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Die Infantin Johanna wurde geboren beim Sterbensgeschrei von mehr als hundert Ketzern, die in derselben Stunde den Feuertod erlitten und unter demselben Fenster, hinter dem die Königin Isabella in Wehen lag.
Des Kindes Haut zeigte eine bernsteingelbe Farbe, und seine Augen waren groß, tief, still und düster. Außerdem hatte es unter der Brust ein Mal in Form eines liegenden Kreuzes, von sonderbaren helleren Linien umgeben, die züngelnden Flammen glichen. Am Hof entstand später das Gerücht, daß die Infantin den Anblick des Feuers nicht ertragen könne.
Nicht wie andere Kinder hatte sie Freude an Spiel und Tand, und bei festlichen Gelegenheiten verbarg sie sich und suchte die Einsamkeit. Sie lernte spät sprechen und galt bei allen, die sich auf den menschlichen Geist verstehen, alsbald für blöde. Ihren Eltern brachte sie wenig Liebe entgegen, auch sah man sie niemals mit wahrer Inbrunst beten, doch immer, wenn die Nacht kam, wurde sie noch scheuer als sonst, und im Schlaf schrie sie wie ein Teufel aus peinigenden Träumen auf.
Der König, dem das Kind ein ängstlicher und trübsinniger Anblick war, suchte sie mehr und mehr aus seinen Augen zu entfernen, und als sie elf Jahre zählte, schickte er sie ins Kloster Santa Maria de las Huelgas bei Burgos; sein Entschluß hiezu wurde durch den Vorfall mit dem englischen Windspiel bekräftigt.
Johanna besaß nämlich ein englisches Windspiel von edler Rasse; sie hing mit großer Liebe an dem Tier, es mußte des Nachts neben ihrem Bette schlafen, sie gab ihm selbst zu fressen und führte es selbst in die Gärten. Das Tier war auch seinerseits der jungen Herrin treu ergeben. Eines Nachts geschah es, daß sich Johanna aus dem Schlaf erhob; es war ein Gewitter, und in dunkler Furcht schritt sie zum Fenster. Das Windspiel aber, mochte es nun durch Donner und Blitz erschreckt und erregt sein oder ein Traum seinen Instinkt getrübt haben, knurrte plötzlich und biß Johanna ins Bein. Die Wunde war ungefährlich, doch Johanna, obwohl sie das Tier noch ebenso zärtlich liebte, hatte beschlossen, es müsse sterben, und nichts konnte sie von ihrem Vorsatz abbringen. Sie wußte sich ein Dolchmesser zu verschaffen, lockte den Hund in einen abgelegenen Teil des Gartens und schnitt ihm dort, während er zu ihren Füßen lag, ruhig und schnell die Kehle durch.
Diese Tat wurde bekannt und erzeugte teils Verwunderung, teils mehrte sie das stille Grauen vor der Infantin. Sie hatte auch eine Art, Menschen anzublicken, daß die Betreffenden am liebsten Reißaus genommen hätten, sich jedenfalls aber heimlich bekreuzten.
Das traurige Land um Burgos, seine kahlen Hügel, die nur, wenn die Sonne unterging, in einem Bad aus Purpur wie ungeheure Rubine funkelten; die düstere Stadt mit ihren krummen Gassen, den hohen getürmten Häusern, den alten Palästen mit halbverfallenen Schwibbogen, vergitterten Torwegen und kleinen Fenstern; dazu die Abgeschiedenheit des Klosters selbst, dies alles war dazu angetan, Schleier auf Schleier um das Gemüt der Infantin zu weben. Nur ihre Augen strahlten aus der Dämmerung der Seele wie der Widerschein zweier Sterne aus dem Wasser eines tiefen Brunnens.
Als sie an den Hof zurückkehrte, hieß es, daß sie sich auf die magischen Künste verstehe. Einige sagten offen, daß sie mit Spiegeldeutern, Menschenmachern und Rosenkreuzern zu tun habe, daß sie aus kochendem Wasser weissagen könne und daß sie von einem dänischen Schwarzkünstler gelernt habe, Mumien wieder zu beleben. Sicherlich verstand sie sich auf den Ringgang der Planeten um die Sonne, und eines Tages erzählte der Greffier, der es wiederum vom Turmwart wußte, daß sie oft um Mitternacht regungslos auf dem Balkon liege und in den gestirnten Himmel blicke. Auch befanden sich in ihrem Schlafgemach ein Astrolabium und die Marmormaske eines hellenischen Gottes.
Um diese Zeit zog einmal der Hof nach Toledo, wo in der Karwoche eine Reihe von Ketzergerichten abgehalten wurde. Vom Schaugerüst aus erblickte Johanna ein schwangeres Weib am Pfahl. Durch die Heftigkeit der Flammen sprang das Kind aus der Mutter Leibe, doch nach einer kurzen Beratung der Priester schleuderte man es als eine Ketzerbrut wieder ins Feuer. Niemals vergaß Johanna den tierisch-jammervollen Schrei der Mutter. Ihr in eine weite Ferne, gleichsam auf ein fernes Licht gerichteter Blick suchte nach einem Pfad zu diesem Licht; die Erwartung besiegte die Erfahrung.
Kaum hatte sie das siebzehnte Lebensjahr vollendet, als sich von vielen Ländern und Thronen her Bewerber um ihre Hand meldeten, denn diese Hand verfügte über die Reiche Castilien und Aragon, welche ihr elterliches Erbe bildeten. Was den König betrifft, so hatte er nur einen ins Auge gefaßt: Philipp von Österreich, des römischen Kaisers Sohn. Aber der Kaiser war anfangs nicht zum höchsten von dem Plan erbaut, seinen einzigen Sohn der Spanierin zu vermählen. Es war eine Hatz von Intrigen, und wurde in der Sache endlos viel Papier verschrieben, und Boten reisten hin und her zwischen dem Connetable und dem Hofmarschall. Viele Stimmen erhoben sich dawider, der Prinz selber verhielt sich schwankend; da hatte einer unter den Spaniern den Einfall, die Schönheit der Infantin durch eine poetische Floskel zu beleuchten, und er schrieb über sie an den Hof zu Wien: Johannas Haut sei so fein, daß man den roten Wein, den sie trinke, ihr durch den Hals gleiten sehen könne. Die Metapher wurde von den einen belächelt, von den andern für bare Münze genommen, doch wurde Philipp neugierig nach einem solchen Weibe.
Endlich waren die Verträge feierlich besiegelt und beschworen, und mit einem großen Gefolge von edlen Herren, worunter sich auch sein Spezial, der Pfalzgraf Friedrich, befand, zog der achtzehnjährige Philipp über Savoyen und Südfrankreich nach dem ehrwürdigen Burgos, wo er zu Beginn des Herbstes ankam. Er trug beim Einzug ein weißes Kleid von offner weißer Seide und ritt auf einem weißen Pferd. In der engen Straße beim Tor stolperte das Pferd und fiel auf die Knie; darin sahen viele ein Ereignis von übler Vorbedeutung.
Beim ersten Anblick ihres zukünftigen Gemahls blieb Johanna, alles Zeremoniell vergessend, bleich und kühl wie ein steinernes Bild inmitten ihrer Frauen stehen. Sie rührte sich nicht, bis Madame de la Marche sich ihr näherte und mit einer dringlich zugeflüsterten Mahnung der erschreckenden Starrheit ein Ende machte. Gegen den befremdeten Prinzen wurde die Ausrede erfunden, die Infantin habe den Tag über in einem finstern Gemach in Gebetsandacht verweilt und sei durch den reichen Kerzen- und Fackelschein geblendet gewesen; außerdem habe die Schönheit Don Philipps sie gewiß der Sprache und des Ausdrucks schuldiger Höflichkeit beraubt.
Philipp, nicht gewohnt, in den Mienen anderer Menschen zu lesen, legte dem Vorfall keine Wichtigkeit bei, auch nahmen die Vergnügungen einer ununterbrochenen Geselligkeit seine Gedanken völlig ein. Am Tag vor der Hochzeit ward er unter einem köstlichen Baldachin durch sieben Triumphbögen in die Kathedrale geleitet und verrichtete dort seine Andacht. Es war schon in der dritten Stunde der Nacht, als er mit der Infantin im geschmückten Saal des Schlosses zusammenkam, darnach folgte der päpstliche Legat, der sie ehelich verband, und der Erzbischof von Toledo hielt die Messe. Als sie ihre Sünden gebeichtet, so erzählt ein namenloser Chronist, haben sie das hochwürdige Sakrament empfangen und nach dem Segen des Kardinals heilig und christlich Hochzeit gehalten.
Aber als die Nacht verstrichen war, sah man den Herzog bleich und wild aus dem Gemach stürzen, während die Infantin von ihren Frauen ohnmächtig aufgefunden wurde. Es hieß alsbald, doch nur im geheimen wurden solche Stimmen laut, daß Johanna sich der Hingabe an ihren Gatten weigere.
Das Gebot der Kirche drang nicht in Johannas Seele; das priesterliche Wort war ihr nicht viel mehr als eine auf die Mauer gemalte Formel. Ihr Körper lebte, er wurde befehligt vom Blut, und das Blut ward entzündet von der Sehnsucht. Der in die weite Ferne gerichtete Blick war des Pfades noch ungewiß, welcher zum Licht führte.
Unter dem Meeresspiegel, unberührt von Stürmen, für Menschen nicht erreichbar, wächst ein Zauberkraut, das den Tod besiegt. So wuchs in Johannas einsamem Gemüt ein Bild von Liebe: eine Blume, die den Tod besiegt. Sie konnte nicht geraubt werden, sie konnte nur langsam bis an die Oberfläche des Lebens wachsen. Völlig vom Zweck entblößt, in Erwartung und Zuversicht so gesammelt, daß es wie Himmelsflammen Geist und Leib durchdrang, der Vision unterworfen, von der Speise des Traums genährt, Wort, Wunsch und Hoffnung musikalisch füllend, so empfand sie Liebe.
Schnell wird Tugend zum Wahn und Wahn zur Krankheit; und wieder ist das Edelste an den Geschöpfen nicht ohne einen Hauch von Krankheit. In einem aragonischen Tal gab es ein Weib, die seit Jahr und Tag auf einem Stein saß, um den Heiland zu erwarten, und die weinend das Gesicht verbarg, wenn einer vorbeiging, der eben nur Mensch war. Dieser war es bestimmt, ihr Herz an ein Etwas zu binden, was nicht aus Erde gemacht ist, und sie webte hin in geheimnisvoller Glut.
Johannas Unschuld hatte sich bewahrt beim Anblick der tückischen Leidenschaften, die ihr Vaterland mit Blut düngten. Sie hatte sich im Frost der Lieblosigkeit wie ein winterliches Kleid um das Herz geschmiegt. Johanna hatte vieles gesehen, was den Schlummer ihrer Jugend zerrissen hatte, und es war Zwang von außen, der ihr das Schicksal an den Lauf der Sterne zu knüpfen befahl. Auch war es eine Zeit, vor der der Nachdenkliche in Bangnis geraten konnte: der Ozean gebar neue Länder, Ost und West gaben unerhörte Mysterien preis, das Wort Christi starb hin, als wäre es nie gewesen, über das Firmament schauerte wie ein Fieber der Gedanke der Unendlichkeit.
Sie träumte von einem Antlitz, das im Schmerz die Züge großer Liebe annahm, wie der glühende Stahl sich unter dem Hammer biegt; von einem Auge, nicht getrübt, sondern verklärt durch das Verlangen; von einer Gebärde, vertrauenswürdiger als Eide; von einem Laut aus dem innersten Innern des Herzens; von einer Gewalt, die sie ergriff und trug, Niedriges zerstampfte, Häßliches unsichtbar machte. Ihre Sinne waren geschärft für Blick, Gebärde, Laut; für den Schmerz, den die Gelegenheit erzeugt, und für den, der das Dasein verdunkelt; für die aus Qual und Lust geborenen Versprechungen, welche die Züge der Redlichkeit heucheln, und für diejenigen, die von Gott selbst geheiligt werden und wie ewige Säulen den Bau der Seele tragen.
Oft war ihr, als risse sie eine ungeheure Faust vom Boden empor und hielte sie so zwischen Himmel und Erde, daß sie nicht fallen konnte, jedoch fortwährend zu fallen fürchten mußte. Sie schien hoch über allen zu schweben und verging vor Angst, tief unter alle hinabzufallen: Es kam vor, daß sie nächtelang auf den Knien lag und für Philipp betete; aber nicht wie das Weib für den Gatten betet; Philipp stand schattenblaß vor ihrem innern Auge, fast wie ein Gespenst, noch ohne feste Gestalt, wie etwas aus weiten Fernen, was auf einer schwanken Brücke ging oder auf lautlosem Wasser glitt. Sie wünschte, daß Philipp kommen, daß er werden, daß er leben möge.
Sie hatte so viel Finsternis in sich, daß ihr die Nacht bisweilen wie ein leuchtender Nebel erschien. Dann schoben sich alle Dinge auf einfachste Linien zusammen, alles wurde Gesicht, Steine atmeten, tote Räume redeten. Wie unfaßlich und überwältigend war es dann, auf dieses Wesen zu warten, das da wurde, aus dem Wirrsal der Kreaturen emporstieg, zugleich kristall- und pflanzenhaft. Sie selbst spürte sich wie eine Blume, ihr Menschenleib löste sich ab, und sie schaute in ihr eigenes Antlitz, das welk und schlafend schien.
Es liegt den geringen Naturen nahe, daß sie, an das Los einer größeren gekettet, nicht an Schicksalsvollzug glauben wollen, sondern die Flucht ergreifen und zu den niedrigen Neigungen eilen, die ihnen die Herrschaft in ihrem Eigenkreise sichern.
So auch Philipp. Den Spott seiner Leute fürchtend, bemühte er sich, der alte zu sein, sich selbst zu überbieten, und gab acht, daß die Sache, die insgeheim seine Ehre benagte, nicht durch die Mäuler geschleift werde. Wurde nach und nach seine Hoffnung geringer, die Infantin zur Vernunft zu bringen, so verbarg er doch so gut als möglich die wachsende Ungeduld. Er dachte an Gewalt; dies hatte gute Weile, es brachte zuviel Lärm mit sich, außerdem durfte er die Meinung des Volkes nicht mißachten, dem er noch ein Fremdling war.
Zuviel Kopfzerbrechen. Diesem Jüngling war es nicht gegeben, am Menschen Schwierigkeiten zu entdecken. Er suchte Zerstreuungen und trieb es unverhohlen mit der hübschen Anna Sterel, der Gattin eines schwäbischen Edelmannes. Seine Phantasie malte ihm das Bild einer eifersüchtigen Infantin, die sich so, schlau erdacht, in den eignen Stricken fing. Nächtlicherweise ging er mit dem Freund, dem Pfalzgrafen Friedrich, auf Abenteuer. Sie verkleideten sich und trieben allerhand Unfug.
Der Pfalzgraf war ein Held, eine Leuchte des Rittertums, deutscher Herr, aber ganz nach dem neuen spanischen Schnitt, voller Galanterien, voller Schulden. Er war auch musikalisch und schlug den Herrn von Moncada, der behauptet hatte, die Musik mache weibisch, beim Turnier so darnieder, daß er taub wurde. Als Reiter hatte er nicht seinesgleichen; es war sprichwörtlich zu sagen: Er reitet wie der Pfalzgraf. Dieser Bramarbas brach in ein höllisches Gelächter aus, als ihm Herr Hughes von Melun, der die Kunde von Frau von Molembais besaß, vorsichtig zuflüsterte, wie es um Philipp und Johanna stand. Er rasselte von Kopf bis zu den Füßen, er rasselte mit Kette, Schwert und Augen, als er erwiderte: »Gemach, gemach! Der Herzog wird wohl wissen, wie man ein störrisches Frauenzimmer traktiert. Es ist nicht lange her, daß der muntere Philipp zu jedem Nachtessen ein warmes Weiberherz verspeist hat.«
Nun mußte der Pfalzgraf im Frühjahr nach Deutschland zurückkehren. Philipp war traurig wie einer, der beim Wein sitzt und dem plötzlich der Wind Becher und Flasche davonträgt. Er verlor die Sicherheit und begann mißtrauisch und mit verhaltener Wut auf das Wispern zu horchen, in dem sich Herren und Diener gefielen, wenn er vorüberging.
Das Gerede war nicht mehr zu dämmen. Ein Hoffräulein hatte das Geheimnis dem Granvella anvertraut, der hinterbrachte es dem König nach Madrid. Der König war außer sich und schickte seinen Kanzler zu Philipp, die Königin ihre erste Dame zu Johanna. Scheidung und Kerker wurden der Infantin in Aussicht gestellt; wo heilige Satzungen verletzt würden, dürfe der König das eigene Geschlecht nicht schonen. Im August mußte Don Philipp nach Italien ziehen, und der König befahl der Infantin, sich nach Medina del Campo zu begeben. Sie wurde dort gleich einer Gefangenen gehalten, ein fanatischer Dominikaner, durch ihre Ruhe getäuscht, glaubte mit wilden Predigten ihr Gewissen schrecken zu sollen und krächzte ihr wie ein böser Rabe dreimal täglich das Register der höllischen Strafen vor.
Nach seiner Heimkehr ließ Philipp die Infantin zu sich kommen und versprach ihr aus freien Stücken, sie vor allen Verfolgungen zu schützen. Einige meinten, Furcht vor ihren Zauberkünsten hätte ihn dazu bewogen. Andere sagten, ihre Schönheit habe plötzlich seine Begierde erregt, und aus List habe er sie bestimmt, sich vorerst zum Schein zu fügen.
Indes brachten giftige Zungen sein Blut in Aufruhr, und ihn wurmte der düstere Spott in allen Gesichtern. Dem versteckten Spaniertum war seine aufrichtige Jugend nicht gewachsen. Wie eitel ihre Blicke, wie verräterisch ihr Händedruck, und der Ton ihrer Rede so süß, daß man Honig auf der Zunge zu spüren glaubte. Eingesponnen von wirbelnd-schwüler Luft, des öfteren schlaflos liegend, von Gier und Groll gewürgt, ließ sich Philipp von seinem ungelenkten Trieb zu einer Handlung niederträchtiger Art hinreißen. Er verabredete sich mit den beiden Kämmerlingen, Herrn von Fyennes und Herrn Florys von Ysselstein. An einem Abend drangen sie zu später Stunde durch einen geheimen Gang und, indem sie eine verschlossene Tür erbrachen, in das Schlafgemach Johannas. Mit dem gezückten Schwert stellte sich der Herzog vor das Bett und forderte die Infantin auf, sein rechtmäßig leibliches Weib zu werden; sträube sie sich aber, so müsse sie den Tod erleiden.
Die schöngeflächten Wangen von fahlem Glanz übergossen, richtete sich die Infantin auf und bedeutete den beiden Edelleuten, das Zimmer zu verlassen. Diese dachten nicht anders, als ihrem Herrn geschehe der Willen, und gehorchten. Darauf entkleidete sich Johanna, band ein schwarzes Tuch über die Augen und sagte: »So könnt Ihr mich nehmen, sehend nicht, so könnt Ihr Euren Wunsch befriedigen und zugleich Eure Drohung wahr machen. Gott sei mir gnädig.«
Philipp, eben noch toll und heiß, stand eine Weile nachdenklich. Dann fing er an zu zittern, und zitternd, mit scheu gesenkten Blicken, verließ er den Raum. Von Stund an war er verwandelt. Im Palast verbreiteten sich Sorge und Befremden. Nur für Johanna begann sich sein Körper langsam aus dem Chaos der Ungestalten zu lösen.
Anfangs lag er noch der Jagd und dem Ballspiel ob, erschien auch noch regelmäßig bei der Tafel. Dann schloß er sich ab. Seine Hautfarbe ward grau, sein Auge trüb und krank, sein Gang gebückt. Don Diego Gotor, der Leibarzt, sagte, daß ein Fieber in seinen Knochen wühle. Es schien, als wäre er nicht mehr imstande, ein vernünftiges Gespräch zu führen; jede Aufmunterung nahm er ohne Anteil hin.
Er gab die notwendigen Befehle schriftlich und sprach nur mit Donna Gregoria, Johannas einziger Vertrauten, die täglich zu ihm kam.
Es ist Zauberei, sagten die Hofleute. Wenn Diego Gotor aus dem Zimmer des Herzogs trat, umringten sie ihn neugierig. Das Greisengesicht Don Diegos, das durch ein dauerndes Wechselspiel von tausend Falten und Fältchen Ähnlichkeit mit einem stürmischen Wolkenhimmel hatte, war traurig und ratlos. In einem Leben von siebzig Jahren hatte Diego Gotor das Gemüt der Menschen mit derselben Begierde erforscht, mit welcher der unscheinbare Wurm das Innere der Erde durchhöhlt.
Er sagte: »Im Morgenland erfuhr ich, daß Jünglinge, denen der Gegenstand ihrer Liebe sich entzog, in ein Leiden verfielen gleich dem unseres Herzogs. Ein solcher Mensch lag wie im Starrkrampf da, schwebte zwischen Schlaf und Tod, und sein Geist hatte nicht mehr die Kraft, den Körper zu regieren. Konnte sein Begehren nicht gestillt werden, so siechte er allmählich hin und mußte sterben, oder es brauchte viele Jahre und dauernde Entfernung von der geliebten Person, bis er wieder unter Menschen wandeln konnte, der Freude freilich beraubt. So geschieht es, wie gesagt, im Morgenland, wo das Blut von dicker und schwarzer Beschaffenheit ist. Doch versicherte mich ein gelehrter Mann, daß, wie der Blitz nur in die höchsten Bäume schlägt, bloß Auserwählte von solchem Unheil betroffen werden können und daß gemeine Fleischeslust damit nicht mehr verwandt ist als das Küchenfeuer mit dem Blitz.«
Die Ritter fluchten der Infantin. Wie kann Johanna einem Jammer ruhig zusehen, dessen Ursache sie selber ist, ließen sie sich vernehmen; wie erträgt sie es vor ihrem Gewissen, den herrlichen Mann so sich verzehren zu lassen, als wäre sie stumm, taub, blind und lahm.
Bald fing Philipp an, Trank und Speise von sich zu weisen, versagte sich dem Gebet, und sonst heilsame Mixturen übten keine Wirkung. Seine Augen erloschen, die Hand schloß sich nicht mehr zum Druck beim Gruß.
Des Nachts richtete er sich auf und streckte die Arme aus, als wolle er ein Luftbild umschlingen. Die heiße Lippe lallte einen zärtlichen Laut. Wenn er in den Spiegel sah, so erblickte er nicht sein eigenes Antlitz, und bisweilen küßte er in der Verblendung den eigenen Mund.
Die Infantin trat oft an Philipps Lager, sie erhaschte seinen Blick und hielt ihn fest, sie grub gleichsam das Innere seines Auges auf. Die blauen Sterne schwammen auf der milchigen Iris in einer Art von Wahnsinn langsam von Eck zu Eck. Das korngelbe Haar klebte naß auf der steilen Stirn. Der schmale Körper, auf der Seite liegend, glich einem gespannten Bogen. Donna Johanna schüttelte den Kopf; noch schritt Philipp auf lautlosem Wasser in trüber Ferne.
Aber ihre Sehnsucht wurde so groß, daß es, als wäre die Erfüllung schon geschehen, wie ein Strom der Verzücktheit durch ihre Brust floß. Sie sah den blauen Himmel besät mit smaragdenen Blumen, und die myrten- und lorbeerbeladene silberne Erde hob sich schwellend dem Firmament entgegen. Oft eilte sie in der Dämmerung durch die Galerien in die Gärten, so schnell, daß Donna Gregoria kaum zu folgen vermochte. Begegnete ihr jemand auf diesem Weg, so blieb sie stehen und schaute ihn an, streng und wild. »Wer ist der Mann?« fragte sie ihre Begleiterin mit ihrer wunderlich flötenden oder gurrenden Stimme. Und Donna Gregoria erwiderte etwa: »Es ist einer von Don Philipps Freunden.« Doch Johanna hörte die Antwort nicht mehr; sie war schon weitergeschritten; die gelben dünnen Lider, von zahllosen blauen Äderchen übersponnen, schienen die vollflammenden Augen zu begraben, der Kopf senkte sich nach vorn, von ihrer Schulter wehte der Abendwind den Schleier herab, und der entblößte Nacken leuchtete wie das Holz eines frischgeschälten jungen Baumes.
Da geschah es, daß Herr von Carancy und Herr von Aymeries übereinkamen, dem König neuerdings von allem Bericht zu erstatten und dringend zu fordern, daß die Infantin in ernste Rechenschaft gezogen würde, deren Verhalten sie als eine Frucht und einen Beweis der teuflischen Schwarzkunst ansahen. Sie versicherten sich des Einverständnisses der übrigen Granden und Räte, und Herr von Carancy sollte den Wortführer machen. An einem Freitag zu Anfang September ritten sie mit ihren Leuten gen Valladolid, in welcher Stadt der König damals gerade Hof hielt. Am Hoflager angelangt, ließen sie sich melden, und Herr von Carancy trug mit zornverhaltener Beredsamkeit vor, was im Palast von Burgos die Gemüter verfinsterte.
Der König wurde vor Ingrimm totenbleich. Schon lange hegte er der schmählichen Angelegenheit wegen gerechte Besorgnis. Es wurde ein Haftbefehl ausgefertigt, demzufolge Johanna auf das feste Schloß Portillo in Ketzergewahrsam zu bringen sei. Der Kommandant von Burgos habe zweihundert Mann unter den Befehl des Herrn von Carancy zu stellen; mit ihnen und in Begleitung des Ober-Alguazils, damit den Waffen auch das Gesetz zur Seite stehe, solle dieser in den Palast dringen und die Infantin fortführen.
Die zwei Herren waren zufrieden; Ketzergewahrsam hieß soviel als unter Foltern langsam sterben. Sie kehrten ehestens nach Burgos zurück und handelten ohne Verzug. Der Stadtkommandant, sehr betroffen über den königlichen Befehl, wagte nicht zu widersprechen, trotzdem er eigentlich nur dem Herzog zu gehorchen hatte. Er sandte aber im geheimen Botschaft, an den Haushofmeister im Schloß, um die Leute der Infantin vorzubereiten und zu warnen.
Als das Abendläuten von den Türmen der Kathedrale klang, forderte Herr von Carancy mit seinen Bewaffneten im Namen des Königs Einlaß in den Palast, ließ sämtliche Tore besetzen, postierte einen Teil der Leute in den Gängen und auf den Treppen und schritt, von seinem Genossen und dem Oberrichter gefolgt, nach den Gemächern der Infantin. Madame de Bevres, die ihm entgegentrat, antwortete auf seine rauhen und herrischen Worte mit Ruhe, daß sich Donna Johanna im Bade befinde.
Herr von Carancy war mißtrauisch, mußte sich aber zu warten entschließen. Da jedoch beinahe eine halbe Stunde verfloß, ohne daß weder die Herzogin noch eine ihrer Damen sich zeigte, übermannten ihn Argwohn und Ungeduld, er öffnete die nächste Türe, die in ein leeres Zimmer führte, durchschritt diesen Raum und gelangte zu einer zweiten Türe, die er gewalttätig aufwarf.
Die Infantin saß vor einem Porphyrtisch, auf dem ein goldner Leuchter mit fünf brennenden Kerzen stand. Sie saß in einem Stuhl mit hoher Lehne, doch nicht hingelehnt; ihr Oberkörper war seltsam steif aufgerichtet, und diese Steifheit wurde vermehrt durch die regungslos niederhängenden Arme. Sie trug ein kastanienbraunes Kleid, das man für ein Mönchsgewand hätte halten können, wäre nicht die zartgelbe Stickerei am Saum und an den Ärmeln gewesen.
Hinter ihr stand Donna Gregoria und kämmte der Herrin das Haar. Donna Gregoria war klein, schlank, gelenkig, spitzgesichtig. Sie hatte etwas von einer Äffin und etwas von einer Schwalbe. Liebkosend hielt sie das bläuliche Haar in der Linken und lauschte dem knisternden Geräusch, das ihr Kamm hervorbrachte.
Auch der Alguazil und andere Herren waren inzwischen herbeigekommen und starrten nicht ohne Scheu über die Schwelle. Von gegenüber, aus offenen, halberleuchteten Räumen eilten Kammerfrauen herzu und blieben mit gefalteten Händen stehen. Donna Gregoria hörte auf zu kämmen und schaute über die Schulter hinweg hochmütig fragend auf Herrn von Carancy, dem die Sprache versagte und der rückwärts griff nach dem Pergament in den Händen des Richters. Donna Johanna erhob sich; sie war weder erstaunt noch erzürnt. Es war, als lausche sie auf den verworrenen Lärm, der von draußen hereinschallte, und ihre gelben dünnen Lider bewegten sich kaum, als sie fragte: «Was hat Seine Herrlichkeit der König über mich verfügt? Denn nur in seinem Namen kann vielleicht ein solcher Überfall sich rechtfertigen.»
Herr von Carancy zuckte zusammen, und über seine Haut rann ein Schauder. Doch antwortete er, was er antworten mußte.
Bei dem Worte »Ketzerhaft« stieß Donna Gregoria einen gellenden Schrei aus. Die Infantin machte eine abwehrende Bewegung. Ihre Stirn schien beinahe unsichtbar zu werden unter der sinkenden Wolke des Kummers. Ihr Gesicht lag wie ein Stein im Bett des schwarzaufgelösten Haares. »Ich bin bereit«, sagte sie mit einem verlorenen Lächeln, denn der Wille zu leiden umflutete sie wie Wollust.
Donna Gregoria ergriff den Leuchter, und wollte damit, planlos, sinnlos, der Herrin vorauseilen. Die fünf brennenden Lichter, im Zugwind wehend und hoch emporgehalten, erschienen Johanna auf einmal als untrügliche Verheißung, so daß, was nun folgte, ihrem atemlosen Erwarten schön wie ein tiefes, sattes Ruhen war, und indem sie es lebte, spürte sie es schon als Erinnerung, dankbar und müde.
Besorgt über die Wirkung, die Johannas Gefangennahme auf Philipp haben würde, hatte Don Diego Gotor dem Herzog in kurzer Frist von dem, was im Werke war, Mitteilung gemacht. Zwischen seinem letzten Wort und der Sekunde, die ihn nun Aug in Aug mit der Infantin sah, war nicht soviel Zeit verflossen, als man braucht, um bis fünfzig zu zählen. Der Herzog strauchelte keuchend herein. Sein Auge, das den Eindruck von etwas Morschem, Faulendem machte, haftete auf nichts, auf keinem. Er sank vor Donna Johanna auf die Knie, und als sie ein wenig zurückwich, sank er noch weiter hin, platt an die Erde. Wie er lag, fing er an zu weinen. Alle dachten, nun sei es zu Ende mit ihm, und starrten bestürzt einander an.
Die Infantin hatte die Fingerspitzen beider Hände zusammengepreßt. Ihr Haupt fiel auf den gedehnten Hals nach rückwärts. Sie lauschte beseligt dem Weinen, das wie Flügelrauschen zu ihr emporwirbelte. Jetzt sah sie Philipp, jetzt war er da, er lebte. Mit jähem Ruck beugte sie sich herab und drückte sanft die Hand auf sein Haar. Philipp schwieg, schaute auf, ihre Blicke verschmolzen, es hob ihn wie von selbst, er umfaßte mit den Armen ihre Schenkel und trug sie, kurz und heiser aufjubelnd, durch einen purpurnen Nebel von Glück hindurch.
Johanna lachte lautlos in die Luft hinein, und es war ihr, als ginge es über Mauern, die vor Philipps Schritt zerbarsten, über Wälder, deren Finsternis wie Glas zersprang, und über das Meer, das wie flüssiges Morgenrot schäumte.
Die ganze Nacht hindurch war das Schloß von heiterster Ausgelassenheit erfüllt, auch in der Stadt herrschte alsbald festliches Wesen. Die vornehme Familie der Stuniga ließ auf offener Straße eine Zechtafel für das Volk errichten.
Fahrende Sänger und Liederdichter flochten nun in ihre oft rezitierten Strophen gern einen Vers ein zum Preis der innigen Liebe zwischen Philipp und Johanna von Castilien.
Aber der Hof zu Burgos wurde allmählich eine Stätte des Schweigens. Den Pagen, Rittern und Edelfrauen ging der Stoff zu schwatzen aus. Ein vereinzeltes Lanzenstechen half auch nur über ein paar Tage hinweg. Die Herren saßen oft betrübter da als nach verlorenen Schlachten, und manche erbaten den Abschied, um nach Rom, Madrid oder Flandern zu ziehen.
Kamen die spöttischen Granden zusammen, so hieß es: Was macht Philipp? Schläft er noch? Und es wurde erwidert: Wenn der Dürstende trinkt, so spricht er nicht.
Der Herzog zeigte sich selten öffentlich. Sobald die Ratsgeschäfte erledigt waren, bei denen er ein ernst-wohlwollendes Betragen an den Tag legte, zog er sich wieder in seine Gemächer zurück. War eine Jagd angesagt, so ließ er die Geladenen oftmals allein ziehen oder entfernte sich von der Gesellschaft, wenn es gerade am lustigsten war, und ritt davon. Dann berichteten Hirten, daß sie ihn in einem einsamen Tal angetroffen hätten, wo das Pferd sich selbst überlassen an einem Abhang graste, indes Philipp ruhvoll auf der Erde lag und den Blick in die Wolken sandte.
Einige ließen schüchtern verlauten, er sei eben im Bann gewisser Zauberkünste. Doch mit Bestimmtheit wußte man nur, daß Johanna ihm italienische Gedichte vorlas, auch die Berichte der Seefahrer über die indischen Länder und die neuen Traktate über den Sternenhimmel, die in Deutschland gedruckt wurden. Das Gerede blieb haltlos; zudem war der Herzog nach wie vor ein eifriger Kirchengänger, und bei den geistlichen Umzügen zeigte er solche Andacht, daß es ergreifend war, in sein helles Jünglingsgesicht zu schauen.
Es kam aber die Zeit, wo in diesem Gesicht bisweilen eine rasche Angst aufzuckte. Da wurde dann die glattgespannte Stirn schlaff und warf eine ermüdete Falte. Doch mußte Philipp allein sein, um den Mut zu finden, diesem Ziehen außerhalb der Haut nachzugeben. Etwa wenn er in der Dämmerung am Fenster stand und über die Baumwipfel hinwegspähte, in deren Ästen der Frühling prickelte. Auch geschah es vor dem Einschlafen in der Nacht, daß ein Seufzer über seine Lippen eilte.
Vor dem Traum flog sein Geist an die fernen Ufer der Donau. Dort war das Leben viel leichter; es schien, als könne man dort mit plötzlich unbelasteter Schulter wandeln. Philipp sehnte sich nach einem Spiel. Nicht nach ritterlichem Spiel; er hatte häufig Lust, sich mit Landsknechten an einen schmutzigen Kneipentisch zu hocken und mit ihnen Karten zu spielen. Es reizte ihn, an ihren rohen Scherzen teilzunehmen, für sich allein trieb er Rede und Widerrede, vergnügte sich innerlich an einer unflätigen Wendung und kicherte, wenn er den Beifall der eingebildeten Hörer erworben zu haben glaubte.
Ja, er trug Begierde nach etwas Gemeinem, Lüsternem, Schmutzigem und Verruchtem. Diese Begierde wuchs, da er sie vor der Welt und sich selbst mit Sorgfalt zu verbergen trachtete.
Nach längerem Beisammensein mit Johanna fielen ihm vor Erschöpfung die Augen zu, und er sah aus, als schlafe er im Gehen und im Stehen. Denn sie spannte seine Seele, sie dehnte seine Seele über alles Vermögen. Wenn sie sprach oder schwieg, war es gleich schwer, immer gegenwärtig zu sein. Ihr Schweigen war wie ein Marmorblock, den er auf seinen Händen tragen sollte. Hände, Arme und der ganze Leib gerieten durch das Gewicht des Blocks nach und nach ins Zittern, und die Kraft versagte. Sie ahnte nichts davon, die mit aufgereckter Inbrunst ihm zur Seite ging, beständig trunken von derselben dünnen Luft.
Hier war ein geheimnisvoller Kreis, in dem zu schreiten die Nerven bis zum Klingen auseinanderzerrte. Ihn zu verlassen schien bedenklich, denn jenseits war vielleicht der Tod. Philipp fürchtete sich vor seinem Weib.
Einst gedachte er der nächtlichen Streiche, die er verkleidet in Gesellschaft des Pfalzgrafen verübt. Er verkleidete sich ebenso, und als es Nacht war, trieb er sich in den Gassen herum, mischte sich in die Händel zwischen ein paar französischen Buschkleppern, brach einem schwarzen Hund, der ihm bellend an die Schulter sprang, mit einem Griff das Genick, fand eine Schenke voll schwäbischer Söldner, denen er so viel Wein auftischen ließ, daß sie schließlich allesamt wie tot auf der Erde lagen, und gelangte beim Morgengrauen unerkannt wieder ins Schloß. Es war ein Auf- und Ausatmen.
Eine Woche vor Johannas Niederkunft kam der Connetable mit einer vertraulichen Botschaft des Königs. Er gab dem Herzog zu verstehen, wie große Bedenken er habe, das Kind in den Händen einer Frau zu lassen, die nach dem Zeugnis aller Urteilsfähigen der gesunden Vernunft entbehre. Wenn auch neuerdings das Unwesen sich gemildert habe, so bestehe doch keine Sicherheit, schon der nächste Tag könne den Geist der Infantin wieder verdunkeln. Der Herzog möge besserer Einsicht Gehör schenken und das Kind aus dem dämonischen Bereich entfernen; der Hof von Madrid erklärte sich bereits, die Erziehung zu übernehmen.
Philipp sträubte sich zuerst, gab aber bald nach. Es kam ein Mädchen zur Welt, das am siebenten Tag seines Alters der mütterlichen Hut entwendet wurde. Als die Infantin sich aus ihrem Bett erhob, konnte ihr der Sachverhalt nicht verheimlicht werden. Man stellte aber alles so dar, als ob ein Beweis der gnädigen Gesinnung des Königs vorliege.
Johanna hörte ruhig zu. Sie verlangte den Herzog zu sprechen. Es wurde ihr bedeutet, Don Philipp habe in dringenden Geschäften verreisen müssen.
In Wirklichkeit hielt sich Philipp auf einem Schloß in Aragon versteckt, bis er annehmen durfte, Johanna habe sich dem Unvermeidlichen ergeben. Er hatte ein paar gesellige Kumpane mit sich genommen, darunter den Ritter Franz von Kastilalt, einen Abenteurer und Possenreißer. Dieser wurde sein unzertrennlicher Trabant; auf die Gunst des Herzogs bauend, verübte er mancherlei Untaten und wurde der Schrecken friedlicher Bürger. Er war ein so gewaltiger Fresser, daß ihn einst der Graf von Aranda um Gottes willen ersuchte, sein Gebiet zu verlassen, weil er und seine Leute eine Hungersnot herbeiführen könnten.
Dem Herzog wurde die Stadt zu eng, und von Castilien sprach er als von einer Provinz des Teufels. Verhaßt wurde ihm sein Haus, verhaßt der Himmel, der es bedeckte. Schien die Sonne, so beklagte er sich über ihre Glut, fiel Regen, so meinte er höhnisch, ein Land, das Wasser gebäre statt Wein, müsse man fliehen. Und er floh. Als die Unruhen in Flandern ausbrachen, begab er sich übers Meer nach Antwerpen, dort blieb er aber auch nicht lange, sondern zog den Rhein hinauf nach der fröhlichen Stadt Köln und zu seinem getreuen Pfalzgrafen. Dann hetzte es ihn weiter, er suchte die Heimat auf und verließ sie wieder, enttäuscht, beklommen und grundlos erbittert. Die Herren am kaiserlichen Hof wunderten sich über die unverträgliche Natur des Prinzen und seine hitzige Art; denn Philipp war ehedem sanft gewesen.
Im ersten Monat des neuen Jahrhunderts, als die Kometen Unheil ankündeten und die schwarze Pest aus Asiens Wüsten hauchte, machte sich Don Philipp abermals auf und zog nach der niederländischen Stadt Gent. Wie er nur noch eine Stunde von den Mauern entfernt war, kamen ihm der Audiencier und Meister Jakob von Goudebault entgegen und teilten ihm mit, daß Donna Johanna, hochschwangeren Leibes, seiner im Schloß harre. Sie war wenige Tage zuvor von Spanien eingetroffen, voll Sehnsucht nach dem Gemahl.
Don Philipp klopfte das Herz. In den sieben Monaten seiner Abwesenheit hatte er Johanna gleichsam aus seinem Innern verloren. Er wußte nicht mehr, wie sie aussah, wie sie sprach; er erinnerte sich nicht mehr an die Farbe ihrer Augen und an die Form ihrer Schultern; ihre Stimme klang ihm nicht mehr im Ohr, seine Gedanken hatten sich ihrer entwöhnt. Geblieben war nur die zunehmende Bangigkeit, wenn er sich vorstellte, eines Tages wieder Angesicht in Angesicht mit ihr sein zu sollen.
Er hatte ihren Namen durch die Länder geschleppt; nichts weiter als ihren Namen. Sie mit Leib und Geist in der Stadt Gent zu wissen, überraschte und erschreckte ihn. Er verzögerte den Einzug auf alle Weise, so daß seine Leute nicht wußten, was sie davon denken sollten.
Dennoch durchflammte ihn gleichzeitig die äußerste Ungeduld und suchte ihn zu bereden, daß die alte Leidenschaft wieder erstanden sei.
Als er Johannas Lippen auf den seinen spürte, starrte er offenen Auges und stockenden Atems auf ihre bernsteingelben Lider, die sich tief herabgesenkt hatten wie in einem Schlaf der Liebe. Ihm war, als müsse er mit einem Messer die beiden zitternden Hautkugeln durchritzen, um Sonnenlicht durch diese Behälter der Finsternis zu gießen.
Das große Gent gab dem Herzog zu Ehren ein Fest. Um Mitternacht, als Tanz und Lustbarkeit im besten Zuge waren, fühlte sich die Infantin sehr unwohl. Ehe man sie hinwegführen konnte, gebar sie im dichten Kreis ihrer Damen ein Kind. Es war ein Knabe, und er wurde Carlos genannt. Die Herzogin Margarete nahm ihn in Obsorge. Diesmal kam der Entschluß, das Kind in der flandrischen Stadt zu lassen, von Philipp selbst.
Als man das Schiff zur Rückkehr nach Burgos betrat, war die Infantin noch des Glaubens, ihr Knabe sei mit an Bord. Erst auf hohem Meer erfuhr sie, daß dem nicht so war. Mit einem langen Schrei stürzte sie aufs Verdeck, um sich in die Wellen zu werfen, um zurückzuschwimmen und das Kind zu holen. Ein Matrose packte sie noch am Arm. Bewußtlos fiel sie hin.
Dieses Kind hatte sie mit dem Wissen einer Mutter im Schoß getragen. Die lange Trennung von Philipp hatte ihr Gefühl zur Tiefe gedrängt. Der höfisch gemessene Stil ihrer Briefe an ihn war die Schanze, hinter der sie die Zuckungen und Tränen ihrer einsamen Leidenschaft verbarg. Auf das unsichtbare, jedoch so nahe, ja mit ihr selbst verschmolzene Geschöpf bürdete sie die Schönheit und den Reichtum der Erde, wie man das Bild der Mutter Gottes mit Rosen und Kostbarkeiten behängt. Sie hatte den Strahl seines Auges aus der Dämmerung des Nochnichtseins aufgefangen, sie hatte es schon ganz im Besitz und es mit verzückten Armen über sich und über Philipp hinausgehoben, um es Gott näher zu bringen. Mit entzündeter Phantasie hatte sie seine Seele erschaffen. Sie hatte seinen Geist aus Träumen gemeißelt, und ihre Liebe, bisher körperlos verschwebend, hatte ein Gefäß erhalten, atmende, zeugende Gegenwart.
Durch den neuerlichen Raub sah sie sich ausgestoßen aus der Welt und aus sich selbst. In frierender Blöße war sie schamloser Neugier preisgegeben. Sie erschien sich entkräftet und zweigeteilt. Sie verlor die seltsam umschleierte Sicherheit von Rede, Schritt und Haltung, bewahrte aber doch ihre Ruhe. Wie ehemals formte sich alles zur geduldigen Erwartung, doch war es nicht mehr die Erwartung vor dem Anbruch des Tages, sondern diejenige vor dem Kommen der Nacht.
Es träumte ihr, daß sie zwei Teller sah, die wie zwei gefallene Monde anzuschauen waren. Auf jedem der beiden Teller lag ein Herz, auf dem einen das ihre, auf dem andern Philipps Herz. Ihr Herz war scharlachfarben, von den Seiten rann Blut und quoll über die bläulich leuchtende Schale. Philipps Herz war blaß und schleimig; es erinnerte an jene Quallen, die das Meer bisweilen an den Strand spült. Da trat eine Gestalt heran, packte Johannas Herz und warf es empor. Es stieg aber kaum über Baumeshöhe und fiel schwer zurück. Dann schleuderte dieselbe Hand Philipps Herz empor, und dies flog leicht wie eine Rakete bis in die Wolken und kam nicht mehr zum Vorschein.
Fürchterlich zu denken, daß sie die unreife Frucht gepflückt haben sollte und daß Süßes plötzlich bitter geworden war. »Öffne deine Hände!« gebot sie Philipp nach einer Gewitternacht, die sie zusammen auf der Burg bei Illescas verbracht hatten. Er öffnete seine Hände, und sie gewahrte, daß es die kleinen Hände eines Pagen waren. Der eine Daumenballen war von einer Falkenkralle zerrissen. »Warum lächelst du?« fragte sie verwundert; sie erkannte, daß dies Lächeln sein Schild war, hinter dem sich niedrige Geheimnisse versteckten.
Auf die Wand der Kapelle, in der sie zu beten pflegte, war eine Szene gemalt: ein schöner Jüngling, der vor der geisterhaften Erscheinung des heiligen Jago die Flucht ergreift. Wenn sie in Philipps dunkelgrüne Augen blickte, sah sie in unendlicher Verkleinerung das Bild des fliehenden Jünglings darin. Stets ergriff er die Flucht vor ihr. Sein geringstes Wort, seine zufälligste Bewegung ergriff die Flucht vor ihr. Wenn sie sprach, senkte er den Kopf, und alles an ihm verstummte. Ging sie mit den Frauen über die Galerien und er stand mit seinen Freunden im Hofe, so hörte er auf zu scherzen und legte mit bekümmerter Miene den Arm über den Hals des Pferdes.
Fünfundzwanzig Tage des Monats war er fort vom Schlosse. Die Bringer von wichtigen Nachrichten mußten warten. Wo ist Don Philipp? fragten die Räte. Geantwortet wurde: Er jagt mit dem Grafen Balduin; oder er zecht mit dem Ritter Kastilalt; oder er ist zum Winzerfest nach Saragossa geritten. Es gab auch Auskünfte, die man nur heimlich zu raunen wagte; denn nicht selten spielten die schönen Maurinnen eine Rolle bei den Zerstreuungen der Herren.
Wenn Philipp, wie es selten geschah, zur Nachtzeit das Gemach Johannas betrat, war er fast jedesmal trunken. Seine Liebkosungen rochen nach Wein, seine Leidenschaft war geräuschvoll und prahlerisch. Sein Gemüt war im Rausch der Lüge wie sein Blut im Rausch des Weines. Er merkte nicht, wie dann alles an Johanna lautlos schluchzte und ihr Kuß ein Krampf der Reue wurde. Er hatte noch immer nicht gelernt, in Menschengesichtern zu lesen; er hatte den Geist eines Pagen. Wenn er auf dem Pferde saß und den Kopf stolz zur Seite drehte, dann mochte er als ein Wesen für sich erscheinen. Aber seine Zunge war von Gott versiegelt, und er wußte nichts von dem Schmerz um sich selbst.
Wie die Tage sich ausspannen zu Wochen und die Monate sich zu Jahren dehnten, empfand Johanna kaum. Sie brachte ein drittes Kind zur Welt, ein viertes, ein fünftes. Sie trug sie unter einem verödeten Herzen und gebar sie – hoffnungslos. Alle wurden ihr genommen wie jenes Kind der Liebe; ihr war, als setze sie Gespenster ins Leben, Dinge, die zu Luft verrannen, wenn ihr sehnsüchtiger Arm nach ihnen griff. In ihre tiefe Verlassenheit blickten aus weiter Ferne, von hyperboreischer Meeresküste her die lebendigen Augen ihres Sohnes Karl. Sie wußte nicht mehr von ihm, als man von den Sagenfiguren aus der Vorzeit erfährt.
Ihr vernichtetes und gescheuchtes Herz grub sich weiter in die Nacht. In fremdartiger Hitze rollte ihr Blut. Beim Anblick der Sterne konnte sie vor Ungeduld zittern und die Hand auf die zum Aufschrei geöffneten Lippen pressen. Des Schlafes bedurfte sie kaum. Was sie sprach, klang feindselig und verworren. Einmal nahm sie Petrarcas Sonette zur Hand und las; plötzlich schleuderte sie das Buch, von Wut, Gram und Haß überwältigt, weit weg, hob es wieder auf, riß es in Fetzen und zerstampfte, was davon übrig war, mit den Füßen. Ihre Ruhelosigkeit erregte den Schrecken aller Bewohner des Palastes; selbst ihr Beichtvater hatte Angst vor den lodernden Augen. Wenn alles schlief, ging sie mit der Kerze langsam durch ihr Zimmer, doch schritt sie nie durch die Mitte des Raumes, sondern an den Wänden entlang. Und ihr bloßer Hals leuchtete über dem dunklen Kleid wie der Stengel einer Blume, die sich vor dem Sturme senkt. Es ereignete sich nun, daß eine schöne Portugiesin an den Hof zu Burgos kam, deren Name Benigna von Latiloe war. Sie wohnte im Hause Don Inigos de Stuniga, dort sah sie auch den Herzog zum erstenmal, und sie geriet in solche Liebe zu ihm, daß alle, die zugegen waren, es sogleich merkten. Philipp jedoch verhielt sich kühl, trotzdem die Dame von bezaubernder Anmut war und auch einigen Geist besaß. Bei späteren Begegnungen wich er um so weniger von seinem höflichen, aber gemessenen Betragen ab, als ihm der Eifer Donna Benignas lästig zu werden begann und ihre Nachstellung den Stoff des öffentlichen Geredes bildete. Wäre sie geschickt und kokett genug gewesen, seine Eroberungslust zu reizen, so wäre sie vielleicht Gunstfräulein geworden, denn andere, die sich nicht solcher Gaben rühmen konnten wie sie, wurden dieses Vorzugs leicht zuteil; ihr schlug es fehl. Die Aufrichtigkeit ihrer Leidenschaft war zu groß.
Das Unheil wollte es, daß der Ritter Franz von Kastilalt, der noch immer der unzertrennliche Begleiter Don Philipps war, sich mit ebensolcher Heftigkeit in die schöne Portugiesin verliebte wie diese in den Herzog. Er fand aber kein Gehör, und seine ungestümen Bemühungen machten ihn bloß zum Gegenstand des Abscheus für das Fräulein. Als er sah, daß ein Glück, welches Philipp gleichgültig verschmähte, ihm verwehrt sein sollte, wurde er von tödlichem Haß erfüllt, nicht nur gegen Donna Benigna, sondern auch gegen seinen Herrn, und seiner tückischen Gemütsart entsprechend, sann er darauf, an beiden sich zu rächen. Häufig war er Helfer und Anstifter bei den Liebesabenteuern Philipps gewesen. Er wußte, daß dieser mit ängstlicher Sorgsamkeit darüber wachte, sein Treiben vor Donna Johanna geheimzuhalten, und nur auf Schleichwegen den leichtsinnigen Neigungen frönte. Wie alle war auch Ritter Kastilalt davon überzeugt, daß die Infantin mit unsichtbaren Mächten im Bündnis sei, und er beschloß, den Herzog und Donna Benigna bei Johanna zu verraten, als ob sie in verbotener Beziehung ständen. Zu diesem Zweck wußte er sich die Briefe anzueignen, welche die Portugiesin fast täglich an Philipp sandte, und wählte diejenigen aus, deren hingebender und zärtlicher Ton wohl darauf schließen lassen konnte, daß die Anklage des Ritters auf Wahrheit beruhe.
Er ließ sich bei der Infantin melden, gab sich ein demütigergebenes Ansehen, als ob ihm auf der Welt nichts im Sinn läge als das Wohl der Herzogin und als ob ihn sein Gewissen der Ruhe beraubt und ihn endlich gezwungen habe, sich der Last des Verschweigens zu entledigen. Darnach brachte er das Gespinst ans Licht, das er in seinem schwarzen Innern gewoben, gab die Briefe Donna Benignas zum Beleg und ging wieder, seiner Sache keineswegs versichert, denn die Infantin hatte ihn mit unbewegter Miene angehört und kein einziges Wort gesprochen. Ehe noch der Stein seinem Auge entschwunden war, den er so ränkevoll den Abhang hinuntergerollt, nisteten sich schon Angst und Reue bei ihm ein.
Als der Ritter fort war, preßte Donna Johanna ihre beiden Hände gegen die Brust, schritt zu dem hohen Spiegel, der zwischen zwei Halbsäulen aus gelbem Marmor hing, und betrachtete mit großer Aufmerksamkeit ihr Gesicht. Im Zimmer befand sich niemand als Donna Gregoria, und diese verfolgte das Tun ihrer Herrin bang und lautlos.
Endlich rief Johanna, ohne sich zu rühren, mit klarer Stimme in den Spiegel hinein: »Gregoria!« – »Was befehlt Ihr, edle Donna?« antwortete diese zitternd. – »Er muß sterben, Gregoria«, sagte die Infantin. Donna Gregoria schwieg. »Hörst du, Gregoria, er muß sterben«, wiederholte Johanna, und das letzte Wort erstickte in einem schnelleren Atemzug, während die Hände, wie leblos geworden, von der Brust heruntersanken. Und Donna Gregoria hauchte kaum vernehmlich: »Ja, edle Donna.« Dann näherte sie sich der Infantin, fiel auf die Knie und lehnte die eiskalte Stirn gegen Johannas starre Hand. Johanna beugte sich herab, weit, mit Anstrengung beugte sie sich nieder und flüsterte ins Ohr der Dienerin.
Es lebte ein Verwandter von Donna Gregoria am Hof, ein Edelknabe namens Morales, und dieser war Donna Gregoria mit Leib und Seele zugetan. Sie sprach mit ihm noch am selben Abend und sagte ihm, er könne an einem Bach bei Murcia gewisse Kräuter finden, und fertigte ihm auch eine Liste von den Kräutern an. Morales reiste fort, sammelte die Kräuter und ritt damit nach Molina in Aragon zu einem Apotheker, den er kannte. In seiner Wohnung destillierte der Apotheker den Saft aus den Kräutern, und zum Beweis, wie furchtbar das entstandene Gift sei, gab er einen Tropfen davon einem Hahn ein, der sogleich verendete.
Einige Tage darauf gab der Herzog in einem Haus bei Burgos, welches Cordon genannt wurde und damals dem Grafen Punon-Rostro gehörte, mehreren Granden des Landes ein Essen. Die Ordnung für die Mahlzeit war diese: Sobald man von der Mittelhalle ins Haus trat, fand man im ersten Saal zwei Schenktische, einen für die Speisen und einen für den Wein. Links davon war der Speisesaal, dessen Fenster aufs freie Feld gingen. Zwischen beiden Räumen war ein enger Durchgang. Während getafelt wurde, verstand Morales es so einzurichten, daß, sooft Don Philipp zu trinken verlangte, kein anderer als er ihm den Wein brachte. Dreimal reichte er ihm den Becher; vor dem drittenmal schüttete er in jenem dunklen Korridor heimlich und schnell das Gift hinein. Es war ungefähr so viel, als eine Nußschale gefüllt hätte.
Wenige Minuten darauf fühlte sich der Herzog krank. Er ging hinaus, indes die Herren ahnungslos sitzen blieben, um zu spielen. Eine halbe Stunde nachher rief sie der Haushofmeister in großem Schrecken, denn Philipp lag bereits im Fieber. Er wurde eilends nach der Stadt geschafft, es ward aber späte Nacht, ehe sie ankamen und die Ärzte erschienen. Gleich hernach verstarb er unter gräßlichen Schmerzen.
Don Gotor begab sich zur Infantin. Er glaubte sie noch schlafend und weckte die Diener uhd Kammerfrauen. Da erschien Donna Gregoria und führte ihn schweigend in einen Saal, wo Johanna vor einem Kohlenbecken saß. Mit einem Gesicht, starr und fahl wie Eisen, berichtete der Arzt in sonderbar gemessener Form den Tod seines Herrn. Das Auge der Infantin wandte sich langsam der regungslosen Gestalt des Greises zu, dessen Blick furchtlos und brennend dem ihren begegnete. Doch wie der Schwamm von einer Faust wurden Johannas Züge von Ekstase zusammengepreßt, es zog ein Freudenschimmer darüber hin, und die Beine, der ganze Leib streckten sich wie im Bade.
Der Leichnam war begraben. Böses Gerede schwirrte über der Gruft und erstickte wieder in abergläubischer Furcht. Als einst mehrere Edelleute auf dem Hauptplatze standen und ungescheut die Vermutung aussprachen, daß Philipp durch Mörderhand umgekommen sei, erschütterte ein Erdbeben die Stadt, die Fenster des Rathauses zerbrachen, und die erschreckt Flüchtenden sahen die Türme der Kirchen wanken. Der Herr von Mingoval, hochbetrauter Oberstallmeister, wollte währenddem die Infantin mit fliegenden Haaren auf dem Dach des Palastes bemerkt haben, wo sie einen weißen Zauberstab schwang.
Es fiel auf, daß Donna Gregoria ihren Abschied nahm und sich auf einen Ruhesitz bei Barcelona begab. Der Ritter Franz von Kastilalt floh übers Gebirge und nahm Dienste beim König von Frankreich. Der Edelknabe Morales wurde nächtlicherweile von einem betrunkenen Söldner erstochen. Donna Benigna kehrte in ihre Heimat zurück und nahm den Schleier. Die Infantin lebte in hohen Gemächern voll gläserner Luft. Ihre Frauen mieden sie, die Diener jeglicher Art fürchteten sie. Es war später Herbst, der Sturmwind rüttelte an den Mauern des Schlosses. Welche Unruhe in Johannas Herz! Trat jemand unerwartet vor sie hin, so erschrak sie, und ihr angstvoll fragendes Auge zeigte den matten Glanz der Schlaflosen. Bisweilen war ihr Gesicht in rätselhafter Zärtlichkeit wie gegen eine unsichtbare Gestalt gerichtet, und die Hand krümmte sich gleich einem dürren Blatt, das sich zusammenrollt, bevor es Winter wird.
Bei der Tafel saß sie still und in sich gekehrt und berührte selten eine Schüssel. Einmal lief ein Sonnenstrahl, durch eine Kristallvase zerteilt, als siebenfarbige Brücke durch den Raum, bis er ihre Hand erreichte und, dem Flügel eines Insektes ähnlich, geheimnisvoll auf und ab zitterte. Da sprang sie empor und schluchzte laut. Ihr war wie einem, der ein schönes Bild von der Wand gerissen hat; nun strömt Finsternis und Grauen von der Stelle aus, die vorher so freundlich geschmückt war.
In Philipps Zimmern konnte sie ein wenig Frieden finden, trotzdem alle Gegenstände zu fragen schienen: Wo ist Philipp? Sie erwiderte in ihrem Innern, um sich und die Dinge zu besänftigen: Er ist verreist, er kommt wieder. Und sie behängte sich manchmal für die Stunde seiner Wiederkunft mit Edelsteinen und schönen Kleidern. Als einst Frau von Dutselle fragte: »Warum schmückt Ihr Euch wie zum Balle, Fürstin, derweil Ihr doch Trauer um Don Philipp tragen solltet?«, da erwiderte sie mit dem Aufseufzen eines von Träumen gequälten Kindes: »Ich schmücke mich, weil ich auf Philipp warte.«
Sie schmückte auch sein Zimmer mit Blumen und legte einen Teppich über die Schwelle. Aus den Truhen holte sie seine Waffenkleider und küßte die goldenen Ketten, Armspangen und Fingerringe. In seinem Bett spürte sie mit ihrer flachen Hand die Wärme seines Körpers, und an seinem Tisch saß sie an demselben Platz, wo er gesessen. Dabei erstaunte sie, daß alles so war, wie es war, daß die Sonne schien, daß es Abend werden konnte und wieder Morgen.
Es war an einem Novembertag, als sie einige von den Dienern rief und an ihrer Spitze durch das nördliche Tor gegen Millaflores ritt. In der Kartause zu Millaflores lag Herzog Philipp begraben. Die erschrockenen Mönche mußten das Tor aufsperren, sodann ließ sie den Stein vom Gruftgewölbe nehmen und den Sarg herausheben und öffnen. Alle waren gerührt beim Anblick der wohlerhaltenen Züge ihres Herrn. Das Gesicht schien länger, die Züge ernster.
Ein düsteres Lächeln bewegte den Mund der Infantin. Der Pater Guardian meinte später, sie habe gelächelt, weil der Teufel sie, wie er deutlich wahrgenommen, am Ohr gekitzelt habe. Johanna gebot allen, sich zu entfernen, unwidersprechlicher als das Wort war ihr Blick, und als sie allein war, kniete sie hin, kreuzte die Hände hoch über der Brust, so daß die Daumen schier den Hals umschlossen, und fing an zu beten. Doch unversehens und während ihre Lippen noch mit Gott verkehrten, verlor sie die Demut aus der Brust, es war, wie wenn ein Opfer plötzlich von unheiligen Fingern entwendet würde, das Gebet verwandelte sich zur Forderung, und die Arme streckten sich aus, nicht um zu erflehen, sondern um zu empfangen, die Stirne leuchtete wie von Bereitschaft, der Leib zitterte und bebte gleichwie in den Wehen der Geburt, und Atem, Gebärde, Pulsschlag, alles schrie: Gib mir Philipp wieder!
Darauf schien ein Hauch durch die Luft der Kapelle zu gleiten, und Johanna spürte, daß ein süßes Jasagen die Wölbung erfüllte. Sie sprang empor. Sie rief die Leute. Des Einspruchs der Mönche nicht achtend, ließ sie den balsamierten Leichnam auf eine Bahre heben. Sie wurde ganz Antrieb, peitschte die Träger förmlich vorwärts und blieb unbewegt und blickte nicht zurück, da jene schauderten, weil die Mönche unter dem Tor standen und wehklagten. Es wurde Nacht, der Boden war aufgeweicht, sie verloren den Weg; Johanna hieß die Männer rasten und schickte einen Diener voraus, um Fackeln zu holen. Im Regen ging sie ruhlos hin und her, das Kleid emporgerafft, den Schritt von qualvoller Ungeduld bald bekämpft, bald befeuert, und als endlich eine Fackelflamme in der sturmdurchwühlten Dunkelheit aufloderte, schrie sie jubelnd, so daß die am Gehölz lautlos wartenden Begleiter erbleichten.
Im Palast angelangt, bekleidete sie den Körper Philipps mit einem prachtvollen Gewand aus Silberschuppen, ließ ihn in einen gläsernen Sarg legen, der oben und an der Seite zu öffnen war, und ließ den Sarg in ihrem Schlafgemach neben dem Bett aufstellen. Unverwandten Auges betrachtete sie die edel hingegossene Gestalt, an der sich jede Form im geheimen von selbst vollendet zu haben schien. Es war kein Jüngling mehr, sondern ein Mann und ein König.
Kein weibliches Geschöpf durfte den Raum betreten, auf den Gängen und in den Nebengemächern durfte keine Stimme laut werden. Johanna war es, als sei vor allem die große Stille auch von außen erforderlich, die in Philipps Antlitz so tief innen wohnte, sei notwendig, damit sie in diese Stille eintauchen könne, wach und lauschend, um ihre Ursache und ihr Wesen zu ergründen, in einem begnadeten Augenblick das ungeheure Rätsel zu lösen und dann den Funken in der triumphierenden Hand zu halten, der das Auge wieder mit Leben zu speisen vermochte. Und so beugte sie sich immer wieder über den Leichnam, wie sich der Habgierige über einen Schacht beugt, worin rote Klumpen Goldes funkeln, angeschmiedet und verwachsen an die gewaltige Erde.
Schon am zweiten Tag erschien der Bischof und befahl der Infantin, die Leiche wieder zu bestatten. Johanna weigerte sich dessen und wies endlich, rasend vor Angst, daß man sie des toten Gemahls berauben könne, den Kirchenherrn aus dem Palast. Die Folge war, daß die Dominikaner den Pöbel aufregten und verlauten ließen, der unbegrabene Leichnam mache das Glück vom Lande abspenstig, der Wein müsse verderben und die Ernte mißraten. Indes die Räte beratschlagten, wie man der Gefahr steuern könne, die das Land bedrohte, erschien vor der Infantin ein wunderlicher Mönch, der Bruder Alonso de Jesu Maria, der viele Jahre in einer Einöde der Estremadura nur seinen göttlichen Visionen gelebt hatte und für einen Propheten galt.
Eines Tages erschallte großer Lärm aus der Vorhalle, und als die Herzogin zornig und befremdet heraustrat, schwiegen alle bis auf einen halbnackten bleichen Fremdling, der sich in Anrufungen und Verwünschungen erging, weil Diener und Wachen ihm den Eintritt verwehrten. Dies war der Bruder Alonso, ein noch junger, bartloser Mensch, verwüstet durch Askese, hager wie ein Pfahl, beredt wie ein Trunkener, feurig wie ein Verliebter. Diesem armseligsten der Geschöpfe lieh Johanna das Ohr, so vielleicht zum erstenmal dem Zuspruch eines andern Untertan.
Er begann damit, daß er der Infantin von einem König erzählte, welcher nach der Zeit von sieben Jahren aus dem Tod wieder zum Leben aufgestanden sei. Auch mit Philipp werde ein Gleiches geschehen, wenn die keusche Liebe Johannas und ihr unerschütterlicher Wille jeden eigenen Schmerz vergesse, keine selbstische Luft mehr begehre, sondern einzig dem Gedanken der Wiedererweckung hingegeben sei. Dies daure sieben Jahre; denn sieben sei die heilige Zahl der Bibel. In sieben Jahren erneure sich das Feuer der Sterne und des Mondes; nach sieben Jahren zerschelle immer wieder dieselbe Woge am Strand; nach sieben Jahren grüne der Baum des Lebens, und siebenfach geteilt sei seine Wurzel. Als sie solches vernahm, kniete die Infantin nieder, beugte das Haupt tief vor dem Bruder Alonso und berührte mit den Lippen den Saum seines Kleides. Sie bewirtete den Mönch und beschenkte ihn, aber sie redete nicht mit ihm, und allmählich wurde dem Heiligen beklommen zumut in ihrer Nähe, und er machte sich unter einem schicklichen Vorwand davon. Johanna sah ihn ohne Teilnahme scheiden. Sie empfand das Leben der Lebendigen nicht mehr; dem eigenen Körper entfremdet, begriff sie auch von den Menschen nichts als die Gestalt und ein schattenhaft-spielendes Hin und Her, alles Licht der Welt sammelte sich am Sarge Philipps, und je weiter der Fuß sich davon entfernte, je finsterer wurde der Raum. Doch wenn sie an der Seite des Toten kauerte, um wieder wie einst seinen Blick zu erhaschen, sein Auge aufzugraben suchte und ihn doch fester hielt als ehedem, wo er auf lautlosem Wasser durch Nebel glitt, da sehnte sie sich nach einem Zeugnis seiner Gegenwart, nach irgendeinem Laut aus dem Innern dieser starren Hülle, und sie verfiel auf einen absonderlichen Einfall.
Es lebte in Burgos ein brabantischer Uhrmacher mit Namen Symon Longin, ein Mann von großer Geschicklichkeit in seinem Fach. Don Philipp, der viel Vergnügen an Uhren gehabt und manche müßige Stunde damit verkürzt hatte, ein feingefügtes Werk behutsam auseinanderzulegen, hatte den Meister in hoher Schätzung gehalten. Die Infantin ließ ihn kommen und erteilte ihm einen Auftrag, der Herrn Symon sehr in Verlegenheit setzte und ihm viel Kopfzerbrechen machte. Er sollte nämlich ein Werk anfertigen, das man in die Brust des Leichnams schließen könne und das den Schlag eines lebendigen Herzens nachzuahmen vermöchte. Nach einigem Besinnen versprach Symon Longin, sein Bestes zu tun, und die Infantin stellte ihm eine Belohnung von zweitausend Dublonen in Aussicht.
Nach Verlauf zweier Wochen brachte der Meister das kunstreiche Pendelwerk. Der Rücken der Leiche wurde aufgeschnitten und der Mechanismus in die linke Seite der Brust geschoben. Unter der Schulter war ein Stift mit einer Drehscheibe angebracht, vermittelst deren das Werk wieder in Gang zu setzen war, wenn es nach vierundzwanzig Stunden ablief. Als Johanna zum erstenmal ihr Ohr auf das Kleid des Toten legte und den wundersam dumpfen Schlag vernahm, schloß sie die Augen, als lausche sie der Musik von Engelchören. Die halbe Nacht lang lag sie und horchte; die linke Hand hielt sie ans eigene Herz gepreßt und hatte ein seliges Gefühl des Gleichklangs, wenn dessen natürliches Pochen mit jenem künstlichen in denselben Pausen erfolgte.
Die Sache sprach sich herum und steigerte das Entsetzen vor der Infantin immer mehr. Sie mußte darauf sinnen, dem allgemeinen Drängen zu entfliehen, und sagte denen, die sie um Bestattung des Leichnams bestürmten, sie wolle den Körper des Herzogs nach seiner Heimat bringen und ihn im Dome von Sankt Stephan beisetzen. Damit waren Philipps Landsleute einverstanden, und sie schufen eine kleine Partei zugunsten der Herrin. Johanna hielt Auswahl unter den Dienern, und wenige, die treu, aber viele, die habsüchtig waren, denn sie achtete des Geldes nicht, boten sich aus freien Stücken an, mitzuziehen, wohin sie wolle. Auch warb sie an hundert Söldner zu hohem Lohn und ließ Pferde und Maultiere herbeischaffen.
So gerüstet, begab sie sich auf die Reise. Es war wie eine Wettfahrt mit der Zeit, oder als wolle sie die Zeit zu größerer Eile reizen. Der Worte des Mönchs blieb sie eingedenk zu jeder Stunde.
Am Tag der heiligen Katharina, vor Anbruch der Nacht, verließ die Infantin Burgos, zog bis in die aragonischen Berge, kam am Morgen bei heftigem Unwetter vor das Schloß Armedilla, und schon in der nächsten Nacht ging es weiter: nach Olmedo, nach Escalona und San Francisco, von Dorf zu Dorf über die unwirtlichen Hochtäler nach Norden.
Vier Maultiere trugen den Sarg, vierundzwanzig Männer mit Fackeln in den Händen ritten ihm zur Seite. Schrecklich war das Aussehen dieser Männer, ihre Gesichter waren kohlschwarz vom Flammenruß. An vielen Orten verkrochen sich die Menschen beim Anblick des schauerlichen Zuges. Auch unter Johannas eigenen Leuten verbreitete sich eine düster-ahnungsvolle Stimmung, und einige ergriffen heimlich die Flucht. Andere sagten, sie wollten eine Stadt beschauen, gingen und kehrten nicht wieder.
Vor dem Sarge ritt ein Fahnenträger mit einem schwarzen, für die Augen durchlöcherten Tuch vor dem Gesicht. Auf der Fahne brannte in goldnen Buchstaben das Wort Nondum, noch nicht.
Bei Tag gewährten die Hütten der Bauern, die Häuser der Herren Rast und Aufenthalt. Johanna bevorzugte die Orte in der Ebene, wo ihr Blick die Fernen fassen konnte, ehe sie sich zu kurzem Schlaf neben Philipp bettete. Sie liebte nicht Blumen in ihrer Nähe, aus Furcht, daß dann ein flüchtiges Vergessen ihre Sinne kraftloser machen könnte. Sie gab kein Ziel an, denn so erschien es ihr, als ob Philipp Richtung und Weg befehle. Nach Osten, Westen oder Norden zu ziehen galt ihr gleich, wenn nur die Tage hinabflössen zur Zukunft. Während die Welt an ihr verschlossenes Ohr vergebens pochte, sammelte sie in ihrer Brust Leben. Der Tote war gereinigt von aller Schuld, sie selbst hatte für ihn die Verantwortungen des Daseins übernommen. Im voraus schmückte sie sein Auge mit jener Glut, mit welcher er ihr danken würde für die Freiheit und Leichtigkeit seiner Seele. Einst hatte sie Ungeheures gewollt, ihr anmaßender Traum hatte von ihm verlangt, daß er einem Gott gleich sei; jetzt wollte sie nichts weiter als einen Menschen, und sie schmachtete um den leersten seiner Blicke und die knabenhafteste seiner Gebärden, so wie er einmal um sie geschmachtet hatte auf dem Krankenlager der Sinnenliebe. Der blaue Himmel war ihr nichts, sie mußte erst die Bläue von Philipps Auge darin sehen, der süße Duft burgundischer Gärten nichts, außer er schien Hauch aus seinem Munde, kein Schmerz war außer dem seinen um das frühverlorene Leben, kein Ding war betrachtenswert außer dem erstarrten Leichenantlitz.
Unter ihren Begleitern war ein Mann, der ihr tief im Herzen ergeben war. Er hieß Jan Dalaunes und war ein ehemaliger Falkner, dem bei einer Jagd ein Auge ausgeschossen worden. Seitdem hatte er sich der Dichtkunst gewidmet, wobei ihn seine melancholische Gemütsart unterstützte, und er schrieb auch Stücke geistlichen Inhalts. Er wußte von Johannas ehern umschlossenen Mienen die Müdigkeit abzulesen, die sie sich selbst verhehlte, und er wurde zum kühnen Redner, wenn es galt, die immer rege Widerspenstigkeit der Söldner zu besänftigen. Das nächtlich lautlose Wandern mit einer Leiche, in deren Brust das Räderwerk den Schlag des Lebens nachahmte, verdüsterte den Geist der Leute. Kam es doch vor, daß rauhe, kriegsgewohnte Bursche von Krämpfen befallen wurden, wenn mitternächtiger Sturm die Bäume bog, oder daß sie schrien wie Besessene, wenn das Irrlicht übers Moor tanzte und der Mond grünliche Schleier auf den Felsen spann. Sie atmeten auf, sowie der erste Morgenschein den Osten färbte, und als sie nach Monaten ins flandrische Gebiet kamen, verließen sie den Dienst der Infantin.
Jan Dalaunes überredete die Herrin, in der Stadt Gent zu verweilen. Er trug dabei in seinem stillen Sinn die Hoffnung, daß sie nach ihrem Sohn Carlos Verlangen haben würde und durch seinen Anblick von der unergründlichen Schwermut geheilt zu werden vermöchte. Doch seine Rechnung ging fehl. Als der Graf von Eroy, der ihr Wohnung in seinem Palast angeboten hatte, vor ihr erschien und sie fragte, ob sie den jungen Prinzen zu sehen begehre, da zuckte es auf in Johannas Gesicht, wie wenn eine Fackel durch einen finstern Raum fällt. Dann aber entgegnete sie kopfschüttelnd und mit kaltem Ausdruck, sie wolle Don Carlos nicht sehen. Die Worte des Mönchs erhoben sich wie Wächter in ihrem Innern, wenngleich sie ihrer nur als Formel gegen die feindlich andringende Welt bedurfte.
Sie schloß sich in ihre Gemächer ein, um nichts zu sehen als ihren Toten, nichts zu hören als das täuschungsvolle Klopfen des Uhrwerks. Ja, zwischen Täuschung und Vision lag sie in einem Krampf, der halb Schmerz und halb Lust war. Sie mußte Weib sein, um Philipp zu lieben, Mann, um ihn noch einmal zu zeugen, und Mutter, um ihn noch einmal zu gebären. Sie mußte in diesem fertigen Leib Kindheit und Jugend wiedererschaffen, das erwachende Auge mit allen Erinnerungen füllen, nichts von dem vergessen, was solch ein königliches Leben hält und trägt; daher mußte sie auch er selbst werden, damit Einheit entstehe zwischen dem Philipp von einst und dem der Zukunft und, wie alle Schuld, auch der grauenvolle Zustand des Nichtseins ausgelöscht werde aus seinem Geist. Dies zu vollbringen, still, allein, den Menschen unverständlich, ja scheinbar auch Gott zuwiderhandelnd, forderte übermenschliche Anspannung und mußte das Blut in unaufhörlichem Fieberlauf durch die Adern treiben.
Frühling, Sommer und Herbst verflossen zum zweitenmal. In dieser Zeit war der junge König Karl sehr krank gewesen. Einst war er nämlich des Nachts aufgeweckt worden, um eine angekommene Depesche von geringer Wichtigkeit zu lesen. Sein Gouverneur, der ihn nach römischen Grundsätzen erzog, hielt unerbittlich darauf, daß er sich trotz seiner großen Jugend an die Geschäfte gewöhne. Als der Knabe durch einen dunklen Korridor in ein Zimmer gelangte, in welchem nur eine matte Ampel brannte, hielt er still, da er sich verirrt zu haben glaubte, und belauschte, ohne zu wollen, das Gespräch zweier Diener, die in einer Nische kauerten.
»Wißt Ihr denn, daß die spanische Königin hier ist?« fragte der eine, schläfrig gähnend. Und der andere erwiderte: »So? Ist die hier? Ich wüßt es nicht.« Darauf der erste: »Es ist die Mutter unsres jungen Herrn. Ein schlechtes Weib.« Und wieder der andre: »Warum lebt sie nicht beim Sohn?« – »Das böse Gewissen ist schuld«, flüsterte der erste, »hat sie doch ihren Herrn und Gemahl mit Gift vergeben.«
Ein leiser Schrei unterbrach die Erschreckenden. Der Knabe war zu Boden gestürzt. Er mußte fortgetragen werden und lag lange darnieder.
Viele Wochen später gab der Graf von Eroy ein großes Maskenfest, welches drei Tage währte. Die Musik und das Lachen der Gäste tönte bis in die Zimmer der Infantin. Als Jan Dalaunes vor seiner Herrin erschien, entsetzte er sich, denn so durchwühlt und erregt hatte er sie niemals gesehen. Sie raste durch den Raum, immer querüber von Ecke zu Ecke, und hielt die Hände gegen die Ohren gepreßt. Offenbar war das Spiel der Flöten und Geigen daran schuld. Der Falkner ging hinaus, beriet mit dem Castilianer Antonio Vacca, was zu tun sei, dann kehrten beide zurück, und Jan Dalaunes schlug der Infantin vor, ihm in den Luxemburger Palast zu folgen, der nur wenige Straßen entfernt lag. Johanna, qualvoll bedrängt, hatte nicht übel Lust, zu willfahren. Doch näherte sie sich zuerst der Leiche Philipps, beugte sich nieder, umschlang den Toten, wisperte in sein Ohr, küßte die wächserne Stirn, lächelte beschwichtigend wie eine Mutter, wenn sie den Säugling verlassen muß, wandte sich endlich mit fahlglänzenden Augen zu den beiden Männern und sagte heiteren Tons: »Er fängt schon an zu träumen.«
Dann ging sie, tief in sich gekehrt. Und so, nach innen webend, schritt sie im Luxemburger Palast über einen von Dämmerlicht erfüllten Flur, als plötzlich der Castilianer vor der offenen Türe eines Saals stehenblieb und lächelnd den Arm ausstreckte. Vor einem länglichen Tisch stand ein feister Mann im Samthabit und mit weißer Halskrause, und neben ihm, ein Buch in der Hand, saß ein Knabe von etwa zehn Jahren.
Donna Johanna hob langsam die schweren Augenlider und starrte hinein. Durch die Marienglasscheiben der schmalgebogenen Fenster fiel ein gelblicher Perlenschein in den stillen Raum. »Wer ist der Knabe?« fragte Johanna beklommen. Antonio Vacca antwortete mit demselben diensteifrigen Lächeln: »Es ist Euer Sohn Karl, edle Donna, und der würdige Herr Cernio ist mit ihm, der beste Grammatikus weit und breit. Ich selbst habe die Ehre, Seine Hoheit in den Rechtswissenschaften zu belehren.«
Flüsternd trat der Castilianer an den Tisch. Der Knabe erhob sich und schritt gravitätisch zur Schwelle. Dann stand er vor seiner Mutter: regungslos, schmalen Antlitzes, bleich, schweigend und schwermütig.
Ein Laut drängte sich auf Johannas Lippen. Ihr war, als seien Brust und Leib mit Feuer angefüllt. Schon wollte sie reden, da gedachte sie noch zu rechter Zeit der Worte des Mönchs: zu vergessen jeden eigenen Schmerz und jede eigene Lust.
Stumm und kühl nickte sie dem Knaben zu, wandte sich ab und ging weiter. Mit tief gesenktem Haupt folgte ihr der treue Falkner Jan Dalaunes.
Drei Tage später verließ Donna Johanna die flandrische Stadt und zog mit neugeworbenen Söldnern den Rhein hinauf gegen Köln und Mainz und über Franken an die Donau und weiter, wochen- und monatelang, Sommer und Winter hindurch, manchmal bei Tage und öfter bei Nacht. Da und dort nahm sie Aufenthalt; in Regensburg blieb sie acht Monate, in Landshut sechs, in Augsburg fünf. An den Hof des Kaisers zu gehen, wagte sie nicht. Die Schlösser der Edelleute gaben ihr gute Unterkunft, denn es war bekannt, daß sie mit königlichen Geschenken lohnte. Zu Memmingen ließ sie eine Kapelle erbauen und in Ulm eine ganze Kirche. Es war ihr trostreich, in diesem Land der vielen Flüsse, der Berge und der schönen Seen zu weilen; oft schien ihr ein Stück von Philipps Seele in der milden Luft zu ruhen, und wenn der Frühling kam, mußte sie sich mit doppelter Kraft verschließen, um nicht teilzunehmen an dem holden Erwachen der Natur.
Sie mied Plätze, wo das Volk in Freudigkeit zusammenströmte, und wenn sich ein Kindergesicht unschuldig-froh ihr zuwandte, schloß sie die Augen. Deswegen liebte sie auch am meisten, des Nachts zu reisen, weil da Dinge und Menschen erstarben und die Flammen der Fackeln wie Opferfeuer hinausstrahlten über den Sarg ihres Herrn Liebsten. Empfindungslos gegen Sturm und Regen, weder Mühsal noch Entbehrung scheuend, so trieb sie die Zeit vor sich her wie einen lahmen Hund.
Jahr auf Jahr floß vorüber, Johanna zählte sie nicht im Kalender, sondern maß sie an ihrer Hoffnung. Doch mit der Zeit ist es wunderlich beschaffen: Sie hat ein Zeugnis der Wahrheit in sich, das selbst den umschlossensten Sinnen nicht verborgen bleiben kann. Johanna zog einem Bild entgegen, und je mehr sie sich ihm zu nähern gedachte, je mehr schrumpfte es zusammen, und von all den vergeudeten Flammen des Herzens wurde sie nicht reicher, ja ihr Herz glich endlich der blassen Qualle, die das Meer an den Strand spült, und frierend stand sie da, als die letzten Fetzen ihrer Armut von der zuckenden Schulter sanken. Philipp! Wer war Philipp? Der bloße Name schien zu verfließen, und gab es noch einen Mann auf Erden, der so hieß, so war er sicherlich nur der Schatten seiner selbst. Und obwohl sie das leblose Abbild von Philipps Leib täglich vor sich ruhen sah, verlor sie die Erinnerung an ihn und wußte nicht mehr, wie er aussah und wie er sprach, wußte nichts mehr von der Farbe seiner Augen und der Form seiner Hände, und es ward ihr bang und banger, als sie so seinen Namen durch die Länder schleppte, nichts weiter als seinen Namen. Die Finsternis in ihr verlor gleichsam ihre Grenzen, überdeckte Himmel, Erde und Wasser, erfüllte die Schöpfung mit eisiger, bodenloser Trauer.
In den rhätischen Gebirgen erkrankte Jan Dalaunes und blieb in einem Dorf zurück. Erst im Savoyischen holte der ergebene Mann die Herrin wieder ein und kam gerade recht, um die Söldner und Diener zu ermutigen und anzufeuern, als sie sich weigerten, am Abend über einen verschneiten Paß zu wandern.
Es war ein schauriges Unwetter, als sie die Höhen erreichten. Die Vordersten verloren den Weg und sanken tief in den Schnee. Einige blieben ermattet liegen, schliefen ein und erfroren. Die Fackeln verlöschten, und zum Glück entdeckte der vorauseilende Jan Dalaunes die Hütte eines Hirten. Da fanden die Zuflucht, die sich noch retten konnten; der Sarg blieb draußen und wurde vom Schnee zugeweht.
Noch in der Nacht erwachte Jan Dalaunes, tastete sich zur Tür des vom schlechten Atem der Schläfer erfüllten Raums und trat hinaus. Angst um die Herrin hatte seinen Schlummer verscheucht.
Der Himmel war klar, und die Sterne funkelten in erhabener Pracht und Ruhe. Über einem fernen Schneefeld herauf bog sich die Milchstraße über das dunkelblaue Gewölbe wie erstarrter Rauch. Zwischen zwei mächtigen Felszacken glitzerte grünlich das Eis, gähnten ungeheure Spalten. Bisweilen kam ein schneidend kalter Windstoß und wirbelte den Schnee zu dünnen leuchtenden Säulen empor. Es herrschte ein Schweigen, welches den Atem stocken ließ.
Im unsicheren Licht gewahrte Jan Dalaunes die Herrin. Sie saß auf einem niedrigen Holzblock, hatte die Arme um die Knie geschlungen und starrte mit gefrorenem Blick in die gewaltige Stille. Sie schien die Kälte nicht zu spüren; eine Pferdedecke umhüllte ihre Schultern.
»Ihr müsset krank werden, edle Donna«, sagte Jan Dalaunes, indem er sich näherte. Die Infantin antwortete nicht.
Der Falkner ging ins Haus zurück und klaubte Späne und Reisig zusammen. Dann kam er wieder und machte auf einer schneefreien Stelle Feuer an. Das Mitleiden mit der Herrin würgte ihm die Kehle, und während er immer neues Holz in die aufprasselnden Flammen warf, war sein bärtiges Gesicht vom Kummer förmlich verwüstet. Es drängten sich Worte auf seine Lippen: Verse, die er einmal gehört oder gelesen oder geträumt.
»Was sprecht Ihr da?« hörte er auf einmal die dunkle Stimme der Herrin. Ihr Gesicht hatte sich auf der schneebewehten Decke fremd und düster wie das Antlitz einer Sphinx ihm zugedreht. Er schüttelte befangen den Kopf und kniete vor dem Feuer hin. Nach einer Weile kehrten die seltsamen Worte traumhaft wallend wieder.
Wo des Nebels Silberbogen
über eine Gletscherwand
groß und feierlich gezogen,
dort liegt meiner Sehnsucht Land.
Sah ich eisige Gestalten,
schaudernd im gefrornen Strahl,
grünkristallne Kerzen halten,
tanzen in dem weißen Saal.
Sah ich eine, die beklommen
nur des Mantels Saum bewegt,
und ihr Herz vom Tisch genommen,
der den ganzen Himmel trägt.
Wie im Schlaf hält sie die
schwere Purpurkugel sanft empor,
und es öffnet sich die Sphäre,
Gottes Arm streckt sich hervor.
Er empfängt des Lebens Schale,
jene aber steht beglückt,
schaut hinunter zu dem Tale,
wo ein Knabe Blumen pflückt.
Lautlos wälzte sich eine bläuliche Wolke von Schneestaub heran und entfernte sich wieder.
Da sank Johannas Haupt etwas vorneüber. Wie um es zu halten, schlug sie die Hände vors Gesicht, und gleichzeitig brach sie in ein furchtbares Weinen aus. Es klang wie der dumpfe Schlag eines Hammers gegen eine hohle Wand. Unwiderstehlich hatte sie der Schmerz um das eigene Leben, um die eigene vernichtete Seele ergriffen. Es war, als sei ihr Herz bis jetzt durch einen künstlichen Mechanismus in Gang erhalten worden, der nun zu versagen drohte.
Sie fühlte die Kraft der Erinnerung völlig aus ihrer Seele entschwinden, sie spürte nur sich selbst, nur den eigenen unermeßlichen Jammer, es ergriff sie wie Flammen eines Scheiterhaufens, sie schrie und schlug um sich, und als eine Wahnsinnige wurde sie von ihren Leuten zu Tal gebracht.
Der zertrümmerte Sarg mit dem sehr entstellten Leichnam ward erst viele Wochen später in einem Schneeloch aufgefunden, wo er hinabgestürzt war. Der Herzog von Savoyen ließ die sterblichen Reste des Fürsten nach Burgos schaffen. In einer Gruft der Kirche San Andrea fand endlich Philipps Körper seine irdische Ruhe.
Zwischen den Städten Valencia und Valladolid lag in unfruchtbarer Ebene das öde Schloß Tordesillas. In einem Turm dieses Schlosses lebte die wahnsinnige Infantin. Der Turm war rings von Wasser umgeben; die Zugbrücke war stets emporgezogen. Auf dem Wasser schwammen Schwäne.
Längst war Johanna Königin von Spanien, freilich nur dem Namen nach. Doch wurden in ihrem Namen alle Regierungshandlungen ausgeübt und die Dekrete gesiegelt. Aber diese Königin herrschte in Wirklichkeit bloß über ein Reich von Katzen. Der treue Jan Dalaunes war Majordom von Tordesillas. Täglich fuhr er auf einem Boot hinüber und sah zu, wenn die Herrin mit den Katzen spielte, als ob es ihre Kinder wären. Jedes der Tiere trug ein buntes Bändchen um den Hals, und jedes hatte seinen Namen und seine Würde.
Gleichmäßig flossen die Jahre an Donna Johanna vorüber wie Wasser an einer steinernen Mauer. Lange, viele Jahre. Sie alle fanden die edle Frau versunken in ein Spiel, ja nur in den kargen Abglanz eines Spiels, in stumpfer Unwissenheit von sich selbst, in niemals erleuchtetem Frieden.
Draußen in der Welt hatte sich mancherlei begeben. Der Knabe Carlos war zum Mann geworden, und die Fürsten hatten ihn zum römischen Kaiser gewählt. Er führte Kriege gegen die Ketzer und warf sie zu Boden. Er war stark in der Tat und stark im Wort. Sein ganzes Leben war ein Krieg: voller Blut, voller List. Heißdrängender Ehrgeiz lockte ihn von Enttäuschung zu Enttäuschung. Sein wahres Gesicht trug er verborgen hinter vielen andern Gesichtern. Er hatte viele Gesichter gegen die Menschen, aber sein Gesicht vor Gott war immer dasselbe: schwermütig und krank.
Einst war er ausgezogen mit einem weißgeschliffenen Schild, auf welchem das Wort strahlte: Nondum, noch nicht. Nachdem die Jahre verflossen waren und er alle Macht in Händen hielt, die einem Menschen gewährt sein kann, da sagte sein müder Verzicht: nicht mehr. Er war ein so gewaltiger Fürst, daß er zwei Weltkugeln im Wappen führen durfte, und seine Leute nannten ihn bloß »den Herrn«. Nichtsdestoweniger schien ihm die Ruhe eines Klosters über alles begehrenswert.
Als er fünfzig Jahre alt war, reiste er nach Santander und zog über Burgos nach Tordesillas.
Eines Tages im Herbst rasselte die Brücke über den Wassergraben, und ein ansehnlicher Zug glänzender Herren betrat den halbverfallenen Hof. Der Kaiser allein ging hinauf.
Ungeachtet des sonnigen Tages herrschte im Zimmer Dämmerung; die beklemmende Luft roch nach Weihrauch und Räucheressenzen. Inmitten des Raums stand Johannas Bett, und auf der morschen Damastdecke lagen Katzen: weiß und schwarz, alt und jung; andere hockten auf dem Sims, andere in einem Winkel oder auf Stühlen.
Donna Johanna hatte sich erhoben. Ihr schmales, fast runzelloses Gesicht mit dem hochgeschwungenen Munde erschien wie aus Holz geschnitzt. Neugierig blickte sie auf die schmächtige Gestalt im schwarzen Barett und mit dem roten, bis auf die Knie reichenden Spaniermantel; verwundert sah sie dies totenblasse, kalte, müde Angesicht.
Mit gravitätischem Schritt näherte sich der Kaiser, und indem er sich auf ein Knie niederließ, zitterte die Unterlippe ein wenig, und er murmelte: »Euren Segen, Mutter.«
Donna Johanna duckte sich, und als sie die feindurchäderten Lider in krankhafter Erregung noch weiter öffnete, war es, als fasse ihr Blick, als halte ihre Wimper noch einmal den ganzen Ernst und die Furchtbarkeit des längst verschwundenen Lebens fest.
Die Zugbrücke rasselte hinauf, und an der Spitze seiner Herren ritt der Kaiser schweigend der untergehenden Sonne zu.
Da verließ auch Donna Johanna ihr Gemach, zum erstenmal seit langen Jahren. Wie schlafend stieg sie die Turmtreppe empor, bis sie zu einem runden Fensterchen gelangte, das freien Ausblick über die Ebene gab. Hier stand sie und verfolgte mit dem Blick den glänzenden Reiterzug. Als der Horizont, im goldnen Lila schwimmend, das farbige Bild einzusaugen drohte, stieg sie eine Treppe höher. Sie gewahrte noch ein paar funkelnde Lanzenspitzen, und ihre dünnen Lippen flüsterten: »Der Kaiser, der Kaiser.«
Es dunkelte, und sie stieg herab. Ihr Herz verschnürte sich bang, und mit dem letzten Funken des vergehenden Bewußtseins seufzte sie einem ungetrösteten Tod entgegen.