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Der Sommer hing im dunklen Laub, und der Wind flog lustig, da wanderte ein Spielmann übers Gebirge, um im jenseitigen Land die Leute mit seien behänden, frischen Tänzen zu erfreuen und wohlverrichteter Dinge und mit praller Geldkatze wieder heimzukehren zu Basen und Gevattern. Er trug ein Wildfarnkränzelin um den Hut, sein Bart war gelb und sein Blut noch jung, und so griff er hurtig aus und ohne jede Bekümmernis.
Er ging diesen Weg zum ersten Mal und dachte, es könne gar nicht lange währen, so müsse die Höhe überwunden sein und er wieder zu Mühlen und Schmieden gelangen, deren Räder von Wassern bewegt werden, die nach einem anderen Meer begehrten. Doch obschon er mitten in der Nacht unter glühenden Sternen aufgebrochen und rüstig ausgeschritten war und manchen Meilenstein hinter sich gelassen hatte, kam er dennoch zu keiner von Menschen bewohnten Stätte, und der Wald schloss sich immer tiefer und gewaltiger um ihn, bis ihm schließlich war, er könne von hier aus niemals wieder in die Welt zurückkehren, so unbetreten und vergessen und ziellos lief der grasige Pfad vor ihm her, und so verworren und schmerzlich einsam war die Wildnis um ihn.
Der junge Spielmann hatte zeitlebens unter lachendem Volk geweilt, hatte auf Märkten und an Brunnen gefiedelt und die Menge zum Tanz verführt oder im Burgsaal feine Frauen und jagdmüde Männer lauschen gemacht und hatte gemeint, so müsse es immerdar bleiben. Und jetzt war er auf einmal auf dem Waldsteig so ganz allein mit sich selber und so ausschließlich der eigenen Seele überlassen wie alle seine Tage nicht.
Der schwere Duft des Harzes betäubte ihn fast, und seine Augen spähten durch das dämmernde Goldgrün dieser Verlassenheit, und er hörte ihre Stimmen rätselhaft gegeneinander blühen zu einem fremden, wilden Strauß. Feierlich schwangen über ihm die Wipfel und huben an zu klingen und trugen dieses Klingen fernhin, bis es sich verschüchterte und allmählich dem überall lauernden, gespenstischen Schweigen anheimfiel, um dann heimlich wieder zu beginnen. Zwischen feuchtmoosigen Felsen spann ein Wasser an einer ernsten, eintönig großen Weise, und sie war so klagevoll und wiederum so gleichmäßig unbewegt, weil sie schon viele tausend Jahre alt war und nie aufgehört hatte. Zarte, fast durchscheinende Fischlein schwebten still in der klaren, klagenden Ache, und um ihren sprühenden Niederfall flatterten die Vögel und badeten in den Regenbogen, die hier, von den scheuen Strahlen der Sonne entzündet, einander überbrückten. Und wenn dann die Waldvögel ihre Brüstlein wonnesam gekühlt hatten, ruhten sie in dem knorrigen Düster der verschollenen Eichen und Tannen und warfen entzückende Noten und Triller in das sanfte, unablässige Weben der Wasser und Wipfel. Und ein Geschöpf um das andere wurde von diesem Getön ergriffen und tönte mit, und es war, nun müssten auch die grauen Felsen beredet werden und verbranntes Geläut sich regen in den Gründen der Erde.
Der Geiger staunte über die sonderbaren, nie gehörten Stimmen dieser Einöde, die alle so bezwinglich auf ihn einredeten, bis ihm davor leise graute. Die Raben begannen zu schreien, als ob sie drohten. Und ihm war, es müsse ihm ein böses Wunder geschehen oder unbekanntes, fabelhaftes Getier und Gewürm ihn gefährden. Um sich das erbangte Herz vor den geheimnisvollen, unsichtbaren Mächten rings zu retten, geigte er ein kindhaft klares Tanzlied vor sich hin und ließ dazu den Bogen lustig hüpfen, und das scholl so weltfröhlich und hell, dass all die fremden Stimmen rings zurückgedrängt wurden und hinter die grüngoldenen Wände vertauchten.
Kaum dass er die ersten Takte gespielt hatte, drang aus dem Haseldickicht ein kleinwinziges Mägdlein, das hatte weiße, zarte Füße und holdes, ungebundenes Haar und trug ein grelles Kittlein und auf dem Kopf ein Körblein voll roter Beeren und stützte es mit dem schmalen Arm. Dreist trat sie an den Fiedler heran und fragte, ob sie zu seinem Spiel tanzen dürfe, sie wolle es sich schon etwas kosten lassen. Der Geiger freute sich, dass ihm wiederum ein menschlich Wesen nahe war, und er lächelte und nickte und sagte, je mehr sie ihn lohne, je schneller wolle er ihr geigen. Da hob sie ein weißes Steinleinn vom Weg auf und bot es ihm dar. Hernach stellte sie den Korb weg, nahm ein Zipfelchen ihres roten Kittels in die klugen, zierlichen Finger und begann unbefangen und anmutig zu hüpfen und sich wie ein Rädlein zu drehen. Ihr Gesichtlein spiegelte Entzücken, an ihrem Mund haftete ein selbstvergessenes Lächeln, und sie beugte sich, wenn sich die Weise neigte, und sie wiegte sich lieblichstill, wenn das Lied sich sänftigte. Wie ein unbeschreiblich nahes Gleichnis begleitete der Leib des Kindes alle Launen der singenden Geige, so dass es den Spielmann deuchte, die kleine Tänzerin sei ganz unwirklich und nur ein geträumtes Spiegelbild seiner Kunst.
Die Trauer, die ihn ob solcher Gedanken heimlich anschattete, teilte sich dem singenden Holz in seinen Händen mit, und es hub sehnsüchtig zu klagen an, als schlage eine gefangene Nachtigall im Dunkel des Geigenleibes oder als blühe drin eine Seele auf in ringender Ahnung ihrer wundervollen Tiefen, und plötzlich gewahrte der Spielmann, dass das Mädchen unter der Kraft seiner schwellenden Kunst zu wachsen begann, ihre Glieder wurden reif, ihre Augen brennender, ihr Mund voller und weicher, und sie wiegt den schönen jungfräulichen Leib in schwebender Seligkeit. Und die beiden, Spielmann und Tänzerin, trafen einander mit dem süßen und furchtbaren Blick, darin die ungeborenen Geschlechter dämmern. Und es sie so zauberhaft schön vor ihm stand, dass der Wald von ihr schimmerte und er die Geige von sich schleudern und nach dem strahlenden, lockenden Geschöpf greifen wollte, winkte sie freundlich und neigte grüßend das feine Haupt und floh. Die Stauden und Dörner der Wildnis verhüllten sie bald seinem Auge.
Als dieser liebliche Spuk vorüber war, lehnte sich der Geiger an einen Felsen und spielte weiter. Er fühlte, die holde Tanzweise war noch lange nicht zu Ende und sie begehrte von ihm, er solle sie erlösen aus dem Weltall, darin sie seit Urtagen schlafend und harrend geruht hatte, und er weckte sie, und sie wurde immer fremder und stolzer und ernster, bis er wusste, dass dies gar nicht mehr seine eigene Kunst war, sondern dass etwas Überirdisches an den Saiten rührte und ein Klingen entfesselte, das nichts mehr gemein hatte mit den einfältigen Tänzen des gestrigen Tages.
Wie heißer Zwang lag die neue Weise über dem Geiger und ließ ihn nicht frei. Sie stieg wie Feuer aus einem Abgrund, sie füllte ihm Seele und Blut, selbstherrlich lenkte sie ihn mit unerklärlicher Gewalt, und er war ihr dienstbar. Sie umringte ihn und trennte ihn ab von der Schöpfung um ihn, und er bannte sich selber immer mehr in die Musik hinein und merkte nicht, wie die Sonne von Wipfel zu Wipfel glitt und die zarten Wolken droben verwanderten und die Vögel ausflogen und wieder heimkehrten, und er vergaß des rastlosen Waldstromes und des einladenden Mooses am Stein und der Blumen, die freundlich zu ihm aufschauten und seinen Widerblick ersehnten. Und er vergaß der Erde zu seinen Füßen und des Weges, der ihn hätte in Menschenland leiten sollen. Immer mächtiger erfüllte sein Spiel die Wildnis. Und er schloss lange, lange die Augen.
Indes aber vergühte die Sonne, der Tag wich ab, Dämmerung rauchte durch den Wald, und die Sterne erhoben sich und lauschten. Und wie die Nacht erhaben ihn umfing, empfand er schaudernd, dass sein Spiel zum großen, furchtbaren Element gewachsen war, dass es das Brausen des Waldstromes und die Regung der Wipfel war und der Gang der Gestirne, das pochende Blut der Menschheit und aller Kampf unterirdisch gefesselter Geister und das Licht und die wehe Finsternis. Ein Sinnbild des Unsagbaren war es und im Grenzenlosen daheim und konnte nimmer niedersteigen zur Erde.
Und wie er unter dem schweren Zauber des Spieles fragend ermaß, was nun Schöneres, Wilderes, Größeres noch kommen müsse, scholl störend ein Tritt heran, und wie er verwundert sein Haupt hob, -- denn er hatte längst der Menschen vergessen, -- da hinkte ein altes, hässliches Mütterlein daher, eine Laterne in der verdorrten Hand, leuchtete den Mann an und kreischte: »An demselben Ort da hat mir einmal ein Spielmann gegeigt. Der hat wie du ein Farnkränzel am Hut getragen. Aber seither sind wohl schon hundert Jahre vergangen.« Kichernd tappte die Unholdin den finsteren Weg weiter.
Der Geiger erwachte. Ihn fröstelte. Unsäglich müde sank ihm die Hand. Die Fiedel entglitt ihm.
Er schaute auf. Die steilen Tannen waren noch einmal so hoch gewachsen. Die Sternbilder schienen sich verändert zu haben. Grauenvoll brauste der Wasserfall. Ein Baum ächzte im Dunkel, als schmerze ihn sein Leben.
Da schrie der Spielmann auf, ließ sein Antlitz in die uralten Hände sinken und erkannte sein Schicksal.