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Der Leich

(1213-1215?)

3.1-8,3

Gott, von deiner Trinität, die von je dein Vorausdenken weise vereinigt hatte, bekennen wir: die Drei ist mit der Dreiheit eine Einheit,

Got, dîner Trinitâte,
    die ie beslozzen hâte
    dîn fürgedanc mit râte,
    der jehen wir, mit drîunge
    diu drîe ist ein einunge,

Ein Gott, der hohe heilige; seine von je durch sich selbst seiende Ehre nimmt nimmermehr ein Ende. Nun schick uns deine Unterweisung! Unsern Geist hat der Fürst aus dem Höllenabgrund zu mancher Sünde schmerzlich irregeführt.

Ein got der hôhe hêre;
    sîn ie selbwesende êre
    verendet niemer mêre.
    nu sende uns dîne lêre.
    uns hât verleitet sêre
    die sinne ûf mange sünde
    der fürste ûz helle abgründe.

Seine Ratschläge und des schwachen Fleisches Lust haben uns dir, Herr, entfremdet. Da diese beiden dir zu trotzig sind und du über sie beide gebietest, so tu das zum Ruhme deines Namens und hilf uns, daß wir durch dich obsiegen und daß deine Stärke uns so dauernde Widerstandskraft gebe,

Sîn rât und brœdes fleisches gir
    die hânt geverret, hêrre, uns dir.
    sît disiu zwei dir sint ze balt
    und dû der beider hâst gewalt,
    sô tuo daz dînem namen ze lobe,
    und hilf uns daz wir mit dir obe
    geligen, und daz dîn kraft uns gebe
    sô starke stæte widerstrebe,

daß dadurch dein Name verherrlicht und dein Ruhm erhöht werde. Dadurch wird er geschändet, der uns da Sünde lehrt

Dâ von dîn name sî gêret
    und ouch dîn lop gemêret.
    dâ von wirt er gunêret,
    der uns dâ sünde lêret

Und uns zu unreiner Begier treibt: seine Stärke verzweifelt vor deiner Stärke. Dafür werde dir immer Lob gesungen, und ebenso der keuschen holden Jungfrau, die uns den Sohn geboren hat, der ihr als Kind geziemt und wohlgefällt.

Und der uns ûf unkiusche jaget:
    sîn kraft von dîner kraft verzaget.
    des sî dir iemer lop gesaget,
    und ouch der reinen süezen maget,
    von der uns ist der sun betaget,
    der ir ze kinde wol behaget.

Jungfrau und Mutter, schaue die Not der Christenheit, du blühender Stecken Aarons, hervorbrechende Morgenröte, Ezechiels Tor, das nie aufgetan wurde, durch das der König herrlich aus- und eingelassen wurde. Gerade wie die Sonne durch ganz fertiges Glas

Maget und muoter, schouwe
    der kristenheite nôt,
    dû blüende gert Arônes,
    ûf gênder morgenrôt,
    Ezechîêles porte,
    diu nie wart ûf getân,
    dur die der künec hêrlîche
    wart ûz und in gelân.
    alsô diu sunne schînet
    durch ganz geworhtez glas,

scheint, grade so gebar die Keusche, die Jungfrau und Mutter war, den Christ.

    alsô gebar diu reine Krist, diu magt und muoter was.

Ein Busch, der brannte, an dem niemals etwas angesengt noch verzehrt wurde; ausgedehnt und unvermindert blieb sein Glanz unverletzt durch Feuers Flamme. Das war allein die keusche Jungfrau, die in jungfräulichem Zustand

Ein bosch der bran,
    dâ nie niht an
    besenget noch verbrennet wart:
    breit unde ganz
    beleip sîn glanz
    vor fiures flamme unverschart.
    daz was diu reine
    magt alleine,
    diu mit megetlîcher art

Kindes Mutter geworden ist, ohne eines Mannes Beiwohnung, und menschlicher Weisheit zuwider den wahren Christ gebar, der sich unser angenommen hat. Heil ihr, daß sie einmal den getragen hat, der unsern Tod zu Tode schlug! Mit seinem Blute wusch er uns den Schaden ab, den Evas Sünde uns gebracht hatte.

Kindes muoter worden ist
    ân aller manne mitewist,
    und wider menneschlîchen list
    den wâren Krist
    gebar, der uns bedâhte.
    wol ir, daz si den ie getruoc,
    der unsern tôt ze tôde sluoc!
    mit sînem bluote er ab uns twuoc
    den ungefuoc
    den Even schulde uns brâhte.

Salomons hohem Throne bist du, Herrin, eine heilige Wohnung und Gebieterin. Balsamstaude, Perle, bist du, Jungfrau, eine Jungfrau ob allen Jungfrauen, eine Königin. Dem Lamm Gottes war dein Schoß ein zarter Palast, darin es rein umschlossen lag.

Salomônes
    hôhes trônes
    bist dû, frowe, ein selde hêr und ouch gebieterinne.
    balsamîte,
    margarîte,
    ob allen magden bist dû, maget, ein magt, ein küneginne.
    gotes lambe
    was dîn wambe
    ein palas kleine,
    dâ ez reine
    lac beslozzen inne.

Das Lamm, das ist der heilige Christ; dadurch bist du nun für alle Zeit erhöht und geheiligt. Nun bitte ihn, daß er uns um deinetwillen gewähre, was unsre Not erheischt: sende du uns Hilfe vom Himmel her; dadurch wird dein Ruhm vergrößert.

Daz lamp daz ist
    der vrône Krist,
    dâ von dû bist
    nû alle frist
    gehœhet und gehêret.
    nû bite in daz er uns gewer
    durch dich des unser dürfte ger:
    dû sende uns trôst von himel her:
    des wirt dîn lop gemêret.

Jungfrau unbefleckt, dem Felle Gideons gleichst du ganz, das Gott mit seinem Himmeltau begoß. Jenes Wort über allen Worten öffnete deiner Ohren Pforten, dessen Süßigkeit dich aller Enden durchsüßt hat, süße Himmelsherrin.

Maget vil unbewollen,
    der Gedêônes wollen
    gelîchest dû bevollen,
    die got begôz mit sînem himeltouwe.
    ein wort ob allen Worten
    entslôz dînr ôren porten,
    des süeze an allen orten
    dich hât gesüezet, süeze himelfrouwe.

Was immer aus dem Wort entstand, das ist nicht unverständig wie ein Kind. Es wurde zu Gott und wurde Mensch. Daran nehmt alle ein Wunder wahr: ein Gott, der von Ewigkeit seiende, wurde ein Mensch nach Menschenart. Alle Wunder, die er noch je getan hat, hat er hier durch Wunderbarkeit übertroffen. Dieses Wundertäters Wohnung war einer keuschen Jungfrau Zelle genau vierzig Wochen und nicht länger, ohne alle Sünde und ohne Schmerz.

Swaz ûz dem wort erwahsen sî,
    daz ist von kindes sinnen frî:
    ez wuohs ze gote, und wart ein man.
    dâ merket alle ein wunder an:
    ein got der ie gewesende wart
    ein man nâch menneschlîcher art.
    swaz er noch wunders ie begie,
    daz hât er überwundert hie.
    des selben wunderæres hûs
    was einer reinen megde klûs
    wol vierzec wochen und niht mê
    ân alle sünde und âne wê.

Nun bitten wir die Mutter und auch der Mutter Kind, sie, die Keusche und ihn, den Gütigen, zu bewirken, daß wir uns behüten; denn ohne sie kann niemand weder hier noch dort selig werden; und leugnet das jemand, der ist gewißlich ein Narr.

Nû biten wir die muoter
    und ouch der muoter barn,
    si reine und er vil guoter
    daz si uns tuon bewarn:
    wan âne si kan niemen
    hie noch dort genesen:
    und widerredet daz iemen,
    der muoz ein tôre wesen.

Wie kann jemals dem geholfen werden, der seinen Fehltritt nicht herzlich bereut, da doch Gott keine Sünden vergibt,

Wie mac des iemer werden rât,
    der umbe sîne missetât
    niht herzelîcher riuwe hât?
    sît got enheine sünde lât,

die nicht jederzeit in Reue versetzen bis zum Herzensgrund hinab? Dem Verständigen ist das genau bekannt, daß niemals eine Seele, die durch das Schwert der Sünde wund ist, gesund wird, wenn sie nicht von Grund auf Heilung findet.

Die niht geriuwent zaller stunt
    hin abe unz ûf des herzen grunt.
    dem wîsen ist daz allez kunt,
    daz niemer sêle wirt gesunt,
    diu mit der sünden swert ist wunt,
    sin habe von grunde heiles funt.

Nun sind wir der Reue unfähig; sie sende Gott mit seinem Liebesfeuer uns zu Hilfe. Sein lieblicher Geist

Nû ist uns riuwe tiure:
    si sende uns got ze stiure
    bî sînem minnefiure.
    sîn geist der vil gehiure

vermag leicht harten Herzen wahre Reue und reines Leben zu schenken.

Der kan wol herten herzen geben
    wâre riuwe und reinez leben.

Wo er weiß, daß die Reue verlangend ist, da entfacht er die Inbrunst der Reue; ein zügelloses Herz zähmt er so stark, daß es sich aller Sünden schämt.

Swâ er die riuwe gernde weiz,
    dâ machet er die riuwe heiz:
    ein wildez herze er alsô zamt,
    daz ez sich aller sünden schamt.

Nun sende uns, Vater und Sohn, den wahren Geist herab, daß er mit seinem süßen Naß ein dürres Herz erquicke. Die ganze Christenheit ist so voll von Unchristlichem. Da wo das Christentum im Krankenhaus liegt, da geht man nicht gut mit ihm um.

Nû sende uns, vater unde sun, den rehten geist her abe,
    daz er mit sîner süezen fiuhte ein dürrez herz erlabe,
    unkristenlîcher dinge ist al diu kristenheit sô vol.
    swâ Kristentuom ze siechhûs lît, dâ tuot man im niht wol.

Es hat großen Durst nach der Lehre, wie es sie von Rom zu empfangen gewohnt war. Wenn einer ihm die einschenkte und ihm zu trinken gäbe wie früher, so würde es dadurch wieder aufkommen.

In dürstet sêre
    nâch der lêre
    als er von Rôme was gewon:
    der im die schancte
    und in dâ trancte
    als ê, dâ wurd er varnde von.

Alle Krankheit, die es da je quälte, kam allein von der Simonie; daher ist es dort (in Rom) so sehr ohne Freunde, daß es nicht wagt, seinen Verlust vor Gericht einzuklagen. Christentum und Christenheit – der, welcher diese beiden gleich lang, gleich breit für Glück und Unglück zugeschnitten hat, dessen Wille war es auch, daß wir

Swaz im dâ leides ie gewar,
    daz kam von simonîe gar,
    nû ist er dâ sô friunde bar,
    daz ern getar
    niht sînen schaden gerüegen.
    kristentuom und kristenheit,
    der disiu zwei zesamne sneit,
    gelîche lanc, gelîche breit,
    liep und leit,
    der wolte ouch daz wir trüegen

in Christus christliches Leben führten. Da er uns vereinigt hat, so dürfen wir uns nicht trennen. Jeder Christ, der sich zum Christentum mit Worten, aber nicht mit Werken bekennt, der ist gut zur Hälfte ein Heide. Das ist unser größtes Leid: das eine ist ohne das zweite tot. Nun helfe uns Gott bei beiden

In Kriste kristenlîchez leben.
    sît er uns hât ûf ein gegeben,
    sô suln wir uns niht scheiden.
    swelch kristen kristentuomes giht
    an worten, und an werken niht,
    der ist wol halp ein heiden.
    daz ist unser meiste nôt:
    daz eine ist ân daz ander tôt:
    nû stiure uns got an beiden,

und gebe uns Beistand ..., da er uns deutlich sein Geschöpf genannt hat. Nun mildere uns, Herrin, seinen Zorn, barmherzige auserkorene Mutter, du Rose ohne allen Dorn, du sonnenfarbige Reinheit.

Und gebe uns rât,
     ...
    sît er uns hât
    sîn hantgetât
    geheizen offenbare.
    nû senfte uns, frowe, sînen zorn,
    barmherzic muoter ûz erkorn,
    dû frîer rôse sunder dorn,
    dû sunnevarwiu klâre.

Dich lobt der hohen Engel Schar. Doch brachten sie dein Lob noch nie soweit, daß es ganz erschöpft worden wäre.

Dich lobet der hôhen engel schar:
    doch brâhten si dîn lop nie dar
    daz ez volendet wurde gar.

An alles Lob, das in himmlischen Stimmen oder von irdischen Zungen aus allen Chören im Himmel und auf Erden gesungen worden ist, erinnern wir dich Herrliche

Swaz lobes sî gesungen
    in stimmen oder von zungen
    ûz allen ordenungen
    ze himel und ûf der erde,
    des manen wir dich werde,

und bitten dich um unserer Schuld willen: sei uns gnädig,

und biten umb unser schulde dich,
    daz dû uns sîst genædiclich,

so daß deine Fürbitte vor dem Urquell der Barmherzigkeit ertöne. Dann haben wir die zuversichtliche Hoffnung, die Schuld werde leicht,

Sô daz dîn bete erklinge
    vor der barmunge urspringe:
    sô hân wir des gedinge,
    diu schulde werde ringe,

mit der wir schwer beladen sind. Hilf uns, daß wir sie abwaschen

Dâ mite wir sêre sîn beladen.
    hilf uns daz wir si abe gebaden

mit immer dauernder Reue über unsern Fehltritt, die niemand zu schenken hat als Gott und du.

Mit stæte wernder riuwe
    umb unser missetât,
    die âne got und âne dich nieman ze gebenne hât.


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