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Es wird eine Begebenheit erzählt, aus der mit der Schlagkraft einer Parabel hervorgeht, wie die Indios, mehr und mehr erschüttert in ihrem Glauben an die Fremdlinge, sich die Gewißheit zu verschaffen trachteten, daß die vom Himmel gekommenen Männer nicht unsterblich seien, wie sie anfangs gewähnt hatten. Die Mannschaft des Forts San Tomas, zu dessen Kommandanten Columbus einen Edelmann namens Pedro Margarite ernannt hatte, wütete gegen die Eingeborenen mit jener Brutalität, die keine angestammten Rechte achtete und die allmählich stumpfe Gewohnheit bei den zügellosen Horden wurde, die Spanien über die neue Welt losließ wie eine fressende Plage. Sie nahmen den Indios ihren Goldschmuck weg, sie leerten ihre Speicher, sie raubten und entführten ihre Frauen und Töchter, und die schmachvollsten Mißhandlungen waren an der Tagesordnung. Der Kazike Caonabo, der die Vega real beherrschte, die Königsebene, in der das Fort lag, war aber ein entschlossener und tapferer Mann, er versammelte die Leute seines Stamms um sich und löste die Fessel der Fügsamkeit von ihrem Geist. Um ihnen zu beweisen, daß die Fremden durchaus nicht die übernatürlichen Kräfte besaßen, die sie fürchteten, daß die angeblichen Himmelssöhne genau so dem Tode erliegen müßten wie sie selbst, veranstaltete er vor ihren Augen eine Probe. Die Spanier bedienten sich gewöhnlich eines oder mehrerer Indios, um sich durch die Furt des Flusses tragen zu lassen, der die Festung von der Ebene trennte. Als dieser eines Tages vom Regen angeschwollen war und ein Ritter dennoch darauf beharrte, nach dem andern Ufer gebracht zu werden, befahl der Kazik den Trägern, mit dem himmlischen Gast den Versuch zu machen, ob ihm das Ertrinken nichts anhaben könne. In der Mitte des Flusses ließen sie den Spanier von den Schultern gleiten und hielten ihn so lange unter Wasser fest, bis er sich nicht mehr rührte. Dann trugen sie ihn ans Ufer, wo sich die gesamte Einwohnerschaft des Dorfes um den Leichnam herumsetzte und wartete, ob er wieder erwachen werde. Drei Tage saßen sie um den Toten herum, und erst als der Körper zu verwesen begann, waren sie überzeugt, daß der vermeintliche Gott nur ein sterblicher Mensch gewesen war. Die Gewißheit befreite sie von der Angst, von der Ehrfurcht, die sie gelähmt hatte, und die Kunde von dem wunderbaren Ereignis wurde jubelnd von Stamm zu Stamm getragen.
Schwache und zaudernde Charaktere lassen sich leicht zu überstürzten Maßnahmen hinreißen. Haben sie versäumt, zur richtigen Stunde mit Festigkeit zu handeln, so trachten sie den Fehler durch übermäßige Härte auszugleichen, und sind sie bei falschem Anlaß langmütig und nachsichtig gewesen, so vervielfachen sie das Übel, indem sie bei einem andern, nicht weniger falschen zum Wüterich werden.
In der Dienstvorschrift, die der Admiral dem Pedro Margarite erteilte, wird ihm als Hauptsorge ans Herz gelegt, darüber zu wachen, daß den Indios kein Leids geschehe, daß ihnen nicht das geringste gegen ihren Willen genommen, vielmehr alle vernünftige Rücksicht erwiesen werde. Das klingt, als wäre es so gemeint. Es ist aber nicht so gemeint. Denn gleich darauf heißt es: »Weil es vorgekommen ist, daß die Wilden Diebstähle an uns verübt haben, bestimme ich, daß Ihr jedem, den Ihr dabei ertappt, die Nase und die Ohren abschneidet, weil dies Gliedmaßen sind, die sie nicht verbergen können. Hierdurch versichert man sich auch eines anständigen Tauschhandels mit ihnen, denn alle werden auf diese Weise verstehen, daß wir die Guten gut, die Bösen böse behandeln wollen.« Nachdem er mit gleißnerischen Floskeln beteuert hat, daß ihm wie auch der Königin weit mehr daran gelegen sei, daß die Indios Christen würden und ihr Seelenheil retteten als an allen Schätzen, die man von ihnen erlangen könne, entwickelt er seinem Untergebenen einen außerordentlich hinterlistigen Plan, wie er sich des gefürchteten Caonabo bemächtigen solle. »Man muß ihn dazu bringen, daß er zu Euch einen Besuch macht«, rät er; »da er nackigt geht, deshalb nicht leicht festzunehmen ist und, wenn einmal entwischt, wegen der Lage des Landes kaum wieder einzufangen sein dürfte, müßt Ihr ihm ein Hemd und einen Schleppmantel darreichen, einen Gürtel umbinden und eine Mütze aufsetzen, dann könnt Ihr ihn greifen. Sollte er nicht zu Euch kommen wollen, so stellt Euch so mit ihm, daß Ihr zu ihm geht. Einer muß dann vorausgeschickt werden, der ihm sagt, Ihr wünschet ihn zu sehen und mit ihm Freundschaft zu schließen.«
Von Redlichkeit und Ritterlichkeit ist das alles so weit entfernt wie... na, ungefähr wie das spanische Christentum vom indianischen Heidentum, und eine größere Entfernung läßt sich nicht denken, wenigstens in diesem besondern Fall, für den man sich vor Augen zu halten hat, daß Heiden, Juden, Türken den Christen gegenüber sich im Zustand vollkommener unaufhebbarer Rechtlosigkeit befanden, so daß man mit ihnen verfahren konnte wie mit Sachen, wie mit schädlichem Getier. Das Wort ist ein lasterhaft gefügiges Ding. »Seht ja darauf«, ermahnt Columbus seinen Offizier, »daß die Gerechtigkeit nicht verletzt werde.« Wie denn? Durch abgeschnittene Nasen und Ohren und die dreihundertvierzig Galgen, die von den Zimmerleuten auf der Vega real errichtet wurden? »Auf allen Wegen und Stegen müßt ihr Kreuze aufrichten«, schloß der Admiral seine Instruktion (wahrscheinlich hatte er sich vorgenommen, die Galgen für Kreuze anzusehen), »denn da, Gott sei gelobt, dies Land den Christen gehört, muß das Andenken daran für ewige Zeiten erhalten werden.«
Er hat sich nicht geirrt: das Andenken ist erhalten worden. Eines der Hilfsmittel, die dazu beitrugen, war der Bluthund. Mit historischer Genauigkeit läßt sich der Zeitpunkt nicht feststellen, in welchem die nützliche Bestie zum erstenmal in Tätigkeit tritt. Setzen wir einen Augenblick aus, um Atem zu schöpfen. Der Hetz- und Schweißhund, perro corso, wurde, zur bequemeren Erlegung des indianischen Wildes, gewöhnlich losgelassen, wenn die Indios zu fliehen begannen. Er fiel ihnen dann mit gieriger Wut in den Rücken, riß sie zu Boden und zerfleischte sie. Auf diese Weise gewann die Jagd einerseits an Ergötzlichkeit, andererseits steigerte sie das sinnlose Entsetzen der Gejagten und brach den letzten Rest ihres Widerstands. Bei derart erwiesener Dienlichkeit zögerte der Admiral auch nicht, ganze Koppeln der Tiere aus Spanien kommen zu lassen; einzelne, z. B. der Hund Berçerrico, erlangten als Würger eine gräßliche Berühmtheit und wurden zu Stammvätern von Geschlechtern, denen besondere Meisterschaft im Aufspüren und Zerreißen der Indios zugeschrieben wurde und die deshalb hoch im Preise standen. »Seht nur darauf, daß die Gerechtigkeit nicht verletzt werde.«
Wenn aber Don Quichote zum Wüterich wird, hört er auf, Don Quichote zu sein. Nur eins oder das andere kann er sein, beides nicht. Oder weiß Don Quichotes linke Hand nicht, was die rechte tut? Ist seine Seele so hoch gespannt, sein Geist so in die fixe Idee verfangen, daß er das Maß für die nahen Dinge verliert und ihm das Kleine groß, das Gute schlecht erscheint und umgekehrt? Ist das der Einfluß und die Wirkung Sancho Pansas? Denn Sancho Pansa ist immer an seiner Seite, ohne ihn ist er nicht vorstellbar, und Sancho Pansa ist ein listiger und erfahrener Mann, der sich auskennt im Leben und sein Geschäft versteht. Das Urbild freilich ist ein gutmütig-einfältiger Bursche, der keiner Fliege weh tun könnte; doch er ist verwandlungsfähig, die Zeitalter modeln ihn, die Umstände treiben ungeahnte Talente aus ihm hervor, die Welt ist voller Sancho Pansas, in allen Jahrhunderten, in allen Berufen und Ständen findet man sie, in allen Altern. Wohin das Schicksal ihn stellt und welche Gestalt er annimmt, eines Bauern, eines Landsknechts, eines Kleinbürgers, eines Vagabunden, eines Höflings, eines Beamten, eines Haudegen, stets wird er die Schwächen auszunützen wissen, die der jeweilige Don Quichote, an dessen Fersen er sich heftet, ihm darbietet. Denn wirklichkeitslos wie Don Quichote ist, läßt er die Wirklichen, die Tatsächlichen, die Nutznießer gewähren, und indem er sie für seine Kreaturen hält, schalten sie mit ihm nach ihrem Belieben, haben sie doch nur nötig, ihn in seinem Wahn zu befestigen und seine Einbildungen zu nähren.
Es ist eine undankbare und meist vergebliche Arbeit, Vorgänge, die sich in weit zurückliegender Vergangenheit abgespielt haben, sozusagen auf ihren chemisch reinen Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wie Bauten in Schutt und Trümmer zerfallen, so auch Ereignisse, was übrig bleibt, ist roher Umriß, der höchstens über Dimension und Proportion Aufschluß gibt, selten darüber, was an der Form lebendig, ursächlich und zeitbedingt war. Das muß durch Vergleichung und innere Anschauung festgestellt werden und durch die Folge, die es im weiteren Verlauf gehabt hat. Noch schwieriger ist der Mensch aus der Historie herauszuschälen, sein wahres Antlitz verliert sich hinter tausendfachem Hörensagen, Umkrustung mit Gleichartigem, hinter der Willkür der Erfinder und Entsteller, hinter Mißverständnis und Anekdotenbildung. Neben eine Überbelichtung schiebt sich unaufhellbare Dunkelheit, das wichtige Private zerfließt, und die verästelten Züge des täglichen Lebens werden grob vereinheitlicht, um sie dem Schauplatz und der Rolle anzupassen. Hab ich doch Mühe, den Menschen, der mit und neben mir lebt, zu erkennen, er braucht nur einmal das Unerwartete zu tun, so muß ich mein ganzes Urteil über ihn revidieren (mit Menschen zu sein, heißt überhaupt nichts anderes als beständig Urteile revidieren); bei einer geschichtlichen Person, zumal einer von hohem Rang, gibt es, um nicht heillos in die Irre zu gehen, nur den einen Weg, sie aus der Vision neu zu erschaffen.
Keine Frage, Columbus ist in die Hände seiner Kreaturen geraten. Da erst wird er schuldig, von Schritt zu Schritt schuldiger. Nur ganz starke Persönlichkeiten, deren Handlungen unmittelbar aus ihrer Natur fließen, können sich dem Druck entziehen, der von der Umgebung ununterbrochen auf ihren Willen ausgeübt wird. Columbus' Verhängnis war, daß er eine Figur darzustellen hatte, deren Eigenschaften er nicht besaß. Er war ein phantastischer Schwärmer und sollte ein Gebieter, ein Herr, ein Verwalter sein. Er war ein Mensch der Traum- und Wahnwelt, vielleicht hatte er sogar die Gabe der Versenkung, sicher die der Selbststeigerung, und war an einen Platz gestellt (für den er sich auch auserwählt glaubte), wo er eine harte, gefahrvolle, nüchterne Wirklichkeit hätte meistern sollen. Um nun nicht kläglich zu scheitern, war er genötigt, das zu spielen, was er scheinen wollte, und wird eine Rolle nur gespielt und nicht gelebt, so wird sie auch schon übertrieben und verzerrt. Alles weitere vollzieht sich zwangsläufig; er verfällt dem Schmeichler und will dessen anderes Gesicht nicht sehen, obschon er davon weiß; er kann den Gierigen nichts verweigern, wagt die Rechtsbrecher nicht zur Verantwortung zu ziehen und tritt nur dort mit Entschiedenheit auf, wo er nicht für sein Amt und seine Würde zittern muß, von denen er, bei allem Bestimmungsdünkel, im tiefsten Innern weiß, daß sie ihm nicht zukommen, weil er ihnen nicht gewachsen ist. Er ist nicht daran gewöhnt, daß jedes Tun eine so unbarmherzige Folge hat, sein früheres Leben in der Welt der Vorstellung war unter einen viel weiteren Bogen gespannt, plötzlich wankt alles um ihn, und er, der sich nur halten, nur feststehen will, greift nach Stützen, die unter ihm brechen, oder nach Menschen, die ihn verräterisch herunterstoßen. Fast wie der geniale Einfall eines Dichters wirkt es (Shakespeare hat etwas Ähnliches in der Gegenüberstellung von Hamlet und Horatio verkörpert, im übrigen ist ja das Schicksal ein noch größerer Dichter als Shakespeare), daß Columbus, als er seinen Bruder Bartolomé auf die zweite Reise mitnahm und ihn zum Statthalter machte, einen Mann zur Folie und zum Widerspiel neben sich setzte, der ihn in gewissem Sinne ergänzte und ihm seine Mängel veranschaulichte, denn dieser Bartolomé Colón hatte eine schwere Faust und einen eisern-unbeugsamen Willen, er war genau der, der Christoph Columbus hätte sein müssen, um die tobende Welt zu bändigen, in die er als irrender Ritter verschlagen war. Aber die rücksichtslosen, ja grausamen Versuche Bartolomés, des Unwesens Herr zu werden, warfen nur ein um so grelleres Licht auf die Schwäche des andern und gaben beide dem Haß der gebürtigen Spanier preis. Man war nie gut zu sprechen gewesen auf den »Ausländer«, den landflüchtigen Italiener, den die Zufallsgunst mit unverdientem Lorbeer bekränzt hatte, und in dem Wunsch und Vorsatz, ihn wieder in das Dunkel zu stürzen, aus dem er gekommen war, fanden sich alle einig, vom letzten Goldgräber bis hinauf zum Bischof Fonseca und zum König Ferdinand.
Er braucht sich nur aufzuraffen und dem schwülen Dunstkreis den Rücken zu kehren, wo Ehrgeiz, Habsucht, Enttäuschung und Ausschweifung alle Fesseln sprengen, und er ist wieder der schweifende Seefahrer, der fabel- und wundergläubige Adept, der, immer noch, die Insel Zipangu und das Reich des Großchans sucht. Es wird eine Szene überliefert, unvergleichlich in ihrer Art, paradox und komödienhaft, in der sich sein Bild am reinsten als das eines Menschen spiegelt, der von den wahren Tatbeständen und Zusammenhängen überhaupt keine Notiz nimmt, der die Dinge so darstellt, wie er sie haben möchte und wie sie seiner vorgefaßten Idee entsprechen.
Nachdem er die nötigen Sicherheitsmaßregeln für Española getroffen und einen trügerischen Zustand von Ruhe geschaffen hatte, ging er im April '94 mit einigen leichten Karavellen unter Segel, um neue Entdeckungen zu machen und den Ostrand von Asien zu finden. Daß die Länder, die er bis jetzt kennengelernt, etwas anderes sein könnten als Teile von Indien, darüber ist ihm nicht der leiseste Zweifel aufgestiegen. Wenn andere einen solchen Zweifel auch nur schüchtern zu äußern wagen, weist er sie mit glühendem Zorn zurück und erachtet dies für ein Verbrechen und eine ihm angetane Schmach. Er fuhr also an der südlichen Küste von Cuba entlang, überall wurde er freundlich empfangen und ließ für die Lebensmittel, die die Eingeborenen brachten, nach bewährtem Brauch Schellen und bunte Fetzen unter sie verteilen. Vergebens war die Nachfrage nach Gold, die Indios dieser Gegend kannten es wohl, doch man sah es selten bei ihnen, und auf die Erkundigung, woher sie es erhielten, wiesen sie immer nach Süden, ein Mittel, das sie der Instinkt gelehrt hatte, um die Fremden, denen schreckliche Gerüchte vorausgingen, loszuwerden. Da ließ Columbus die Richtung südlich nehmen und entdeckte anfangs Mai die Insel Jamaika, indianisch Janahica, die blühendste des Archipels, eine zauberische Landschaft. Doch was scherten sich die Ritter und Schiffsführer darum, was sollten ihnen die herrlichen Urwälder, der berückende Flor einer unvergewaltigten Natur, ihnen stand der Sinn einzig und allein nach dem Gold; da sie keine Möglichkeit sahen, davon eine nennenswerte Menge zu erlangen, weigerten sie sich, die ertraglose Fahrt fortzusetzen, und der Admiral, der den Kniff erlernt hatte, seine feige Fügsamkeit mit dem Schein der Entschlußfreiheit zu umgeben, wandte sich nach Cuba zurück. Nordwestlich von Cap Santa Cruz kam er in ein Wirrsal schöner kleiner Eilande, dem er den Namen »Garten der Königin« verlieh, und erfuhr von indianischen Fischern, daß man gegen Abend zu einem Land Magon komme, wo geschwänzte Menschen lebten. Es war die erste andeutende Kunde von dem geheimnisvollen Volk der Maya, denn die angebliche Beschwänzung war nichts anderes als der über den Rücken fallende Federschmuck, der zur Tracht jener Stämme gehörte. Jedoch Columbus, inbrünstiger als je mit Marco Polos und John Mandevilles Beschreibungen von Asien beschäftigt, glaubte steif und fest, es sei die asiatische Landschaft Mangi gemeint, und wurde in seiner Ansicht, Cuba sei das Festland von Asien, durch die Beteuerung eines Häuptlings bestärkt, er könne das Ende der cubanischen Küste nicht erreichen, selbst wenn er noch vierzigmal den Mond habe sich füllen sehen. In froher Erwartung segelte Columbus am Westrand von Cuba weiter, und als nun auch die Mannschaft aufsässig wurde und mit Drohungen die Umkehr forderte, versprach er, wenn sie ausharrten, würden sie in wenigen Tagen an der Aurea chersonesus des Ptolemäos sein, von wo sie dann, die Mündung des Ganges passierend, das Rote Meer erreichen würden; von dort wäre der kürzeste Weg in die Heimat, zu Lande nach Jerusalem zu gehen, in Joppe sich wieder einzuschiffen und über das Mittelmeer zu fahren. Seine Verheißungen und Beschwörungen waren vergeblich, die Unverschämtheit der Leute wuchs mit jedem Tag, die Vorräte verringerten sich bedenklich, die Schiffe, vom Bohrwurm angefressen, waren in kläglichem Zustand. Da berief der Admiral einen Seerat; er versammelte die Hochbootsmänner, Padrone, Piloten und Seekartenzeichner und forderte sie auf, ihre Meinung zu äußern, ob sie, ebenso wie er, überzeugt seien, die indische Küste gefunden zu haben, von wo man trockenen Fußes bis nach Spanien gelangen könne. Die Leute wußten, wen sie vor sich hatten und was von ihrer Zustimmung abhing, sie erklärten wie aus einem Munde: ja, was der Admiral glaube, glaubten sie auch. Da ließ Columbus, um ein Dokument in der Hand zu haben, durch den Notar ein förmliches Protokoll darüber aufnehmen, daß er unzweifelhaft das Festland von Indien erreicht habe. Es lohnt sich, das einzigartige Schriftstück kennenzulernen.
Der Notar schildert zunächst die Situation der kleinen Flotte und verbreitet sich über die Gründe, die den Admiral notwendigerweise zu der Annahme brachten, daß Cuba ein Teil des asiatischen Kontinents sei. Es ist zum Lachen, wie er sich windet und dreht, um die Hypothese einleuchtend zu machen. »Man konnte nichts anderes denken«, sagt er, »da es in dieser Gegend keine Küstenbewohner gibt, nacktes Volk ausgenommen, das von Fischfang lebt, niemals ins Innere des Landes kommt, nichts von der Welt weiß, sich nicht über vier Stunden von Haus entfernt und glaubt, es gäbe in der Welt nur Inseln, Leute eben ohne Gesetz und Religion, die nur geboren werden und sterben. Damit nun nach vollendeter Reise niemand üble Nachrede führen und aus Bosheit Dinge verkleinern möge, die alles Lob verdienen, erteilte mir der Admiral den Auftrag, mich persönlich nebst guten Zeugen an Bord eines jeden der zwei Schiffe zu begeben und den Meister, die Mannschaft und alle darauf befindlichen Leute öffentlich zu befragen, ob sie im mindesten daran zweifelten, daß dies das feste Land sei, zu Anfang und zu Ende Indiens, von wo man zu Fuße nach Spanien gelangen müsse. Sollte jemand Zweifel oder andere Wissenschaft haben, so sollte er es mir sagen, damit ich ihm den Zweifel oder Irrtum benehmen könne. So tat ich und forderte öffentlich auf, sämtliche Leute, wie mir der Herr Admiral geboten hatte, und kündigte ihnen die Strafe von zehntausend Maravedis an für jedes Mal, wo einer irgendwann das Gegenteil von dem behaupten werde, was er jetzt ausgesagt, nebst Ausschneiden der Zunge, wäre es aber ein Schiffsjunge oder dergleichen Subjekt, so solle er hundert Peitschenhiebe erhalten und ihm trotzdem die Zunge abgeschnitten werden.«
Der Wortlaut war: »Ich, X. Y., Einwohner von Z., Pilot oder Matrose oder Meister, beteure bei meinem Eid, daß ich niemals von einer Insel etwas gehört oder gesehen habe, deren eine Küste sich von Abend nach Morgen 335 Seemeilen weit erstreckt, denn dies ist eine klare Unmöglichkeit. Da ich sehe, daß sich das Land hier so weit wie angegeben nach Südwesten dehnt, habe ich nicht den geringsten Zweifel, daß es festes Land sei und nicht eine Insel und daß, würde man an derselben Küste weitersegeln, man nach kurzer Zeit ein Land finden würde, wo kluge Völker, die die Welt kennen, Handel treiben.«
Diese aberwitzige Formel ließ Columbus von allen achtzig Personen, die ihn auf der Expedition begleiteten, laut nachsprechen, dann mußten sie das Protokoll unterzeichnen. Eine donquichotischere Vergewaltigung der Wirklichkeit läßt sich kaum ersinnen, denn es hätte, wie ein Zeitgenosse mit übertreibendem Spott bemerkt, nur einer der Leute während der Unterzeichnung des Protokolls auf den Mastkorb klettern müssen, um zu entdecken, daß Cuba eine Insel ist, und wenn jene Geographen recht haben, die den Ort dieser närrischen Verhandlung in den Meerbusen von Batabano verlegen, so hätte es in der Tat nur einer Fahrt von achtundvierzig Stunden bedurft, und Columbus wäre an die äußerste Spitze der Insel gelangt. Aber eine solche Gewißheit konnte er gar nicht brauchen, so wie für Don Quichote die Feststellung seines Knappen, die Schenke sei kein Ritterschloß, sondern eben eine Schenke, eine impertinente Einmischung ist, peinlich und zu verachten. An der Erhaltung der famosen Urkunde war dem Admiral so sehr gelegen, daß er nach dem Tod des Notars Perez de Lima, kurz nach der Rückkehr in die Stadt Isabella, den Kammerschreiber Penalosa rufen und das Protokoll neuerdings beglaubigen ließ.
Um diese Zeit brachte man ihm die Nachricht, man habe am Flusse Hayna verschüttete Goldgruben gefunden. Das erregte ihn mächtig. Er begab sich an den Ort, ging eine Weile sinnend herum und erklärte dann mit sonderbarer Emphase, die Gruben seien jene Bergwerke, aus denen König Salomo das Gold für den Tempel von Jerusalem gewonnen habe, woraus unumstößlich gefolgert werden müsse, daß die Insel Espanola das Ophir der Alten sei. Keine Laune, kein flüchtiger Einfall, keine bescheidene Vermutung, sondern ein kategorischer Leitsatz, den er von da an bis zu seiner letzten Stunde mit fanatischem Ernst verfocht, ohne sich über die geographischen und physischen Möglichkeiten die geringsten Gedanken zu machen.
Sehr verschieden von dem ersten Empfang war diesmal die Aufnahme, als er nach Spanien zurückkehrte, er verspürte es schmerzlich verwundert. Wo war all der Enthusiasmus geblieben, die freudige Raserei? Da wurden keine Tücher mehr geschwenkt, da hingen keine Teppiche mehr vor den Häusern, da kamen keine Freunde mehr zu herzlicher Begrüßung, alles kalt und still. Warum? Umschwung der öffentlichen Meinung, das hat immer etwas Rätselhaftes. Er schickt wieder seinen Bericht an die Königin, Tag um Tag verstreicht, sie antwortet ihm nicht. Statt an den Hof zu eilen und den Ränken seiner Feinde entgegenzutreten, von denen namentlich der Bischof Fonseca erfolgreich gegen ihn gearbeitet hat, liegt er in Klöstern und Kapellen vor verwitterten Heiligengebeinen auf den Knien, denn er hat ein Gelübde zu erfüllen, geht in härenem Bußgewand mit dem Strick um den Leib und läßt sich den Bart wie ein Franziskaner wachsen. Die ihn kennen, erschrecken über sein Aussehen und Gehaben, sein Gemüt ist bedrückt, seine Augen leuchten in beängstigend finsterer Glut, sein Leib ist schändlich abgemagert, Krankheit und Strapazen haben seine Kräfte erschöpft. Als ihm die Regentin einen zwar gnädigen, aber kurz gefaßten Bescheid sendet, muß man erst lange nach ihm suchen. Er führt in La Rabida heilige Gespräche mit Juan Perez und Antonio de Marchena. Er liest den königlichen Brief; er soll an den Hof kommen. Ja, er will kommen, doch mit allem gebührenden Glanz. So veranstaltet er, sehr zur Unzeit, einen Triumphzug nach dem Muster des ersten, aber alle Welt findet diesmal, daß es ein hohles Gepränge sei. Und doch hat sich nach seiner Meinung nichts verändert, an ihm nichts, an seiner Sache nichts. Indien ist Indien geblieben. Er vergißt nur (weil er es nicht wissen will), daß die Leute, die mit ihm heimgekehrt sind, als zerlumpte Bettler durch die Gassen von Cadix und Sevilla schleichen; die meisten, vom Fieber geplagt, sehen aus wie Gespenster. Keine stimmungsvolle Reklame jedenfalls. Es ist ziemlich viel Wesens davon gemacht worden, daß der stolze Kazik Caonabo als ein in der Schlacht besiegter Held dem spanischen Volk solle vorgeführt werden (daß er durch einen heimtückischen Anschlag in die Falle gegangen, davon verlautet natürlich keine Silbe); aber Caonabo ist während der Meerfahrt an Kummer und Heimweh gestorben. Bleiben noch die vermeintlichen Amazonen, die auf Guadelupe gefangen worden sind und die der Admiral in der Erinnerung an die Lektüre des Marco Polo so benannt hatte; nun, die armen Weiber bieten den Anblick von verhungerten Tieren im Käfig. Aber wie steht es mit dem sehnlich erwarteten Gold? mit den verheißenen Millionen? Erbärmlich. Man ist enttäuscht bis zur Frostigkeit und nimmt die unentwegten Versprechungen des Admirals mit einer Skepsis auf, die ans Beleidigende grenzt. Er spürt seine schiefe Situation nicht, fällt gleich mit der Tür ins Haus und verlangt acht Schiffe für eine dritte Reise. Man weicht aus, bedeutet ihm, er müsse warten. Worauf warten? Soll er vielleicht antichambrieren, er, Vizekönig des ozeanischen Reiches, wessen vermißt man sich? Achselzucken. Die Ohrenbläser Ferdinands haben momentan das Heft in Händen, Isabella scheint ihren getreuen Seefahrer vergessen zu haben. Ihre Tochter Johanna soll den Erzherzog Philipp von Österreich heiraten, Frankreich betrachtet die Verbindung mit Eifersucht, man muß sich auf einen Krieg gefaßt machen. Die Ausstattung der Infantin und die Hochzeitsfeierlichkeiten erschöpfen alle Mittel der Königin, sie kann nicht einmal die Lieferanten bezahlen, und Juden, bei denen man Darlehen aufnehmen konnte, gibt es nicht mehr im Lande. Wahrscheinlich hat sie einige Hoffnung auf die Ankunft ihres Großadmirals gesetzt; aber statt der Herrin die ungemessenen Schätze zu Füßen zu legen, mit denen er schriftlich und mündlich immerfort geprahlt (»Schätze, wie sie die Könige des Morgenlandes nicht kostbarer nach Bethlehem gebracht haben«, war eines seiner großartigen Worte gewesen), statt dessen hat er nichts zu bieten als Beschwerden und Jammerberichte. Gut, man wird ihm Schiffe geben, läßt ihm das Haupt der feindlichen Partei sagen, aber unter der Bedingung, daß er auch seinerseits einiges Entgegenkommen zeige und auf das eine oder andere der Privilegien verzichte, die zu erfüllen dem König so lästig falle, z. B. das Achtel der Einkünfte. Aha, der König, sein unversöhnlichster Widersacher. Nein, niemals, um keinen Preis. Was verbrieft und beschworen ist, davon kann nichts abgehandelt werden. Mit Müh und Not setzt er es durch, daß zwei Karavellen mit Vorräten, die er seinem Bruder Bartolomé versprochen hat, einstweilen nach Española ausgeschickt werden, und um ihn nicht gänzlich zu entmutigen, legen sich hohe Gönner und Freunde ins Mittel, um ihm zu einer auf den Staatsschatz lautenden Anweisung über sechs Millionen Maravedis zu verhelfen. Damit ist zwar nicht viel gedient, denn die Kassen sind wie gewöhnlich leer, aber es ist wenigstens ein öffentlicher Kredit, und er kann seine Vorbereitungen treffen; er wird eben seinerseits gleichfalls mit Anweisungen zahlen.
Das alles ist bitter und aufreibend, doch man könnte sich durchbeißen, man hat schon Schlimmeres ertragen, da kommt das Schlimmste: er wird zum Gegenstand des Gelächters. Der Kapitän Pedro Alonzo Niño, von Bartolomé geschickt, landet in Cadix, und als ob er in der Schule des Admirals zum Großsprecher wäre erzogen worden, läßt er diesem melden, er führe eine so schwere Ladung Gold an Bord, daß er Gott danke, daß das Schiff nicht gesunken sei. Colón ist überglücklich, und ohne sich zu überzeugen, ob die Meldung auf Wahrheit beruhe, schreibt er sogleich an die Majestäten, aus dem Goldland Ophir sei eine mit unermeßlichen Reichtümern beladene Flotte im Hafen von Cadix eingelaufen. Das königliche Paar, wiewohl die Botschaft nicht recht glaubhaft klingt, bezeigt lebhafte Freude und gibt ihm zu verstehen, nun könne er ja die Kosten der Ausrüstung von dem indischen Gold bestreiten und die Anweisung auf die sechs Millionen Maravedis zurückerstatten. Das geschieht auch. Was stellt sich aber heraus? Die »Reichtümer der Flotte aus Ophir«, d. h. einer einzigen halbwracken Galeazze, bestehen aus hundertfünfzig Indios, durch deren Verkauf als Sklaven das Gold erst gewonnen werden soll. Niederschmetternde Eröffnung. Nicht allein muß er die Nachricht widerrufen, sondern auch noch die andere Demütigung auf sich nehmen, der Königin die ausführliche schriftliche Darlegung seines Bruders, des Statthalters Bartolomeé über die trostlos-verworrenen Zustände in der Kolonie zu überreichen. Als er neuerdings um die Anweisung der sechs Millionen bittet, wird ihm trocken erwidert, es könne über die Summe nicht mehr verfügt werden.
Es waren lauter Stationen des Abstiegs. Man sollte denken, eine solche Kette widriger Ereignisse müsse ihn an sich irre gemacht oder doch das Gefühl der Wichtigkeit in ihm untergraben haben. Weit gefehlt. Er rettet sich einfach aus dem Sein in den Schein. Damit sein Adel und sein Titel ganz sicher auf seine Nachkommen vererbt würden, erbat er eben um diese Zeit, vor der dritten Ausreise, von der Königin den Konsens zur Errichtung eines Majorats, und das Majorat hatte als greifbare Grundlage nichts anderes als eine Kiste, angefüllt mit frommen Reliquien und indianischem Schmuck. Denn der Landstrich auf Española, fünfzig Stunden lang und fünfundzwanzig breit, der als Schenkung hinzugefügt wurde, hatte keinen Realwert; zum Teil noch nicht erobertes, zum Teil Urwald- und Sumpfgebiet, hätte er sich mit derselben Aussicht auf Nutznießung ein Terrain von der Größe Spaniens aneignen können, ohne daß es ihm jemand mißgönnt hätte. Als er dann noch das Zugeständnis verlangte, kein spanischer Seefahrer außer ihm allein solle das Recht haben, im indischen Meer Entdeckungen zu machen, gewährte ihm die Krone auch dieses unsinnige und unhaltbare Privileg. Wahrscheinlich willigte König Ferdinand in die törichte Abmachung nur, weil er sich von Anfang an nicht für gebunden erachtete, die maßlosen Ansprüche des Admirals zu erfüllen; Verträge zu brechen war ihm ein leichtes, das belastete sein Gewissen nicht, und die Königin, die noch immer mit einem Rest von Sympathie an dem wunderlichen Mann hing, sagte sich, was der gesunde Menschenverstand sich sagen mußte, daß ein solcher Vertragspunkt außer aller Wirklichkeit war, außer aller Möglichkeit, da man nicht einige Millionen Quadratkilometer Ozean unter dauernde Polizeiaufsicht stellen konnte. Aber vernünftigen Erwägungen war ihr Schützling niemals zugänglich gewesen, und Wirklichkeit, Möglichkeit, danach zu fragen kam ihm gar nicht in den Sinn.