du hast uns zu Bettelleuten gemacht!«

Schreiend deckte die Lenora den Gatten.

Der sah den Wütenden mit stillem, standmütigem Auge an, er schob sein Weib weg und wich nicht zurück. »Schlag fit her, Nachbar«, sagte er.

Dem Diller sank die Waffe.

Aber der Schreiner fühlte die verzweifelten, irren Gesichter anklagend auf sich gerichtet; er erkannte, wie diese Seelen durch die Hölle geflogen waren und sich die Flügel versengt hatten, und sein Innerstes rang danach, diese Menschen wieder aufzurichten und zu stärken.

Der Gnad trat vor ihn hin, die Stirn gesenkt wie ein müder, verirrter Pilger, der den rechten Weg sucht. »Schreiner, wir sind zagmütig worden, wir fürchten, dass wir da zugrund gehen. Der Tod dengelt gar zu oft die Sengst im Eisenwald. Die Welt ist da verrammelt mit schrecklichem Holzwuchs und Felsen, und die Wölfe sind zur Wacht bestellt. Kinder und Leut sind gestorben an der Wildnis. Der grundkalte Winter wird uns wieder im Schnee vergraben, die Kinder werden wieder hungern und wir werden sie nit atzen können. Und unser Fleiß nutzt nix. Wir bewältigen die Wildnis nit. Hebst du einen Stein aus der Erd, wachst gleich ein zweiter nach, und auf Steinen kann man nit Haber bauen. Jetzt nach dem bittern Jahr ist uns alles zerschlagen und verbrannt worden.

Wo im Weltring könnt es uns härter treffen? Schreiner, lassen wir das Land öd, wie es vormals gewesen ist! Bären und Wölfe und Luchse sollen da allein hausen und reißen. Wir aber gehen aus dem rauen Land. Gott will uns da nit haben.«

Der Schreiner sandte einen weiten, warmen Blick über Bäume und Berge und Himmel, trank mit gewaltiger Brust die kühle Luft des sinkenden Tages und hielt laute Zwiesprache mit der Erde, darauf er stand.

»Du bist nit dem Teufel sein Land, du bist gesegnet mit den heiligen Sternen, die über alle andere Welt leuchten. Wenn sich alle wegkehren von dir, du liebes, unschuldiges Land, bei mir sollst du keine Untreu finden. Sie verstehen deine Rede noch nit, drum will ich für dich reden, und dann sollen sie hinfahren, wo sie sich es schöner verhoffen. Ich aber gehör zu dir, eisernes Land. Zu dir hin ist mein Schweiß geronnen, dir hab ich die Frucht vertraut, du wirst es mir lohnen. –Und ihr, Freunde und Nachbarn, ihr wollt die neue Herdstatt verlassen? Und die Steige, die ihr getreten, sollen wieder vergrasen und verstrüppen? Die wilde Wurzel soll wieder Herr werden und eure rechtschaffene Arbeit zuschanden machen? Graben habt ihr gezogen, dass die faulen Wasser abrinnen; sie werden wieder versulzen. Hutweiden habt ihr aus der Öde gerissen; sie werden wieder verwildern. O wo wären wir, wenn unsere Vorfahrer auch so kleinmütig gewesen wären? Aber die Vorfahrer, die haben einen Kern gehabt, daran gestemmt haben sie sich, und die Welt hat ihnen nachgegeben. Und ist denn das Eisenland gar so schlecht? Der Boden ist gedeihsam, rinnendes Wasser ist überall, Weiden sind reichlich im Wald, dass das Vieh sich nähren kann. Und dem harten Winter sollt man nur mit größerer Fürsorge begegnen, dann wär er nit zu scheuen. Ist er eisern, wir sollten stählern sein! –O Nachbarsleut, bleibt da! Nur einen Winter und einen Sommer bleibt noch! Es gibt eine Hilfe gegen alles Unheil: die Arbeit! Und wenn das Land unter uns noch so hart ist, wir werden es giebig machen; wir werden wie die Wurzel sein, die den Stein durchwachst und ihn zwingt, dass er sie nährt. Die Arbeit vermag alles. Die Arbeit reißt Feuer aus dem toten Stein. –Schaut die Heimat an! Sie wartet auf uns, sie hofft auf uns. Bleiben wir da! Lasst uns die Erde bauen und nit weichen! Dann leben wir nach unserem Herrgott seinem großen Plan, dann sind wir Herrgottsbündner!«

Die erhobene Stimme war schier in Glanz übergegangen. Nach ihr war eine tiefe Stille.

Und das Wort war zur Kraft geworden.

Dunkel war das Tal. Des Arbers Haupt aber leuchtete außerirdisch und feierlich, eine ewige Lampe.

Der Gnad deutete empor. »Gott steht im Licht.«

Da sank den Unbeholfenen, den Mühseligen und Leidbedrückten ein Abglanz jenes erhöhten Lichtes tröstlich in die Seelen. Dämmernd öffnete es sich ihnen, dass es einen tiefen Sinn habe, dass Gott sie ausgestreut über diese Wildnis.

Schauernd schauten sie die Gipfelglut. Wunder lebten, geheimnisvolle Kräfte walteten.

Der Gnad reichte dem Schreiner die Hand. »Du fester Mann!« sagte er zu ihm. Dann kehrte er sich zu den andern. »Gott legt uns in seine Esse und glüht uns aus. Zeigen wir ihm, dass wir lauteres Eisen sind!«

Da stand der Schreiner in getroster Kraft, ernst und stark wie ein von Sturm und Schnee niedergekämpfter Baum, der in nimmermüder Daseinskraft sich Leben und Laub immer wieder ertrotzt.

»Schreiner«, rief der junge Helm stürmisch, »du hast mir wieder ein Herz gemacht. Ich bleib. Gott zum Nutz, dem Teufel zum Trutz!«

Der Bauer lächelte. »Noch ein Waffen soll uns helfen. Der Glaube, dass es einst besser wird, ist eine himmlische Wehr.«

Ein Zauber strahlte von dem ernsten Willen des Führers aus, und die Leute des Eisenwaldes richteten sich auf wie Halme nach dem Regenschauer, sie reckten die zerschrundenen Hände hin, die müden Arme, aus dem Grunde ihrer Herzen schrien sie: »Schreiner, sag uns, was müssen wir tun ?«

Einfach und mit einer Ruhe, die aus der Erde in ihn emporgewachsen schien, sagte er: »Wir müssen wieder von vorn anfangen.«

Und in seinem Wort lebte der Sieg über die Wildnis und die Gewissheit einer neuen, milderen Welt.

*

Jahrzehnte waren verflossen. über das verwüstete Deutschland waren Heere von Pflügen gegangen und hatten es erneut.

Schwerer Sommer umfing das Tal von Eisenstein, die Sonne schüttete weiße Ströme Lichtes nieder. Saftüppiges Wiesengelände grünte, die Felder glänzten wie goldene Tische, es wogte das werdende Brot. Selten nur ragte ein Feldschachen, ein Rest des ungeheuern Waldes, der nun auf die Höhen zurückgewichen war und dunkel und herb hernieder trotzte.

Der Michel Schreiner wallte, den schneeweißen Kopf umgilbt von vollkörnigen Ähren, wie ein einsamer Feldgeist in der Furche eines reifen, sichelnahen Ackers. Er liebkoste die leuchtenden Halme, daraus die blauen Blumen treuherzig äugten. Rebhühner girrten, Wachteln tickten, eine Lerche verkündete sich den Höhen.

»Gott verleiht uns ein gnadenreiches Jahr«, flüsterte der Bauer. Er trat auf den Rain hinaus. Schillernde Schmielen umraschelten seinen Schritt, der Heimat gewölbte Höhen grüßten.

Die Augen, die Wildnis und Gebirg getrunken und die Farben der Felder ein volles, starkes Leben lang, sie lächelten still. »Die Berge sind sich gleich geblieben. Ich bin alt geworden. Menschenleben fliegt.«

Seine Enkelin hüpfte daher, ein helles Maidlein, sie bot ihm die Hand und schloss sich wortlos an. Sie gingen auf verfriedeten Triftgassen gen die Einöd des Hans Gnad.

Der Arber tauchte auf. Immer höher wuchs der Berggewaltige über die nahen Kämme.

Ein Meer von Kraft stürzte aus der Sonne.

Auf dem Markstein saß der Gnad, die geisterblauen Augen auf der Halme fahle Fülle gerichtet, die in Ernteahnung schauderte.

»Auch unsere Zeit kommt, Schreiner«, sagte er.

Der erwiderte: »Wir haben das Unsere vollbracht.«

Der Bergwald schloss einen schirmenden Ring um das gerodete Land, dem sie ihre namenlose Geduld, ihre keuchende Kraft gewidmet. Feldstreifen reihten sich aneinander, getrennt durch strauchige Raine. Sorglich waren die Gründe mit Steinen und Zäunen umhegt wider des Hirsches Huf und des Bären Gelüst. Eine Straße durchschnitt das Tal, davon lösten sich Flurwege, die mit Gattern gesperrt waren und hölzerne Stieglein trugen. Glöckelndes Vieh belebte die Hutweiden. Mit Bollwerk bewehrt, die Blockwände gebräunt von Wetter und Sonne, stattlich, schwalbenumschwebt, ragten die Gehöfte.

Die zwei Greise freuten sich dieses Bildes beschützter Ordnung, und in ihren Seelen spiegelte sich ein wackeres, leidvolles Leben, durchdrungen von tiefster Mühe, umspielt von den stillen, gewaltigen Zeugungsfesten der Ähren, umspannt von der Berge unwandelbaren Formen.

Dort, wo die blumige Wiese wie ein buntes Fell die Erde deckt, hat einst der Sumpf gequalmt, haben dürre Elendsbäume gekümmert. Dort die weit ziehenden, breiten Halden, sie sind Stein für Stein aus dem Grund gerissen worden, die große Bettstatt Samen zu erweitern.

Hier hatten Schöpfung und Mensch sich kämpfend gepaart: die Kraft, die in ewig wechselnder Wirkung das All beherrscht und bewegt, und der Mensch, der darein eigenwillig seine Arbeit webt, sich mit dem großen Walten zu gleichem Ziel vereint oder sich ihm entgegenwirft, ringend und versinkend und dennoch den Sieg weiter reichend dem Sohn und dem Enkel.

»Viel Gras ist dürr worden, seit wir die ersten Bäume im Eisenwald gehackt haben«, sagte der Schreiner. »Mir ist, ich leb schon da seit dem ältesten Tag, wo die Welt worden ist.«

Er gedachte der gewaltigen Menge von Arbeitstagen, die hinter ihm versunken waren, nun fast zum Traumerlebnis verschleiert; deren Wahrzeichen aber waren dies fruchtende Land und die großen Steinhalden, daraus Wildapfelbäume und Schlehdörner sprossen, als sollte kein Fleck hier unfruchtbar liegen.

»Die Steine werden von uns reden«, sprach er, »die Nachfahrer sollen unsere Hände ehren.«

Der Gnad nickte. »Im heiligen Buch steht geschrieben: ›Er wird die Wüste wandeln zu einem Lustland und die Einöde zu einem Garten des Herrn.‹«

In reichen Gesichten erschauten sie, wie sie dieser Erde treu gedient hatten. Sie schauten sich als Saatenschleuderer auf braunem, aufgerissenem Acker, als Mäher in silbertriefenden Tauffeldern, sie schauten Feuer und Tod und vernichtete Saat und mitleidlose Winter und schauten sich mitten in diesem Tanz von Not und Mühsal starkherzig erfüllen, was des Mannes Sendung ist, die Erde zu bilden und zu vollenden aus seinem Wesen heraus.

Jetzt aber segnete er, der Aussaat ist und Ernte zugleich, mit flammenden Händen dieses Land. –

Die Hänge schwangen mit Blumen hernieder ins Tal zu Füßen des Kindes, und es pflückte die blauen und die weißen und baute sich ein Gärtlein aus Halmen und Stein. Und aus dem Spiel empor bat es den Ahnen: »Erzähl mir vom Wildnusser, den der Eisenteufel geritten in den See!«

»Das ist eine ausgesprengte Lüge«, sagte der Schreiner ernst. »Der Wildnusser und der Eisenmann, alle zwei sitzen im Himmel in ewiger Ehre, Gottvater zur Rechten, dem Sohn zur Linken, den Heiligen Geist über sich.«

»So erzähl mir vom Helmriesen, der mit den Bären geackert hat und mit der steinernen Drischel gedroschen!«

»Das kann ich dir berichten, Traute«, hub der Gnad schalkisch an. »Dort droben, wo heut noch die vergessene Monstranz im Baum glänzt, die nur du findest, weil du am Ostertag geboren bist, dort droben ist vor tausend Jahren einmal der Knecht Utz ins Holz gangen, einen Baum hätt er umschneiden sollen. Der laue Kerl aber hat sich ins Moos gelegt und die Vögel pfeifen lassen. Wie es nächtelt, reibt er sich den Schlaf aus dem Gesicht und schreit ins Gestrüpp: ›Helmries, hack mir dein Baum!‹ Da springt der Alte aus dem Felsen heraus, rüttelt den Tannenbaum und hebt ihn samt der Wurz sauber aus dem Grund. ›Hilf mir ihn heimschaffen, starker Helm!‹ verlangt hernach der Knecht. Fragt der Ries: ›Wo willst du den Baum packen, vorn oder hinten?‹ Sagt der Knecht: ›Hinten!‹ Der Ries greift bei der Wurz an, wirft sich den langmächtigen Baum auf die Achsel, dass es kracht, und schreit hinter sich: ›Hast du ihn auch schon aufgelegt?‹ ›Halt ja!‹ lügt der Utz. Und eh er noch ein Ästlein angegriffen hat, trampelt der Ries schon mit dem Baum dahin. ›Hulloh, weht der Wind so?‹ denkt sich der Knecht, und hupf! sitzt er auf dem Wipfel droben, und der Helmries tragt ihn mit und merkt es nit.«

Das Kind ließ vor Staunen das Mäulchen offen. Dann kniete es wieder zu seinem Rosengarten, spielte aber nur mit halber Seele.

»Wo ist der Riese hin?« fragte der Gnad ahnungsvoll. »Tausend und tausend Jahr alt hat der Helm werden wollen, so alt wie ein Berg, um der Arbeit willen. Dort droben hat er in einem Atemzug den ganzen Wald vom Hang geschleudert. Weißt du es noch, Schreiner?«

Ehrfürchtig blickten sie zu jenem Hang empor. Dort reifte die Erdkraft ins Brot, und junge Mäher huben mit dem Schnitt an.

Des vergangenen Riesen Tat lebte noch. –

Der Turm des Dorfes gebar einen späten Stundenschlag. Die Zeit mahnte. Die Sonne rückte tiefer, abendernst ward das Land. Die Bäume standen feierlich, feierlich der Arber, der große Gotteskünder.

»Wir gehen weg. Eine junge Welt nimmt uns die Arbeit aus der Hand«, sagte der Schreiner. »Heut aber steh ich noch da und schau voll Freud um mich und kann behaupten: das Land da hab ich herausgerissen aus Stein und wilder Wurzel.«

Er fühlte in diesem Augenblick wundersam den göttlichen Teil in seinem Wesen, das Glück eines Schöpfers beseligte ihn.

»In tausend Jahren möcht ich wieder nachschauen im Eisenwald«, träumte der Gnad.

Der Schreiner war noch tief in sich selber. »Wir haben das Werk vollendet«, sagte er. »Wer arbeitet, der kann auf einem Stein leben.«

Der blaue Arber ragte gotteinzig. Die Sonne lebte noch: dienend, ein ungeheurer Knecht, in unauslöschlichem Geschenk beugte sie sich über das Land.

Sie umgoldete das Haar des spielenden Dirnleins.

In weite Zukunft wies das Kindweib, werkfreudige, gesunde Geschlechter knüpfend an den alten Stamm, Urmutter tausend neuer Ackersleute.

Die Erde aber harrte in unbeweglicher Treue, unerschöpflich, ewig bereit zu tragen und zu fruchten und zu lohnen Schweiß und Schwiele. Und über der Menschen gewaltigem Reutplatz hing mit eherner, funkelnder Schwinge der Wille.

Der Wille, die Seele der Welt!

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