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Karl Franz Leppa: Hans Watzlik
Eger 1929

(S. 59, zum Roman »Der Alp«)

 

Die engere Heimat hatte den Dichter nicht freigegeben. Kaum dass er sich befreit hatte von dem gewaltigen Eindrucke der Osserlandschaft, dämmerte das südliche Waldgebirge, in treuer Erinnerung geborgen, wie er es als junger Lehrer in Andreasberg durch sechs grüne Jahre in Baum und Fels und mensch nahe hatte. Der im Jahre 1913 geschriebene Roman sollte er kundtun, wie tief einst des junge Dichterauge geblickt hatte und wie viel es herausgeholt hatte aus dem engen Umkreis eines Bergdorfes. Örtliche Überlieferung gab auch diesmal etliche Grundlagen. So hatte Watzlik im Pfarrbuche zu Andreasberg unter anderem den Vermerk gefunden, dass einmal vermummte Bauern nächtlicherweise in den dortigen Pfarrhof eingedrungen waren, um den Pfarrer zu berauben, wobei sie diesen würgten. Bis in die Gegenwart hinein erhielt sich das Gedächtnis jener Gewalttat im Volksspott, dr für die Teilnehmer den Namen »Pfarrerzwanzger« (nach einer damals gültigen Münze) gefunden hatte. Doch nicht nur das Ende des Pfarrers Wenzel Rebhahn, auch sein Wesen ist fast lebensgetreu nach einem Vorbilde gestaltet, wie überhaupt alle Thomasöder und ihre in die Handlung mitverwobenen Nachbarn aus der Landschaft, vor allem die Bettler. In der Oberplaner Gegend haben noch viele ihre Doppelgänger in Watzliks Romandichtung erlebt. Den Vorwurf zum Thomalöder Sintflutschrecken gaben die Dorfleute von Quitosching, einer Ortschaft im Umkreis von Oberplan, die um das Jahr 1848 ebenfalls auf einen nahen Berg gezogen waren, den drohenden Weltuntergng zu überstehen. Und so schlingt sich noch manches Erlebnis in das Gewebe des Romans und füllt sein Geäder mit einer Fülle von Triebkräften. Ein Gedränge von Gestalten, deren jede sich scharf von ihren Mitspielern abhebt, treibt die spannende Handlung vorwärts zu Zusammenbruch, über dem dann die ewigen Sterne aufgehen im alten Glanze, desse ein Teil der Himmelreicher und der Sixtl und andere Ihresgleichen in ihrer Brust haben.

Die Frau des Dichters war ihm für vieles in diesem Werke, das die Eigenart des Volkslebens in innigen und rauen Zügen auf das ureigenst Böhmerwäldische abstimmt, die beste und unfehlbare Beraterin. In seiner neuen Heimat holte sich Watzlik eine überaus reizvolle, die Handlung bereichernde und vertiefende Anregung, als unser zeitgenössischer sudetendeutscher Maler und Radierer Ferdinand Staeger die Neuerner Thomaskirche ausmalte. Die Kirchenmalerei im »Alp« ist vorwiegend den von ihm dort geschaffenenGemälden nachgezeichnet, wenn freilich das Beziehungsreichste vom Dichter ausdrucksvoll ergänzt wurde, so durch die Gestalt des Unkrautsäers, in dem sich die eine Hauptgestalt, der Wulsch, spiegelt: »Eine zackige Waldwand; Feldfurchen, von Zwieicht umflossen, darain wildausgreifenden Schrittes ein hochbeiniger Mann mit krummem Rücken und vorgeneigt, mit harter Bewegung Samen übers Land werfend: der böse Feind war es, der tückisch die unschuldige Furche vergiftet.« Doch die übrigen Bilder zieren edel die Neuerner Kirchenwände, auch das wundersam wirkende Sinnbild der zwei zur Schöpfungstat aus Wolken gereckten Hände; der flüchtige Wildhase, versinnbildend die von ihrer Schuld gepeitschte Menschheit; »dann mit dem Auge eines verzauberten Menschen das Einhorn, das Zeichen des von der Jungfrau Geborenen; der bärtige Hirsch, der nach dem Brunnen schrit wie die Seele nach Gott; und das Schiff der Kirche, wogenankämpfend, wogenbesiegend«. Der Maler Bannholzer dafür ist ein Stück Seele seines eigenen Dichters, der mit seinem Munde träumt: »Warum lebe ich nicht als Baum? Warum bin ich gepfercht in die enge, weichliche Stadt, indes der Baum hier alle Süße des Lenzes, alle Schauer der Nacht, alle Liebkosungen reinster Lüfte empfängt? (…)

Der Freudengesang des Künstlers auf dieses sein Land ballt sich dann zusammen, als er davon spricht, wie sich Bannholzers Seele auf einsamen Wegen zu Gott findet.

Dazwischen drängt aber die Haupthandlung des Werkes in breiten Würfen vor: Der Wahn der sterbende Ausgedingerin, die eine Sintflut trämend geschaut hat, legt sich auf die Leute von Thomasöd wie ein Alp. Wie ein schwarzes Wolkenschiff nähert sich der Tag. Und nun ergreift der Wahn Mann und Weib und spiegelt sich vielfältig. Die Erwartung des Schrecknisses, das ein auftauchender Schreckstern mit blutigem Scheine verkündet, treibt den finsterabergläubischen und glaubenseifernden Rab bis zum Morde, die Seele zutiefst von dem Schrecken verstört, seiner Tochter uneheliches Kind wäre der Antichrist; den verdorbene, verlorenen Sohn des Pfarrers stößt es zuletzt in die Gosse; dabei aber spielt das nahende Schrecknis auch in dem derbfröhlichen Gehaben des Tischlers Kleo, der sich eine Arche baut und Hochzeit macht, im weltseligen und sternfreudigen Himmelreicher, dessen Siedlung die höchste auf dem Wolfsruck ist, und der, als er dann durch sein Glas den gesträubten Schweif des Notsterns überm Schöniger erblickt hat, ziellos durch die Räume seiner »Himmelreiches« streicht, sein Vieh streichelt und zu jedem Dinge spricht: »Ich gehe von euch, und das tut mir leid …«; und wieder sit es der Himmelreicher, dessen Stimme über die bangen Menschen hinruft – »und sie zitterte vor tiefster Freude und klang ihm selber wundervoll und fremd« – die alpverscheuchenden Worte ruft: »Die Sterne kommen!« Und damit das Jauchzen löst in der Menschheit von Thomasöd, vor allem in dem erbarmenswürdigen Schemler, der voreh noch geklagt hatte: »Den ganzen Tag bin ich bergauf gekrochen. O nur nit sterben!« – und der nun auf allen Vieren talniederkriecht, »das Gesicht sternwärts gekehrt, bald Halleluja jodelnd, bald Hollahillaho.« Und wenn auch die Erde, die ihnen wieder geschenkt ist, ein Leben wie das des verworfenen Wulsch nicht mehr erträgt, über der entsühnten, entbüdetetn Menschheit darf als Ausklang des Buches ein Psalm auf das ewige Leben von Dichter angestimmt werden, der in ehrfürchtigem Schauer unter dem Atem Gottes steht.

Mit Sage und Märe und mit allen Fibern ihrer Mensch ist die Landschaft des deutschen Südwaldes in diese Dichtung eingedrungen wie üppiges Wachstum in die warme Scholle der Erde seines Wurzellandes, seine Wuldalandes, wie es der Dichter ruft und hier uns gestaltet hat. –

Zu Beginn des Jahres 1923 wurde ihm der Vorschlag gemacht, diesen Roman verfilmen zu lassen. Mit wenig Freude stand er dem Plane gegenüber, was die Ursache war, dass ein gerade für den Böhmerwald nicht verächtliches Werbemittel ungeschaffen blieb. Leider ging der Dichter damals auch auf andere Anträge der Filmgesellschaften nicht näher ein.

»Der Alp« erschien zu Ostern 1914, nicht minder rühmend begrüßt als des Dichters Erstlingswerk. –

 


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