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Ich hatte bei all diesen Ereignissen gerade keine sehr heldenhafte Rolle gespielt, aber ich tat das einzig Mögliche. Wäre ich einer jener romantischen Romanhelden gewesen, so hätte ich die Geliebte meines Freundes der ganzen Welt zum Trotz in Sicherheit gebracht. Aber als prosaischer Mensch sorgte ich nur dafür, daß sie eine Zelle mit einem guten Bett bekam, und beauftragte meine Rechtsanwälte telegrafisch, den besten Vertreter für ihre Verteidigung zu engagieren.
Ich hatte zwei Beamten den Auftrag gegeben, das Büro genau nach der Waffe und anderen Anhaltspunkten zu durchsuchen. Nachdem ich Mary Ferrera zur Polizeistation gebracht hatte, fuhr ich direkt in die Bond Street und fand dort den Sergeanten Merthyr und den Polizisten Doyne. Sie aßen in Leslies Büro belegte Brote. Leslie saß bei ihnen und verfluchte den Tag, an dem die Firma Stabbat und Jones ihre behaglichen Räume in der Cork Street aufgegeben hatte. Er schaute ängstlich auf, als ich eintrat.
»Ich habe Miss Ferrera verhaften müssen«, sagte ich.
Er nickte traurig.
»Ja. Ich wüßte auch nicht, was Sie sonst hätten tun sollen.«
»Haben Sie etwas gefunden?« wandte ich mich an Merthyr.
Der Sergeant verneinte meine Frage.
»Haben Sie denn die Waffe, mit der Sir Philip niedergeschossen wurde? Haben Sie Miss Ferreras Wohnung durchsucht?« fragte er dann.
»Die Wohnung habe ich durchsucht, aber ich habe nichts entdeckt.«
Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, die Zimmer Mary Ferreras einer Prüfung zu unterziehen oder das Mädchen persönlich zu kontrollieren. Es war ja auch sehr unwahrscheinlich, daß Mary einen anderen Revolver gekauft hätte oder daß sie zwei Schußwaffen besaß. Der Revolver, den sie das erstemal bei sich hatte, lag auf dem Boden des Heizungsschachts.
Plötzlich kam mir eine Idee. Die beiden Beamten hatten sich gerade entfernt, und ich war allein mit Leslie.
»Was haben Sie denn?« fragte Leslie, der mich erstaunt ansah. »Mont, diese Geschichte wird unserer Firma ungeheuer schaden.«
»Darüber reden wir jetzt nicht. Wohin führt dieser Schacht?«
»Welchen Schacht meinen Sie?«
»Waren Sie nicht im Zimmer, als Billington den Revolver in die Öffnung an der Fensterwand warf?«
»Welche Öffnung?«
Wir traten in Billingtons Büro. Leslie drehte das Licht an, und mit Hilfe eines Brieföffners gelang es mir, die kleine Tür zu öffnen. Leslie schaute hinunter.
»Ich möchte nur wissen, wohin der Schacht führt«, sagte er nachdenklich, nahm eine Kupfermünze, ließ sie fallen und lauschte.
Er sah mich überrascht an, als er sich umdrehte.
»Sie ist direkt bis in den Keller gefallen.«
Ich erklärte ihm nun, daß es sich nach Billys Meinung hier um die frühere Heizung handelte. Leslie kannte den Portier; wir gingen beide nach unten und ließen uns von Mr. Bolt den Keller aufschließen. Der Mann zeigte uns den Raum, in dem zum Teil die Kessel noch standen. Er war durch die beiden Unglücksfälle, die im Haus passiert waren, etwas nervös geworden.
»Sie glauben doch nicht etwa, daß noch jemand umgebracht worden ist, den man unten im Keller begraben hat?« fragte er ängstlich.
»Nein, das ist nicht anzunehmen.«
Er blieb aber vorsichtshalber an der Tür und begleitete uns nicht nach innen. Wir hatten den Schacht bald gefunden, und als ich mit der Taschenlampe den Fußboden ableuchtete, entdeckte ich, was ich suchte.
»Da liegt die Waffe«, sagte Leslie, bückte sich und nahm sie auf.
Der Hahn war noch gespannt. Behutsam ließ ich ihn wieder herunter und steckte die Waffe in die Tasche.
»Hier ist auch das Kupferstück!« rief Leslie.
Wir kehrten in die Büroräume zurück, und ich legte den Revolver auf den Tisch unter die Leselampe. Bei näherer Betrachtung stellte ich fest, daß noch alle sechs Patronen vorhanden waren. Daraufhin untersuchte ich die Waffe genauer und fand, daß sie überhaupt nicht abgeschossen worden war.
Billy hatte voreilig gehandelt! Als er Mary die Waffe aus der Hand nahm und sie in den Keller warf, beseitigte er damit den Beweis ihrer Schuldlosigkeit.
Mir war es ganz klar, daß der Mann, der auf Thomson Dawkes geschossen hatte, auch der Mörder Sir Philip Framptons sein mußte. Auf keinen Fall aber konnte es Mary Ferrera gewesen sein.
»Sie werden die Sache niemals ganz aufklären können, Mont«, sagte Leslie schließlich. »Es gibt nur einen Mann, der dieses Geheimnis lösen könnte, und der sitzt jetzt in Dartmoor. Wir müssen ihn unter allen Umständen herausbringen.«
Ich sah ihn verblüfft an.
»Wie meinen Sie denn das?«
»Genauso, wie ich eben sagte. Miss Mary hat ihm doch schon früher den Vorschlag gemacht, aus dem Gefängnis auszubrechen. Ich hielt das damals nicht für möglich oder notwendig. Aber jetzt ist die Sache sehr ernst geworden, und wir müssen alles daransetzen, daß er aus dem Gefängnis kommt.«
Ich hörte wohl, was Leslie dann noch sagte, konnte mir aber nicht denken, daß der Plan gelingen würde.
»Wir werden ja sehen«, erklärte er schließlich.
Einen Gefangenen aus dem Gefängnis in Dartmoor zu befreien, das mag ja noch angehen, aber es ist unendlich schwierig, ihn aus dieser großen, einsamen Heide fortzubringen.
An diesem Abend schlief ich lange nicht ein und zergrübelte mir den Kopf, wie wir unseren Plan ausführen könnten.
Das Verhör Mary Ferreras vor dem Polizeigericht war merkwürdig und unterschied sich von allen anderen, die ich bisher erlebt hatte. Gewöhnlich werden bei dem ersten Verhör nur die notwendigsten Zeugen vernommen, aber in diesem Fall hatte man auch den Rechtsanwalt Mr. Tranter vorgeladen, an den der Ermordete kurz vor seinem Tod geschrieben hatte.
»Haben Sie den Toten wiedererkannt?« fragte der Staatsanwalt.
»Ja.«
»Wer ist es?«
»Sir Philip Frampton.«
»Besaß er ein großes Vermögen?«
»Soviel ich weiß, war er sehr reich. Er hatte ungefähr vier bis fünfhunderttausend Pfund.«
»Hat er ein Testament hinterlassen?«
»Nein. Vor drei Jahren haben wir in seinem Auftrag ein Testament aufgesetzt. Verschiedene der Bestimmungen paßten ihm aber in letzter Zeit nicht mehr, und er wollte sie ändern. Wir gaben ihm zu Anfang den Rat, einen Nachtrag zu machen, aber das wollte er nicht. Er vernichtete das Testament und war gerade im Begriff, ein anderes aufzustellen, als er ermordet wurde.«
»Dann existierte also im Augenblick des Todes kein gültiges Testament?«
»Nein, es war keines vorhanden.«
»Wer ist unter diesen Umständen sein Erbe?«
»Miss Mary Ferrera.«
Sie erhob sich von der Anklagebank und starrte den Rechtsanwalt mit weitaufgerissenen Augen an.
»Ich – ich wußte das nicht«, stammelte sie.
Ihr Verteidiger gab ihr einen Wink, sich wieder zu setzen.
»Welche Bestimmungen des Testaments wollte Sir Philip ändern?«
»Er hatte der Gesellschaft zur Unterdrückung des Glücksspiels fünftausend Pfund vermacht; diese Schenkung wollte er zurückziehen.«
Mit dieser unerwarteten Antwort endete die Verhandlung für diesen Tag.
Mary Ferrera war also eine reiche Frau! Das war allerdings ein sehr ungünstiger Umstand für sie, denn darin würde das Gericht wahrscheinlich ein Motiv für das Verbrechen sehen. Leslie war auch zugegen gewesen, aber nicht als Zeuge vernommen worden. Die Verhandlung wurde auf eine Woche vertagt, damit die Staatsanwaltschaft weiteres Material herbeischaffen konnte.
Ich trat mit Leslie auf die Straße.
»Ich gab Ihnen doch damals dreihundert Pfund, die Billy gehörten?« sagte er.
»Ja. Hundert Pfund überließ ich Miss Ferrera.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, möchte ich Sie jetzt um den Rest bitten. Wir müssen alles Geld zusammenkratzen, das wir bekommen können. Die Sache wird mindestens viertausend Pfund kosten.«
»Was meinen Sie denn – doch nicht die Verteidigung?«
»Ich denke vor allem daran, Billy aus dem Gefängnis zu befreien. Das ist ein Teil der Verteidigung – ja, es ist sogar die einzige Verteidigung, die uns bleibt.«